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Das Kuckuckskind und seine drei Eltern

Eine kritische Würdigung der bestehenden Rechtslage mit Vorschlägen für interessengerechte Regelungen unter rechtsvergleichenden Aspekten aus dem EMRK-Raum

von Kerstin Aust (Autor:in)
©2015 Dissertation LII, 297 Seiten

Zusammenfassung

Kerstin Aust belegt mit einem Vergleich der Regelungen in den 47 EMRK-Staaten, dass die Rechtsfragen, die sich in einer Familie mit Kuckuckskind stellen, trotz der anhaltenden Flut von Akten der deutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht zufriedenstellend gelöst sind. Auf die Frage, ob nur die biologische Abstammung oder nur die soziale Wirklichkeit Rechtswirkungen hervorrufen soll, gibt es ihrer Ansicht nach keine einzig gültige Antwort. Vielmehr kommt es auf den Einzelfall und auf das Wohl des Kuckuckskindes an. Die Autorin fordert daher flexible Regelungen: Das Gesetz sollte bei einem Kuckuckskind keine «entweder-oder»-Frage stellen, sondern eine «sowohl-als-auch»-Lösung bieten, welche die Möglichkeit des rechtlichen Nebeneinanders zweier Väter und einer Mutter beinhaltet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Überblick
  • 1.2 Zum statistischen und soziologischen Hintergrund
  • 1.3 Familie Cuculidae stellt sich vor
  • 1.3.1 Die Mutter
  • 1.3.2 Das (Kuckucks-)Kind
  • 1.3.2.1 Recht auf Kenntnis des eigenen biologischen Vaters
  • 1.3.2.2 Exkurs: Das Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung in den anderen EMRK-Staaten
  • 1.3.2.3 Sonstige betroffene Interessen des Kuckuckskindes
  • 1.3.3 Der rechtliche Vater / Scheinvater / Wunschvater
  • 1.3.3.1 Recht auf Kenntnis der eigenen biologischen Vaterschaft
  • 1.3.3.2 Sonstige betroffene Interessen des rechtlichen Vaters
  • 1.3.4 Der leibliche / biologische Vater / Putativvater
  • 1.3.4.1 Recht auf Kenntnis der eigenen biologischen Vaterschaft?
  • 1.3.4.2 Sonstige betroffene Interessen des biologischen Vaters
  • 2 Die väterliche Abstammung eines Kuckuckskindes
  • 2.1 Überblick
  • 2.2 Die Vaterschaft
  • 2.2.1 Der rechtliche Vater: Vaterschaft kraft Ehe oder Anerkennung
  • 2.2.1.1 Vaterschaft kraft Ehe gemäß § 1592 Nr. 1 BGB
  • 2.2.1.1.1 Voraussetzungen und Sinn und Zweck der Regelung
  • 2.2.1.1.2 Bewertung
  • 2.2.1.2 Vaterschaft kraft Anerkennung gemäß § 1592 Nr. 2 BGB
  • 2.2.1.2.1 Voraussetzungen und Sinn und Zweck der Regelung
  • 2.2.1.2.1.1 Wirksame Anerkennung des Scheinvaters
  • 2.2.1.2.1.2 Wirksame Zustimmung der Mutter
  • 2.2.1.2.1.3 Zustimmung des Kindes?
  • 2.2.1.2.2 Unwirksamkeit der Anerkennung wegen Irrtums oder Täuschung?
  • 2.2.1.2.3 Bewertung
  • 2.2.2 Der biologische Vater: Vaterschaft kraft Anerkennung oder gerichtlicher Feststellung
  • 2.2.2.1 Vaterschaft kraft Anerkennung gemäß § 1592 Nr. 2 BGB – nur bei Nichtbestehen einer Vaterschaft eines anderen Mannes
  • 2.2.2.1.1 Wirksame Anerkennung durch den biologischen Vater
  • 2.2.2.1.2 Wirksame Zustimmung der Mutter
  • 2.2.2.1.3 Wirksame Zustimmung des Kindes
  • 2.2.2.2 Vaterschaft kraft gerichtlicher Feststellung gemäß § 1592 Nr. 3 BGB
  • 2.2.2.2.1 Antragsberechtigung
  • 2.2.2.2.2 Gerichtliche Feststellung der Vaterschaft
  • 2.2.2.2.2.1 Abstammungsuntersuchung
  • 2.2.2.2.2.1.1 DNS-Abstammungsgutachten und ggf. weitere Beweismittel
  • 2.2.2.2.2.1.2 Pflicht zur Mitwirkung der Betroffenen an Abstammungsuntersuchung
  • 2.2.2.2.2.1.3 Postmortale Feststellung der Vaterschaft
  • 2.2.2.2.2.2 Vaterschaftsvermutung gemäß § 1600d Abs. 2 S. 1 BGB
  • 2.2.2.2.2.2.1 Voraussetzungen der Vermutung
  • 2.2.2.2.2.2.2 Widerlegung der Vermutung
  • 2.2.3 Kritik am geltenden deutschen Abstammungsrecht, insbesondere an den Vaterschaftsvermutungen
  • 2.2.4 Möglichkeiten zur Verbesserung der Kritikpunkte
  • 2.2.4.1 Regelungen in anderen EMRK-Staaten zur Beseitigung der Vermutung der väterlichen Abstammung ohne förmliches Verfahren zur Anfechtung der Vaterschaft
  • 2.2.4.1.1 Einfache Erklärung durch die Kindsmutter
  • 2.2.4.1.2 Gemeinsame Erklärung der Mutter und des rechtlichen Vaters
  • 2.2.4.1.3 Gemeinsames Handeln der Mutter und des biologischen Vaters
  • 2.2.4.1.4 Handeln des Kindes
  • 2.2.4.1.5 Übereinstimmendes Handeln des Kindes und des biologischen Vaters
  • 2.2.4.1.6 Übereinstimmendes Handeln der Kindsmutter, des rechtlichen Vaters und des biologischen Vaters
  • 2.2.4.1.7 Einseitige Verhinderung der Etablierung einer anderweitigen Vaterschaft durch den biologischen Vater
  • 2.2.4.2 Vätertausch im geltenden deutschen Recht: Vaterschaft kraft Anerkennung gemäß § 1592 Nr. 2 BGB i.V.m. § 1599 Abs. 2 BGB bei der Geburt eines Kindes nach Anhängigkeit eines Scheidungsantrags
  • 2.2.4.2.1 Voraussetzungen von § 1599 Abs. 2 BGB
  • 2.2.4.2.2 Kritik an § 1599 Abs. 2 BGB
  • 2.2.4.2.2.1 Eine Ansicht: die Dispositionsbefugnis der Eltern ist zu weitgehend
  • 2.2.4.2.2.2 Bewertung
  • 2.2.4.2.2.3 Andere Ansicht: die Dispositionsbefugnis der Eltern ist nicht weitgehend genug
  • 2.2.4.2.2.4 Bewertung
  • 2.2.4.3 Vorschläge für ein gerechteres deutsches Abstammungsrecht
  • 2.2.4.3.1 Vatertausch bei Übereinstimmung der drei Elternteile
  • 2.2.4.3.2 „Vorläufiger Rechtsschutz“ des potentiellen biologischen Vaters zum Schutz vor „gesetzlichem Kidnapping“
  • 2.2.4.3.3 Befristetes Widerspruchsrecht des potentiellen biologischen Vaters
  • 2.3 Anfechtung der Vaterschaft gemäß §§ 1599 ff BGB
  • 2.3.1 Überblick
  • 2.3.1.1 Vaterschaftsvermutung im Anfechtungsverfahren § 1600c BGB
  • 2.3.1.2 Gerichtliche Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft
  • 2.3.1.3 Stellung der Beteiligten, insbesondere des potentiellen biologischen Vaters
  • 2.3.1.4 Grenzüberschreitende Sachverhalte
  • 2.3.2 Anfechtungsberechtigte
  • 2.3.2.1 Anfechtungsrecht des rechtlichen Vaters
  • 2.3.2.1.1 Kein Anfechtungsrecht der Staatsanwaltschaft
  • 2.3.2.1.2 Kein Anfechtungsrecht der Erben des rechtlichen Vaters
  • 2.3.2.1.3 Kein Anfechtungsrecht der Eltern des rechtlichen Vaters
  • 2.3.2.2 Anfechtungsrecht des Kindes
  • 2.3.2.2.1 Vertretungsregelung
  • 2.3.2.2.2 „Wohl des Vertretenen“ gemäß § 1600a Abs. 4 BGB
  • 2.3.2.3 Anfechtungsrecht der Mutter
  • 2.3.2.4 Anfechtungsrecht des biologischen Vaters
  • 2.3.2.4.1 Voraussetzungen des Anfechtungsrechts des biologischen Vaters
  • 2.3.2.4.2 Keine sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind
  • 2.3.2.4.2.1 Tragen tatsächlicher Verantwortung
  • 2.3.2.4.2.2 Übernahme tatsächlicher Verantwortung
  • 2.3.2.4.2.2.1 Ehe zwischen Mutter und rechtlichem Vater
  • 2.3.2.4.2.2.2 Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft für längere Zeit
