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Ungarndeutsche Literatur

Neue Perspektiven?

von Erika Regner (Autor:in)
©2015 Dissertation 162 Seiten
Reihe: Wechselwirkungen, Band 15

Zusammenfassung

Die sogenannte ungarndeutsche Literatur ist ein schwer zu handhabendes Phänomen, da ihre Bedeutung – wie oft bei deutschsprachiger Literatur außerhalb des deutschen Sprachraums – weit über ihre rein literarische hinausgeht. Der Band wirft einen zeitgenössischen Blick auf diese Literatur und zeigt so die Ursachen und Gefahren der Diskrepanz auf. Die jüngste Generation ungarndeutscher Schriftsteller, die seit 2000 publiziert und bisher kaum literaturwissenschaftliche Beachtung fand, bildet den Ausgangspunkt: Ihr Schaffen wird gemeinsam mit dem ungarndeutschen Literaturbetrieb analysiert und theoretisch kontextualisiert. Dies gibt Aufschluss über die besondere Situation der deutschsprachigen Minderheit in Ungarn hinsichtlich Sprachgebrauch, Schulbildung und Identitätskonstruktion.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Vorwort
  • 2. Theoretische Grundlagen
  • 2.1 Identität und kollektives Gedächtnis
  • 2.2 Die Geschicht der ungarndeutschen Identität bis 1989
  • 2.3 Das Ungarndeutschtum nach der Wende
  • 3. Ungarndeutsche Infrastruktur
  • 3.1 Ungarndeutsche Medien
  • 3.1.1 Radio
  • 3.1.2 Fernsehen
  • 3.1.3 Printmedien
  • 3.2 Vereine
  • 3.3 Bibliotheken
  • 4. Die deutsche Sprache
  • 4.1 Sprache und Sprachbeherrschung bei den Ungarndeutschen
  • 4.2 Deutschsprachige Bildungsmöglichkeiten in Ungarn
  • 5. Die jungen Ungarndeutschen
  • 6. Kulturelles Gedächtnis, Identität und die Rolle der Literatur
  • 7. Überlegungen zur Minderheitenliteratur
  • 8. Ungarndeutsche Literatur
  • 8.1 Die nächste Generation
  • 8.2 Die Rolle der Sprache im neuen Jahrtausend
  • 9. Ungarndeutsche literarische Publikationen nach 2000
  • 9.1 Erkenntnisse 2000
  • 9.2 Seitensprünge
  • 10. Signale
  • 10.1 Die einzelnen Signale von 2000 bis 2010
  • 10.1.1 Signale 2000
  • 10.1.2 Signale 2001
  • 10.1.3 Signale 2002
  • 10.1.4 Signale 2003
  • 10.1.5 Signale 2004
  • 10.1.6 Signale 2005
  • 10.1.7 Signale 2006
  • 10.1.8 Signale 2007
  • 10.1.9 Signale 2008
  • 10.1.10 Signale 2009
  • 10.1.11 Signale 2010
  • 11. Autoreninterviews
  • 12. Leserinterviews
  • 13. Zusammenfassung
  • 14. Bibliographie
  • 15. Anhang
  • 15.1 Leserinterviews / Fragebögen
  • 15.1.1 Leser A
  • 15.1.2 Leser B
  • 15.1.3 Leser C
  • 15.2 Autoreninterviews / Fragebögen
  • 15.2.1 Christina Arnold
  • 15.2.2 Czövek Andrea
  • 15.2.3 Robert Hecker
  • 15.2.4 Monika Szeifert

