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Der apokalyptische Kaiser

Die Wahrnehmung Domitians in der apokalyptischen Literatur des Frühjudentums und Urchristentums

von Robert Mucha (Autor:in)
©2015 Dissertation XII, 491 Seiten

Zusammenfassung

Robert Mucha widmet sich der Person des Kaisers Domitian, die neuerdings wieder im Fokus des Forschungsinteresses steht: Nach Aufgabe der These einer domitianischen Christenverfolgung wurden einige urchristliche Texte wesentlich später datiert. Bei Analyse des apokalyptischen Schrifttums stellen sich Spätdatierungen aber als unplausibel heraus. Diese Texte ermöglichen aus der Sicht einer gesellschaftlichen Minderheit einen zusätzlichen Blick auf den Prinzipat Domitians. Vor allem die motivische Verbindung zwischen Domitian und Nero prägte das Bild vom letzten Flavier – bis in unsere Zeit. Aktuelle Fragen der Forschung, etwa nach der Datierung der Johannesapokalypse, oder warum Domitian als Christenverfolger erinnert wurde, obwohl er nie Christen verfolgen ließ, können durch diese zusätzliche Sichtweise erklärt werden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung in die Problematik: Die Domitianforschung im Umbruch
  • Teil I: Domitian und die Apokalyptik – eine inhaltliche und methodische Annäherung
  • 1. Domitian – zwischen tendenziösen Bildern und historischem Befund
  • 1.1. Domitian im Kontext der Flavierdynastie
  • 1.2. Die dürftigen Eckdaten einer Domitianbiographie
  • 1.3. Die Nachfolger Domitians und die „Entdomitianisierung“
  • 1.4. Domitianerinnerung im Chaos der Wahrnehmungsgruppen
  • 1.4.1. Zum Verhältnis zwischen Domitian und dem römischen Senat
  • 1.4.2. Senatorische Negativerinnerung als Folge des Konfliktes
  • 1.4.3. Eine notwendige Ergänzung: Judentum und Christentum als Wahrnehmungskreise
  • 2. Die Apokalyptik und das Juden-­ und Christentum zur Zeit Domitians
  • 2.1. Apokalyptik – Begriffsklärung und Charakteristika
  • 2.1.1. Wegmarker der Forschungsgeschichte zur Apokalyptik
  • 2.1.2. Apokalyptik als Geschichtsreflexion
  • 2.1.3. Weitere Charakteristika der Apokalyptik
  • 2.2. Juden und Christen im zeitgeschichtlichen Umfeld der Apokalyptik im 1. Jh. – eine Forschungsskizze
  • 2.2.1. Das Verhältnis zwischen Judentum und Kaisertum zur Zeit Domitians
  • 2.2.1.1. Die Entwicklung des Verhältnisses bis zu Domitians Regentschaft
  • 2.2.1.2. Der fiscus iudaicus
  • 2.2.1.3. Das Judentum zur Zeit Domitians – eine Sicherung der Ergebnisse
  • 2.2.2. Das Verhältnis zwischen Christentum und Kaisertum zur Zeit Domitians
  • 2.2.2.1. Emanzipation des Christentums vom Judentum und die Situation der Judenchristen
  • 2.2.2.2. Christliche „Identität“ – zwischen Judentum und paganer Welt
  • 2.2.2.3. Kult, Opfer, Prozesse – Das Urchristentum im Kontext des Römischen Reiches
  • 2.2.2.3.1. Kult und Opfer: Grundlage für Konflikte mit dem Römischen Reich
  • 2.2.2.3.2. Das Christentum als superstitio: Prozesse und Sanktionen
  • 2.2.2.4. Das Christentum zur Zeit Domitians – eine Sicherung der Ergebnisse
  • 3. Apokalyptische Schriften als Oppositionsliteratur
  • 3.1. Apokalyptik als Sprachrohr für oppositionelle Stimmen
  • 3.2. Zeitgenössische pagane Opposition: Viten als Beispiel literarischer Kritik
  • 3.3. Geschichtswert der Apokalyptik und Segmentierung der Textauswahl
  • Teil II: Die Wahrnehmung Domitians in der apokalyptischen Literatur
  • 1. Die Sibyllinischen Orakel – Kaiserbilder im Wandel
  • 1.1. Sibyllinische Orakeltradition im Kontext der Apokalyptik
  • 1.1.1. Historische Umwelt und Stil der Sibyllistik
  • 1.1.2. Sibyllistik im Kontext der apokalyptischen Literatur
  • 1.2. Der sibyllistische Blick auf das Römische Reich
  • 1.2.1. OrSib 4
  • 1.2.2. OrSib 5
  • 1.2.2.1. Zur Herrscherliste in OrSib 5,12–51
  • 1.2.2.2. Das Nerobild in OrSib 5
  • 1.2.2.3. Zwischenergebnis zu OrSib 5
  • 1.3. Herrschaftswahrnehmung in den OrSib: Kaiser Nero als Erinnerungsfigur
  • 1.3.1. Geschichte des Motivs und Begrifflichkeit
  • 1.3.2. Jüdisch-­christliche Quellen der Nerolegende
  • 1.3.3. Der Inhalt der Nerolegende
  • 1.3.4. Entwicklungsstadien der Nerolegende
  • 1.3.5. Identifikationsversuche: Wer ist der wiederkehrende Nero?
  • 1.4. Herrschaftswahrnehmung in den OrSib: Domitianmotivik
  • 1.4.1. Indizien aus OrSib 4 und 5
  • 1.4.2. Der gute Herrscher? – Domitian in OrSib 12
  • 1.4.3. Die Beschreibung Domitians in den OrSib – eine Zusammenfassung
  • 1.5. Ertrag
  • 2. Die Johannesoffenbarung im Kontext des domitianischen Prinzipats – Vorklärungen
  • 2.1. Hermeneutische Vorüberlegungen zur Offb
  • 2.1.1. Zeitgeschichtlich oder endzeitlich? Auslegungsmöglichkeiten der Offb
  • 2.1.2. Die Johannesoffenbarung als offener Code: eine Auslegungsoption
  • 2.2. Die Datierungsdebatte
  • 2.2.1. Frühdatierungsversuche
  • 2.2.2. Datierung der Offb zur Zeit Domitians
  • 2.2.3. Datierung der Offb zur Zeit Nervas, Trajans oder Hadrians
  • 2.2.4. Alleinstellungsmerkmale Domitians gegen Trajan und Hadrian
  • 2.2.5. Ergebnis der Datierungsdebatte
  • 2.3. Lokalkolorit I: Situierung der Offb im Kontext Kleinasiens zur Zeit Domitians
  • 2.3.1. Die Sehergruppe: Zwischen Reform und Tradition
  • 2.3.2. Die „Themen“ der Sendschreiben und ihre Relevanz für die zeitgeschichtliche Verortung
  • 2.3.3. Juden und Christen im Zeitkontext der Offb
