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Frauen, Männer und alte Menschen in der Anzeigenwerbung

Die sprachliche Repräsentation sozialer Gruppen in deutschen und US-amerikanischen Zeitschriften

von Heidi E. Lenk (Autor:in)
©2015 Dissertation XII, 292 Seiten

Zusammenfassung

Anhand einer empirisch-korpusbasierten Untersuchung analysiert die Autorin die sprachliche Darstellung von Frauen, Männern und alten Menschen in der Anzeigenwerbung im gesellschaftlichen Kontext des beginnenden 21. Jahrhunderts. Berücksichtigt werden die Variablen Alter, soziales Geschlecht und Kulturkreis. Ein Korpus von US-amerikanischen und deutschen Zeitschriftenwerbeanzeigen wird mittels einer kontrastiven Inhaltsanalyse daraufhin untersucht, wie verschiedene soziale Gruppen im Vergleich sprachlich repräsentiert werden. Die Arbeit ist an der Schnittstelle verschiedener Teilgebiete der Linguistik angesiedelt: den linguistischen Genderstudien, der Gerontolinguistik, der Semiotik sowie der kritischen Diskursanalyse.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 2. Werbung als Form des öffentlichen Diskurses im gesellschaftlichen Kontext des beginnenden 21. Jahrhunderts
  • 2.1 Werbung und die Gesellschaft
  • 2.1.1 Die gesellschaftliche Funktion von Werbung: Ist Werbung Spiegelbild, Zerrbild, Vorbild oder Traumbild einer Gesellschaft?
  • 2.1.2 Der soziale Mehrwert von Werbung
  • 2.2. Spannungsfeld Werbung: Gesellschaftspolitisches Konfliktpotenzial
  • 2.2.1 Instanzen der werblichen Konfliktregelung in Deutschland
  • 2.2.2 Instanzen der werblichen Konfliktregelung in den USA
  • 2.3 Werbung und Zeitschriften
  • 2.3.1 Die Zeitschrift als Werbeträger
  • 2.3.2 Form und Aufbau einer klassischen Werbeanzeige
  • 2.3.2.1 Headline (Schlagzeile)
  • 2.3.2.2 Illustration(en)
  • 2.3.2.3 Body Copy (Fließtext)
  • 2.3.2.4 Signature Line
  • 2.3.2.5 Standing Details
  • 3. Werbesprache in der Linguistik und Semiotik
  • 3.1. Werbesprache aus linguistischer Sicht.
  • 3.1.1 Was ist Werbesprache?
  • 3.1.1.1 Werbesprache als Fach- oder Sondersprache
  • 3.1.1.2 Werbesprache als (kreativ verwendete) Allgemeinsprache
  • 3.1.1.3 Werbesprache als Textsorte
  • 3.1.2 Verschiedene Methoden und Perspektiven im Umgang mit werbesprachlichen Phänomenen
  • 3.1.2.1 Empirisch-korpusbasierte vs. qualitativ-interpretatorische Methoden
  • 3.1.2.2 Synchrone vs. diachrone Perspektive
  • 3.1.2.3 Einzelsprachige vs. mehrsprachige Perspektive
  • 3.1.2.4 Produktübergreifende vs. produktspezifische Perspektive
  • 3.1.2.5 Werbeträgerübergreifende vs. werbeträgerspezifische Perspektive
  • 3.1.2.6 Die Anzeigengesamtheit vs. einzelne Elemente einer Anzeige betrachtende Methoden
  • 3.1.3 Sprachwissenschaftliche Ansätze zur Erforschung der Werbesprache
  • 3.1.3.1 Textlinguistische Ansätze
  • 3.1.3.2 Gesprächs- und konversationsanalytische Ansätze
