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Übertragende Sanierung im Insolvenzeröffnungsverfahren

von Moritz Kriegs (Autor:in)
©2015 Dissertation 204 Seiten

Zusammenfassung

Die übertragende Sanierung stellt in der insolvenzrechtlichen Praxis ein bewährtes Instrument der Masseverwertung dar. Im Regelfall erfolgt der Vollzug der übertragenden Sanierung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des insolventen Unternehmensträgers. Gleichwohl lassen sich Aspekte ausmachen, die für einen frühzeitigen Vollzug bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren sprechen können. Der Autor zeigt diese Aspekte auf und befasst sich mit den rechtlichen Fragestellungen, die mit dem Vollzug der übertragenden Sanierung im Verfahrensstadium des Insolvenzeröffnungsverfahrens verbunden sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Teil 1: Das Instrument der übertragenden Sanierung
  • I. Der Begriff der übertragenden Sanierung
  • II. Das Rangverhältnis der übertragenden Sanierung zu anderen Formen der Insolvenzabwicklung
  • III. Die rechtstechnische Umsetzung der übertragenden Sanierung
  • IV. Der zeitliche Anwendungsbereich der übertragenden Sanierung
  • V. Übertragende Sanierung im Planverfahren
  • VI. Zusammenfassung
  • Teil 2: Die übertragende Sanierung im Eröffnungsverfahren
  • I. Tatsächliche Beweggründe für eine übertragende Sanierung im Eröffnungsverfahren
  • II. Die Zulässigkeit der übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren
  • 1. Meinungsstand zur Zulässigkeit der übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren
  • a) Ablehnung der Befugnis zur übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren
  • b) Differenzierende Ansichten
  • aa) Wahrung der Gläubigerinteressen
  • bb) Wahrung der Schuldnerinteressen
  • c) Rechtsprechung
  • aa) Unter Geltung der KO
  • bb) Unter Geltung der InsO
  • 2. Stellungnahme
  • a) Befugnis des starken vorläufigen Insolvenzverwalters zur übertragenden Sanierung
  • aa) Bindung des vorläufigen Insolvenzverwalters an die doppelte Schutzrichtung des Sicherungszwecks
  • bb) Gefahr der Umgehung der Gläubigerautonomie durch Verwertung im Eröffnungsverfahren
  • cc) Abgrenzung von Verwaltungs- und Verwertungsmaßnahmen
  • dd) Ausnahmsweise Zulässigkeit von Notverwertungen
  • ee) Keine zulässige Veräußerung analog § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO
  • ff) Keine Verwertungsbefugnis aufgrund unmittelbar bevorstehender Verfahrenseröffnung
  • gg) Erweiterung der Verwertungsbefugnis durch die Aufstellung von Zustimmungsvorbehalten
  • (1) Wahrung der Schuldnerinteressen
  • (a) Disponibilität des Bestandserhaltungsinteresses
  • (b) Erforderlichkeit eines Mitwirkungsakts der Anteilseigner
  • (c) Das schuldnerische Zustimmungserfordernis vor dem Hintergrund des InsVerfVereinfG
  • (d) Praktische Erreichbarkeit der Schuldnerzustimmung
  • (2) Wahrung der Gläubigerinteressen
  • (a) Der Aspekt des abstrakten Werterhalts
  • (b) Der Schutz der Gläubigerautonomie
  • (aa) Grundsatz: Unternehmensfortführung bis Berichtstermin
  • (bb) Ausnahme: Unternehmensveräußerung ab Verfahrenseröffnung wegen Möglichkeit der Einsetzung eines Gläubigerausschusses
  • (cc) Möglichkeit der Einsetzung eines Gläubigerausschusses auch schon im Eröffnungsverfahren
  • (aaa) Zulässigkeit der Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren
  • (bbb) Legitimationswirkung der Veräußerungszustimmung eines vorläufigen Gläubigerausschusses
  • (ccc) Materielle Veräußerungs- bzw. Zustimmungskriterien
  • (ddd) Zwischenergebnis
