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Das Spannungsverhältnis zwischen Verbraucherschutz und Unternehmerrechten

Anhand des Haustürgeschäfts und des Fernabsatzvertrages vor dem Hintergrund der Systemfrage und der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU

von Beate Dinges (Autor:in)
©2014 Dissertation 290 Seiten

Zusammenfassung

Durch die Einflussnahme von Lobbyisten entstehen zunehmend politisch motivierte Regelungen, wie beispielsweise die sogenannte Button-Lösung, die vermeintlich dem Verbraucherschutz dienen sollen. Die Gesetzesänderungen gehen vorwiegend auf Richtlinien zurück, die der nationale Gesetzgeber verpflichtend umzusetzen hat. Das Kernproblem besteht darin, dass der europäische und der nationale Gesetzgeber im Rahmen der Gesetzgebung unterschiedlichen Zielen verpflichtet sind: Der europäische Gesetzgeber verfolgt in erster Linie die Förderung des Binnenmarktes, der nationale Gesetzgeber hingegen versucht die europäischen Regelungen wertungswiderspruchsfrei und kohärent in das Bürgerliche Gesetzbuch zu integrieren. Der Erlass eines Verbrauchergesetzbuches kann die Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches wahren und zugleich die Vorgaben der Richtlinie erfüllen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Auswirkungen der Integration des Verbraucherschutzes
  • II. Spannungsverhältnis zwischen Verbraucherschutz und Unternehmerrechten
  • III. Systematisierung
  • 1. Vereinheitlichung der §§ 355 ff. BGB
  • 2. Vereinheitlichungspotenzial der §§ 312 ff. BGB
  • 3. Alternative: Erlass eines Verbrauchergesetzbuches
  • B. Systematisierungsfragen
  • I. Schwerpunkt der Betrachtung
  • II. Systematische Integration des Verbraucherschutzes
  • III. Verbraucherschutz und Privatautonomie
  • 1. Verbraucherschutz
  • 2. Verbraucherpolitische Modelle
  • a) Altliberales Modell
  • b) Schutzmodell
  • c) Informationsmodell
  • d) Verbraucherleitbild
  • 3. Austauschverhältnis Verbraucher und Unternehmer
  • 4. Interdisziplinarität des Verbraucherschutzes
  • 5. Grundlage des Verbraucherschutzes
  • 6. Wirtschaftliche Betrachtung des Verbraucherschutzes
  • IV. Historischer Kontext des Verbraucherschutzes
  • 1. Ursprung des Verbraucherschutzes in Deutschland
  • 2. Verbraucherschutz der letzten Jahrzehnte
  • 3. Vereinheitlichung des Privatrechts
  • V. Verbrauchergesetzbuch
  • 1. Sonderprivatrecht
  • 2. Schuldrechtsreform
  • 3. Lobbyismus
  • C. Europäische Einflüsse
  • I. Privatrechtsvereinheitlichung in der EU
  • 1. Prinzip der Mindestharmonisierung
  • 2. Prinzip der Vollharmonisierung
  • 3. Bewertung
  • 4. Entwicklungen in der Vereinheitlichung
  • II. Richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung
  • D. Verbraucherschutz im Bürgerlichen Gesetzbuch
  • I. Gemeinsame Probleme bei den Vertriebsformen
  • 1. Verbrauchervertrag
  • a) Begriff des „Verbrauchers“
  • aa) Personenbezogenes Element
  • bb) Zweck des Rechtsgeschäfts
  • cc) Stellvertretung
  • dd) Zwischenergebnis
  • b) Begriff des „Unternehmers“
  • c) Existenzgründer
  • 2. Ausschluss der Verbrauchereigenschaft
  • a) Ausschluss der Verbrauchereigenschaft durch Individualvereinbarung
  • b) Wirksamkeit einer Ausschlussvereinbarung
  • 3. Beweislast
  • 4. Gemischte Verträge
  • II. Der Widerruf
  • 1. Schutzintention und Wirkungen des Widerrufsrechts nach § 355 BGB
  • 2. Der Widerruf nach § 355 BGB
  • a) Rechtsnatur
  • b) Rechtsfolgen des Widerrufs
  • c) Rückgewährschuldverhältnis
  • 3. Wertersatzregelungen des nationalen Rechts
  • a) Wertersatz für Verschlechterungen
  • b) Wertersatz für Nutzungen
  • c) Problem der Doppelkompensation
  • d) Berechnung des Wertersatzes
  • e) Beweislastregelung
  • 4. Belehrungspflichten bzw. Informationspflichten
  • 5. Frist
  • 6. Zwischenergebnis
  • III. Die Vertriebsform des Haustürgeschäfts
  • 1. Haustürgeschäft im Sinne des § 312 Abs. 1 S. 1 BGB
  • a) Anwendungsbereich
  • aa) Schutzsituationen
  • bb) Vertragsanbahnung
  • cc) Einschränkung des Anwendungsbereichs
  • b) Ursächlichkeit der Haustürsituation für den Vertragsschluss
  • aa) Kausalität
  • bb) Problem der Zurechnung von Kenntnis der Situation
  • (1) Anwendung der zu § 123 BGB entwickelten Grundsätze
  • (2) Beachtung der Grundsätze des Art. 288 AEUV
  • (3) Anwendungsbereich der Richtlinie
  • c) Subsidiarität des Widerrufsrechts nach § 312 a BGB
  • aa) Regelungsinhalt
  • bb) Notwendigkeit der Regelung
  • 2. Ausschlussgründe beim Haustürgeschäft
  • IV. Fernabsatzvertrag
  • 1. Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312 b Abs. 1 S. 1 BGB
  • a) Distanzgeschäft
  • b) Abgrenzung zum E-Commerce
  • c) Besondere Pflichten im E-Commerce
  • d) Anwendungsbereich
  • e) Erlöschen des Widerrufsrechts und Nichtbestehen des Widerrufsrechts
  • 2. Ausschlussgründe beim Fernabsatzvertrag
  • a) Systematik der Ausnahmen
  • b) Sonderfall Online-/Internetauktionen
  • E. Systematisierung der Vertriebsformen
  • I. Systematisierungsversuche
  • II. Systematisierungsvorschläge
  • III. Entwurfsvorschlag
  • F. Ausblick auf die weitere Entwicklung
  • I. Privatrechtsvereinheitlichung in Europa als anstrebenswertes Ziel
  • 1. Nachteile eines europäischen Vertragsrechts
  • 2. Vorteile eines europäischen Vertragsrechts
  • II. Probleme der Privatrechtsvereinheitlichung
  • 1. Nichtvorhandensein eines fundamentierten Systems
  • 2. Fehlende Grundlagen im Vertrag der Europäischen Union
  • 3. Kompetenzen
  • 4. Umsetzungsmechanismen des Europarechts in das nationale Recht
  • III. Entwicklung zu einem Europäischen Zivilgesetzbuch
  • G. Ergebnis
  • Literaturverzeichnis