  • 3.1.3.3 Pragmatische Ansätze
  • 3.1.3.4 Kontaktlinguistische Ansätze
  • 3.1.3.5 Semantische und syntaktische Ansätze
  • 3.1.3.6 Diskursanalytische Ansätze
  • 3.2 Semiotische Aspekte der visuell-verbalen Textgestaltung: Bild-Text-Kommunikate
  • 3.2.1 Die differenzierte Analyse von Bild-Text-Kommunikaten
  • 3.2.2 Das quantitativ-qualitative Verhältnis von Text- und Bildanteilen in der Werbung
  • 3.2.3 Bild-Text-Kommunikate im Spannungsfeld von Linguistik und Semiotik
  • 3.2.4 Visueller Text vs. verbaler Text: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Anzeigenelemente
  • 3.2.5 ‚Anchorage’ und ‚Relay’ – Der Barthes’sche Ansatz zur Beschreibung der Integration des Bildes in das Gesamtkommunikat von Bild-Text-Kommunikaten
  • 3.2.6 Verschiedene Analyseansätze zur Beschreibung der Funktionen des Bildes in Bezug auf den Text
  • 4. Die Darstellung von Menschen in der Werbung
  • 4.1 Der Geschlechterunterschied als soziale Basisdichotomie
  • 4.2 Die Darstellung der Geschlechter in der Werbung – ein Forschungseinblick
  • 4.2.1 Stereotypisierte Darstellungen von Männern und Frauen
  • 4.2.1.1 Die Frauentypen der Werbewelt
  • 4.2.1.2 Die Männertypen der Werbewelt
  • 4.2.1.3 Die stereotypisierte Beziehung zwischen den Geschlechtern
  • 4.2.1.4 Die Beziehung zwischen Mensch und Produkt
  • 4.2.1.5 Bekleidungskonventionen
  • 4.2.1.6 Erotik und Sexualität
  • 4.2.2 Werblicher Sexismus
  • 4.2.3 Lesarten: ‚bevorzugt’, ‚alternativ’ und ‚konkurrierend’ (preferred readings, alternative readings, competing discourses)
  • 4.2.4 Das (numerische) Verhältnis der Geschlechter in Werbeanzeigen
  • 4.2.5 Die Geschlechter in der Sender- und AdressatInnenkonstellation. Sprachliche Aspekte der werblichen Darstellung von Menschen
  • 4.2.5.1 Die Stimmen der Werbemenschen (Wer spricht?)
  • 4.2.5.2 Andere Stimmen (Wer spricht?)
  • 4.2.5.3 Werbliche Ansprache (Wie wird (an)gesprochen?)
  • 4.2.6 Wortwahl und Sprachstil in der Darstellung von Frauen und Männern
  • 4.2.7 Text-Bild-Zusammenhang
  • 4.2.8 Interkulturelle Unterschiede bei der sprachlichen und bildlichen Darstellung von Menschen in der Werbung
  • 4.2.9 Kontextuelle Einbettung der Werbung
  • 4.2.10 Korpusorientierte, empirische Herangehensweisen bei Untersuchungen von Menschendarstellungen in der Werbung
  • 4.2.11 Im Wandel der Zeiten: Diachrone und historische Herangehensweisen bei Untersuchungen von Menschendarstellungen in der Werbung
  • 4.3 Ältere Menschen in der Werbung – ein Forschungseinblick
  • 4.3.1 Zielgruppe Alter: Form und Funktion der Darstellung älterer Menschen in der Werbung
  • 4.3.2 Bevorzugt beworbene Produktgruppen altenrelevanter Anzeigen
  • 4.3.3 Unterrepräsentanz älterer Menschen in der Werbung
  • 4.3.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Darstellungsweise älterer Menschen
  • 4.3.5 Unterschiede im Selbstbild und Fremdbild älterer Menschen in Bezug auf altenrelevante Werbung
