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Türkisches und deutsches Vertragshändlerrecht im Rechtsvergleich

von Pinar Samiloglu-Riegermann (Autor:in)
©2014 Dissertation XXIV, 328 Seiten

Zusammenfassung

Die rechtsvergleichende Studie untersucht das materielle türkische und deutsche Vertragshändlerrecht umfassend. Ihr Schwerpunkt liegt auf den für die Vertragspraxis zentralen Fragen der Zulässigkeitsschranken für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, der Anerkennung eines vertragshändlerseitigen Investitionsersatzanspruchs und des Ausgleichsanspruchs, seiner Begründung wie der Berechnung seines Umfangs. Die zwischen den Rechtsordnungen bestehenden Konvergenzen und Divergenzen werden im Lichte der türkischen HGB-Reform des Jahres 2011 detailliert herausgearbeitet. Die aktuellen Fragestellungen, die sich aus der Verwendung moderner Vertriebswege wie dem Internetvertrieb ergeben, werden für die Praxis aufgearbeitet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • § 1 Grundlagen des Vertragshändlerrechts
  • A. Einführung
  • B. Der Begriff des Vertragshändlers
  • I. Dauerhafte Tätigkeit
  • II. Rahmenvertrag
  • III. Vertrieb im eigenen Namen und für eigene Rechnung
  • IV. Absatzförderungspflicht (Vertriebspflicht)
  • C. Abgrenzung zu anderen Vertriebs- und Vertragsformen
  • I. Handelsvertretervertrag
  • II. Kommissionsvertrag
  • III. Franchisevertrag
  • IV. Alleinvertriebsvertrag
  • V. OEM-Vertrag
  • D. Kaufmannseigenschaft des Vertragshändlers
  • E. Das auf den Vertragshändlervertrag anwendbare Gesetzesrecht
  • I. Rechtsdogmatische Einordnung des Vertragshändlervertrages
  • II. Anwendbarkeit gesetzlicher Bestimmungen
  • 1. Analoge Anwendung handelsvertreterrechtlicher Bestimmungen
  • 2. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
  • a. Gesetzliche Ausgestaltung der AGB-Kontrolle
  • b. Vorliegen Allgemeiner Geschäftsbedingungen
  • c. Wirksame Einbeziehung der AGB in den Vertrag
  • d. Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen
  • e. Inhaltskontrolle der AGB
  • 3. Kartellrechtsnormen
  • a. Europäisches und deutsches Kartellrecht
  • b. Türkisches Kartellrecht
  • c. Verhältnis von AGB- und Kartellrecht
  • F. Form des Vertragshändlervertrages und gesetzliche Grenzen der Ausgestaltungsfreiheit
  • § 2 Die Rechte und Pflichten der Parteien
  • A. Pflichten des Unternehmers
  • I. Lieferpflicht
  • 1. Umfang der Lieferpflicht
  • 2. Vertragliche Beschränkungen der Lieferpflicht
  • a. Subjektive Unmöglichkeit
  • b. Lieferverzögerungen
  • c. Produktzuteilung bei Lieferengpässen
  • d. Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die Lieferpflicht
  • e. Exkurs: Sachmängelhaftung
  • II. Treuepflicht
  • III. Pflicht zur Ausreichung elementarer Verkaufsunterlagen
  • IV. Informationspflicht
  • 1. Umfang der Informationspflicht
  • 2. Zeitpunkt der Informationspflicht
  • 3. Rechtsfolge bei Verstößen gegen die Informationspflicht
  • V. Pflicht zur Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen
  • VI. Pflicht zur Gleichbehandlung aller Vertragshändler
  • VII. Qualitätssicherungspflicht
  • VIII. Direktgeschäfte des Unternehmers oder Einsatz weiterer Vertragshändler innerhalb und außerhalb eines Alleinvertriebsgebietes
  • 1. Allgemeines
  • 2. Rechtsfolgen unzulässiger Direktgeschäfte des Unternehmers
  • B. Die Pflichten des Vertragshändlers
  • I. Absatzförderungspflicht
  • II. Werbepflicht
  • III. Abnahmepflichten hinsichtlich der Vertragswaren
