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Die Bedeutung des Urlaubszwecks für den Anspruch auf Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz und die Behandlung von Urlaubsstörungen

von Krystyna Okoye-Montis (Autor:in)
©2016 Dissertation 239 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch zeigt die vielfältigen Folgen von Urlaubsbeeinträchtigungen auf und systematisiert sie. Jeder Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Störungen des in der Erholung des Arbeitnehmers liegenden Urlaubszwecks können zu einer Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs führen. Die Autorin untersucht insbesondere die folgenden Fragen: Wie wirken sich Urlaubsstörungen auf den Urlaubsanspruch aus? Welche unionsrechtlichen Vorgaben existieren? Was kennzeichnet das Merkmal der Erholung und wie hat sich dieses Merkmal entwickelt? Wie ist das Verhältnis von Urlaubsstörungen zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht und der Störung der Geschäftsgrundlage? Kann die bereits vorhandene Systematik dazu verhelfen, einheitliche Lösungen zu finden?

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Erster Teil: Einleitung
  • A. Problemstellung
  • B. Übersicht und erste Ordnung relevanter Fälle
  • C. Übersicht über Lösungsprinzipien
  • I. Beurteilung nach dem Rangprinzip
  • II. Beurteilung nach der Folge für die Vergütungspflicht
  • III. Beurteilung nach der Folge für die Arbeitspflicht
  • IV. Beurteilung nach dem Sinn und Zweck
  • V. Beurteilung nach der schuldrechtlichen Einordnung
  • VI. Stellungnahme zu den Lösungsprinzipien
  • Zweiter Teil: Struktur des Urlaubsanspruchs und deren Bedeutung für Störungen
  • A. Rechtsnatur des Urlaubsanspruchs
  • I. Urlaub als öffentlich-rechtlicher Anspruch
  • II. Urlaub als privatrechtlicher Anspruch
  • III. Urlaub als soziales Recht
  • IV. Ansatzpunkte und der Begriff des „sozialen Rechts“
  • V. Ergebnis
  • B. Ausgestaltung und Einordnung des Urlaubsanspruchs
  • I. Ausgestaltung des Urlaubsanspruchs
  • 1. Fürsorgetheorie
  • 2. Theorie vom Entgeltanspruch
  • 3. Theorie vom Einheitsanspruch
  • a) Rechtsprechung des BAG
  • b) Auffassung der Literatur
  • (1) Modifizierte Einheitstheorie
  • (2) Theorie der strengen Einheit
  • 4. Theorie vom Freistellungsanspruch
  • a) Freistellungstheorie in der Rechtsprechung
  • b) Freistellungstheorie in der Literatur
  • 5. Festlegungstheorie
  • 6. Stellungnahme und Vorzug der Freistellungstheorie
  • II. Einordnung des Urlaubsanspruchs
  • 1. Urlaub als Wahlschuld
  • 2. Urlaub als Ersetzungsbefugnis
  • 3. Urlaub als Schuldverhältnis sui generis
  • a) Anwendbarkeit der §§ 320 ff. BGB
  • b) Urlaub und Nichtleistung
  • 4. Fazit
  • C. Verwirklichung des Urlaubsanspruchs
  • I. Entstehen des Urlaubsanspruchs
  • 1. Arbeitsverhältnis als Voraussetzung aller Urlaubsansprüche
  • 2. Voraussetzungen des Anspruchs auf vollen Urlaub
  • 3. Voraussetzungen der Teilurlaubsansprüche
  • a) Fall des § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG
  • b) Fall des § 5 Abs. 1 Buchst. b BUrlG
  • 4. Zusammenfassung
