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Bestrafter Altruismus? – Haftung aus Gefälligkeitsverhältnissen

von Daniel Holzmann (Autor:in)
©2015 Dissertation 224 Seiten

Zusammenfassung

Die Arbeit untersucht die Frage, welche juristischen Konsequenzen altruistisches Handeln haben kann und insbesondere, welche Haftungsfolgen sich aus Gefälligkeitsverhältnissen ergeben können. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Handhabung von Haftungsfällen aus Gefälligkeitsverhältnissen durch die Rechtsprechung anhand des geltenden Rechts. Im Rahmen dieser Untersuchung und zur Herleitung eigener Lösungsvorschläge geht der Autor unter anderem auch der Entwicklung der Haftung aus Gefälligkeitshandeln im Wandel der Zeit bzw. der sich damit verändernden Rechts- und Sozialmoral nach und wirft einen Blick auf Rechtsordnungen ausgewählter anderer Länder.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Kapitel Einführung
  • I. Gegenstand der Arbeit
  • 1. Altruistisches Handeln im Alltag
  • a) Begriff der Gefälligkeit
  • aa) Handlung, Leistung, Dienst
  • bb) Unentgeltlicher Vorteil eines Dritten
  • cc) Willensübereinstimmung der Beteiligten
  • dd) Zusammenfassung
  • b) Juristische Relevanz von Gefälligkeiten
  • aa) Art und Qualität der eingegangenen rechtlichen Bindung
  • bb) Problematik der Haftung aus Gefälligkeit
  • c) Beispiele juristischer Relevanz von Gefälligkeiten aus anderen Ländern
  • aa) Vertragsähnliche Sonderformen am Beispiel Österreich
  • bb) Vertrauenshaftung bei Versprechen zur Erbringung einer Gefälligkeit am Beispiel der Schweiz
  • cc) Abreden mit eingeschränkter Rechtswirkungen am Beispiel Frankreichs
  • dd) Zusammenfassung
  • 2. Entwicklung altruistischen Handelns
  • II. Gang der Darstellung
  • 1. Überblick
  • 2. Haftung aus Gefälligkeit
  • a) Mögliche Haftungsfälle
  • aa) Haftung wegen Nichterfüllung der Gefälligkeit
  • bb) Haftung wegen Rechtsgutsverletzung bei Vornahme der Gefälligkeit
  • b) Art der Ansprüche
  • c) Zusammenfassung
  • 2. Kapitel Rechtsnatur von Gefälligkeitsverhältnissen und Pflichtenprogramm
  • I. Hintergrund der Bestimmung der Rechtsnatur von Gefälligkeitsverhältnissen
  • 1. Erfüllungspflicht
  • 2. Haftungsumfang
  • 3. Haftung für Verhalten Dritter
  • 4. Prozessuale Folgen
  • a) Gerichtsstand
  • b) Beweislast
  • 5. Verjährung
  • 6. Zusammenfassung und Schlussfolgerung
  • II. Echte Gefälligkeitsverträge
  • 1. Begrifflichkeiten
  • 2. Darstellung einzelner Arten echter Gefälligkeitsverträge
  • a) Auftrag (§§ 662–674 BGB)
  • b) Schenkung (§§ 516–534 BGB)
  • c) Leihe (§§ 598–606 BGB)
  • d) Unentgeltliche Verwahrung (§§ 688–700 BGB)
  • e) Unverzinsliches Darlehen
  • f) Weitere Erscheinungsformen gefälligen Handelns im BGB
  • aa) Gesellschaft oder gesellschaftsähnliches Rechtsverhältnis
  • bb) Ehe und Familie
  • g) Zusammenfassung
  • 3. Pflichtenprogramm bei echten Gefälligkeitsverträgen
  • a) Haupt- und Nebenleistungspflichten
  • aa) Hauptleistungspflichten
  • bb) Nebenleistungspflichten
  • cc) Rechtsfolge einer Verletzung dieser Pflichten
  • b) Weitere Verhaltenspflichten (Schutzpflichten)
  • c) Zusammenfassung
  • III. Tatsächliche Gefälligkeiten
  • 1. Pflichtenprogramm bei tatsächlichen Gefälligkeiten
  • 2. Verschulden
  • 3. Verkehrssicherungspflichten
  • 4. Zusammenfassung
  • IV. Zusammenfassung und Stellungnahme
  • 3. Kapitel Abgrenzung von Schuldverhältnissen und tatsächlichen Gefälligkeitsverhältnissen
  • I. Grundsätze der Abgrenzung
  • 1. Rechtsicherheit hinsichtlich der Begründung von Schuldverhältnissen
  • 2. Rechtssicherheit hinsichtlich der Haftungsfolgen
  • 3. Privatautonomie
  • II. Ansätze für die Abgrenzung
  • 1. Diskussion seit Einführung des BGB
  • 2. Abgrenzung Schuldverhältnis – Gefälligkeitsverhältnis
  • a) Objektive Abgrenzung rechtlicher und nicht-rechtlicher Bereiche
