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Dividendenausschüttung in der börsennotierten AG

Ausgewählte Probleme der verfrühten Ausschüttung im Lichte des Kapitalschutzes

von Oliver Krauß (Autor:in)
©2014 Dissertation XIX, 266 Seiten

Zusammenfassung

Die Dividende wird in § 174 Abs. 2 Nr. 2 AktG als auszuschüttender Betrag bezeichnet. Sie wird vom Vorstand einer Aktiengesellschaft vorgeschlagen und von der Hauptversammlung beschlossen. Der entsprechende Beschluss wird in aller Regel vom Notar beurkundet. Üblicherweise erfolgt die Auszahlung der Dividende am Tag nach der Hauptversammlung. Nicht selten fragt es sich aber, ob zu diesem frühen Zeitpunkt ein entsprechender Anspruch der Aktionäre auch entstanden ist. Mit dieser und weiteren damit zusammenhängenden Fragen beschäftigt sich die Arbeit: Sie stellt mögliche Konstellationen dar, in denen eine Verletzung des aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsgrundsatzes nicht ausgeschlossen ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Über das Buch
  • Autorenangaben
  • Copyright
  • Vorwort
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsübersicht
  • Einleitung
  • A. Einführung
  • B. Gegenstand und Ziel der Untersuchung
  • C. Gliederung der Untersuchung
  • D. Überblick über die Rechtslage
  • 1. Kapitel: Veranschaulichende Fallbeispiele
  • A. Fallbeispiel 1
  • B. Fallbeispiel 2
  • C. Abwandlung zu Fallbeispiel 2
  • I. Vorbemerkung
  • II. Abwandlung
  • 2. Kapitel: Die Geschichte der Beurkundungspflicht
  • A. Einführung
  • B. Die Aktiengesellschaft im 19. Jahrhundert
  • I. Die Funktion der Aktiengesellschaft in der Gründerzeit
  • II. Die Geschichte des Konzessions-Systems
  • III. Die Aufgabe des Konzessionssystems
  • C. Die notarielle Beurkundung in der Praxis vor der 2. Aktienrechtsnovelle
  • D. Die zweite Aktienrechtsnovelle vom 18. Juli 1884
  • I. Die Initiative der preußischen Staatsregierung im Jahr 1876
  • II. Inhaltliche Änderungen
  • E. Wertende Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung
  • 3. Kapitel: Die notarielle Tätigkeit in der Praxis der Hauptversammlung
  • A. Allgemeines
  • I. Tätigkeiten vor der Hauptversammlung
  • II. Tätigkeiten während der Hauptversammlung
  • III. Tätigkeiten nach der Hauptversammlung
  • IV. Zusammenfassung
  • B. Der Entwurf der Niederschrift
  • C. Die Reinschrift in der Phase nach der Hauptversammlung
  • I. Einleitung
  • II. Vorgehen des Notars
  • D. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Februar 2009
  • I. Der zugrundeliegende Sachverhalt
  • II. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
  • III. Auswirkungen des Urteils auf die Beurkundungspraxis
  • 4. Kapitel: Die Folgen der notariellen Praxis für die Dividendenansprüche
  • A. Die Abhängigkeit des Dividendenanspruchs von der Wirksamkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses und der notariellen Niederschrift
  • B. Rechtsnatur der Beschlüsse im Rahmen des vorläufigen Hauptversammlungsprotokolls am Beispiel des Gewinnverwendungsbeschlusses
  • I. Die Rechtsnatur des vorläufigen Hauptversammlungsprotokolls
  • II. Rückwirkung der Inverkehrgabe auf den Zeitpunkt der  Beschlussfassung
  • III. Abspaltung des Gewinnverwendungsbeschlusses von den übrigen Beschlüssen der Hauptversammlung
  • IV. Ergebnis
  • 5. Kapitel: Die Fallbeispiele und ihre rechtliche Problematik
  • A. Fallbeispiel 1
  • I. Die Erstattung der voreiligen Dividendenzahlung
  • II. Der weitere Anspruch auf die Dividende
  • III. Ergebnisse zum Fallbeispiel 1
  • B. Fallbeispiel 2
  • I. Die Pflicht des Aktionärs zur Herausgabe der erhaltenen Leistung
  • II. Das Dividendenverlangen des Insolvenzverwalters für die X-GmbH Zug-um-Zug gegen die aktienrechtliche Erstattung nach § 62 Abs. 1 S. 1 AktG in Höhe der Insolvenzquote
  • III. Ergebnisse zum Fallbeispiel 2
  • C. Zur Abwandlung des Fallbeispiels
  • I. Ansprüche der Aktiengesellschaft gegen ihre Organe
  • II. Die Haftung des protokollierenden Notars N
  • III. Ergebnisse zur Abwandlung
  • 6. Kapitel: Zusammenfassende Thesen
  • 7. Kapitel: Schlußwort
  • Literaturverzeichnis