  • 2.3.4. Zwischenergebnis zum zeitgeschichtlichen Umfeld der Offb gemäß der Sendschreiben
  • 2.4. Lokalkolorit II: Der Kaiserkult als Deutungshintergrund der Offb
  • 2.4.1. Der Kaiserkult und seine Rolle in und für Kleinasien
  • 2.4.2. Domitian und der Kaiserkult in Kleinasien
  • 2.4.3. Der „Satansthron“ (Offb 2,13) als Datierungsevidenz? – Einwände der Spätdatierungsthese
  • 2.4.4. Einwirkung des Kultes auf die Bildwelt der Offb
  • 2.4.4.1. Beispiel 1: Kaiserbild und Christusbild in Offb
  • 2.4.4.2. Seitenblick: Domitian als Dominus et Deus
  • 2.4.4.3. Beispiel 2: Hofzeremoniell in der Offb
  • 2.4.5. Zwischenfazit: Die Rolle des Kultes für die Auslegung der Offb
  • 2.5. Lokalkolorit III: Offb im Kontext von Drangsalen und Verfolgungen am Beispiel der Sendschreiben
  • 2.5.1. Argumente für eine Verfolgung unter Domitian
  • 2.5.2. Argumente gegen eine Verfolgung unter Domitian
  • 2.5.3. Lösungsansatz: Agitationen statt Verfolgungen
  • Exkurs 1: Der erste Clemens-­ und erste Petrusbrief zur Frage einer domitianischen Christenverfolgung
  • 2.6. Ertrag der Vorklärungen
  • 3. Die Johannesoffenbarung – Fallstudien markanter Stellen zur Wahrnehmung der Herrschaft Domitians
  • 3.1. Hinweise auf eine Wahrnehmung der Herrschaft Domitians in Offb 6
  • 3.2. Hinweise auf eine Wahrnehmung der Herrschaft Domitians in Offb 12–13
  • 3.2.1. Offb 12: Der Drache
  • 3.2.2. Offb 13,1–10: Das erste Tier
  • 3.2.2.1. Offb 13,1–4: Zur äußeren Gestalt des Tieres
  • 3.2.2.2. Offb 13,1.5–10: Das Kaisertum des Tieres
  • 3.2.2.3. Eine mögliche Deutung: Das erste Tier als Kaiser Domitian
  • 3.2.3. Offb 13,16–18: Die Zahl des Tieres
  • 3.2.3.1. Das χάραγμα
  • 3.2.3.2. Die Bedeutung der 666
  • 3.2.4. Die Nerolegende in Offb und ihre Bedeutung für die Wahrnehmung Domitians
  • 3.2.4.1. Allgemeine Übereinstimmungen zwischen Nero und Domitian in der Literatur
  • 3.2.4.2. Visuelle Übereinstimmungen zwischen Nero und Domitian
  • 3.2.4.3. Zwischenfazit: Neromotivik in Offb
  • Exkurs 2: Die Entwicklung der Nerolegende in der AscIs
  • 3.2.5. Offb 13,11–15: Das zweite Tier
  • 3.2.6. Zwischenfazit – Domitianische Herrschaftsrepräsentation und Offb 13
  • 3.3. Hinweise auf eine Wahrnehmung der Herrschaft Domitians in Offb 14–18
  • 3.3.1. Hinweise auf eine Wahrnehmung der Herrschaft Domitians in Offb 17
  • 3.3.1.1. Das Rahmensegment: Die Hure Babylon (Offb 17,1–6.15–18)
  • 3.3.1.2. Die Königsliste (Offb 17, 7–14)
  • 3.3.2. Seitenblicke auf Offb 14–16 und Offb 18
  • 3.4. Ertrag
  • 4. Das vierte Esrabuch und die Wahrnehmung der Herrschaft Domitians
  • 4.1. Einleitende Fragen und Struktur
  • 4.1.1. Datierung und Verortung
  • 4.1.2. Verfasser
  • 4.1.3. Struktur des Werkes
  • 4.2. Adlervision
  • 4.2.1. Anspielungen auf das Römische Reich
  • 4.2.2. Das Römische Reich als das vierte Reich Daniels
  • 4.2.3. Analyse der Vision (4 Esra 11,1–12,2)
  • 4.2.4. Analyse der Visionsdeutung (4 Esra 12,10–35)
  • 4.2.5. Die Zuordnungstheorien der Adlervision und ihr historischer Wert
  • 4.2.5.1. Die Deutung der Gegenflügel
  • 4.2.5.2. Die Deutung der drei Häupter
  • 4.2.5.2.1. Die Flavier-­Deutung
  • 4.2.5.2.2. Probleme einer „Severer-­Deutung“ der Adlervision
  • 4.3. Ertrag für das Domitianbild
  • Exkurs 3: Wird die Herrschaft Domitians in der Zedernvision der syrischen Baruchapokalypse wahrgenommen?
  • 5. Fazit zum Domitianbild der Apokalyptik
  • Teil III: Die apokalyptische Domitianwahrnehmung im Kontext paganer und frühchristlicher Erinnerungsstrategien
  • 1. Die Domitianrezeption in kaiserzeitlicher Literatur
  • 1.1. Die paganen Autoren und ihr Schrifttum über Domitian im Überblick
  • 1.1.1. Domitian und die adulatorische Poesie sowie die Satiren Juvenals
  • 1.1.2. Domitian im Blickpunkt der senatorischen Historiographie
  • 1.2. Motivische Schlaglichter
  • 1.2.1. Domitian als zweiter Nero
  • 1.2.2. Domitian als divine Persönlichkeit
  • 1.2.3. Domitian als Verfolger
  • 1.2.4. Wirkungsgeschichtlicher Motivakzent: Die Tyrannenmemoria
  • 1.2.4.1. Was ist ein Tyrann? – Das römische und jüdische Tyrannenbild
  • 1.2.4.2. Inwiefern ist Domitian ein Tyrann?
  • 1.3. Zwischenfazit: Der „römische“ Domitian
  • 2. Die Domitianrezeption in der frühchristlichen Literatur
  • 2.1. Domitianrezeption in der frühen Kirche: Ein Durchgang
  • 2.1.1. Frühe Zeugen: Justin der Märtyrer und Melito von Sardes
  • 2.1.2. Tertullian
  • 2.1.3. Laktanz und Viktorin von Pettau
  • 2.1.4. Eusebius
  • 2.1.5. Orosius und die Eusebiusrezeption
  • 2.2. Die christliche Fortschreibung der Tyrannentypologie
  • 2.3. Zwischenfazit: Der frühchristlich erinnerte Domitian
  • Exkurs 4: Der Einfluss der Rezeption auf späte apokalyptische Texte: Domitian und das Aussehen des Antichristen in der Elia-­Apokalypse
  • Teil IV: Ertrag der Studie
  • Literaturverzeichnis
  • A. Abkürzungen
  • B. Quellen und Übersetzungen
  • a) Alt-­ und neutestamentliche Literatur
  • b) Frühjüdische und urchristliche Apokryphen
  • c) Judaica
  • d) Literatur der griechisch-­römischen Antike
  • e) Frühchristliche Literatur
  • f) Sonstige Quellen / Quellensammlungen
  • C. Hilfsmittel
  • a) Wörterbücher / Lexika
  • b) Münzkataloge / Inschriftenverzeichnisse
  • D. Sekundärliteratur
  • E. Online-­Ressourcen
  • F. Abbildungsverzeichnis