← 12 | 13 → A. Einleitung

„Wer in europäischen Angelegenheiten nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ (Walter Hallstein, Jurist und deutscher Politiker, 1901–1982, wurde 1958 der erste Vorsitzende der Europäischen Kommission)

„Ein gemeines Privatrecht, das seinen Beruf erfüllen will, muß tief genug gegründet und hoch genug gewölbt sein, um alle diese Sonderrechte in seinen Gedankenbau aufzunehmen.“ (Otto von Gierke, Rechtshistoriker und Politiker, 1841–1921, Satz aus einem Vortrag über die Einführung des BGB als Gesetzbuch, der am 5. April 1889 in der Juristischen Gesellschaft zu Wien gehalten wurde)

I. Auswirkungen der Integration des Verbraucherschutzes

Das BGB und die gesamte Privatrechtsordnung beruhen auf dem grundlegenden Prinzip der Privatautonomie. Als Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung bietet diese den Vertragsparteien die Möglichkeit, ihre rechtlichen Beziehungen autonom zu gestalten; verfassungsrechtliche Grundlage für die eigenverantwortliche Gestaltung ist Art. 2 Abs. 1 GG.1 Der im Zivilrecht geltende Grundsatz der Vertragsfreiheit besagt, dass die Parteien grundsätzlich einen Vertrag frei gestalten können. Die Vertragsfreiheit, bestehend aus der Abschlussfreiheit und der Freiheit der inhaltlichen Gestaltung des Vertrages, ist eine wesentliche Ausprägung der Privatautonomie.2 Durch den Vertrag entsteht eine ← 13 | 14 → rechtliche Bindung, die im Wege der gerichtlichen Durchsetzung geltend gemacht werden kann. Voraussetzung für die Vertragsfreiheit ist die Gleichwertigkeit der Privatrechtssubjekte. Eine Konsequenz der Vertragsfreiheit ist der Grundsatz „pacta sunt servanda“, wonach geschlossene Verträge einzuhalten sind. Von diesen Grundsätzen geprägt, konnte das BGB schon seit über 100 Jahren eine Grundlage für die Klärung unserer Rechtsprobleme bieten; für Extremfälle gab es bereits Ausgleichsmechanismen, wie die Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB und den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB, welche im Einzelfall zu einer gerechteren Würdigung des Falles führen konnten.

