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Energetisches Regionalisieren

Transformationspraktiken der Energiewende am Beispiel der Biogaserzeugung

von Fabian Faller (Autor:in)
©2016 Dissertation 336 Seiten

Zusammenfassung

Die Energiewende ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Die räumlichen Aspekte dieser sozio-technischen Transformation sind Gegenstand der vorliegenden Studie, die sich auf die Bioenergieerzeugung im deutsch-luxemburgischen Grenzraum konzentriert. Inspiriert von der Praktikenforschung rücken routinierte und improvisierte soziale Handlungen der Betreiber von Biogasanlagen in den Mittelpunkt. Die Untersuchungsergebnisse decken die Routinen der Biogaserzeuger auf und zeigen, wie durch energetisches Regionalisieren die räumlichen Kontexte der Energiewende hervorgebracht und verändert werden. Damit rückt der Autor erstmals Praktiken der Energieerzeugung in den Forschungsfokus und legt zugleich einen innovativen Ansatz für deren Erforschung vor.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Zusammenfassung
  • Summarisation
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Beitrag und Anknüpfungspunkte
  • 1.2 Zentrale Fragestellungen
  • 1.3 Aufbau
  • 2 Untersuchungsgegenstand und Stand der Forschung
  • 2.1 Energiegeographie und Biogaserzeugung
  • 2.2 Abgrenzung und Vorstellung der Fallstudie
  • 3 Theoretisch-konzeptioneller Rahmen
  • 3.1 Praktikenforschung in der Wirtschaftsgeographie
  • 3.1.1 Drei Denkschulen der Praktikenforschung
  • 3.1.2 Geographische Rezeption der Praktikentheorie durch Werlen
  • 3.1.3 Kernaspekte wirtschaftsgeographischer Praktikenforschung
  • 3.1.3.1 Stabilisierte, routinisierte und improvisierte soziale Handlungen
  • 3.1.3.2 Akteur und Gemeinschaft
  • 3.1.4 Herausforderungen wirtschaftsgeographischer Praktikenforschung – Zwischenfazit und Forschungsausblick
  • 3.2 Transitionsforschung in der Wirtschaftsgeographie
  • 3.2.1 Überblick über die Transitionsforschung
  • 3.2.1.1 Technologische Innovationssysteme
  • 3.2.1.2 Multi-Level Perspective
  • 3.2.2 Kernaspekte wirtschaftsgeographischer Transitionsforschung
  • 3.2.2.1 Raum und Ort
  • 3.2.2.2 Maßstäbe und Ebenen
  • 3.2.2.3 Akteure und agency
  • 3.2.3 Herausforderungen wirtschaftsgeographischer Transitionsforschung – Zwischenfazit und Forschungsausblick
  • 3.3 Praktikenorientierte, wirtschaftsgeographische Transitionsforschung
  • 3.3.1 Ein Praxisbegriff für die Transitionsforschung: energetisches Regionalisieren
  • 3.3.2 Abgrenzung einzelner Praktiken des energetischen Regionalisierens
  • 3.3.2.1 Konfiguration
  • 3.3.2.2 Betrieb
  • 3.3.2.3 (Re)Produktion und Transformation
  • 3.3.3. Zentrale Relationen des energetischen Regionalisierens
  • 3.3.3.1 Ebenen des energetischen Regionalisierens
  • 3.3.3.2 Transitionsgeschichte – die Bedeutung der Zeit
  • 3.3.3.3 Transitionsräume
  • 3.3.3.4 Eine praktikenorientierte Perspektive auf Transformationsprozesse
  • 3.3.4 Operationalisierung des Konzepts
  • 3.3.4.1 Empirischer Individualismus als operativer Ausgangspunkt
  • 3.3.4.2 Praxis und Raum des energetischen Regionalisierens
  • 3.3.4.3 Praxis und Zeit des energetischen Regionalisierens
  • 3.3.4.4 Raum und Zeit des energetischen Regionalisierens
  • 4 Methodologie und Stichprobendesign
  • 4.1 Methodologische Grundlagen
  • 4.2 Analysematerial und empirisches Vorgehen
  • 4.2.1 Interview als Erhebungstechnik
  • 4.2.2 Untersuchungsdesign und Durchführung der empirischen Arbeit
  • 4.2.2.1 Untersuchungsdesign
  • 4.2.2.2 Durchführung der empirischen Arbeit