  • II. Inhalt des Urlaubsanspruch
  • 1. Leistungshandlung
  • a) Mitwirkung des Arbeitnehmers
  • (1) Bestimmungsrecht des Arbeitnehmers
  • (2) Bestimmungsrecht des Arbeitgebers
  • (3) Stellungnahme
  • b) Möglichkeit der Vereinbarung
  • c) Wirkung der Leistungshandlung
  • (1) Freistellungserklärung als Willenserklärung
  • (2) Bedeutung der Gestaltungswirkung
  • (3) Konkretisierungswirkung
  • (a) Anwendungsbereich der Konkretisierungsregeln
  • (b) Rechtsfolgen der Konkretisierungsregeln
  • (c) Zwischenergebnis zur Konkretisierungswirkung
  • (4) Ergebnis
  • 2. Der Leistungserfolg
  • a) Ablauf des festgelegten Urlaubszeitraums
  • b) Mitwirkung des Arbeitnehmers
  • (1) Erforderlichkeit der Mitwirkung
  • (2) Keine Erforderlichkeit der Mitwirkung
  • (3) Stellungnahme
  • c) Eintritt des Urlaubszwecks
  • (1) Reproduktion der Arbeitskraft als Urlaubszweck
  • (2) Doppelzweck des Urlaubszwecks
  • (a) Nationale Ebene
  • (b) Europäische Ebene
  • (3) Selbstbestimmung als Urlaubszweck
  • (4) Stellungnahme zum Urlaubszweck und der Bedeutung der Erholung
  • (a) Subjektiver Leistungserfolg
  • (b) Objektivierter Leistungserfolg
  • (c) Ergebnis
  • III. Zusammenfassung
  • D. Bedeutung des Ablaufs der Urlaubsperiode
  • Dritter Teil: Störungen des nicht konkretisierten Urlaubsanspruchs
  • A. Arten von Leistungshindernissen
  • I. Vorübergehende Leistungshandlungshindernisse
  • Beispiel – Arbeitsunfähigkeit
  • Beispiel – Arbeitskampf
  • II. Dauernde Leistungshandlungshindernisse
  • Beispiel – Sabbatical
  • Beispiel – Pflegezeit
  • Beispiel – Sonn- und Feiertage
  • 1. Vermeidung dauernder Leistungshandlungshindernisse
  • Beispiel – Mutterschutz
  • Beispiel – Elternzeit
  • Beispiel – Sabbatical
  • 2. Ergebnis
  • B. Beschaffungsrisiko bei Leistungshandlungshindernissen
  • I. System der Störungsrisiken
  • 1. Entwicklung von Störungsrisiken
  • a) Störungsrisiko des Urlaubszwecks der Reproduktion
  • b) Störungsrisiko des Urlaubszwecks als Doppelzweck
  • c) Störungsrisiko des Urlaubszwecks der Selbstbestimmung
  • d) Störungsrisiken in der Unionsrechtsprechung
  • e) Störungsrisiken in der neueren BAG-Rechtsprechung
  • 2. Zwischenergebnis zur Entwicklung von Störungsrisiken
  • II. Verantwortung und Risikoverteilung
  • Beispiel – Streik
  • C. Fortbestand des Urlaubsanspruchs bei Leistungshandlungshindernissen
  • I. Beschäftigungsverbote nach dem MuSchG
  • 1. Folgen des Mutterschutzes
  • a) Arbeitspflicht
  • b) Vergütungspflicht
  • 2. Mutterschutz und Urlaub
  • Beispiel – Mutterschutz
  • 3. Ergebnis
  • II. Elternzeit nach dem BEEG
  • 1. Folgen der Elternzeit
  • 2. Elternzeit und Urlaub
  • Beispiel – Elternzeit
  • 3. Ergebnis
  • III. Arbeitsunfähigkeit
  • 1. Folgen der Arbeitsunfähigkeit
  • a) Arbeitspflicht
  • (1) Anwendung des § 275 Abs. 1, 2. Alt. BGB
  • (2) Differenzierende Ansicht
  • (3) Stellungnahme
  • b) Vergütungspflicht
  • 2. Arbeitsunfähigkeit und Urlaub
  • Beispiel – Arbeitsunfähigkeit im gesamten Kalenderjahr
  • Beispiel – Arbeitsunfähigkeit am Ende des Kalenderjahres
