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Kommunale Cross-Border-Leasing-Transaktionen

von Marco Rietdorf (Autor:in)
©2014 Dissertation 302 Seiten

Zusammenfassung

Die Nutzung kommunaler Vermögensgegenstände im Rahmen von Cross-Border-Leasing-Transaktionen führt zu Grundfragen des Umgangs mit Verwaltungsvermögen. Die Arbeit stellt sich diesen Fragen und beleuchtet Entwicklung, Funktionsweise, Strukturen sowie die Risiken der langjährigen Transaktionen. Sie klärt neben den kommunalverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und haushaltswirtschaftlichen Grundsätzen insbesondere die öffentlich-rechtlichen Schranken der ertragswirtschaftlichen Verwendung von Verwaltungsvermögen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden gebührenrechtliche Fragestellungen, wie die Behandlung des Barwertvorteils, die Gebührenwirksamkeit transaktionsspezifischer Kosten und die Ansatzfähigkeit kalkulatorischer Abschreibungen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • B. Entwicklung des kommunalen Cross-Border-Leasing
  • I. Ökonomische Grundstruktur
  • II. Pickle-Lease-Struktur
  • III. Lease-In-/Lease-Out-Struktur (LILO)
  • IV. Lease to Service Contract-Struktur
  • V. Exkurs: QTE-Leasing
  • VI. „American Jobs Creation Act“
  • C. Die Lease to Service Contract-Variante im Überblick
  • I. Transaktionsgegenstände
  • II. Transaktionsbeteiligte
  • 1. Die Investoren
  • 2. Der Trust
  • a) „Direktmodell“
  • b) „Doppelstockmodell“
  • 3. Die Kommunen
  • 4. Banken und Kapitalströme
  • a) Kreditgebende Banken
  • b) Erfüllungsübernahme-Banken (Defeasance Banken)
  • c) Depotbank (Equity Defeasance-Bank)
  • d) Akkreditivbank
  • III. Vertragsbeziehungen zwischen den Beteiligten
  • 1. Rahmenvertrag („Participation Agreement“)
  • 2. Hauptmietvertrag (Head Lease)
  • 3. Rückmietvertrag (Sub Lease)
  • a) Pflichtenkatalog der Kommune
  • b) Vertragliches Leistungsstörungsrecht
  • aa) „Events of Default“
  • bb) „Events of Loss“
  • cc) „Burdensome Buyout“
  • aaa) Zahlung des Kündigungswerts („termination value“)
  • bbb) Verwertung des Nutzungsrechts
  • 4. Betreibervertrag („Service Contract“)
  • 5. Einvernehmliche Vertragsbeendigung
  • D. Risikoanalyse und Risikoallokation
  • I. Risiken des Investors
  • 1. Steuerrechtliche Nichtanerkenntnis
  • 2. Zahlungsunfähigkeit der Kommune
  • a) Keine unmittelbare Einstandspflicht der Länder
  • aa) Keine Eigentumsbeeinträchtigung der Schuldner
  • bb) Keine amtshaftungsrechtlichen Ansprüche
  • cc) Keine konzernrechtliche Haftungsansprüche
  • dd) Ansprüche aus Gewährträgerhaftung und Anstaltslast?
  • aaa) Ausfallhaftung für öffentlich-rechtliche Trabanten
  • bbb) Keine Übertragbarkeit auf das Verhältnis Land/Gemeinde
  • b) Kommunaler Anspruch auf funktionsgerechte Finanzausstattung
  • II. Risiken der Kommune
  • 1. Vertragliche Haftung
  • a) Beschädigung/Zerstörung der Anlage
  • b) Leistungsstörungen
  • 2. Flexibilitätsverluste
  • a) Organisatorische Flexibilität
  • aa) Anforderungen an künftige Umstrukturierungen
  • bb) Verortung der Garantieübernahme im EU-Beihilfen-Regime
  • b) Operative Flexibilität
  • 3. US-amerikanische Rechts- und Gerichtswahl
  • a) Vollstreckbarerklärung des US-amerikanischen Urteils
  • b) Vollstreckungsschutz in Deutschland
  • 4. Erhebung von Quellensteuer
  • a) US-amerikanische Quellensteuer
  • b) Deutsche Quellensteuer
  • aa) Steuerabzug gem. § 50 a Abs. 4 Nr. 3 EStG
  • bb) Steuerabzug vom Kapitalertrag gem. § 43 ff. EStG
  • aaa) Besteuerung des US-Trusts
  • bbb) Besteuerung der Kommune
  • c) Künftige (Steuer-)Rechtsänderungen
  • 5. Insolvenz eines Vertragspartners
  • a) Insolvenz des US-Investor
  • b) Insolvenz des US-Trust
  • aa) Potentielle Insolvenzfähigkeit
  • bb) Beendigung des Hauptmietvertrages
  • cc) Beendigung des Rückmietvertrages
  • c) Insolvenz eines Finanzinstituts
  • 6. Bonitätsverfall eines Vertragspartners
  • 7. Währungs- und Zinsschwankungen
  • E. Kommunalverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen
  • I. Beschlussfassung innerhalb der Kommune
  • 1. Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit
  • a) Ausschluss der Sitzungsöffentlichkeit
  • b) Erfordernis einzelfallbezogener Abwägung