  • (dd) Veräußerungsmöglichkeit auch bei Nichtbestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses
  • hh) Zwischenergebnis
  • b) Befugnis des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters zur übertragenden Sanierung
  • aa) Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt
  • bb) Der durch Einzelanordnung „gestärkte“ vorläufige Insolvenzverwalter
  • III. Wirksamkeit der übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren
  • 1. Übertragende Sanierung durch starken vorläufigen Insolvenzverwalter
  • a) Außenverhältnis: Übergang der vollen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den starken vorläufigen Insolvenzverwalter
  • b) Innenverhältnis: Begrenzung durch den Sicherungszweck
  • c) Unwirksamkeit im Außenverhältnis wegen Überschreitung der internen Bindung an den Sicherungszweck?
  • aa) Unwirksamkeit bei offensichtlicher Insolvenzzweckwidrigkeit
  • bb) Anwendung der Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht
  • cc) Offensichtliche bzw. evidente Insolvenzzweckwidrigkeit einer unzulässigen übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren?
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Übertragende Sanierung durch schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter
  • Teil 3: Erwerberrisiken bei übertragender Sanierung im Eröffnungsverfahren
  • I. Insolvenzrechtliche Risiken
  • 1. Anfechtung der Unternehmensveräußerung durch den endgültigen Insolvenzverwalter gemäß § 129 ff. InsO
  • a) Anfechtbarkeit des schuldrechtlichen Unternehmenskaufvertrages
  • b) Anfechtbarkeit der dinglichen Unternehmensübertragung
  • aa) Kongruente Deckung, § 130 InsO
  • bb) Ausschluss der Anfechtbarkeit bei Vorliegen eines Bargeschäfts
  • cc) Inkongruente Deckung, § 131 InsO
  • dd) Zwischenergebnis
  • c) Die Rechtsfolgen der Anfechtung der Unternehmensveräußerung
  • aa) Der Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters
  • (1) Gegenstand der Rückgewährpflicht
  • (2) Unmöglichkeit der Unternehmensrückgewähr
  • bb) Die Rechtsfolgen der Anfechtung für die Gegenleistung, § 144 InsO
  • (1) § 144 Abs. 1 InsO
  • (2) § 144 Abs. 2 InsO
  • d) Zwischenergebnis
  • e) Einschränkung der Anfechtbarkeit bei Mitwirkung eines vorläufigen Insolvenzverwalters
  • aa) Rechtshandlungen des starken vorläufigen Insolvenzverwalters
  • bb) Rechtshandlungen unter Mitwirkung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt
  • (1) Rechtsprechung des BGH
  • (2) Literaturansicht
  • cc) Stellungnahme/Konsequenzen für die Anfechtbarkeit der Unternehmensveräußerung im Eröffnungsverfahren
  • (1) Veräußerung durch starken vorläufigen Insolvenzverwalter
  • (2) Veräußerung mit Zustimmung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters
  • (a) Anfechtbarkeit der (dinglichen) Unternehmensübertragung
  • (b) Anfechtbarkeit des (schuldrechtlichen) Unternehmenskaufvertrages
  • f) Ergebnis zur Anfechtbarkeit der im Eröffnungsverfahren vorgenommenen übertragenden Sanierung
  • 2. Erfüllungsablehnung durch den endgültigen Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO
  • a) Keine Anwendbarkeit von § 103 InsO bei beidseitig oder einseitig vollständiger Erfüllung
  • b) Anwendbarkeit des § 103 InsO: Insolvenzverwalter hat Erfüllungswahlrecht
  • aa) Keinerlei Vertragserfüllung bei Verfahrenseröffnung
  • bb) Sukzessive Vertragserfüllung
  • (1) Konsequenzen der Einstufung eines Unternehmens als teilbare Leistung
  • (2) Konsequenzen der Einstufung eines Unternehmens als unteilbare Leistung
  • (3) Zwischenergebnis
  • (4) Stellungnahme: Unternehmen als teilbare Leistung
  • cc) Mögliche Schutzvorkehrungen des Erwerbers