  • 3. Ergebnis
  • IV. Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation
  • 1. Folgen der Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation
  • 2. Medizinische Vorsorge und Rehabilitation und Urlaub
  • 3. Ergebnis
  • V. Zusammenfassung
  • Vierter Teil: Störungen des konkretisierten Urlaubsanspruchs
  • A. Qualifizierung als Leistungserfolgshindernis
  • I. Ausschluss der tatsächlichen Entscheidungsmacht
  • Beispiel – Flugausfall
  • Beispiel – Vulkanausbruch
  • II. Problematische Fälle
  • 1. Arbeitskampf
  • a) Streik
  • (1) Keine Beteiligung am Streik
  • (2) Beteiligung am Streik
  • b) Aussperrung und Betriebsstilllegung
  • c) Ergebnis
  • 2. Erwerbstätigkeit i. S. d. § 8 BUrlG
  • a) Reichweite der Vorschrift
  • b) Rechtsfolgen der Vorschrift
  • (1) Rückzahlung der Vergütung
  • (2) Reine Sollvorschrift
  • (3) Vorschrift ohne Rechtsfolge
  • (4) Stellungnahme
  • Beispiel – Erwerbstätigkeit
  • B. Auswirkungen von Leistungserfolgshindernissen
  • I. Grundsatz – Risikoverteilung zu Lasten des Arbeitnehmers
  • Beispiel – Stellensuche
  • Beispiel – Pflegezeit
  • II. Ausnahme – Risikoverteilung zu Lasten des Arbeitgebers
  • 1. Entkonkretisierung
  • 2. Urlaubsnachgewähr
  • C. Ausgewählte Ausnahmefälle
  • I. Arbeitsunfähigkeit
  • 1. Maßgeblichkeit des Urlaubszwecks
  • 2. Unbeachtlichkeit des Urlaubszwecks
  • 3. Stellungnahme
  • Beispiel – Arbeitsunfähigkeit
  • Beispiel – Arbeitsunfähigkeit über die Urlaubsperiode hinaus
  • 4. Ergebnis
  • II. Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation
  • III. Beschäftigungsverbote nach dem MuSchG
  • 1. Risikoverteilung zu Lasten des Arbeitnehmers
  • 2. Risikoverteilung zu Lasten des Arbeitgebers
  • 3. Stellungnahme
  • Beispiel – Mutterschutz
  • 4. Ergebnis
  • IV. Elternzeit nach dem BEEG
  • V. § 3 Abs. 1 THW-Helferrechtsgesetz
  • D. Zusammenfassung
  • Fünfter Teil: Folgeansprüche
  • A. Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
  • B. Ansprüche auf Schadensersatz
  • I. Ersatzurlaub aufgrund Freizeittätigkeit
  • Beispiel – Freizeittätigkeit
  • II. Ersatzurlaub aus Schuldnerverzug
  • 1. Voraussetzungen des Schuldnerverzugs
  • a) Erfolglose Geltendmachung
  • b) Nichtleistung
  • (1) Berücksichtigung eines Erholungsbedürfnisses
  • (2) Keine Berücksichtigung des Erholungsbedürfnisses
  • (3) Abkehr des BAG von der Berücksichtigung des Erholungsbedürfnisses
  • (4) Stellungnahme
  • (5) Zusammenfassung
  • c) Untergang des Urlaubsanspruchs
  • 2. Rechtsfolge des Schuldnerverzugs
  • a) Risikoverteilung gem. § 287 Satz 2 BGB
  • Beispiel – Erholungsbedürfnis
  • b) Verhältnis zur EuGH-Rechtsprechung
  • c) Schadensersatz
  • III. Ergebnis
  • C. Anwendung des § 313 BGB
  • I. Voraussetzungen des § 313 BGB
  • 1. Reales Element
  • Beispiel – Kurzarbeit
  • 2. Hypothetisches Element
  • 3. Normatives Element
  • Beispiel – Kurzarbeit (Fortsetzung)
  • II. Folgen des § 313 Abs. 1 BGB
  • III. Ergebnis
  • Sechster Teil: Ergebnisse
  • A. Kein allgemeiner Grundsatz der urlaubsgünstigen Lösung
  • B. Thesen
  • Literaturverzeichnis