  • c) Rechtsfolgen eines Verstoßes
  • d) Möglichkeit des Rechtschutzes
  • aa) Klagebefugnis der Bürger
  • bb) Klagebefugnis der Ratsmitglieder
  • 2. Information der Gemeindevertretung
  • II. Informationszugangsanspruch der Bürger
  • 1. Kein Auskunftsverweigerungsrecht der Vertragspartner
  • 2. Kein Auskunftsverweigerungsrecht der Kommunen
  • III. Transaktionsspezifische Bürgerbegehren
  • 1. Hinreichender Kostendeckungsvorschlag
  • 2. Keine Sperrwirkung des Bürgerbegehrens
  • IV. Kommunalaufsichtsrechtliches Genehmigungserfordernis
  • 1. Kredite oder kreditähnliche Rechtsgeschäfte
  • 2. Gewährverträge und vergleichbare Rechtsgeschäfte
  • 3. Zulässigkeits- und Genehmigungskriterien
  • F. Rechtliche und wirtschaftliche Eigentumszuordnung
  • I. Zivilrechtliche Eigentumslage
  • II. Wirtschaftliche Eigentumslage
  • G. Zivilrechtliche Schranken
  • I. Verbotsgesetze und die guten Sitten
  • 1. Keine Sittenwidrigkeit
  • 2. Keine Umgehung deutscher Steuergesetze
  • II. Rechtsbindungswille der Parteien
  • III. Vereinbarkeit mit § 544 BGB
  • H. Öffentlich-rechtliche Schranken
  • I. Der innerstaatliche Finanzverbund
  • II. Kommunalverfassungsrechtliche Überlassungsverbote
  • III. Die Pflicht zur deutschen Amtssprache
  • IV. Gemeinwohlbezug der Transaktionsgegenstände
  • 1. Widmungsverstricktes Verwaltungsvermögen
  • 2. Überlagerung der kommunalen Verfügungsbefugnis
  • 3. Widmungszweck als Nutzungsgrenze
  • 4. Widmungsrechtliche Neutralität der Transaktionen
  • V. Kommunalwirtschaftliche Vorgaben
  • 1. Keine wirtschaftliche Betätigung
  • 2. Randnutzung kommunalen Vermögens
  • VI. Vereinbarkeit mit haushaltswirtschaftlichen Grundsätzen
  • 1. Sicherung der stetigen Aufgabenerfüllung
  • 2. Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
  • 3. Vermögensspezifische Vorgaben
  • 4. Exkurs: Die Regelung des Art. 61 Abs. 3 S. 1 BayGO
  • 5. Transaktionsspezifische Risikobewertung
  • a) Schadenswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe
  • b) Vergleichende Risikobetrachtung
  • aa) Risiken im Vergleich zum „klassischen“ Leasing
  • bb) Risiken im Vergleich zu Public Private Partnerships (PPP)
  • c) Zwischenergebnis
  • VII. Die ausländische Rechts- und Gerichtswahl
  • 1. Unanwendbarkeit von § 40 Abs. 2 ZPO
  • a) Ausschließlicher dinglicher Gerichtsstand
  • b) Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miete oder Pacht
  • 2. Verfassungsrechtliche Schranken
  • I. Gebührenrechtliche Implikationen
  • I. Grundzüge kommunaler Gebührenkalkulation
  • 1. Das Kostendeckungsprinzip
  • 2. Kostenbegriff und Kostenberechnung
  • 3. Grundsatz der Periodenbezogenheit
  • 4. Prinzip der Leistungsproportionalität
  • 5. Prinzip der Erforderlichkeit
  • 6. Fehlerfolgen
  • II. Behandlung transaktionsspezifischer Kosten
  • 1. Gebührenfähigkeit „allgemeiner“ Leerkosten
  • 2. Gebührenrelevanz transaktionsspezifischer Kosten
  • a) Mangelnder Sachzielzusammenhang
  • b) Ansatzfähigkeit transaktionsspezifischer Kosten bei Einstellung des Barwertvorteils in den Gebührenhaushalt?
  • aa) Kein Wahlrecht der Kommune
  • bb) Interdependenz von Ertrag und Risiko
  • cc) Zeitliche Grenze des Kostenansatzes
  • III. Gebührenrechtliche Behandlung des Nettobarwertvorteils
  • 1. Kosten als gebührenrechtlicher Anknüpfungspunkt
  • 2. Keine eigentumsähnliche Position des Gebührenzahlers
  • 3. Keine Anrechnung auf die kalkulatorischen Zinsen
  • IV. Ansatzfähigkeit kalkulatorischer Abschreibungen
  • 1. Entscheidungserheblichkeit des „wirtschaftlichen Eigentums“
  • 2. Möglichkeit der „doppelten Abschreibung“
  • V. Ansatzfähigkeit von Fremdkosten bei Nichtausübung der Kaufoption und kooperationsvertraglicher Aufgabenwahrnehmung
  • J. Auswirkungen auf staatliche Zuwendungen
  • K. Zusammenfassung
  • I. Funktionsweise und Struktur eines Cross-Border-Lease
  • II. Transaktionsspezifische Risiken
  • III. Kommunalverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen
  • IV. Rechtliche und wirtschaftliche Eigentumszuordnung
  • V. Zivilrechtliche Schranken
  • VI. Öffentlich-rechtliche Schranken
  • VII. Gebührenrechtliche Implikationen
  • VIII. Auswirkungen auf staatliche Zuwendungen
  • Literaturverzeichnis

