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Niccolò Machiavelli – Die Macht und der Schein

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

von Dirk Hoeges (Autor:in)
©2014 Monographie 233 Seiten

Zusammenfassung

Machiavelli entwirft die Figur des modernen Herrschers im Spannungsverhältnis von Macht und Schein. Nichts sein – alles scheinen wird zur Bedingung für Erwerb und Erhalt von Macht. Dabei ist Machiavellis Entdeckung und Nutzung der Perspektive für das Wesen des Politischen entscheidend. Unter die Perspektive diffuser Beobachter geraten, wird Herrschaft von der Inszenierung abhängig. Macht ohne Schein scheitert wie Schein ohne Macht. Es schlägt die Stunde der Medien. Sie arbeiten am Schein. Durch präzise Textanalyse wird der «Fürst» als komplexe Kunstfigur sichtbar. Machiavellis berühmtester Text wie sein umfangreiches Gesamtwerk aus Prosa und Poesie ist nur mittels Ästhetik und Rhetorik zu verstehen. Es zeigt den kritischen Humanisten und gewandten Politiker als Meister vieler literarischer Formen, mit denen er von Jugend an vertraut wurde.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Prolog
  • Vorwort zur zweiten Auflage
  • Die Inszenierung – Landleben
  • Machiavelli und die Medici – Die Widmungen
  • Das «Modell Cicero»
  • Die Macht des Wortes und die Arroganz der Ohnmacht
  • Die Perspektive –Das Auge des Florentiners
  • Urbane Ästhetik in Geschichtsschreibung und Rhetorik Machiavelli und Leonardo Bruni
  • «Florentinische Geschichten» –«Istorie Fiorentine» Sprache – Form – Bedeutung
  • Die humanistische Literaturwerkstatt Machiavelli, Castiglione, Vasari – die Fazetie
  • Machiavelli, Leonardo da Vinci und die «Schlacht von Anghiari»
  • Wortwissen – Erfahrungswissen Machiavelli und Leonardo da Vinci – Intellektueller und Ingenieur
  • Die «perspektivische Wende» und die Ästhetik der Macht
  • Cesare Borgia und Machiavelli: Macht – Rhetorik – Dichtung
  • Der Humanist als Meister der Giftkulturen – Zur Ästhetik des Mordens
  • Machiavelli und das Ende des Borgia
  • Alltagshumanismus – Musen, Mußen und Geschäfte
  • Eine bürgerliche Bibliothek im Florenz des Quattrocento Die Bücher des Bernardo Machiavelli
  • Cicero: Politik und Leben
  • Lorenzo de’ Medici – Mäzenatentum und Terror
  • Machiavelli und die Republik – Das Goldene Zeitalter
  • Zeit des Lesens – Zeit des Rechnens. Machiavelli 1476 bis 1479
  • Machiavellis Selbstverständnis Die Komödien: Donatus – Terenz – «Andria»
  • Machiavelli – Plautus – «Clizia»
  • Autor, Regisseur und Komponist – «Mandragola» Machiavelli, Bastiano da San Gallo, Andrea del Sarto
  • Ein Karneval der Askese 1497 - Savonarola predigt zum letzten Gefecht
  • Moses – «Fürst» und Kultfigur der Renaissance
  • Der Himmel über Arezzo oder der Wille zur Macht Propheten, Astrologen, Magier
  • Macht – Magie – Mantik
  • «Der Fürst» existiert nicht
  • Cesare Borgia – eine Fehlbesetzung Machiavellis«Fürst» Castruccio Castracani
  • Nichts sein – alles scheinen: Der Prototyp der Moderne
  • Die Macht und der Schein
  • Die Macht, der Krieg, die Kunst
  • Inszenierungen – Rollen: Stratege und Fürst
  • Epilog
  • Anmerkungen
  • Prolog
  • Die Inszenierung - Landleben
  • Machiavelli und die Medici – Die Widmungen
  • Das «Modell Cicero»
  • Die Macht des Wortes und die Arroganz der Ohnmacht
  • Die Perspektive - Das Auge des Florentiners
  • Urbane Ästhetik in Geschichtsschreibung und Rhetorik Machiavelli und Leonardo Bruni
  • «Istorie Fiorentine» – «Florentinische Geschichten» Sprache – Form - Bedeutung
  • Die humanistische Literaturwerkstatt Machiavelli, Castiglione, Vasari – die Fazetie
  • Machiavelli, Leonardo da Vinci und die «Schlacht von Anghiari»
  • Wortwissen – Erfahrungswissen Machiavelli und Leonardo da Vinci – Intellektueller und Ingenieur
  • Die «perspektivische Wende» und die Ästhetik der Macht
  • Cesare Borgia und Machiavelli Macht – Rhetorik - Dichtung
  • Der Humanist als Meister der Giftkulturen Zur Ästhetik des Mordens
  • Machiavelli und das Ende der Borgia
  • Alltagshumanismus – Musen, Mußen und Geschäfte
  • Eine bürgerliche Bibliothek im Florenz des Quattrocento Die Bücher des Bernardo Machiavelli
  • Cicero: Politik und Leben
  • Lorenzo de’ Medici – Mäzenatentum und Terror
  • Machiavelli und die Republik – Das Goldene Zeitalter
  • Zeit des Lesens – Zeit des Rechnens Machiavelli 1476 bis 1479
  • Machiavellis Selbstverständnis Die Komödien: Donatus – Terenz – «Andria»
  • Machiavelli – Plautus – «Clizia»
  • Autor, Regisseur und Komponist – «Mandragola» Machiavelli, Bastiano da San Gallo, Andrea del Sarto
  • Ein Karneval der Askese 1497 – Savonarola predigt zum letzten Gefecht
  • Moses – «Fürst» und Kultfigur der Renaissance
  • Der Himmel über Arezzo oder der Wille zur Macht Propheten, Astrologen und Magier
  • Macht – Magie - Mantik
  • «Der Fürst» existiert nicht
  • Cesare Borgia – eine Fehlbesetzung Machiavellis «Fürst» Castruccio Castracani
  • Nichts sein – alles scheinen:Der Prototyp der Moderne
  • Die Macht und der Schein
  • Die Macht, der Krieg, die Kunst
  • Inszenierungen – Rollen: Stratege und Fürst
  • Bibliographie
  • I. Quellen
  • 1. Werke Machiavellis
  • Italienische Ausgaben
  • Deutsche Ausgaben
  • 2. Sonstige Autoren
  • II. Sekundärliteratur
  • III. Nachschlagewerke/Lexika
  • Personenregister
  • Series Index