← xx | 1 → Einleitung

A. Einführung

Einer Aktie kommen verschiedene Funktionen zu. Zum einen werden in ihr Rechte und Pflichten des Aktionärs als Mitglied der Gesellschaft verbrieft, sodass sie zudem eine Urkunde darstellt. Dies gilt jedenfalls für die Fälle, in denen physische Aktien existieren. Da die Entstehung der Mitgliedschaftsrechte von einer Verbriefung unabhängig ist, kann auf solche Urkunden auch verzichtet werden.1 Zum anderen versteht man unter einer Aktie einen bestimmten Bruchteil des Grundkapitals der Aktiengesellschaft, § 1 Abs. 2 AktG. Für ein Unternehmen stellt die Errichtung einer Aktiengesellschaft eine Möglichkeit zur Beschaffung von Eigenkapital dar. Mit Erwerb einer Aktie, beispielsweise über eine Börse, wird der Erwerber in Höhe des erworbenen Anteils Miteigentümer der AG und trägt damit einerseits dessen wirtschaftliches Risiko, partizipiert andererseits aber ebenfalls am Erfolg der Gesellschaft. Heutzutage sind Aktien als Anlageform stark verbreitet. Dies gilt nicht nur für sogenannte institutionelle Anleger. Auch viele Privatanleger investieren vorhandenes Kapital in Aktien. Dabei ist die jeweilige Motivation mitunter sehr verschieden. Auf der einen Seite sollen Investments in Aktien, idealerweise als nur ein Baustein von vielen, der Altersvorsorge dienen. In diesem Fall wird jedoch eher selten in einzelne Werte investiert, sondern vielmehr in Aktienfonds oder sogar Dachfonds. Das Anlagerisiko kann mit dieser Form der Anlage reduziert werden. Auf der anderen Seite spekuliert so mancher Anleger auf Kurssteigerungen der erworbenen Aktie, falls sie denn an der Börse gehandelt wird, und versucht auf diese Weise sein eingesetztes Kapital zu vermehren. Des Weiteren erwirtschaften die Aktionäre durch ihr eingesetztes Kapital eine Rendite, wenn sie an den Gewinnen der Aktiengesellschaft beteiligt werden. Denn zum Abschluss des Geschäftsjahres schüttet die Gesellschaft, soweit das Geschäftsjahr erfolgreich verlaufen ist, üblicherweise den Gewinn oder zumindest Teile des Gewinns, in Form einer Dividende an ihre Aktionäre aus.2 Auch zu diesem Zweck findet einmal im Jahr eine ordentliche Hauptversammlung statt, in deren ← 1 | 2 → Rahmen die Aktionäre über die Verwendung des Bilanzgewinns beschließen.3 Diese Dividendenrendite mag für manchen Anleger Grund sein, sein Kapital in Aktien ganz bestimmter Gesellschaften zu investieren. Für das abgelaufene Geschäftsjahr 2011 wird mit einer Dividende aller im DAX 30 notierten Unternehmen von ungefähr 27 Mrd. Euro gerechnet.4 Nur für das Geschäftsjahr 2007 wurde mit 27,2 Mrd. Euro eine ähnlich hohe Summe ausgeschüttet.5 Schon allein dieses zeigt deutlich, dass der Dividende eine enorme wirtschaftliche Bedeutung zukommt und regelmäßig auch für die Frage, in welches Unternehmen das Kapital investiert werden soll, von maßgeb-licher Bedeutung ist. Die Höhe der ausgeschütteten Dividende variiert dabei von Unternehmen zu Unternehmen. Denn sie hängt zum einen von der Höhe des Bilanzgewinns der einzelnen Gesellschaft ab, zum anderen aber auch davon, in welcher Höhe die Hauptversammlung auf den Vorschlag des Vorstands hin die Ausschüttung des Gewinns an die Gesellschafter beschließt. Zudem setzt die Ausschüttung von Gewinn voraus, dass das Gesellschaftsvermögen den Nennbetrag des Grundkapitals übersteigt.6 Aufgrund dieser unterschiedlichen Faktoren gibt es dividendenstärkere aber auch dividendenschwächere Aktiengesellschaften. Durch die Zahlung einer überdurchschnittlichen Dividende kann ein Unternehmen seine Akzeptanz am Kapitalmarkt positiv beeinflussen, weil diese zu einer höheren Rendite und zu verstärkter Nachfrage auf der Anlegerseite führen kann.

B. Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Der vorliegenden Ausarbeitung liegt die vorherrschende Praxis der Ausschüttung von Dividenden zugrunde. Behandelt werden verschiedene rechtliche Fragestellungen und Probleme, die mit dieser Praxis einhergehen.

So will sie zum einen eine Antwort auf die Frage geben, wieso im Rahmen der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft in aller Regel die Anwesenheit eines Notars sowie die Beurkundung durch diesen vom Gesetzgeber gefordert werden. ← 2 | 3 → Zu diesem Zweck soll die geschichtliche Entwicklung der Aktiengesellschaft in Deutschland im 19. Jahrhundert nachgezeichnet werden, die für die gesetzliche Einführung der notariellen Beurkundung im Jahr 1884 ausschlaggebend war. Auch wesentliche aktienrechtliche Grundsätze, wie beispielsweise die Kapitalaufbringung und die Kapitalerhaltung finden ihren Ursprung in der damaligen Zeit und den damals stattgefundenen Ereignissen. Sie haben ihre Bedeutung für das Wesen der Aktiengesellschaft stets behalten und diese entscheidend geprägt, sodass auch auf deren historische Entstehung und Weiterbildung eingegangen wird.7

Zum anderen verfolgt die Arbeit das Ziel, aufzuzeigen, welcher Zusammenhang zwischen der notariellen Niederschrift der Hauptversammlung, einem dort gefassten Gewinnverwendungsbeschluss und dem Anspruch der Aktionäre auf Erhalt der dort beschlossenen Dividende besteht. Die Ausschüttung einer Dividende als Gewinnbeteiligung des Aktionärs ist im weiteren Verlauf der Untersuchung der wesentliche Ausgangspunkt und von erheblicher Bedeutung. Vorausgesetzt wird, dass die Auszahlung dieses Gewinnbeteiligungsanspruchs am Tag nach der Hauptversammlung vorgenommen wird und der Notar die notarielle Niederschrift über die Hauptversammlung zu diesem Zeitpunkt noch nicht endgültig fertiggestellt hat. Beide Voraussetzungen entsprechen der gelebten Übung der Aktiengesellschaften.8 Die Besonderheit des der Hauptversammlung folgenden Werktags als Zeitpunkt der Zahlung der Dividende ergibt sich aus einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 20099, welches im Rahmen dieser Untersuchung in den für das vorliegende Problem entscheidenden Punkten ebenfalls seine Darstellung findet. Festzustellen ← 3 | 4 → ist, soviel sei vorweggenommen, dass nach dieser Entscheidung im Moment der Dividendenausschüttung an die Aktionäre häufig noch keine wirksame notarielle Niederschrift im Sinne des § 130 Abs. 1 AktG vorliegt, sodass die von der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse und somit auch der Gewinnverwendungsbeschluss in rechtlicher Hinsicht noch nicht wirksam sind. Die Aktionäre haben folglich noch keinen Anspruch auf die Dividende. Ihre Ausschüttung durch die Gesellschaft in diesem Moment kann deshalb zu erheblichen rechtlichen Problemen führen, deren Lösung bis jetzt in Teilen noch ungeklärt ist. Im Kern geht es um die Frage, ob der Aktionär die Dividende im Ergebnis zweimal erhalten kann. Dieser Gedanke bringt erhebliche Bedenken mit sich. Festzustellen ist jedoch, dass die derzeitige Praxis auch nach Bekanntwerden der erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofs ihre Fortsetzung findet.10