← x | xi → Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München als Inauguraldissertation angenommen. Da das Manuskript im Frühjahr 2014 zum Abschluss kam, konnte die zwischenzeitlich erschienene einschlägige Literatur zum Thema nur noch in Ausnahmefällen berücksichtigt werden.

Es freut mich sehr, diese Arbeit zum Abschluss eines prägenden Studiums der Theologie in Paderborn, Jerusalem und München öffentlich vorlegen zu können. Die Auslegung urchristlicher Schriften hat mich seit Beginn meiner Studienzeit fasziniert und über die Zeit des intensiven archäologischen, interreligiösen und exegetischen Studiums in Israel hinaus immer mehr in Beschlag genommen. Ich danke an dieser Stelle vor allem meinen exegetischen Lehrern, die dieses Interesse geweckt und wach gehalten haben. Namentlich erwähnt seien unter Ihnen vor allem Prof. Dr. Christoph Gregor Müller und Prof. Dr. Knut Backhaus. Letzterem gilt mein besonderer Dank für seine Begleitung meiner fachlichen Interessen seit meinem Studium in Israel. Von der Diplomarbeit über erste Aufsatzprojekte bis hin zur Betreuung der Dissertation hat er mich und meine Thesen stets mit wohlwollender Kritik und wissenschaftlichem Anspruch begleitet. Ich habe sehr viel von ihm gelernt und bin dankbar, dass ich von 2010 bis 2014 auch sein Assistent an der LMU sein durfte. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Gerd Häfner, der das Zweitgutachten zu dieser Arbeit erstellt hat und mir ebenfalls ein wichtiger neutestamentlicher Lehrer wurde.

Es gilt an dieser Stelle auch vielen Menschen zu danken, die direkt oder indirekt zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen haben: Ich danke Herrn Dr. Ulrich Burkhard für die Erstkorrektur und in besonderer Weise Ralph H. Pries für die Endkorrektur. Ich danke dem Team am Lehrstuhl, allen voran Frau Barbara Steinberger, für die vielfältige Unterstützung im Prozess der Entstehung der Promotion sowie meinen Münchner Kolleginnen und Kollegen im akademischen Mittelbau für den wertvollen fachlichen Austausch.

Ebenso gilt mein Dank dem Cusanuswerk, das mich bereits seit meiner Diplomstudienzeit finanziell und vor allem auch ideell gefördert hat. Die vielen bereichernden Gespräche mit Cusanerinnen und Cusanern kamen auch dieser Arbeit zugute, haben Recherchen vereinfacht und eine überfachliche und menschlich angenehme Zusammenarbeit mit anderen jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglicht.

← xi | xii → Herrn Andreas Pangerl (Roman Numismatic Gallery) und der Glyptothek München danke ich für die Abdruckerlaubnis der zur Verfügung gestellten Bilder.

Allen beteiligten Personen des DFG-Forschungsprojekts „Mediale Diskurse römischer Herrscherrepräsentation“ gilt mein besonderer Dank. Bei der interdisziplinären Fachtagung „Nero und Domitian. Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich“ in Freiburg i. Br. im Februar 2012 hatte ich als Gast die Gelegenheit, in Gesprächen mit den Vertretern aus verschiedenen altertumswissenschaftlichen Disziplinen wichtige Erkenntnisse zu gewinnen. Ich danke allen Beteiligten für die freundliche Einladung nach Freiburg und auch zu den Arbeitstreffen in München für diese Chance zur perspektivischen Weitung und den fachübergreifenden Austausch.

