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Wilhelm Weitling (1808–1871)

Eine politische Biographie- Teil 1 und Teil 2

von Waltraud Seidel-Höppner (Autor:in)
©2014 Monographie IV, 1870 Seiten

Zusammenfassung

Wilhelm Christian Weitling zählte zu den bedeutendsten deutschen Frühsozialisten und Organisatoren der frühproletarischen Bewegung. Diese politische Biographie befasst sich mit dem Leben Weitlings von der Kindheit über die Ausbildung bis zum revolutionären Demokraten und zu seinen politischen Aktivitäten. Auch seine wichtigsten politischen Theorien und Werke werden vorgestellt und interpretiert. Weitling forderte eine soziale Republik, die allen Menschen Arbeit und soziale Sicherheit gewähren sollte. Seine scharfsinnige Sozialkritik orientierte sich am Urchristentum, und er betrachtete die demokratische Partei zur Rettung der Revolution 1848/49 als unverzichtbar. 1849 schloss er seine Vereine der Arbeiterverbrüderung an und emigrierte dann in die USA, wo er 1871 starb.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Klippen der Weitling-Forschung
  • Redaktionelle Notiz
  • I. Welterfahrung und Weltsicht
  • 1. Kindheit und Wanderjahre in Deutschland
  • 2. In Wien und Paris 1834–1837
  • 3. Von der politischen zur sozialen Republik im Bund der Geächteten 1835 und 1837
  • 4. Programmdebatte im Bund der Gerechtigkeit 1838
  • 5. Ein Familienbund der Menschheit Ende 1838
  • 6. Geschichtliche Erfahrungen und geistige Quellen
  • II. Im unruhigen Paris 1839/1840
  • 1. Der Maiaufstand
  • 2. Der große Schneiderstreik 1840
  • 3. Lieder über »Vaterland« und Vaterland 1841
  • III. Die Schweizer Jahre 1841–1844
  • 1. Die ideologische Metamorphose der Jungdeutschen
  • 2. Neue Freunde, alte Kämpfe
  • 3. Redakteur der ersten deutschen Arbeiterzeitung 1841–1843
  • 4. Der Journalist Weitling
  • 5. Vereinsarbeit 1841–1843
  • IV. Garantien der Harmonie und Freiheit
  • 1. Die Gesellschaft und ihre Triebkräfte
  • 2. Vom Fortschritt der Zivilisation und seinen Schatten
  • 3. Künftig Alles für Alle
  • 4. Arbeitswerttheorie im Widerstreit
  • 5. Warum die jetzigen Regierungsformen und Wahlsysteme nicht taugen
  • 6. Nicht regieren, sondern verwalten
  • 7. Bildung, Frauenrechte, Ehe und Familie
  • 8. Reform oder Revolution
  • 9. Gedanken über die Revolution
  • 10. Über Verlauf und Maßregeln einer sozialen Revolution
  • 11. Revolutionsstrategie im Zerrspiegel
  • 12. Zeitgenössische Resonanz
  • V. Krisenjahre
  • 1. Hürden der Propaganda
  • 2. Konflikte in den eigenen Reihen
  • 3. Unterwegs nach Zürich
  • 4. Züricher Begegnungen
  • 5. Gespräche mit Bakunin über Philosophie
  • 6. Nächtliche Verhaftung
  • 7. Zwei Gerichtsurteile ohne Kenntnis der Anklage
  • 8. Ein Jahr Einzelhaft
  • 9. Deportation nach Preußen
  • 10. Weitling und Heine
  • VI. Das Corpus delicti
  • 1. Streitfragen
  • 2. Weitlings Selbstverständnis
  • 3. Im Spannungsfeld von Sozialismus und Junghegelianismus
  • 4. Sozialismus und Atheismus
  • 5. Über Glauben, Wissen, Gott und Schöpfung
  • 6. Weitlings Gefühlsbildungslehre und Feuerbachs Philosophie der Zukunft
  • 7. Das Christentum – politische Befreiungsbewegung
  • 8. »Christentum« und Christentum
  • VII. In London
  • 1. Ankunft in London
  • 2. Englandkorrespondenzen
  • 3. Vereinsleben in einer Emigrantenhochburg
  • 4. Epochale Richtungskämpfe im Verein
  • 5. Im Netzwerk von Intrigen
  • 6. Die drei Londoner Werke
  • VIII. Im Brüsseler Korrespondenzkomitee 1846
  • 1. Unter kommunistischen Junghegelianern
  • 2. Die Sitzungen vom 30. März und 11. Mai 1846
  • 3. Resonanz auf das Zirkular
  • 4. Engels’ Mission in Paris und die Weitlingianer
  • 5. Theorie- und Parteiverständnis im Widerstreit
  • IX. Im Land ohne Nachtigall 1847–1848
  • 1. Ankunft in New York
  • 2. Vom Social-Reform-Verein zum Befreiungsbund
  • 3. Historische Wirklichkeit im Geschichtsbild
  • X. Revolution in Deutschland
  • 1. Nach zehnjähriger Emigration im revolutionären Preußen
  • 2. Weitling und der Berliner Arbeiterkongreß
  • 3. Der Urwähler
  • 4. Auf dem zweiten Demokratenkongreß
  • 5. Unter alten Freunden in Hamburg
  • 6. Auf dem norddeutschen Arbeiterkongreß
  • 7. Weitlings Befreiungsbund und die »Preußenkatastrophe«
  • 8. Letzte Begegnung mit Marx in London
  • XI. In der »Republik der Geldsäcke« 1850–1871
  • 1. Weitlings theoretischer Weg vom Staatssozialismus zum Syndikalismus
  • 2. Die Geburt der deutsch-amerikanischen Verbrüderung auf dem ersten Arbeiterkongreß 1850
  • 3. Die Republik der Arbeiter
  • 4. Weitling und Heinzen – Disput eines »Unpolitischen« mit einem politischen Radikalen
  • 5. Von der Verbrüderung zum Arbeiterbund
  • 6. Kolonie Communia und Arbeiterbund – eine verderbliche Symbiose
  • 7. Laßt ab von idealen Träumen! Besteht die Wirklichkeit!
  • 8. Die letzten Jahre 1855–1871: Familie und Wissenschaft.
  • XII. Vom zähen Leben falscher Bilder
  • XIII. Anhang
  • 1. Benutzte Archive und Bibliotheken
  • Archivalien
  • Zeitgenössische Presse
  • Amtliche und halbamtliche Berichte
  • Weitlings Schriften
  • Weitlings Korrespondenz
  • Weitling-Literatur
  • Biographien, Monographien
  • Kurzbiographien
  • Lexikographische Beiträge (Auswahl)
  • 2. Weitlings Weg durch die Unionsstaaten
  • Spezialstudien
  • Quellensammlungen
  • Zeitgenössische Literatur
  • Jüngere Literatur
  • Weitling-Ehrungen und Gedenkorte
  • Allgemeine Nachschlagewerke
  • 3. Abbildungen
  • 4. Abkürzungen
  • 5. Sonderzeichen
  • 6. Personen

Klippen der Weitling-Forschung

Mit Wilhelm Weitling hat für mich vieles begonnen. Die Richtung meines Forschens hat er mitbestimmt. Nach dem Krieg, in einer Phase hoffnungsvollen Aufbruchs, stieß ich auf ihn. Nach allem, was in der ersten Hälfte meines Jahrhunderts die Welt so verheert hatte, daß man sein Deutschsein nicht mehr ohne Scham ertrug, las sich vieles von dem, was er schrieb, wie ein Vermächtnis. Vom großen Werk der Wiedergeburt der Menschheit sprach er und drängte: Den Anfang müssen wir machen und nicht beim Anblick so vieler Schwierigkeiten und Hindernisse den Mut verlieren. Ein Familienbund der Menschheit schwebte ihm vor, ohne Hunger, Demütigung, Völkerhaß und Morden. Meine Generation, den braunen Abgründen soeben entronnen, wollte nichts anderes: Das neue Leben muß anders werden, sangen wir. Und wir meinten, was wir sangen.

Für sein Sinnen und Trachten fand der Magdeburger Schneidergeselle Worte, die uns, inmitten geschändeter Ideale und unsäglicher Verbrechen längst abhanden gekommen waren. Seine Mahnung zur Toleranz beschwor eine Kultur, die sich in den soeben durchlebten barbarischen zwölf Jahren fast exotisch ausnahm. Schon im Kindesalter hatte man uns eingeimpft, daß große Männer Geschichte machen. Kaum erwachsen, gewahrten wir schaudernd, daß »großen« Männern in Uniform zwölf Jahre genügen, um einen ganzen Kontinent zu verwüsten. Im Dunstkreis dieses elitären Geschichtsdenkens mutete Weitlings Botschaft, daß das arbeitende Volk immer und überall die rauhe Bahn ebnen muß, ehe die freie Welt sie betritt, mich an wie ein Ruf von einem andern Stern. Die heutige Generation wird das mit andern Erfahrungen lesen; gleichwohl sind die Bedrohungen für die Verelendung ganzer Kontinente und die Verfahren, unsere Welt durch Kriege und rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur zu verheeren, wirksamer geworden, als je zuvor.

Es mag einem gefallen oder nicht, doch man muß es wissen: Geschichte hat einen langen Atem. Jenseits allen Vergessens bewahrt oder rekonstruiert sie Verhältnisse, Konstellationen und Verhaltensmuster. Wichtige Fragestellungen und Einsichten Weitlings gelten noch heute. Was er als Kardinalproblem seines Jahrhunderts ansah: daß Privateigentum einer reichen parasitären Minderheit nicht erlauben darf, die arbeitende Mehrheit bis aufs Hemd auszuplündern, zu demütigen und umkommen zu lassen; das ist dem unsrigen so fremd nicht, wie man wünschte. Was er unternahm, um dem ein Ende zu machen, dokumentiert die Geburt deutscher Gewerkschaften, Kooperative und Arbeiterparteien. Sein vernichtendes Urteil über eine Politik, die sich ohnmächtig erwies, die Raubtierinstinkte der Geldmacht zu bändigen und sie zu hindern, das Lebensinteresse des arbeitenden Volkes ihrem Profit zu opfern, gilt heute wie ehedem, und in noch größerer Dimension. ← 9 | 10 →

Weitlings einzelne Lösungsvorschläge sind zeitbedingt; nicht seine Haltung und seine Denkansätze; auch nicht seine realistische Problemsicht und unbeirrbare Suche nach Lösungen. Grundfragen seiner Epoche sind noch immer die der unsrigen. Wer wie meine Generation in einer Epoche brauner Indoktrination aufwuchs, den beeindruckt sein politischer Freimut, der keine Tabus scheute, die Strenge seines Denkens, die nichts ungeprüft übernahm und sich nichts vorschreiben ließ, die aufrechte Haltung, die sich ein Leben lang keiner Autorität beugte. Seine Prinzipientreue, Selbstlosigkeit und Unbestechlichkeit – welch ein Kontrast zu Politikern und Theoretikern unserer Tage. Natürlich sicherte ihm sein Festhalten am richtig Erkannten keineswegs nur Bewunderung. Seine Lauterkeit konnte ihn nicht einmal vor Mißgunst und Intrigen in den eigenen Reihen bewahren. Hohn, Verleumdung und Nackenschläge begleiten sein Wirken vom Beginn seines Erfolges bis zum Ende seiner Tage und werfen ihre Schatten noch bis in die jüngste Zeit. Dennoch erwies sich auch sein Schwimmen gegen den Strom fortschrittsträchtiger als blindgläubige Anpassung, die stets dazu neigt, Widersprüche zu glätten und Unheil unwidersprochen geschehen zu lassen.

Weitlings geistiger und politischer Werdegang zog mich in den faszinierenden Bannkreis westeuropäischen Denkens und seiner weitreichenden Einflüsse auf alle oppositionellen Strömungen im deutschen Vormärz, die im allgemeinen Geschichtsbild und namentlich in der Marxforschung bis heute unterbelichtet sind. Theoretischen Reichtum und politische Vielfalt dieser Strömungen muß man wenigstens annähernd kennen, wenn man Weitlings Originalität erfassen, den europäischen Stellenwert seines theoretischen und politischen Beitrags bestimmen und seine Leistung geschichtsgerecht einordnen will. Was für Weitling gilt, gilt auch für den Sozialismus von Marx. Meine Weitling-Studien überkreuzten sich damals mit denen der Werke von Marx und Engels. Seine Fragestellungen und die der französischen und englischen Sozialisten und Kommunisten tauchten auch bei Marx auf. Sie halfen mir, den Weg des Trierer Linkshegelianers zum Sozialismus und die Genesis dessen, was sich in längerem Zeitraum als »Marxismus« herauskristallisierte, besser zu verstehen.

Das in den fünfziger Jahren keineswegs nur im Osten Deutschlands gebräuchliche Erklärungsmuster, das die sozialistische Substanz des Marxismus vornehmlich aus dem deutschen philosophischen Denken ableitete, konnte mich zu keiner Zeit überzeugen. Nur brachte der von solcher Sicht bestimmte Zugang es mit sich, daß der ältere Sozialismus und der Weitlings mich zunächst vornehmlich als geistige und politische Quelle des Marxismus interessierten. Hierfür gibt es im Geschichtsdenken zwar bis heute Nachholbedarf, doch verengt ein solcher Forschungsansatz von vornherein den Blick auf die historische Leistung des älteren Sozialismus und seinen Beitrag zur Geschichte der Zivilisation; und er verdirbt die historische Bewertung. Dessen ungeachtet bestimmte die Vermittlung dieses weitgehend vernachlässigten Ideenreichtums westeuropäischer Bestrebungen als Quelle des Marxschen Sozialismus jahrelang theoretischen Ansatz, Akzentsetzung und Grenzwert auch meiner Untersuchungen und Quellenpublikationen des französischen Sozialismus. Das war nicht unnütz, barg jedoch die Gefahr, in die Fänge der Teleologie zu geraten. ← 10 | 11 →

Zwar kommt man nicht umhin, diese Quellen freizulegen, wenn man den Sozialismus Marxscher Prägung dem Dunstkreis genialer Eingebung entreißen und auf den historischen Boden zurückholen will, dem er entwuchs. Erst im konkreten Vergleich mit vorhergehenden und zeitgenössischen Strömungen läßt sich feinkörnig erfassen, welche Einsichten der moderne Sozialismus den Erkenntnissen seiner Vorgänger und Zeitgenossen entnahm, was er modifizierte, hinzufügte oder fallen ließ. Die Vernachlässigung dieser Zusammenhänge begünstigte jene Enthistorisierung des Marxschen Denkens, die sich auch in der geschichtlichen Sondierung der Naht- und Bruchstellen zwischen Weitlings und Marx’ Positionen niederschlägt. Die Differenzen im Denken der beiden geraten grobschlächtig, sobald man die Bruchstellen unangemessen grell ins Licht rückt und die ideengeschichtlichen Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge vernachlässigt.

Weitling gewinnt seine Einsichten wie Marx und alle Demokraten, Sozialisten, Kommunisten und ihre Zeitgenossen aus der objektiven Problemlage und den geistigen Auseinandersetzungen seiner Epoche. Er greift seinerseits in den zeitgenössischen Diskurs ein und erarbeitet wie deren Sprecher Lösungsmöglichkeiten aus dem spezifischen Interessenspektrum jeweiliger Klassen und Schichten. Als Interessenanwalt der Rechtlosen und Ausgebeuteten verarbeitet er allerdings zeitgenössische und historische Erfahrungen nicht nur jederzeit anders als Theoretiker und Politiker der herrschenden Klassen und Schichten. Sozialisten, die sich als politische Rechtsanwälte der besitzlosen Klassen begriffen, nannten sich damals Kommunisten In seiner Ideologiekritik legt Weitling mit andern Sozialisten das utopische Potential in den Erwartungen bürgerlicher Konzeptionen bloß. An seiner Weltsicht, seinem Zukunftsanspruch und deren Resonanz lässt sich detailliert ablesen, inwieweit sozialistische Ideologie- und Politikkritik das politische Denken seiner Zeitgenossen sozial auflud und versachlichte. Was er zur Barbarisierung menschlicher Beziehungen durch den Moloch Geld vorbrachte, gilt noch immer. Sein Bekenntnis zu einem Weltbürgertum, das sich mit nationalistischer Verachtung der Kultur anderer Völker nicht verträgt und kriegerische Auseinandersetzungen vehement ablehnt, hat an Weltgeltung nichts verloren. Es bleibt lebenswichtig, solange religiöser und ethnischer Fanatismus menschliche Beziehungen vergiftet. Am Gültigen seiner Kritik der Illusionen liberaler, bürgerlich-republikanischer und sozialistischer Konzeptionen läßt sich ablesen, wie nachhaltig er das zeitgenössische Demokratieverständnis bereicherte und vertiefte. Nur wenige haben seinerzeit so ungestüm wie Weitling den Widerstand der Rechtlosen und Gedemütigten auf zwei Kontinenten ermuntert, ihre Emanzipationsbestrebungen sozialpolitisch gerüstet und ihre Bildungsbewegung praktisch befördert.

Bei Weitling und seinen sozialistischen Zeitgenossen gibt es grundlegende Einsichten und Fragestellungen – nicht nur in der Eigentumskritik –, an denen der moderne Sozialismus nahtlos oder kritisch weiterführend anknüpfen kann. Weitlings Ideologie- und Politikkritik und sein Demokratieverständnis samt ihren französischen und britischen Quellen erhellen, daß die in Westeuropa gewonnene materialistische Position und die dort theoretisch längst bewältigte Kritik des politischen und ökonomischen Liberalismus Marx wie Engels instand ← 11 | 12 → setzen, in ihrer Kritik der Deutschen Ideologie mit Schranken der eigenen deutschen philosophischen Mitgift und liberalen Halbheiten abzurechnen. Im Unterschied zum scharf politischen Ansatz zeitgenössischer Kommunisten mußte der junge Marx dies zunächst vornehmlich auf philosophischem Gebiet austragen. Damit konnten Arbeiter wenig anfangen. Marx’ frühe Schriften mußten ihr Interesse verfehlen. Daran sollte denken, wer das Jahr 1843 als Zäsur in der politischen Biographie eines Marx zur epochalen Zäsur der Geschichte sozialistischen Denkens weitet.