  • c) Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters bei Unternehmenskauf unter Mitwirkung eines vorläufigen Insolvenzverwalters
  • aa) Erwerb vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter
  • (1) Meinungsbild
  • (2) Stellungnahme
  • bb) Erwerb vom durch Einzelanordnung „gestärkten“ vorläufigen Insolvenzverwalter
  • cc) Erwerb vom schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt
  • (1) Keine Masseverbindlichkeiten bei Vertragsschluss unter Mitwirkung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt
  • (2) Kein Erfüllungswahlrecht des vorläufigen Insolvenzverwalters
  • (3) Keine Pflicht des Insolvenzverwalters zur Erfüllungswahl nach Treu und Glauben
  • II. Risiko der Haftung für Altverbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers
  • 1. § 75 AO
  • a) Keine Haftung für Erwerbe aus der Insolvenzmasse
  • b) Anwendbarkeit des § 75 Abs. 1 AO bei Erwerb aus dem Eröffnungsverfahren
  • 2. § 25 Abs. 1 S. 1 HGB
  • a) Anwendbarkeit des § 25 Abs. 1 S. 1 HGB im Konkursverfahren unter Geltung der KO
  • b) Anwendbarkeit des § 25 Abs. 1 S. 1 HGB im Insolvenzverfahren unter Geltung der InsO
  • c) Anwendbarkeit des § 25 Abs. 1 S. 1 HGB im Eröffnungsverfahren
  • aa) Das Meinungsspektrum unter Geltung der KO
  • bb) Das Meinungsspektrum unter Geltung der InsO
  • 3. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB
  • a) Anwendbarkeit des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB im eröffneten Insolvenzverfahren
  • aa) Die „konkursrechtliche Auffassung“
  • bb) Die „arbeitsrechtliche Auffassung“
  • cc) Die Ansicht des BAG unter Geltung der KO
  • dd) Zwischenergebnis zum Anwendungsbereich des § 613a BGB unter Geltung der KO
  • ee) Die Rechtslage nach Einführung der InsO
  • (1) Beibehaltung der BAG-Rechtsprechung unter Geltung der InsO
  • (a) Grundsätzliche Anwendbarkeit des § 613a BGB im Insolvenzverfahren
  • (b) Fortgeltung der haftungsmodifizierten Anwendung des § 613a BGB
  • (aa) Literatur
  • (bb) Rechtsprechung
  • (2) Vereinbarkeit der BAG-Rechtsprechung mit europäischem Recht
  • (3) Zwischenergebnis
  • b) Anwendbarkeit des § 613a BGB im Eröffnungsverfahren
  • aa) Rechtsprechung
  • (1) Anwendbarkeit des § 613a BGB bei Betriebsübergang im Konkursantragsverfahren unter Geltung der KO
  • (2) Unter Geltung der InsO
  • bb) Literatur
  • 4. Zwischenergebnis
  • 5. Stellungnahme
  • a) Gebotenheit einer tatbestandsübergreifenden Beurteilung der Erwerberhaftung
  • b) Anwendbarkeit der §§ 75 AO, 25 HGB, 613a BGB bei Unternehmensveräußerung im Eröffnungsverfahren
  • aa) „Wirtschaftlich-psychologisierende“ Betrachtungsweise
  • bb) Dogmatische Betrachtungsweise
  • (1) Rechtsstellung von vorläufigem und endgültigem Insolvenzverwalter
  • (a) Starker vorläufiger Insolvenzverwalter
  • (aa) Verfügungsrechtliche Stellung
  • (bb) Befugnisrechtliche Stellung
  • (b) Schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt
  • (aa) Verfügungsrechtliche Stellung
  • (bb) Befugnisrechtliche Stellung
  • (2) Zwischenergebnis
  • (3) Eingeschränkte Erwerberhaftung zur Wahrung des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes
  • (a) Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung
  • (b) Ausschluss der Erwerberhaftung zur Wahrung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes
  • (aa) Im eröffneten Verfahren
  • (bb) Im Eröffnungsverfahren
  • c) Zwischenergebnis
  • 6. Gestaltungsmöglichkeiten zur Vermeidung einer Erwerberhaftung
  • a) Zu § 25 HGB
  • b) Zu § 613a BGB
  • c) Vertragsvollzug nach Verfahrenseröffnung
  • Teil 4: Zusammenfassung der Ergebnisse / Fazit
  • Literaturverzeichnis