  • b) Subjektiver Ansatz zur Abgrenzung
  • 3. Blick in andere Länder
  • a) Beschränkung der Anwendbarkeit des Vertragsrechts
  • aa) Consideration-Doktrin im englischen Recht
  • bb) Begrenzung auf vermögensrechtliche Rechtsverhältnisse im niederländischen Recht
  • b) Stellungnahme
  • III. Abgrenzungsrelevanter Bereich und unproblematische Fälle
  • 1. Abgrenzungsrelevanter Bereich
  • 2. Unproblematische Fälle
  • a) Ausschluss der rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeit
  • b) Weitere Fälle fehlender rechtlicher Bindung
  • IV. Rechtsbindungswille als maßgebliches Kriterium für eine Abgrenzung
  • 1. Ausgangspunkt Willenserklärung
  • a) Objektiver Tatbestand der Willenserklärung
  • b) Subjektiver Tatbestand der Willenserklärung
  • 2. Abgrenzung des Gefälligkeits- vom Schuldverhältnis anhand des Rechtsbindungswillens
  • a) Subjektiv
  • b) Objektiv
  • c) Kritik
  • aa) Argumente gegen den Rechtsbindungswillen
  • bb) Stellungnahme
  • V. Normative Indizien für rein tatsächliche Gefälligkeiten
  • 1. Unentgeltlichkeit
  • 2. Art, Grund und wirtschaftliche Bedeutung der Gefälligkeit
  • a) Art und Grund der Gefälligkeit
  • b) Wirtschaftliche Bedeutung
  • c) Einschaltung von Hilfspersonen
  • 3. Äußere Umstände der Gefälligkeitshandlung
  • 4. Gegenstand der Gefälligkeit
  • 5. Interesse des Begünstigten
  • 6. Interesse des gefälligkeitshalber Handelnden
  • a) Exkurs: Probefahrt mit Pkw als Beispiel für wirtschaftliche Interessen des Gefälligen
  • b) Fehlendes eigenes Interesse des Gefälligen
  • 7. Risiko des gefälligkeitshalber Handelnden
  • a) Indizien für einen Bindungswillen
  • b) Indizien gegen einen Bindungswillen
  • c) Stellungnahme
  • VI. Zusammenfassung und Stellungnahme
  • 1. Wille der Beteiligten als ausschlaggebendes Kriterium
  • a) Bedürfnis für Auslegung
  • b) Maßstab der Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB
  • c) Anwendung dieser Grundsätze durch die Rechtsprechung
  • 2. Anwendung der objektiven Kriterien im Einzelfall
  • a) Interessen des Gefälligen nicht ausreichend berücksichtigt
  • b) Besondere Relevanz der Verkehrssitte
  • 3. Stellungnahme
  • a) Folgen übermäßiger Berücksichtigung objektiver Kriterien
  • b) Möglichkeit der Anfechtung?
  • c) Möglichkeit der Beendigung des eingegangenen Rechtsverhältnisses
  • 4. Ergebnis
  • a) Auslegung unter Berücksichtigung objektiver Einzelfallkriterien
  • b) Loslösen von dem schuldrechtlichen Gefälligkeitsverhältnis
  • c) Fazit
  • 4. Kapitel Haftung bei Gefälligkeiten
  • I. Allgemeines
  • 1. Unterscheidung nach Schadenssituationen
  • 2. Beschränkung der Haftung
  • 3. Gefälligkeit und Versicherungsrecht
  • a) Versicherungen als Kläger
  • b) Gefälligkeiten und Unfallversicherung
  • c) Bestehen von Versicherungsschutz
  • II. Haftungsumfang bei echten Gefälligkeitsverträgen
  • 1. Haftung des Gefälligen
  • a) Merkmale der vertraglichen Haftung
  • b) Pflichtverletzung im Rahmen des Schuldverhältnisses
  • c) Vertretenmüssen
  • d) Mögliche Schadensersatzansprüche aus Gefälligkeitsverträgen
  • aa) Schadensersatzansprüche statt der Leistung bei Ausschluss der Leistungspflicht (§§ 280 I, III, 283 BGB; § 311a I, II BGB)
  • bb) Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung (§§ 280 I, III, 281 BGB)
  • cc) Ersatz des Verzögerungsschadens (§ 286 BGB)
  • dd) Ersatz von Schäden wegen Verletzung von Schutzpflichten (§§ 280 I, III, 282 BGB)
  • ee) Allgemeine vertragliche Haftung (§ 280 I BGB)
  • 2. Haftungsbeschränkungen zugunsten des Gefälligen
  • a) Vertragliche Haftungsbegrenzungen
  • b) Gesetzliche Haftungsbeschränkungen
  • aa) Schenkung
  • bb) Leihe
  • cc) Unentgeltliche Verwahrung
  • dd) Gesellschaft
  • ee) Ehe
  • ff) Familie
  • gg) Haftungsmilderung des unentgeltlich tätigen Vereinsvorstandes
  • c) Weitere Haftungsbeschränkungen
  • 3. Haftung des Begünstigten der altruistischen Handlung