  • 4.2.3 Aufbereitung des Interviewmaterials
  • 4.2.3.1 Transkription und Codierung
  • 4.2.3.2 Interview Mapping
  • 4.3 Analytisches Vorgehen
  • 4.3.1 Qualitative Inhaltsanalyse
  • 4.3.2 Argumentationsanalyse
  • 4.3.3 Reflexive Inhaltsanalyse
  • 4.4 Kritische Reflexion der Methodik
  • 5 Biogaserzeugung im räumlichen Kontext
  • 5.1 Gesellschaftliche Kontexte
  • 5.1.1 Politisch-administrativer Rahmen
  • 5.1.1.1 Politisch-administrative Megatrends
  • 5.1.1.2 Politisch-administrative Regime
  • 5.1.1.3 Politisch-administrative alternative Praktiken
  • 5.1.2 Werte und Normen
  • 5.1.2.1 Lokale und regionale Werte und Normen
  • 5.1.2.2 Globale Werte und Normen
  • 5.1.3 Gesellschaftliche Kontexte in der Gesamtschau
  • 5.2 Routinen und Wissensbestände
  • 5.2.1 Routinen
  • 5.2.1.1 Ressourceneinsatz
  • 5.2.1.2 Ressourcenbeschaffung
  • 5.2.1.3 Instandhaltung
  • 5.2.1.4 Alltagsabläufe
  • 5.2.2 Wissensbestände
  • 5.2.2.1 Wissensquellen, -aneignung und -verbreitung
  • 5.2.2.2 Änderung im Umgang wegen ändernder Wissensbestände
  • 5.2.3 Routinen und Wissensbestände in der Gesamtschau
  • 5.3 Netzwerke
  • 5.3.1 Entscheidende Partner bei Konfiguration und Betrieb
  • 5.3.1.1 Andere Betreiber
  • 5.3.1.2 Unterstützende Unternehmen und Berater
  • 5.3.1.3 Ressourcenlieferanten
  • 5.3.1.4 Vereine der Betreiber
  • 5.3.1.5 Politik und Verwaltung
  • 5.3.2 Organisation des Netzwerks
  • 5.3.2.1 Verantwortlichkeiten und Kompetenzen
  • 5.3.2.2 Handlungsfähigkeiten
  • 5.3.2.3 Handlungsmotive und Strategien
  • 5.3.3 Interaktionsvarianten
  • 5.3.4 Netzwerke in der Gesamtschau
  • 5.4 Praktiken der Biogaserzeugung und Raum
  • 5.4.1 Der Biogas-Containerraum
  • 5.4.2 Der relationale Raum der Biogaserzeuger
  • 6 Evolution des Biogassektors
  • 6.1 Individuelle Wissensbestände
  • 6.1.1 Branchenkenntnis
  • 6.1.2 Gezielte Anlagenbesichtigungen
  • 6.1.3 Messebesuche und Fachliteratur
  • 6.1.4 Technologische Begeisterung
  • 6.1.5 Individuelle Wissensbestände in der Gesamtschau
  • 6.2 Physisch-materielle Komponenten
  • 6.3 Gesellschaftlicher Kontext
  • 6.3.1 Milchquote
  • 6.3.2 Marktpreise Agrarprodukte
  • 6.3.3 Kreislaufwirtschaft
  • 6.3.4 Energieerzeugung
  • 6.3.5 Hoffolge
  • 6.3.6 Nachbarschaft
  • 6.3.7 Der gesellschaftliche Kontext in der Gesamtschau
  • 6.4 Praxisfeld
  • 6.4.1 Wertschöpfung
  • 6.4.2 Güllenutzung und -veredelung
  • 6.4.3 Diversifizierung
  • 6.4.4 Einkommen
  • 6.4.5 Energie zur Selbstversorgung
  • 6.4.6 Wärmenutzung
  • 6.4.7 Zwischenfazit - Praxisfeld
  • 6.4.8 Einspeisevergütung und Subventionen
  • 6.4.9 Politik und staatliche Verwaltung
  • 6.4.10 Genehmigungsverfahren
  • 6.4.11 Externe Beratung
  • 6.4.12 Finanzierung und Banken
  • 6.4.13 Verbände und Vereine
  • 6.4.14 Das Praxisfeld in der Gesamtschau
  • 6.5 Zusammenfassung: Evolution der Praxisphänomene
  • 7 Transitionsräume der Biogaserzeugung
  • 7.1 Transitionsebenen der Biogaserzeugung
  • 7.1.1 Sozio-technische Ebenen der Biogaserzeugung
  • 7.1.2 Sozio-räumliche Ebenen der Biogaserzeugung
  • 7.1.3 Zusammenhang sozio-technischer und sozio-räumlicher Ebenen
  • 7.2 Entwicklung einzelner transformativer Praxiselemente
  • 7.3 Zusammenhänge transformativer Praxiselemente
  • 7.4 Zusammenfassung: Transition und Raum
  • 8 Fazit – Energetisches Regionalisieren und seine Analyse
  • 8.1 Beantwortung der Forschungsfragen
  • 8.2 Beitrag zur wirtschaftsgeographischen Transitionsforschung
  • 8.3 Kritische Reflexion und Forschungsausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis

← 12 | 13 →Zusammenfassung

Seit etwas über einem Jahrzehnt ist die Energiewende ein wichtiger Gegenstand der geographischen Forschung. Insbesondere regionalen Transformationen hin zu einer erneuerbaren Energieinfrastruktur kommt dabei Aufmerksamkeit zu. Die Analyseeinheit „Region“ wird verstanden als ein Handlungsraum, der in Übereinstimmung mit politisch-administrativen Raumeinheiten steht und zwischen der lokalen und nationalen Ebene liegt (vgl. Gailing/Röhring, 2014, 7). Gesellschaftliche, energiebezogene Zusammenhänge werden innerhalb dieser Region oder zwischen verschiedenen Regionen betrachtet. Akteure und deren Netzwerke werden dabei beleuchtet und analysiert, wie diese ihren Handlungsraum prägen. Da die Analyseregion a priori gesetzt ist, wird deren Entstehung und Veränderung allerdings nicht weiter hinterfragt. Mit diesem Forschungsbedarf beschäftigt sich die vorliegende Arbeit.

Inspiriert von der Praktikenforschung rücken in der vorliegenden Arbeit routinisierte und improvisierte soziale Handlungen sowie Akteure und Gemeinschaften in den Mittelpunkt. Insbesondere die Entstehung und Verbreitung von Routinen, die Wirkungsmechanismen alternativer sozialer Handlungen, communities of practice und der Akteursbegriff werden als wesentlich für Transformationen wie die Energiewende herausgearbeitet. Aufbauend auf den Transition Studies werden darüber hinaus die Aspekte Raum, Ebenen und agency integriert, die es ermöglichen, die Evolution sozio-technischer Systeme aus räumlicher Perspektive zu beleuchten.

Am Beispiel einer Fallstudie über die Biogaserzeugung untersucht die vorliegende Arbeit, wie durch die Praktiken „Konfiguration“ und „Betrieb“ ein Biogassektor konstituiert wird, wie er sich im Laufe der Zeit verändert und welche räumlichen Aspekte dafür von Bedeutung sind. Das gewählte Untersuchungsgebiet setzt sich aus Luxemburg und dem westlichen Rheinland-Pfalz zusammen (vgl. Kap. 2.2), wo viele Biogasanlagen errichtet wurden, bisher aber wenig Forschungsarbeit zu dem Thema geleistet wurde. Der Zeitraum der Untersuchung reicht von der Konfiguration der ersten Anlage Mitte der 1990er Jahre bis 2013, dem Jahr, in dem der Großteil der empirischen Daten für die vorliegende Arbeit erhoben wurde. Die Untersuchung kann dabei an Arbeiten aus anderen Disziplinen und andere Fallstudien anknüpfen, die sich insbesondere mit Aspekten wie technologischer Innovation, agrarischem Investitionsverhalten, Finanzierung von Biogasanlagen, Raumplanung oder gesellschaftlicher Akzeptanz von Biogasanlagen beschäftigen (vgl. Kap. 2.1). Damit wird es möglich, das Verständnis ← 13 | 14 →über die Geographie der Biogaserzeugung in der Teildisziplin Energiegeographie zu vertiefen, in der bisher die Schwerpunkte auf andere Themen gelegt wurden (vgl. Einführung in Kap. 2).