Seit der Schuldrechtsreform werden vermehrt Verbraucher schützende3 Regelungen in das deutsche Privatrecht aufgenommen, die sich aus bestimmten Schutzaspekten ergeben. Damit ist eine Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus tatsächlichen Gründen verbunden.4 Zwingender Verbraucherschutz spricht dem Verbraucher die Fähigkeit ab, selbst seine vertraglichen Interessen zu wahren, was den grundlegenden Prinzipien des BGB widerspricht. Die Integration des Verbraucherschutzes in das BGB führt dazu, dass die Berücksichtigung einer sozialen Komponente notwendig wird, die mit der Privatautonomie konkurriert.5 Bei der Privatautonomie, im Speziellen der Vertragsfreiheit, und der Sozialgerechtigkeit handelt es sich im Kern um widerstreitende Prinzipien, was in der Konsequenz zu neuartigen Problemen führt. Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, diese zwei Komponenten und das daraus entstehende Austauschverhältnis der Parteien bei der Gesetzgebung in gerechter Weise zu berücksichtigen. Da in der Europäischen Union 493 Millionen Verbraucher leben und deren Konsum 58 Prozent des BIP ausmacht,6 ist dieses Rechtsverhältnis mit seinen Regelungen faktisch von enormer Bedeutung. Im Ergebnis erfolgte die ← 14 | 15 → Integration des Verbraucherschutzes im Zusammenhang mit der Schuldrechtsreform ohne eine umfassende systematische Eingliederung in das vorhandene System des BGB.7 Der Gesetzgeber setzte sich zu dem damaligen Zeitpunkt nicht hinreichend mit den Ausgangsfragen auseinander, ob eine Eingliederung überhaupt möglich ist und vor der weiteren europäischen Rechtsentwicklung sinnvoll erscheint.

Dieser nationale Integrationsprozess wird zunehmend verkompliziert durch die europäischen Einflüsse in Form von Verordnungen und Richtlinien. Diese Einflüsse bei der Gestaltung des Verbraucherschutzes führen dazu, dass der Verbraucherschutz hinsichtlich der Entwicklung eines Europäischen Zivilrechts als bedeutendstes Rechtsgebiet angesehen wird.8← 15 | 16 → Der nationale Gesetzgeber hat dabei die Aufgabe, die Rechtsakte der Europäischen Union, die auf einem eigenen System beruhen, in ein kohärentes nationales System zu integrieren. Probleme entstehen insbesondere durch die Integration europäischer Richtlinien, die durch den europäischen Gesetzgeber mit einer von der nationalen abweichenden Systematik erlassen werden. Ziel des europäischen Gesetzgebers ist in erster Linie die Förderung des Binnenmarktes beziehungsweise die Beseitigung von Hemmnissen für diesen.9 Der nationale Gesetzgeber versucht hingegen in erster Linie, die für ihn verpflichtend umzusetzenden Vorgaben des europäischen Gesetzgebers wertungswiderspruchsfrei in das nationale Gesetz umzusetzen.10 Daraus entsteht aus nationaler Perspektive ein Spannungsverhältnis zwischen dem europäischen und dem nationalen Recht. Dieses wird dadurch verstärkt, dass der europäische Gesetzgeber die Richtlinien sehr detailliert normiert; das BGB trifft hingegen grundsätzlich abstrakte und gestraffte Regelungen.11 Ferner werden nur einzelne Vertragssituationen, wie beispielsweise das Haustürgeschäft und der Fernabsatzvertrag, geregelt, nicht jedoch übergeordnete allgemeine Rechtsinstitute, wie die Sittenwidrigkeit, das Recht der Minderjährigen und die Stellvertretung.12

Der nationale Gesetzgeber steht also vor der Entscheidung, die bisherige Gesetzgebung im BGB fortzuführen oder diese jedenfalls teilweise aufzugeben für eine Übernahme der europäischen Gesetzgebungstechnik. Er ist verpflichtet, die europäischen Vorgaben umzusetzen, stößt dabei aber wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen und der unterschiedlichen Regelungstiefe auf zahlreiche Probleme. Diese bestehen im Kern in der zunehmenden Einschränkung der Privatautonomie als eines wesentlichen Fundamentes des BGB.