← 14 | 15 →Erster Teil: Einleitung

A. Problemstellung

Wenn in der Rechtssprache vom Urlaub die Rede ist, so wird darunter die „einem Arbeitnehmer (…) für bestimmte Zeit gewährte Befreiung von der Arbeitspflicht verstanden1. Im allgemeinen Sprachgebrauch dagegen wird der Urlaub als „in Betrieben, Behörden, beim Militär nach Arbeitstagen gezählte dienst-, arbeitsfreie Zeit, die jemand (zum Zwecke der Erholung) erhält“2 angesehen. Schon durch die Existenz dieser unterschiedlichen Definitionen des Urlaubsbegriffs offenbart sich die Problematik. Darin, dass während des Urlaubszeitraums nicht gearbeitet werden muss, besteht Einigkeit. Zweifel betreffen den Begriff der Erholung und damit das Verständnis vom Urlaubszweck.

Den Zeitraum des Erholungsurlaubs verbringt der Arbeitnehmer grundsätzlich so wie er sich das vorstellt. Die Gestaltung der Urlaubszeit liegt normalerweise in der Macht des Arbeitnehmers. Verläuft alles wie von ihm geplant, kann der Arbeitnehmer im Urlaubszeitraum seinen bevorzugten Aktivitäten nachgehen. Die Ausgestaltung der Freizeit ist individuell bestimmbar. Der Arbeitnehmer kann sich zu Hause erholen, verreisen, sich sportlich betätigen, oder auch nur entspannen.

Von besonderem Interesse ist aber – wie so häufig – die Rechtslage, wenn eine Abweichung vom Normalfall vorliegt. Probleme zwischen den Arbeitsvertragsparteien können sich insbesondere dann ergeben, wenn Sachverhalte auftreten, die den Urlaub zu beeinträchtigen drohen. Für das Entstehen einer Konfliktsituation genügt es, dass solche Sachverhalte nur nach der subjektiven Auffassung einer Arbeitsvertragspartei geeignet sind, den Urlaubsanspruch zu beeinträchtigen. Der Arbeitgeber kann es als Störung empfinden, dass der Arbeitnehmer während der Urlaubszeit Tätigkeiten verrichtet, die nicht unbedingt dem Bereich der Erholung zuzuordnen sind. Die Urlaubsvorstellungen und -pläne des Arbeitnehmers können aus mannigfaltigen Gründen beeinträchtigt oder gar vollständig durchkreuzt werden. Wird der Arbeitnehmer z. B. krank, erleidet er einen Unfall, oder kann aufgrund sonstiger Ereignisse seinen Urlaub nicht so verbringen, wie er es geplant hatte, stellt sich die Frage, ob und wie sich eine solche als Störung des Urlaubs empfundene Sachlage auswirkt.

Nach dem dieser Arbeit zugrunde gelegten Verständnis, liegt nur dann eine als Urlaubsstörung zu qualifizierende Sachlage vor, wenn gerade aufgrund der Urlaubsbeeinträchtigung Rechtsfolgen für das zwischen den Arbeitsvertragsparteien bestehende Verhältnis begründet werden, die nicht den im „Normalfall“, mithin bei der ordnungsgemäßen Erfüllung des Urlaubsanspruchs eintretenden Rechtsfolgen, entsprechen. Dem Eintritt solcher vom Normalfall abweichender Rechtsfolgen geht die Frage voraus, welche Arbeitsvertragspartei die Folgen und Lasten einer ← 15 | 16 →Urlaubsbeeinträchtigung zu tragen hat. Hat der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch auf ein erholsames Verbringen des Urlaubszeitraums? Steht es dem Arbeitnehmer in bestimmten Fällen zu von seinem Arbeitgeber erneut Urlaub zu erhalten? Oder sind Urlaubsbeeinträchtigungen stets dem alleinigen (Lebens-)Risiko einer Arbeitsvertragspartei zuzurechnen?

Bei Schwierigkeiten mit der Durchführung eines Vertrages wird nach den vom Gesetz für solche Fälle vorgesehenen Lösungsmöglichkeiten gesucht3. Das Gesetz als abstrakt-generelles Konstrukt hält jedoch nicht für jeden erdenklichen Fall einer potenziellen Urlaubsbeeinträchtigung eine konkrete Antwort vor. Daher ist, um die mit der Behandlung von Urlaubsstörungen verbundenen Fragen beantworten zu können, eine Auseinandersetzung mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für den Urlaubsanspruch erforderlich.

Die für die Lösung von urlaubsbeeinträchtigenden Konstellationen relevanten Rahmenbedingungen hängen von verschiedenen Faktoren ab. Die grundsätzliche Einordnung des Urlaubsanspruchs in das Rechtsystem, die Zuordnung des Anspruchs zu zivilrechtlichen Strukturen, die Beurteilung des Urlaubsrechts im Hinblick auf das schuldrechtliche System von Leistung und Gegenleistung, die Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs und die Rechtsfolgen bei dessen Erfüllung, die Beantwortung der Frage, welchen Zweck der Urlaub hat und ob überhaupt und wenn ja, welche rechtliche Rolle dem Begriff der „Erholung“ zukommt, bedingen allesamt die Behandlung potenzieller Urlaubsstörungen4. Zudem müssen außer dem nationalen Zivil-, Arbeits- und Urlaubsrecht auch internationales Recht und europäisches Recht beachtet werden. Obwohl die Bedeutung des Unionsrechts für das Arbeitsrecht häufig auf den ersten Blick dadurch verschleiert wird, dass eine Umsetzung der entsprechenden Richtlinie in nationales Recht erfolgt5, gibt dieses Recht im Bereich des Urlaubsrechts nichts desto trotz oftmals die Richtung vor.