  • 4.3.6 Alter als Wirtschaftsfaktor
  • 4.3.7 Sprachliche Bezugnahme auf und Beschreibung von älteren Menschen in der Werbung
  • 4.3.8 Der Bild-Text-Zusammenhang bei Werbung für und mit ältere(n) Menschen
  • 4.3.9 Mediale Repräsentation älterer Menschen in unterschiedlichen Zeitschriften
  • 4.3.10 Reformvorschläge und Empfehlungen zum Umgang mit Werbung für und mit ältere(n) Menschen
  • 5. Theorie und Praxis der linguistischen Inhaltsanalyse und ihre Anwendung bei der Analyse von amerikanischen und deutschen Werbeanzeigen
  • 5.1 Die korpusbasierte Inhaltsanalyse
  • 5.2 Die Problemstellung und Forschungsfrage für die Analyse amerikanischer und deutscher Zeitschriftenwerbung
  • 5.3 Theorie- und empiriegeleitete Kategorienbildung
  • 5.4 Operationalisierung der Kategorien, Validität und Reliabilität
  • 6. Das Korpus deutscher und amerikanischer Zeitschriftenwerbungen der vorliegenden Untersuchung: Projektplanung und Auswahl des Untersuchungsmaterials
  • 7. Das operationalisierte Kategorienschema und seine Anwendung auf amerikanische und deutsche Zeitschriftenwerbungen
  • 7.1 Überblick über das operationalisierte Kategorienschema
  • 7.1.1 Betrachtung der visuellen Elemente der Werbungen
  • 7.1.2 Betrachtung der textuellen Elemente der Werbungen
  • 7.1.3 Betrachtung der Text-Bild-Kombination bzw. der Text-Bild-Beziehung der Werbungen
  • 7.1.4 Betrachtung sonstiger Faktoren
  • 7.2 Das operationalisierte Kategorienschema und seine Realisierung
  • 7.2.1 Die visuellen Elemente
  • 7.2.1.1 Kategorie 1: Anzahl der Bilder
  • 7.2.1.2 Kategorie 2: Hauptfigur
  • 7.2.1.3 Kategorie 3: Alter der dargestellten Person bzw. Hauptfigur
  • 7.2.1.4 Kategorie 4: Anzahl der Personen
  • 7.2.1.5 Kategorie 5: soziale Beziehung
  • 7.2.1.6 Kategorie 6: Rolle der abgebildeten Anzeigenfiguren
  • 7.2.1.7 Kategorie 7: Setting
  • 7.2.1.8 Kategorie 8: Bekleidung
  • 7.2.1.9 Kategorie 9: Produktrelevanz
  • 7.2.1.10 Kategorie 10: Produktspezifizität in Bezug auf Alter
  • 7.2.2 Betrachtung der textuellen Elemente der Werbungen
  • 7.2.2.1 Kategorie 11: Textmenge
  • 7.2.2.2 Kategorie 12: Sprech- und Erzählperspektive
  • 7.2.2.3 Kategorie 13: Sprechweise
  • 7.2.2.4 Kategorie 14: sprachliche Bezugnahme
  • 7.2.2.5 Kategorie 15: Geschlechtergerechter Sprachgebrauch
  • 7.2.2.6 Kategorie 16: Altersreferenzen
  • 7.2.3 Betrachtung der Text-Bild-Kombination bzw. der Text-Bild-Beziehung der Werbungen
  • 7.2.3.1 Kategorie 17: Die Anzeige als duomediale Erscheinung
  • 7.2.3.2 Kategorie 18: Erotische Ambiguität
  • 7.2.3.3 Kategorie 19: Stereotypisierung
  • 7.2.4 Betrachtung sonstiger Faktoren
  • 7.2.4.1 Kategorie 20: Branchen
  • 7.2.4.2 Kategorie 21: Werblicher Kontext
  • 7.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 8. Resümee und Ausblick
  • 9. Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