Einleitung

Nicht erst seit der letzten Wirtschafts- und Finanzmarktkrise hat der Sanierungsgedanke bei Unternehmensinsolvenzen zunehmend an Bedeutung gewonnen, um die bestmögliche Realisierung noch vorhandener Unternehmenswerte und den Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze zu gewährleisten. Schon mit Einführung der Insolvenzordnung (InsO) im Jahre 1999 wurde auf höhere Befriedigungsquoten für nicht bevorrechtigte Forderungen abgezielt und zu diesem Zweck in § 1 S. 1 InsO geregelt, dass alternativ zu der unter Geltung der Konkursordnung (KO) vorherrschenden Form der Unternehmensabwicklung1 „in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen“ werden kann.

Mit dieser Regelung wurde jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, wer Träger des nach Durchführung eines Insolvenzverfahrens weiter bestehenden Unternehmens sein soll.2 Insoweit kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Der „Erhalt“ lässt sich zum einen dadurch bewerkstelligen, dass das Unternehmen an einen Dritten veräußert wird und die Gläubiger quotal aus dem Erlös befriedigt werden; alternativ zu dieser als „übertragende Sanierung“ bezeichneten Vorgehensweise besteht die als „Reorganisation“ bezeichnete Möglichkeit der Sanierung des insolventen Rechtsträgers selbst, der sein Unternehmen anschließend weiterführt.3

In der Praxis erfreute und erfreut sich insbesondere die erstgenannte Möglichkeit der übertragenden Sanierung großer Beliebtheit, da dabei in einem regelungstechnisch „vergleichsweise unkomplizierten Verfahren“4 nach einstweiliger Fortführung und anschließender Veräußerung des Unternehmens zumeist nicht nur der Zerschlagungswert der Unternehmensaktiva, sondern oft auch ein nennenswert darüber liegender Verkaufserlös zugunsten der Insolvenzmasse des insolventen Rechtsträgers realisiert werden kann. Der Käufer kann von der übertragenden Sanierung seinerseits insoweit profitieren, als sich ihm die Chance bietet, ein noch sanierungsfähiges Unternehmen frei von den beim schuldnerischen Unternehmensträger verbleibenden Verbindlichkeiten zu einem niedrigen Kaufpreis zu erwerben. ← 15 | 16 →

In jüngerer Zeit wurde eine übertragende Sanierung etwa bei der medial viel beachteten Insolvenz der Drogeriemarktkette „Schlecker“ erwogen, in diesem Fall dann aber von den Gläubigern aus dem Grund abgelehnt, dass die Angebote der Erwerbsinteressenten deutlich unter den Zerschlagungswerten lagen.5

Die allgemeine Beliebtheit der übertragenden Sanierung spiegelt sich auch in einer vom Zentrum für Insolvenz und Sanierung (ZIS) und der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG durchgeführten Studie aus dem Jahr 2007 wider.6 Die im Rahmen dieser Studie befragten Insolvenzverwalter gaben an, dass je nach Unternehmensgröße bei 32–56 % der in die Insolvenz geratenen Unternehmen eine übertragende Sanierung möglich sei.7 Von Undritz wird an anderer Stelle angegeben, „weit über 90 %“ der erfolgreichen Restrukturierungen infolge eines Insolvenzverfahrens würden im Wege einer übertragenden Sanierung erfolgen.8