Schon das thematische Spektrum des zeitgenössischen Sozialismus und Kommunismus ist breiter. Nicht nur bei Weitling gibt es wichtige Problemkomplexe, die Marx und Engels links liegen lassen, die der ihnen folgende deutsche Kommunismus gleichfalls vernachlässigte oder zunächst aus dem Auge verlor. Dazu gehören die über das 19. Jahrhundert hinausweisenden Fragen nach dem emanzipatorischen Potential religiöser Überlieferung oder nach dem Anspruch auf politische, soziale und kulturelle Gleichberechtigung der Frau, den Weitling schon 1838 von der künftigen Verfassung gesichert haben wollte. Sozialistische Zeitgenossen befassen sich mit strategischen Fragen und ganzen Bereichen der Emanzipationsbewegung – man denke an die Debatten über den Stellenwert gewerkschaftlicher Kämpfe und genossenschaftlicher oder kommunitarischer Experimente –, die zunächst weder bei Marx noch bei Engels auftauchen. Daher kann der Beitrag vorhergehender Sozialisten zum historischen Fortschritt ohne Substanzverlust nicht lediglich als Dienstleistung für den Marxismus verstanden werden.

Auch soziologisch kann man Werk und Wirken Weitlings und anderer Sozialisten nicht ungestraft auf Vorarbeit Marxscher Einsichten reduzieren. Weitling vertritt, anders als der sehr bald durch Engels an englischen Verhältnissen orientierte Marx, niemals die spezifischen Interessen des modernen Industrieproletariats. Das markiert einen soziologischen Unterschied, keinen Makel, auch keine Rückständigkeit. Schließlich stellen die vom Kapitalismus in Stadt und Land entwurzelten frühproletarischen Schichten der Kleinproduktion im kontinentalen Europa des 19. Jahrhunderts noch lange die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Mit sozialistischen Strömungen der vierziger Jahre sucht der Kommunismus nach Lösungen für sie, verfolgt jedoch eine andere Emanzipationsstrategie. Er setzt ihre existenziellen Probleme auf die politische Tagesordnung und postiert die frühproletarische Bewegung auf dem sozialen Flügel der Demokratie. Weitlings Sozial- und Politikkritik, seine Problemsicht, seine Lösungsvorschläge und seine Strategie fallen daher zwangsläufig anders aus als bei Marx und Engels. Das aber macht sie nicht, wie man allzu oft wähnt, überflüssig oder gar abwegig. Weder annulliert das seine politischen und organisatorischen Verdienste für die frühe Arbeiterbewegung, noch schmälert es seinen theoretischen Beitrag für das Verständnis der Epoche. Seine sozialistische Theorie und die seiner Zeitgenossen erhält durch die historisch-materialistische Begründung von Marx und Engels einen neuen theoretischen Zugang zum Verständnis der modernen Epoche und eine den industriellen Bedingungen angemessene Strategie; ihre berechtigten Grundforderungen und gültigen Erkenntnisse werden damit nicht hinfällig. ← 12 | 13 →

Wenn ich hier, gleichsam an einer Fallstudie, versuche, hundertjährige Vorurteile zu klären, geht es auch, aber nicht nur um Rehabilitierung der historischen Leistung Weitlings; es geht auch nicht nur um einen, im deutschsprachigen Raum vernachlässigten Zugang zur Genesis des Marxismus. Letztenendes äußert sich in der Vernachlässigung beider Fragen nur ein Symptom. Der fragwürdige Umgang mit Weitling und dem zeitgenössischen Sozialismus deutet auf einen grauen Fleck im Geschichtsbewußtsein. Die Fallstudie Weitling kann helfen, ihn aufzulösen. Seine Auseinandersetzung mit Breite und Vielfalt zeitgenössischer und älterer sozialistischer Bestrebungen füllt und erweitert unser historisches Gesichtsfeld. Sie öffnet uns ein nicht ganz zufällig verhängtes Fenster. Sozialisten und Kommunisten zerfetzten den Vorhang von Illusionen, der soziale Abgründe verbarg; sie rüttelten an Fundamenten einer als anachronistisch wahrgenommenen Weltordnung. Ihr Denken und Tun verweist auf die Schubkraft, die der soziale und kulturelle Fortschritt sozialistischen Anstrengungen verdankt. Weitling und seinesgleichen weigerten sich, von Zivilisation zu sprechen, wo Millionen Menschen hungern, kulturell verwahrlosen, sittlich verrohen und früh sterben, damit Wenige auf ihre Kosten schwelgen. Sie hinterfragen eine Zivilisation, die es hinnimmt, daß ganze Völker dahinsiechen, damit einige Nationen durch deren Ausbeutung reicher werden. Sie weigern sich, ein Staatswesen Gesellschaft zu nennen, das jene Kräfte, denen der soziale Organismus seine Vitalität und seinen Wohlstand verdankt, verkümmern läßt und als Abfall behandelt. Weitling seziert ein Verständnis von Demokratie, das Volksherrschaft zur Abgabe von Stimmzetteln herunterbringt und das Staatsruder inkompetenten Parteipolitikern anvertraut. Es sind keine Nebensächlichkeiten im Leben der Menschheit, die im neunzehnten Jahrhundert, an der Schwelle des kapitalistischen Zeitalters, von Sozialisten und Kommunisten theoretisch aufgeworfen wurden. Daß ihre Lösung im zwanzigsten Jahrhundert mißlang, hat sie nicht erledigt. Im Gegenteil: das Mißlingen ihrer Lösung hat ihre Dringlichkeit im einundzwanzigsten Jahrhundert noch verschärft, ihre Dimension erweitert, neue Erfahrungen geliefert, die der Verallgemeinerung bedürfen.

Der Blick in die Geschichte sozialistischen Aufbegehrens gegen als Anachronismus wahrgenommene Verhältnisse lenkt unser Interesse auf vernachlässigte Bereiche und Tendenzen des allgemeinen Bewußtseins. Im theoretischen und politischen Eingreifen von Sozialisten wie Weitling bricht sich immer Epochenproblematik aus dem Blickwinkel der Enterbten, Geschundenen und Rechtlosen. Die von Anwälten der Unterdrückten erörterte historische Sachlage erhellt stets soziale Untiefen der Epoche, die die Geschichtsschreibung ähnlich verdrängt wie die zeitgenössische öffentliche Meinung. Die von Sozialisten auf die historische Tagesordnung gesetzten Probleme sind den herrschenden Mächten stets unbequem; dennoch kann man sie auf Dauer nicht ungestraft ignorieren. Theorien wie die Weitlings gehören als theoretische Verallgemeinerung der Lebensfragen des arbeitenden Volkes zum Bestand zeitgenössischen Denkens und verdienen als solche das, was insbesondere Manfred Hahn und Lothar Knatz einfordern: einen legitimen Platz im System der Gesellschaftswissenschaften, also der Wissenschaftsgeschichte. ← 13 | 14 →

Außerdem: ohne Wahrnehmung der politischen Dazwischenkunft von Sozialisten bleibt auch unser allgemeines Geschichtsbild unvollständig. Im Verwachsen sozialistischer Theorien mit praktischer Arbeiterbewegung, mit Arbeiterbildungsvereinen, gewerkschaftlichen, kooperativen und politischen Organisationen und deren wechselseitiger Einflußnahme in ihrem Umfeld gewinnt sozialistische Ideengeschichte historisch eine neue Qualität. Sie kristallisiert sich, wie Studien und Quellensammlungen von Ernst Barnikol, Gian Mario Bravo, Werner Kowalski, Thilo Ramm, Otto Gruner, Frits Kool/Werner Krause, Alexander Brandenburg, Ahlrich Meyer, Hans-Joachim Ruckhäberle, Antje Gerlach, Jacques Grandjonc, Hans Arthur Marsiske, Lothar Knatz sowie die Dokumentenbände zum Bund der Kommunisten und zur Arbeiterverbrüderung und ihren Kongressen eindrucksvoll belegen, in Kulturgeschichte und politischer Wirkungsgeschichte. Proletarische und sozialistische Manifestationen in Programmen, Zeit- und Flugschriften, Liedersammlungen und frühproletarischer Literatur gewähren nicht nur Einblick in anders erlebte Geschichte als die im Auftrag der Herrschenden geschriebene, sie beeinflussen ihrerseits die allgemeine Geschichte. Ihre Sicht auf Geschichte fügt dem damaligen Schulgeschichtswissen von Herrscherhäusern, dynastischen Kriegen und diplomatischen Verwicklungen ein neues Kapitel aus einem anderen Lebensbereich hinzu, das der Entdeckung der Buchdruckerkunst mehr Gewicht beimißt als der Schlacht im Teutoburger Wald. Ohne Kenntnis der politischen Wortmeldung und emanzipatorischen Aktivität von Arbeitern und Sozialisten bleibt nicht nur unser Bild der Realgeschichte einer Epoche lückenhaft; unser Verständnis der sozialen Triebkräfte kultureller und politischer Tendenzen historischen Geschehens, ihrer Dynamik und ihrer Impulse bleibt nebulös. Ohne Kenntnis sozialistischer Korrektive dieser Realgeschichtsschreibung bleiben Vorarbeit und Zutat von Sozialisten zur modernen Geschichtsauffassung im Dunkeln.

Auch epochenübergreifend ist proletarische und sozialistische Dazwischenkunft durchgängig mit Fortschritten und Brüchen der allgemeinen Geschichte verwoben. Im 16. Jahrhundert entlud sich sozialistische Kritik der Ausbeutergesellschaft in literarischen Utopien eines Thomas Morus und seinesgleichen noch vornehmlich in theoretischer Form. Was davon das Fallbeil der Geschichte überlebt und sich als verallgemeinerte historische Erfahrung in den folgenden praktischen Kämpfen niederschlägt, ist nachweislich am wenigsten das Utopische in ihr, sondern das weiterhin Gültige. Gleiches gilt für die Überlieferung Babeufs im achtzehnten Jahrhundert. Sie hat den praktischen Protest der Plebejer theoretisch verdichtet, in politische Forderungen gegossen und praktisch organisiert. Im Manifest der Plebejer nimmt die theoretische Kritik der Ausbeutergesellschaft programmatische Gestalt an, in der Partei der Gleichen betritt dieser Protest als politische Bewegung historisches Terrain. In der babouvistischen Bewegung gewinnen die spontanen Hungeraufstände Ziel, praktische Organisation und politisches Gewicht. Fraglos forderte dieses plebejische Programm mehr, als die Geschichte hergab; dem Verlangen nimmt das nichts von seinem objektiven Erfordernis und seiner geschichtlichen Tragweite. Zudem gilt die Überforderung des zunächst Möglichen mit graduellem Unterschied für jedes Programm, also auch ← 14 | 15 → für den Zukunftsanspruch von Vertretern anderer Klassen und Schichten. Als integrale Triebkraft politischen Handelns arbeitender Klassen in der historischen Wirklichkeit verdient sozialistisches Eingreifen einen ebenso legitimen Platz in der allgemeinen Geschichtsschreibung wie das der Repräsentanten bürgerlicher Klassen und Schichten.

Daß die Spuren sozialistischer Dazwischenkunft lange hauptsächlich von Spezialisten der Ideengeschichte freigelegt wurden, dokumentiert Unterlassungssünden der politischen Geschichtsschreibung. Insbesondere immanent ideengeschichtliche Verfahren, die Ideen ohne politische Rückkopplung erklären, und nicht fragen, warum wer wann was von wem übernimmt, lassen leider politischen Hintergrund und ökonomische Gründe ihrer Modifikation und erst recht ihre praktische Wirkung im politischen Geschehen oft im realgeschichtlichen Dämmerzustand. Außerdem wurde sozialistische Kritik, die stets am Status quo rüttelt, von den herrschenden Kräften meist a priori als utopisch zurückgewiesen und so lange wie möglich unterdrückt. Ihr Schattendasein in der politischen Geschichtsschreibung dokumentiert diesen praktischen Verdrängungsprozeß und übernimmt ihn in das historische Bewußtsein. Doch man erhellt dieses Schattendasein nicht dadurch, daß man den Gehalt an Utopischem, der jedem prognostischen Denken anhaftet, gleichsam verselbständigt und eine Utopie fordert, wenn man Sozialismus meint.

Hinzu kommt ein vertrackter historischer Circulus vitiosus. Da politische Keime sozialistischer Dazwischenkunft und ihre Vermittlung fast ausnahmslos längerer Inkubationszeit bedürfen, wächst gewöhnlich längst Gras über den Gräbern der ersten Akteure, bis einige ihrer Früchte reifen. Diese werden dann meist – wie bei der Sozialgesetzgebung Bismarks – von politisch weitblickenden Vertretern herrschender Klassen geerntet und ihnen gutgeschrieben. Deshalb erscheint pragmatischem Herangehen politischer Geschichtsschreibung, dem vorrangig unmittelbare Erfolge zählen, sozialistische Intervention meist unerheblich. Ohnehin bevorzugt die meist elitäre politische Historiographie herrschender Klassen das spiegelglatte Parkett der Sieger der Geschichte den mit Armut, Kerkern, Galgen und Schafotten bestückten Landstraßen der Verfolgten, Gescheiterten und Besiegten. Für Anwälte der Herrschenden hat das unbestreitbare Vorzüge. In den vom Desinteresse beschatteten Grauzonen geschichtlichen Wissens erhält sich das Vorurteil über Sozialisten als weltfremde Träumer, praktisch erfolglose Utopisten oder gar Störenfriede länger. Gekrönt wird dieser fehlerhafte Kreislauf durch den Trugschluß von Fachforschern: Was die Historiographie als Randerscheinung behandelt, kann auch in Wirklichkeit keine Rolle gespielt haben.

Weil die Geschichte politische Konstellationen und Verhaltensmuster rekonstruiert, hilft die Kenntnis zurückliegender Abläufe und Erfahrungen, komplizierte Prozesse der Gegenwart leichter zu erfassen. Politische Rückschläge unserer Tage ordnet man anders ein, wenn man die Langzeitwirkung historischer Vermittlungsprozesse nicht aus dem Auge verliert. Es ist nicht belanglos zu wissen, daß sozialistische Wortmeldung selbstloser Streiter für eine humane Weltordnung über Jahrhunderte hinweg keineswegs spurlos verwehte. Wie kommt es, daß dieser immer wieder verdrängte und jahrzehntelang unterdrückte rote Faden, den ← 15 | 16 → sozialistische Wortmeldung und soziale Kämpfe der Geschichte eingewebt haben, über Verfolgungen, Rückschläge und Niederlagen hinweg nie ausgemerzt werden konnte? Weitling ist nur einer von ihnen. An seinen praktischen Erfahrungen, seinen theoretischen Schlußfolgerungen und seinem politischen Werdegang läßt sich vieles ablesen, was unsere Frage beantworten kann. Was ihn bewegte, erhellt die sozialen, politischen und kulturellen Probleme des arbeitenden Volkes in seiner Epoche. An seinem geistigen Selbstverständigungsprozeß kann man verfolgen, warum welche der überlieferten und zeitgenössischen sozialistischen Erfahrungen und Einsichten inwieweit aufgegriffen oder verworfen, an veränderten Bedürfnissen überprüft, als gültig anerkannt, modifiziert, durch inzwischen gewonnene Sozialerfahrung ergänzt werden und schließlich zu einer qualitativ neuen Theorie gerinnen, die der künftigen Sozialistengeneration abermals als Vorgabe weiterführender Erkenntnisse dienen wird. Verfolgen läßt sich, wie der rote Faden im Vormärz an Spannung und Elastizität gewinnt, welche politischen Schwingungen er erzeugt und welcherart Resonanz er erfährt.

Gespür für den langen Atem der Geschichte, Verständnis für die langen Laufzeiten der Wirkungsgeschichte sozialen Widerstands und ihre komplizierten Vermittlungsprozesse sind unverzichtbar für die nüchterne Bewertung kurz- und mittelfristiger Mißerfolge. Über Jahrhunderte hinweg läßt sich verfolgen, wann und wie sich der rote Faden sozialer Bestrebungen mit der politischen Geschichte verflicht und wie er – wenn auch oft genug erst langfristig wahrnehmbar – in die Zeitläufte eingreift und selbst dann, wenn er das Vorgehabte nicht erreicht, auf längere Sicht seine Wirkung nicht verfehlt. Weitlings theoretische und politische Selbstverständigung macht augenfällig, wie die frühproletarische Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts Erfahrungen und Erkenntnisse des alten Babouvismus aufgreift, soweit seine Grundeinsichten ihren Interessen, der gegebenen Klassenkonstellation und dem hinzugewonnenen Stand des Wissens noch entsprechen. Erkennbar wird, wie seine Rezeption die Überlieferung an veränderten Bedingungen mißt und erprobt, durch inzwischen entwickelte zeitgenössische Erkenntnisse bereichert, und herangereifte neue Möglichkeiten nutzt: etwa die auflebende Streikbewegung oder jüngere Erfahrungen chartistischer Kämpfe. Am schwierigen Weg politischer Aufklärung und Organisation von Arbeitern der vorindustriellen Produktion und dem auf zwei Kontinenten dennoch Erreichten läßt sich die Pionierleistung früher Akteure ermessen. Das vom Ausland her unterirdisch geknüpfte überregionale Netzwerk bewährt sich während der Revolution von 1848/49 in der Allgemeinen Arbeiterverbrüderung. In dieser ersten überregionalen Massenorganisation deutscher Arbeiter erweisen sich die Mitglieder des Bundes der Gerechtigkeit in allen ihren Regionalverbänden als Geburtshelfer, treibende Kraft und politisierendes Korrektiv. Der Sieg der Reaktion kann auf Dauer nicht verhindern, daß ihr unterirdisches Geflecht sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erholt, kräftigt und schließlich jene politische Massenorganisation hervorbringt, die ihren ersten Akteuren von Anbeginn vorschwebte.