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A. Einleitung

Der Begriff „kommunales Cross-Border-Leasing“ umschreibt komplexe grenzüberschreitende Leasingtransaktionen, die von deutschen Kommunen und kommunalen Zweckverbänden zwischen 1995 und 2003 mit US-amerikanischen Vertragspartner getätigt wurden. Während die grenzüberschreitenden Leasing-Gestaltungen ursprünglich vornehmlich der Investitionsgüterfinanzierung von Luftverkehrsunternehmen dienten, boten sie der öffentlichen Hand in modifizierter Form durch Nutzung divergierender steuergesetzlicher gesetzlicher Rahmenbedingungen in den USA und Deutschland eine innovative Möglichkeit zur Ausweitung ihrer Konsum- und Investitionskraft.

Die Transaktions- und Vertragsgestaltungen variieren im Einzelfall erheblich: Kernstück eines kommunalen Cross-Border-Lease ist - entgegen landläufiger Annahme - nicht der Verkauf, sondern die langfristige Vermietung langlebiger kommunaler Wirtschaftsgüter an einen US-amerikanischen Vertragspartner unter umgehender Rückanmietung durch die Kommune. Dabei werden durch Ausnutzung divergierenden Voraussetzungen für die steuerliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern in den USA und Deutschland die Voraussetzungen einer „doppelten“ Zurechnung zielgerichtet herbeigeführt, um das Wirtschaftsgut sowohl der Kommune (Leasinggeber) als auch dem Investor (Leasingnehmer) als „Vermögen“ bilanzsteuerlich zuzuordnen. Durch die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums aus US-steuerrechtlicher Sicht erlangt der Investor die Möglichkeit, in den USA Abschreibungen auf das Wirtschaftsgut vorzunehmen und seine im Rahmen der Transaktion getätigten Aufwendungen als Gewinn mindernde Betriebsausgaben ertragssteuerlich geltend zu machen. Maßgeblich hierfür ist nicht das zivilrechtliche, sondern das wirtschaftliche Eigentum aus US-steuerrechtlicher Sicht1. Ein Verkauf bzw. eine Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums erfolgt nicht.