  • a) Vom Begünstigten zu vertretende Schäden
  • b) Zufällige Schäden des Gefälligen
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. Haftung aufgrund tatsächlicher Gefälligkeit
  • 1. Haftung des Gefälligen
  • 2. Verletzungstatbestände
  • 3. Sorgfaltsmaßstab
  • 4. Haftungsbeschränkungen bei tatsächlichen Gefälligkeiten
  • a) Ausdrücklicher Haftungsausschluss
  • b) Stillschweigender Haftungsausschluss
  • aa) Konkludenter Haftungsausschluss
  • bb) Ergänzende Vertragsauslegung
  • c) Haftungsfreistellung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
  • aa) Voraussetzungen des venire contra factum proprium (§ 242 BGB)
  • bb) Begründung eines besonderen Vertrauensverhältnisses
  • cc) Stellungnahme
  • dd) Schutzvorkehrungen oder Fürsorgepflicht als Anknüpfungspunkt für Vertrauen des Gefälligen
  • ee) Zwischenergebnis
  • d) Haftungsmilderung aufgrund analoger Anwendung gesetzlicher Haftungsbeschränkungen
  • aa) Allgemeine analoge Anwendbarkeit der gesetzlichen Haftungsbeschränkungen (Rechts- oder Gesamtanalogie)
  • bb) Analoge Anwendbarkeit gesetzlicher Haftungsbeschränkungen auf entsprechende Fälle außervertraglicher Haftung (Gesetzes- oder Einzelanalogie)
  • cc) Analoge Anwendbarkeit von § 31a I BGB
  • e) Handeln auf eigene Gefahr
  • aa) Einwilligung in die Schädigung
  • bb) Mitverschulden
  • 5. Zwischenergebnis
  • 6. Haftung des Begünstigten
  • 5. Kapitel Zusammenfassung und Lösungsansatz
  • I. Wesen der Gefälligkeit
  • II. Unterschiedliche Auswirkungen der Einordnung gefälligen Handelns
  • 1. Generelle Handhabung von Gefälligkeiten
  • 2. Konkrete Pflichten infolge der Einordnung
  • III. Abgrenzung vertraglichen und rein tatsächlichen Handelns
  • 1. Auslegung der Erklärungen bzw. des Verhaltens
  • a) Auslegungsergebnis: Vertragsschluss
  • b) Auslegungsergebnis: Kein Vertragsschluss
  • 2. Schlussfolgerung
  • IV. Rechtsgeschäftliche Gefälligkeiten als weitere Kategorie gefälligen Handelns
  • 1. Hintergrund
  • 2. Begründung neuer Anspruchsgrundlagen
  • a) Rechtsgeschäftliche Begründungstheorie
  • aa) Integration in ein vertragliches Schuldverhältnis
  • bb) Hauptleistungspflichten als Quelle der Schutzpflichten
  • cc) Rechtsgeschäftliche Begründung von Schutzpflichten
  • dd) Zusammenfassung
  • b) Gesetzliche Begründungstheorie
  • aa) Rein sozialer Kontakt
  • bb) Vertragsähnliche gesetzliche Sonderverbindung
  • cc) Ähnlicher sozialer Kontakt iSd. § 311 II Nr. 3 BGB
  • dd) Zusammenfassung
  • 3. Weitere Lösungsansätze und Stellungnahme
  • a) Eigene gesetzliche Regelung
  • aa) Unmittelbare Regelung
  • bb) Auslegungshilfe
  • b) Analoge Anwendung von § 311 II Nr. 3 BGB
  • c) Schutzverhältnis eigener Art
  • aa) Beispiel Familienrecht
  • bb) Übertragbarkeit auf Gefälligkeiten
  • d) Gesetzliches Schuldverhältnis
  • aa) Beispiel: Geschäftsführung ohne Auftrag
  • bb) Schlussfolgerung
  • 4. Ergebnis
  • V. Haftungsumfang bei rechtsgeschäftlichen Gefälligkeiten
  • 1. Haftung des Gefälligen
  • a) Allgemeine Haftung
  • b) Haftungsbeschränkungen zugunsten des Gefälligen
  • aa) Allgemeine Haftungsbeschränkungen
  • bb) Spezielle Haftungsbeschränkungen
  • c) Stellungnahme
  • 2. Haftung des Begünstigten
  • a) Allgemeines
  • b) Geschäftsführung ohne Auftrag
  • VI. Haftungsumfang bei gefälligen Handlungen in anderen europäischen Ländern
  • a) Berücksichtigung der altruistischen Handlung bei der Bestimmung der Verantwortlichkeit
  • b) Berücksichtigung des Gefälligkeitsmoments am Beispiel Schweiz
  • aa) Haftung des Gefälligen gegenüber dem geschädigten Gefälligkeitsempfänger
  • bb) Haftung des Gefälligkeitsempfängers für Schäden des Gefälligen
  • c) Anpassung der Schadensersatzpflicht aufgrund altruistischen Handelns am Beispiel der Niederlande
  • d) Zusammenfassung
  • 1. Zwischenergebnis
  • VII. Ergebnis
  • Literaturverzeichnis