  • 1. Allgemeine Abnahmepflicht
  • 2. Mindestabnahmepflichten
  • 3. Rechtsfolgen bei Verletzung der Mindestabnahmepflicht
  • IV. Allgemeine Treuepflicht und Interessenwahrnehmungspflicht
  • V. Informationspflicht
  • VI. Pflicht zur Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen
  • VII. Weisungsbefolgungspflicht und Grenzen des unternehmerischen Weisungsrechts
  • VIII. Wettbewerbsverbot während der Vertragslaufzeit
  • 1. Unmittelbarer Wettbewerb
  • 2. Außerhalb eines Konkurrenzverhältnisses zu den Vertragswaren und mittelbare Wettbewerbssituationen
  • IX. Verpflichtung zur Tätigkeit auf den Anschlussmärkten
  • 1. Kundendienst und Reparaturwerkstätten
  • 2. Ersatzteil- und Warenlager
  • § 3 Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen
  • A. Interessenlage der Vertriebsparteien und des Endver-brauchers
  • B. Grundsatz des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen
  • C. Rechtsfolge wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen
  • D. Freistellung vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen
  • E. Funktionsweise der Gruppenfreistellungsverordnungen
  • F. Regelungsinhalt der Gruppenfreistellungsverordnungen
  • I. Keine Wettbewerbsbeschränkung durch Begrenzung der Handelsbeziehung auf bestimmte Vertragsprodukte
  • II. Kernbeschränkungen
  • 1. Preisbindung
  • a. Unmittelbare Preisbindung
  • b. Mittelbare Preisbindung
  • c. Höchstpreisbindungen und Preisempfehlungen
  • aa. Preisempfehlungen und Höchstpreisbindungen innerhalb des Anwendungsbereichs der GVOen
  • i. Preisempfehlungen
  • ii. Höchstpreisbindungen
  • iii. Ausübung von Druck oder Gewährung von Anreizen
  • bb. Preisempfehlungen und Höchstpreisbindungen außerhalb des Anwendungsbereichs der GVOen
  • cc. Exkurs: Verbot des einseitigen Einsatzes von Druck- und Lockmitteln zur Durchsetzung vertikaler Preisbindungen nach § 21 Abs. 2 GWB
  • d. Meistbegünstigungsklauseln
  • aa. Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. Art. 4 Abs. 1 tGSW
  • bb. Beurteilung der Meistbegünstigungsklauseln an Hand der GVOen
  • 2. Gebiets- und kundenbezogene Verkaufsbeschränkungen
  • a. Direkte und indirekte Beschränkungen des Verkaufsgebietes oder der Kundengruppe
  • b. Die Gegenausnahmen vom Verbot der Gebiets- und Kundengruppenbeschränkung
  • aa. Vorbehalt und Exklusivität im Rahmen des aktiven Verkaufs
  • i. Unterscheidung von aktivem und passivem Verkauf
  • ii. Vorbehalt bzw. Exklusivität im zugewiesenen Vertragsgebiet
  • bb. Sprunglieferungsverbot auf der Großhandelsstufe
  • cc. Verkaufsbeschränkungen gegenüber Nichtmitgliedern selektiver Vertriebssysteme
  • dd. Verkaufsbeschränkungen bzgl. Weiterverwendungsteilen
  • c. Keine Freistellung für Quer- und Rücklieferungsverbote
  • 3. Selektive Vertriebssysteme und ihre wettbewerbsrechtliche Behandlung
  • a. Geschlossene selektive Vertriebssysteme
  • aa. Qualitative selektive Vertriebssysteme (Fachhandelsbindung)
  • bb. Quantitative selektive Vertriebssysteme
  • cc. Kumulative Wirkung mehrerer Selektivvertriebssysteme
  • b. Offene selektive Vertriebssysteme
  • c. Kein Anspruch auf Aufnahme in ein selektives Vertriebssystem
  • d. Keine Verkaufsbeschränkungen gegenüber Endverbrauchern auf der Einzelhandelsstufe
  • e. Selektiver Vertrieb und Alleinvertrieb auf der Großhandelsstufe
  • f. Unzulässige Beschränkungen von Querlieferungen innerhalb eines Selektivvertriebssystems
  • g. Unzulässigkeit des Verkaufsverbotes von Marken bestimmter konkurrierender Anbieter