Knotenpunkte im roten Faden dieser Geschichte eines halben Jahrhunderts markiert ein Vergleich zwischen 1789 und 1848. Mit ihrem Verlangen nach Brot ← 16 | 17 → und der Verfassung von 1793 intonieren die Babouvisten 1796 das Finale der bürgerlichen Revolution. Mit ihrer Forderung nach dem Recht auf Arbeit und einer sozialen Republik komponieren sozialistische Wortführer der Februarrevolution von 1848 die Ouvertüre. Noch versagt ihnen die historische Dialektik das Gewollte; doch sie legen Frankreich die zweite bürgerliche Republik in den Schoß. Im Pariser Frühling von 1871 werden sie ihren Kampf gegen die geschwächte Staatsmacht abermals verlieren, doch sie werden den historischen Augenblick nutzen, ihr Modell einer direkten Demokratie für wenige Wochen in der Pariser Commune praktisch vorzuführen. In dieser historischen Metamorphose übernimmt Weitling keineswegs jene Statistenrolle, die ihm jene Historiker zuschreiben, die ihm lange zuvor schon einen politischen Totenschein ausstellen. Immerhin hat er zehn Jahre vor dieser Revolution das erste kommunistische Programm deutscher Geschichte verfasst, das Demokratieverständnis der Arbeiter geschärft und im Motto der politischen Geburtsurkunde der deutschen Arbeiterbewegung als Ziel der Revolution eine soziale Republik für Deutschland verlangt. Nach ihrem Ausbruch kehrt er aus der amerikanischen Emigration zurück, um praktisch für sie zu kämpfen. Ihm verdanken deutsche Arbeiter als Medien politischer Selbstverständigung die ersten gedruckten Arbeiterzeitschriften auf zwei Kontinenten und ein Vereinsleben, das sich als Laboratorium künftiger Staatsbürger und Staatsmänner versteht.

Gegen ideengeschichtliche Selbstgenügsamkeit betont Ruckhäberle, daß das alles erst mit seiner Wirkungsgeschichte politisches Gewicht erhält. Um die erwähnte Inkubationszeit und komplizierte Vermittlung zu vergegenwärtigen, spürt meine Untersuchung nicht nur der von Weitling verwerteten geistigen und politischen Erbschaft nach; sie rückt, anders und vielfältiger als üblich, ebenso seine vielschichtige zeitgenössische Resonanz und politische Hinterlassenschaft ins Licht. Das gilt sowohl für die nachhaltige Wirkung seiner Ideen unter damaligen Arbeitern und die epochenübergreifende politische und moralische Ausrüstung der späteren Arbeiterbewegung als auch für die ungewöhnlich kräftige Resonanz unter Vormärzintellektuellen aller Couleur. Soweit der gegebene Rahmen das erlaubt, legt die Untersuchung auch von der Forschung vernachlässigte theoretische Spuren im Kommunistischen Manifest frei, ebenso Einsichten, die im folgenden Bund der Kommunisten wieder verloren gehen, wiewohl sie bis heute gelten.

Die Geschichtsschreibung verfuhr mit Weitling nicht glimpflicher als mit seinen Vorgängern. Im Gegenteil. Schon zu Lebzeiten fand er sich nicht nur von Gegnern als heilloser Utopist und vaterlandsloser Geselle verschrieen, sondern selbst in den eigenen Reihen auf groteske Weise mißverstanden und diffamiert. Wie seinerzeit nur im Falle Blanquis, scheuten sich einige seiner nächsten Kampfgefährten nicht, ihn öffentlich zu diskreditieren, zu verleugnen und seine Verdienste als theoretischer und politischer Kopf der Bewegung aus dem öffentlichen Bewußtsein zu tilgen. Insgesamt widmete ihm die Forschung zwar mehr Aufmerksamkeit und Wohlwollen als anderen. Verdienstvolle Biographien von Carl Wittke oder Gian Mario Bravo und aufschlußreiche Spezialstudien, wie die von Ernst Barnikol, Wolfgang Joho, Werner Kowalski, Wolfgang Schieder, Alexander Brandenburg, Ahlrich Meyer, Lothar Knatz und Hans-Arthur Marsiske haben empfindliche ← 17 | 18 → Wissenslücken geschlossen. Dennoch gibt es in der Geschichtsschreibung des Sozialismus nur wenige Wortführer, deren gesamte Lebensleistung derart stigmatisiert wird wie die seinige. Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß seine Biographie bei einzelnen Autoren über weite Strecken der Geschichte eines Rufmords gleicht. Selbst seriöse Historiker wie Emil Kaler, Franz Mehring und Otto Brugger vermochten sich der Suggestivkraft zeitgenössischer Unterstellungen nicht zu entziehen und übernahmen ungeprüft gravierende Mißverständnisse aus zweiter Hand. Allein die 150 Jahre lang kolportierte Legende eines vermeintlichen Aufruhrplans stehlender Arbeiter hat Weitlings Verdienste als Pionier der Arbeiterbildung und seine gedankenreiche Revolutionstheorie nachhaltig überschattet.

Bis heute strotzt das historische Weitlingbild von Irrtümern jedweder Art. Schon die Bandbreite vermeintlicher theoretischer Fehlleistungen muß jeden Interessierten ernüchtern. Sie registriert Gleichheitskommunismus, Verelendungstheorie, Wissenschaftsverachtung, Fortschrittsnihilismus, moralisierende Maßstäbe, Mystizismus, Messianismus und Systemmacherei. Sein politisches Sündenregister reicht vom Monarchismus über Putschismus und Demokratieverzicht bis zum Schädling der Bewegung und zum Verrat an seiner Klasse. Auch seinem Charakter schreibt man bedenkliche Schwächen zu: krankhaften Größenwahn, Herrschsucht, sogar Blutdurst. Im politisch-organisatorischen Bereich gibt es, von rückständiger Zünftelei über Gelehrtenhaß, Verachtung politischer und gewerkschaftlicher Kämpfe und Revoluzzertum bis zur propagierten Weibergemeinschaft, kaum eine Fehlleistung, für die sich nicht mindestens ein Entdecker und mehrere Kolporteure fänden. Kaum eine Lebensetappe läßt sich ausmachen, in der ihm nicht Freund und Feind, bisweilen in seltener Einmütigkeit, seinen haltlosen Fall in Sektierertum bescheinigten. Weitlings Schriften sind vergriffen und eine Neuausgabe ist nicht in Sicht, obschon längst überfällig. In dieser Arbeit wird er hinlänglich zu Worte kommen, um zählebigen Irrtum selber zu korrigieren. Ob seine Auffassungen rationalistisch oder mystisch, realistisch oder utopistisch, fortschrittlich oder rückständig sind, mag der Leser selbst erwägen. Gleichwohl verlangt die Unzahl der durch ein Jahrhundert geschleppten Vorurteile eine Konfrontation mit bisweilen sehr komplizierten Sachzusammenhängen und einander widersprechenden Meinungen. Beides will belegt und bewiesen werden. Denn ein Irrtum wird gewöhnlich erst durch das Quäntchen Wahrheit, das ihm anhaftet, glaubhaft. Manche Spalten des Geschehens müssen ausgeleuchtet werden, denn Schwieriges wird nicht leichter verstehbar, wenn man die Falten der Geschichte glatt plättet und Widersprüche einebnet oder verschweigt. Das alles verlangt auch vom Leser gelegentlich Langmut und verbietet eine populäre Darstellung, die ich der detaillierten Beweisführung vorgezogen hätte.

Zwischen meinen ersten Weitling-Studien der fünfziger und sechziger Jahre und den heutigen liegt mehr als ein halbes Jahrhundert. Die frühen Arbeiten sind nicht frei von einigen der erwähnten Mängel. Wissenslücken, durch unerschlossene oder damals unzugängliche Quellen begünstigt, versagten eine Überprüfung der aus der Literatur übernommenen Fehleinschätzungen. Zudem litt die Forschung unter der damals obwaltenden Enge politischen und theoretischen Denkens. In ← 18 | 19 → einigen Vorurteilen der andern von heute kritisiere ich füglich auch eigene von gestern. Indessen brachte es die Überlebenskraft der erwähnten Legenden in jüngerer Literatur mit sich, daß ich zwischen anderen Arbeiten immer wieder auf mein Ursprungsthema zurückkommen mußte. Inhaltlich berichtigten meine Spezialstudien nach und nach Fehleinschätzungen in der Buchfassung von 1961. In formaler Hinsicht jedoch leiden etliche unter dem Zeitgeist des Kalten Krieges.

Methodologisch vor allem blieben einige der ersten Studien teilweise noch in ideologischen Vorgaben damaligen Denkens gefangen. Das gilt vornehmlich für die Bestimmung des Verhältnisses der Weitlingschen Theorie zu derjenigen von Marx. Das damalige Marxbild glich dem eines dem historischen Boden entwurzelten Denkers. Verbal wurden die von Engels gewürdigten sozialistischen und ökonomischen Einflüsse westeuropäischen Denkens zwar erwähnt, aber sachlich kaum berücksichtigt. Als philosophische Quellen galten a priori nur deutsche. Sein Sozialismus schien daher, zumal man ihn substantiell nicht aus der klassischen deutschen Philosophie ableiten konnte, wiewohl man auch das versuchte, gleichsam vom Himmel gefallen. Wo geschichtliche Zusammenhänge verloren gehen, hilft sich der Erklärungsbedarf gewöhnlich mit einem Dogma über den Berg. Der Verzicht auf den Vergleich mit vorhergehenden und zeitgenössischen sozialistischen Theorien erzwang als Notbehelf teils teleologische, teils dogmatische Erklärungsmuster.

Unter vielen marxistischen Geschichtsschreibern des neunzehnten Jahrhunderts und allen, die sich im Bereiche der Sozialismusgeschichte auf deren Vorarbeit stützten, galten damals die – zudem erst später gewonnenen Einsichten von Marx und Engels – als absoluter Maßstab. Die theoretische Leistung sozialistischer Vorgänger und Zeitgenossen unterwarf man einem doppelten Filter: Konnte sie als Vorarbeit angesehen werden, galt sie als im »Marxismus« aufgehoben und wurde als Forschungsgegenstand überflüssig. Enthielt sie vom »Marxismus« abweichende Gedanken, galt sie als fragwürdig, wenn nicht gar schädlich und wurde, wie zum Beispiel Weitlings Werk und Wirken, gewöhnlich ab 1843, spätestens nach seinem Streit mit Marx, entweder aus dem Geschichtsbild getilgt oder gezielt diskreditiert.

Geschichtsverlust aber bleibt nie ungestraft. So verlor im folgenden Geschichtsbewußtsein der Sozialismus Marxscher Prägung den historischen Boden unter den Füßen; der ältere und zeitgenössische Sozialismus geriet ins historische Abseits politischer Belanglosigkeit. Allerdings erlischt seine historische Eigenständigkeit und spezifische Ausstrahlung nicht minder in historischen Integrationsmustern, die sozialistisches und kommunistisches Denken und seine praktische Bewegung bürgerlich-radikalen Bestrebungen einzuverleiben suchen, hierfür seine revolutionären Klassenwurzeln kappen, ihn ideologisch entkernen und politisch entmündigen.

Meine solch einseitiger Sicht widerstrebende Grundhaltung wurde durch meine empirischen Forschungsergebnisse bekräftigt. Zwar hatte ich Weitlings theoriegeschichtliche Leistung und politische Haltung schon 1961 erstmals in den Kontext neobabouvistischer Strömungen in Frankreich eingeordnet; doch anfänglich noch ← 19 | 20 → weitgehend in Gefangenschaft der herrschenden Denkschemata. Irgendwann bemerkte ich, daß der Zwang, an Vorgängern und Zeitgenossen wie Babeuf, Owen, Fourier, Cabet oder Weitling fortwährend das herausstellen zu müssen, was beide Klassiker des modernen Sozialismus ihnen entlehnt hatten, mein eindimensionales Untersuchungsverfahren noch verfestigte, statt es aufzubrechen. In der damaligen Sichtweise diente das Denken sozialistischer Vorgänger und Zeitgenossen oft nur als Negativfolie, um die Überlegenheit von Marx und Engels in helleres Licht zu rücken, als ob die Denkleistung beider Klassiker des modernen Sozialismus gewönne, wenn man diejenige ihrer Vorgänger verdunkelt oder schmäht. Betont wurden meist vermeintliche oder tatsächliche Unzulänglichkeiten auf Kosten historischer Verdienste. In der Weitlingforschung beginnt diese Betrachtungsweise bereits bei seinem ersten Biographen Emil Kaler. Sie beherrscht noch in jüngerer Zeit die tonangebende Parteigeschichtsschreibung zum Bund der Kommunisten. In der folgenden Untersuchung wird sich zeigen, in welcher Form und welchem Ausmaß diese überlieferte Betrachtungsweise atmosphärisch die Auswahl, Präsentation und Interpretation der Quellen und deren historische Darstellung prägte. Ab Ende 1842 – als Marx die politische Bühne betritt und Weitlings europäischer Ruhm soeben einsetzt – erscheinen Weitling und seine Anhänger vornehmlich als Schädlinge.

Die methodologischen Folgen meines anfänglich eindimensionalen Zuschnitts der Leistung zeitgenössischer Sozialisten auf diejenige von Marx begriff ich selbst nur allmählich. Zunehmend irritierte mich, daß mein Herangehen ungewollt eben jene Geringschätzung des älteren Sozialismus beförderte, die ich unterbinden wollte. Betroffen gewahrte ich, daß mein Verfahren eingeschliffene Bewertungsmaßstäbe noch begünstigte. Intensivem Gedankenaustausch mit dem Moskauer Babeufforscher Viktor Dalin verdanke ich den Durchbruch zur Einsicht, daß ein einseitig auf Marx fixierter Forschungsansatz die Wahrnehmung von Eigenart und Ideenreichtum westeuropäischer Quellen Weitlingschen Denkens beschneidet und eine teleologische Sicht befördert, in der ältere Sozialisten nur insoweit interessieren, als sie Wegbereiter des Marxismus sind. Dalins elementarer Lehrsatz verlangt, ältere Sozialisten als authentische Akteure und Zeitgenossen ihrer Epoche zu untersuchen. Er gebietet, sie an dem zu messen, was sie unter gegebenen Voraussetzungen theoretisch und politisch für ihre Zeit leisten konnten und geleistet haben. Dieses Herangehen fordert außer umfassender Sachkenntnis des zeitgenössischen Spektrums, daß man ihre hauptsächliche Vorleistung für die Zukunft in ihrem politischen Beitrag für ihre Zeit erblickt und mit der Vielfalt ihnen verfügbarer zeitgenössischer Einsichten vergleicht. Mehr als meine bisherigen Studien zeigt die vorliegende Weitling inmitten seiner Weggefährten und seine Leistung bricht sich im Für und Wider wechselseitigen Disputs mit Zeitgenossen aller Couleur.

Ein solches realgeschichtliches Verfahren gebietet, den gültigen Einsichten und der tatsächlichen politischen Rolle älterer Sozialisten in der Geschichte mehr Gewicht beizumessen als ihren schwer vermeidbaren Illusionen und Irrtümern. Es verlangt, daß man das Utopische ihres Denkens – gleichgültig ob mit Sympathie oder Verachtung – nicht derart geschichtsmächtig ins Blickfeld rückt, daß ihr ← 20 | 21 → tatsächlicher Beitrag zur Kulturgeschichte im bloßen Zukunftstraum verdunstet, von dem nur das späterhin noch immer Begehrenswerte und Uneingelöste zählt. Zu so unschuldiger Utopie einer besseren Gesellschaft verharmlost, verliert der Sozialismus jeden Stachel. Als Utopie gönnt solchem Sozialismus selbst die politische Geschichtsschreibung der herrschenden Klassen gutwillig eine Fußnote.

Die Konsequenzen der Dalinschen Kritik an meiner Untersuchungsmethode begriff ich im gleichen Verhältnis, in dem meine empirischen Studien zu Weitling und seinen französischen Zeitgenossen mich zunehmend in Kollision mit der eigenen und mehr noch mit der Anfang der siebziger Jahre im allgemeinen Geschichtsdenken noch vorherrschenden Denkweise brachten. Irgendwann begriff ich die Gründe der Langlebigkeit unzähliger Fehlurteile im Weitlingbild aus theoretischen Denkrastern, die sie fortzeugend neu gebären. Gleichwohl warf das die meinigen nicht sofort gänzlich um. In der mit meinem Mann veröffentlichten Anthologie Von Babeuf bis Blanqui und meinen begleitenden Studien spiegeln sich energische Abkehr wie Neuansatz gleichermaßen. In der Quellenauswahl glückt das Gewollte vollständig. Im monographischen ersten Band gelingt mir weitgehend, Ideenreichtum und Vielfalt einzelner Strömungen, ihrer Publizistik, ihrer Organisationen und unterschiedlichen Emanzipationsstrategien in ihrer Eigenständigkeit zu erfassen. Auch einzelne Vertreter werden als authentische Akteure ihrer Epoche vorgestellt und an dem gemessen, was sie, verglichen mit Vorgängern und Zeitgenossen, theoretisch wie praktisch für ihre Zeit geleistet haben. Dennoch beförderten die notwendige Kritik an der Unterschätzung ihrer Authentizität und die Abgrenzung vom fortlebenden eindimensionalen Marxverständnis weiterhin den alten Hang, sie an Marx und Engels zu messen. Nicht zufällig scheinen Relikte teleologischer Denkweise immer dort auf, wo der utopische vom wissenschaftlichen Sozialismus abgehoben wird und ich mich der damals im Geschichtsdenken geltenden pauschalen Zuordnung von Sozialisten und Kommunisten vor Marx in eine Geschichte der Utopisten noch beugte.

Diese Kriterien sind längst überprüfungsbedürftig. Die Qualifikation des älteren Sozialismus als Utopie bedarf in England wie in Frankreich spätestens seit der bürgerlichen Revolution der historischen Relativierung. Abgesehen davon, daß auch ältere sozialistische Theorien Widersprüche der Wirklichkeit adäquat erfassten, durchbricht der Sozialismus in Gestalt der linken Leveller und Babouvisten den Bereich der Theorie und verficht die Ansprüche plebejischer Schichten in praktischen Klassenkämpfen. Deren politische Wortführer kann man weder schlechthin als Utopisten qualifizieren, weil sie mehr verlangten, als sie erreichten, noch kann man den folgenden Theorien eines Fourier, Saint-Simon, Owen oder denen der Linksricardianer, die Verlauf und Resultate der politischen Revolution, die Folgen der industriellen Revolution und der damit einhergehenden kapitalistischen Umwälzung theoretisch verarbeiten, ohne weiteres ihre wissenschaftliche Qualität absprechen.