  • 2.3.2.4.3 Kritik am schlichten Abstellen auf das Vorhandensein einer sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind ohne Einzelfallbetrachtung
  • 2.3.2.4.4 Kritik am maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind
  • 2.3.2.4.5 Kritik an der Beschränkung des Anfechtungsrechts des potentiellen biologischen Vaters
  • 2.3.2.4.5.1 Schutz der sozialen Familie nicht von vorneherein vorrangig
  • 2.3.2.4.5.2 Wertungswiderspruch im geltenden deutschen Recht aufgrund von § 1686a BGB
  • 2.3.2.4.5.3 Wertungswiderspruch im geltenden deutschen Recht aufgrund von § 1747 Abs. 1 S. 2 BGB
  • 2.3.2.4.6 Möglichkeiten zur Verbesserung der Kritikpunkte
  • 2.3.2.4.6.1 Regelungen in anderen EMRK-Staaten hinsichtlich des Rechts des biologischen Vaters auf Anfechtung der bestehenden rechtlichen Vaterschaft
  • 2.3.2.4.6.1.1 Anfechtungsrecht jeder dritten Person mit berechtigtem Interesse
  • 2.3.2.4.6.1.2 Anfechtungsrecht des potentiellen biologischen Vaters – ohne weitere Voraussetzungen
  • 2.3.2.4.6.1.3 Anfechtungsrecht des potentiellen biologischen Vaters – unter bestimmten Voraussetzungen
  • 2.3.2.4.6.1.4 Kein Anfechtungsrecht des potentiellen biologischen Vaters
  • 2.3.2.4.6.2 Vorschläge für eine gerechtere Regelung des Rechts des biologischen Vaters auf Anfechtung der bestehenden rechtlichen Vaterschaft
  • 2.3.3 Anfechtungsfrist
  • 2.3.3.1 Sinn und Zweck der Anfechtungsfrist
  • 2.3.3.2 Beginn der Anfechtungsfrist
  • 2.3.3.2.1 Die gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände
  • 2.3.3.2.2 Die Überzeugung des Anfechtungsberechtigten von der Nichtvaterschaft
  • 2.3.3.2.3 Einfluss der Veränderung des Kenntnisstands auf die Anfechtungsfrist
  • 2.3.3.2.4 Beginn der Anfechtungsfrist des Kindes
  • 2.3.3.2.4.1 Anfechtungsfrist bei gesetzlicher Vertretung des Kindes
  • 2.3.3.2.4.2 Neubeginn gemäß § 1600b Abs. 6 BGB
  • 2.3.3.3 Wahrung der Frist
  • 2.3.3.3.1 Besondere Hemmung der Anfechtungsfrist
  • 2.3.3.3.1.1 Hemmung gemäß § 1600b Abs. 5 S. 1 BGB durch Einleitung eines Verfahrens gemäß § 1598a Abs. 2 BGB.
  • 2.3.3.3.1.2 Hemmung gemäß §§ 1600b Abs. 5 S. 3, 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB durch den Beginn eines vereinbarten Begutachtungsverfahrens
  • 2.3.3.3.1.3 Hemmung gemäß § 1600b Abs. 5 S. 2 BGB durch Hinderung des Anfechtungsberechtigten durch widerrechtliche Drohung
  • 2.3.3.3.1.4 Hemmung gemäß §§ 1600b Abs. 5 S. 3, 206 BGB bei höherer Gewalt
  • 2.3.3.3.1.5 Hemmung gemäß §§ 1600b Abs. 5 S. 3, 210 BGB bei Verlust der Geschäftsfähigkeit oder des gesetzlichen Vertreters
  • 2.3.3.3.1.6 Keine Hemmung der Anfechtungsfrist des biologischen Vaters gemäß § 1600b Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB
  • 2.3.3.3.2 Auswirkungen von Irrtümern
  • 2.3.3.3.3 Beweislast
  • 2.3.3.4 Kritik an der Anfechtungsfrist
  • 2.3.3.4.1 Faktische Aushöhlung der Anfechtungsfrist des Scheinvaters durch heimliche Einholung eines Vaterschaftstests
  • 2.3.3.4.2 Wiederaufleben der Anfechtungsfrist auch zugunsten des rechtlichen und des biologischen Vaters
  • 2.3.3.4.3 Faktische Aushöhlung der Anfechtungsfrist durch § 1598a BGB
  • 2.3.3.4.4 Streichung der absoluten Höchstfristen hätte zur Streichung der Anfechtungsfrist insgesamt führen müssen
  • 2.3.3.5 Möglichkeiten zur Verbesserung der Kritikpunkte
  • 2.3.3.5.1 Regelungen in anderen EMRK-Staaten zur Anfechtungsfrist
  • 2.3.3.5.1.1 Maßgeblichkeit der Geburt des Kindes oder eines anderen Zeitpunktes, der von der Kenntnis der gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände unabhängig ist
  • 2.3.3.5.1.2 Absolute Höchstfrist
  • 2.3.3.5.1.3 Maßgeblichkeit der Kenntnis der gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände
  • 2.3.3.5.1.4 Unbeachtlichkeit der Nichteinhaltung der Anfechtungsfrist aufgrund gerichtlicher Entscheidung oder Einvernehmlichkeit
  • 2.3.3.5.1.5 Keine Anfechtungsfrist
  • 2.3.3.5.2 Unbeachtlichkeit des Fristablaufs bei Einvernehmlichkeit
  • 2.3.3.5.3 Entbehrlichkeit der Anfechtungsfrist
  • 2.3.4 Substantiierter Vortrag des Anfechtenden
  • 2.3.4.1 Begründung der Rechtsprechung für die hohen Anforderungen an die Substantiierung des Vortrags des Anfechtenden
  • 2.3.4.2 Kritik an den hohen Anforderungen an die Substantiierung des Vortrags des Anfechtenden und an der Begründung
  • 2.3.4.3 Übersicht über die von der Rechtsprechung entschiedenen Fallkonstellationen
  • 2.3.4.3.1 In den folgenden Fällen hat die Rechtsprechung einen hinreichend substantiierten Vortrag bejaht:
  • 2.3.4.3.2 In den folgenden Fällen hat die Rechtsprechung einen hinreichend substantiierten Vortrag verneint
  • 2.3.4.4 Heimliche Vaterschaftstests
  • 2.3.4.4.1 Die Entscheidungen des BGH vom 12.01.2005
  • 2.3.4.4.1.1 Kritik an den Entscheidungen des BGH vom 12.01.2005
  • 2.3.4.4.1.2 Vorschläge zur Verbesserung der Kritikpunkte aus der Rechtslehre
  • 2.3.4.4.1.3 Der Vorschlag des Landes Baden-Württemberg
  • 2.3.4.4.1.4 Der Vorschlag des Freistaats Bayern
  • 2.3.4.4.2 Die Entscheidung des BVerfG vom 13.02.2007
  • 2.3.4.4.3 Das GendiagnostikG
  • 2.3.4.4.4 Heimliche Vaterschaftstest sollten zulässig und prozessual verwertbar sein
  • 2.3.4.4.4.1 Die von einem heimlich eingeholten Vaterschaftstest betroffenen Interessen
  • 2.3.4.4.4.1.1 Die Interessen des Kindes
  • 2.3.4.4.4.1.2 Die Interessen der Mutter
  • 2.3.4.4.4.1.3 Die Interessen des rechtlichen Vaters
  • 2.3.4.4.4.1.4 Die Interessen des biologischen Vaters
  • 2.3.4.4.4.2 Die Abwägung der Interessen fällt zugunsten der Zulässigkeit heimlicher Vaterschaftstests aus
  • 2.3.4.4.4.3 Weitere Gründe für die Zulässigkeit und prozessuale Verwertbarkeit heimlicher Vaterschaftstests
  • 2.3.4.4.4.4 Exkurs: Keine Strafbarkeit der Mutter durch das Unterschieben eines Kindes
  • 2.3.4.4.4.5 Fehlende Akzeptanz des Verbots heimlicher Vaterschaftstests in der deutschen Bevölkerung
  • 2.3.4.4.4.6 Möglichkeiten zur Umgehung des Verbots heimlicher Vaterschaftstests
  • 2.4 Klärung der leiblichen Abstammung gemäß § 1598a BGB
  • 2.4.1 Entstehungsgeschichte des isolierten, d.h. vom Anfechtungsverfahren unabhängigen Verfahrens auf Klärung der leiblichen Abstammung
  • 2.4.2 Voraussetzungen des Anspruchs auf Klärung der väterlichen Abstammung
  • 2.4.2.1 Keine zeitlichen und sonstigen Voraussetzungen
  • 2.4.2.2 Klärungsberechtigung
  • 2.4.3 Inhalt des Anspruchs auf Klärung der väterlichen Abstammung
  • 2.4.3.1 Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung
  • 2.4.3.2 Anspruch auf Duldung der Entnahme einer für die Abstammungsuntersuchung geeigneten genetischen Probe
  • 2.4.4 Gerichtliche Ersetzung der Einwilligung und Anordnung der Duldung der Probeentnahme