  • 4. Sonderfall Internetvertrieb
  • a. Arten und Umfang des Internetvertriebs
  • b. Möglichkeiten zur Beschränkung des Internetvertriebs unter besonderer Beachtung der Grundsätze nach den neuen Leitlinien der Vertikal-GVO
  • c. Totalverbot des Internetvertriebs
  • d. Qualitative Anforderungen und Beschränkung des Internetvertriebs in selektiven Vertriebssystemen
  • aa. Pflicht zur Unterhaltung eines physischen Ladenlokals
  • bb. Zulässigkeit der Untersagung des Vertriebs über Internetverkaufsplattformen
  • 5. Verkaufsbeschränkung des Anbieters bezüglich des Verkaufs von Ersatzteilen
  • III. Nicht freigestellte Wettbewerbsbeschränkungen nach Art. 5 Vertikal-GVO bzw. Art. 5 tVertikal-GVO (Wettbewerbsverbote des Händlers)
  • 1. Wettbewerbsverbote zum Nachteil des Vertragshändlers während der Vertragslaufzeit
  • a. Erscheinungsformen der Bezugsbindungen und ihr wettbewerbsbeschränkender Charakter
  • aa. Exklusivitätsbindung (Wettbewerbsverbot im engeren Sinn)
  • bb. Mindestabnahmeverpflichtung
  • cc. Alleinbezugsverpflichtung
  • dd. Kombination verschiedener Bezugsbindungen
  • b. Anreizregelungen als mittelbare Verpflichtung?
  • c. Englische Klauseln
  • d. Keine Beschränkung von Wettbewerbsverboten bei Nutzung von Räumlichkeiten des Anbieters
  • e. Staffelung des Fünfjahreszeitraums und darüber hinausgehende Verlängerungsmöglichkeiten
  • f. Geltungserhaltende Reduktion
  • g. Konkludente Annahme eines Wettbewerbsverbots in Alleinvertriebsverträgen?
  • 2. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot zum Nachteil des Vertragshändlers
  • 3. Wettbewerbsverbot in selektiven Vertriebssystemen
  • IV. Wettbewerbsverbot des Unternehmers
  • § 4 Die Beendigung des Vertragshändlervertrages und deren Rechtsfolgen
  • A. Wirtschaftliche Grundüberlegungen
  • B. Laufzeiten von Vertragshändlerverträgen
  • C. Beendigungsarten des Vertragshändlervertrages
  • I. Kündigung des Vertrages
  • 1. Ordentliche Kündigung
  • a. Keine Anwendbarkeit auf befristete Verträge
  • b. Auf unbestimmte Zeit geschlossene Verträge
  • aa. Form der Kündigungserklärung
  • bb. Kündigungsfrist
  • i. Fehlen vertraglicher Vereinbarungen hinsichtlich der Kündigungsfrist
  • (1) Analoge Anwendung der Vorschrift des Dienstvertrages
  • (2) Analoge Anwendung der Kündigungsvorschrift zur GbR
  • (3) Analoge Anwendung der Handelsvertretervorschriften oder ergänzende Vertragsauslegung
  • ii. Vertragliche Regelungen der Kündigungsfrist
  • iii. Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung
  • 2. Außerordentliche Kündigung
  • a. Form und Inhalt der Kündigungserklärung
  • b. Erfordernis eines wichtigen Kündigungsgrundes
  • aa. Wichtige Kündigungsgründe für den Unternehmer
  • bb. Wichtige Kündigungsgründe für den Vertragshändler
  • cc. Vertragliche Konkretisierung wichtiger Kündigungsgründe
  • c. Abmahnerfordernis
  • d. Nachschieben von Kündigungsgründen
  • e. Erklärungsfrist nach Kenntnisnahme des Kündigungsgrundes?
  • f. Umdeutung in ordentliche Kündigung oder Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages
  • g. Schadensersatzansprüche wegen vorzeitiger Vertragsbeendigung
  • 3. Teilkündigung und Änderungskündigung
  • II. Aufhebungsvereinbarung und Anfechtung
  • III. Insolvenz oder Tod einer Vertragspartei
  • D. Rechtsfolgen der Vertragsbeendigung
  • I. Auswirkung der Vertragsbeendigung auf die Lieferansprüche von Vertragswaren und Ersatzteilen
  • 1. Rechtslage zwischen Kündigungserklärung und Ablauf der Kündigungsfrist