II. Spannungsverhältnis zwischen Verbraucherschutz und Unternehmerrechten

Neben dieses Spannungsverhältnis von europäischem und nationalem Recht tritt ein weiteres: das zwischen Verbraucherschutz und Unternehmensrechten. Dieses baut ebenfalls auf dem Konflikt zwischen der Sozialgerechtigkeit und der Privatautonomie auf. Dieser Konflikt und der unter Punkt I geschilderte werden im Folgenden am Beispiel des Haustürgeschäfts und des Fernabsatzvertrages deutlich gemacht. Bedeutend für einen funktionierenden Markt ist insbesondere ein gerechtes Austauschverhältnis zwischen Verbraucherschutz und Unternehmerrechten. Eine ungerechtfertigte Ausweitung des Verbraucherschutzes führt zu einer Belastung der Unternehmer, welche diese Belastung an den Verbraucher weiterzugeben versuchen. Diese Situation des Verbrauchers wird an den folgenden Beispielen deutlich: Der Unternehmer versucht, seine Mehrkosten infolge der zahlreichen Vorgaben der Vorschriften an den Verbraucher weiterzugeben; die zunehmende kleinteilige Übernahme der Regelungssystematik der europäischen Richtlinien in das BGB und das EGBGB geht zu Lasten der Transparenz und Kohärenz sowohl von Seiten des Verbrauchers als auch des Unternehmers. Wenn ein gerechtes Austauschverhältnis besteht, können sowohl Verbraucher als auch Unternehmer profitieren. Diese Ausgewogenheit muss sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht bestehen. Es kann vermehrt eine Zunahme des Verbraucherschutzes aus politischen Erwägungen und durch Lobbyistenarbeit unter Missachtung dieses gerechten Austauschverhältnisses beobachtet werden. Insbesondere die Normen der §§ 312 ff. BGB werden zunehmend komplexer, was dem Verbraucherschutz im Ergebnis nicht dienlich ist. Wenn eine Ungleichgewichtslage in diesem Austauschverhältnis besteht, soll der Verbraucher von den ihn schützenden Regelungen profitieren, damit eine Gleichgewichtslage hergestellt werden kann. Insbesondere die starke Verbraucherschutzlobby unterschätzt ← 16 | 17 → die Wichtigkeit des gerechten Austauschverhältnisses und die daraus entstehende Gefahr, dass sich der Verbraucherschutz im Ergebnis auf den Verbraucher nachteilig auswirken kann.

III. Systematisierung

Die bestehenden Missstände bezüglich des Spannungsverhältnisses zwischen Verbraucherschutz und Unternehmerrechten zeigen, dass die bisherige Systematisierung nicht gelungen ist. Insbesondere die mit der Integration in das BGB verfolgte Systematisierung ist nicht wertungswiderspruchsfrei, da die konkreten Auswirkungen auf die Privatautonomie nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Es wurde unterschätzt, inwieweit sich das BGB durch die Einfügung der Verbraucherschutzgesetze grundsätzlich verändert. Es entstehen zunehmend Probleme bei der Umsetzung der Richtlinien in das nationale Recht, wie zum Beispiel durch die Harmonisierungsart der Umsetzung nach der Mindest- oder Vollharmonisierung. Die Mindestharmonisierung eröffnet einen Spielraum für den nationalen Gesetzgeber, der neue Probleme schaffen kann, die die Richtlinie nicht klärt. Die Vollharmonisierung zwingt die nationalen Rechtsordnungen zu einer Übernahme der Inhalte der Richtlinie, die aufgrund der unterschiedlichen Normierungsart zu Widersprüchen führen kann. Des Weiteren entstehen Fragen, die erst durch die konkrete nationale Umsetzung auftreten und damit nur national bestehen. Mit Blick auf die rasante europäische Entwicklung ist der eingeschlagene Weg nicht mehr zeitgemäß, sodass eine neue Systematik gefunden werden muss. Die Möglichkeiten dafür sollen an den Vertriebsformen des Haustürgeschäfts und des Fernabsatzvertrages aufgezeigt werden. Die dahinterstehenden grundsätzlichen systematischen Kritikpunkte können auf weitere Bereiche des Verbraucherschutzes dem Grunde nach übertragen werden.13