1. Kapitel Einführung

Bestrafter Altruismus – was ist damit gemeint? Die vorliegende Arbeit untersucht die Frage, welche juristischen Konsequenzen ein Handeln im Fremdinteresse haben kann, insbesondere welche Haftungsfolgen einem Altruisten drohen können. Diese Frage, die bereits seit Jahrhunderten und in der aktuellen Form seit dem Bestehen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Juristen zu kontroversen Diskussionen anregt, ist stets im Wandel der Zeit bzw. der sich damit verändernden Rechts- und Sozialmoral zu betrachten. Die vorliegende Arbeit maßt sich nicht an, eine abschließende Lösung dieses Problems zu finden. Vielmehr versucht sie, durch die Darstellung der sich stets ändernden juristischen Behandlung dieser Fragestellung herauszufinden, wo die Problemschwerpunkte liegen und wie diese nach der aktuellen Gesetzeslage – insbesondere unter Berücksichtigung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes1 – zu lösen sein könnten. Dabei will sie durch das Hinterfragen der in der Rechtsprechung und Literatur praktizierten Herangehensweise an das Handeln im Fremdinteresse herausfinden, ob dieses Problem interessengerecht und gesetzeskonform behandelt wird. Wo es sich anbieten, sollen eigene Lösungswege vorgeschlagen werden.

Einleitend soll geklärt werden, was unter altruistischem Handeln im Allgemeinen und im juristischen Sinne zu verstehen ist (unten I.). Dazu werden die relevanten Begriffe definiert und anhand einzelner Beispiele die juristische Relevanz von Gefälligkeiten besprochen. Im Anschluss daran folgt ein Überblick über den Gang der Darstellung (unten II.), in dem insbesondere mögliche Haftungsszenarien altruistischen Handelns umrissen werden.