← xii | 1 →1. Einleitung

To look at the advertisements of a nation is essentially to view most aspects of its existence. Advertising is the story of a nation’s people.

(Williamson 1980, S.3)

Werbung und die Gesellschaft, in der Werbung stattfindet, sind aufs Dichteste miteinander verwoben. Werbung ist gleichsam Ausdruck von Wohlstand und somit logische und unausweichliche Folge einer Gesellschaft mit kapitalistischer Grundstruktur, in der ein Großteil der Bevölkerung über dem Existenzminimum lebt. Was als simples Informieren über das vorhandene Angebot von Waren oder Dienstleistungen beginnt, wird in einer Wohlstandsgesellschaft, in der Waren und Dienstleistungen in Hülle und Fülle vorhanden sind, bald zu mehr, denn sobald viele ähnliche oder gar gleiche Produkte auf dem Markt sind, sehen sich die Anbieter gezwungen, ihre Erzeugnisse im Bewusstsein der Kunden von denen anderer Anbieter zu unterscheiden. Bei gleichen Produkteigenschaften verschiedener Produkte gelingt eine Unterscheidung jedoch nur, indem eines davon zusätzliche Eigenschaften aufweist, die es von den anderen abhebt und die über den reinen Produktnutzen hinausgehen.

Neben der sachlichen Information über Produkteigenschaften steht also die Bewerbung eines bestimmten Mehrwerts eines Produktes im Vordergrund. Hier haben Objektivität und Sachlichkeit nicht die Oberhand, sondern es wird versucht, die potenziellen Käufer über Emotionen zu gewinnen. Dabei bedient man sich hyperritualisierter und vereinfachter Darstellungen von Situationen und Gefühlen, da diese eingängiger, besser erfassbar und emotionaler sind als reale Darstellungen. Diese Darstellungen unterscheiden sich je nach Produkt, aber auch je nach dem, in welchem Land die Werbung produziert wird.

Werbungen kommunizieren mit ihren Rezipienten auf mindestens zwei Kanälen – dem Text und dem Bild. Bilder werden von Menschen auf einer sehr basalen Ebene noch vor Texten wahrgenommen. Da Darstellungen von Menschen in der Werbung zu den effektivsten und beliebtesten Bilddarstellungen gehören, sind es vor allem (der Effektivität halber hyperritualisierte und vereinfachte) Menschendarstellungen, mit denen der soziale Mehrwert kommuniziert wird. Männlichkeit und Weiblichkeit fungieren als Schlüsselkategorien, mit denen sich nahezu jeder Mensch sicher und zweifelsfrei identifizieren kann.

Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es, die Abbildungen und sprachlichen Darstellungen von Menschen in der heutigen Anzeigenwerbung zu analysieren ← 1 | 2 →und zu beobachten, wie sie eingesetzt werden. Speziell interessiert, was in deutschen und amerikanischen Zeitschriftenwerbeanzeigen mit Hilfe von Sprache über Menschen und die jeweilige Gesellschaft ausgesagt wird und wie diese Aussagen gemacht werden. Es werden die Anzeigenlandschaften der beiden Sprach- und Kulturbereiche USA und Deutschland miteinander verglichen. Besonders interessiert dabei, wie die Faktoren Geschlecht und Alter realisiert werden und welche Unterschiede zwischen den einzelnen Zeitschriften und den beiden Ländern in dieser Hinsicht bestehen.

Erreicht werden soll dies mittels einer kulturvergleichenden Studie von Zeitschriftenwerbungen in Form einer kontrastiven Inhaltsanalyse der sprachlichen Repräsentation verschiedener sozialer Gruppen, welche gleichzeitig einen aktuellen Querschnitt der werblichen Repräsentation verschiedener sozialer Gruppen des jeweiligen Kulturkreises darstellt.

Der primäre Fokus der Arbeit, dem sich auch die Art des Zugriffs auf das Phänomen Werbesprache unterzuordnen hat, richtet sich auf die Art und Weise, wie mit Hilfe von Sprache (in diesem Falle der Werbesprache) Menschen dargestellt werden, auf Menschen referiert, über Menschen gesprochen wird und wie die in der Werbung dargestellten Menschen gegebenenfalls selbst ‚sprechen’. Es interessiert das in der Werbung ‚mitverkaufte’ Menschenbild. Es soll herausgearbeitet werden, inwiefern sich die amerikanischen und deutschen Werbestrategien hinsichtlich der sprachlichen Repräsentation und Konstruktion von Menschen verschiedener sozialer Gruppen voneinander unterscheiden. Neben diesem internationalen Vergleich spielt auch der innersprachliche Vergleich eine wichtige Rolle. Innerhalb eines Kulturkreises wird die bildhafte und textuelle Darstellung von Menschen hinsichtlich der Faktoren Geschlecht und Alter verglichen.