Darüber hinaus erfordert die Untersuchung eine vertiefte Auseinandersetzung mit potenziellen Urlaubsstörungen, also sowohl tatsächlichen Sachverhalten (wie z. B. der Krankheit) als auch mit rechtlichen Tatbeständen (wie z. B. der Arbeitsunfähigkeit), die geeignet sein könnten, den Urlaub des Arbeitnehmers zu beeinträchtigen. Besonders interessant in diesem Zusammenhang sind Regelungen, die auf ein Fehlen arbeitsvertraglicher Leistungspflichten gerichtet sind. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Ausgestaltung und in dem Zweck dieser Regelungen sowie deren Wechselwirkungen untereinander, sind entscheidend für die Frage, ob es sich um urlaubsstörende Tatbestände handelt und wie die Situationen, die einerseits den Urlaubsanspruch, andererseits aber auch – würde dieser hinweggedacht werden – die Arbeitspflicht betreffen würden und somit in Konkurrenz zum Urlaubsanspruch treten könnten, behandelt werden müssen.

← 16 | 17 →B. Übersicht und erste Ordnung relevanter Fälle

Bevor die verschiedenen bereits bestehenden Lösungsansätze präsentiert werden, ist eine Übersicht über einige mögliche und hier relevante Problemsituationen zu geben.

Zum einen existieren Sachverhalte, die bestimmte Auswirkungen auf die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers haben. Die Auswirkungen können von unterschiedlicher Intensität sein. So ist sowohl die Suspendierung von Arbeitspflichten, als auch das vollständige Beschäftigungsverbot denkbar.

Als Sachverhalte mit Befreiungswirkung können alle Situationen angesehen werden, bei deren Auftreten Regelungen greifen, die auf den Schutz des Arbeitnehmers abzielen. Dies sind beispielsweise Sachverhalte, die dem Mutterschutzgesetz (MuSchG)6 oder dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)7 unterfallen oder mit einer Arbeitsunfähigkeit zusammenhängen8. Solche Situationen werden oftmals als urlaubsstörend empfunden und ziehen entsprechende Folgen für den Urlaubsanspruch nach sich.

Zum anderen können auch Situationen auftreten, für deren zutreffende Behandlung soziale Erwägungen keine Rolle spielen. In solchen Situationen können z. B. solche Fälle eine Rolle spielen, in denen der Arbeitnehmer aufgrund einer vertraglichen Abrede nicht arbeitet.

Schließlich gibt es Fälle in denen es nicht um eine Befreiung von der Arbeitspflicht geht, sondern nur das „Interesse“ an der Urlaubsgestaltung betroffen ist. Dies sind Fälle in denen der Arbeitnehmer beispielsweise einer weiteren Tätigkeit nachgeht oder der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Urlaubszeitraum zur Arbeitsleistung heranzieht.

Das Problem besteht zunächst darin, dass sich noch keine einheitlichen und geeigneten Kriterien für die Identifikation, Analyse und Beurteilung von potenziell urlaubsstörenden Situationen herausgebildet haben. Es ist daher erforderlich, sich mit den vielen möglichen Lösungen zu befassen, die zu einer zufriedenstellenden Lösung bei dem Auftreten solcher Situationen führen könnten.

C. Übersicht über Lösungsprinzipien

Das Ziel muss sein, ein logisches und nachvollziehbares System zur Lösung von Problemfällen aufzuzeigen. Eine Systematisierung ist auf Basis vielfältiger Gesichtspunkte möglich. Daher werden die unterschiedlichen, bisher vertretenen Lösungswege dargestellt werden um ggf. aus diesen schon bestehenden Lösungswegen geeignete Beurteilungskriterien herauszufiltern und zu bewerten. Um eine umfassende Analyse unter Einbeziehung aller geschilderten Sachverhalte zu erhalten, ist ein Lösungsprinzip zu ermitteln, das die Berücksichtigung von allen genannten Problemlagen ermöglicht.