  • 2. Rechtslage nach Beendigung des Vertragsverhältnisses
  • 3. Rechtslage bzgl. der Belieferung mit Ersatzteilen
  • II. Rücknahme und Rückkauf von Geschäftsunterlagen, Waren- und Ersatzteillager
  • 1. Unterlagen und markenspezifische Geschäftsausstattung
  • 2. Waren- und Ersatzteillager
  • a. Rechtsgrundlagen für die Rücknahme- bzw. Rückkaufverpflichtung des Unternehmers
  • b. Vertragliche Abbedingung der Rücknahmeverpflichtung
  • c. Umfang der Rücknahmeverpflichtung
  • d. Bemessung des Rückkaufpreises
  • e. Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Rückgabeanspruchs
  • 3. Spezialwerkzeuge
  • III. Schadensersatzansprüche des Vertragshändlers für nicht amortisierte Investitionen
  • 1. Kein allgemeiner Investitionsersatzanspruch des Vertragshändlers
  • 2. Schadensersatz aufgrund positiver Vertragsverletzung
  • IV. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot des Vertragshändlers
  • V. Ausgleichsanspruch
  • 1. Zweck und Rechtsnatur des Ausgleichsanspruchs
  • 2. Entstehungsgeschichte des Ausgleichsanspruchs für den Handelsvertreter
  • a. Der Ausgleichsanspruch im deutschen Handelsrecht
  • b. Der Ausgleichsanspruch im türkischen Handelsrecht
  • aa. Fehlende gesetzliche Grundlage in der Altfassung des tHGB
  • bb. Die Anerkennung und Herleitung des Ausgleichsanspruchs („Portefeuille-Schadensersatzanspruchs“) durch Rechtsprechung und Lehre
  • cc. Der „Portefeuille-Schadensersatzanspruch“ des Handelsvertreters nach dem neuen tHGB
  • 3. Analogiefähigkeit des Ausgleichsanspruchs auf den Vertragshändlervertrag
  • a. Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers nach deutschem Recht
  • aa. Eingliederung in die Absatzorganisation
  • bb. Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes
  • b. Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers nach türkischem Recht
  • aa. Die Anerkennung des Ausgleichsanspruchs für den Vertragshändler durch die Entscheidungen des Kassationshofes aus dem Jahr 2000
  • bb. Gesetzliche Verankerung des Ausgleichsanspruchs für den (Alleinvertriebs-) Vertragshändler in Art. 122 Abs. 5 tHGB
  • 4. Die Entstehungsvoraussetzungen des Ausgleichsanspruchs
  • a. Beendigung des Vertragshändlervertrages
  • b. Erhebliche Vorteile des Unternehmers nach Vertragsbeendigung aus der Erweiterung des Kundenkreises durch den Vertragshändler
  • aa. Neue Kunden
  • bb. Erweiterung der Geschäftsverbindungen
  • cc. Erhebliche Vorteile des Unternehmers
  • c. Verluste des Vertragshändlers aufgrund der Vertragsbeendigung
  • d. Billigkeit
  • 5. Höhe und Berechnung des Ausgleichsanspruchs
  • a. Berechnung des Rohausgleichs
  • aa. Ermittlung der Vertragshändlerverluste unter Zurückführung der Gewinnmarge auf eine „handelsvertretertypische“ Vermittlungsvergütung
  • bb. Prognosezeitraum
  • cc. Abwanderungsquote
  • dd. Billigkeitsprüfung
  • b. Höchstgrenze des Ausgleichs
  • 6. Ausschluss des Ausgleichsanspruchs
  • a. Kündigung durch den Vertragshändler
  • aa. Begriff der Eigenkündigung
  • bb. Anspruchserhaltung trotz Eigenkündigung
  • i. Kündigung aus „begründetem Anlass“
  • ii. Kündigung wegen Alters oder Krankheit
  • b. Kündigung durch den Unternehmer aus wichtigem Grund
  • c. Einverständlicher Eintritt eines Dritten
  • 7. Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs
  • 8. Form und Frist der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs
  • § 5 Ergebnis
  • Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