Ganz besonders aber möchte ich meiner Familie und meinen Freunden danken, die mich in der Zeit der Promotion auf vielfältige Weise unterstützt, getragen und manchmal auch ertragen haben; darunter vor allem meine Mutter Marianne, mein Bruder Rainer David, meine Tante Evelin, mein Onkel Ralph und meine Großmutter Elfriede. Für ihre vielfältige Unterstützung – oft aus der Ferne meiner westfälischen Heimat – bin ich mehr als dankbar. Meinem Vater Waldemar danke ich ebenfalls für seine Unterstützung in der Zeit des Studiums und der Promotion. Besonders möchte ich an dieser Stelle Klaus Schubert und seiner Familie danken, die mich im Prozess der Entstehung dieser Arbeit immer wieder motiviert haben und mich in bester Weise zu „erden“ verstanden. Ebenso sei auch meinem Studienfreund Björn Fischer Dank gesagt, bei dem ich stets ein offenes Ohr für alle wissenschaftlichen Fragen rund um die Theologie als „ganzer“ fand.

Die Bedeutung, die Familie und Freunde gerade in der Zeit der Promotion für mich hatten, ist in keiner Weise aufwiegbar. Ich widme meine Arbeit aus diesem Grund besonders meiner Mutter Marianne, die mir in jeder Phase meines Lebens eine liebevolle Stütze war und ist.

München, im Februar 2015

Robert Mucha

← xii | 1 → Einführung in die Problematik: Die Domitianforschung im Umbruch

Ein Exeget befindet sich in einer gleichzeitig erdrückenden wie komfortablen Situation: erdrückend insofern, als sein Arbeitsfeld zwischen Theologie, Altertumswissenschaft und Altphilologie eine immense Meinungspluralität hervorgebracht hat – komfortabel insofern, als diese unterschiedlichen Positionen kaum systematisch sortiert und analysiert werden. So bleiben Theologen meist bei ‚ihrem Leisten‘ und wenden sich philosophisch geprägten Fragestellungen zu, während Philologen und Althistoriker die religiös geprägten Schriften des Urchristentums und Frühjudentums zwar kursorisch wahrnehmen, sich schließlich aber anderen Texten zuwenden.

Dieser Umstand führte im Laufe der Forschungs- und Auslegungsgeschichte urchristlicher Quellen dazu, dass sich Thesen, die teils aus der frühesten Zeit der Bibelauslegung stammen, zu einem quasi-dogmatischen „Auslegungs-commonsense“ verhärteten. Die Geschichtswissenschaften entwickelten auf der Basis von vornehmlich paganem Quellenmaterial allerdings von diesen Ansichten teils abweichende Theorien. Das Resultat ist ein garstig breiter Forschungsgraben, der sich zwischen mittlerweile standardmäßig vertretenen Theorien der Althistorik und immer noch vertretenen Meinungen der kirchenhistorischen Forschung auftut.

Ein Beispiel für diesen Forschungsgraben stellt die Annahme der Verfolgung von Christen durch Kaiser Domitian dar. Diese zweite Verfolgung nach derjenigen durch Nero ist spätestens seit Eusebius (vgl. Eus.hist.eccl. 3,13–20) im Christentum zu einer allgemeinen „Geschichtswahrheit“ geworden. Die Zweifel, ob diese Verfolgung jemals stattgefunden hat, wiegen allerdings schwer: Während diese Ansicht meist noch in älteren theologischen (teils aber auch noch in althistorischen) Debatten vertreten wird,1 hat die moderne Forschung sie weitgehend aufgegeben.2 Ebenso widersprüchlich stehen sich Althistorik und Kirchengeschichte hinsichtlich einer Gesamtbeurteilung Domitians gegenüber: So wird er in althistorischer Einschätzung als kluger Feldherr und Opfer der senatorischen ← 1 | 2 → Erinnerungstradition teils sehr positiv gesehen,3 während Theologen Domitian meist als zweiten Christenverfolger kennen.

Der Wandel des Domitianbildes in der Althistorik fasst aber langsam auch in der Exegese Fuß.4 Das hat einerseits Auswirkungen auf die Interpretation der urchristlichen Quellen und andererseits auf das vom Christentum erinnerte Domitianbild. So wird der urchristlichen Literatur, die aufgrund der mutmaßlichen Verfolgung in die Zeit Domitians datiert wurde, im Zuge einer Rezeption der Argumente der althistorischen Forschung die Datierung und damit die bisher angenommene Interpretationsgrundlage entrissen. Dies betrifft vor allem Teile der kanonischen Briefliteratur (1 Petr, Hebr und außerkanonisch auch 1 Clem) und in besonderem Maße die jüdisch-christliche Apokalyptik, die mit der Voraussetzung einer „Schwellenzeit“ unter Domitian ausgelegt wurde und immer noch wird.5 Der spezifische Grund, die Schriften in genau dieser Zeit zu verorten, scheint mit dem Fallenlassen der Verfolgungshypothese obsolet geworden zu sein: Es tut sich eine offene Zeitspanne für Datierungen auf, die auch die Regierungszeiten der Vorgänger und Nachfolger Domitians mitbedenken ließe. Ebenso gerät im Zuge dessen das Bild Domitians als „Tyrannenherrscher“ ins Wanken und Exegese wie Kirchengeschichte stehen vor der Aufgabe einer Neubewertung: War Domitian wirklich ein Tyrann oder wurde er nur in Folge der Verfolgungshypothese als solcher betrachtet?