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Wirtschaftlich handelt es sich beim einem kommunalen Cross-Border-Lease um eine Finanztransaktion, bei der durch den Einsatz konventionell finanzierter Wirtschaftsgüter steuerliche Zurechnungsqualifikationsunterschiede - ähnlich einem Arbitragegeschäft - gewinnbringend dazu genutzt werden, das in den Gütern vorhandene Steuer(spar)potential in den USA in liquide Barwerte umzuwandeln2. Im Gegensatz zu hergebrachten Leasing-Varianten dienen die Transaktionen nicht der steuerlich vorteilhaften Gestaltung einer Realinvestition, sondern der Einnahmeerzielung, da die in die Transaktion eingebrachten Wirtschaftsgüter bereits beschafft und konventionell finanziert sind. Von wirtschaftlichem Interesse für die Vertragsparteien sind nicht deren Nutzung, sondern die ihnen innewohnenden Steuervorteile. An deren Realisierung partizipieren die Kommunen anteilig in Form des millionenschweren (Netto-)Barwertvorteils, der gewissermaßen den „Lohn“ für Ihre Mithilfe bei Generierung des Steuervorteils bildet und ihnen unmittelbar nach Vertragsschluss zufließt.

Ihre Hochzeit erlebten die Transaktionen zwischen 1995 und 2003, einer Zeit, die - mit Ausnahme der Jahre 1998, 1999 und 2000 - durch ein massives Finanzierungsdefizit der kommunalen Haushalte geprägt war3 und in der sich die Städte und Gemeinden in der bis dahin größten Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik befanden4. Infolge der Finanzmisere, in der immer mehr Kommunen in die Haushaltsicherung oder in das Nothaushaltsrecht gerieten bzw. zu geraten drohten5 und gezwungen waren, Sachinvestitionen zu dezimieren6 und laufende ← 14 | 15 → Ausgaben und Sozialtransfers durch die Veräußerung von Verwaltungsvermögen7 oder gar über Kassenkredite zu decken8, gewannen Cross-Border-Leasing-Transaktionen als vermeintlich sicheres und innovatives Instrument zur Erschließung zusätzlicher Finanzmittel im kommunalen Bereich zunehmende Bedeutung9. Begünstigt durch die Hochzinsphase Mitte der neunziger Jahre wurden bis zum Jahr 2003 bundesweit schätzungsweise - verlässliche Statistiken existieren nicht - zwischen 150 und 200 Transaktionen geschlossen, die den kommunalen Kassen einen „Milliardensegen“ bescherten. Schätzungen über das Gesamtvolumen aller in Deutschland geschlossenen Verträge variieren zwischen 30 und 100 Milliarden Euro. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden von 1997 bis 2002 mindestens 19 Transaktionen getätigt, in deren Rahmen die Kommunen Sondereinnahmen in Höhe von rund 345,5 Mio. € erwirtschaftet haben dürften. Verleast wurden u.a. die Dortmunder Westfalenhalle, die Kölner Straßenbahnen sowie Kläranlagen und Kanalnetze in den Städten Bonn, Düsseldorf, Köln, Gelsenkirchen, Recklinghausen und Wuppertal10.

Wegen ihres auf Kapitalbeschaffung gerichteten Zwecks gelten die Transaktionen als „Sonderfinanzierungsinstrumentarium“11. Auswirkungen auf die realwirtschaftliche Nutzung des kommunalen Vermögens sind unerwünscht und werden in der Praxis dergestalt geschickt vermieden, dass es für die Bürger regelmäßig nicht ersichtlich ist, ob „ihr“ Verwaltungsvermögen Gegenstand eines Cross-Border-Lease ist oder nicht. Gleichwohl sind die Transaktionen nicht rein virtuell, sondern an ernsthaft gewollte schuldrechtliche Verträge geknüpft, aus denen reale ← 15 | 16 → Risiken resultieren, die sich zwar minimieren, aber nicht ausschließen lassen12. Zwar droht - wie noch zu zeigen sein wird - nicht der Verlust des juristischen oder wirtschaftlichen Eigentums an den Transaktionsgegenständen. Jahrzehnte währende Vertragslaufzeiten und Instandhaltungsklauseln bedeuten für die Kommunen jedoch u.a. erhebliche Flexibilitätsverluste und zwingen sie ungeachtet etwaiger Überkapazitäten für die Dauer des Rückmietvertrages zu einem kostenintensiven Fortbetrieb der Transaktionsgegenstände bzw. deren Erhalt in einem betriebsbereiten Zustand. Nicht weniger riskant sind die Insolvenz oder ein Bonitätsverlust der Vertragsparteien. Sinkt etwa die Bonität der der involvierten Finanzinstitute unter ein vertraglich vereinbartes Maß, sind die Kommunen oftmals vertraglich verpflichtet, zusätzliche Sicherheiten auf eigene Kosten zu bestellen oder das betroffene Unternehmen gegen eines mit besserer Bonität auszutauschen. Gelingt dies - etwa aufgrund eines kollektiven Marktversagen - nicht, drohen Schadensersatzzahlungen in Millionenhöhe.