§ 1 Grundlagen des Vertragshändlerrechts

A.  Einführung

Das länderübergreifende Angebot von Markenwaren erfordert ein umso straffer geregeltes Vertriebssystem, je höherwertiger das Erzeugnis und je andauernder die Kaufentscheidungen der Verbraucher sind. Im modernen Wirtschaftsleben ist es daher schlechterdings undenkbar, dass der Hersteller/Unternehmer in jeder Stadt und jedem Land selbst präsent ist bzw. eigene Tochtergesellschaften gründet, um seine Produkte auf den Markt zu bringen. Es ist deswegen übliche Praxis, dass der Unternehmer die von ihm angestrebten Märkte durch mehr oder weniger selbständige Hilfspersonen erschließen lässt. Durch die Zusammenarbeit mit diesen Absatzmittlern kann der Unternehmer seinen Absatz fördern und seine Produkte vermarkten, ohne selbst die Kosten und Risiken des Vertriebs tragen zu müssen. Der Vertragshändlervertrag ist dabei neben dem Handelsvertretervertrag in der Praxis wohl der meist gewählte Vertragstyp, bei dem die Hilfsperson die Produkte des Unternehmers selbständig für diesen absetzt.

Das deutsche und das türkische Gesetz kennen als Formen des mittelbaren Vertriebs des Warenabsatzes insbesondere den Handelsvertreter (§§ 84 bis 92c dHGB bzw. Art. 102 bis Art. 123 tHGB1) und den Kommissionär (§§ 383 bis 406 dHGB bzw. Art. 532 bis 546 tOG). Der Handelsvertreter wird entsprechend seiner gesetzlichen Ausgestaltung im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses im fremden Namen und für fremde Rechnung tätig; der Kommissionär ist ein selbstständiger Kaufmann, der Waren oder Wertpapiere im eigenen Namen, aber nicht auf eigene Rechnung, sondern gegen Zahlung einer Provision ausstellt und verkauft. ← 1 | 2 → Die Rechtswirklichkeit hat jedoch weitere Zwischenformen für den Warenabsatz durch mehr oder minder selbständige Absatzmittler herausgebildet. Als die für die wirtschaftliche Praxis bedeutsamsten Mischformen zwischen dem Handelsvertreter und dem vom Unternehmer völlig unabhängigen Vertriebshändler haben sich insbesondere das Franchising und der Vertragshändlervertrag entwickelt.

Setzt man die Typenreihe vom Handelsvertreter über den Kommissionär unter dem Blickwinkel steigender Selbständigkeit noch eine Stufe fort, so gelangt man zu einer Gestaltungsform, bei der der Absatzmittler sowohl im eigenen Namen als auch für eigene Rechnung handelt. Tritt dabei für den auf diese Weise tätigen Eigenhändler zugleich eine Eingliederung in das Vertriebssystem des Unternehmers und eine intensive Bindung an dessen Interessen hinzu, so ergibt sich eine atypische vertragliche Mischfigur, die den auf diese Weise tätigen Absatzmittler von einem selbständigen Unternehmer weg und in die Nähe eines Handelsvertreters oder Kommissionärs rückt. Ein solcher Absatzmittler wird gemeinhin als Vertragshändler bezeichnet.2