Durch den Umbruch in der Domitianforschung, so mag man vereinfacht resümieren, ist vieles unklar geworden, was die Exegese bislang als axiomatische Grundlage für die Auslegung zahlreicher Texte angenommen hat. An dieser Stelle sollte die Exegese allerdings nicht den Fehler begehen, die Ergebnisse der Althistorik unreflektiert zu übernehmen. Vielmehr gilt es, das Domitianbild des Urchristentums auf der Basis der althistorischen Erkenntnisse zu hinterfragen: Die Quellen, die Exegeten auslegen, mögen mit befremdlichem – bisweilen undurchschaubarem – Bildmaterial aufwarten; allerdings sind sie gleichzeitig auch Zeugnisse einer nicht-senatorischen, nicht-adulatorischen, nicht-reichsrömisch paganen Wahrnehmungs- und Erinnerungsgruppe, die um ihr Verhältnis zum Römischen Reich rang. Da christlich-jüdische Texte für eine andere Klientel geschrieben wurden als etwa Texte von Sueton und Tacitus, sind sie als eigenständige und zusätzliche Sichtweisen auf das Kaisertum ernst zu nehmen.

← 2 | 3 → Hier ist methodisch ein interdisziplinäres Vorgehen nötig, das einerseits die in der Forschung bislang vorherrschenden Bewertungsmuster der senatorischen Geschichtsschreibung wahrnimmt, aber andererseits um die Perspektive der jüdisch-christlichen Wahrnehmung ergänzt. Es bleibt zu untersuchen, wie diese Gegenöffentlichkeit den römischen Kaiser „erinnerte“ – ob etwa bestimmte Bilder aus der Herrscherwahrnehmung aufgenommen und umcodiert wurden oder sich ganz eigene, originelle Erinnerungsfelder bildeten.

En miniature soll anhand der apokalyptischen Traditionen des ersten und frühen zweiten Jahrhunderts – jener Texte also, die für die Wahrnehmung Domitians als Verfolger und Tyrann seit frühester Zeit herangezogen wurden – eine Neubewertung hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu einer domitianischen Herrschaftsrepräsentation6 durchgeführt werden.

Bei diesem Vorhaben lassen sich folgende Problemanzeigen bzw. Forschungsaufträge festhalten:

(1) Die Situation der Christen unter Domitian ist insbesondere wegen des Fortfalls der Christenverfolgungsthese näher zu beschreiben.

Die in den jüdisch-christlichen Schriften erfahrbare Minderheitenperspektive kann die forschungsdominante Konzentration auf die senatorische Historiographie anfragen, ergänzen und bisweilen sogar korrigieren. Dabei stellen sich vor allem Fragen nach dem zeitlichen und situativen Rahmen der zu besprechenden apokalyptischen Quellen sowie deren Sitz im Leben. Worauf reagieren die Texte, wenn sie keine Christenverfolgung reflektieren? Die in den Schriften durchscheinende θλῖψις muss erklärt werden und die Frage nach dem Christentum zur domitianischen Zeit ist folglich einzubetten in Fragestellungen zur generellen Minderheitenpolitik Domitians.7 In diesen Kontexten ist das Augenmerk auch auf die Frage nach einer spezifischen Krisenwahrnehmung durch Minderheiten zu richten.8

← 3 | 4 → (2) Da sich der Großteil der Forschung auf Literatur der römischen Bildungselite konzentriert, ist eine perspektivische Erweiterung durch die frühjüdische und urchristliche Darstellungsweise vonnöten.

Gerade das Verständnis der neutestamentlichen Erzählliteratur in ihrem historischen Kontext ermöglicht eine Neubewertung und lässt erahnen, dass Herrscherrepräsentation literarisch aufgegriffen und gegenbesetzt werden konnte.9 Die Schriften des Frühjudentums und Urchristentums stellen eine in Textsorte, Textform und Entstehung (Verschriftlichungen einer Mündlichkeitskultur) vollkommen eigenständige literarische Form dar, die im Gegensatz zu senatorischen Schriften steht und weitgehend in ihrem historischen Wert unterschätzt wurde. Eine neue Perspektive auf Domitian wird durch das Hinzuziehen dieser Quellen möglich. Gerade im Zusammenhang mit der Frage einer oppositionellen Gegenbesetzung gilt es zu überprüfen, ob und wie sich historische Umstände (etwa der Kaiserkult in Kleinasien) auf die Identität des antiken Christentums auswirkten und literarisch verarbeitet wurden (etwa als Inspiration für den sich entwickelnden Christuskult).10

(3) Die apokalyptische Literatur erfuhr bislang noch keine systematische Auswertung vor dem Hintergrund der Regierungszeit Domitians.

In der apokalyptischen Literatur sind Wahrnehmungsstränge marginaler Schichten der römischen Reichsbevölkerung erhalten. Diese Wahrnehmungsstränge sind noch nicht hinreichend freigelegt. Bei einer Untersuchung sind aber nicht literarkritisch „jüdische“, „christliche“ und „pagane“ Anteile zu segmentieren, sondern die Sicht auf das gesamte Reaktionsmuster muss freigelegt werden. Vielseitige Reaktionsmuster sind etwa anhand der Nero redivivus-Tradition festzustellen, auf die (auch unter besonderer Berücksichtigung der Sibyllinischen Orakel) ausführlich eingegangen werden muss, da sie auch für die Wahrnehmung Domitians eine nicht zu unterschätzende Rolle einnimmt.11

(4) Bislang fehlt eine systematische Beschreibung der domitianischen Minderheiten- und „Religionspolitik“12 sowie eine erneute Untersuchung der ← 4 | 5 → Plausibilität einer Datierung urchristlich-frühjüdischer Schriften in die domitianische Ära.