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Prolog

Florenz 1512. Die Medici sind nach Jahren des Exils zurückgekehrt. Unnachsichtig verfolgen sie ihre Gegner und alle, die sie verdächtigen, nicht ihre Parteigänger zu sein. Niccolò Machiavelli (1469–1527) widerfährt, was politischen Beamten droht, wenn die Machthaber wechseln.

Seit 1498 in Diensten der Republik Florenz, als Beobachter und Abgesandter auf in- und ausländischen Missionen, bei Caterina Sforza und Cesare Borgia, bei der Papstwahl in Rom nach dem Tod Alexanders VI., am Hof Kaiser Maximilians I. und des Königs von Frankreich, als Gesprächspartner in den Zirkeln der Macht von gesalbten Herrschern, von Fürsten und Kardinälen, von Kriegsherren und Bürgern, steigt er in der politischen Hierarchie seiner Heimatstadt auf. Nicht nur scharfsinniger Analytiker und As im diplomatischen Spiel, wird er Sekretär und Kanzler der Republik und Reorganisator des florentinischen Heerwesens. Nach Haft und Folter schickt man ihn in die Verbannung. Es beginnt die so beklagte wie schöpferische Zeit des Exils. Auf seinem Landgut Sant’Andrea in Percussina bei San Casciano, unweit von Florenz, kämpft er mit der Langeweile seines neuen Lebens. Fern der Politik und Staatsgeschäfte besinnt er sich auf das, was ihm geblieben ist und ihm kein Medici nehmen kann. An die Stelle aktiven politischen Handelns tritt das Reden über Politik, den Staat; an die Stelle der Realität treten Beobachtungen, Reflexionen und Projektionen, Visionen und Konstrukte von Staat, Macht und der Rolle des Herrschers. Konzentriert arbeitet er ohne Unterlaß, aktiviert sein Wissen und Können als Historiker, Dichter,1 Theaterautor und Briefeschreiber. Politik und Kunst, das Landleben mit allerlei Geschäften, Gesprächen, erotischen Streifzügen und Kalamitäten füllen die Tage. Dialoge mit den Großen der römischen Vergangenheit führen ihn aus den Niederungen dieser Existenz in die Höhen von Geschichte und Politik. Die Ergebnisse dieser Gespräche verknüpft er mit den Erfahrungen seines politischen Lebens und wird der Welt zeigen, dass die fünfzehn Jahre, in denen er die Staatskunst und das politische Geschäft beobachtet hat, nicht vertan und nicht vertändelt waren. Der «Principe» wird es beweisen. Machiavelli entwirft auf der tabula rasa der beginnenden Neuzeit den Prototyp des modernen Herrschers. Die Figur des «principe» geht hervor aus Einsicht und Voraussicht in das Wesen der Gesellschaft von morgen. Zu ihr gehören die Macht und der Schein; die Arbeit am Schein aber übernehmen Kunst, Handwerk und Rhetorik. Sie produzieren die Ästhetik der Macht und werden selbst zu Medien der Politik.