Während die Leasing-Geschäfte zunächst nur am Rande der öffentlichen Wahrnehmung standen und als innovative Finanzierungsinstrumente gepriesen wurden, entwickelte sich mit zunehmender Verbreitung - befeuert durch eine ungeschickte „Geheimniskrämerei“ der Gemeinden und der Angst vor einem vermeintlichen „Ausverkauf“ kommunalen Vermögens an anonyme US-amerikanischer Investoren - eine öffentliche Debatte über Sinn und Zweck sowie die Risiken grenzüberschreitender Sonderfinanzierungen, in deren Folge die von Kritikern mitunter als „unmoralisch“13, „parasitäre Eigentumsvermehrung“14 oder „Steuerhinterziehung“15 bezeichneten Transaktionen weitgehende Bekanntheit erlangten. Während die kommunalen Entscheidungsträger den Transaktionen gleichwohl weiterhin meist positiv gegenüberstanden, nahmen Teile der Bürger eine kritisch distanzierte Haltung ein, die zur Gründung von Bürgerinitiativen16 und diversen Bürgerbegehren17 und Bürgerentscheiden führte18.

In der Folge beschäftigten die Transaktionen nicht mehr nur die Politik, sondern - insbesondere hinsichtlich der Verwendung des vereinnahmten Barwertvorteils - auch ← 16 | 17 → die die Verwaltungsgerichte19 und die Ministerialbürokratie, wobei letztere keine einheitliche Linie fand:

 In Baden-Württemberg qualifizierte das Innenministerium einzelne Vertragsteile und Klauseln als der kommunalaufsichtlichen Genehmigung unterliegende kreditähnliche Geschäfte und erteilte im Rahmen seiner Zuständigkeit alle notwenigen Ausnahmen und Genehmigungen20. Die Rechtslage sei geeignet, um „im Wege einer sorgfältigen Einzelfallprüfung durch die Rechtsaufsicht eine geordnete Haushaltswirtschaft der Gemeinden zu gewährleisten“21. Ebenso befürwortet wurde die Einbeziehung des Barwertvorteils in die Gebührenkalkulation22. Ein auf ein Verbot kommunaler Cross-Border-Leasing-Gestaltungen zielender Gesetzentwurf der Fraktion GRÜNE23 zur Änderung der Gemeindeordnung wurde im Landtag mit großer Mehrheit abgelehnt24.

 Das rheinland-pfälzische Ministerium des Innern und für Sport bejahte ebenfalls die gebührenrechtliche Ansatzfähigkeit des Barwertvorteils25 sowie wie die Notwendigkeit einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung oder Ausnahmegestattung26.

 Dagegen äußerte die schleswig-holsteinische Landesregierung zwar grundsätzliche Bedenken gegen den Abschluss kommunaler Cross-Border-Leasing-Transaktionen, qualifizierte diese jedoch als kommunalaufsichtlich nicht genehmigungsbedürftig27.

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 Die nordrhein-westfälische Landesregierung qualifizierte die Transaktionen als in der Regel nicht genehmigungsbedürftig28 und hielt eine gesetzliche Untersagung im Interesse der kommunalen Eigenverantwortung nicht für angezeigt29. Eine Transferierung der Erträge an den kommunalen Haushalt bei Eigenbetrieben und eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen sei „unter Berücksichtigung abgabenrechtlicher Aspekte nicht ausgeschlossen, soweit dadurch die Aufgaben- und Zweckerfüllung und die künftige Entwicklung des Eigenbetriebs bzw. der eigenbetriebsähnlichen Einrichtung nicht beeinträchtigt werden“30.