Wesentlicher Bestandteil der vorliegenden Ausarbeitung ist des Weiteren die Darstellung des Spannungsverhältnisses zwischen der häufig verfrühten Dividendenzahlung und dem aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsgrundsatz, der seine Grundlage vor allem in der Regelung des § 57 Abs. 1 S. 1 AktG findet.11 Es soll aufgezeigt werden, welche weitreichenden Probleme mit einer für viele Gesellschaften alltäglichen Sache wie der Ausschüttung einer Dividende einhergehen können. In diesem Zusammenhang sollen auch die Stellung und die Bedeutung des Kapitalerhaltungsgrundsatzes innerhalb und außerhalb des Aktienrechts untersucht werden. Hierbei finden sowohl die Nichtigkeitsbestimmung des § 134 BGB, die Generalklausel des § 242 BGB, die Erfüllung nach § 362 BGB als auch anwartschaftsrechtliche Fragen ihre Erwähnung, ebenso wie insolvenzrechtliche Aspekte. Eingegangen wird insbesondere auf die Vorschrift des § 62 Abs. 1 S. 1 AktG. Diese ist vor dem Hintergrund einer möglichen Anspruchskonkurrenz zur Vindikation von Bedeutung, zu der hier ebenfalls ausführlich Stellung genommen wird. Dieser Punkt gewinnt vor allem im Rahmen einer möglichen Insolvenz des Gesellschafters an Relevanz. Die Arbeit thematisiert zudem den Inhalt und die Reichweite der Privilegierung des § 62 Abs. 1 S. 2 AktG und ordnet diese in das System der §§ 57 ff. AktG ein. Insgesamt sind damit eine Reihe von Problemen angesprochen, die in der Literatur teilweise schon seit langem heftig umstritten sind12, zum Teil aber auch, wenn überhaupt, erst geringe Beachtung gefunden haben13. Die vorliegende Untersuchung hat sich zum Ziel gesetzt, nach der Darstellung der in dieser Hinsicht soweit bereits bekannten Argumente, die geführte Diskussion um ← 4 | 5 → einige neue Aspekte zu bereichern. Da zum Zeitpunkt der Aus-zahlung ein Anspruch der Aktionäre auf Erhalt der Dividende regelmäßig noch nicht gegeben ist, ist in aktienrechtlicher Hinsicht vor allem der in § 57 Abs. 1 S. 1 AktG normierte Grundsatz der Kapitalerhaltung betroffen. Dieser ist für die gesamte Ausarbeitung von maßgeblicher Bedeutung und wesentlicher Kern der angesprochenen Problematik. So ist auch dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben, dass der Kapitalerhaltungsgrundsatz in Einzelfällen mit Individualinteressen in Konflikt geraten kann, gilt dieser doch nicht stets und ausschließlich.14 Inwieweit auch im vorliegenden Zusammenhang an diesem Grundsatz festzuhalten ist, will die Arbeit in ihrem weiteren Verlauf zeigen. Schließlich wird im Rahmen der Bearbeitung aufgezeigt, wer innerhalb der Gesellschaft im Fall der voreiligen Dividendenausschüttung für diese verantwortlich gemacht werden kann und welche Folgen dies für den Betroffenen, unter Umständen aber auch für die Gesellschaft selbst, nach sich ziehen kann.