1. Vorwort

Es erscheint vielleicht wenig originell die Jahrtausendwende zum Anlass zu nehmen, um nach neuen Perspektiven der ungarndeutschen Literatur im 21. Jahrhundert zu fragen. Tatsächlich drängt sich diese Frage aber auf, wenn man sich mit der Entwicklung dieser Literatur im 20. Jahrhundert und ihrer wissenschaftlichen Rezeption bis dato beschäftigt. Denn diese Frage wird von Autoren1 und Literaturwissenschaftlern gleichermaßen immer wieder gestellt, meist gefolgt von pessimistischen Prognosen in Hinblick auf die Zukunftsaussichten der ungarndeutschen Literatur. Dies ergibt sich zum Teil aus der gegenwärtigen Lage der ungarndeutschen Minderheit: Zwar ist die Zahl der Menschen, die sich als Angehörige der ungarndeutschen Minderheit betrachten, im Laufe des 20. Jahrhunderts gestiegen, die Anzahl derjenigen, die die deutsche Sprache gut genug beherrschen, um deutschsprachige Literatur zu lesen oder sogar zu verfassen, ist im Verhältnis hingegen erschreckend gering. Die Ungarndeutschen haben mit den Folgen der über Jahrzehnte fortlaufenden Assimilation zu kämpfen, die ungarndeutsche Identität per se ist gleichsam kaum noch fassbar – wo kann unter solchen Umständen eine ungarndeutsche Literatur überhaupt noch greifen? Wie kann sie die ungarndeutsche Identität stärken und dabei helfen, eine moderne, zeitgemäße Variante von dieser herauszubilden, ohne sich dabei in plump-folkloristischen Schablonen zu verlieren oder aber jeglichen Kontakt zur ungarndeutschen Lebenswelt aufzugeben? Hätte eine solche ungarndeutsche Literatur eigentlich das Potential im gesamtdeutschen Literaturbetrieb wahrgenommen und anerkannt zu werden? Und ist die deutsche Sprache selbst letztlich überhaupt noch die richtige Sprache, um eben all das zu erreichen? Von all diesen Fragen, Erwartungen und Forderungen an die ungarndeutsche Literatur ist die jüngste Generation der ungarndeutschen Autoren am ehesten betroffen. Sie ist es, die als Träger der Literatur angesehen wird, ihr obliegt die Aufgabe, die Literatur am Leben zu erhalten und sie weiter zu entwickeln, weshalb dieser Generation, dem literarischen Nachwuchs in der ungarndeutschen Literatur besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. ← 7 | 8 →

Vorliegende Arbeit möchte einen ersten Beitrag dazu leisten und die gegenwärtige Situation der ungarndeutschen Literatur darstellen, auf ihre Probleme und Herausforderungen hinweisen, ihre Bedeutung für die ungarndeutsche Gemeinschaft herausarbeiten und speziell die Schaffensgrundlagen und Publikationsmöglichkeiten der jungen Autoren beleuchten sowie auf den (fehlenden) Widerhall, den ihre Werke auslösen, eingehen.

Dieses Vorhaben wird durch eine Annäherung auf theoretischer Ebene an die Begriffe Identität, Minderheit sowie Minderheitenliteratur eingeleitet, um zum einen eine theoretisch fundierte Behandlung der spezifisch ungarndeutschen Fragestellungen zu gewährleisten und zum anderen deren Einbettung in einen weiter gefassten Kontext zu ermöglichen. Nach einem kurzen Abriss der ungarndeutschen Geschichte und der Vorstellung der wichtigsten ungarndeutschen Institutionen und deutschsprachigen Medien, die das gegenwärtige Leben der Ungarndeutschen prägen, folgen grundsätzliche Überlegungen zur ungarndeutschen Literatur, eine Betrachtung der seit 2000 publizierten ungarndeutschen Anthologien und eine detaillierte Analyse der zwischen 2000 und 2010 erschienenen „Signale“, der Literaturbeilage der „Neuen Zeitung“ – bei all diesen Punkten liegt das Hauptaugenmerk auf den Vertretern der jüngsten ungarndeutschen Schriftstellergeneration. Abschließend werden die Ergebnisse zweier Umfragen präsentiert, wobei sich eine an eine Gruppe ausgewählter ungarndeutscher Autoren wandte, während die andere einen Eindruck vom Verhältnis der jungen Ungarndeutschen zur ungarndeutschen Literatur geben sollte und sich somit an eine Gruppe junger Ungarndeutscher wandte. ← 8 | 9 →

                                                   

  1  In der gesamten Arbeit bezeichnet die männliche Pluralform gemäß dem spezifischen Kontext Frauen und Männer gleichermaßen.

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Identität und kollektives Gedächtnis

In vorliegender Arbeit spielt die Frage der Identität der Ungarndeutschen in mehrfacher Hinsicht eine zentrale Rolle – so ist damit zum einen die kollektive Selbstwahrnehmung der Ungarndeutschen als Minderheit gemeint, zum anderen aber auch die Identität einzelner Angehöriger der ungarndeutschen Minderheit, die als Produzenten oder (potentielle) Rezipienten von ungarndeutscher Kultur fungieren. Außerdem stellt die ungarndeutsche Identität als solche eines der wichtigsten Motive in der ungarndeutschen Literatur dar, in der unter anderem auch kollektive Geschichte, Wertvorstellungen und gruppenspezifische Probleme behandelt und kommuniziert werden. Aus diesem Grund sollen an dieser Stelle der Begriff der Identität und deren Konstituierung beim Individuum sowie im Rahmen einer Gruppe beleuchtet werden.