Die Sanierung mittels eines Insolvenzplanverfahrens hingegen fristet bislang eher ein Schattendasein und wurde in besagter Studie des ZIS und der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG in nur 6–10 % der Insolvenzen für möglich erachtet9, obwohl das Rechtsinstitut des Insolvenzplanverfahrens vom Rechtsausschuss des deutschen Bundestages bei seiner Einführung im Jahre 1999 noch als „Kernstück der Reform“ bezeichnet wurde.10 Auch wenn das auf einen Insolvenzplan abzielende Verfahren mit dem am 1.3.2012 in Kraft getretenen Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen („ESUG“) nunmehr deutlich vereinfacht sein soll (vor allem durch die vereinfachte Durchführbarkeit des so genannten Debt-Equity-Swap und eine Beschränkung der Möglichkeiten für die Gläubiger und Gesellschafter, die Rechtskraft des Insolvenzplans durch Rechtsmittel zu blockieren), bleibt die systembedingte Komplexität des Planverfahrens bestehen.11 Es ist daher zu erwarten, dass das Insolvenzplanverfahren auch künftig der Verfolgung bestimmter Zwecke (Großverfahren, Schuldnerinitiative, Erhalten rechtsträgerspezifischer Berechtigungen) vorbehalten bleibt.12 ← 16 | 17 →

Einen entscheidenden Faktor für das Gelingen einer übertragenden Sanierung stellt der Zeitpunkt ihrer Vornahme dar.13 In der Praxis hat sich weitgehend diejenige Vorgehensweise etabliert, dass das schuldnerische Unternehmen im Eröffnungsverfahren durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter fortgeführt und erst nach der sich anschließenden Verfahrenseröffnung veräußert wird. Gleichwohl lässt sich eine Nachfrage nach der Möglichkeit zur Unternehmensveräußerung nach Antragstellung, aber noch vor der Verfahrenseröffnung ausmachen. So wird immer wieder die Wichtigkeit einer zügigen Lösung des Unternehmens vom schuldnerischen Rechtsträger geäußert14, um es schnellstmöglich von dem Makel der Insolvenz befreit unter der Regie eines gesunden Rechtsträgers fortführen zu können, da nur so essenzielle Arbeitnehmer und Vertragspartner „bei der Stange“15 gehalten werden können.16

Über Fälle aus der Praxis, in denen es tatsächlich zu einer Unternehmensveräußerung bereits im Eröffnungsverfahren gekommen ist, gibt es bislang allerdings wenig zu berichten. Größere Bekanntheit hat insoweit der Erwerb des weltweiten Kühlturmgeschäfts von der im Eröffnungsverfahren befindlichen Babcock Borsig AG durch das US-Unternehmen SPX Corporation im Jahre 2002 erlangt, bei dem nach Einschätzung der Erwerberberater „juristisches Neuland“ betreten wurde.17

Diese Zurückhaltung lässt sich nicht zuletzt darauf zurückführen, dass gerade insolvenzverfahrensspezifische Vorteile bei einer übertragenden Sanierung vor Verfahrenseröffnung noch nicht genutzt werden können.

So sind zum Beispiel wichtige der Veräußerungsfähigkeit des Unternehmens zuträgliche Maßnahmen der Arbeitnehmerrestrukturierung erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen der dann eintretenden Modifikation des Arbeitsrechts in erleichterter Weise durchführbar.18 Insbesondere können aufgrund der Vorschrift des § 128 InsO so genannte „Veräußerungskündigungen nach ← 17 | 18 → Erwerberkonzept“19 ab Verfahrenseröffnung unter erleichterten Bedingungen vorgenommen werden. Der Insolvenzverwalter spricht dabei bereits vor dem Betriebsübergang betriebsbedingte Kündigungen im Hinblick auf das von dem zukünftigen Betriebsinhaber geplante Rationalisierungskonzept aus und stützt sie damit auf dringende betriebliche Erfordernisse, die sich erst zukünftig nach dem Betriebsübergang ergeben.20 Der Betrieb kann also bereits vor der Betriebsveräußerung auf die Bedürfnisse des Erwerbers umgestellt werden.21 Nur dann aber, wenn solche Kündigungen vom Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung ausgesprochen werden, greift die den Kündigungsschutz modifizierende Regelung des § 128 InsO. Das bedeutet, der Insolvenzverwalter kann wegen § 128 Abs. 1 S. 1 InsO betriebsbedingte Kündigungen aussprechen und ihre Wirksamkeit unter den erleichterten Bedingungen der §§ 125 ff. InsO klären, obwohl die zur Sanierung erforderliche Betriebsänderung erst nach der Betriebsveräußerung durchgeführt wird.22 Darüber hinaus erstreckt sich gemäß § 128 Abs. 2 InsO die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO oder die Feststellungswirkung des § 126 Abs. 1 S. 1 InsO auch darauf, dass die Kündigung nicht „wegen des Betriebsübergangs“ erfolgte und so auch nicht nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB unwirksam ist.23