Machiavelli verkörpert in der Blüte der Renaissance noch einmal die humanistische Personalunion von Denker und Täter, von Literatur und Politik.1 Das Missverständnis, dem er von Beginn an ausgesetzt ist, resultiert aus seiner Reduzierung auf den Politiker und auf den Autor des «Principe»; erforderlich aber ist ← 7 | 8 → der Blick auf sein Gesamtwerk und die Einsicht in den untrennbaren Zusammenhang aller seiner Teile zum Verständnis jedes einzelnen. Nur dann ist Machiavelli zu verstehen, nur dann zeigt er sich als historico, comico, tragico und componitore.

Die in Italien aufbrechende Welt der Moderne kennt keine Garantien, keine Legitimationen mehr, auf die sich Herrscher und Herrschaft noch berufen könnten. Eine Welt ohne Staat, ein Himmel ohne Gott, in dieser Situation wird Machiavellis neuer Fürst von der Inszenierung seiner selbst abhängig. Sein Anblick muss seine Beobachter überzeugen. Unter permanenter Kontrolle der Perspektiven kann nur die Kunst jene Vollkommenheit schaffen, die in der Wirklichkeit nicht existiert. Niccolò Machiavelli inszeniert die Kunstfigur des «principe» so, wie er sich als Humanist im Exil selbstbewusst, einsam, politik- und gesellschaftssüchtig selbst inszeniert. Aus der Realität in die Virtualität, in die Rollen des Lebens, die das Leben nicht gewährt.

Köln, im Jahre 2000

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Vorwort zur zweiten Auflage

Aufmerksamkeit, Überraschung und Bestätigung in mannigfacher Form, die das lange vergriffene Buch seit Erscheinen und bis heute begleiten, bewogen mich zu einer Neuauflage. Sie erscheint erweitert doch weitgehend unverändert, da die im Titel annoncierte These sich auch unter kritischer Sichtung behaupten konnte. Die Rezeption verlief selektiv. Beherrscht wird die Diskussion von der Figur des Principe im Verhältnis von Macht und Schein. Mit Nichts sein-alles scheinen resümierte ich Machiavellis Machtkonzept. Es begründet seine Modernität. Nachgewiesen wurde dabei seine Entdeckung und bahnbrechende Nutzung der Perspektive für die Politik. Nach der Übersetzung und Analyse zweier Novellen (Castruccio Castracani 1998 und von Cesare Borgias Coup von Senigallia, 2014) sowie der zweisprachigen Gesamtausgabe und Interpretation seiner Lyrik, Niccolò Machiavelli. Dichter-Poeta 2006, folgen 2014 Der Esel/L’Asino und Der Fürst/Il Principein neuer Übersetzung mit einer grundlegend neuen Textanalyse. Was zu Machiavellis Verständnis unverändert nottut, ist die Einsicht in Formen und Funktionen der Kunst und Ästhetik in seinem Gesamtwerk. Sie leitet unverändert sämtliche Arbeiten des Verfassers. Ohne Kunst ist der kritische Humanist Machiavelli als Meister vieler literarischer Formen der europäischen Renaissance nicht zu haben, nicht zu denken.

Dirk Hoeges, Köln 2014.