Der Gehalt an Illusionärem oder Utopischem in der Einschätzung des ökonomischen und kulturellen Potentials ihrer Epoche und der dadurch eröffneten Möglichkeiten unterscheidet sozialistische Denker erkenntnistheoretisch nicht ← 21 | 22 → grundsätzlich von bürgerlichen Vordenkern. Im Vergleich mit liberalen Vertretern, die vom freien Spiel der Kräfte eine spontane Harmonisierung der einander widerstreitenden Interessen erhofften und der Menschheit bis heute das Prinzip der freien Konkurrenz als alternativlose Lösung aller Probleme empfehlen, obschon die Wirklichkeit dies längst als Utopie erwies, können sie als Realisten gelten. In dieser Hinsicht ist keine Denkrichtung, keine oppositionelle Strömung, deren Zukunftsanspruch über den Status quo hinausgeht, dagegen gefeit, daß ihre Erwartungen sich zumindest partiell als utopisch erweisen. Ihrer Rolle als Agens des historischen Fortschritts tut das keinen Abbruch; es relativiert sie lediglich. An der Neige seiner Tage vermutete Engels in diesem immanenten Spannungsverhältnis zwischen Verlangtem und Erlangtem einen gesetzmäßigen Zusammenhang. Er meinte, daß progressive Strömungen ihrer Epoche stets mehr abverlangen müssen, damit die Gesellschaft das jeweils mögliche Optimum erreicht. Behandelt man jedoch das prognostisch Unwägbare als Selbstzweck und spricht von Utopie, wenn man Sozialismus meint, verkehrt man die Dynamik dieser dialektischen Beziehung; der revolutionäre Impuls wird theoretisch sterilisiert und praktisch entpolitisiert.

Ohnehin hat die Begriffsgeschichte längst Tatsachen geschaffen, denen sich allenfalls abstrakt ideengeschichtliche Betrachtungsweise, nicht aber die Realgeschichtsschreibung entziehen kann, wenn sie ihrem Gegenstand wirklichkeitsnah gerecht werden will. In der wirklichen Geschichte wird das Attribut des Utopischen spätestens seit der französischen Revolution durchgängig pejorativ benutzt. Seit der Begriff Utopie dazu diente, die Meinung des jeweiligen Gegners zu diffamieren, hat er seine Unschuld verloren. Anfänglich münzte man das Attribut utopisch auf jede beliebige gegnerische Position, die man als weltfremd und unrealistisch stigmatisieren wollte. Seitdem sich sozialistische Bestrebungen in kommunistischer Gestalt zum gemeinwirtschaftlichen Programm einer politischen Arbeiterpartei konstituiert hatten, blieb der abwertende Begriff fast ausschließlich an Sozialisten und Kommunisten haften. Wenn man aber weiß, daß in den politischen Kämpfen zweier Jahrhunderte der Begriff Utopie ausschließlich als Schimpf gemeint und empfunden wurde, kann man guten Gewissens ältere Sozialisten nicht als Utopisten bezeichnen. Dem Verständnis dieses historischen Sachverhalts nutzt es wenig, die überlieferten Wertvorgaben nachträglich umzukehren und den Geist der Utopie positiv aufzuladen. Im neunzehnten Jahrhundert jedenfalls wäre es keinem Sozialisten, der politisch etwas erreichen wollte, eingefallen, sein Programm als Utopie zu verstehen oder gar als solche zu empfehlen. Im Gegenteil: vor 150 Jahren hätte jeder Sozialist solche Zumutung verständnislos und empört zurückgewiesen. Der Historiker ihrer Epoche sollte ihr Selbstverständnis respektieren.

Sozialistische und kommunistische Schriftsteller widersprachen jederzeit vehement der Bezeichnung ihrer Theorie als Utopie. Schon Babeuf zürnte den Verdorbenen, die seine Pläne zur Verteidigung der Lebensrechte der Plebejer Träume nennen. Vergeblich wird man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Sozialisten oder Kommunisten suchen, die sich der Stigmatisierung als Utopist nicht widersetzt hätten. Und das geschieht zunehmend selbstgewisser, je eindrucksvoller die ← 22 | 23 → englische industrielle Revolution der Menschheitsentwicklung jenes Wohlstands-Potential eröffnet, das die materiellen Voraussetzungen einer neuen Sozialordnung in greifbare Nähe rückt. Anfang der vierziger Jahre, als Weitling die historische Bühne betritt, gilt unter westeuropäischen Sozialisten ein sozialistisches Zeitalter allgemeinen Wohlstands nurmehr als eine Frage der Zeit und der Volksaufklärung. 1840 titelt Jean Jacques Pillot eine seiner Schriften herausfordernd: Die Gütergemeinschaft ist keine Utopie mehr! Schon vor Marx und Engels verstehen Sozialisten wie Kommunisten ihre Theorie als neue Wissenschaft von der Gesellschaft, als Programm, als Befreiungsstrategie und als Inbegriff einer klassenlosen ausbeutungsfreien Gesellschaftsordnung.

Die Kontrastbegriffe »Utopie« und »Wissenschaft«, die Engels etwas unbedacht zur Kennzeichnung der eigenen neu entwickelten Denkweise anbot, dienten der Unterscheidung historisch-materialistischer Auffassung des Sozialismus von bisheriger rationalistischer, ökonomisch-pragmatischer oder ethischer Begründung. Das Herausstellen ihres Sozialismus als Wissenschaft sollte den qualitativen Unterschied der materialistischen Geschichtsauffassung des modernen Sozialismus vom Geschichtsdenken der Vorgänger markieren. Möglicherweise sollte damit der eben gewonnene eigene theoretische Ansatz vor der allgemeinen Stigmatisierung des Sozialismus als Utopie bewahrt werden. Was damit erreicht wurde, konnten beide allenfalls ahnen. Nicht grundlos betonten Marx wie Engels – was sehr bald außer acht geriet – wie viel der moderne Sozialismus den theoretischen Vorgaben und der Kritik des vorhergegangenen verdankt. Damit ist gesagt, daß die qualitativ höhere Stufe ihrer sozialistischen Theorie einen Unterschied markiert, der die geistigen Beziehungen zum vorhergegangenen und zeitgenössischen Sozialismus bewahrt, nicht kappt. Nicht gesagt ist damit, daß es materialistische, historische oder dialektische Elemente im sozialistischen Denken nicht längst vor ihnen gegeben hätte. Gesagt ist nur, daß das, was der englische, französische und deutsche Sozialismus an Erkenntnissen bis dato erbrachte, in ihrer Theorie zu einer neuen Legierung verschmilzt. Diesen qualitativen Unterschied innerhalb der Theoriegeschichte des Sozialismus mißdeuteten Nachfolger als prinzipiellen Bruch des Sozialismus marxistischer Prägung mit allen vorhergegangenen wie zeitgenössischen Theorien. Sobald man jedoch die neu erlangte Erkenntnisstufe enthistorisiert, das relativ Neue verabsolutiert, reißen die geschichtlichen Fäden. Der Unterschied verhärtet zur hermetischen Schranke, das Neugewonnene erstarrt zum Klischee, dogmatische Formeln müssen den Geschichtsverlust kompensieren.

Rückwirkend hat der Kontrastbegriff »Utopie – Wissenschaft« das Verständnis der Geschichte des Sozialismus geradezu blockiert. Man muß das verkrustete Denkschema aufbrechen, um den geschichtlichen Zusammenhang wieder freizulegen. Versteht man einerseits soziale Wissenschaft als annähernd adäquates Erfassen der Realität und ihrer immanenten Zusammenhänge, dann kann man zumindest den noch heute gültigen Einsichten sozialistischer Vorgänger und Zeitgenossen von Marx und Engels wissenschaftliche Qualität schwerlich absprechen. Ebensowenig kann man die theoretischen und praktischen Impulse, die der reale Fortschritt der politischen Kultur seinerzeit durch emanzipatorische Bestrebungen ← 23 | 24 → der Sozialisten erfuhr – die soziale Aufladung der Menschenrechtsforderungen, die Herausbildung eines demokratischen Geschichtsdenkens, eines sozialen Politikverständnisses und wissenschaftlicher Ansprüche an die Politik – samt und sonders in einer Geschichte des Utopismus unterbringen.

Begreift man andererseits das Utopische historischer Prognosen – gleichfalls hinsichtlich ihres Realitätsgehalts – als das »Unmögliche« im Sinne des »Noch nicht Möglichen« oder des »Nicht in dieser Weise Möglichen«, dann erweist sich manches, was gestern noch als Utopie verschrien wurde, als Wahrheit von heute und als Wirklichkeit von morgen. Ansprüche wie Recht auf Existenz und Recht auf Bildung, die im Vormärz als utopisch galten, sind zwar auch heute für Vierfünftel der Menschheit noch nicht Wirklichkeit, doch ein Jahrhundert später immerhin in internationalen Konventionen und nationalen Verfassungen verankert. Für den sozialtheoretisch Denkenden und politisch Handelnden aber ist nicht belanglos, zu wissen, daß das heute noch nicht Mögliche das morgen Wirkliche sein kann, wenn man die erforderlichen Voraussetzungen dafür nüchtern sondiert und praktisch befördert. Realitätsgehalt und Modernität der zeitgenössischen Sozial-, Ideologie- und Politikkritik Weitlings und seiner Forderung an die Arbeiter, sich nicht Träumen zu überlassen, sondern sich ihrer Lebenswirklichkeit zustellen, verdeutlichen die Korrekturbedürftigkeit jener überholten Sichtweise.

Auch Theorieverlust bleibt nicht ungestraft. Der zum Stereotyp verknöcherte Kurzschluß einer vermeintlich schroffen Kluft zwischen Utopie und Wissenschaft hat das historische Selbstverständnis heutiger Sozialisten ausgehöhlt, beschnitten und verarmt. So oft der moderne Sozialismus den historischen Boden unter seinen Füßen verliert, so oft dogmatische Verknöcherung geschichtliche Vermittlungen ignoriert und zeitgenössische Impulse und Einflüsse aus dem Blickfeld geraten, läßt sich konkret nicht mehr herausfinden, was neue Theorie der bereits verfügbaren Erkenntnis hinzufügte. Zur Erklärung hinzu gewonnener Einsicht bleibt entweder der hilflose Hinweis auf das Genie, oder ein Dogma bietet als Notbehelf sich an. Am Fallbeispiel Weitling können wir von Kapitel zu Kapitel verfolgen, wie er, nicht anders als akademisch gebildete Zeitgenossen, aus praktischen Erfahrungen Einsichten gewinnt und überlieferte theoretische Erkenntnisse aus dem Babouvismus, Fourierismus, Saint-Simonismus oder Owenismus unter veränderten Bedingungen auf ihre Brauchbarkeit prüft, filtert, modifiziert oder verwirft. An dem, was sich davon in der Literatur reflektiert, werden wir in jedem Kapitel erneut verfolgen können, wie verheerend es sich im historischen Weitlingbild auswirkt, wenn dieser, in der geschichtlichen Wirklichkeit sehr langwierige, widersprüchlich verlaufende und kompliziert verflochtene Vermittlungsprozeß wissenschaftlicher Einsicht bei der Genesis des Marxismus schematisch und willkürlich gekappt wird und zur hermetischen Schranke zwischen Utopie und Wissenschaft erstarrt.

Unbestreitbar hebt die materialistische Geschichtsauffassung das zeitgenössische Gesellschaftsverständnis auf eine qualitativ höhere Stufe. Fraglos rüstet sie sozialistische Bestrebungen des modernen Industrieproletariats mit mehr historisch-realistischer Einsicht in ihre Möglichkeiten als vorhergehende Konzeptionen. Hauptsächlich an dieser theoretischen Bruchstelle schürzt sich seinerzeit ← 24 | 25 → der Konflikt zwischen Weitling und Marx und verdeutlicht die politischen Konsequenzen einer zunächst noch vorwiegend dem rationalistischen Aufklärungsdenken des 18. Jahrhunderts verhafteten Anschauungsweise. Das zeigt sich in der zu weit gehenden Revolutionserwartung Weitlings und der meisten seiner kommunistischen Kampfgefährten schon vor der Revolution. Doch täusche man sich nicht: Der Ausbruch der Revolution hat Marx und Engels genauso überrascht wie ihre sozialistischen Zeitgenossen. Ihre Konzentration auf das moderne Proletariat hat ihren Blick auch verengt. Untersucht man die politische Rolle Weitlings, Cabets und Blanquis in der Revolution von 1848/49, dann erweist sich einerseits, daß die Mängel ihrer theoretischen Ausrüstung sie nicht hinderten, in der entscheidenden Phase der Revolution das Richtige zu tun. Andererseits hat das erste Aufblitzen historisch-materialistischen Verstehens ökonomisch-politischer Zusammenhänge nicht einmal die Schöpfer der neuen Denkmethode gänzlich vor utopischen Erwartungen bewahrt. Allerdings werden Marx und Engels ihre unrealistischen Relikte früher als Weitling, Willich, Schapper und andere Sozialisten abstreifen.

Um die durch eineinhalb Jahrhunderte geschleppten Irrtümer auszuräumen, auf die der Leser in jedem Kapitel stoßen wird, bedurfte die Forschung außer einem anderen theoretischen Herangehen neuer Quellenfunde und darauf gegründeter Spezialstudien. Die Quellenbasis nicht nur meiner ersten Studien (1956; Buchfassung 1961) war notgedrungen kläglich. Im letzten halben Jahrhundert ist hierfür viel geleistet worden. Fehleinschätzungen in der damals verfügbaren Literatur waren größtenteils noch nicht überprüfbar. Immerhin kam zu den von Ernst Barnikol kurz vor der braunen Ära gewissenhaft bearbeiteten Quellentexten 1955 in der DDR die von Bernhard Kaufhold ebenso sorgfältig edierte Neuausgabe der Garantien der Harmonie und Freiheit, die die Textabweichungen der dritten Auflage von 1849 weitgehend berücksichtigt. 1962 überlieferte Werner Kowalski im Anhang seiner Monographie die Erstausgabe der Weitlingschen Programmschrift Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte. 1967 korrigierte ich im Nachwort der Neuausgabe der von Weitling autorisierten Fassung des Evangelium des armen Sünders die in meiner Arbeit von 1961 unbefriedigende Behandlung der Religionsproblematik. Erst Anfang der siebziger Jahre waren in der DDR mit dem ersten Dokumentenband zum Bund der Kommunisten (1971) und dem von Kowalski besorgten Reprint der Schweizer Weitling-Zeitschriften (1972) die wichtigsten europäischen Vormärzschriften Weitlings wieder greifbar.

Gleichzeitig erschien in der BRD eine erste solide recherchierte, ideengeschichtlich angelegte Weitlingstudie im Standardwerk von Thilo Ramm über Die großen Sozialisten (1955) und in der von ihm besorgten Anthologie (1956) das von Freunden Weitlings gerettete Evangelium eines armen Sünders. Wolfgang Schieder veröffentlichte im Vorfeld seiner Studien über Die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung (1963) Weitlings politische Lieder (1960) und sodann Schappers Programmentwurf Gütergemeinschaft. 1971 publizierte Wolf Schäfer die von Weitling autorisierte Ausgabe des Evangelium des armen Sünders mit einem Nachdruck der 1845 in Bern erschienenen veränderten 2. Auflage der Menschheit samt einem ← 25 | 26 → literaturkritischen Essay. Mit den von Ahlrich Meyer betreuten Neuausgaben der Garantien (1974) und der Gerechtigkeit (1977) lagen in den siebziger Jahren auch in der BRD die Frühschriften Weitlings wieder vor. Meyers instruktive Monographie über Frühsozialismus von 1977 bietet eine ideengeschichtliche Forschungsbilanz. Im gleichen Jahr unternahm Alexander Brandenburgs Untersuchung proletarischer Theoriebildungsprozesse eine theoretische Abkehr von immanent ideengeschichtlicher Betrachtungsweise. Mit meinen inzwischen veröffentlichten Spezialstudien korrespondierend erklärte der soziologische Neuansatz beider Forscher proletarische Theorie aus autonomen Bedürfnissen der praktischen Arbeiterbewegung und verweigerte sich gleichfalls dem Versuch, frühproletarisches Denken in Religion aufzulösen.

Die Weitling-Forschung der achtziger Jahre brachte neue Quellenaufschlüsse über seine Tätigkeit in der amerikanischen Emigration, die die Angaben von Wittke und Barnikol ergänzen und die Darstellung Schlüters korrigieren. Der von Gian Mario Bravo 1979 besorgten Reprintausgabe der Republik der Arbeiter folgte 1984 ein Verzeichnis des von Lothar Knatz und Hans-Arthur Marsiske geordneten New Yorker Weitling-Nachlasses, dessen Ziffern ich für die von mir benutzten Dokumente übernehme. In seiner Studie Utopie und Wissenschaft (1984) rekonstruiert Knatz den proletarischen Theoriebildungsprozeß Weitlings aus den konkreten historischen Bedingungen des am stärksten kapitalisierten Schneidergewerbes. Ihm verdankt die Forschung die überfällige vorurteilsfreie Sicht auf Weitlings Spätwerk. Aus dessen naturphilosophischen Studien veröffentlichte er die Einleitung zu seinem astronomischen Werk Mechanik des Himmels, bot Einblick in Weitlings Briefwechsel (1856–1866) mit dem namhaften Astronomen und Leiter der Smithsonian Institution in Washington, Joseph Henry und publizierte 1991 Weitlings Grundzüge einer allgemeinen Denk- und Sprachlehre.

1986 veröffentlichte Jürg Haefelin den Erstdruck der beiden Verteidigungsreden Weitlings nach dem Protokoll der Gerichtsakten. Im gleichen Jahr resümierte Marsiske in seiner Studie Wider die Umsonstfresser (1986) den erlangten Forschungsstand. Seine wirkungsgeschichtlichen Ermittlungen der Hamburger Resonanz Weitlings (1848/49) in Vereinen und Presse, eines in der Hamburger demokratischen Reform veröffentlichten Weitlingaufsatzes und der Mitgliederlisten seines Befreiungsbundes widerlegen die Legende vermeintlicher Isolierung Weitlings in der Arbeiterbewegung nach 1842. Der Dissertation Marsiskes entwuchs 1990 eine dokumentierte Darstellung der von Weitling organisierten Arbeiterbewegung in den USA: Eine Republik der Arbeiter ist möglich. Knatz und Marsiske veranstalteten 1988 eine Arbeitstagung in Hamburg, die der internationalen Weitling-Forschung Gelegenheit bot, ihre Ergebnisse vorzustellen (Protokollband 1989).