Ein weiterer gegen die Übertragung vor Verfahrenseröffnung sprechender Aspekt betrifft die Finanzierbarkeit der Unternehmensfortführung im Vorfeld der übertragenden Sanierung. Die vorläufige Fortführung des schuldnerischen Unternehmens, die einer übertragenden Sanierung gewissermaßen erst „den Weg ebnet“24, kann oftmals nur mit Hilfe der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld gelingen.25 Denn durch den Einsatz dieses Finanzierungsmittels wird trotz fehlender Liquidität des Schuldnerunternehmens sichergestellt, dass die Arbeitnehmer ihre Löhne und Gehälter pünktlich erhalten und sie sich voll und ganz ← 18 | 19 → in den fortzuführenden Betrieb einbringen.26 Im Vorfeld einer übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren scheidet eine Fortführung unter Zuhilfenahme der Insolvenzgeldvorfinanzierung allerdings aus. Der Insolvenzgeldanspruch gelangt gemäß § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III nämlich erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Entstehung. Wird das Unternehmen nun aber gar nicht bis zu diesem Zeitpunkt fortgeführt, sondern zuvor durch den vorläufigen Insolvenzverwalter veräußert, entstehen dementsprechend auch keine Ansprüche auf Insolvenzgeld, die von einer Bank vorfinanziert werden könnten.

Grundlegend ist die Zurückhaltung gegenüber der übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren aber auf die schon unter Geltung der KO entstandene und bis heute andauernde Kontroverse zu der Frage zurückzuführen, ob ein Sequester bzw. heute vorläufiger Insolvenzverwalter angesichts des vorläufigen Charakters des Eröffnungsverfahrens überhaupt befugt ist, das schuldnerische Unternehmen oder Teile desselben zu veräußern. Neben dieser zentralen Problematik der Zulässigkeit stellt sich auf Erwerberseite die Frage nach der Insolvenzfestigkeit eines möglichen Erwerbs aus dem Eröffnungsverfahren und nach einer eventuellen Haftung für Altverbindlichkeiten des schuldnerischen Rechtsträgers, soll deren Übernahme durch das Instrument der übertragenden Sanierung doch gerade verhindert werden.

Die vorliegende Abhandlung leistet einen Beitrag zu dieser Kontroverse über Bedeutung, Zulässigkeit und Rechtsfolgen einer übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren. Aktuellen Anlass dazu bieten nicht zuletzt die Änderungen, die die InsO durch das ESUG erfahren hat.

Durch die im Zuge des ESUG gemäß §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a, 22a InsO neu geschaffene Möglichkeit der Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses erhalten die Gläubiger nämlich erstmals im deutschen Konkurs- und Insolvenzrecht bereits im Eröffnungsverfahren und vom ersten Tag eines Verfahrens an Leistungs- und Teilhaberechte als Ausfluss der ihnen zugewiesenen Verfahrenszielbestimmung sowie als Verbürgung der Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG.27