  • 2.4.4.1 Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens auf Ersetzung der Einwilligung und Anordnung der Duldung der Probeentnahme
  • 2.4.4.1.1 Alter des Kindes
  • 2.4.4.1.2 Kindeswohlprüfung
  • 2.4.4.2 Vollstreckung des Anspruchs aus § 1598a BGB
  • 2.4.5 (Keine) Rechtsfolgen der isolierten Klärung der leiblichen Abstammung
  • 2.4.5.1 Faktische Folge: Anfechtung der Vaterschaft oder Wiederaufnahme eines Anfechtungsverfahrens
  • 2.4.5.2 Mittelbare Rechtsfolgen der Klärung der väterlichen Abstammung
  • 2.4.5.2.1 Unterhaltsanspruch der (dann geschiedenen) Mutter des Kindes
  • 2.4.5.2.2 Versorgungsausgleich
  • 2.4.5.2.3 Rückerstattung von Geschenken
  • 2.4.5.2.4 Aufhebung der Ehe gemäß § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB
  • 2.4.6 Kritik am Anspruch aus § 1598a BGB
  • 2.4.6.1 § 1598a BGB trägt entgegen der Annahme des Gesetzgebers nicht dazu bei, den Familienfrieden zu bewahren
  • 2.4.6.2 § 1598a BGB höhlt die Anfechtungsfrist und das Erfordernis der Substantiierung des Vortrags des (zahlungskräftigen) rechtlichen Vaters faktisch aus
  • 2.4.6.3 § 1598a BGB bringt nicht in jedem Fall Gewissheit über die Abstammung des Kindes
  • 2.4.6.3.1 Fehlende Klärungsberechtigung und -verpflichtung des potentiellen biologischen Vaters ist nicht gerechtfertigt
  • 2.4.6.3.2 (Keine) Alternative: Vaterschaftsfeststellungsverfahren?
  • 2.4.6.3.3 (Keine) Alternative: Auskunftsansprüche gegen die Mutter?
  • 2.4.6.3.3.1 Auskunftsanspruch des Kindes
  • 2.4.6.3.3.2 Auskunftsanspruch des biologischen Vaters?
  • 2.4.7 Möglichkeiten zur Verbesserung der Kritikpunkte
  • 3 Rechtliche Auswirkungen der Abstammung eines Kuckuckskindes
  • 3.1 Auswirkungen der Abstammung eines Kuckuckskindes auf den Kindesunterhalt
  • 3.1.1 Ausgangspunkt: Unterhaltspflicht zwischen Verwandten
  • 3.1.2 Der Scheinvaterregress
  • 3.1.2.1 Kein Regressanspruch gegen das Kind
  • 3.1.2.2 Regressanspruch gegen die Mutter?
  • 3.1.2.3 Regressanspruch gegen den biologischen Vater
  • 3.1.2.3.1 Auskunft über die Person des biologischen Vaters
  • 3.1.2.3.2 Inzidente Feststellung der Vaterschaft im Regressprozess?
  • 3.2 Auswirkungen der Abstammung eines Kuckuckskindes auf das Erbrecht
  • 3.2.1 Erbrecht nach dem rechtlichen Vater
  • 3.2.2 Erbrecht nach dem biologischen Vater
  • 3.3 Auswirkungen der Abstammung eines Kuckuckskindes auf das Sorgerecht
  • 3.3.1 Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG: kein Sorgerecht des Vaters ohne Zustimmung der Mutter
  • 3.3.2 Die Entscheidung des EuGHMR im Fall „Zaunegger v. Germany“
  • 3.3.3 Die Entscheidung des BVerfG vom 21.07.2010
  • 3.3.4 Regelungen der elterlichen Sorge in anderen EMRK-Staaten
  • 3.3.5 Die Neuregelung des Sorgerechts in Deutschland
  • 3.3.5.1 Kritik an der Neuregelung des Sorgerechts
  • 3.3.5.2 Möglichkeiten zur Verbesserung der Kritikpunkte
  • 3.4 Auswirkungen der Abstammung eines Kuckuckskindes auf das Umgangsrecht
  • 3.4.1 Das Umgangsrecht des rechtlichen Vaters
  • 3.4.2 Das Umgangsrecht des biologischen Vaters
  • 3.4.2.1 Kein Umgangsrecht gemäß § 1684 BGB
  • 3.4.2.2 (Kein) Umgangsrecht gemäß § 1685 BGB
  • 3.4.2.3 Kritik am eingeschränkten Umgangsrecht des biologischen Vaters
  • 3.4.2.3.1 Gründe für die Verweigerung des Umgangs wurden nicht berücksichtigt und Umgang auch dann nicht gewährt, wenn es dem Kindeswohl förderlich gewesen wäre
  • 3.4.2.3.2 Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung des leiblichen Vaters gegenüber schlichtem Partner der Mutter
  • 3.4.2.3.3 Die Entscheidungen des EuGHMR in den Fällen „Görgülü v. Germany“, „Anayo v. Germany“ und „Schneider v. Germany“
  • 3.4.2.3.3.1 Der Fall des Herrn Görgülü
  • 3.4.2.3.3.2 Der Fall des Herrn Anayo
  • 3.4.2.3.3.3 Der Fall des Herrn Schneider
  • 3.4.2.4 Umgangs- und Auskunftsrecht des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters gemäß § 1686a BGB
  • 3.4.2.4.1 Regelungen zum Umgangsrecht in anderen EMRK-Staaten
  • 3.4.2.4.1.1 Umgangsrecht unter bestimmten Voraussetzungen
  • 3.4.2.4.1.2 Kein Umgangsrecht, aber Möglichkeit zur Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft
  • 3.4.2.4.1.3 Kein Umgangsrecht und keine Möglichkeit zur Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft
  • 3.4.2.4.2 Voraussetzungen des neuen Umgangs- und Auskunftsrechts gemäß § 1686a BGB
  • 3.4.2.4.2.1 Anderweitige rechtliche Vaterschaft besteht
  • 3.4.2.4.2.2 Demonstration eines ernsthaften Interesses am Kind
  • 3.4.2.4.2.3 Biologische Vaterschaft des Anspruchstellers
  • 3.4.2.4.2.4 Kindeswohl
  • 3.4.2.4.2.5 Eidesstattliche Versicherung
  • 3.4.2.4.3 Kritik am neuen Umgangs- und Auskunftsrecht gemäß § 1686a BGB
  • 3.4.2.4.3.1 Umgangsrecht sollte nur bei fehlendem Anfechtungsrecht bestehen
  • 3.4.2.4.3.2 Weitere einschränkende Voraussetzung(en) des Anspruchs aus § 1686a BGB?
  • 3.4.2.4.3.3 Fehlender Anspruch des Kindes auf Umgang mit seinem leiblichen Vater
  • 3.4.2.4.3.4 Inzidente Klärung der Vaterschaft
  • 3.4.2.4.3.5 Umgangsrecht sollte (finanzielle) Verpflichtungen nach sich ziehen
  • 3.4.2.4.4 Möglichkeiten zur Verbesserung der Kritikpunkte
  • 4 Die konsequente Lösung: ein Kuckuckskind darf zwei rechtliche Väter haben
  • 4.1 Zwei rechtliche Väter: Pros und Kontras
  • 4.1.1 Dagegen: zwei rechtliche Väter sind mit Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG unvereinbar
  • 4.1.2 Dafür: Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG schließt eine doppelte Vaterschaft nicht aus
  • 4.1.3 Dagegen: zwei Väter stören den Familienfrieden (Art. 6 Abs. 1 GG)
  • 4.1.4 Dafür: der Familienfrieden wurde bereits durch die Zeugung des Kuckuckskindes gestört, mit den Folgen müssen sich die Betroffenen vernünftigerweise abfinden
  • 4.1.5 Dagegen: doppelte Vaterschaft verursacht in den betroffenen Rechtsgebieten unlösbare Probleme
  • 4.1.6 Dafür: doppelte Vaterschaft bringt dem Kind überwiegend rechtliche Vorteile
  • 4.2 Auswirkungen der rechtlichen Zuordnung eines Kuckuckskindes zu zwei Vätern
  • 4.2.1 Umgangsrecht zweier Väter: bereits in § 1686a BGB vorgesehen
  • 4.2.2 Staatsangehörigkeit und Familienname: vorteilhaft für das Kind zu regeln
  • 4.2.3 Erbrecht: Verdopplung der Erbschaftsansprüche
  • 4.2.4 Unterhalt: Verdopplung der Unterhaltsschuldner
  • 4.2.5 Gemeinsames Sorgerecht der Mutter, des rechtlichen und des biologischen Vaters?
  • 4.2.5.1 Verteilung der elterlichen Sorge auf drei Personen ist grundsätzlich möglich
  • 4.2.5.2 Gemeinsames Sorgerecht vom Kindeswohl abhängig
  • 4.3 Bewertung
  • 5 Fazit
  • Literaturverzeichnis
  • Rechtsprechungsübersicht