Den Überlegungen des Psychoanalytikers Erik H. Erikson folgend, bezeichnet der Begriff der Identität eine vielschichtige und flexible Konstruktion, denn „er [umfaßt] sowohl ein dauerndes inneres Sich-Selbst-Gleichsein wie ein dauerndes Teilhaben an bestimmten gruppenspezifischen Charakterzügen.”2 Konkret bedeutet das bei Erikson:

„Nun ein Gefühl der Identität zu haben, heißt, sich mit sich selbst – so wie man wächst und sich entwickelt – eins fühlen; und es heißt ferner, mit dem Gefühl einer Gemeinschaft, die mit ihrer Zukunft wie mit ihrer Geschichte (oder Mythologie) im reinen ist, im Einklang zu sein.”3

Eine zentrale Rolle für die Entwicklung der Identität spielt demnach das Umfeld einer Person, das sich aus einer Vielzahl von Elementen zusammensetzt: im kleinen Rahmen zählen dazu die Familie, der Freundeskreis, die Erziehungsanstalten und Vereine zur Freizeitgestaltung, etc. Allerdings scheint Erikson mit der Gruppe, der Gemeinschaft, an der das Individuum teilzuhaben hat, mit der es in Einklang zu sein hat, um ein Gefühl der Identität zu haben, auf größere ← 9 | 10 → Gemeinschaften abgezielt zu haben. So können sich diese also beispielsweise innerhalb der definitorischen Grenzen eines Volkes oder einer Nation bewegen. Tatsächlich stellt die Identifikation mit einer Nation in historisch heterogenen Staaten jedoch oftmals ein Problem dar, das in Mittel- und Südosteuropa eine nicht zu vernachlässigende Signifikanz hat.

„Im Vergleich zu anderen Gebieten Europas ist Südosteuropa durch seine Vielfalt ethnischer, nationaler und konfessioneller Gruppenbildungen charakterisiert. […] [D]ie Staatsidentität wird aus dem Anspruch einer Nation auf ihren Staat abgeleitet. Doch in diesen Staaten leben zahlreiche Minderheiten, Angehörige anderer Nationen oder kleinere Gruppen, die sich einer nationalen Einordnung entziehen“4

Nach Jan Assmann werde der Einzelne in seinem Ich-Bewusstsein von Kultur und Gesellschaft, die er als Grundstrukturen beziehungsweise irreduzible Grundbedingungen des Menschseins bezeichnet, geprägt, was aber nicht bedeute, dass damit automatisch ein Wir-Bewusstsein verbunden sei, in welchem sich seine Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft und deren Kultur als Zusammengehörigkeit im Sinne einer Mitgliedschaft artikuliere. Um eine personale Identität ausbilden zu können, müsse der Einzelne in einer gemeinsamen symbolischen Sinnwelt mit anderen leben, wobei diese Gemeinsamkeit erst dann zu einer kollektiven Identität werden könne, wenn sie bewusst gemacht und gehalten werde.5

„Eine kollektive Identität ist […] reflexiv gewordene gesellschaftliche Zugehörigkeit. Kulturelle Identität ist entsprechend die reflexiv gewordene Teilhabe an bzw. das Bekenntnis zu einer Kultur.“6

Details

Seiten
162
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653042658
ISBN (ePUB)
9783653986846
ISBN (MOBI)
9783653986839
ISBN (Hardcover)
9783631651339
DOI
10.3726/978-3-653-04265-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (November)
Schlagworte
Ungarndeutsche Minderheit Minderheitenliteratur Identität und Sprache Literatursoziologie Literaturbetrieb
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 162 S., 1 Tab., 2 Graf.

Biographische Angaben

Erika Regner (Autor:in)

Erika Regner studierte Germanistik und Hungarologie in Wien, Paris und Budapest. Derzeit ist sie als Lektorin am Institut für Vergleichende Europäische Sprach- und Literaturwissenschaften an der Universität Wien tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kulturpolitikforschung, Literatursoziologie und Minderheitenliteratur.

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