In der DDR-Forschung dieses Jahrzehnts erschien 1983 die von Wolfgang Hilger betreute, vorzüglich ausgestattete Quellen- und Studiensammlung, die die Magdeburger Technische Hochschule Otto von Guericke als Sonderheft ihrer Wissenschaftlichen Zeitschrift dem berühmten Sohn ihrer Stadt zum 175. Geburtstag widmete. Die von Lola Zahn besorgten deutschsprachigen Textausgaben von Saint-Simon (1977), Fourier (1980) und Owen (1989) erleichterten einem größeren Kreis ← 26 | 27 → den Zugang zu Weitlings westeuropäischen zeitgenössischen Quellen. Meine 1985 veröffentlichten Ermittlungen über Weitlings Rolle in der Revolution von 1848/49 erhellten erstmals diese Grauzone der Forschung. Bis dahin blieb sein Auftreten 1848 in Köln und auf den Berliner Arbeiter- und Demokratenkongressen ebenso wie seine vielfältigen Kontakte zu den Akteuren der Arbeiterverbrüderung entweder im Dunkeln oder von Vorurteilen überlagert. Angeregt wurde diese Studie durch zwei Weitling-Briefe aus der Revolutionszeit, die Jakob Rokitjanski fand und samt Anmerkungen der gemeinschaftlichen Veröffentlichung beisteuerte. In neuem Lichte erscheint seither sein Auftreten auf dem Berliner Arbeiterkongreß von 1848. Die aufgefundenen programmatischen Dokumente seines Befreiungsbundes, seine Bemühungen um politische Organisation der Arbeiter, seine Kontakte und kritische Einflußnahme auf Wortführer der Arbeiterverbrüderung und ihre anfängliche Strategie, seine journalistische Unterstützung der mecklenburgischen Verbindung und der Anschluß der seinem Befreiungsbund angehörigen deutsch-amerikanischen Vereine an diese erste überregionale und nunmehr interkontinentale Arbeiterorganisation, nach deren Muster er in den USA einen deutsch-amerikanischen Zweig der Verbrüderung organisieren wird – das alles verändert das Charakterbild des vermeintlich politisch sterilen, von der Arbeiterbewegung gänzlich isolierten Sektierers, das selbst Historiker von Rang einmütig von ihm zeichnen.

Das erstmals ausgewertete Kongreßprotokoll der Verhandlungen auf dem zweiten Kongreß der demokratischen Vereine im Oktober 1848 widerspricht dem Weitling bis heute nachgesagten chronischen Unvermögen, mit bürgerlichen Demokraten und Intellektuellen zurechtzukommen. Weitlings Mitarbeit in der Kommission für soziale Fragen und seine bis dahin entweder verschwiegene, bagatellisierte oder grotesk verzerrte politische Rolle auf dem Berliner Demokratenkongreß konnte geklärt werden. Daß ihm politische Hellsicht gebot, angesichts der drohenden Konterrevolution sein kommunistisches Maximalprogramm zurückzustellen und bürgerlichen Demokraten mit dem Programm einer sozialen Republik entgegenzukommen, hat ihn vor schizophrenen Richtsprüchen der Historiographie nicht geschützt. Galt er den einen weiterhin als Ultrakommunist, so brandmarkten andere sein Zusammengehen mit bürgerlichen Radikalen als Verrat an seiner Klasse.

Der 1972 von Ernst Theodor Mohl besorgte Reprint von vier Nummern der Weitlingschen Berliner Wochenzeitschrift Der Urwähler, den Wolf Schäfers Fund der fünften Nummer (1981) ergänzt, erlaubt, auch dieses zweite von Weitling herausgegebene Arbeiterblatt mit anderen Revolutionsjournalen zu vergleichen und sachgerecht einzuordnen. Die 1989 erstmals veröffentlichten autobiographischen Aufzeichnungen Weitlings aus den Jahren 1858 bis 1870 sind ebenfalls einer Anregung Rokitjanskis zu danken. Ihre Bearbeitung begann mit der Korrektur von Fehleinschätzungen Schlüters über Weitlings politische Haltung in den USA, die die vorliegende Studie durch eine Analyse seiner syndikalistischen Strategie und ihrer britischen Quellen vertieft. Zwei weitere Dokumentationen (1993 und 1995) berichtigten irrtümliche Annahmen über Weitlings Haltung zu Auswanderung und Kolonisation (1989). Sie erhellen zugleich seine noch immer gültige Analyse der geringen Überlebenschance sozialistischer Inseln im kapitalistischen Umfeld. Einige Weitling-Symposien der ← 27 | 28 → neunziger Jahre in Potsdam, Magdeburg und Heidelberg verdanken ihr Zustandekommen der Weitling-Verehrerin Ingeborg Philipp.

Die Fülle des in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlangten Erkenntnisstands verlangt seit langem, aufgearbeitet zu werden. Die in Quellenfunden und Spezialstudien hinzugewonnene Sachkenntnis hat sich in neuen Einsichten verdichtet und den kritischen Diskurs über neue Sichtweisen belebt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit suchen meine nunmehr vorliegenden Weitling-Studien die wichtigsten jüngeren Forschungsergebnisse zu verarbeiten, die eigenen wie die der andern, die das in älteren und den englisch- und italienisch-sprachigen Biographien von Wittke (1950) und Bravo (1963) nach wie vor Gültige ergänzen. Bravo krönte seine Weitling-Studien der sechziger Jahre mit dem 1979 besorgten Reprint der von Weitling zwischen 1850 bis 1855 in New York herausgegebenen deutsch-amerikanischen Zeitschrift Die Republik der Arbeiter. Diese von der Fachforschung nicht annähernd ausgeschöpfte Quelle liefert der jüngeren Weitlingforschung unverzichtbare Aufschlüsse über sein Wirken in Nordamerika und präzisiert unser Vor- und Nachmärzwissen. Sie ermöglicht, langlebige Klischeevorstellungen mit Sachverhalten zu konfrontieren. Die Forschungsergebnisse des letzten halben Jahrhunderts entrümpeln das Weitlingbild von schlimmsten Vergröberungen und Vorurteilen und markieren sein geistiges und politisches Profil klarer und feinnerviger als zuvor. Noch bestehende Grauzonen seiner Brüsseler und Londoner Zeit und seiner amerikanischen Emigration bleiben weiterer Erschließung vorbehalten.

Für Weitlings Wiener Jahre erlauben die archivalischen Ermittlungen von Ludwig Brügel, fragwürdige, in die Literatur übernommene Angaben von Zeitgenossen zu präzisieren. Aus seinem ersten Parisaufenthalt konnte ein lange mißdeutetes und prägendes Schlüsselerlebnis aufgeklärt werden, das sich in einer mißverständlichen Passage seines Hauptwerks niederschlug. Die als Notwehr gegen einen Ausnahmezustand erwogene Guerillakriegstaktik entwuchs der Hintergrunderfahrung der von den Aprilgesetzen 1834 provozierten Aufstände und der ihnen 1835 folgenden Monsterprozesse gegen die Republikaner. Als Form des Widerstands gegen eine Unterdrückung der Meinungs-, Presse- und Organisationsfreiheit kann sie nicht schlechthin als Element seiner Revolutionsstrategie gelten.

Der Analyse der Programmdebatte des Bundes der Gerechtigkeit und der Weitlingschen Programmschrift während seines zweiten Pariser Aufenthalts kommen Schieders Erstveröffentlichung der 1834 übersetzten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, seine Entdeckung der Schapperakte und Grandjoncs Fund der Strähl-Briefe zugute. Der nun mögliche Vergleich ermißt das Spannungsfeld der erörterten Problematik und markiert offen bleibende Fragen. Erstmals markiert werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in frühen Positionen von Schapper und Weitling, die sich später verschärfen. Schärfer als bisher wird das sozialistische Demokratieverständnis Weitlings umrissen, das sich auf der Höhe sozialistischer Wortführer in Westeuropa bewegt. Die Untersuchung der Rolle Weitlings im französischen Schneiderstreik von 1840 schöpft aus den Spezialstudien von Jean-Pierre Aguet und Meyer. Meine Analyse der politischen Lieder Weitlings knüpft an Aufschlüssen Schieders an und präzisiert die Zweckbestimmung der vom Bund ← 28 | 29 → der Gerechtigkeit herausgegebenen Liedersammlung Volks-Klänge. Unschätzbaren Gewinn für die historische Einordnung Weitlingscher Texte im Spannungsfeld der zeitgenössischen radikaldemokratischen bis neobabouvistischen Literatur brachten die vorzüglich edierten und kommentierten Quellensammlungen von Kowalski, Gerlach und Ruckhäberle zur in der Schweiz und in Frankreich herausgegebenen Vormärz-Exilliteratur.

Noch in jüngster Geschichtsliteratur strafen sich Forschungsdesiderate über die drei Entwicklungsphasen des Jungen Deutschland in bisweilen konfusen Fehlinterpretationen, die schon in der Arbeit von Kaler auftauchen. Die Weitling fälschlich zugeschriebene Gelehrtenfeindschaft entwuchs trüben Erfahrungen der Arbeiter in den ersten Phasen des Schweizer Jungen Deutschland, dem nicht Weitling, sondern Schapper angehörte; die dritte junghegelsche Phase des Jungen Deutschland aber begann, als Weitling nicht mehr in der Schweiz war. Verläßlich berichten über Weitlings theoretisch und politisch führende Rolle in den Schweizer Jahren Otto Brugger und Otto Gruner, über seine Schweizer Kontakte die jüngeren Aufschlüsse Marc Vuilleumiers und Walter Grabs. Punktuell korrigiert und ergänzt wird die von Kowalski und Bravo begonnene Autorenbestimmung der Schweizer Zeitschriften, zumal die Mitarbeit Sebastian Seilers, dessen Beiträge vorwiegend Weitling zugeschrieben wurden. Diese Arbeit erschließt und ergänzt die in der Forschung vernachlässigten, 1843 geknüpften Kontakte Weitlings zu Züricher Radikalen, darunter zu Georg Herwegh, August Adolf Follen, Julius und Karl Fröbel, Wilhelm Schulz, Michail Bakunin und Wilhelm Marr, samt deren wechselseitigen philosophischen und politischen Niederschlag.

Meinem Mann danke ich die nochmalige Durchsicht des Schweizer Weitlingfonds und anderer Dokumente. Sein Fund zweier übersehener Briefe erlaubt, Weitlings Revolutionstheorie von der zählebigen Legende zu befreien, dieser Pionier der Arbeiterbildung habe – von seinen Gefährten unwidersprochen – seine Hoffnung auf die Verelendung des Volkes und einen Aufruhr des »stehlenden Proletariats« gesetzt. 150 Jahre lang stützte sich diese Hypothese auf ein fatales Mißverständnis zweier Korrespondenten, die Weitling diese unsinnigen Ideen zuschrieben und weder seinen Widerspruch noch den seiner Schweizer Gefährten beachteten. In der überraschenden Berührung mit Georg Büchners Gewalttheorie verrät sich intensiver Gedankenaustausch mit dem Vertrauten Büchners August Becker, vielleicht auch Aufschlüsse von Wilhelm Schulz. Die vorliegende Analyse der Revolutionstheorie Weitlings bricht mit eindimensionalen Bewertungsmaßstäben. Sie ordnet seine Strategie in den Schriften vor, während und nach der Revolution dem zeitgenössischen Erkenntnisstand ein. Anders als in statischer Betrachtungsweise sondiert sie hierbei konstante und variable Komponenten seines Denkens. Sie sucht der politischen Leistungsfähigkeit seiner Konzeption gerecht zu werden. Deren Schranken erklärt sie teils theoretisch bedingt, teils fehlender politischer Erfahrung geschuldet. Schließlich erörtert sie sein Programm einer sozialen Revolution, das sich bisher gewöhnlich im Schatten der Diebstahlstheorie verlor.

Diese Studie erhellt meine heutige Sicht zur weltanschaulichen Einordnung und zu sozialpolitischen Determinanten seiner Religionskritik. Sie korrigiert ← 29 | 30 → älteren eigenen Irrtum, untermauert gültige Einsichten in der Arbeit von Ellen Drünert über Die religiös-ethische Motivation des Kommunismus (1979) mit zeitgeschichtlichen Zusammenhängen. Überdies nutzt und ergänzt sie auf breiterer Quellenbasis die Untersuchung von Wolfram von Moritz über Religiöse Problematik und literarische Form (1981). Meine ältere Kritik vermeintlicher Mystik, die Weitlings pantheistischer Religionsauffassung unterstellt wird, kann sich inzwischen auf die von Lothar Knatz 1991 besorgte und kommentierte Textausgabe der Weitlingschen Grundzüge einer allgemeinen Denk- und Sprachlehre stützen. Enthüllt wird ein Impuls, den Weitling für den materialistischen Holbachschen Denkansatz seiner Religionskritik einer Schrift von Bruno Bauer verdankt. Seine Religionsphilosophie stützt sich ontologisch und erkenntnistheoretisch auf Ergebnisse der junghegelschen Religionskritik von David Friedrich Strauß, Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach und führt sie dank seiner Kenntnis französischer Literatur sozialhistorisch weiter. Das Vorurteil über Weitlings nihilistisches Verhältnis zur Philosophie kann als widerlegt gelten. Neu untersucht werden seine Londoner Zeit von 1844 bis 1846 samt seiner Korrespondenzen in der deutschen Publizistik. Seine Beziehungen zu englischen Sozialisten und Kommunisten wie Goodwyn Barmby und Jakob Holyoake, seine Rolle als Mitbegründer der Fraternal Democrats und sein Auftreten in der englischen Öffentlichkeit ist kaum bekannt. Auch die Fehleinschätzung seiner Rolle im Londoner Kommunistischen Arbeiterbildungsverein dieser Jahre erfährt eine gründliche Korrektur.

Aufgenommen und ergänzt wird meine Untersuchung der achtziger Jahre zu Weitlings praktischem Verhalten in der Revolution von 1848/49. Auch hier bricht die Studie mit statischen Erklärungsmodellen und eindimensionalen Bewertungskriterien. Sie verfolgt den Wandel des durch Emigration innerdeutschen Verhältnissen Entfremdeten von politisch zunächst illusionärem zu wachsend realistischem Verhalten im Verlaufe der Revolution. Sein Programm einer sozialen Demokratie und seine politische Strategie der Arbeiteremanzipation können sich durchaus am Standard progressiven zeitgenössischen Denkens messen. Das gilt für den Vergleich mit der Neuen Rheinischen Zeitung ebenso wie für den mit der Arbeiterverbrüderung. Inzwischen greifbare Quellen erschließen in vielem eine neue Sicht. Der 1975 von Rolf Weber betreute Reprint Die Verbrüderung, die 1979 von Horst Schlechte zusammen gestellten Dokumente über Die Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung und die 1983 von Dieter Dowe und Toni Offermann veröffentlichten Protokolle Deutsche Handwerker- und Arbeiterkongresse 1848–1852 erlauben, langlebige Fehlurteile zu berichtigen. Hierzu gehören die seit Max Quarck gebräuchliche Identifikation des Weitlingschen Projekts eines Sozialparlaments mit dem von Karl Georg Winkelblech und der Kurzschluß über das vermeintliche Zünftlertum des Frankfurter Gesellenkongresses.

Die vorliegende Arbeit berichtigt anhand der Sachverhalte die bis heute in Standardwerken verbreitete Sichtweise, die Weitling nach 1842 ein weltanschauliches Abgleiten in Mystizismus, theoretische Sterilität, politische Stagnation und historische Wirkungslosigkeit bescheinigt. Sie korrigiert durchgängig das vorherrschende Zerrbild seiner spätestens Mitte der vierziger Jahre zunehmenden ← 30 | 31 → Isolation, das ihm jeden weiteren progressiven Einfluß auf die praktische Arbeiterbewegung und auf bürgerliche Radikale abspricht. Methodisch bricht meine Untersuchung mit gebräuchlichen Bewertungskriterien und sucht Genesis, Modifikation und Entwicklung seiner Einsichten aus praktischen Erfahrungen, politischen Kontakten und literarischen Einflüssen abzuleiten und im zeitgenössischen Vergleich zu bewerten.

Was über seine Aktivität in Arbeiter-, in allgemein demokratischen Vereinen und in der Publizistik vor, während und nach der Revolution und über die nationale und internationale Ausstrahlungskraft seines Wirkens zutage gefördert wird, widerspricht Einschätzungen der Historiographie, die seine Differenzen mit einigen Mitgliedern des Bundes der Gerechtigkeit unzulässig als Zerfall mit der Arbeiterbewegung schlechthin darstellen. Solche Vorurteile aber haben länger als ein Jahrhundert die Erforschung seiner Rolle während und nach der Revolution geradezu blockiert. Die vorliegenden Resultate widerlegen ein Geschichtsbild, das seine tatsächliche Aktivität vor, während und nach der Revolution weitgehend ausblendet, bagatellisiert oder als Störkomponente abwertet. Auch deshalb räume ich der nachhaltigen Ausstrahlungskraft seiner Schriften nicht nur auf deutsche Arbeiter und Intellektuelle größeren Raum ein als üblich. In der historischen Wirklichkeit reicht das Prisma des öffentlichen Interesses von deutschen Junghegelianern wie Bruno Bauer, Marx, Engels, Ludwig Feuerbach, Heinrich Heine bis Georg Weerth; von Karl Heinzen, Wilhelm Marr bis zu Max Stirner, vom russischen Revolutionär Michael Bakunin über den französischen Kommunisten Théodore Dézamy und den belgischen Sozialrevolutionär Prosper Esselens bis zu dem Chartisten George Julian Harney, dem Owenisten Goodwyn Barmby, dem britischen Freidenker George Jacob Holyoake; von schweizerischen Radikalen wie Louis Henri Delarageaz und Karl Fröbel bis zum Züricher Staatsrat Johann Caspar Bluntschli, zum preußischen Polizeipräsidenten Friedrich von Hinckeldey und zum Fürsten Clemens von Metternich.