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Die Inszenierung – Landleben

Machiavelli, 1513 im Exil in San Casciano bei Florenz, schreibt dort «Il principe», die «Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio» und mehr: Briefe, Theaterstücke, Intermezzi, Kompositionen, Gedichte und Geschichte.

Die «Discorsi» sind Zanobi Buondelmonti und Cosimo Rucellai zugeeignet, seinen jungen Freunden aus dem Florentiner Intellektuellen-Zirkel der «Orti Oricellari».

«Il principe» widmet er Lorenzo (di Piero) de Medici. Der Grund ist bekannt; er hoffte, in den politischen Dienst von Florenz zurückkehren zu können, und die Medici waren seit 1512 wieder an der Macht. Doch es half nichts, die Zeit war noch nicht so weit; sie verdächtigten ihn weiter, an einer Verschwörung gegen sie beteiligt gewesen zu sein. Er leidet in San Casciano. Das Landleben kann die Politik nicht ersetzen und nicht vergessen machen. Machiavelli weiß dem Leiden zu begegnen: Er muss vom Staat reden. An die Stelle entbehrter Wirklichkeit tritt das Reden über den Staat: «Fortuna wollte, dass ich weder von Seide und Wollweberei, weder von Gewinn noch Verlust zu reden weiß; ich muss vom Staate reden; ich muss das Gelübde tun, still zu schweigen oder davon zu reden.» So schreibt er am 9. April 1513 an Francesco Vettori in einem der «Freundschaftlichen Briefe». Der Staat ist für ihn Lebenselixier; von ihm zu reden seine Bestimmung, wenn nicht von den Gestirnen vorgegeben. Wäre er im Zodiakzeichen des Widders geboren, hätten Wolle und Seide den Platz einnehmen können, den der Staat in seinem Leben und Denken besetzt. Einflüsse der Astrologie finden sich bei Machiavelli wie bei vielen seiner Zeitgenossen.1 Dass er aber gleichwohl auch von Seide und Wollweberei zu reden weiß, von Gewinn und Verlust, dass er durchaus von bürgerlich-florentinischem Kaufmannsgeist ist, wird sich zeigen und ebenso, dass vor elementaren Dingen des Lebens, vor Liebe, Lust und Leid, seine Sprache und Phantasie nicht versagen.

Vettori schildert er seine Tage in San Casciano: «Ich lebe nun in meinem Landhaus. Nach meinem letzten Unglück bin ich, alles zusammengerechnet, keine zwanzig Tage in Florenz gewesen. Bisher habe ich eigenhändig den Krammetsvögeln nachgestellt. Vor Tage stand ich auf, legte die Leimruten und dann ging’s los, unter einer solchen Last von Käfigfallen, dass ich aussah wie Freund Geta, wenn er mit den Büchern Amphitryons vom Hafen zurückkommt. Ich fing zwei bis sechs Krammetsvögel. So ging es den ganzen September über. Dann hörte dieser Zeitvertreib zu meinem Leidwesen auf, mochte er noch so kläglich und sonderbar gewesen sein. Seitdem führe ich das folgende Leben: Ich stehe mit der Sonne auf und gehe in ein Gehölz, das ich aushauen lasse. Da bleibe ich ← 9 | 10 → zwei Stunden, die Arbeit vom Vortag nachzusehen und mir mit den Holzfällern die Zeit zu vertreiben. Sie haben immer Händel, sei’s untereinander, sei’s mit den Nachbarn. Über dieses Gehölz hätte ich Euch tausend schöne Dinge zu erzählen, so etwa, was mir mit Fronsino da Panzano und anderen begegnet ist, die von meinem Holze wollten. Fronsino besonders ließ sich ein paar Klafter liefern, ohne mir etwas zu sagen. Bei der Bezahlung wollte er mir zehn Lire abziehen, die ich angeblich vor vier Jahren bei Antonio Guicciardini im Tric-Trac-Spiel an ihn verloren hatte. Worauf ich einen höllischen Krach schlug. Ich wollte den Fuhrmann, der das Holz geholt, als Dieb verklagen. Doch legte er sich ins Mittel und führte einen Vergleich herbei. Dann brach die Tramontana (Nordwind) los, und jeder wollte seine Ladung haben, so Battista Guicciardini, Filippo Ginori, Tommaso del Bene und alle die andern Mitbürger, denen ich sie versprochen hatte. Gleich die erste Ladung nun, die ich nach Florenz schickte, kam dort nur als halbe Ladung an. Sie hatten alle Hand angelegt, das Holz aufzusetzen, er, seine Frau, die Mägde und Kinder. Es sah aus, wie wenn der Fleischer Gaburro am Donnerstag mit seinen Knechten darangeht, einen Ochsen zu schlachten. Um es kurz zu machen: Als ich merkte, dass dabei kein Gewinn sei, ließ ich die andern wissen, ich hätte kein Holz mehr. Das haben sie mir alle gewaltig übel genommen, namentlich Battista, der sein Pech allen Ernstes mit der Plünderung Pratos vergleicht.