 Auch in Hessen verneinte die Ministerialverwaltung die Genehmigungspflicht. Mit Rücksicht auf die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung habe die Landesregierung grundsätzlich nicht das Recht, „den Kommunen eine legale Möglichkeit der Geldbeschaffung zu verbieten, die den kommunalen Haushalt bei vertragsgemäßen Ablauf des Geschäfts nicht belaste“31. Die Geschäfte seien zwar mit durchaus beachtlichen Risiken verbunden. Bei strikter Beachtung bestimmter Vorsichtsmaßnahmen könnten sich die Kommunen jedoch davor schützen32.

 Im Freistaat Sachsen erließ das Sächsische Staatsministerium des Innern und das Sächsische Staatsministerium der Finanzen eine gemeinsame Verwaltungsvorschrift zur kommunalwirtschaftlichen und rechtsaufsichtlichen Beurteilung von Cross-Border-Leasing-Transaktionen (VwV CBL)33, mit der u.a. kumulativ die Grundsätze für die ordnungsgemäße Verwaltung sowohl des Anlage- als auch des Finanzvermögens für anwendbar erklärt (Punkt 3), die Genehmigungsbedürftigkeit der Transaktionen festgestellt (Punkt 4.1) und exakte Vorgaben für die Anbahnung und die Durchführung der Transaktionen aufgestellt wurden (Punkt 5 und 6)34. Die gebührenrechtliche Ansatzfähigkeit des ← 18 | 19 → Barwertvorteils wird in der VwV CBL verneint. Dieser ist hiernach mindestens zur Hälfte zweckgebunden in eine Rücklage einzustellen oder alternativ zur außerplanmäßigen Schuldentilgung zu verwenden, wobei die Zinsersparnis über den gesamten Zeitraum der Transaktion zweckgebunden einer Rücklage zuzuführen ist (Punkt 6.3.5.).

 Erheblich restriktiver reagierte dagegen der Freistaat Bayern, wo im Zuge einer Gesetzesänderung ein - der Sache nach wenig wirksames - Gebot zur Minimierung finanzieller Risiken in die Kommunalverfassung aufgenommen wurde, um kommunale Cross-Border-Leasing-Transaktionen zu verhindern35.

Letztendlich war es jedoch nicht die deutsche Politik, sondern der US-amerikanische Gesetzgeber, der mit einer Änderung der den Transaktionen zu Grunde liegenden Steuergesetzgebung im Jahr 2004 den Transaktionen den Nährboden entzog und den Abschluss steuerlich motivierter Leasinggeschäfte mit in den USA nicht steuerpflichtigen Leasingnehmern unterband. Die Gesetzesänderung ließ den bis dahin prosperierenden Markt kollabieren, woraufhin die Transaktionen in Deutschland nahezu vollständig aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwanden. Mediale Aufmerksamkeit erfuhr das Thema erst wieder im Herbst 2008 im Zuge der internationalen Finanzmarktkrise36, als die Beinahe-Insolvenz des in vielen Transaktionen eingebundenen US-amerikanischen Versicherungsriesen American International Group (AIG) mehrere Kommunen zwang, ihre Transaktionen kostenträchtig ← 19 | 20 → umzustrukturieren. In der Presse wurde daraufhin oftmals der Eindruck erweckt, die Kommunen hätten sich flächendeckend in blinder Gier „verzockt“ bzw. seien für „dumm verkauft“ worden37. Erheblich weniger Beachtung fand und findet, dass die meisten Transaktionen - trotz der internationalen Finanzmarktkrise - bis heute erhebliche Gewinne abgeworfen und kommunalen Finanzen gedient haben.