Einschränkend ist jedoch vorwegzunehmen, dass einige der noch anzusprechenden Probleme zum Teil unter der Bedingung stehen, dass eine Verteilung der Dividende in der Form einer Barauszahlung an die Gesellschafter vorgenommen wird.15 Dies mag jedoch allenfalls die Bedeutung der kommenden Ausführungen für die Praxis, und das auch nur teilweise, mindern. Das grundsätzliche Problem der verfrühten Ausschüttung an die Aktionäre bleibt davon unberührt.

C. Gliederung der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit beginnt nach einer kurzen Einführung und einem allgemeinen Überblick über die Rechtslage mit zwei Fallbeispielen (1. Kapitel). Beide Beispiele dienen dem Zweck, die im Wesentlichen behandelten Themen anschaulich aufzuzeigen und in die jeweilige Problematik einzuführen. Sie enthalten verschiedene Fragestellungen, die zu einem Teil aufeinander aufbauen, zu einem anderen Teil aber auch unabhängig voneinander sind.

Dem schließt sich eine Darstellung des historischen Ursprungs der Beurkundungspflicht an (2. Kapitel). Diese beschränkt sich nicht nur auf beurkundungsrechtliche Aspekte, sondern geht auch auf materielle aktienrechtliche Zusammenhänge ein. Im Wesentlichen wird die Entwicklung der Aktiengesellschaft in Deutschland und in Europa im 19. Jahrhundert nachgezeichnet, die für ← 5 | 6 → die später durch den Gesetzgeber eingeführte Beurkundungspflicht ausschlaggebend war. Schwerpunkte innerhalb dieses geschichtlichen Rückblicks sind vor allem die 1870er Jahre sowie die Umstellung vom damaligen „Konzessionssystem“ auf das „Normativsystem“, welches bis heute Geltung besitzt. Die Untersuchung wird zeigen, dass schon die damalige Entwicklung mitursächlich für die Ausgestaltung des Aktienrechts in der heute bekannten Form war. Dies betrifft unter anderem den Grundsatz der Kapitalaufbringung, aber vor allem das für diese Untersuchung zentrale Prinzip der Kapitalerhaltung.

In einem weiteren Schritt wird die notarielle Tätigkeit im Rahmen der Hauptversammlung vorgestellt (3. Kapitel). Die heute in vielen Fällen gelebte Praxis ist für die später folgenden rechtlichen Ausführungen essentiell, denn nur ihretwegen kommt es zu den noch aufzuzeigenden rechtlichen Problemen. Von besonderer Relevanz erweist sich dabei die Tätigkeit des Notars im Anschluss an die Hauptversammlung. Eng mit dieser Tätigkeit verknüpft ist das schon oben angesprochene Urteil des Bundesgerichtshofs16, das ebenfalls seine Erwähnung findet. Nicht zuletzt stellen sich die in der Ausarbeitung behandelten Probleme auch aufgrund dieser Entscheidung.

Zudem wird auf das Verhältnis von notarieller Niederschrift, Gewinnver­wendungsbeschluss sowie Dividendenanspruch der Gesellschafter eingegangen (4. Kapitel). Dieses Verhältnis wird insbesondere vom Urteil des Bundesgerichtshofs geprägt und ist zusammen mit der Praxis der Dividendenausschüttung unmittelbarer Ausgangspunkt für die wesentlichen rechtlichen Fragen dieser Arbeit. Ziel ist es unter anderem aufzuzeigen, wieso die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses über die Gewinnverwendung von der notariellen Niederschrift abhängt und welche Folgen diese Abhängigkeit im Hinblick auf den Anspruch der einzelnen Aktionäre betreffend die Dividende selbst hat.