Aus dem Gehölz gehe ich an eine Quelle und von da zu meinem Vogelherd, ein Buch in der Tasche, Dante oder Petrarca oder einen der kleineren Dichter, wie Tibull, Ovid oder ähnliche. Ich vertiefe mich in ihre Liebespein, ihre Liebeshändel und entsinne mich der meinen. Mit diesen Gedanken ergötze ich mich eine Weile. Dann begebe ich mich ins Wirtshaus an der Straße, spreche mit den Durchreisenden, frage sie nach Neuigkeiten aus ihrer Heimat, errate mancherlei und merke mir, wie verschieden der Geschmack und die Launen der Menschen sind. Unterdessen kommt die Essenszeit heran und ich nähre mich in Gesellschaft der Bewohner meines Hauses von den kargen Erträgnissen des kleinen Landgutes.

Gleich nach Tisch kehre ich ins Wirtshaus zurück. Da versammeln sich gewöhnlich um den Wirt ein Fleischer, ein Müller und zwei Ziegelbrenner. Mit solchem Gesindel mache ich mich den ganzen Nachmittag gemein und spiele Tric-Trac oder Cricca. Dabei kommt es zu tausend Streitigkeiten und endlosen Zänkereien mit gewaltigem Geschimpfe. Meist wird um einen Quattrino so gestritten, dass man uns bis San Casciano schreien hört. Ich habe solche Verkommenheit gebraucht, damit mein Hirn nicht ganz verschimmele. So erst kann ich meines tückischen Geschicks, kann ich Fortunas spotten. Ich bin es fast zufrieden, dass sie mich so tief hinabstieß, denn ich will doch sehen, ob sie sich meinetwegen nicht schließlich schämt.» ← 10 | 11 →

Sant’Andrea in Percussina bei San Casciano ist nicht Ciceros Tusculum; wenngleich noch auf toskanischem Boden, sieht Machiavelli sich verbannt und teilt eher das Los Dantes, den die politischen Umstände in Florenz ins Exil nach Ravenna trieben, wo er das «salzige Brot des Fremden essen und auf fremden Treppen steigen musste».2

Die Banalität seines Landlebens nimmt er aber so weit an, als sie ihm hilft, seinem tückischen Geschick spöttisch zu begegnen und Fortuna die Stirn zu bieten. Fortuna, Göttin der Krise in Antike und Renaissance, Göttin der Cäsaren und Fürsten, ist auch Machiavellis lebenslange Begleiterin und Gegnerin, sie ist der Dämon seines Lebens im Kampf auf allen Ebenen. Seine Schriften zeugen davon, «Das Leben Castruccio Castracanis aus Lucca»,3 sein Gedicht «Über Fortuna», die «Discorsi» und «Il principe», das «Buch vom Fürsten». Er schreibt es aus einem Leben heraus, das die Devise seiner Tatenlosigkeit im Exil hervortreibt: Ich muss vom Staate reden («devo ragionare dello stato»).

Details

Seiten
233
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653044638
ISBN (ePUB)
9783653999365
ISBN (MOBI)
9783653999358
ISBN (Hardcover)
9783631617014
DOI
10.3726/978-3-653-04463-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Medici Lyrik Gedichtübersetzung Karnevalslied Machiavelli, Niccolò
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 233 S.

Biographische Angaben

Dirk Hoeges (Autor:in)

Dirk Hoeges ist Professor für romanische Literatur- und Kulturwissenschaften an der Universität Hannover. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur Literatur, Geschichte, Kunst und Wissenschaftstheorie Frankreichs, Italiens und Deutschlands.

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