Soweit der Bundesgerichtshof für diese in der wirtschaftlichen Praxis herausgebildete Vertriebsform teilweise synonym den Begriff des „Eigenhändlers“ verwendet,3 so ist dies zumindest missverständlich. Der Begriff des Eigenhändlers beinhaltet nämlich lediglich die Merkmale des Handelns im eigenen Namen und für eigene Rechnung und wird demgemäß in aller Regel in einem wesentlich weiteren Zusammenhang, nämlich wenn ein Unternehmer seine Produkte über völlig eigenständige Groß- und Einzelhändler vertreibt, gebraucht.4 Während wesentliches Merkmal des Eigenhändlers daher eben nur der An- und Verkauf der Waren ist, kommt bei dem Vertragshändler insbesondere die wesentliche Pflicht zur Wahrnehmung der Interessen des Unternehmers hinzu, die es überhaupt erst rechtfertigt ihn in die Reihe von Handelsvertreter und Kommissionsagent einzuordnen.5 Dass dies im Ergebnis auch der BGH so sieht und es sich bei der durch ihn benutzten Terminologie mithin lediglich um eine sprachliche Ungenauigkeit handelt, zeigt sich schon daran, dass auch der BGH in seiner Definition des Vertragshändlers/ Eigenhändlers vorgibt, der Vertragshändler habe die Interessen des ← 2 | 3 → Unternehmers „in einer der Geschäftsbesorgung ähnlichen Weise wahrzunehmen“ oder zwischen den Parteien müsse eine „agenturvertragsähnliche Interessenverbindung“ bestehen, wobei deren Vorliegen durch eine einzelfallbezogene Analyse des jeweiligen Vertrags zu prüfen sei.6 Um etwaigen Missverständnissen von vornherein vorzubeugen, wird im Folgenden allein der Begriff des „Vertragshändlers“ benutzt werden.

Für die andere Vertragspartei soll generell der Terminus des „Unternehmers“ Verwendung finden, da diese sowohl in der Funktion des Herstellers der Vertragsware als auch als bloßer Lieferant derselben am Markt tätig sein kann.

B.  Der Begriff des Vertragshändlers

Wie bereits angedeutet ist Vertragshändler nach allgemeiner Meinung derjenige, der als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, die Produkte eines anderen Unternehmers im eigenen Namen und für eigene Rechnung zu vertreiben sowie dessen Absatz in ähnlicher Weise wie ein Handelsvertreter oder Kommissionsagent zu fördern.7

I.  Dauerhafte Tätigkeit

Der Vertragshändler muss mit dem Vertrieb der Produkte eines anderen Unternehmers „ständig“ betraut sein. Der Begriff „ständig“ ist dabei zwar nicht im Sinne von „auf immer“ oder „auf unbestimmte Zeit“ zu verstehen; entscheidend und genügend ist vielmehr, dass die Parteien den Vertragsabschluss nicht nur als „vorübergehend“ ansehen.8 Allerdings darf sich das Vertragsverhältnis nicht lediglich in einer einmaligen Leistung erschöpfen.9 Durch diese dauerhafte Tätigkeit entsteht zwischen den Parteien ein Vertrauensverhältnis, welches bei Bestimmung ← 3 | 4 → der Rechte und Pflichten der Parteien ständig zu beachten ist.10 So ist es dem Vertragshändlervertrag immanent, dass die Verpflichtung des Vertragshändlers zur selbständigen Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen und zur Absatzförderung sowie die Obliegenheit des Unternehmers zu einer besonderen Treue- und Rücksichtnahme zu den Hauptpflichten der Parteien gehören.11

II.  Rahmenvertrag

Das Verhältnis zwischen dem Unternehmer und dem Vertragshändler ist durch eine zweistufige Beziehung gekennzeichnet. Der Vertragshändlervertrag selbst stellt nach h. M. in der deutschen und türkischen Literatur einen Rahmenvertrag dar, der durch den Abschluss dazugehöriger Einzelkaufverträge zwischen den Parteien ergänzt wird.12 Die Einzelgeschäfte lassen sich in dem Vertragshändlervertrag nicht vollständig antizipieren. Die Ausgestaltung konkreter Einzelheiten, wie etwa die Anzahl der dem Vertragshändler zu verkaufenden Produkte oder deren Ersatzteile, werden daher nicht schon im Rahmenvertrag, sondern erst im Rahmen der jeweils abzuschließenden Einzelkaufverträge näher geregelt.13 Generellere Vorgaben, wie beispielsweise die Bezeichnung der Vertragsprodukte, die Festlegung des Vertragsgebietes, Regelungen über sonstige Vertriebsberechtigte oder ggf. die Vereinbarung eines Alleinvertriebsrechts, der Umfang der Rechte und Pflichten des Vertragshändlers, etwaige Mindestabnahmemengen, Bestimmungen über Lagerhaltung, Muster, Rabatte, möglicherweise bereits Preise für die Vertragsprodukte, Art und Weise der Belieferung des Vertragshändlers mit den Vertragsprodukten, Gewährleistungsbestimmungen, Regelungen über Kundendienst, Herstellergarantien, Vorgaben für den Bezug von Ersatzteilen, Haftungsbegrenzungen für den Unternehmer, die Vertragsdauer, Folgen der Vertragsbeendigung und das Verfahren über den Abschlusses der Einzelkaufverträge finden ihre Ausgestaltung hingegen bereits in dem ← 4 | 5 → Rah-men-, also dem eigentlichen Vertragshändlervertrag.14 Durch die Fixierung derartiger Bestimmungen in einem Rahmenvertrag wird erreicht, dass der Vertragshändler in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert wird. Nach der konkreten Ausgestaltung dieses Rahmenvertrages bemisst sich daher auch der jeweilige Umfang der Eingliederung des Vertragshändlers in die Absatzorganisation des Unternehmers.