I. Gegenstand der Arbeit

Gegenstand dieser Arbeit sind die juristischen Konsequenzen, insbesondere mögliche Haftungsfragen eines Handelns im Fremdinteresse. Was darunter bzw. unter dem Begriff der Gefälligkeit zu verstehen ist und aus welchen Bestandteilen sich gefälliges Handeln zusammensetzt, soll im folgenden Teil geklärt werden ← 17 | 18 → (unten 1.a)). Ferner sollen die Bereiche herausgearbeitet werden, in denen Gefälligkeiten von juristischer Relevanz sind (unten 1.b)). Zur Veranschaulichung und zur Vertiefung des Verständnisses der Problematik folgen schließlich einzelne Beispiele gefälligen Handelns, die mitunter aus anderen Ländern stammen (unten 1.c)). Gerade die Herangehensweise anderer Rechtsordnungen, auf die an geeigneten Stellen immer wieder in dieser Arbeit zurückgegriffen werden soll, dient dazu, den deutschen Lösungsweg zu hinterfragen und zu überprüfen.

1. Altruistisches Handeln im Alltag

Aus dem lateinischen Wort „alter“, der Andere, abgeleitet, bedeutet Altruismus die willentliche Verfolgung fremder Interessen oder solcher des Gemeinwohls.2 Im Gegensatz zum Egoismus ist das selbstlose Handeln insbesondere durch das Zurückstellen eigener Interessen gekennzeichnet. Ein anschauliches Beispiel für altruistisches Handeln bietet das Verhalten der Biene. Um den eigenen Stock vor Honigräubern zu verteidigen, sticht sie zu und bezahlt diese Handlung in der Regel mit ihrem Leben. Von dieser selbstlosen Tat profitieren nur die anderen Bienen des Stocks; es offenbart sich das Wesen des Altruismus.3 Der Mensch als vernunftgeleitetes Lebewesen handelt ebenfalls oft selbstlos. Gerade im täglichen Leben erweisen sich Menschen kleine „Gefallen“ oder helfen einander aus „Gefälligkeit“: Das Einwinken eines Fremden in eine Parklücke, die Mitnahme eines Anhalters im eigenen Pkw, die Hilfe beim Umzug der Nachbarn oder das Versprechen, einen Mitreisenden an einem bestimmten Bahnhof zu wecken, sind nur einige ausgewählte Beispiele aus der Vielzahl der Gefallen des Alltags. Was versteht man jedoch unter einem solchen Verhalten, das umgangssprachlich als „Gefallen“ oder als „Gefälligkeit“ bezeichnet wird.

a) Begriff der Gefälligkeit

Das Gesetz definiert den Begriff der Gefälligkeit nicht. Zur Begriffsbestimmung sind deshalb die wesentlichen Merkmale einer Gefälligkeit zu untersuchen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist eine Gefälligkeit ein kleiner, aus Freundlichkeit oder Hilfsbereitschaft erwiesener Dienst.4 Schon diese ← 18 | 19 → Begriffsbestimmung lädt von einem etymologischen Standpunkt aus zu Kritik ein, denn sie bezeichnet allein den Beweggrund einer Leistung, nicht aber die Leistung als solche. Da das eigentliche Motiv für die Gefälligkeitsleistung selten zu Tage tritt, bietet es sich jedoch an, eine objektiv aus Hilfsbereitschaft erbrachte Handlung als Gefälligkeit zu bezeichnen.5 Bereits dieser erste Versuch einer Begriffsbestimmung offenbart die Relevanz des Beweggrundes für das Verständnis der Gefälligkeit; dies wird im weiteren Verlauf der Arbeit erneut an Bedeutung gewinnen.

Der Blick in die juristische Kommentarliteratur zeichnet ein weiter differenziertes Bild davon, was unter einer Gefälligkeit zu verstehen ist. Meist ist von Gefälligkeitshandlungen die Rede, die nicht auf rechtsgeschäftlicher sondern auf sozialer Verständigung beruhen.6 An anderer Stelle wird eine Gefälligkeit als eine „auf einer persönlichen Verbundenheit beruhende freiwillige Hilfeleistung ohne Entgelt“ definiert.7 Ferner wird eine Gefälligkeit oft mit den Begriffen „unentgeltliches und fremdnütziges Handeln“ umschrieben.8 Diese unterschiedlichen Begriffe lassen noch kein klares Bild von einer Gefälligkeit zu. Was genau macht eine Gefälligkeit also aus?