Konkret geschieht diese Betrachtung mittels einer empirisch-korpusbasierten, diskursanalytischen, qualitativen Studie von 300 Werbeanzeigen aus sechs verschiedenen Zeitschriften. Ein aus 300 Einzelwerbungen bestehendes Korpus aus drei amerikanischen und drei deutschen Zeitschriften wird auf bestimmte Kriterien, die sich auf die zentrale Fragestellung und die zentralen Aspekte Gender und Alter beziehen, untersucht.

Die Werbeanzeigen des Korpus’ sind primär Produkt- und Dienstleistungswerbungen, ohne besonderen Fokus auf einen bestimmten Dienstleister oder ein bestimmtes Produkt. Image- oder Wahlwerbung wurde ausgelassen. Durch die ver­schiedenen Sprach- und Kulturkreise, aus denen das Korpus besteht, wird ein kultur­übergreifender Vergleich möglich. Der Untersuchungsansatz ist ein synchroner: ermittelt wird der Status quo der amerikanischen und deutschen Anzeigenwerbung zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Dennoch fließen auch Erkenntnisse und ← 2 | 3 →Ergebnisse von diachronen Arbeiten mit ein. Das Hauptaugenmerk liegt auf den sprachlichen Phänomenen, beruht allerdings auf einem extensiven Textbegriff, der das Anzeigenbild mit einschließt. Untersucht wird also die Anzeigengesamtheit, nicht lediglich ein textuelles Element oder nur die Werbesprache. Es handelt sich nicht um eine quantitative Inhaltsanalyse, sondern um eine diskursanalytische qualitative Studie, die quantitative Ergebnisse einbezieht.

Die Methoden und Herangehensweisen der kritischen Diskursanalyse im Sinne von Fairclough (2003) und van Dijk (1985) bieten die Möglichkeit, Diskurse, wie z.B. Werbeanzeigen, daraufhin zu untersuchen, was darin über gesellschaftliche Strömungen, Stimmungen und Ansichten vermittelt wird. Somit kann man zu einer Erkenntnis über Symptome oder Indizien größerer Probleme einer Gesellschaft wie beispielsweise die Themenkomplexe soziale Ungerechtigkeit, Klassenunterschiede, Rassismus oder Sexismus kommen. ‚Discourse’ wird hier entsprechend nicht nur als ein kulturelles, soziales oder auch politisches Phänomen gesehen, worin sich unsere Gesellschaft, Kultur und das diese bestimmende Machtgefüge widerspiegelt. Vielmehr wird den Diskursen innerhalb einer Gesellschaft die Fähigkeit zugeschrieben, gesellschaftliche Werte auch zu konstruieren, zu verbreiten und zu perpetuieren.

Die feministische kritische Diskursanalyse (vgl. z.B. Bucholtz 2003) beschäftigt sich mit öffentlichen Diskursen der verschiedensten Bereiche (Medien, Regierung, Bildung, Medizin) in schriftlicher wie mündlicher Form im Hinblick auf Geschlechterideologien, die über diese Diskurse produziert und reproduziert werden, und arbeitet die linguistischen Strategien heraus, die dabei zum Einsatz kommen. Insofern bietet die kritische feministische Diskursanalyse das passende Handwerkszeug zur Untersuchung der sprachlichen Darstellung der Geschlechter.

Die vorliegende Untersuchung ist als vergleichende Betrachtung der sprachlichen Konstruktion und Repräsentation verschiedener sozialer Gruppen konzipiert und stellt damit einen wichtigen Beitrag für die Forschung an der Schnittstelle von Soziolinguistik und Diskursanalyse dar. Sie bietet einen querschnittartigen Gesamtüberblick über die bestehenden verbalen Werbestrategien der amerikanischen und deutschen Anzeigenwerbung des beginnenden 21. Jahrhunderts im Hinblick auf die Darstellung von Menschen unter besonderer Berücksichtigung der Faktoren Gender und Alter. Werbung wird in diesem Zusammenhang als eine eigenständige Form des öffentlichen, medialen Diskurses angesehen und als eigenständige Textsorte betrachtet.