Die „Religionspolitik“ Domitians gilt der neueren Forschung als noch nicht hinreichend erschlossenes Arbeitsfeld: Im Hinblick auf die Frage nach dem Umgang Domitians mit Herrscherkult(symbolik) und Minderheiten innerhalb des Reiches ist das breite pagane Material (Historiographie, Dichtung, philosophische Schriften etc.) erneut auszuwerten. Es existiert weder zu dieser Frage noch für eine Beurteilung der „Religionspolitik“ der gesamten flavischen Dynastie eine eigenständige Studie.13

(5) Der Herrscherkult ist als Symbolhandeln in seiner politisch-sozialen Funktion zu untersuchen.

Die Verbindung zwischen exzessiv wahrnehmbarer Herrscherrepräsentation und kultischen Geltungsansprüchen ist (gerade mit einem Blick auf die östliche Reichshälfte) unplausibel geworden. Es bedarf an dieser Stelle einer neuen Einordnung der Bedeutung des Kultes: Der kleinasiatische Kaiserkult unter einem tyrannischen Domitian muss anderen Maßstäben gefolgt sein als der Kult um den im Christentum eher positiv erinnerten Hadrian. Kaiserkult stellt nicht das Maß individuellen Herrschaftswahns dar, sondern symbolisiert vielmehr das politische Selbstverständnis des jeweiligen Kaisers.14 Aus diesem Grund muss die sakrale Herrschaftsrepräsentation Domitians aus einem anderen Blickwinkel heraus erschlossen werden: Judentum und Christentum wurden als Minderheiten ← 5 | 6 → u. U. weniger durch eine individuelle Herrscherpersönlichkeit als vielmehr von deren Inkompatibilität mit dem eigenen religiösen Sinnsystem (monotheistische Theozentrik / Kaiserkult), durch kulturelle Gegensätze (Rom-Westen / Provinz-Osten) und die soziale Lage (Minderheit / städtische Elite) geprägt.15 Bisherige Arbeiten betonten eher die besondere Stellung und Intensivierung des Kaiserkultes unter den Nachfolgern Domitians und versuchten auf diese Weise Neudatierungen zu erreichen.16 Doch u. U. sind nicht Pracht und Intensität von Kaiserkult ausschlaggebender Punkt für Neubewertungen, sondern eher andere Faktoren, die mit Erinnerungsprozessen einhergehen.

Diese Arbeit verfolgt das Ziel einer Neubewertung des domitianischen Prinzipats durch die Auswertung der apokalyptischen Literatur. Das apokalyptische Textgut lässt sich dabei als Reaktion von religiösen Minderheiten auf römische Herrschaftsrepräsentationen verstehen. Dabei ergeben sich auf der Grundlage der genannten Forschungsaufträge folgende Fragen:

1.An dem zu untersuchenden Textgut bleibt zunächst zu klären, warum die Schriften überhaupt auf Domitian reagieren sollten. Welche Gründe sprechen dafür und welche dagegen, sie in die domitianische Ära zu datieren? Gibt es ein Spezifikum, das Domitian gegen seine Vorgänger und Nachfolger abgrenzt?

2.In einem weiteren Schritt ist zu fragen, wie bzw. auf was genau die Schriften reagieren: Ist die Minderheitensituation unter Domitian als Hintergrund für die Deutung der Texte plausibel bzw. wie ist sie erkennbar? An welchen Stellen spiegelt sich der Regierungsstil Domitians in der apokalyptischen Literatur wider? Gibt es Krisen, auf die reagiert wird?

3.In diesem Duktus steht auch die Frage nach dem Kaiserkult: Welche Rolle spielte die domitianische Herrschaftsrepräsentation / Religionspolitik für die Wahrnehmung des Kaisers in den urchristlichen Schriften? Gibt es bildliche Umbesetzungen?

4.Davon abgeleitet: Welche Denkmuster haben zu der Ausprägung des altkirchlichen Schemas Domitians als Christenverfolger geführt?

5.Prospektiv: Wie kann das in der neutestamentlichen Exegese vorherrschende Geschichtsbild, das die Herrscher nach individuellen Charakterzügen unterscheidet, durch die jüngere Forschung ergänzt / korrigiert werden? Ist der Kaiser als Individuum oder als Typus erinnert?

← 6 | 7 → Zur Beantwortung dieser Fragen empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

In einem ersten Teil soll die Gestalt Domitians zunächst allgemein beschrieben und biographisch konturiert werden. Daran anschließend wird der Fokus auf die apokalyptische Literatur gelegt: Was ist die Apokalyptik und inwiefern ist das Umfeld frühjüdisch-urchristlicher Apokalyptik für die weitere Untersuchung relevant?

In einem zweiten Teil werden verschiedene Werke apokalyptischer Literatur hinsichtlich der Frage nach domitianischer Herrschaftsrepräsentation untersucht. Es handelt sich um Teile der Sibyllinischen Orakel, die kanonische Johannesapokalypse und das vierte Esrabuch. Nacheinander werden die zeitlichen und sozialen Umstände analysiert und die verwendete Motivik herausgestellt.

Die dabei gewonnenen Ergebnisse werden in einem dritten Teil durch das Domitianbild der paganen antiken Schriftsteller und der frühchristlichen Rezeption ergänzt und die Ergebnisse der Untersuchung in einem vierten Teil abschließend zusammengefasst.← 7 | 8 →

_______________

1So etwa noch Keresztes, Roman Government und Moreau, Persécution du Christianisme, insbesondere 36–40.

2Vgl. hierzu u. a. Satake, Offenbarung, 57f. sowie allgemein auch Riemer, Tier; Lietaert Peerbolte, Worship; Pfeiffer, Flavier.

3Dazu neuerdings Gering, Domitian.

4Zu diesem Wandel siehe Urner, Domitian, 321.

5Problemanzeigen für eine derartige Auslegungsmethodik finden sich etwa bei Botha, Domitian; Erlemann, Datierung und Witulski, Kaiserkult.

6In dieser Studie wird soweit angebracht der Begriff „Propaganda“ als Beschreibung für die Außendarstellung Domitians vermieden und durch den neutraleren Terminus „Herrschaftsrepräsentation“ oder „Selbstdarstellung“ ersetzt. Ein Ziel der Studie ist es, die Wahrnehmung der Herrschaftsrepräsentation durch diverse Wahrnehmungsgruppen genauer zu beschreiben.