← 17 | 18 →I. Beurteilung nach dem Rangprinzip

Für die urlaubsrechtliche Beurteilung von gesetzlichen und vertraglichen Befreiungstatbeständen spielt die zeitliche Abfolge bei dem Auftreten des jeweiligen Sachverhalts eine wesentliche Rolle. Bei der Frage, ob das „Urlaubsinteresse“ in der Weise betroffen ist, dass der eintretende Sachverhalt als Urlaubsstörung zu qualifizieren ist, spielt es eine Rolle, welche Bedeutung dem Urlaubszweck zukommt und ob dieser trotz Auftretens des konkurrierenden Sachverhalts erreicht werden kann. Dabei ist danach zu differenzieren, ob der betroffene Sachverhalt ein nach dem Prioritätsprinzip vorrangig zu berücksichtigender Befreiungstatbestand ist oder ob es sich um eine potenzielle Zweckstörung handelt. Liegt ein Befreiungstatbestand vor, handelt es sich möglicherweise um ein Konkurrenzproblem und um die Frage, ob die urlaubsrechtliche Befreiung durch die anderweitige Befreiung verdrängt wird. Liegt dagegen eine Zweckstörung vor, ist zu entscheiden, ob der Urlaubszweck verwirklicht werden kann. Ist dies nicht der Fall und ergeben sich hieraus Folgeansprüche9, handelt es sich um einen Fall der Urlaubsstörung.

Zunächst kommt eine Beurteilung in Betracht, die sich an dem für arbeitsrechtliche Konfliktlösungen geltenden Rangprinzip orientiert, welchem wiederum der Grundsatz der Normenhierarchie und der Grundsatz des Günstigkeitsprinzips zu Grunde liegen10. Bei einem Nebeneinander sich widersprechender Regelungen, die verschiedenen Normenebenen zuzuordnen sind11, kann auf Grundlage des Rangprinzips entschieden werden, welcher Regelung der Vorrang zukommen soll. Dieser Grundsatz wird durch das Günstigkeitsprinzip ergänzt12. So scheint es nach dem BAG bei einer Kollision einer einzelvertraglichen Urlaubsregelung mit einer Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit, darauf anzukommen, welche Regelung nach dem Rangprinzip den Vorzug genießt13.

Fraglich ist jedoch, ob die Anwendung des Rangprinzips auch bei der Behandlung von potenziellen Urlaubsstörungen zufriedenstellend ist. Bei der Anwendung des ← 18 | 19 →Rangprinzips soll das Prioritätsprinzip unbeachtet bleiben14. Bei der Auseinandersetzung mit der Behandlung von Urlaubsstörungen kommt es aber besonders darauf an, ob konkrete Vorkommnisse den Urlaub beeinträchtigen können. Hierbei spielt die zeitliche Abfolge des Geschehens eine wesentliche Rolle. Das Rangprinzip ist darauf ausgelegt, auf arbeitsrechtliche Rechtsquellen bezogene Konkurrenzsituationen zu lösen15. Es mag also dann zu befriedigenden Ergebnissen führen, wenn lediglich die Anwendbarkeit abstrakter Regeln in Frage steht. Aus dogmatischen Gründen kann das Rangprinzip jedoch dann nicht zu zufrieden stellenden Lösungen führen, wenn individuelle Geschehnisse zu beurteilen sind, durch die eine Rechtsfolge herbeigeführt worden sein könnte. Eine „Tiefenwirkung“ durch Rückwirkung einer hierarchisch höher stehenden Regelung muss dann versagt werden16. Denn dem Grundsatz der Priorität als einem logischen Prinzip kann ohne eine entsprechende Grundlage nicht gänzlich seine Bedeutung abgesprochen werden. Ansonsten fiele der Grundsatz der Rechtssicherheit dem Grundsatz der Normenhierarchie zum Opfer.

II. Beurteilung nach der Folge für die Vergütungspflicht

Denkbar ist eine Lösung der Rangfrage bei Tatbeständen mit Auswirkungen auf die Arbeitspflicht, indem in Konkurrenzsituationen nach der Rechtsfolge für die Vergütungspflicht unterschieden wird17. Ein solches Beurteilungskriterium wird vor allem aus Gründen der Praktikabilität erwogen. Für die Arbeitsvertragsparteien ist es von besonderem Interesse, ob das Zusammentreffen mehrerer, sich möglicherweise auf den Bestand der Arbeitspflicht auswirkender Gründe, den Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet18.