Verbindet man die soeben dargestellten Definitionsversuche der juristischen Fachliteratur und des allgemeinen Sprachgebrauchs, ist festzuhalten, dass eine Gefälligkeit im Wesentlichen drei Merkmale aufweist:

aa) Handlung, Leistung, Dienst

Zunächst wird bei einer Gefälligkeit in der Regel eine Leistung, eine Handlung oder ein Dienst vorgenommen. Das Erbringen einer Gefälligkeit bedeutet demnach, dass eine Partei einen bestimmten Aufwand auf sich nimmt. Dies kann durch tatsächliche Leistung (z.B. Helfen beim Umzug, Mitnahme im Auto, Übergabe einer Sache) oder auch durch ein Dulden geschehen (z.B. Gewährung von Gebrauchsvorteilen ohne einzuschreiten).9 Ob diese Leistung, Handlung ← 19 | 20 → oder Duldung überhaupt auf einem Rechtsgrund beruht und wenn ja, auf welchem, ist dagegen kein derart entscheidendes Merkmal, dass es zu einer Begriffsbestimmung beitragen könnte. Die Leistung kann auf einem rechtsgeschäftlich vereinbarten Versprechen beruhen, sie kann dagegen auch spontan, ohne vorangegangene Zusage rein tatsächlich erfolgen. In der Regel werden fremdnützige Handlungen freiwillig vorgenommen werden, also ohne dass hierzu eine gesetzliche, vertragliche oder moralische Verpflichtung besteht.10

bb) Unentgeltlicher Vorteil eines Dritten

Diese Leistung oder Handlung muss ferner einem Dritten zum Vorteil gereichen; sie muss im Interesse des Empfängers liegen, d.h. vorteilbringend in die Sphäre des Empfängers eingreifen.11 Es ist objektiv zu bewerten, ob der Empfänger der Leistung von dieser profitiert. Offensichtlich ist das der Fall, wenn sein Vermögen unmittelbar durch die Handlung vermehrt wird. Dies kann auch dadurch eintreten, dass der Begünstigte Aufwendungen erspart, die er ohne die Gefälligkeit hätte tätigen müssen (z.B. Entgelt für Umzugsfirma). Ein unmittelbarer materieller Vorteil ist nicht erforderlich. Weckt beispielsweise ein Bahnreisender einen anderen an einer bestimmten Haltestelle, stellt diese Tätigkeit ebenfalls ein gefälliges Verhalten dar, ohne dass der Begünstigte materiell bereichert wäre. Die Handlung bzw. Duldung und der letztlich bezweckte Erfolg müssen jedoch im Ergebnis dem Empfänger zu Gute kommen.

Für die Charakterisierung als Gefälligkeit kommt es, wie zu Beginn erwähnt, entscheidend auf die Motive des Leistenden an. Handelt dieser aus rein uneigennützigen Motiven – wie Verwandtschaft, Freundschaft, Kollegialität, Hilfsbereitschaft, Höflichkeit, Mitleid, Barmherzigkeit –, liegt eine altruistische Handlung vor. Ist die gefällige Leistung dagegen von eigennützigen Motiven getrieben, wie bspw. gesellschaftliche Vorteile, eigene wirtschaftliche Interessen oder Handeln aufgrund gesellschaftlichen Zwangs, fällt es schwer, dies als echte Gefälligkeitsleistung zu bewerten.12 ← 20 | 21 →

Die Motivation des Handelnden, im Fremdinteresse tätig zu werden, ist als innerer Beweggrund für einen außen stehenden Dritten oftmals schwer erkennbar. Aus diesem Grund ist bei der Feststellung des altruistischen Charakters der Handlung auf objektive Kriterien zurückzugreifen, wobei dem Umstand, ob die Leistung unentgeltlich erbracht wird, eine wesentliche Bedeutung zukommt.13

(1) Begriff der Unentgeltlichkeit

Wann ist eine Leistung unentgeltlich? Um den Begriff der Unentgeltlichkeit einzugrenzen, bietet es sich an, sich zunächst mit ihrem Antonym der Entgeltlichkeit zu befassen. In diesem Zusammenhang werden zwei Extrempositionen vertreten. Nach einer Ansicht liegt Entgeltlichkeit vor, wenn zwischen der Leistung und der Gegenleistung eine synallagmatische Verknüpfung besteht.14 Danach wären nur solche Leistungen entgeltlich, denen im Gegenzug eine Gegenleistung gegenübersteht.

Nach einer anderen Ansicht wird die Entgeltlichkeit einer Leistung bereits bejaht, wenn eine Zuwendung unabhängig von einer rechtlichen Verknüpfung allein aufgrund der subjektiven Wertbeziehung der Parteien den Gegenwert für etwas Empfangenes oder auch künftig zu Empfangendes darstellt.15 Danach wäre jede Leistung entgeltlich, der ein bestimmter Gegenwert gegenüber steht, egal ob dieser auf einem Rechtsgrund oder auf Freiwilligkeit beruht.