7Dies zielt auch auf die Frage nach der Politik Domitians hinsichtlich des Judentums, das in Folge des ersten Jüdischen Krieges besondere Aufmerksamkeit erfuhr; vgl. dazu u. a. Smallwood, Jews.

8Gerade die US-amerikanische Exegese trug viel zu dieser Forschungsfrage bei. Allen voran sei hier zu nennen: Collins, Crisis and Catharsis; ebenfalls Thompson, Revelation und für den deutschsprachigen Raum Ulland, Vision.

9Klauck zeigt dies etwa am Beispiel von Apg 12, wo Herodes Agrippa I. aufgrund seiner Stimme für den antiken Leser mit Nero vergleichbar wird; vgl. Klauck, Stimme.

10Anklänge dazu finden sich bei Auffarth, Herrscherkult.

11Hinweise liefern Firpo, Tradizioni giudaiche su Nerone; van Henten, Nero Redivivus Demolished; Klauck, Nero Redivivus; van Kooten, Expectations of Nero’s Return.

12Der Religions- kann ebenso wie der Politikbegriff in dieser Verwendungsweise irreführend sein. Der in der Antike anders als heutzutage konnotierte Religionsbegriff (vgl. dazu etwa Zirker, Religion, 1034) wird in dieser Studie als allgemeiner Beschreibungsbegriff verwendet, bei dem vor allem kultische und gesellschaftliche Phänomene im Blick sind. Ebenso ist der Begriff „Politik“ kaum mit einem heutigen Politikverständnis zu korrelieren, sondern wird ebenfalls behelfsmäßig zur Beschreibung einer dekretierten oder delegierten Gewaltausübung verwendet. Es ist bei dem Begriff „Religionspolitik“ an das von behördlicher Seite unternommene Vorgehen gegenüber Gruppen wie etwa dem Frühjudentum und dem Urchristentum zu denken, auch wenn diese „Religionen“ im späten 1. Jh. n. Chr. von außen noch schwer als verschiedenartige Gemeinschaften erkannt werden konnten (siehe zur Terminologie unten Anm. 112).

13Studien mit Einschätzung der Religionspolitik einzelner Kaiser zeigen das Desiderat hinsichtlich der Flavierherrscher auf: So existieren für den Prinzipat des Claudius die Arbeit von Alvarez Cineira (Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission), für Hadrian die Arbeit von Kuhlmann (Religion und Erinnerung) und für Mark Aurel die Arbeit von Motschmann (Die Religionspolitik Marc Aurels).

14Siehe dazu Peppel, Kaiserverehrung und Herrschaftskontrolle und Witschel, Verrückte Kaiser.

15Vgl. dazu ausführlich Noethlichs, Judentum und Rüpke, Festrituale.

16Als Beispiel sei an dieser Stelle etwa Witulskis Spätdatierungsvorschlag zur Johannesapokalypse genannt; vgl. Witulski, Die Johannesoffenbarung und Kaiser Hadrian.

← 8 | 9 → Teil I: Domitian und die Apokalyptik – eine inhaltliche und methodische Annäherung

In der Forschung herrscht Uneinigkeit darüber, ob Domitian (wie es zahlreiche Quellen evozieren) ein Tyrann war oder sein erfolgreicher Prinzipat von der literarischen Nachwelt verzerrt dargestellt wurde. Um einen Eindruck von der Komplexität dieses Sachverhalts zu gewinnen, soll in diesem ersten Teil in einem methodischen Dreischritt die historische und hermeneutische Grundlage für die Analyse der christlichen Quellen hinsichtlich der Frage nach der Wahrnehmung der Herrschaft Domitians gelegt werden, die die Voraussetzung für weitergehende Fragen darstellt.

In einem ersten Kapitel wird der derzeitige Stand der Domitian-Forschung umrissen: Welche Kontexte prägten den Kaiser und die Erinnerung an ihn? – Es wird herausgestellt, dass ein konsistentes Bild des domitianischen Prinzipats nicht durch eine Fokussierung auf pagane antike Quellen allein möglich ist, was in einem zweiten Kapitel zu der Frage nach der Apokalyptik als originär christlich-jüdischem Erinnerungskreis führt. Die zeitlichen Kontexte, in denen die Apokalyptik zu verorten ist, sollen in der gebotenen Kürze dargelegt werden, um die nötigen Prämissen für die folgenden Textauslegungen aufzuzeigen. Schließlich wird in einem dritten Kapitel die Apokalyptik als Oppositionsliteratur vorgestellt. Auf der Basis der Erkenntnisse lässt sich schließlich das Textgut für die weitere Untersuchung eingrenzen.

1.Domitian – zwischen tendenziösen Bildern und historischem Befund

Theologen, Historiker und Altphilologen stehen vor einer Vielzahl von Fragen, wenn es um eine Einschätzung Kaiser Domitians im Kontext realpolitischer wie religionspolitischer Fragestellungen geht. Die Meinungen innerhalb dieses Diskurses sind so vielfältig wie die Wissenschaften, die sich seiner annehmen. Gerade von theologischer Seite ist die Wahrnehmung Domitians als Kaiser, unter dessen Herrschaft vermutlich ein Großteil der urchristlichen Primärzeugnisse entstand, von besonderer Bedeutung. Im Folgenden soll Domitians Biographie kurz skizziert werden. Dabei wird aufgezeigt, dass sich eine Diskrepanz zwischen dem historisch verifizierbaren und dem kontextuell wahrgenommenen Domitianbild auftut. Es soll die von der flavischen Dynastie (1.1.) und seinen Nachfolgern ← 9 | 10 → (1.3.) umgrenzte Regierungszeit Domitians (1.2.) dargestellt werden. Dabei wird deutlich, dass Herrscherbilder Traditionsprozessen unterliegen (1.4.), die einen Rückschluss auf die jeweiligen Erinnerungskreise zulassen. Als solche gewinnen sowohl das Judentum als auch das Christentum eine eigene Bedeutung für die historische Rückfrage.