Um Werbung innerhalb ihres sprachlichen und gesellschaftlichen Kontextes betrachten zu können, werden strukturelle Merkmale der Werbesprache und der Werbebilder inhaltsanalytisch ausgewertet, um so in einem weiteren Interpretationsschritt ← 3 | 4 →zu Aussagen darüber gelangen zu können, welche Bedeutung diese strukturellen Merkmale für die werbliche Konstruktion der Werte und Ansichten der jeweiligen Gesellschaft haben. Der Begriff der Struktur wird hier weit gefasst und führt für diese Untersuchung verschiedene Interessengebiete der Linguistik zusammen – von der feministischen Frauenforschung und der feministischen Linguistik über die Diskursanalyse bis hin zur Gerontolinguistik – Gebiete, die sonst häufig isoliert betrachtet werden. Dieser synoptische Ansatz erlaubt Querverbindungen und Vergleiche, die bei einer separaten Betrachtung nicht möglich wären.

In Bezug auf die Darstellung der Geschlechter in der Werbung besteht bisher noch eine deutliche Forschungslücke. Hinsichtlich des Geschlechteraspektes wird in der vorliegenden Arbeit ein Ansatz vertreten, der Ansichten vereint, die aus der zweiten und dritten Welle der linguistischen Feminismusforschung bekannt sind (vgl. Mills 2004). Dieser eklektizistische Ansatz sieht einen situationsbezogenen Einsatz der Analyseformen zur Aufdeckung von Sexismus vor.

Die Darstellung der Geschlechter in der Werbung hat in der feministischen Linguistik eine lange Tradition, die über die gesamte Entwicklung varietätenlinguistischer und postmoderner, konstruktivistischer feministischer Forschungsparadigmen hinweg reicht (vgl. Litosseliti 2006, Coates 2004). Varietätenlinguistische Ansätze umfassen mit dem Defizit- und Dominanz- sowie dem Zweikulturenansatz Forschungsparadigmen der sogenannten zweiten Generation, in denen sprachliche Mechanismen der systematischen Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft sowohl im Sprachsystem als auch in der Sprachverwendung aufgedeckt werden, wobei das soziale Geschlecht der Interagierenden bzw. der ReferentInnen als entscheidende Variable betrachtet wird (vgl. Litosseliti 2006, Coates 2004).

Postmoderne, dynamische, konstruktivistische Ansätze der sogenannten dritten Generation heben die Dichotomie der Geschlechter als entscheidende Analysevariable auf und betrachten das soziale Geschlecht von Mitgliedern der Sprachgemeinschaft als individuell und kollektiv konstruiertes Produkt, das im gesellschaftlichen Diskurs entsteht und diesen gleichzeitig prägt. Dabei werden geschlechtsrelevante Rollenstereotype sowohl konstruiert als auch perpetuiert. Untersucht wird insbesondere die jeweils spezifische kommunikative Interaktion in einer konkreten Interaktionssituation, wobei neben der Variable ‚soziales Geschlecht’ zahlreiche weitere Kontextfaktoren (z.B. das Alter, die sozialen Beziehungen der Interagierenden zueinander, in spezifischen Kommunikationsgemeinschaften entwickelte Praktiken etc.) einbezogen werden. Damit wurde gleichzeitig ein Paradigmenwechsel von der eher quantitativen zur eher qualitativen Untersuchung geschlechtsrelevanter Interaktions- und Repräsentationstechniken ← 4 | 5 →vollzogen (vgl. Litosseliti 2006, Klann-Delius 2005, Coates 2004, Mills 2004, Holmes & Meyerhoff 2003, Samel 2000).