Die Erschließung der journalistischen, politischen und theoretischen Tätigkeit Weitlings in der deutsch-amerikanischen Arbeiterbewegung der fünfziger Jahre stützt sich auf jüngere Dokumentenfunde, Texteditionen und Forschungsergebnisse von Bravo, Knatz und Marsiske. Ihre Untersuchungen seiner naturwissenschaftlichen Interessen und seiner politischen Tätigkeit in der deutsch-amerikanischen Arbeiterbewegung ergänzen und korrigieren oberflächliche Mitteilungen Schlüters über Weitlings letzte Schaffensperiode. Knatz ordnet Weitlings astronomische und naturwissenschaftliche Studien erstmals wissenschaftsgeschichtlich dem zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Interesse deutscher Sozialisten ein. Er entreißt seine astronomischen Interessen dem in der Literatur vorherrschenden Unverständnis und der früh einsetzenden Pathologisierung seines Erkenntnisdrangs. Die im letzten Lebensjahrzehnt auftretenden Symptome von Selbstüberschätzung, die die Forschung irritieren, zumal sie seiner erkenntnisoffenen Haltung widersprechen, können psychischen Begleiterscheinungen eines unerkannten Diabetes zugeordnet werden. Marsiskes Arbeiten erweitern unsere Kenntnis der sozialpolitischen Aktivität Weitlings und seiner Schwierigkeiten mit der Kolonie, ← 31 | 32 → die sich seinem Arbeiterbund angeschlossen hatte und seine Pläne einer Republik der Arbeiter untergrub. Jüngere Untersuchung seiner Tätigkeit als Gründer und Organisator der deutsch-amerikanischen Arbeiterbewegung zwischen 1846 und 1856 führt die These seiner vermeintlichen Isolierung seit 1843 ad absurdum. Nie zuvor hatte er so großen Masseneinfluß wie 1850 in den USA. Meine Ermittlungen zu den 1989 mit Rokitjanski herausgegebenen autobiographischen Skizzen aus Weitlings letzten Lebensjahren untermauern diese Ergebnisse. Auf Dokumente des New Yorker Nachlasses und seine Zeitschrift gestützt, korrigieren sie die unhistorischen Kriterien der Arbeit Schlüters, der Weitlings syndikalistische Strategie an Möglichkeiten eines modernen Industrieproletariats mißt, das sich erst in den achtziger Jahren herausbildet. Der derzeitige Forschungsstand erlaubt einen unvoreingenommenen Blick auch auf Weitlings letzte facettenreiche und tragische Lebensperiode, der die angloamerikanische Literatur besser gerecht wird, als die elitär geprägte deutschsprachige. Berücksichtigt wird das zunächst verständnislose und widersprüchliche, sich erst später wandelnde Verhältnis von Marx und Engels zu Weitling. Es leidet lange unter ihrer soziologisch undifferenzierten Auffassung des Frühproletariats und seiner syndikalistischen Strategie. Beide unterschätzen zu Weitlings Lebzeiten den anderen Weg zu sozialwissenschaftlicher Einsicht, der sich bei Wortführern der elementaren Bewegung, jenseits der Hörsäle, auf eigene und überlieferte Erfahrung stützt und Erkenntnisse wie die der linksricardianischen Ökonomie durchaus wahrnimmt. Marx’ und Engels’ Einstellung wandelt sich während ihrer Tätigkeit in der Ersten Internationale, im Ergebnis ihrer Studien der Pariser Commune und unter dem Einfluß von Mitgliedern der Internationale wie Friedrich Adolf Sorge und Adolf Douai. Neu erschlossen wird die theoretische Beziehung der syndikalistischen Strategie Weitlings zu dem angloamerikanischen Linksricardianer John Francis Bray. Der erstmals dokumentierte öffentliche Briefwechsel zwischen Weitling und Heinzen veranschaulicht sein Bemühen um ein politisches Bündnis mit bürgerlichen Republikanern für eine soziale Republik. Er enthüllt Berührung und Brüche zwischen bürgerlich republikanischem und kommunistischem Demokratieverständnis. Aus seinem letzten Lebensjahrzehnt berichtet der Nachlaß über sorglose wie kummervolle Jahre. Nordamerikanische Historiker schildern Weitling einmütig als vorbildlichen Ehemann und Vater von sechs Kindern.

Die gewonnenen Einsichten sind unverzichtbar für eine geschichtsgerechte Bewertung seiner Verdienste. Die gelten für Bildung, kulturelle Veredelung, Politisierung und Organisation der deutschen Arbeiter. Sie werden ablesbar am Werdegang der embryonalen zur politisch selbständigen Arbeiterbewegung und – wenn auch schwerer fassbar – an seinem Einfluß auf die soziale Profilierung vornehmlich politisch orientierter Demokraten. Sein Beitrag zur politischen Kultur der modernen Gesellschaft kristallisiert sich u. a. in der Versachlichung der öffentlichen Debatte. Um den kritischen Blick des Lesers zu schärfen, komme ich, wie in früheren Studien, nicht umhin, auf eingeschliffene Irrtümer aufmerksam zu machen. Meine Kritik gilt nicht Personen, sondern Auffassungen. Sie versucht u. a. die theoretischen und methodologischen Ursachen zäher Vorurteile freizulegen. In etlichen ← 32 | 33 → Irrtümern der andern von heute bemängele ich meine eigenen von gestern, wohl wissend, daß das heute Gewußte schon morgen fragwürdig sein kann.

Antje Gerlach beklagte schon 1975 den Mangel einer Gesamtausgabe seiner Schriften und eines umfassenden Werks über den Schneider, Schriftsteller und Propagandisten. Beides fehlt noch immer. Weitlings Werke sind seit langem im Buchhandel nicht mehr greifbar. In der Literatur ist das, was er dachte und schrieb, von einander widersprechenden Angaben überwuchert; strittige Auffassungen sind für Leser unserer Tage kaum noch überprüfbar. Urteile stützen sich bisweilen auf eine Geröllhalde zerrissener und verstümmelter Zitate. In der vorliegenden Darstellung soll sich der Leser auf keine weitere fragwürdige Interpretation verlassen müssen. Zu umstrittenen Problemen kommt Weitling zusammenhängend zu Worte.

Über Jahrzehnte hinweg haben unzählige Personen und Institutionen meine Forschungen direkt oder indirekt gefördert. Materielle Unterstützung für aufwendige Archivstudien der sechziger bis achtziger Jahre gewährte mir das Institut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Ohne die verständnisvolle Förderung von Herrn Professor Dr. Helmut Bleiber und ohne die bibliothekarische Hilfe von Frau Hannelore Rothenburg und Frau Hella Adomatis wäre vieles nicht zustande gekommen. Die meisten französischen Quellentexte für die Anthologie Von Babeuf bis Blanqui verdanke ich der großzügigen Hilfe von Frau Dr. Olga Sinekina, Frau Dr. Irma Sinelnikowa, Frau Dr. Sonja Lewiowa und Herrn Dr. Jefim Pawlowitsch Kandel im damaligen Moskauer Parteiinstitut und Archiv. Die mit der Abwicklung der Akademie verlorene institutionelle Unterstützung meiner Arbeit gewährte mir in den neunziger Jahren das Karl-Marx-Haus in Trier. Herr Dr. Hans Pelger ermöglichte meinem Mann und mir mehrere Arbeitsaufenthalte im dortigen Studienzentrum und übernahm nach dem Tode meines Mannes die Durchsicht einiger Kapitel dieser Arbeit. In Trier halfen mir die Damen und Herren Elisabeth Neu, Karl Ludwig König, Erika und Dieter Wagenbach jahrelang bei der Beschaffung von Rara. Ihnen und dem französischen Forscher Prof. Dr. Jacques Grandjonc von der Université Aix-en Provence verdanke ich viel.

Von den genannten Archiven, die meine Ermittlungen unterstützten, bin ich besonders verpflichtet den Mitarbeitern des Staatsarchivs Zürich und der Zentalbibliothek Zürich, des International Instituut voor Sociale Geschiedenis in Amsterdam, des Rossijskij gosudarstvennyj archiv social’no-političeskoj istorii in Moskau, ferner der Bibliothèque Nationale de France in Paris und Frau Herrada in der University of Michigan, Ann Arbor und nicht zuletzt den Archivaren des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt in Magdeburg. Ungewöhnlich großzügige Hilfe gewährten mir die leitenden Archivare des Instituts für Zeitungsforschung in Dortmund und Herr Dr. Horst Schlechte im Hauptstaatsarchiv Dresden; ferner die Mitarbeiter des Staatsarchivs Hamburg und der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel. Die Allhusen-Akten aus dem Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig besorgte mir der schwedische Forscher, Herr Prof. Dr. Erik Gamby, Uppsala; etliche Dokumente erhielt ich aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien und aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin. ← 33 | 34 →

Den Weitling-Nachlaß aus der New York Public Library verdanke ich Herrn Dr. Hans-Arthur Marsiske, der mir auch seine Dissertation scannte. Den Artikel über Weitling aus der jüngsten Ausgabe der American National Biography, 1990 schickte mir Herr Professor Dr. Malcolm Sylvers; desgleichen eine zeitgenössische politische Landkarte von Nordamerika. Bildmaterial aus der Schweiz verdanke ich den Herren Manfred Vischer aus Winterthur, Simon Spengler in Schmitten und Jochen Balzer in Berlin; Fotos von Weitlings Wohnstätten in New York überließ mir Herr Professor Dr. Lothar Knatz, Bremen. Er las einige Kapitel dieser Arbeit. Frau Katja Behm und Herr Simon Spengler (Schweiz) redigierten das umfängliche XI. Kapitel. Der Bibliographie kommen Hinweise von Herrn Professor Dr. Manfred Hahn aus Worpswede zugute. Ihnen allen fühle ich mich dankbar verbunden. Ohne die selbstlose Hilfsbereitschaft meines Mannes aber wäre diese Arbeit Projekt geblieben. Bis kurz vor seinem Tode machte er Material für die Brüsseler und Londoner Emigration für mich lesbar, entwarf die Struktur und 150 S. des Anhangs und erstellte eine detaillierte Übersicht meiner in Archiven und Bibliotheken gefundenen Dokumente. Er besorgte die nochmalige Durchsicht der für mich kaum mehr lesbaren Handschriften und kollationierte die Quellenbelege der ersten 500 Seiten. Es mag äußerlich nicht auffallen: Meinen heutigen Blick auf das sozialhistorische Panorama des 19. Jahrhunderts gewann ich aus zwei parallel verlaufenden, einander ergänzenden Forschungssträngen. Das betrifft nicht nur, doch insbesondere die geistigen Berührungen Weitlings mit anderen Sozialisten, die sich wie Marx und Engels als politische Rechtsanwälte der Arbeiter verstanden und sich als solche um die Jahrhundertmitte Kommunisten nannten.

Mein Bemühen um historisch gerechte Bewertung der Auffassungen Weitlings und ihrer Differenzen mit Einsichten seiner Zeitgenossen verdankt wesentliche theoretische Impulse den Arbeiten meines Mannes über Ludwig Feuerbach (1960) und etlichen, seiner Tätigkeit am Marx-Engels-Wörterbuch (1961–1972) entwachsenen Studien und Texteditionen. Das gilt insbesondere für geistige Berührung mit dem jungen Marx und späten Engels, aber auch mit Junghegelianern wie Heine, Bruno Bauer, Heinzen und anderen Es gilt noch mehr für sein Freilegen der geistigen Fäden zwischen Marxschen Frühschriften und Hegels Philosophie und für die in seinen Analysen der Positionen von Marx und Engels hervorstechende Historisierung früher Auffassungen beider, die Meiser für die Folgejahre weiterführte. Beides erleichtert den Bruch mit unhistorischen Maßstäben einer Geschichtsschreibung, die theoretische Einsichten des Weitling von 1842 an Marx’ Erkenntnissen der sechziger Jahre misst.

Parallel zu den Marxs/Engelsstudien meines Mannes kristallisieren sich in meinen, ebenfalls in den sechziger/siebziger Jahren unternommenen Untersuchungen sozialistischer und kommunistischer Strömungen im Frankreich der Julimonarchie und deren Einschätzung in Schriften des jungen Marx und späten Engels, offene Fragen. Grobschlächtiger Umgang mit dieser Problematik brachte mich in latenten Konflikt mit Forschung und Historiographie. Meine, im Bemühen um historische Einordnung der Beziehungen beider Geistesströmungen sich herausschälenden Fragen treffen sich tendenziell mit den in den Marxstudien angewandten Verfahren meines Mannes. Politische, theoretische, sozialökonomische und kulturelle ← 34 | 35 → Berührung wie Brüche zwischen der Denkweise von Marx und Engels und derjenigen theoretischer und politischer Wortführer des vorindustriellen Proletariats wie Weitling gehören dazu.

Kraft dieses jüngeren Forschungsfundus, über den ich 1961 noch nicht verfügte, kann ich präziser ermitteln, in welchen Punkten Weitling den Erkenntnisstand französischer Sozialisten und Kommunisten teilte. Dennoch vermochte ich erst im Vorfeld dieser monographischen Studie schärfer aufzuhellen, in welchen theoretischen und politischen Fragen Weitling Grundpositionen des kontinentalen Kommunismus hinter sich ließ, welche Grenzwerte er sprengte und wodurch sein Kommunismus jene originelle Legierung erfuhr, die ihm seinen intereuropäischen Ruhm verschaffte. Was bisherige Weitlingforschung übersah: In seinen originellen Fragestellungen verschmelzen intensive Studien der linksricardianischen Ausrüstung der englischen Arbeiterbewegung, des französischen Materialisten Holbach und der babouvistischen Tradition mit junghegelscher Religionskritik zu einer neuen Legierung. Theoretisch gerinnt das im Bruch mit der naturrechtlichen Begründung der Menschenrechte, insbesondere mit dem babouvistischen Gleichheitskommunismus; es profiliert sich im markant ökonomischen Ansatz seiner aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung abgeleiteten Klassen-Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse. Aus seiner Analyse historischer Formen des Privateigentums an Boden und Produktionsmitteln und seiner Kritik der Austauschformen und Geldbeziehungen gewinnt er – im offenen Konflikt mit Proudhon – eine gegen Finanzspekulationen gerichtete, auf Realproduktion gestützte Reform der Währung und des Austauschs. Politisch markiert sich sein Neuansatz im Verlangen nach Ablösung des korrupten Parteienparlamentarismus durch direkt gewählte, verantwortliche Arbeiterparlamente und in Verachtung für ein Demokratieverständnis, das sich mit dem Wahlakt begnügt. Schließlich bricht es mit der jakobinischen Revolutionsstrategie, die die Reichen köpft und den Reichtum nicht antastet. Vom angloamerikanischen Linksricardianer John Francis Bray beeinflußt, hofft er, unter demokratischen Bedingungen der USA die Herrschaft des Finanzkapitals unblutig, auf ökonomischem Wege, kraft nationaler Organisation kooperierender Produzenten und einer auf Realproduktion gestützten Währung entwurzeln zu können. Überregionale selbstverwaltete Kooperative sollen einen gerechten Austausch investierter Arbeitskraft organisieren. Weitling unterschätzt die Regenerationsfähigkeit des Finanzkapitals und den langen Atem der Geschichte ähnlich, wie zunächst fast alle Achtundvierziger. Marx und Engels nehmen sich selbst davon nicht aus.

Meine vergleichenden Ermittlungen ergänzen die Untersuchungen meines Mannes und liefern mir die Grundlagen zu konkreter Analyse von Berührungs- und Bruchstellen zwischen zeitgenössischem Denken von Marx und Engels und Einsichten Weitlings und anderer Sozialisten der vorindustriellen Epoche. Sie helfen, unhistorische Bewertungsmaßstäbe zu korrigieren, nicht nur die, die Einsichten des Weitling von 1842 an denen des Marx in von 1864 messen, sondern auch jene, die Marx’ und Engels’ spätere Selbstkorrekturen außer Acht lassen. Erfahrungen beider in der Internationale und der Freundesrat eines Friedrich Adolph Sorge und Adolf Douai veranlassen Marx, einige Kurzschlüsse zu revidieren. Die lange ← 35 | 36 → als »kleinbürgerlich« geschmähte syndikalistische Strategie der Kooperation erschließt sich nun auch Marx als »proletarische Ökonomie« der vorindustriellen Epoche. Meine Studie erhellt, dass Marx und Engels jenes 1871 bewunderte Demokratiemodell der Pariser Commune schon Ende der dreißiger Jahre bei Weitling und westeuropäischen Kommunisten entdecken konnten. Gleiches gilt für ihr und andere Junghegelianer anfängliches Unverständnis für das spezifisch Proletarische in Weitlings Arbeitswert- und Geldtheorie (sein Kommerzbuchprojekt von 1842) oder für das sozialrevolutionäre Potential religiöser Strömungen.

1973 eröffnete die administrative Auflösung der Arbeitsgruppe Marx-Engels-Wörterbuch meinem Mann und mir die längst erwünschte Möglichkeit gemeinsamer Projekte. Zu deren Auftakt übernahm mein Mann die Abfassung der Literaturregister meiner 1974 druckreif vorliegenden Frankreich-Anthologie. Seine Beiträge über Babouvismus, Saint-Simonismus, Fourierismus und Arbeiterkommunismus für das Philosophische Wörterbuch (1974) schöpfen bereits aus dem verfügbaren Konvolut. Unser längst gehegtes Vorhaben gipfelte in einer der französischen adäquaten Studien- und Textausgabe deutscher sozialistischer Bestrebungen im 18. (J. H.) und 19. Jahrhundert (W. S.-H.). Andere Aufgaben (die Textedition der Briefe Wolfgang Strähls (1988), und unsere erste gemeinsame Edition: die Briefe deutscher Ikarier aus Cabets Kolonie Nauvoo (2002) durchkreuzten unser Vorhaben. Für die deutsche Anthologie liegen außer der Quellensammlung und theoretischen Analysen Einzelstudien nur zu Johann Joachim Becher und Johann Konrad Dippel (J. H.) sowie zu Karl Georg Allhusen und Wolfgang Strähl (W. S.-H.) vor. Doch erbrachten diese »Seitensprünge« theoretische Studien zu Egalitarismus, Demokratie und Kommunismus, die sowohl das Verständnis politischer Berührung und Brüche zwischen sozialen Republikanern und Kommunisten – etwa Weitling und Heinzen in den USA – als auch zwischen kommunistischen Strömungen – Cabet und Weitling – aber auch zwischen wahrsozialistischen Vertretern und Weitling – deutlich schärften. Anders bewertet werden sowohl Weitlings Geschichtsdenken als auch seine Kritik der zeitgenössischen Ökonomie, insbesondere der proudhonistischen Bankprojekte in Europa und USA. Neu erschlossen wird Weitlings Haltung zum Befreiungskampf der Farbigen in den USA. Aus seinen letzten Lebensjahrzehnten erfahren wir einiges über seine in fünf Patenten dokumentierte technische Kreativität und den unbezähmbaren naturphilosophischen Forschungsdrang im Bereiche der Astronomie. Rastlos vervollständigt er das in seiner Denk- und Sprachlehre erstrebte universelle Weltbild.