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1 Einleitung

Wilhelm Busch schrieb zu Beginn seines Werks Julchen den viel zitierten Satz:

Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr.

Tatsächlich ist es in Deutschland für den biologischen Vater eines Kuckuckskindes gar nicht so einfach, rechtlicher Vater zu werden. Umgekehrt macht es das deutsche Recht dem rechtlichen Vater ungleich schwerer, die vermeintliche Vaterschaft zu einem untergeschobenen Kind zu beseitigen.

Dieses Ungleichgewicht ist – wie im Einzelnen darzulegen sein wird – nicht gerechtfertigt, was sich insbesondere anhand einer rechtsvergleichenden Betrachtung der Regelungen in den Vertragsstaaten der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK-Staaten) zeigt.

Obwohl die deutsche Rechtsprechung und Gesetzgebung rund um das Thema Kuckuckskinder, die in den letzten zehn Jahren mehrfach eine „Ermahnung“ durch den EuGHMR aufgrund einer zu strengen Linie provozierten, scheinbar zu einem Stillstand gekommen sind, wurden die Rechtsfragen, die sich in Kuckuckskind-Konstellationen stellen, nicht zufriedenstellend gelöst. Das Phänomen ist seit alters her bekannt, wird aber stets tabuisiert. Dies gilt es zu ändern.

1.1 Überblick

Das Wort Kuckuckskind fand im Jahr 2004 Einzug in den Duden und bezeichnet umgangssprachlich ein „Kind, dessen leiblicher Vater nicht der Mann ist, der sich dafür hält“.1 Zu diesem Zeitpunkt befand sich die bereits einige Jahre anhaltende öffentliche Diskussion über heimliche Vaterschaftstests auf ihrem Höhepunkt. Mit Hilfe solcher Tests konnten sich vor allem Männer, die Zweifel an ihrer Vaterschaft hatten, in aller Stille und insbesondere außerhalb eines gerichtlichen (Vaterschaftsanfechtungs-)Verfahrens Gewissheit darüber verschaffen, ob es sich bei dem Kind um ihr leibliches Kind oder ein untergeschobenes Kuckuckskind handelt.