Vor diesem Hintergrund erscheint es angezeigt, die Transaktionen rückblickend einer abschließenden Bewertung zu unterziehen. Basierend auf der auf kommunaler Ebene vorherrschenden „Lease to Service Contract“-Variante, die mitunter auch als SILO (sale-in and lease-out) bezeichnetet wird38, gibt die Arbeit zunächst einen Überblick über Entwicklung, Funktionsweise und Vertragsstrukturen kommunaler Cross-Border-Leasing-Transaktionen, um sich sodann mit deren Risiken anzunehmen. Angesichts der Erfahrungen der internationalen Finanzmarktkrise 2008 gilt dabei besonderes Augenmerk der Frage nach einer etwaigen Ausfallhaftung der Länder bei Zahlungsunfähigkeit der Kommunen sowie den Folgen einer Insolvenz oder eines Bonitätsverfall der kommunalen Vertragspartner. Erörtert werden ferner die kommunalaufsichtsrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit der Transaktionen, die Zulässigkeit der Verwendung englischer Sprache, die Wahl eines US-amerikanischen Rechts und Gerichtsstandes und - mit Blick auf den Vorwurf, die Transaktionen seien der demokratischen Kontrolle entzogen - die Verwendung von „Transaktionsbeschreibungen“ im Vorfeld der Beschlussfassung im Gemeinderat sowie den dortige Ausschlusses der Sitzungsöffentlichkeit.

Neben den „vertragstechnischen“ Fragestellungen wird in einem zweiten Schritt der Frage nachgegangen, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die fiskalische Verwendung von Verwaltungsvermögen im Rahmen einer grenzüberschreitenden Sonderfinanzierung überhaupt zulässig ist, da die Kommunen - anders als private Markteilnehmer - keine uneingeschränkte privatwirtschaftliche Handlungsfreiheit in Form der Privatautonomie genießen, sondern vielfältigen öffentlich-rechtlichen Reglementierungen unterworfen sind, die ihre Handlungsoptionen prägen39. Letzteres ist nicht nur von akademischem Interesse, sondern angesichts der ultra vires-Doktrin, nach der Rechtsgeschäfte, die eine juristische Person des öffentlichen Rechts außerhalb durch ihre Organe außerhalb ihres durch Gesetz oder ← 20 | 21 → Satzung bestimmten Wirkungskreises vornimmt, der Rechtswirksamkeit entbehren40, von erheblicher praktischer Bedeutung. Angesichts ständig neuer „Rekorddefizite“ der kommunalen Haushalte und der hinlänglich bekannten Innovationsfreudigkeit der Finanzbranche ist zudem nicht auszuschließen, dass ähnliche Vertragskonstrukte unter Ausnutzung steuerrechtlicher Zurechnungsqualifikationsunterschiede in anderen Jurisdiktionen entwickelt und den Kommunen angeboten werden41.

Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit bilden schließlich gebührenrechtliche Fragestellungen: Notwendige Restrukturierungen im Zuge der Finanzmarktkrise, vorzeitige Vertragsbeendigungen, jahrzehntelange Vertragslaufzeiten, die fortschreitende technische Entwicklung sowie der spürbare demographische Wandel werfen die Frage auf, welche gebührenrechtlichen Folgen sich ergeben, wenn im Laufe der Transaktionen zusätzliche Kosten entstehen, sei es weil gebührenfinanzierte Anlagen nicht mehr verkleinert werden können, sondern aufgrund vertraglicher Bestimmungen in überdimensionierter Form weiterbetrieben werden müssen, oder die Kommune plötzlich verpflichtet ist, Geld in die Transaktionen nachzuschießen42. Eng damit verbunden ist die Frage, ob lineare Abschreibungen auf die Transaktionsgüter als kalkulatorische Kosten weiterhin in der Gebührenkalkulation in Ansatz gebracht werden dürfen und unter welchen Voraussetzungen ein durch Nutzung der beitrags- oder gebührenfinanzierter öffentlicher Einrichtungen erzielte finanzielle Vorteil in den Beitrags- bzw. Gebührenhaushalt einbezogen werden muss. Da es sich bei den Transaktionsgegenständen zudem häufig um kommunale Großprojekte handelt, die unter Verwendung zweckgebundener staatlicher Fördermittel verwirklicht wurden, ist zudem zu klären, welche zuwendungsrechtlichen Folgen die Transaktionen nach sich ziehen.

1 Die Unterscheidung zwischen zivilrechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum ist für das Verständnis der Transaktionen von entscheidender Bedeutung. Nach deutschem Recht sind Wirtschaftsgüter grundsätzlich dem Eigentümer zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 AO). Abweichend von der zivilrechtlichen Eigentümerstellung an Wirtschaftsgütern sind Wirtschaftsgüter demjenigen zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann (39 Abs. 2 Nr. 1 AO).