Meinen heutigen Blick auf die Rolle Weitlings und anderer Sozialisten, die sich mit ihrem Verlangen nach einer grundlegend umwälzenden gemeinwirtschaftlichen Ordnung von gemäßigten sozialen Reformprogrammen abgrenzend, als Kommunisten verstanden, konnte ich im sozialhistorischen Panorama des neunzehnten Jahrhunderts so vorstellen, wie ich sie seit geraumer Zeit im Kopf habe. Meine Auswertung jüngster Literatur leidet unter der Erblindung, die mir seit Jahren mehr als die Nutzung öffentlicher Bibliotheken verwehrt. Vom fünften Kapitel an, da ich die französische Ausgabe Holbachs gebraucht hätte, fehlte mir die unersetzliche bibliothekarische Assistenz meines Mannes. ← 36 | 37 →

Zwar bot mir 2007 Herr Prof. Dr. Manfred Neuhaus (Leipzig) sogleich umfassende Hilfe an. Zur Redaktion der Texte und Literaturregister empfahl er die zuverlässige Hilfe von Frau Eveline Barth. Sie redigierte zehn der 2008 vorliegenden elf Kapitel. Jedoch endete früh und unvermittelt die für mich schwer verzichtbare Kommunikation. Herr Neuhaus ergänzte die Quellenbelege aus der MEGA, ermittelte wirkungsgeschichtliche Aufschlüsse zur internationalen Resonanz Weitlings und erstellte das Verzeichnis der zeitgenössischen Presse, der Schriften und Korrespondenz Weitlings. Doch das Vertrauensverhältnis zu ihm litt bald unter abnormer Unzuverlässigkeit und eigenmächtigem Umgang mit meinen Texten. Es zerbrach Ende Mai 2013 angesichts inhaltlicher Eingriffe von fremder Hand und der nach sechs Jahren noch unfertigen Druckfassung.

Herr Gordon Protz (Berlin) erschloß die fehlenden handschriftlichen archivalischen und bibliothekarischen Quellen der Autorin, ergänzte den größten Teil des Anhangs und übernahm die Durchsicht sämtlicher Texte. Herr Dr. François Melis verglich meine Literaturangaben mit dem Verzeichnis von Herrn Neuhaus und ermittelte 50 fehlende Belege zu markanten Schwerpunkten meiner Untersuchung. Das Personenregister erstellte Herr Dr. Hans-Arthur Marsiske (Hamburg). Ihm und Ingo Draeger (Görlitz) danken wir die erforderliche Neuformatierung der Texte und die neue Druckfassung.

Herr Daniel Neuhaus besorgte die vorzügliche graphische Gestaltung der Tabellen und Abbildungen; mit Frau Katja Behm die karthographische Darstellung der Propagandareisen Weitlings durch die Unionsstaaten. Zudem beschaffte er etliche Internetquellentexte zum letzten Lebensabschnitt Weitlings in den USA. Auf seine im zweiten Teil unbefriedigende Zeittafel muß leider verzichtet werden.

Der selbstlosen Unterstützung Herrn Simon Spenglers (Schweiz), der 2010/11 die erste Redaktion des umfänglichen Amerikakapitels übernahm, gleicht die jahrelange Hilfsbereitschaft meiner Freunde Frau Dr. Anne Adams, Frau Katja Behm und Herrn Peter Erben am Computer und beim Scannen. Ihnen verdanke ich viele, ohnedies für mich unlesbare Drucktexte. Mit Frau Sophie Schäfer fertigten sie Kopien und Exzerpte aus Bibliotheken, passten die Computertechnik (Logox) erschwerten Bedingungen an und lasen Rohtexte und Druckfahnen der letzten Kapitel. Jahrelang half mir Herr Dr. Bodo Morawe (Paris); er korrigierte in Krisenzeiten meine Texte und ermutigte mich unermüdlich. Frau Dr. Anne Adams und die Herren Dr. Alexander Brandenburg (Bochum), Ingo Draeger und Gordon Protz übernahmen die letzte Druckfahnenkorrektur der beiden Bände. Herrn Dr. Knieriem (Xanten) und Herrn Prof. Dr. Walter Schmidt (Berlin) danken wir die Durchsicht mehrerer Kapitel.

Für Druckkostenzuschüsse danke ich bewegt Frau Dr. Maid Koehler (Berlin) und Herrn Dr. Michael Knieriem (Xanten); desgleichen den Herren Götz Langkau (Amsterdam) und Dr. Michael Buckmiller (Hannover) für ihre erfolgreichen Bemühungen um Finanzierung des Drucks. Mit Wärme gedenke ich der vielen ungenannten Freunde und Kollegen, die mir jahrelang Hilfe anboten und gewährten. Besonders herzlich verbunden weiß ich mich Herrn Prof. Dr. Helmut Reinalter für sein anhaltendes Interesse, sein Verständnis und seine Geduld angesichts ← 37 | 38 → unerwarteter Schwierigkeiten. Er sicherte sofort die jahrelang stockende Veröffentlichung, mühte sich energisch um die für den Druck erforderlichen beträchtlichen Mittel und brachte mit dem Lektorat im Peter Lang Verlag binnen Monaten zustande, was bis dahin in sechs Jahren unerreichbar schien. ← 38 | 39 →

 

Redaktionelle Notiz

In den zitierten Quellentexten wird die ursprüngliche Schreibweise der benutzten zeitgenössischen Vorlagen und jüngeren Textausgaben beibehalten. Offensichtliche orthographische, grammatikalische und Interpunktionsfehler werden stillschweigend berichtigt. Sinnentstellende Fehler werden mit einem durch eckige Klammern gekennzeichneten Vermerk korrigiert.

Auslassungen in Zitaten werden mit […], Einlassungen der Autorin ebenfalls durch eckige Klammern gekennzeichnet.

Vornamen von historischen Personen und von Verfassern werden im Text wie in den Anmerkungen in der Regel nur bei Erstnennung angegeben; beim Vorkommen mehrerer Personen gleichen Familiennamens (Becker, Schmidt) durchgängig genannt.

Zeitungsnamen und Buchtitel erscheinen in Text und Fußnoten kursiv. Im Unterschied dazu werden die Titel von unselbständigen Veröffentlichungen – Aufsätze in Zeitschriften, Beiträge in Tagungsbänden, aber auch die nach Werkausgaben zitierten Texte solcher Autoren wie Feuerbach, Heine, Marx und Engels – in An- und Ausführungszeichen gesetzt. In den Fußnoten werden Kurztitel angeführt, ausführliche bibliographische Nachweise bietet das Quellen- und Literaturverzeichnis im dritten Band.

Bei den mit folgenden Kurztiteln häufig zitierten Texten Wilhelm Weitlings handelt es sich – wenn nicht anders vermerkt – um folgende Ausgaben:

Evangelium = Das Evangelium des armen Sünders. Hrsg. Waltraud Seidel-Höppner, Leipzig 1967.

Garantien = Garantien der Harmonie und Freiheit. Hrsg. Bernhard Kaufhold, Berlin 1955.

Gerechtigkeit = Gerechtigkeit. Ein Studium in 500 Tagen. Bilder der Wirklichkeit und Betrachtung des Gefangenen (1845). Hrsg. Ernst Barnikol, Kiel 1929; Neudr. Berlin 1977.

Grundzüge = Grundzüge einer allgemeinen Denk- und Sprachlehre. Hrsg. Lothar Knatz, Frankfurt/M. 1991.

Hülferuf = Der Hülferuf der deutschen Jugend. Herausgegeben und redigirt von einigen deutschen Arbeitern, Genf, [dann] Bern, Monatsschrift, September-Dezember 1841; Unveränd. Nachdr. Leipzig 1972.

JG = Die junge Generation, Vivis, [dann] Langenthal, Januar 1842 – Mai 1843; Unveränd. Nachdr. Leipzig 1972. ← 39 | 40 →

Klassifikation des Universums = Klassifikation des Universums. Eine frühsozialistische Weltanschauung, Hrsg. Ernst Barnikol, Kiel 1931.

Menschheit = Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte, in Werner Kowalski, Vorgeschichte und Entstehung des Bundes der Gerechten, Berlin 1962, S. 210–241.

RdA = Die Republik der Arbeiter. Redaktion und Verlag von Wilhelm Weitling, New York, Jg. 1–6, Januar 1850 – März 1855; Unveränd. Neudr. Vaduz 1979.

Theorie des Weltsystems = Theorie des Weltsystems. Hrsg. Ernst Barnikol, Kiel 1931.

Urstoff = Der bewegende Urstoff in seinen kosmo-elektro-magnetischen Wirkungen. Ein Bild des Weltalls. Hrsg. Ernst Barnikol, Kiel 1931.

Der Urwähler = Der Urwähler. Eine Wochenschrift. Berlin, Nr. 1–4, Oktober 1848; Nachdr. Glashütten im Taunus 1972; Der Urwähler, Nr. 5, Neudr. in Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (IWK), Berlin, Jg. 17, 1981, H. 3, S. 333–360.

Volks-Klänge = Volks-Klänge. Eine Sammlung Patriotischer Lieder. Paris 1841.

Handschriften aus dem New Yorker Weitling-Nachlaß werden aus Kopien der in der Public Library New York verwahrten Wilhelm Weitling Papers (WWP) zitiert und, soweit im Register von Lothar Knatz/Hans Arthur Marsiske erfaßt, durch deren Signatur ergänzt. ← 40 | 41 →

I.  Welterfahrung und Weltsicht

1.  Kindheit und Wanderjahre in Deutschland

»denn wir haben in der Schule des Elends buchstabiren und lesen gelernt, und waren gezwungen unser Examen darin zu machen.«

(»Die junge Generation«, Jg. 1, Lfg. 1, Januar 1842, S. 7.)

Der Magdeburger Schneidergeselle, der als Mitbegründer und theoretischer Kopf der deutschen Arbeiterbewegung, als Schriftsteller und Journalist berühmt wurde, schrieb sich selbst immer als Wilhelm Weitling. Die urkundliche Namenschreibung weicht von der selbst bestimmten mehrfach ab. Die Geburtsurkunde lautet auf:

»Wilhelm Christian, geb am 5. Oktober 1808. Mutter: Christiane Erdmuthe Friederike Weidling, aus Gera gebürtig, 29 Jahre alt. Großvater: Johann Heinrich Weidling, hiesiger Bürger und Maurer, aus Gera im Vogtland gebürtig. Großmutter: Christiana Agnes Weidling, geb. Jahn, aus Klingenthal im Erzgebirge gebürtig.«

Der Marktplatz von Magdeburg

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Das Taufregister der evangelischen St.-Johannis-Kirche in Magdeburg vermerkt im Jahre 1808:

»Am 9. Oktober hat Christiane Erdmuthe Friederike Weidlingen aus Gera gebürtig, ihren unehelichen Sohn, welcher den 5. Oktober Nachmittags 3/4 4 Uhr geboren, taufen lassen. Namens: Wilhelm Christian. Wohnet im neuen Wege in den Logenhäusern.«1

Seine Kindheit im französisch besetzten Magdeburg fällt in eine unruhige Zeit. Soziale Unsicherheit, Krieg, Besatzung und Kriegsfolgen erfährt er früh am eigenen Leibe. Der Krieg des großen Korsen zerstört die Familie, stürzt die Mutter in Not und macht den Knaben zum Halbwaisen. Den Vater, einen Kapitän der Grande Armée, kennt er nur vom Hörensagen. 1812, kaum vierjährig, verliert er ihn und seine beiden Onkel, die Brüder der Mutter, im Rußlandfeldzug Napoleons. Noch vor seinem Abmarsch hatte der Vater die Magdeburger Kommandantur ersucht, der Mutter regelmäßig einen Teil seines Solds anzuweisen. Mit dem frühen Tod des dafür zuständigen Generals der Magdeburger Garnison versiegt jedoch die monatliche Unterstützung. Für Mutter, Großmutter und Kind beginnen mit der Belagerung Magdeburgs durch die Armee der preußisch-russischen Koalition schwierige Jahre. Weil die Mutter auswärts arbeiten muß, um sich und den Sohn zu ernähren, kümmert sich die verwitwete Großmutter um den Knaben und geht mit ihm aufs Land. Durch Handel mit Lampendochten, Tabak und Zichorie hilft sie sich mit dem Kind notdürftig über die schlimmen Zeiten. In Weitlings Leben gibt es bis zuletzt immer wieder höchst kärgliche Strecken. Dennoch klagt er nie über eigene Entbehrung. Allerdings peinigt den sensiblen Knaben der Verzicht, den Mutter und Großmutter sich seinetwegen auferlegen mußten. Später gesteht der Vierunddreißigjährige, vermutlich zur Rechtfertigung gelegentlicher Heftigkeit, die Freunde wie August Becker als Haß mißdeuten: »Wenn ich manchmal in Wut aufkoche ob all der Scheußlichkeiten in der Gesellschaft, so ist das, weil ich im Leben oft Gelegenheit hatte, das Elend in der Nähe zu sehen und es zum Teil selbst mit zu fühlen; weil ich selbst als Knabe im bittersten Elend aufgezogen wurde, so bitter, daß ich ein Grausen fühle, dasselbe zu beschreiben. Mein Dasein vergrößerte das mich umgebende Elend, ohne daß ich es physisch mitfühlen durfte. Darnach rechnet aus, welche geistige Folter das gewesen sein mag«.2

Dennoch verläuft seine Kindheit nicht unglücklich. An der Mutter hängt er noch in seinen besten Mannesjahren. Bei seiner Deportation in seine Heimatstadt im Jahre 1844 weiß der verlorene Sohn genau, daß er sie 1830, vermutlich auf seiner Wanderschaft von Hamburg nach Süden, letztmals gesehen hat. Sie gewährt ← 42 | 43 → ihrem Sprößling eine Erziehung, die ohne körperliche Züchtigung auskommt. Mit Genugtuung erwähnt er während seines Züricher Prozesses 1843, daß sie ihn nie gestraft habe. Auch an den Vater, Guillaume Terijon, einen bei seiner Geburt etwa 23jährigen Kapitän der französischen Artillerie, bewahrt er aus Berichten der Mutter, Großmutter und anderer nur gute Erinnerungen. Magdeburger sprechen von seinen musischen Interessen mit Sympathie. Viele kennen ihn von seinem Spiel im städtischen Liebhabertheater und schildern ihn als einen lustigen gutherzigen Mann, der der Mutter und Großmutter alles gab, was er entbehren konnte. Den Sohn hätte er gern in Frankreich erziehen lassen; dem aber mochten Mutter und Großmutter nicht zustimmen. Gleichwohl sucht die Mutter dem Wunsche des Vaters nachzukommen und ermöglicht ihm trotz kärglicher Einkünfte den Besuch einer mittleren Bürgerschule.3

Seine Vorschulzeit verbringt er bei seiner Großmutter, einer evangelischen Pfarrerstochter aus Klingenthal. Dies und sein Taufzeugnis korrigieren die Annahme von Carl Wittke von einer streng katholischen Erziehung. Noch an der Neige seines Lebens entsinnt er sich der sittlich wohltuenden Mitgift der religiös-lutherischen Erziehung. In Aufzeichnungen, die er seinen sechs Kindern hinterläßt, berichtet er: »mein kindliches Gemüth wurde bis zu meinem 12ten Jahre so religiös ausgebildet, daß es den spätern Mangel an Aufsicht nicht vermißte […] Ich kenne nichts, was kräftiger und wohlthätiger auf meine eigene Gefühls- und Geistesbildung gewirkt hat als die Religionslehren meiner Kindheit.« Zwei Jahre vor seinem Tode fügt er an dieser Stelle hinzu: »Diese Ueberzeugung ist mir geblieben, obgleich mir der Glaube an die Wahrheiten der Religionslehrbücher, an die mit den Lehren verknüpften Wunder und Geschichten nicht geblieben ist.«4

Seine Erinnerungen an die Schuljahre in der Obhut eines sehr jungen, kinderlieben Mädchens namens Doris, vermutlich der Tochter seiner Pensionsmutter, sind gleichfalls schattenlos. Sie gönnt ihm hinreichend Zeit zum Spielen. Törichte Jungenstreiche, die ihn und seine Freunde irrtümlich wegen Diebstahlsverdacht wochenlang in Untersuchungshaft bringen und seinen Spielgefährten Prügel eintragen, behandelt sie nachsichtig. Das alles mag ihn über das entbehrte elterliche Zuhause getröstet haben. Seine junge Betreuerin teilt den Lesehunger des Zehnjährigen. Während ihrer Arbeit läßt sie sich gern von ihm Romane vorlesen. An Büchern verschlingt der Knabe ohnedies alles, dessen er habhaft werden kann. Wie seine Altersgenossen bevorzugt er Erzählungen über Schinderhannes, Marzerino, Rinaldini und andere im Volk beliebte Räubergestalten. Die vom Krieg gezeichneten trüben Kindheitserfahrungen erklären sein auffälliges Interesse für Geschichtswerke über den Dreißigjährigen, den Siebenjährigen und den Napoleonischen Krieg. Sie prägen sicherlich sein in der Folgezeit ungewöhnlich kritisches ← 43 | 44 → Nachdenken über Krieg und Patriotismus. Es schlägt sich in seiner Programmschrift von 1838 in der Forderung nach Abschaffung des stehenden Heeres nieder. In seinen Liedern und in seinem Hauptwerk wird sich seine Ablehnung von Krieg und Völkermord in einer scharfsinnigen Analyse der materiellen Ursachen von Chauvinismus und Kriegstreiberei verdichten, die nicht nur in der deutschen Vormärzpublizistik ihresgleichen sucht. In die Magdeburger Schulzeit fällt die erste selbständige Lektüre des Alten und Neuen Testaments. Elfjährig wird er von seinem Religionslehrer Reiher zu einem undogmatischen sozialkritischen Verstehen der biblischen Überlieferung angeregt. Möglicherweise verdankt er diesem Lehrer sein für ein Kind nicht alltägliches Interesse an den Leiden und Freiheitskämpfen der Juden in den beiden Büchern der Makkabäer. Ihre reifste Frucht wird diese frühe bibelkritische Denkerziehung in seiner zwei Jahrzehnte später unternommenen rationalistischen Evangelieninterpretation tragen, die sein Lehrer gewiß nicht einmal geahnt haben mag.5

Über die preußische Schulbildung jener Jahre berichtet sein politischer Weggefährte, der Schneidergeselle Friedrich Leßner: »Meine Erziehung in Haus und Schule war eine durchaus religiöse […] Die Religion beherrschte den ganzen Unterricht. Die Erklärung der Naturerscheinungen war nur eine Fortsetzung des Katechismus.« Lebhaft erinnert er sich an ein dafür charakteristisches Beispiel aus der Naturlehre: »›Warum‹, fragte der Schulmeister, ›läßt der liebe Gott nur langsam Tag und Nacht werden?‹ – ›Damit die Menschen nicht erblinden‹, mußten wir zur Antwort geben«. Indessen bestimmt seinerzeit die christliche Kultur viel mehr als die häusliche und schulische Erziehung; sie prägt das gesamte öffentliche Leben: Alltagskultur, Brauchtum und Sprache, Moralnormen und Gesetze, Literatur und Kunst. Weitling selbst findet das deutsche Schulwesen im allgemeinen zwar besser als anderswo. Dennoch ärgern ihn rückblickend die höchst dürftige Wissensvermittlung, die Vernachlässigung der Denkerziehung und die scholastischen Lehrmethoden, mit denen »in das junge Gehirn die Religion auf eine Weise hineingetrichtert (wurde), die öfter weder Lehrer noch Schüler verstanden«. Später bekennt er: »das kostet jahrelange Mühe, bis man die Dummheiten und den eingetrichterten Unsinn wieder aus dem Kopf los wird«.6

Eigene Schulerfahrung verallgemeinert der Fünfunddreißigjährige im Anspruch an Volkslehrer, ihren Einfluß auf die Kinder zu nutzen, um deren geistige Entwicklung nicht »in der Sphäre des Glaubens niederzuhalten«, sondern sie »durch den Glauben zum Wissen heranzubilden«. In seinem Evangelium der armen Sünder vermutet er, daß die »Klassen der Vorrechtler« gar nicht wollen, »daß sich die Volksbildung aus dem Bereich des Glaubens herausarbeite und nach Möglichkeit das Gebiet des Wissens betrete«. Denn bei einer »Erweiterung der wissenschaftlichen Bildung der Massen, (würden) diese das schlaue Gewebe entdecken«, mit ← 44 | 45 → dem man sie geistig umstrickt. Sarkastisch charakterisiert er das zeitgenössische »Bildungssystem, das wir Christentum nennen« als ein System, »in welchem das Gefühl geübt wird, […] sich selbst um den Verstand zu betrügen«7.