Konzept

In der vorliegenden Arbeit werden insbesondere drei Elemente praktikenorientierter, wirtschaftsgeographischer Transitionsforschung entwickelt: (1) ein klarer Praktikenbegriff der Energiewende, samt Abgrenzung einzelner Praxiselemente sowie einem Verständnis über deren Entwicklung; (2) ein klarer Raum- und Ebenenbegriff der Energiewende unter Berücksichtigung der Bezüge von Raum und Zeit; (3) ein klarer Akteursbegriff unter Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen verschiedenen Akteuren im Energiesystem.

Praktikenbegriff

Das energetische Regionalisieren ist eine Praxis, die sich an die Werlen’ sche „Weltbindung“ (vgl. Kap. 3.1.2) anlehnt und damit gesellschaftliche Raumverhältnisse konstituiert. Werlen nimmt insbesondere Bezug auf Giddens Strukturationstheorie, die auf den Zusammenhang von Handlungen und Strukturen in Raum und Zeit eingeht. Für die vorliegende Arbeit ist dies von besonderem Interesse, da somit auf die raum-zeitliche Entstehung, also die Evolution und Transformation von Praktiken und Strukturen, eingegangen werden kann. Zudem wird mit Schatzkis „Praxisfeldern“ gearbeitet, mit denen er einen differenzierten Raumbegriff (site ontology) anbietet. Zu Teilen baut dieser auf Bourdieus „Habitus und Feld“ auf, in dem der Einfluss vergangener Erfahrungen auf die Gegenwart hervorgehoben wird, wodurch die Praxisforschung auch als evolutionärer Ansatz nutzbar ist (vgl. Kap. 3.1.1).

Das zugrunde gelegte Verständnis von Regionalisierung beziehungsweise von Regionalisieren wird in Kapitel 3.3 erläutert. Mit Fokus auf die Energiewende und insbesondere die Biogaserzeugung ist energetisches Regionalisieren eine Praxis, welche die Wirtschaft im Kontext der Energieversorgung und ihre Geographie konstituiert. Im zeitlichen Verlauf werden sowohl die Wirtschaft als auch ihre Geographie (re)produziert und transformiert. Dies geschieht durch die Weltbindung der Akteure. Physisch-materielle Komponenten werden durch Weltbindung von einem Individuum zueinander in Beziehung gesetzt und verbunden. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Prozesse werden den physisch-materiellen Komponenten Bedeutungen und Sinn als Erfahrungskontexte und Deutungsmuster zugeschrieben. Durch Weltbindung bettet ein Individuum ← 14 | 15 →seine Handlungen in diesen physisch-materiellen Erfahrungskontext als Handlungskontext ein und passt sie diesem an (Rückbindung). Im zeitlichen Verlauf verändern sich sowohl der wahrgenommene Erfahrungskontext als auch die damit verbundenen Deutungsmuster. Für die Weltbindung sind individuelle Wissensbestände notwendig, die sich im knowing in practice und damit in Strukturen (ostensiv) und Handlungen (performativ) äußern. Dies stellt auch den Kernanknüpfungspunkt an die Transition Studies dar, bei denen die Erzeugung und Verbreitung von Wissen im Interessensfokus liegen. Der ostensive Aspekt der Wissensbestände deutet auf deren Einbettung in Normen, Werte und Routinen hin, die Gegenstand der Transition Studies sind. Gemäß der Differenzierung von Schatzki (vgl. s. 55 ff.) werden Normen und Werte dem gesellschaftlichen Kontext und Routinen dem Praxisfeld zugeordnet. Somit kann zwischen spezifischem Praxisfeld und gesellschaftlichem Kontext, im Sinne von Bourdieus “Feld”, differenziert werden, was wiederum die Kategorien der Transition Studies (formale, normative und kognitive Regeln und Normen eines spezifischen sozio-technischen Regimes; übergeordnete kulturell-normative Wertvorstellungen als Megatrends) reflektiert. So stellt energetisches Regionalisieren eine Praxis dar, die die Wirtschaft im Kontext der Energieversorgung und ihre Geographie konstituiert.