Dabei ist die Bezeichnung Kuckuckskind eigentlich nicht korrekt. In der Vogelwelt schiebt das Kuckucksweibchen nicht einem Kuckucksmännchen ein Küken unter, das genetisch von einem anderen Kuckucksmännchen abstammt. Kuckucksweibchen und -männchen gehen ohnehin keine längere Paarbindung ein. Der Kuckuck legt vielmehr seine Eier in die Nester von Singvögeln, die das Kuckucksei ausbrüten, welches den eigenen täuschend ähnlich sieht, was als Brutparasitismus bezeichnet wird.2 Auf den Menschen übertragen ähnelt dieses Verhalten eher der Leihmutterschaft.← 1 | 2 → Nichtsdestotrotz wird das Kuckucksei ohne Wissen der Betroffenen untergeschoben und damit schaffte es der Begriff Kuckuckskind in die Schlagzeilen.3

Spektakuläre Fälle gehen immer wieder gerne durch die Presse, wie der zweier eineiiger Zwillingsbrüder, die – ohne es jeweils vom anderen zu wissen – am selben Tag mit derselben Frau verkehrten und aufgrund der 99,99-prozentigen genetischen Übereinstimmung nicht zu klären sein wird, wer tatsächlich der biologische Vater des aus der verhängnisvollen Nacht hervorgegangenen Kindes ist.4

Der folgende, sehr anschauliche Fall, der nahezu alle in Betracht kommenden rechtlichen und tatsächlichen Facetten einer Kuckuckskind-Konstellation beinhaltet, hat unter dem Titel „Anayo v. Germany“ Rechtsgeschichte geschrieben und soll nicht nur den Einstieg in die vorliegend zu betrachtenden Verhältnisse erleichtern, er wird zudem in der vorliegenden Arbeit wiederholt als Referenzfall herangezogen werden. Der Fall begann im Januar 2006 vor dem AG Baden-Baden5, fand im Dezember 2010 ein vorläufiges Ende vor dem EuGHMR6 und führte zur Schaffung des Umgangsrechts des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters in § 1686a BGB7. In jenem Fall wurden in die Ehe zweier (hellhäutiger) Deutscher die (dunkelhäutigen) biologischen Kinder (Zwillinge) eines Nigerianers (Herr Anayo) geboren. Herr Anayo begehrte Umgang mit seinen biologischen Kindern und ihm drohte bei Nichtbewilligung des Umgangs die Abschiebung nach Nigeria. Das AG Baden-Baden gewährte Herrn Anayo den begehrten Anspruch, das OLG Karlsruhe und das BVerfG waren allerdings anderer Ansicht. Er bekam schließlich erst vor dem EuGHMR Recht (siehe hierzu im Einzelnen unten Ziffer 3.4.2.3.3.2).

Die folgenden vier Konstellationen sind in so einem Kuckuckskind-Fall in tatsächlicher Hinsicht möglich; diese unterschiedlichen tatsächlichen Ausgangslagen werden in den nachfolgenden Kapiteln im Einzelnen betrachtet (zur Abstammung und zur Anfechtung der Vaterschaft siehe unten Ziffer 2 und zu den rechtlichen Auswirkungen der Abstammung eines Kuckuckskindes siehe unten Ziffer 3):

1. Der rechtliche Vater hat kein Interesse am untergeschobenen Kind und der biologische Vater möchte eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind herstellen.

2. Der rechtliche Vater hat kein Interesse am untergeschobenen Kind und auch der biologische Vater hat kein Interesse am Kind. ← 2 | 3 →

3. Der rechtliche Vater bleibt in dieser Position, weil er z.B. das Kind als „sein eigenes“ ansieht, und der biologische Vater hat kein Interesse am Kind.

4. Der rechtliche Vater bleibt in dieser Position und der biologische Vater möchte ebenfalls eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind herstellen.

Insbesondere die letztgenannte Konstellation bereitet im geltenden deutschen Recht Probleme. Ein Kuckuckskind hat zwei Väter, nämlich einen biologischen und einen sozialen Vater, und das sollte auch rechtlich – weitergehend als inzwischen in § 1686a BGB – verankert werden können. Aus dem Recht auf Kenntnis der Abstammung (siehe sogleich im Einzelnen unten Ziffer 1.3.2.1, 1.3.3.1 und 1.3.4.1) folgt die Pflicht des Gesetzgebers zur Förderung der biologischen Wahrheit in Kuckuckskind-Familien. Die vorzugswürdige Lösung liegt darin, dass ein Kuckuckskind zwei rechtliche Väter haben darf (siehe hierzu im Einzelnen unten Ziffer 4).

Abzugrenzen sind von der vorliegenden Betrachtung der rechtlichen Beziehungen in einer Kuckuckskind-Familie insbesondere Fälle der Samenspende8 und Fälle, in denen die Mutter das Kind, das biologisch von einem anderen Mann abstammt, durch kollusives Zusammenwirken mit ihrem Partner von diesem anerkennen oder adoptieren lässt oder unter Offenlegung der anderweitigen Abstammung ihren Partner vor der Geburt des Kindes heiratet, d.h. all jene Fälle, in denen der rechtliche Vater weiß, dass das ihm zugeordnete Kind nicht sein genetischer Abkömmling ist. Vorliegend geht es stets nur darum, dass ein Mann ohne Wissen und Wollen ein fremdes Kind als sein eigenes untergeschoben bekommt. Insofern ist die oben erwähnte Definition eines Kuckuckskindes im Duden recht präzise.

Die vorliegende Arbeit beleuchtet mithin die rechtlichen Beziehungen in einer Kuckuckskind-Familie. Diese besteht – anders als die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie – aus mindestens vier Personen: 1. der Mutter, 2. dem (Kuckucks-)Kind, 3. dem rechtlichen Vater und 4. dem biologischen Vater. Die rechtlichen Beziehungen der Beteiligten beruhen auf einer schicksalhaften Verbindung und sind zunächst auf die Dauer von 18 Jahren angelegt. Eine vorzeitige Aufhebung kommt nur unter außergewöhnlichen Umständen in Betracht.9

Das Abstammungsrecht steht hierbei im Zentrum der Betrachtung; es hat in den letzten zehn Jahren zahlreiche einschneidende Änderungen im Hinblick auf Kuckuckskind-Konstellationen erfahren, es hält aber weiterhin nicht für alle sich stellenden Rechtsfragen eine zufriedenstellende Lösung bereit (siehe im Einzelnen unten Ziffer 2). Die rechtlichen Auswirkungen der Abstammung eines Kuckuckskindes werden im Anschluss daran (Ziffer 3) anhand der im täglichen Leben ← 3 | 4 → wichtigsten Bereiche, nämlich insbesondere dem Unterhaltsrecht (Ziffer 3.1), dem Erbrecht (Ziffer 3.2), dem Sorgerecht (Ziffer 3.3) und dem Umgangsrecht (Ziffer 3.4) betrachtet und bewertet.

Hierbei werden die entsprechenden Regelungen in den 47 EMRK-Staaten10 neben Deutschland beispielhaft vergleichend herangezogen. Angeknüpft wird dabei an die von Gernhuber/Coester-Waltjen als solche bezeichnete Tradition der Rechtsvergleichung im Familienrecht, „eignet sich dieses Rechtsgebiet doch wegen seiner kulturellen, religiösen, gesellschaftlichen Verflechtungen in besonderer Weise dazu, die große Bandbreite möglicher Lösungen für soziale Gegebenheiten und Konflikte aufzuzeigen, ganz unterschiedliche Rechtsinstitute in ihrer funktionalen Bedeutung zu verstehen.“11 Auf die folgenden Staaten und Gesetze wird nachfolgend Bezug genommen:

Albanien (albanisches Gesetz Nr. 9062 Familiengesetzbuch vom 08.05.200312 (alban. FamGB)), Andorra (andorranisches Zivilregistergesetz vom 11.07.199613 (andorr. ZRegG)), Armenien (armenisches Familiengesetzbuch vom 09.11.200414 (armen. FamGB)), Aserbaidschan (aserbaidschanisches Familiengesetzbuch vom 01.06.200015 (aserb. FGB)), Belgien (belgisches Bürgerliches Gesetzbuch vom 21.02.180416 (belg. BGB)), Bosnien-Herzegowina (Familiengesetz der Föderation von Bosnien und Herzegowina vom 06.06.200517 (bosn. FamG)), Bulgarien (bulgarisches Familiengesetzbuch vom 04.05.200518 (bulg. FamGB)), Dänemark (dänisches Kindergesetz vom 07.06.200119 (dän. KindG), dän. Gesetz über die elterliche ← 4 | 5 → Verantwortung vom 06.06.200720 (dän. EltVerantwG)), Estland (estnisches Familiengesetz vom 18.11.200921 (estn. FamG)), Finnland (finnisches Vaterschaftsgesetz vom 04.12.2009/101622 (finn. VaterG), finn. Gesetz über das Sorge- und Umgangsrecht vom 10.02.2011/11123 (finn. SURG)), Frankreich (französisches Zivilgesetzbuch24 (franz. ZGB)), Georgien (georgisches Zivilgesetzbuch vom 26.06.199725 (georg. ZGB)), Griechenland (griechisches Zivilgesetzbuch26 (griech. ZGB)), Irland (irisches Gesetz über den Status der Kinder 198727 (irisch. KindStatusG), irisch. Gesetz über Vormundschaft über Kinder 196428 (irisch. VormKindG)), Island (isländisches Kindergesetz Nr. 76 vom 27.03.200329 (isl. KindG)), Italien (italienisches Zivilgesetzbuch30 (ital. ZGB)), Kroatien (kroatisches Familiengesetz vom 06.06.201431 (kroat. FamG)), Lettland (lettisches Zivilgesetzbuch vom 25.05.199332 (lett. ZGB)), Liechtenstein (liechtensteinisches Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch vom 01.06.181133 (liechtenst. ABGB)), Litauen (litauisches Zivilgesetzbuch vom 18.07.200034 (litau. ZGB)), ← 5 | 6 → Luxemburg (luxemburgisches Zivilgesetzbuch35 (lux. ZGB)), Malta (maltesisches Zivilgesetzbuch36 (malt. ZGB)), Mazedonien (mazedonisches Familiengesetz vom 19.12.200837 (mazed. FamG)), Moldau (moldauisches Familiengesetzbuch vom 26.10.200038 (mold. FamGB)), Monaco (monegassisches Zivilgesetzbuch39 (mon. ZGB)), Montenegro (montenegrinisches Familiengesetz vom 29.12.200640 (montenegr. FamG)), Niederlande (niederländisches Zivilgesetzbuch41 (niederl. ZGB)), Norwegen (norwegisches Gesetz Nr. 7 vom 08.04.1981 über Kinder und Eltern42 (norw. KindG)), Österreich (österreichisches Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch43 (österr. ABGB)), Polen (polnisches Familien- und Vormundschaftsgesetzbuch44 (poln. FVGB)), Portugal (portugiesisches Zivilgesetzbuch vom 25.11.196645 (port. ZGB)), Rumänien (rumänisches Zivilgesetzbuch / Gesetz Nr. 287 vom 17.07.2009, in Kraft seit 01.10.201146 (rumän. ZGB)), Russland (russisches Familiengesetzbuch ← 6 | 7 → vom 29.12.199547 (russ. FGB)), San Marino (sanmarinesisches Gesetz Nr. 49 vom 26.04.1986 – Familienrechtsreform48 (sanmar. FamRG)), Schweden (schwedisches Elterngesetz (1949:381)49 (schwed. ElternG)), Schweiz (schweizerisches Zivilgesetzbuch50 (schweiz. ZGB)), Serbien (serbisches Familiengesetz vom 24.02.200551 (serb. FamG)), Slowakei (slowakisches Familiengesetz vom 19.01.200552 (slowak. FamG)), Slowenien (slowenisches Gesetz über Ehe- und Familienbeziehungen vom 26.05.197653 (slowen. EFG)), Spanien (spanisches Zivilgesetzbuch54 (span. ZGB)), Tschechische Republik (tschechisches Familiengesetz55 (tschech. FamG) bzw. ab 01.01.2014: tschechisches Zivilgesetzbuch56 (tschech. ZGB)), Türkei (türkisches Zivilgesetzbuch57 (türk. ZGB)), Ukraine (ukrainisches Familiengesetzbuch vom 10.01.200258 (ukr. Fam-GB)), Ungarn (ungarisches Gesetz Nr. IV/1986 über die ← 7 | 8 → Änderung des Gesetzes Nr. IV/1952 über die Ehe, die Familie und die Vormundschaft59 (ungar. FamG) und seit 15.03.2014: ungarisches Zivilgesetzbuch60 (ungar. ZGB), Vereinigtes Königreich (England: englisches Familienrechtsgesetz 198661 (engl. FRG), England und Wales: Kindergesetz (England und Wales) 198962 (engl. KindG), Gesetz über die Registrierung von Geburten und Sterbefällen 1953 (England und Wales)63 (engl. GebSterbRegG), Schottland: Eltern- und Kinderrechtsreformgesetz (Schottland) 1986 (schott. EKRG), Kindergesetz (Schottland) 1986 (schott. KindG)), Zypern (zypriotisches Gesetz Nr. 187/91 über Kinder (Verwandtschaft und rechtlicher Status)64 (zyp. KinderG), zypriotisches Gesetz Nr. 216/90 über die Beziehungen von Eltern und Kindern65 (zyp. ElternG)).

1.2 Zum statistischen und soziologischen Hintergrund

Wie viele Kinder (unerkannt) tatsächlich nicht von dem Mann abstammen, der als der rechtliche Vater gilt, wird naturgemäß ein Geheimnis bleiben. Einer britischen Studie zufolge sind es zwischen 3,7% und 26,9%.66 Diese Studie wertete 33 Studien aus der ganzen Welt aus den Jahren 1957 bis 2002 mit über 360.000 getesteten Personen aus. Dabei bezogen sich 16 Studien auf einen konkreten Vaterschaftstest aufgrund angezweifelter Vaterschaft. Hierbei ergab sich ein Mittelwert von 26,9% Kuckuckskindern. Zu berücksichtigen ist bei dieser Zahl allerdings, dass in diesen Fällen bereits Zweifel an der Vaterschaft bestanden; dieser Wert stellt folglich kein allgemeingültiges Ergebnis dar. 17 weitere Studien basieren allerdings auf Tests, die aus anderen Gründen als einer zweifelhaften Vaterschaft durchgeführt wurden, und ergaben als Nebeneffekt einen Mittelwert von 3,7% Kuckuckskindern. Einer neueren Studie zufolge, die Daten von potentiellen Knochenmarkspendern ← 8 | 9 → und -empfängern auswertete, stammen lediglich 0,94% der Kinder nicht von ihrem rechtlichen Vater ab.67

Selbst unter der Annahme des letztgenannten Wertes bedeutet das, dass immerhin in einer von 106 Familien ein Kuckuckskind lebt. Legt man die Geburten in Deutschland im Jahr 2013 zugrunde, sind das von 682.069 Lebendgeborenen68 6.411 Kuckuckskinder, was bedeutet, dass im Jahr 2013 täglich 17 Kinder einem Mann untergeschoben wurden, der nicht der biologische Vater ist.69

Trotz dieser Zahlen dürften sich die zu diskutierenden Rechtsfragen nicht massenhaft stellen. Aus der Adoptionsforschung ist bekannt, dass ca. 75% der Männer, die ihr Kind zur Adoption frei gegeben haben, nicht über die weitere Entwicklung des Kindes informiert werden wollen.70 Das Interesse an ungewollten leiblichen Kindern ist bei Männern demgemäß generell nicht besonders ausgeprägt, was erst recht auch bei Männern, die ein Kuckuckskind gezeugt haben, gelten dürfte. Dies soll keineswegs die Bedeutung der vorliegenden Arbeit untergraben. Diese Zahl wird im Folgenden zeigen, dass denjenigen wenigen Männern, die sich wirklich für das Kind interessieren, die Möglichkeit zur Geltendmachung ihrer biologischen Vaterschaft und deren rechtliche Anerkennung gegeben werden sollte, gerade weil es sich keineswegs um ein Massenphänomen handeln wird, wodurch zahlreiche (scheinbar heile) Familien zerstört werden – im Gegenteil.