Vermutlich ab 1822 beginnt seine Lehrzeit in der Magdeburger Schneiderwerkstatt eines äußerst strengen Meisters namens Schmidt. Seinen Lehrmeister beschreibt Weitling als einen Mann, dessen roher Behandlung bereits sechs Lehrjungen entlaufen waren. August Becker, der Weitling seit November 1841 in der Schweiz politisch unterstützte, erbat sich von Weitling gelegentlich biographische Auskünfte. Nach seinen Angaben erlernt der Vierzehnjährige das Damenkleidermachen bei seinem Stiefvater.8 Weitling selbst bestätigt das nicht. Zwar heiratete seine Mutter 1821 tatsächlich einen Schneider namens Johann Gottfried Behrend; im Züricher Verhör erwähnt er aber lediglich, daß sein Stiefvater vor circa zehn Jahren, also um 1833, gestorben sei. Die höchst ungesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen der arbeitenden Klassen seiner Zeit, an denen Angehörige vieler Berufszweige von Kindheit an leiden und frühzeitig zugrunde gehen, schildert er in einem literarischen Rückblick aus »Paris im Jahre 2000«.9 Über die tagtägliche Marter der Schneider, die ein Leben lang auf kreuzweis untereinander geschlagenen Beinen auf einem Brett sitzen müssen, erfahren wir dort:

»In dieser Stellung brachte der seine ganze Lebenszeit zu. Er arbeitete des Tags 12 bis 18 Stunden. Manchmal, wenn es einem Reichen […] einfiel, […] mußte er die ganze Nacht arbeiten, um der Laune des Geldmannes zu fröhnen; ja, man hat Beispiele, daß Arbeiter 60 Stunden, ohne zu schlafen, arbeitend auf dem Brette zubrachten. […]
   Im Frühling, wenn Alles grünt und blüht, ging ihre Arbeit am stärksten. Da saßen sie denn ihrer viele auf einem kleinen Raum zusammengedrängt in der Hitze und im Dunst des Kohlenfeuers und der Bügeleisen. Der Geruch verbrannter Tuchfetzen, das Bügeln auf genetzten Lappen, der Staub und die Haare von den verarbeiteten Kleiderstoffen, verbunden mit der Ausdünstung so vieler Menschen, verdarben so ihre Stubenluft, daß es einem an frische Luft gewöhnten Mann öfter nicht möglich war, darin nur 5 Minuten auszuhalten. Da war es denn kein Wunder, wenn diese Leute häufig verkrüppelten und erkrankten. Die zusammengekauerte Stellung schadete der Brust und dem Unterleibe. Die Mägen der damaligen Schneider waren so verkrüppelt, daß ein geschickter Arzt, wenn man ihm mehrere Menschenmägen vorlegte, mit ziemlicher Gewißheit den Magen des Schneiders herausfinden konnte. […]
   Dasselbe Schicksal hatten Alle, die eine angestrengte sitzende Lebensart führten.«

Sebastian Seiler beklagt ein wenig weltfremd seine Eltern, die nicht ahnten, »welch’ Genie sie an der Entwicklung hinderten, als sie ihr munteres blauäugiges ← 45 | 46 → Kind in einen Käfig, genannt Schneiderwerkstatt sperrten«. Weitling selbst jedoch bedauert seinen Beruf nie; im Gegenteil, er bejaht sein Schneiderhandwerk als einem »freien Geist« förderlich, weil man dabei »sprechen, singen und denken« kann. Während der Wanderjahre sammelt er seine ersten politischen Erfahrungen. Nach seiner Aussage im Züricher Verhör beginnen sie um 1826/1827. Mitte der vierziger Jahre erinnert er sich an eine Schneiderherberge in Braunschweig 1826 und an seine Ankunft in Frankfurt am Main im Spätherbst 1827. Sein erstes Wanderbuch für das Inland erhält er in Magdeburg jedoch erst Ende Januar 1828. Nach zwei Jahrzehnten kennt er politische Zustände und soziale Verhältnisse in den deutschen Bundesstaaten, in Österreich, Frankreich, der Schweiz, England, Belgien und den USA. Die gewonnene Welterfahrung erweitert seinen sozialen Horizont. Vergleichende Betrachtung schärft seinen Blick für die allgemeine Rückständigkeit der deutschen ökonomischen und politischen Verhältnisse und weckt Verständnis für politische Flüchtlinge im Ausland, die die Unterdrückung oppositioneller Meinungsäußerung und politischer Vereinigung im Innern in die Emigration treibt.10

Die Handwerksburschen merken bald, daß sie sich in Frankreich, Belgien oder Britannien freier bewegen können und gewöhnlich von Behörden und Polizei weniger drangsaliert werden als innerhalb der halbabsolutistischen deutschen Kleinstaaten. Weitlings Pariser Kampfgefährte, der württembergische Schneidergeselle Andreas Scherzer beispielsweise, schätzt das liberale französische Gewerbe- und Ausländerrecht, das eingewanderten Arbeitern erlaubt, ein beliebiges Geschäft zu treiben »wie jeder Eingeborene«. Er verweist auf viele, »die sich in ihrem Vaterlande kümmerlich durchhelfen müßten, und in Frankreich angesehene Männer geworden sind«. Am Leben in Deutschland vermißt er nicht nur, daß mittellose Gesellen sich weder Meister- noch Bürgerrecht erkaufen können, um sich selbständig zu machen. Am schlimmsten findet er, daß Arbeiter nach ihrer Rückkehr niemals so viel Geld verdienen, um die für eine Heirat erforderliche Gebühr zu entrichten. In Frankreich mache das keinerlei Umstände.11

Zum in einzelnen deutschen Staaten bis 1848 geltenden Bundesbeschluß vom 15. Januar 1835, der deutschen Handwerksgesellen »den Aufenthalt in Frankreich, Belgien und der Schweiz bei Verlust ihres Heimathsrechts« untersagt, sind ein spöttisches Gedicht von Wolfgang Strähl und eine bereits vier Wochen später in Paris gedruckte Flugschrift überliefert.

Sie erscheint Mitte Februar 1835 als »Betrachtungen eines deutschen Arbeiters über die neuesten Maßregeln der deutschen Bundesregierungen« und quittiert hohnvoll den angedrohten Verlust des Heimatrechts. Metternichs Informanten vermuten, daß die Schrift im Innern der deutschen Staaten tausendfach verbreitet wird. Die proletarischen Autoren verweisen auf die schimpfliche Behandlung deutscher Arbeiter auf heimischem Boden, das »Anschnauzen schäbiger Polizeiknechte ← 46 | 47 → und die Rippenstöße kosackischer Gendarmen, […] das Schlafen in Viehställen und das brodlose Umhertreiben auf den Landstraßen […], die Hundenahrung und das verdienstlose Abquälen bei tyrannischen und knauserigen Meistern«. Carl Wolfrum bestätigt das; er rühmt mehrfach die guten Umgangsformen der französischen Polizei, verschweigt jedoch nicht, daß Inhaftierung aus politischen Gründen auch im Frankreich des Bürgerkönigtums »nicht so ungewöhnliches (war)«.12

Dem Wanderverbot hält das Antwortschreiben – als Kontrastzeichnung die französischen Verhältnisse freilich in manchem etwas glättend – entgegen: »Frankreich, Belgien und die Schweiz sind Länder, wo man den Arbeiter ehrt und achtet, wo er nicht ›Knecht‹ und ›Unterthan‹ ist, sondern freier Bürger; […] wo sein Verdienst reichlicher, seine Arbeit geringer; wo er Zeit und Mittel hat, sich zu belehren, seiner menschlichen Bestimmung und Würde nachzuforschen, sich über seine Bürgerrechte aufzuklären«. Unverblümt droht die Flugschrift abschließend: Mit solchen Erfahrungen werde man in die deutschen Lande zurückkehren, »die Lehre der Freiheit, der Gleichheit und des wahren Menschenrechts verkünden und der deutsche Arbeiter wird das große Werk vollbringen […] Vernichtung der Zwingherrschaft, und Wiedergeburt eines freien und einigen Deutschlands13

Weitlings Wandererfahrungen erhärten die in der Flugschrift geschilderten Schikanen. In seinem Schweizer Blatt beschreibt er die Vielfalt behördlicher Schindereien, denen sich Handwerksburschen in ihrer Heimat ausgesetzt finden: Niemand darf sein Land verlassen, ohne seine Militärpflicht abgeleistet zu haben; zum festgesetzten Termin muß er Arbeitsstelle und Freunde im Stich lassen, an seinem Heimatort erscheinen, sich nackend wie ein Stück Vieh betasten lassen und froh sein, wenn ihm noch ein Jahr Aufschub gegönnt wird. Auch der endlich erlangten Erlaubnis, in fremde Länder zu reisen, kann er keineswegs sicher sein. Aus verschiedenen Gründen kann man ihm die Genehmigung jederzeit wieder entziehen, etwa wenn er das 30. Lebensjahr überschritten hat und längst Meister sein könnte, obschon ein Arbeiter selten so viel sparen kann, um den Meisterbrief zu erwerben. Auch genügt es zur Verweigerung, länger als vier Wochen arbeitslos zu sein, obgleich ihm keine Behörde zu Arbeit verhilft, wenn er keine findet; schließlich kann man ihn an der Grenze zurückweisen, wenn er das jeweils vorgeschriebene Reisegeld oder die mancherorts verlangte doppelte Kleidung nicht vorweisen kann.

Im gleichen Artikel schildert er, wie es wandernden Gesellen ergeht, sobald sie im Winter wegen schlecht gehender Geschäfte schuldlos auf die Straße gesetzt werden, wochenlang vergeblich Arbeit suchen und sich müde, hungrig und frierend in jedem kleinen Nest der Willkür herzloser Beamter und brutaler ← 47 | 48 → Gendarmen ausgeliefert finden. Jederzeit und überall müssen sie fürchten, von lauernden Bettelvögten als Landstreicher oder Bettler aufgegriffen, »bei Wasser und Brod und etwas faulem Stroh in ein feuchtes finsteres Loch« geworfen zu werden, aus dem man die Unglücklichen nach einiger Zeit so hilflos entläßt, wie man sie eingefangen hat. Immer wieder wird er den »christlichen« Gesetzesfabrikanten den politischen und moralischen Widersinn der in den deutschen Staaten geltenden Bettelgesetze vorhalten: »Man will die Bettelei aufhören machen, ohne die Ursache der Bettelei zu vertilgen. […] Man sagt, wir seien alle Brüder, alle Kinder eines Vaters. Warum behandelt man uns denn nicht als Brüder, sondern vielmehr als Feinde?« In Preußen und Bayern sammelt er die schlimmsten Erfahrungen. Zwar sei das letztere ein schönes Land, auch über die Kost könne sich kein Handwerksbursch beklagen, die dortigen bürokratischen Schikanen aber seien kaum auszuhalten. In jedem kleinen Nest muß ein Geselle sich beim Landrichter visieren lassen; der ihn selten weiter ziehen läßt »als bis zum nächsten Maulwurfshügel«.

Schließlich berichtet er vom Geschick eines jungen Handwerksburschen, der nach den dort geltenden Polizeigesetzen um Neujahr 1830 bei Schnee und Regen nur deshalb aus der Stadt verwiesen wurde, weil er ein Fremder und bei keinem zunftmäßigen Meister beschäftigt war. Arbeitslos und in der Herberge um den letzten Taler bestohlen, mußte er notgedrungen neun Wochen lang bei Kälte und Nässe, um zu leben, seine Zuflucht zum Betteln nehmen. Als er unweit von Regensburg in einem Privathaus Speise und Trank erbittet, wird er von einem Bettelvogt ergriffen. Nachdem der Polizeibüttel die Demütigung noch durch einen Eintrag des Vorfalls im Wanderbuch verschärft, bewahrt nur der Zufall den zum Äußersten Gereizten davor, alldem ein Ende zu machen und dem nächsten Gendarmen mit dem Messer an die Gurgel zu gehen. Nach August Becker und Sebastian Seiler schildert Weitling in dieser Geschichte, die er im Oktober 1841 in der zweiten Nummer des Hülferuf veröffentlicht, eigenes Erleben. Der dort beschriebenen Pein entspricht seine lebenslang bekundete Ablehnung allen Bittens und Bettelns. Weitling schließt aus seinen Erfahrungen auf die politische Inkompetenz der Gesetzgeber: »Eben daher entstehen alle schlechten Gesetze, daß sie von Männern gemacht werden die gar keine praktische Erfahrung der Uebel haben, welchen sie durch dieselben abhelfen wollen.« Auch der dänische Kürschnergeselle Niels Lorenz Petersen vermerkt zu der in jeder Hinsicht schwierigen Lage deutscher Gesellen im In- und Ausland: »Zu Hause gedrückt und draußen nicht geschützt, kommt so ein Deutscher am schlechtesten weg von allen Nationen.«14

Spätestens die Wanderschaft konfrontiert die Gesellen mit der Problematik der deutschen Kleinstaaterei. Schon innerhalb des Deutschen Bundes stoßen sie auf zahlreiche Grenzschranken mit jeweils unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen und behördlichen Maßregeln. Zur unvertrauten Rechtslage kommen ← 48 | 49 → außerhalb des deutschen Sprachraums sprachliche Verständigungsschwierigkeiten. Der Wunsch nach Wegfall der Völker trennenden Grenzen und Sprachen taucht in Weitlings Schriften mehrfach auf. Schon deshalb können sich bürgerliche Liberale wie Republikaner in ihrem Einsatz für ein einheitliches Deutschland auf energische Unterstützung der wandernden Handwerksgesellen verlassen.

Ziemlich früh muß Weitlings Wanderweg ihn nach Potsdam führen.

Was er hier beim Exerzieren der Rekruten an Schikanen und »moderner Folter« wahrnimmt, wird er in seinem Hauptwerk in einem bitterbösen Kapitel über »Das Soldatenwesen« festhalten. Die gewonnenen Eindrücke verleiden ihm den Militärdienst für immer. 1828 verläßt er Preußen und entzieht sich der Einberufung. Am 16. Mai gelangt er nach Hamburg. Beim hiesigen Ältermann des Schneiderhandwerks läßt er sich am 16. Juli 1828 ein falsches Wanderbuch ausstellen, das ihm bescheinigt, gebürtiger Hamburger zu sein und dort ausgelernt zu haben. Damit durchzieht er jahrelang unangefochten halb Europa. Über Braunschweig und Frankfurt am Main gelangt er nach Sachsen.15

An Leipzig bewahrt er gute Erinnerungen:

»Ich arbeitete vom Frühjahr 1830 bis Herbst 1832 in Leipzig bei den Damenschneidern Höpfner und Walseck. Jede Werkstatt zählte ungefähr 14 Arbeiter. Wir alle erfreuten uns bei diesen musterhaften Meistern einer so guten Behandlung, hatten einen so guten Lohn und so viel Freiheit, daß ich mich jeden Morgen auf die Arbeit des Tages freute, wie das Kind auf’s Spiel und damals keinen andern Wunsch hatte, als in solchen Verhältnissen stets leben zu können. Ich habe freilich auch seitdem selten wieder solche Verhältnisse und solche Arbeitgeber gefunden.«

Details

Seiten
IV, 1870
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653040098
ISBN (ePUB)
9783653993776
ISBN (MOBI)
9783653993769
ISBN (Hardcover)
9783631646311
DOI
10.3726/978-3-653-04009-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Frühsozialismus Kommunismus Sozialkritik Arbeiterbewegung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. IV, 1870 S., 70 s/w Abb.

Biographische Angaben

Waltraud Seidel-Höppner (Autor:in)

Waltraud Seidel-Höppner, Sozialhistorikerin; Studium der Sozialwissenschaft; Promotion zum Dr. phil.; Dozentur am Institut für Gesellschaftswissenschaften in Berlin; Forschungen zur deutschen und französischen Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts; umfangreiches Gemeinschaftsprojekt mit Joachim Höppner zum Frühsozialismus und zu demokratischen Bewegungen.

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Titel: Wilhelm Weitling (1808–1871)
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