Kernstück der Untersuchung ist die umfassende Darstellung der rechtlichen Folgen, die sich aus der derzeitigen Dividendenpraxis der Aktiengesellschaften ergeben können (5. Kapitel). Dabei hängen die noch aufzuzeigenden Erwägungen teilweise vom Eintritt weiterer be-stimmter Umstände ab (Fallbeispiel 2)17, teilweise können sie sich aber in grundsätzlich jedem Fall der verfrühten Dividendenausschüttung ergeben (Fallbeispiel 1)18. Im Rahmen des ersten Beispiels findet sich zudem ein umfassender Exkurs wieder, der sich mit dem Fall eines nichtigen ← 6 | 7 → Gewinnverwendungsbeschlusses auseinandersetzt. Dieser dient zum einen der Untersuchung, ob die für die Nichtigkeit im Folgenden noch darzustellende rechtliche Lösung ebenfalls auf die vorliegende Problemstellung übertragen werden kann. Zum anderen soll mit dessen Hilfe aber auch ein nichtigkeitsspezifisches Problem anschaulich angesprochen werden, welches in seiner konkreten Ausgestaltung in Literatur und Rechtsprechung bisher ersichtlich kaum Berücksichtigung gefunden hat und konkret das Verhältnis des Kapitalerhaltungsgrundsatzes zu dem allgemeinen Rechtsgrundsatz „Treu und Glauben“ im Sinne des § 242 BGB betrifft. Im Rahmen der dann weiteren rechtlichen Ausführungen geht es vor allem um das Verhältnis der betroffenen Gesellschaft zu ihrem Aktionär. Am Rande wird zudem auf die Stellung der Aktiengesellschaft zu ihren Organen und deren Beziehung zum Aktionär eingegangen. Dabei handelt es sich allgemein um für die Praxis besonders wichtige Rechtsfragen, die ihren Ursprung auf der Ebene des Verhältnisses von Aktiengesellschaft und Gesellschafter finden. Ebenfalls werden die Rolle des an der Hauptversammlung teilnehmenden Notars und sein Stand zur Gesellschaft beleuchtet und rechtlich gewürdigt.

Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der in dieser Untersuchung gefundenen Ergebnisse (6. Kapitel) und einem Schlusswort betreffend die Bedeutung der notariellen Tätigkeit im Rahmen der Hauptversammlung sowie die Auswirkungen der vorgestellten Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf die übliche Dividendenpraxis (7. Kapitel). Außerdem findet sich ein Vorschlag des Bearbeiters, wie das Problem der verfrühten Zahlung für künftige Dividendenausschüttungen der betroffenen Aktiengesellschaften elegant gelöst und mögliche, noch näher darzustellende Nachteile für die Gesellschaft oder sonstige Beteiligte vermieden werden können.

D. Überblick über die Rechtslage

Vor der Darstellung der beiden Fallbeispiele sollen im Rahmen dieser Einleitung zum besseren Verständnis der Problematik und der entsprechenden rechtlichen Folgen einige rechtliche Aspekte skizziert werden. Diese bilden den Ausgangspunkt und die Grundlage der vorliegenden Ausarbeitung. Auf jeden einzelnen dieser Punkte wird im späteren Verlauf noch einmal vertieft und umfassend eingegangen.