2 Günther/Niepel, DStR 2002, 603. Als ein Arbitragegeschäft gelten Geschäfte, bei dem gleichzeitige Preis-, Kurs- oder Zinsunterschiede an verschiedenen Märkten zum Gegenstand der Gewinnerzielung gemacht werden.

3 Das Gesamtdefizit der kommunalen Haushalte - d.h. die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben - betrug im Jahr 1995 über 7. Mrd. Euro, während es im Jahr 2002 rund 3,6 Mrd. Euro, im Jahr 2003 rund 8,5 Milliarden Euro und im Jahr 2004 rund 3,8 Milliarden Euro waren. Umfassend hierzu Schwarting Rn. 100 ff.; Waldhoff in Henneke/Pünder/Waldhoff, § 7 Rn. 3; Faber in Henneke/Pünder/Waldhoff, § 34 Rn. 3; Römer/Herbeck, apf 2004, 41.

4 Faber in Henneke/Pünder/Waldhoff, § 34 Rn. 3; Römer/Herbeck, apf 2004, 41.

5 Die Gründe für die Negativ-Entwicklung der kommunalen Finanzen sind vielschichtig und dürften neben schlichter Misswirtschaft insbesondere in steigenden Sozialausgaben sowie rückläufigen Einahmen aus den Gemeindeanteilen an Umsatz- und Einkommenssteuer sowie einem Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen zu sehen sein.

6 Diese lagen im Jahr 2003 um 38 Prozent unter den kommunalen Sachinvestitionen des Jahres 1992, Faber in Henneke/Pünder/Waldhoff, § 34 Rn. 3.

7 Von 1992 bis 2003 wurden für rund 82 Mrd. € Vermögensgegenstände und Beteiligungen verkauft (Albers, NdsVBl. 2005, 57, 58). Der Verkauf kommunaler Vermögensgegenstände zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung führt zu einem Substanzverzehr und damit zwangsläufig zum vollständigen Vermögensverlust der Kommunen, was insbesondere im Hinblick auf die intergenerative Gerechtigkeit als höchst problematisch erscheint.

8 Laut Gesetz dürfen Kassenkeredite eigentlich nur zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe aufgenommen werden, vgl. § 89 Abs. 2 S. 1 GO NRW; § 94 Abs. 1 NGO; Art. 73 Abs. 1 BayGO; Albers, NdsVBl. 2005, 57, 59.

9 Dies galt im Übrigen auch für auch andere originär privatwirtschaftliche Finanzierungsinstrumente (wie z.B. Leasing oder Factoring) ebenso wie für Privatisierungen und die unter dem Sammelbegriff des Public Private Partnership (PPP) zusammengefassten Organisations- und Kooperationsformen.

10 Vgl. Römer/Herbeck, apf 2004, 41, 43; Roser, S. 36; Eder, ENTSORGA 2004, 33; Gindra, S. 15; Ginsbach, S. 21 sowie die umfassende Übersicht bei Rügemer, S. 181 ff.

11 Roser, S. 74 ff.; Bühner/Sheldon, DB2001, 318; Jahndorf, 334; Laudenklos/Pegatzky, NVwZ 2002, 1299.

12 Dass die Transaktionen nicht gänzlich risikolos waren, musste erstmals die Stadt Aachen erfahren, die mit einem Verlust von rund 9,5 Mio. € aus den gescheiterten Verhandlungen über ihre Müllverbrennungsanlage ausstieg.

13 Schacht, KStZ 2001, 229.

14 Rügemer, S. 15.

15 Heidorn, S. 24.

16 So z.B. in Recklinghausen, Oberhausen, Stuttgart, Fürth und Saarbrücken.

17 Z.B. in Frankfurt a.M. und Gelsenkirchen.

Details

Seiten
302
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653044645
ISBN (ePUB)
9783653983784
ISBN (MOBI)
9783653983777
ISBN (Paperback)
9783631653081
DOI
10.3726/978-3-653-04464-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Schlagworte
Risikoallokation Kommunalverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen Verwaltungsvermögen Barwertvermögen Kommunales Cross-Border-Leasing Cross-Border-Leasing-Transaktionen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 302 S.

Biographische Angaben

Marco Rietdorf (Autor:in)

Marco Rietdorf studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bonn. Der promovierte Volljurist ist als Fachanwalt für Verwaltungsrecht tätig.

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Titel: Kommunale Cross-Border-Leasing-Transaktionen
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