Es wird in der vorliegenden Arbeit eine Reihe von Fällen aus der Rechtsprechung vorgestellt, in denen der rechtliche Status nicht mehr geändert werden kann, obwohl die biologische Abstammung von einem anderen Mann feststeht und ggf. auch die sozial-familiäre Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind nicht mehr besteht. In einem solchen Fall darf es nicht sein, dass zwar die biologische Abstammung und die soziale Wirklichkeit übereinstimmen, aber dennoch keine Rechtswirkungen entfalten können. Es sind nicht nur Fälle denkbar, in denen die rechtliche Abstammung gegen den Willen einzelner Betroffener unumstößlich ist, sondern auch solche, in denen sich eigentlich alle Beteiligten einig sind, und es dennoch nicht möglich ist, die gelebte Realität mit rechtlichen Wirkungen zu untermauern. Das Adoptionsrecht kann hier nicht ernsthaft der einzige Ausweg sein. ← 9 | 10 →

1.3 Familie Cuculidae71 stellt sich vor

Bevor die rechtlichen Beziehungen der Mitglieder der Kuckuckskind-Familie im Einzelnen betrachtet und bewertet werden, werden im Folgenden die betreffenden Personen und die jeweils betroffenen Interessen vorgestellt:

1.3.1 Die Mutter

In einer Kuckuckskind-Familie ist die Mutter diejenige, welche die biologische, aber vor allem die rechtliche Vaterschaft des Kindes maßgeblich bestimmt. Sie hat im Gegensatz zum rein rechtlichen Vater immerhin körperlich an der Entstehung des Kindes mitgewirkt.72 Die Mutter ist letztlich dafür verantwortlich, wenn biologische und rechtliche Vaterschaft auseinanderfallen. Ohne einen Fehler der Mutter ist die „Entstehung“ eines Kuckuckskindes nicht möglich, wobei es nicht zwingend erforderlich ist, dass die Mutter untreu gewesen ist. Wenn mehrere Männer als Väter in Betracht kommen und die Mutter mit keinem dieser Männer eine feste Beziehung führt, wird sie sich für einen Mann als Vater entscheiden (müssen). Es kommt dann für die „Entstehung“ eines Kuckuckskindes auf ihre Ehrlichkeit gegenüber dem (von ihr als solchem gewählten) Vater an, ob sie ihm offenbart, dass er nicht der einzige mögliche biologische Vater ist.

Wird die rechtliche Vaterschaft des Kindes in Frage gestellt, ist in erster Linie das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter (Art. 2 i.V.m. Art. 1 GG) insofern betroffen, als ihr Ansehen und ihr Ruf durch die Infragestellung ihrer Treue und/oder Ehrlichkeit erheblich gemindert werden, insbesondere dann, wenn eine dahingehende gerichtliche Feststellung erfolgt.73 Betroffen werden zudem ihre Rechte auf Schutz der Familie und ggf. Ehe (Art. 6 GG).74 Allgemeine finanzielle Interessen sind zwar nicht grundgesetzlich geschützt, sie dürften aber die Auseinandersetzung mit den sich stellenden rechtlichen Problemen ganz erheblich beeinflussen. Zu denken ist etwa an den Verlust eines Unterhaltsschuldners für das Kind und ggf. den Verlust eines nachehelichen Unterhalts- oder Versorgungsausgleichsanspruchs (siehe hierzu im Einzelnen unten Ziffer 2.4.5.2). ← 10 | 11 →

1.3.2 Das (Kuckucks-)Kind

Naturgemäß kann sich ein Kind seine Eltern nicht aussuchen. Das BVerfG hat zwar festgehalten, dass der Verfassungsgeber davon ausgehe, „dass diejenigen, die einem Kinde das Leben geben, von Natur aus bereit und berufen sind, die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu übernehmen.“75 Bei einem Kuckuckskind stellt sich allerdings die Frage, wer dem Kind das Leben gibt – die Mutter und der biologische Vater oder die Mutter und der rechtliche/soziale Vater?

Das Kuckuckskind hat eigentlich zwei Väter. Das geltende deutsche Recht grenzt beide aber – von wenigen Ausnahmen76 abgesehen – scharf voneinander ab, wobei das Kind einerseits einer negativen und andererseits einer positiven rechtlichen Sperrwirkung ausgesetzt ist:

Der rechtliche Vater des Kuckuckskindes erhält diese Position entweder kraft Ehe mit der Mutter oder kraft Anerkennung. Wird die rechtliche Vaterschaft angefochten, kann das Kind bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Vaterschaftsanfechtungsverfahren die Rechtswirkungen der Vaterschaft gegenüber dem Scheinvater geltend machen und der rechtliche Vater kann nicht einwenden, er sei in Wahrheit nicht der biologische Vater (sog. negative Sperrwirkung77). Umgekehrt gilt dies auch für die Rechte des Vaters gegenüber dem Kind (insbesondere beim Sorge- und Umgangsrecht). Die Sperre ist nicht dispositiv und gilt auch dann, wenn zwischen allen Beteiligten feststeht, dass das Kind nicht vom rechtlichen Vater abstammt.78

Gegenüber dem biologischen Vater kann das Kind die Rechtswirkungen der Vaterschaft bis zum Wirksamwerden der Anerkennung (§ 1594 Abs. 1 BGB) oder der Rechtskraft des die Vaterschaft feststellenden Urteils (§ 1600d Abs. 4 BGB) grundsätzlich nicht geltend machen (sog. positive Rechtsausübungssperre79). Das gilt für alle Ansprüche des Kindes gegen den biologischen Vater, insbesondere für Unterhaltsansprüche80, den Anspruch auf Prozesskostenvorschuss für die Vaterschaftsfeststellungklage81 und gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrechte.82 Die Sperrwirkung gilt ebenso umgekehrt für Rechte des biologischen Vaters gegenüber dem Kind. Ausnahmen von dieser Sperrwirkung sind gesetzlich geregelt: gegen denjenigen, der als Vater gemäß § 1600d Abs. 2 BGB vermutet wird (vgl. § 247 FamFG i.V.m. ← 11 | 12 → § 1615l BGB83) bzw. ab Anhängigkeit eines Antrags auf gerichtliche Feststellung der Vaterschaft (§ 248 FamFG84), können einstweilige Verfügungen und einstweilige Anordnungen auf Leistung von Unterhalt für Mutter und Kind erlassen werden.85

In diesem Spannungsfeld zwischen den beiden Vätern dürfen die folgenden Interessen des Kindes nicht untergehen:

1.3.2.1 Recht auf Kenntnis des eigenen biologischen Vaters

Es kann kaum einen Zweifel über die Bedeutung der Kenntnis der eigenen genetischen Herkunft geben. Das BVerfG sieht in der Abstammung einen der „kon­stitutiven Faktoren“ der menschlichen Individualität: „Verständnis und Entfaltung der Individualität sind (…) mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden. Zu diesen zählt neben anderen die Abstammung.“86 Die Persönlichkeit wird durch die genetische Abstammung mitgeprägt und nimmt „im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für Individualitätsfindung und Selbstverständnis ein“87; etwa zur Hälfte werden die individuellen Wesensunterschiede durch Unterschiede in den Genen verursacht, zur anderen Hälfte durch individuelle Erfahrungen.88 Daneben besteht ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis der Krankheitsgeschichte der Vorfahren (Ursachen von Krankheiten, Informationen über Krankheitsverläufe, mögliche Heilungschancen)89, der genetischen Prädispositionen oder von möglichen Organspendern und sie dient im Übrigen der Vermeidung von ← 12 | 13 → Inzestfällen.