1. Vereinheitlichung der §§ 355 ff. BGB

Es wurde mehr Transparenz erlangt durch die Vereinheitlichung der Ausübung und der Rechtsfolgen der Widerrufsrechte in §§ 355 ff. BGB. Problematisch ist insbesondere das teilweise Durchbrechen der eingeschlagenen Systematik, wie ← 17 | 18 → beispielsweise durch Normierung von Rechtsfolgen in den §§ 312 ff. BGB, die eigentlich in den § 357 BGB gehören.14 Dies macht die Unvollkommenheit der eingeschlagenen Richtung im vereinheitlichten Bereich und die fehlende Kontinuität bei der Gesetzesumsetzung deutlich. Diese Kontinuität ist zwingend notwendig, um Kohärenz und Übersichtlichkeit zu wahren.

2. Vereinheitlichungspotenzial der §§ 312 ff. BGB

Bereits bei den langwierigen Arbeiten zur Schuldrechtsreform wurde das Vereinheitlichungspotenzial der §§ 312 ff. BGB erkannt.15 Die Systematisierungsvorschläge wurden jedoch bei der Integration des Verbraucherschutzes in das BGB aus Zeitgründen verworfen. Gerade an diesem Punkt wäre es notwendig gewesen, diese Systematisierung vollständig zu betrachten. Die Erwägungen, dass die §§ 312 ff. BGB zum damaligen Zeitpunkt aufgrund der fehlenden Abstimmung der Haustürwiderrufsrichtlinie und der Fernabsatzrichtlinie nicht vereinheitlicht werden konnten, wirken gekünstelt.16 Schon zum Zeitpunkt der Schuldrechtsreform war eine umfassende Systematisierung erstrebenswert. Der dieser Systematisierung zugrunde liegende Gedanke besteht darin, auf die Kategorie „Direktvertriebsverträge“ abzustellen und nicht auf die einzelnen Vertriebsformen des Haustürgeschäfts und des Fernabsatzvertrages.17 Die Verbraucherrichtlinie 2011/83/EU stützt nach Ansicht der Verfasserin diese Systematisierungsvorhaben: Die ursprünglichen Richtlinien werden aufgehoben und mit der neuen Richtlinie besteht eine Richtlinie, deren Teile aufeinander abgestimmt sind. Das Vereinheitlichungspotenzial wird ferner durch die Vereinheitlichung der Ausnahmetatbestände in Art. 16 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU bestätigt.

← 18 | 19 → 3. Alternative: Erlass eines Verbrauchergesetzbuches

Bereits bei der Schuldrechtsreform war eine umfassende Vereinheitlichung möglich. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Ausgangsfragen geklärt werden müssen, ob die Eingliederung der Verbrauchergesetze überhaupt möglich ist und ob diese, vor dem Hintergrund der zum Teil bereits absehbaren weiteren europäischen Rechtsentwicklung, sinnvoll erscheint. Eine solche Vereinheitlichung, die den europäischen Vorgaben genügt, ist durch die Zunahme der europäischen Umsetzungen fast unmöglich. Diese Tatsache wird durch den am Ende der Arbeit entwickelten Systematisierungsvorschlag bestätigt. Dieser bringt einerseits mehr Transparenz und Kohärenz, anderseits können aber unter der Prämisse der Rechtsklarheit nicht alle Vorgaben der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU umgesetzt werden. Da seit der Schuldrechtsreform bereits zehn Jahre vergangen sind und die europäische Rechtsentwicklung stetig zunimmt, könnte der Erlass eines eigenen Verbraucherschutzgesetzbuches aus systematischer Sichtweise erstrebenswert sein. Damit kann gewährleistet werden, dass alle Vorgaben der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU richtlinienkonform umgesetzt werden. Ein eigenes Verbrauchergesetzbuch kann die Problematik aufheben, die sich einerseits aus dem Zusammentreffen von europäischem und nationalem Recht und anderseits durch das Zusammentreffen des Verbraucherschutzes mit dem BGB ergibt. Die bestehenden nationalen systematischen Probleme sind in Ländern wie Österreich, die ein eigenes Verbrauchergesetzbuch erlassen haben, nicht vorhanden.18 Diese Länder sind bei der Gesetzgebung nicht den Konflikten von verschiedenen Zielrichtungen unterschiedlicher Gesetzgeber und unterschiedlicher Regelungstiefen der konkreten Normen ausgesetzt. Eine Gesamtkodifikation ist zwar erstrebenswert, aber nicht um den Preis der Rechtsunsicherheit und Intransparenz. Insbesondere die europäische Entwicklung führt dazu, dass ein Umdenken im nationalen Systemdenken stattfinden muss. ← 19 | 20 →