Bereits Holmes & Meyerhoff (2003) sowie Swann (2003) betrachten beide Perspektiven eher als komplementär. Erstere verstehen das Zusammenführen der zahlreichen einzelnen situationsspezifischen qualitativen Untersuchungen als Forschungsdesiderat, um gesellschaftlich relevante Gesamtaussagen treffen zu können. Die vorgelegte Untersuchung hat das Ziel, in diesem Sinne beide Untersuchungsperspektiven wieder stärker zu synthetisieren und will damit helfen, eine bislang bestehende deutliche Forschungslücke in der feministischen Linguistik zu schließen.

Auch die hier untersuchten Anzeigenwerbungen erfordern eine komplementäre Betrachtungsweise geschlechtsdiskriminierender Praktiken, die Perspektiven und Fragestellungen der zweiten und dritten Generation der feministischen Linguistik einschließt. Der gewählte Untersuchungsansatz ist deshalb auch auf einer zweiten Ebene als synoptisch zu betrachten: Ein relativ umfangreiches Korpus amerikanischer und deutscher Werbeanzeigen wird zunächst in seinem jeweiligen Mikrokosmos qualitativ analysiert. Zusätzlich werden jedoch die genauen Mechanismen der etwaigen Konstruktion geschlechts- und altersrelevanter Stereotypisierungen im Einzelnen an den 300 hier untersuchten amerikanischen und deutschen Zeitschriftenwerbungen in ihrem jeweiligen Kontext qualitativ analysiert. Abschließend werden die Ergebnisse der qualitativen Analyse quantitativ ausgewertet, um zu überprüfen, ob sich Tendenzen für stärker allgemeingültige geschlechts- und altersdiskriminierende diskursive Praktiken in der Zeitschriftenwerbung eingangs des 21. Jahrhunderts zeigen lassen.

Generell wird der Ansatz einer sozial über Stereotypisierungen konstruierten Geschlechterdichotomie befürwortet, da davon auszugehen ist, dass Werbung auf in der Gesellschaft bestehende Stereotypen im Verhältnis der Geschlechter untereinander zurückgreift und sich gerade auch aus Gründen der Zielgruppengenauigkeit und um Aufmerksamkeit zu erheischen häufig auf eine Geschlechterdichotomie beruft. Deshalb sollen zahlreiche Techniken sprachlicher Diskriminierung, die im Zuge des sogenannten Dominanzansatzes aus der zweiten Generation der feministischen Linguistik aufgedeckt wurden, berücksichtigt, einer kritischen Überprüfung unterzogen und gegebenenfalls modifiziert und erweitert werden.

Die vorliegende Arbeit ist in acht Kapitel gegliedert. Zu Beginn stehen ein Forschungsüberblick und die Darstellung verschiedener Herangehensweisen an die Thematik Sprache, Werbung, Geschlecht und Alter. Der zweite Teil der Arbeit widmet sich der linguistischen Inhaltsanalyse von Zeitschriftenwerbungen im ← 5 | 6 →Hinblick auf die Faktoren Alter und Geschlecht. Hier werden Theorie und Praxis, Vorüberlegungen, Durchführung und Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung präsentiert und abschließend diskutiert.

Details

Seiten
XII, 292
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653043174
ISBN (ePUB)
9783653981469
ISBN (MOBI)
9783653981452
ISBN (Hardcover)
9783631652480
DOI
10.3726/978-3-653-04317-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (April)
Schlagworte
Werbebild Anzeigen Werbung, Zeitschriften Gerentolinguistik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XII, 292 S., 35 s/w Abb.

Biographische Angaben

Heidi E. Lenk (Autor:in)

Heidi Elisabeth Lenk studierte Anglistik und Germanistik an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und an der Bucknell University in Lewisburg/Pennsylvania (USA) mit den Schwerpunkten Soziolinguistik und Gerontolinguistik. Zurzeit unterrichtet sie an einem Stuttgarter Gymnasium.

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Titel: Frauen, Männer und alte Menschen in der Anzeigenwerbung
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