Durch die vertragliche Gestaltung in Form eines Rahmenvertrages mit diesen ergänzenden und ausgestaltenden Einzelkaufverträgen ergeben sich zwei rechtlich und faktisch voneinander unabhängige Ebenen, für die das jeweils anzuwendende Recht separat bestimmt werden muss.15 Soweit das Konstrukt des Vertragshändlervertrages von der h. M. im Grundsatz daher zwar zu Recht als ein eigenartiger, gemischttypischer Vertrag mit Kaufelementen und handelsvertreterähnlichen Dienstleistungselementen beschrieben wird,16 ist andererseits jedoch zu konstatieren, dass sich das „kaufrechtliche“ Element doch weitgehend auf die Abwicklung der einzelnen Lieferungen innerhalb des Rahmenvertrages beschränkt. Im Hinblick auf das aus dem Rahmenvertrag resultierende Übergewicht der Dauerrechtsbeziehung und dem nachhaltigen Einfluss des Unternehmers auf den Vertragshändler ist bei der rechtlichen Eingruppierung des Vertragshändlervertrages darüber hinaus daher insbesondere auch das unverkennbare Geschäftsbesorgungselement hervorzuheben.17

III.  Vertrieb im eigenen Namen und für eigene Rechnung

Der Vertragshändler verpflichtet sich durch den Vertragshändlervertrag die Produkte des Unternehmers im eigenen Namen und für eigene Rechnung zu vertreiben. Der Vertragshändler verkauft die Produkte also an Dritte, nachdem er sie zuvor selbst vom Unternehmer gekauft hat. Anders als beim Handelsvertretervertrag ← 5 | 6 → besteht somit beim Vertragshändlervertrag kein Vertragsverhältnis zwischen dem Endabnehmer und dem Unternehmer, da der Vertragshändler mit dem zwischenzeitlichen Ankauf der Produkte vielmehr selbst Eigentümer derselben wird.18 Seinen Gewinn ermittelt der Vertragshändler folglich aus der Preisdifferenz zwischen dem An- und Verkauf der Produkte. Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz steht ihm im Hinblick auf sein Handeln im eigenen Namen und für eigene Rechnung nicht zu. Derartige Aufwendungen hat der Vertragshändler entsprechend zu kalkulieren und von seinem Gewinn abzudecken.19

Details

Seiten
XXIV, 328
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653037449
ISBN (ePUB)
9783653996326
ISBN (MOBI)
9783653996319
ISBN (Hardcover)
9783631642344
DOI
10.3726/978-3-653-03744-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Januar)
Schlagworte
Türkisches Vertragshändlerrecht Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) Preisbindung Ausgleichsanspruch Investitionsersatzanspruch Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XXIV, 328 S.

Biographische Angaben

Pinar Samiloglu-Riegermann (Autor:in)

Pınar Şamiloğlu-Riegermann studierte Rechtswissenschaften an der Universität Ankara. Ihr LL.M.- und Promotionsstudium absolvierte sie an der Universität zu Köln. Zurzeit hält sie Lehrveranstaltungen über türkisches Recht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.

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