Die Hauptversammlung ist eines von insgesamt drei Organen der Aktiengesellschaft, die der Gesetzgeber zwingend vorgeschrieben hat.19 In ihr treffen die dort ← 7 | 8 → versammelten Aktionäre, als Gesellschafter die Eigentümer der AG, für die Gesellschaft bedeutende Beschlüsse. Einer dieser zu fassenden Beschlüsse betrifft die Verwendung des Gewinns der Aktiengesellschaft. Wenn ein Gewinn erzielt wurde, wird dieser in der Folge üblicherweise, zumindest teilweise, in Form einer Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet. Die Dividende wird den Aktionären in der Regel auf ihr Bankkonto überwiesen20, meistens schon an dem der Hauptversammlung folgenden Werktag.21 Der Anspruch der Aktionäre auf diese Gewinnbeteiligung setzt aus rechtlicher Sicht einen wirksamen Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung voraus, welcher wiederum in der Praxis von einem finalisierten Hauptversammlungsprotokoll, der notariellen Niederschrift im Sinne des § 130 AktG, abhängig ist.22 Tatsächlich kann es vorkommen, dass zum Zeitpunkt der Auszahlung der Dividende ein endgültiges Hauptversammlungsprotokoll und damit ein wirksamer Gewinnverwendungsbeschluss, noch nicht vorliegen. Denn es entspricht der notariellen Gepflogenheit, dass das Hauptversammlungsprotokoll zwar im unmittelbaren Anschluss an die Hauptversammlung vorläufig vom Notar unterzeichnet wird, die endgültige Unterzeichnung und Entlassung aus dem Gewahrsam des Notars aber erst einige wenige Tage später erfolgt, um noch Korrekturen und Ergänzungen am vorläufigen Hauptversammlungsprotokoll vornehmen zu können.23 Die Entlassung aus dem Gewahrsam des Notars in den Rechtsverkehr wird in aller Regel dadurch herbeigeführt, dass der Notar dem Vorstand der AG eine öffentlich beglaubigte Abschrift der Niederschrift zukommen lässt, damit dieser seiner Pflicht zur Einreichung beim Handelsregister nachkommen kann, § 130 Abs. 5 AktG. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs liegt mit dem vom Notar erst vorläufig unterzeichneten Hauptversammlungsprotokoll daher ein bloßer Entwurf vor.24 Solange dieses Protokoll also nicht final unterschrieben und in den Rechtsverkehr gegeben wurde, fehlt es folglich an einem rechtlichen Anspruch der Aktionäre auf Zahlung der beschlossenen Dividende. Im Wesentlichen ← 8 | 9 → ist dementsprechend zu untersuchen, ob durch eine solche voreilige Ausschüttung der Dividende auf einen in diesem Moment tatsächlich noch nicht bestehenden Dividendenanspruch des Aktionärs, dieser seine Erfüllung, sei es gemäß § 362 BGB oder auf andere Weise, erfahren kann, oder ob nicht vielmehr aufgrund der Ausschüttung in diesem Moment ein Verstoß gegen den aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsgrundsatz nach den §§ 57 ff. AktG gegeben ist.← 9 | 10 →

________________

1 Vgl. Münch. Hdb. AG/Wiesner, 3. Aufl., § 12 Rdn. 3.

2 Vgl. zur Praxis der Ausschüttung Münch. Hdb. AG/Hofmann-Becking, 3. Aufl., § 46 Rdn. 14 ff.

3 Vgl. Hüffer, AktG. 10. Aufl., § 175 Rdn. 1; MünchKomm. AktG/Kropff, 2. Aufl., § 175 Rdn. 5; Spindler/Stilz/Euler, AktG, 2. Aufl., § 175 Rdn. 7.

4 Vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/0,1518,817860,00.html, Zugriff am 25.06.2012.

5 Vgl. http://www.capital.de/finanzen/:Ausschuettungen–DAX-Konzerne-zahlen-Anlegern-256-Mrd--Euro-Dividende/100037338.html, Zugriff am 25.06.2012; vgl. Claussen, FS K. Schmidt, 217, 230, der von einer Dividendensumme von 28 Mrd. Euro bei den DAX 30-Unternehmen berichtet.

6 Vgl. Sudhoff/Froning, Unternehmensnachfolge, 5. Aufl., § 46 Rdn. 24.

7 Diese Bedeutung hat sich beispielsweise im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen gezeigt (MoMiG), BGBl. I, S. 2026; vgl. nur die neu eingeführte Vorschrift des § 57 Abs. 1 S. 3 AktG.

8 Vgl. Ludwig, ZNotP 2008, 345, 350; näheres dazu im 3. Kapital auf Seite 57 ff.

9 BGHZ 180, 9 = NJW 2009, 2207 ff.

Details

Seiten
XIX, 266
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653039276
ISBN (ePUB)
9783653990621
ISBN (MOBI)
9783653990614
ISBN (Hardcover)
9783631648865
DOI
10.3726/978-3-653-03927-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Januar)
Schlagworte
Aktienrecht Hauptversammlung Dividende Notarielle Niederschrift
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XX, 266 S.

Biographische Angaben

Oliver Krauß (Autor:in)

Oliver Krauß studierte Rechtswissenschaften und promovierte an der Universität Freiburg im Breisgau.

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Titel: Dividendenausschüttung in der börsennotierten AG
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