Angesichts dieser Neuregelung drängt sich eine der zentralen Fragen der vorliegenden Abhandlung auf, nämlich ob mit der nunmehr gegebenen Möglichkeit zur frühzeitigen Einbindung der Gläubiger in verfahrensleitende Entscheidungen ihnen gegenüber eine Rechtfertigung dafür geschaffen wurde, eine Veräußerung des schuldnerischen Unternehmens bereits im Eröffnungsverfahren ← 19 | 20 → zulassen zu können. Stellungnahmen dazu finden sich in der Literatur bislang nicht, wenngleich auch dort bereits der frische Wind erkannt wurde, den das ESUG in die Diskussion über die Zulässigkeit einer übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren gebracht hat. Rhein etwa fragt erwartungsvoll, „inwiefern sich aufgrund der durch das ESUG vorgesehenen Einrichtung eines vorläufigen Gläubigerausschusses neue Möglichkeiten für Unternehmensverkäufe im Eröffnungsverfahren ergeben werden“.28 Auch Marotzke wirft die Frage auf, ob „jetzt [nach ESUG] etwa auch schon während des Eröffnungsverfahrens eine Unternehmensveräußerung oder -stilllegung zulässig sein (soll), wenn der vorläufige Gläubigerausschuss gemäß oder analog §§ 158, 160 InsO zustimmt“.29

Der Gang der Untersuchung sieht vor, im ersten Teil die Begrifflichkeit der übertragenden Sanierung und die hinter ihr stehende Rechtstechnik vorzustellen. Sodann wird im zweiten Teil der Abhandlung erarbeitet, welche tatsächlichen Beweggründe es geben kann, das schuldnerische Unternehmen bereits im Stadium des Eröffnungsverfahrens zu veräußern. Im Anschluss daran folgt die Untersuchung, inwieweit ein im Einzelfall bestehendes tatsächliches Bedürfnis zur Übertragung des Unternehmens im Eröffnungsverfahren in Einklang mit den rechtlichen Vorgaben der InsO zu bringen ist. Dazu wird die Frage nach der Zulässigkeit der übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren diskutiert und von der Frage nach der Wirksamkeit des Erwerbs abgegrenzt.

Im dritten Teil werden die für den Unternehmenserwerber mit einer übertragenden Sanierung im Eröffnungsverfahren verbundenen Risiken beleuchtet. Dazu zählen zum einen die insolvenzrechtlichen Risiken der späteren Anfechtung der Unternehmensveräußerung nach den §§ 129 ff. InsO sowie der „Erfüllungsablehnung“ gemäß § 103 InsO bei noch nicht vollständiger Erfüllung des Unternehmenskaufvertrages im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung. Zum anderen droht dem Erwerber eine Haftung nach den §§ 25 HGB, 75 AO und § 613a BGB, die dementsprechend auf ihre Anwendbarkeit bei einem Unternehmenserwerb im Eröffnungsverfahren untersucht werden.

Den Abschluss der Untersuchung bildet eine Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse. ← 20 | 21 →

                                                   

1    Siehe etwa BGH NJW 1980, 55; Kilger, KTS 1989, 495.

2    Noack, FS Zöllner, 411, 414.

3    Noack, FS Röhricht, 455, 456; derselbe, FS Zöllner, 411, 414.

4    Strümpell, S. 14.

5    Spiegel Online vom 01.06.2012, „Entscheidung der Gläubiger – Schlecker wird zerschlagen“, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/glaeubiger-faellen- entscheidung-ueber-schlecker-a-836435.html (zuletzt abgerufen am 12.08.2013).

6    Euler Hermes, Rettung aus der Insolvenz.

7    Euler Hermes, Rettung aus der Insolvenz, S. 8.

8    Undritz, ZGR 2010, 201, 205.

Details

Seiten
204
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653054088
ISBN (ePUB)
9783653972764
ISBN (MOBI)
9783653972757
ISBN (Paperback)
9783631659649
DOI
10.3726/978-3-653-05408-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (April)
Schlagworte
Insolvenzrecht Unternehmensveräußerung Erwerberrisiken Masseverwertung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 204 S.

Biographische Angaben

Moritz Kriegs (Autor:in)

Moritz Kriegs ist Volljurist. Er studierte Rechtswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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