Zum Vergleich wird die Rechtslage bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall herangezogen. So werde dort in Fällen in denen die Arbeitsunfähigkeit mit anderen zum Arbeitsausfall führenden Gründen zusammenfällt, zum Teil ausdrücklich danach unterschieden, ob eine Pflicht zur Fortzahlung der Vergütung besteht oder nicht. Wenn eine Doppelkausalität vorliegt, also neben der Arbeitsunfähigkeit noch ← 19 | 20 →ein anderer Grund für den Arbeitsausfall gegeben ist, welcher jedoch im Gegensatz zur Arbeitsunfähigkeit, nicht zur Entgeltfortzahlung berechtigt, soll ebenso wenig die Anwendung des § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) zur Entgeltfortzahlung führen können19. Handelt es sich bei dem anderen Grund des Arbeitsausfalls dagegen um einem Tatbestand, der Entgeltfortzahlungsansprüche nach sich zieht, so soll der Entgeltzahlungsanspruch, der allein durch die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit entfiele, aufrecht erhalten werden20. Die Krankheit soll dem Arbeitnehmer nicht dort zu einem Lohnanspruch verhelfen, wo er ohnehin keinen gehabt hätte21. Allen aufrechterhaltenden Ansprüchen sei nach anerkannten, gesicherten arbeitsrechtlichen Erkenntnissen gemeinsam, dass eine Kombination zweier realer Leistungshindernisse22, von denen nur eines einen Entgeltfortzahlungstatbestand erfüllt, dazu führe, dass der Arbeitnehmer seinen Lohnanspruch verliert23. Es gelte ein allgemeiner Grundsatz, dass bestimmte Normen die dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Lohnfortzahlung geben, nur dann eingreifen können, wenn auch ohne die Beeinträchtigung überhaupt ein Lohnanspruch bestanden hätte24.

Diese Grundsätze sollen auf alle Entgeltfortzahlungsansprüche des sozialen Arbeitsrechts anwendbar sein, zu welchen auch der Anspruch aus dem BUrlG gehöre25. Im Falle des Erholungsurlaubs müsse der urlaubsrechtliche Tatbestand den alleinigen Grund für den Arbeitsausfall darstellen26. Stets komme es auf die Monokausalität des anvisierten Leistungshindernisses an27. Das Bestehen eines Vergütungsanspruchs trotz fehlender Arbeitspflicht richte sich danach, ob das Lohnausfallprinzip gilt. Beruht die Anspruchsnorm auf dem Lohnausfallprinzip, entfalle bei tatsächlichem Vorliegen eines weiteren Verhinderungsgrundes in der Regel ein Vergütungsanspruch. Dagegen bleibe der Vergütungsanspruch bestehen, wenn das Lohnausfallprinzip nicht gilt28.

← 20 | 21 →Die Beurteilung von Konkurrenzsituationen nach diesen Grundsätzen führt zu der Schlussfolgerung, dass der Urlaubsanspruch dem Arbeitnehmer dann nicht zum Vergütungsanspruch verhelfen könnte, wenn aufgrund eines anderen Verhinderungsgrundes überhaupt keine Vergütung geschuldet ist. Eine Anspruchskonkurrenz mit Tatbeständen, die keine Lohnfortzahlung zur Folge haben könnte nie zum Bestehen eines Vergütungsanspruchs führen29.

Diese Sichtweise beruht auf der Prämisse, dass der Urlaub eine „Arbeitsverhinderung“30 darstellt und damit auch der urlaubsrechtliche Vergütungsanspruch einen Entgeltfortzahlungsanspruch begründet, welcher auf dem Lohnausfallprinzip beruht, weil er seine Grundlage in einer nicht erfüllten Arbeitspflicht hat. Ob der Urlaub aber mit anderen Tatbeständen vergleichbar ist, die „dem Arbeitnehmer dann zu einer Vergütung verhelfen, wenn dieser aus einem von keiner Seite zu vertretendem Grund an der Arbeit gehindert ist“31 und damit wie diese anderen Tatbestände der Entgeltfortzahlung zu behandeln ist, oder ob er von vornherein als zum Arbeitsverhältnis gehörig anzusehen ist und damit als Tatbestand besonderer Art eingeordnet werden sollte, ist eine bei der Behandlung der Ausgestaltung des Urlaubsanspruchs noch zu klärende Frage32.