1.1.Domitian im Kontext der Flavierdynastie

Domitians Herrschaft ist nur im Kontext seines Familiengefüges interpretierbar.17 Der Aufstieg und die Festigung der Macht seiner Familie18 haben entscheidend zum Selbstverständnis des letzten Flavierherrschers beigetragen.19 Mit der Proklamation Vespasians (69–79 n. Chr.) zum Kaiser des Römischen Reiches im Jahr 69 n. Chr. wurde Domitian schlagartig zu einem möglichen Thronerben. Faktisch aber war Domitian zur Regierungszeit seines Vaters lediglich ein machtloser princeps iuventutis.20 Er strebte nach direktem Einfluss statt bloßer ← 10 | 11 → Repräsentation, aber erhielt zu Vespasians und Titus’ Regierungszeit kaum mehr als Ehrungen.21

Die Ausgangssituation der flavischen Herrschaft war derjenigen zur Zeit des Augustus sehr ähnlich: Nach einem Bürgerkrieg musste das Reich konsolidiert werden. Die horrenden finanziellen Ausgaben unter Nero zwangen Vespasian dazu, drastische Sparmaßnahmen durchzuführen.22 Der Aufstieg der Flavier hing zudem stark mit der Militäroperation in Judäa zusammen: Im Jahr 66 n. Chr. wurde Vespasian von Nero in die östliche Provinz geschickt, um die jüdischen Aufstände niederzuschlagen. Eine der drei Legionen wurde dabei von Vespasians Sohn Titus geführt.23 Somit blieben die Flavier in der jüdisch-christlichen Rezeptionswelt als Tempelzerstörer und grausame Besatzermacht im kollektiven Gedächtnis verwurzelt.24

In Judäa ereilte Vespasian schließlich auch die Nachricht vom Tod Neros und den darauf folgenden Unruhen in Rom: Am 2. Januar 69 wurde Vitellius in Niedergermanien zum Kaiser proklamiert und am 15. Januar schließlich Otho, der sich mit Vitellius in der Folgezeit heftige militärische Auseinandersetzungen lieferte.25 Vespasian erfuhr von den Vorgängen mit eineinhalb-monatiger Verspätung26 und plante daraufhin mit Mucianus, dem Statthalter von Syrien, eine eigene Imperialakklamation durch seine Soldaten, die ihm letztlich zum Sieg über Vitellius und zur Caesarenwürde verhalf (zum Herrschaftsantritt Vespasians siehe Suet.Vesp. 6–7).

Im Juni des Jahres 71 wurde der flavische Sieg in Judäa mit einem großen Triumphzug durch Rom gefeiert.27 Dieser Triumphzug war eine Art Inthronisationsfeier der Flavier, bei der auch Domitian mitritt und sich so in den Ruhm ← 11 | 12 → seiner Familie einreihen durfte.28 Vespasian konsolidierte während seiner Regierungszeit die Staatskasse und starb nach knapp zehnjähriger Herrschaft im Juni 79 n. Chr.

Nach Vespasian trat sein ältester Sohn Titus die Regierungsgeschäfte an (79–81 n. Chr.). Titus war schon früh und vielseitig auf das höfische Leben vorbereitet worden29 – ganz im Gegensatz zu Domitian. Überhaupt scheint das Verhältnis der beiden Brüder eher gespannt gewesen zu sein: Titus versuchte nach dem Tod Vespasians einerseits Domitian die nötigen Ehren als Prinz zukommen zu lassen,andererseits schloss Titus Domitian mit einiger Bestimmtheit von jeglichen Machtpositionen aus.30 Dem römischen Volk hingegen blieb Titus aber vor allem aufgrund seiner clementia im Gedächtnis: Der mächtige Feldherr des Jüdischen Krieges wurde im Laufe der Zeit als immer sensibler und dem Volk wohlwollender beschrieben.31 Die Regierungszeit des Titus war geprägt von Katastrophen wie dem Vesuvausbruch im Jahr 79 und dem Brand Roms im Jahr 80, auf die der Kaiser mit energischen Hilfsmaßnahmen reagierte.32 Unerwartet starb der nachfolgerlose Titus im September 81,33 was für Domitian die Chance zur Übernahme der Regierungsgeschäfte bot.34

Für die spätere Herrschaft Domitians ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass der unter Augustus begonnene und schließlich von Gaius und Nero forcierte hellenistische Herrschaftsanspruch samt Divinisierungspolitik in der flavischen Familie weitergepflegt wurde.35 So war Vespasian nach Augustus und Claudius ← 12 | 13 → der dritte offiziell divinisierte Herrscher.36 Doch er machte sich nicht viel aus dieser „divinen Position“ und sah die Verehrung als ordnungspolitische Notwendigkeit an.37 Anders Domitian: Er nahm den Kult um seine Person und Familie38 besonders ernst und wird von Witschel in einer Reihe der Kaiser genannt, die kultisch und persönlich den Prinzipatsgedanken überspannten.39

Details

Seiten
XII, 491
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056013
ISBN (ePUB)
9783653964882
ISBN (MOBI)
9783653964875
ISBN (Paperback)
9783631664391
DOI
10.3726/978-3-653-05601-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Apokalyptik Johannesapokalypse Nero redivivus Kaiserkult Herrschaftsrepräsentation
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XII, 491 S., 22 s/w Abb.

Biographische Angaben

Robert Mucha (Autor:in)

Robert Mucha studierte Katholische Theologie in Paderborn, Jerusalem und München. Er promovierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Fach Exegese des Neuen Testaments.

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Titel: Der apokalyptische Kaiser
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