Vermittelnd hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass solche Leistungen als gegen Entgelt erbracht angesehen werden, die in synallagmatischer, konditionaler oder kausaler Verknüpfung mit einer Gegenleistung stehen.16 Steht dem Leistenden folglich aus rechtlicher Sicht eine Gegenleistung zu, ist die Leistung ← 21 | 22 → entgeltlich; unerheblich ist, welchen Inhalt diese hat (z.B. Geld oder ebenfalls eine Leistung) und ob sie der erbrachten Leistung wertmäßig entspricht.17 Leistungen gelten dann als unentgeltlich, wenn sie „weder in rechtlichem Zusammenhang mit einer Gegenleistung oder einem Gemeinschaftszweck18 stehen, noch zur Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit erfolgen, sei es auch nur einer Naturalobligation“.19 Mit anderen Worten: Erhält der Leistende aus irgendeinem rechtlichen Grund für seine Handlungen eine Gegenleistung, handelt er nicht unentgeltlich, selbst wenn die Gegenleistung in krasser Asymmetrie zu der Leistung steht.

Mit dem Merkmal des rechtlichen Zusammenhangs werden folglich solche Leistungen abgegrenzt, die auf ein rechtlich verbindliches Austauschverhältnis ausgerichtet sind. Ferner werden solche Leistungen erfasst, die zwar keine unmittelbare Gegenleistung erfahren, aber dennoch Teil eines verbindlichen Austauschverhältnisses sind, z.B. Kulanzleistungen, die zumindest mittelbar im Rahmen einer vertraglichen Geschäftsbeziehung erfolgen.20 Besteht ein rechtlicher Zusammenhang zu einer Gegenleistung, kann nicht mehr von einer unentgeltlichen Leistung die Rede sein. Ein rein tatsächlicher oder bloß wirtschaftlicher Zusammenhang zu einer Gegenleistung, lässt die Unentgeltlichkeit im rechtlichen Sinne dagegen nicht entfallen.21 ← 22 | 23 →

Ist diese Definition auch für die Charakterisierung von altruistischen Gefälligkeiten ausreichend?

(2) Unentgeltlichkeit als Abgrenzungsmerkmal

Das Merkmal der Unentgeltlichkeit charakterisiert die Gefälligkeit insofern, dass sie die Uneigennützigkeit, das Handeln im Fremdinteresse, betont und objektiv erkennbar macht. Die rechtliche Definition ist hilfreich, als sie gesellschaftlich übliche Reaktionen auf Gefälligkeiten außer Betracht lässt. Erbringt jemand eine Gefälligkeit und erhält er dafür Dankbarkeit, Anerkennung oder eine Steigerung des Ansehens, ist dies als unentgeltliche (Gegen-)Leistung im rechtlichen Sinne anzusehen. Erhält er dagegen, wie im wirtschaftlichen Verkehr üblich, eine Gegenleistung, die in einem rechtlichen Zusammenhang mit seiner Leistung steht, kann nicht mehr von einer Gefälligkeit gesprochen werden.

Problematisch erscheint es jedoch bei Gefälligkeiten, einen tatsächlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang zu einer Gegenleistung als völlig unbeachtlich zu qualifizieren. Es sind durchaus Fälle unentgeltlichen Handelns denkbar, die stark von Eigeninteressen geprägt sind, etwa weil der Leistende mit der Erbringung der Gefälligkeit auf eine Gegenleistung in tatsächlicher oder in wirtschaftlicher Hinsicht vertraut. Einer Leistung müsste die Fremdnützigkeit abgesprochen werden, wenn zwar keine in einem rechtlichen Zusammenhang stehende Gegenleistung geschuldet ist, deren Erbringer sich aber mittelbare tatsächliche oder wirtschaftliche Vorteile erhofft („reziproker Altruismus“,22 z.B. Abschluss eines Vertrags, Erwiderung der Leistung oder Einladung zum Essen).