Das BVerfG hat klargestellt, dass es ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gibt, welches Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist: „Als Individualitätsmerkmal gehört die Abstammung zur Persönlichkeit, und die Kenntnis der Herkunft bietet dem Einzelnen unabhängig vom Ausmaß wissenschaftlicher Ergebnisse wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es Fälle gibt, in denen die Abstammung unaufklärbar bleibt und die Persönlichkeitsentfaltung ohne diese Kenntnis erfolgen muss. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verleiht kein Recht auf Verschaffung von Kenntnissen der eigenen Abstammung, sondern kann nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen schützen.“90

Zutreffend führte Mansees hierzu folgendes aus: „Da es für den Menschen wesentlich ist, über seine individuelle Geschichte und damit über die Herkunft seiner Grundbeschaffenheit reflektieren zu können, wird ihm bei Vorenthalten der genetischen Abstammung ein wesentlicher Gegenstand seiner Reflektion entzogen. (…) [N]icht die Zusammensetzung seiner genetischen Struktur ist das Entscheidende des Auskunftsbegehrens, sondern seine Geschichtlichkeit, sein Entstandensein aus den Keimzellen bestimmter anderer Personen – seine Herkunft eben.“91

Die Adoptionsforschung rät generell dazu, „mit den biologischen Wurzeln eines Kindes offen umzugehen, nicht zuletzt, weil die Gefahr bestehe, dass sich Familiengeheimnisse belastend auf die Familienbeziehungen auswirken.“92 Im Mittelpunkt steht dabei die Annahme, „dass fehlendes Wissen der Kinder um ihre Abstammung zum Risikofaktor für deren Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung werden kann, da eine Auseinandersetzung mit der biologischen Herkunft unmöglich gemacht wird.“93 Da adoptierte Kinder allerdings mit dem Gefühl aufwachsen, „nicht erwünscht“ gewesen zu sein, scheint ein Kuckuckskind besser vergleichbar zu sein mit einer Person, die als „Wunschkind“ aus einer heterologen Insemination hervorgegangen ist, d.h. wo der rechtliche und soziale Vater nicht der biologische Vater ist. ← 13 | 14 → Psychologen gehen inzwischen überwiegend davon aus, dass das Familiengeheimnis, das bei der Verheimlichung der wahren Abstammung des Kindes entsteht, mehr Probleme schaffe als es nützte.94 Eine späte Aufklärung der Kinder könne deren Vertrauen in die Eltern erschüttern. Zudem bestehe die „Gefahr einer Spaltung der Familie in ‚Wisser‘ (…) und ‚Nichtwisser‘ (…).“95 Eine Befragung von Jugendlichen und Erwachsenen, die aus einer Samenspende stammen, legt nahe, dass bei diesen der Prozess der Identitätsentwicklung durch zahlreiche Faktoren erschwert ist. Durchgängig wird über Misstrauen in der Familie berichtet und nicht selten darüber, dass einige aufgrund ihrer abweichenden (äußeren oder inneren) Merkmale schon länger ein Gefühl der Fremdheit in der Familie erlebt hätten. „Eine späte Aufklärung war mit mehr negativen Gefühlen gegenüber den Eltern, vor allem der Mutter, verbunden (…). Demgegenüber berichteten diejenigen, die schon in ihrer Kindheit informiert worden waren, häufiger, dass es keinen Unterschied gemacht habe.“96

Das Recht auf Kenntnis der eigenen biologischen Abstammung steht allerdings stets im Spannungsfeld zwischen genetischer Gewissheit und sozialer Geborgenheit. Einige Stimmen in der Lehre sehen hierbei einen deutlichen Vorrang der sozialen Zuordnung gegenüber der biologischen Wahrheit, „weil die sozialen, tatsächlich gelebten Beziehungen in einem Familiengefüge durch emotionale Nähe und soziale Intimität für die Entwicklung eines Menschen wichtiger seien als die durch Zeugung und Geburt vermittelte Bindung.“97 Es entspreche am ehesten dem Kindeswohl in einer intakten Familie aufzuwachsen.98 Zudem habe die Persönlichkeit nichts mit biologisch-genetischen Vorgegebenheiten zu tun, sondern sei das Produkt eines Bildungsprozesses.99

Wie wichtig die genetische Abstammung bei der Ausprägung der eigenen Identität ist, zeigen demgegenüber die neuesten biopsychologischen Forschungen: Zwillingsstudien haben ergeben, dass die Stimme und Sprechmuster eine genetische Grundlage besitzen. Studien an Personen, die von Geburt an blind sind, haben gezeigt, dass die Mimik ebenfalls starke genetische Grundlagen hat.100 ← 14 | 15 →

Es gibt allerdings auch Stimmen aus der biologischen Anthropologie, die ein Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung als wertlos einstufen. Der Vererbungsmechanismus habe gewichtige unbekannte und unerkennbare Größen (Auswahl und Dominanz der Gene sowie Kombinationswirkungen), so dass „persönliches Kennen von direkten leiblichen Vorfahren keine belangvolle und verwertbare Erkenntnis über die eigenen Wesenseigenschaften zu liefern vermag.“101 Der Bindungsprozess der Kinder an die betreuenden Erwachsenen, d.h. ein rein seelisch-geistiges Geschehen, sei für die gedeihliche Entwicklung eines Kindes viel wichtiger als die Naturanlagen, die ohne Erkenntniswert für die Ich-Findung seien.102

Muscheler/Bloch kritisieren an dieser Reduzierung der Abstammung auf die biogenetisch-technische Ebene zu Recht, dass dabei die seelisch-geistige Ebene ignoriert werde. Wissenschaftliche Untersuchungen belegten, dass sich Menschen durch ein starkes Streben nach Identifikation über ihre (genetischen) Vorfahren auszeichnen. „Das Wissen um die Herkunft kann für den Einzelnen von wesentlicher Bedeutung und Schlüssel zur Selbsterkenntnis sein.“103 Haas/Waldenmeier weisen zudem zutreffend darauf hin, dass durch die Unkenntnis der wahren Herkunft die Gefahr der Ausbildung einer „falschen“ Identität bestehe mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung.104

Details

Seiten
LII, 297
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653059090
ISBN (ePUB)
9783653952049
ISBN (MOBI)
9783653952032
ISBN (Hardcover)
9783631666067
DOI
10.3726/978-3-653-05909-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
Abstammung Vaterschaftsanfechtung Vaterschaftsfeststellung Vaterschaftstest
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. LII, 297 S.

Biographische Angaben

Kerstin Aust (Autor:in)

Kerstin Aust studierte Jura an der Universität Konstanz, wo sie das Erste Juristische Staatsexamen ablegte und ihr Promotionsverfahren abschloss. Das Referendariat absolvierte sie am Landgericht Mainz mit Stationen u. a. in Stuttgart, Hamburg und Sydney. Sie arbeitet als Rechtsanwältin in München.

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Titel: Das Kuckuckskind und seine drei Eltern
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