__________

1BVerfG 7.2.1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242, 254; BVerfG 4.6.1985 – 1 BvL 12/84, BVerfGE 70, 115, 123; BVerfG 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84, BVerfGE 72, 155, 170. Dabei ist zudem zu beachten, dass die Vertragsfreiheit ihre Berechtigung aus einer Zusammenschau vieler Grundrechtsprinzipien wie der Werte des Demokratie- und des Gewaltenteilungsprinzips entnimmt, vgl. dazu Canaris JZ 1987, 993, 994 f.

2PWW/Brinkmann 7. Aufl. (2012) Vor §§ 145 ff. Rdnr. 12 ff.; Flume (1992) § 1 S. 1, 12; Canaris AcP 200 (2000) 273, 277, dieser unterscheidet zwischen der formalen bzw. rechtlichen und der materiellen bzw. tatsächlichen Vertragsfreiheit, wobei das Widerrufsrecht und der Verbraucherschutz Erscheinungsformen des Antagonismus zwischen formaler und materieller Vertragsfreiheit darstellen; vgl. zu diesem Begriffspaar ebenso Hönn in FS Kraft (1998) S. 251, 259; Drexl (1998) S. 7, 208 f., 266 ff.; Lorenz (1997) S. 498 f.; Bydlinski (1996) S. 158 f., 753 f.; Enderlein (1996) S. 93 f.; Kramer (1974) S. 20 f.

3Dabei werden die Begriffe des Verbrauchers und des Konsumenten synonym verwendet. Dies hat seinen historischen Ursprung zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts, als der lateinische Begriff des „Konsumenten“ immer häufiger durch das Wort „Verbraucher“ ersetzt wurde; vgl. HKK/Schmoeckel, 1. Aufl. (2007) 2. Teilband vor §§ 312 ff. Rdnr. 8.

4Mohr AcP 204 (2004), 660.

5MünchKomm/BGB/Micklitz 6. Aufl. (2012) Vorbem. zu §§ 13, 14 Rdnr. 15; Zimmermann JZ 2001, 171, 175, Henrich in FS Medicus (1999) S. 199 ff.

6Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007–2013), KOM (2007) 99 endg./2, S. 5.

7Pfeiffer in Zimmermann/Ernst (2001), S. 481, 488; Larenz/Wolf (2004) § 2 S. 42 f. Rdnr. 85.

8Mohr AcP 204 (2004) 260, 268; Möllers JZ 2001, 121, 126; Kocher VuR 2000, 83.

9Habersack/Mayer in Riesenhuber (2010) § 15 S. 428 Rdnr. 2; Mayer/Schürnbrand JZ 2004, 545; Mittwoch JuS 2010, 767, 768; Roth JZ 2001, 475, 488; Basedow AcP 200 (2000) 445, 473.

10Gsell/Herresthal in Gsell/Herresthal (2009) S. 1, 2; Mayer/Schürnbrand JZ 2004, 545; Tröger ZEuP 2003, 525 ff.; Roth (2000) 50 Jahre BGH, S. 847, 880 f.; Schnorbus RabelsZ 65 (2001), 654, 669.

Details

Seiten
290
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653044584
ISBN (ePUB)
9783653977943
ISBN (MOBI)
9783653977936
ISBN (Paperback)
9783631654095
DOI
10.3726/978-3-653-04458-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Verbaucherrechterichtlinie Haustürgeschäft Fernabsatzvertrag Verbrauchergesetzbuch Button-Lösung Europäischen Zivilgesetzbuch
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 290 S., 1 s/w Abb.

Biographische Angaben

Beate Dinges (Autor:in)

Beate Dinges, promovierte Juristin, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Mainz. Die Autorin ist als Rechtsanwältin in Frankfurt am Main tätig.

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