Ausscheiden müssen demnach alle – zwar im rechtlichen Sinne unentgeltlichen – Leistungen, bei denen der gewährende Teil sein eigenes wirtschaftliches Interesse in den Vordergrund stellt, z.B. umsatzfördernde Maßnahmen wie Verabreichung von Lebensmittelproben, Probefahrt mit Kfz, Abholung der Gäste vom Bahnhof durch den Hotelier.23 Das altruistische Motiv bildet in diesen Fällen nicht den ausschlaggebenden Anlass zum Handeln, da es nicht von seinem ← 23 | 24 → eigentlichen Zweck – dem Abschluss entgeltlicher Verträge – isoliert werden kann.24

Wie verhält es sich mit rein tatsächlichen Vorteilen, die durch eine gefällige Handlung entstehen, wie bspw. wenn ein Ehepaar die Kinder der Nachbarn hütet, woraufhin diese auch die Aufsicht über deren Kinder übernehmen? Im Gegensatz zu den gerade behandelten wirtschaftlichen Vorteilen, die das eigene Gewinnstreben befriedigen, haben tatsächliche Vorteile ihren Entstehungsgrund zunächst in uneigennützigen Motiven wie Freundschaft und Hilfsbereitschaft. Um bei den gewählten Beispielen zu bleiben: Eine kostenlose Probefahrt oder die Abholung der Gäste vom Bahnhof durch den Hotelier erfolgt nur zur Steigerung des Umsatzes und in der Regel ohne persönliche Beziehung oder freundschaftliche Verbundenheit; das Hüten der Nachbarskinder wird ohne eine gewisse Hilfsbereitschaft und Freundschaft nicht angeboten werden. Der Begriff der Gefälligkeit ist damit enger als der der Unentgeltlichkeit.

(3) Zwischenergebnis

Im Ergebnis wird eine Gefälligkeit dadurch bestimmt, dass das Motiv der Fremdnützigkeit das Wesen der Gesamtleistung ausmacht. Handeln aus Gefälligkeit ist altruistisches Tätigwerden. Begriffsnotwendig setzt dies die Unentgeltlichkeit der Handlung voraus. Ferner dient das Merkmal der Unentgeltlichkeit als nach außen tretendes Erkennungsmerkmal einer Gefälligkeit. Die rechtliche Definition der Unentgeltlichkeit erfasst jedoch nicht alle für die Gefälligkeit relevanten Bereiche. Zum einen haben echte Gefälligkeitsverträge wie Leihe, Schenkung oder Verwahrung25 das Wesen der Fremdnützigkeit inne, was auch das Gesetz anerkennt,26 obwohl bei diesen die gefällige Leistung der Erfüllung einer zuvor vertraglich begründeten Verbindlichkeit dient. Zum anderen sind auch bestimmte, im rechtlichen Sinne unentgeltlich erbrachte Leistungen nicht als Gefälligkeit zu qualifizieren, weil sie das Merkmal der Uneigennützigkeit vermissen lassen. Dies ist vor allem bei der Verfolgung wirtschaftlicher Interessen zu bejahen. Letztlich kommt es damit auf einen nach außen hin erkennbaren altruistischen Charakter der Gefälligkeitsleistung an. Wann ein solcher vorliegt, hängt von den Gesamtumständen des Einzelfalls ab. ← 24 | 25 →

cc) Willensübereinstimmung der Beteiligten

Die gefällige Leistungserbringung muss schließlich auf einer Willensübereinstimmung der Parteien beruhen. Das Angebot zum gefälligen Tätigwerden muss auch als solches angenommen werden.27 Dies kann ausdrücklich, durch vorherige Absprache erfolgen oder aus den Umständen heraus, also konkludent geschehen (z.B. bei spontaner Hilfe durch Türaufhalten). Eine Willensübereinstimmung liegt jedoch dann nicht vor, wenn der Begünstigte keine Kenntnis von der zu seinen Gunsten erbrachten Leistung hat. In diesen Fällen sind die Vorschriften über eine Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) nach den §§ 677 ff. BGB einschlägig.28

Details

Seiten
224
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653047820
ISBN (ePUB)
9783653978902
ISBN (MOBI)
9783653978896
ISBN (Paperback)
9783631655726
DOI
10.3726/978-3-653-04782-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (November)
Schlagworte
Fremdinteresse Haftungsfolgen Rechtsmoral Sozialmoral
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 224 S.

Biographische Angaben

Daniel Holzmann (Autor:in)

Daniel Holzmann studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der promovierte Volljurist ist als Rechtsanwalt zugelassen und arbeitet als solcher in München.

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