Darüber hinaus vermag die Beurteilung von Konkurrenzen danach, ob eine Entgeltfortzahlungspflicht existiert, nicht diejenigen Fälle gerecht aufzulösen, in denen nach beiden konkurrierenden Tatbeständen ein Vergütungsanspruch besteht. Weiterhin betrifft das Kriterium der Lohnfortzahlung nur die Frage der Vergütung als Rechtsfolge von Tatbeständen, lässt jedoch die tatbestandliche Seite völlig außer Betracht. Das alleinige Abstellen darauf, ob eine Vergütung erwartet werden kann, ist stark am Ergebnis orientiert und wird der tatbestandlichen Ausgestaltung zahlreicher im Arbeitsverhältnis möglicher Situationen nicht gerecht. Insofern warnt die Gegenauffassung davor, Konkurrenzsituationen nur nach dem Lohnausfallprinzip lösen zu wollen, und verweist darauf, anhand der üblichen Auslegungsgrundsätze für jede einzelne Anspruchsgrundlage gesondert zu prüfen, ob der konkrete Verhinderungsgrund die alleinige Ursache für die Nichtarbeit bildet33. Die Rechtsfolge ← 21 | 22 →von Tatbeständen scheint daher kein geeignetes Kriterium für die Beurteilung von Konkurrenzsituationen abzugeben.

III. Beurteilung nach der Folge für die Arbeitspflicht

Um der Tatbestandsseite und damit der Arbeitspflicht mehr Aufmerksamkeit zu widmen, könnte weiter eine Beurteilung der Behandlung von potenziell urlaubsstörenden Sachverhalten anhand der Auswirkungen auf diese Arbeitspflicht erfolgen. Grundlage einer solchen Beurteilung wäre die unterschiedliche Intensität der Auswirkung, die von einer Arbeitsunterbrechung bis zum vollständigen Wegfall von Arbeitspflichten reichen kann. Diese Intensität könnte weiterhin sowohl nach rechtlichen als auch nach faktischen Gesichtspunkten beurteilt werden34. An einer solchen Differenzierung ist jedoch zu bemängeln, dass nur möglicherweise eine unterschiedliche Auswirkung auf die Arbeitspflicht vorliegen kann. Zudem vermag allein der Hinweis auf die Verschiedenheit der möglichen Auswirkungen, eine dogmatische Argumentation nicht zu ersetzen35. Überdies ist auch diese Differenzierung zu stark auf die Auswirkungen von Sachverhalten fokussiert und ermöglicht es nicht, auch die Tatbestandsseite der potenziellen Urlaubsstörungen zu berücksichtigen. Letztlich finden reine Zweckstörungen bei der Anwendung eines solchen Lösungsprinzips gar keine Berücksichtigung. Es muss daher eine Beurteilung anhand anderer Kriterien vorgezogen werden.

IV. Beurteilung nach dem Sinn und Zweck

Weiter kann eine Beurteilung und Lösung von Konkurrenzsituationen nach dem dem jeweiligen Tatbestand zugrunde gelegten Telos erwogen werden. Es besteht die Möglichkeit, anhand von Sinn und Zweck des Urlaubsanspruchs und des mit diesem konkurrierenden Tatbestands zu entscheiden, ob es sich um eine wirkliche Konkurrenz zweier Befreiungstatbestände handelt oder ob eine Kombination beider Tatbestände möglich ist36.

Details

Seiten
239
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653061574
ISBN (ePUB)
9783653954074
ISBN (MOBI)
9783653954067
ISBN (Paperback)
9783631670071
DOI
10.3726/978-3-653-06157-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Januar)
Schlagworte
Urlaubsanspruch Urlaubsbeeinträchtigungen Arbeitnehmer Urlaubszweck
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 239 S.

Biographische Angaben

Krystyna Okoye-Montis (Autor:in)

Krystyna Okoye-Montis studierte Rechtswissenschaften an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover und war dort Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Zivilrecht, Arbeitsrecht und Zivilprozessrecht. Zudem arbeitete sie als Rechtsanwältin und auf dem Gebiet internationaler Compliance. Heute ist sie als Richterin tätig.

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