Verschiedene soziale Praktiken werden im energetischen Regionalisieren sichtbar (vgl. Kap. 3.3.2). Dabei wird der analytische Startpunkt auf einzelne Hervorbringungen der Wirtschaft gerichtet. Von diesen ausgehend können spezifische Praktiken extrahiert werden. In der vorliegenden Arbeit sind diese Hervorbringungen Biogasanlagen, deren „Konfiguration“ (vgl. Kap. 3.3.2.1) und „Betrieb“ (vgl. Kap. 3.3.2.2) die Kernpraktiken darstellen. Vereinfacht ausgedrückt ist mit Betrieb der alltägliche Umgang und mit Konfiguration die Errichtung der Biogasanlage gemeint. Während ein Betreiber bei der Konfiguration das Umfeld reflektiert, wird das Umfeld selbst durch den Betrieb der Anlage kontinuierlich reproduziert sowie durch alternative Handlungen transformiert. Die Praktiken können wiederum in spezifische Praxiselemente untergliedert werden. So entwickeln sich auch die spezifischen Praktiken, wobei im energetischen Regionalisieren zwei Transitionspraktiken unterschieden werden: (Re)Produktion und Transformation (vgl. Kap. 3.3.2.3). Deutet ein Betreiber sein Umfeld anders oder neu und modifiziert daher seine Praxis, kann diese auch von anderen Betreibern als Handlungsmöglichkeit aufgegriffen werden. Eine Diffusion der alternativen Handlung wird angestoßen. Dies deutet auf das transformative Potenzial der Praxis hin: Der Wandel von Praktiken stößt Transitionen an und ist gleichermaßen Ausdruck dieser.

← 15 | 16 →Raum- und Ebenenbegriff

Das energetische Regionalisieren baut auf einem konstruktivistischen Raumbegriff auf. Die Hervorbringung von Raum durch gesellschaftliche Praktiken wird fokussiert. Raum ist dabei genauso in gesellschaftlichen Kontexten verankert, wie Musik in einem Instrument: Es bedarf Praktiken zur Hervorbringung (vgl. Jones, 2008, 77). Transitionsräume werden daher durch die Zusammenhänge der vier Praxisphänomene und der damit verbundenen Praxiselemente analysiert. Durch Weltbindung werden physisch-materielle Komponenten im Raum vom Akteur verortet, gesellschaftliche Kontexte und individuelle Wissensbestände durch die Körperlichkeit des Akteurs lokalisiert und spezifische Praxisfelder über den Bezug des Akteurs zu einem Projekt (wie z. B. einer Biogasanlage) an Raum gebunden. Die Praxis der Weltbindung erzeugt Raum und spiegelt ihn wider. Dabei können drei Raumverständnisse unterschieden werden. (1) Der Containerraum steht für die Wahrnehmung und Deutung des Raumes kartographischer Art. Ein Individuum assoziiert den Containerraum mit konkreten Objekten, gebunden an und verbunden mit und durch physisch-materielle Komponenten („Länderkunde“ oder „Raumwissenschaft im Alltag“ (Felgenhauer, 2011, 329). (2) Der relationale Raum verweist auf Beziehungen zwischen den Praxisphänomenen, beispielsweise die räumliche Entstehung und Verbreitung von Routinen und Normen in Netzwerken. (3) Der Raum der Sinneswahrnehmung deutet auf individuelle Wissensbestände im Sinne von räumlichen Deutungsmustern und Raumwissen. Diese drücken die Akteure durch geographische Weltbilder und als „raumrelevante Vorannahmen“ (Felgenhauer, 2009, 262) aus.

Für die drei Raumverständnisse entfalten verschiedene Ebenen eine besondere Bedeutung. Es werden sozio-technische (Regionalisieren mit dem Megatrend, Regionalisieren mit dem Regime, Regionalisieren durch alternative Praktiken) und sozio-räumliche Ebenen (lokal, regional, global) unterschieden (s. Kap. 3.3.3.1). Diese Ebenen sind analytischer Natur und dienen der Systematisierung verschiedener Raumbezüge, die sich in dem Verständnis der Betreiber über diese Ebenen und damit in der Weltbindung, also dem energetischen Regionalisieren, äußern. Da sich die Weltbindung im zeitlichen Verlauf ändert (Transitionspraktiken), ändern sich auch die Transitionsräume. Aus praxistheoretischer Perspektive interessieren dabei nicht die Region und scales, sondern das Regionalisieren und das scaling, also deren Produktion und Transformation.

Akteursbegriff

Energetisches Regionalisieren wird von Akteuren ausgeübt, die in konkreten Projekten tätig sind. Daher liegt der empirische Ansatzpunkt im Individuum, ← 16 | 17 →das den „Schmelztiegel“ der sozialen Praxis darstellt (s. Kap. 3.1.3.2). Im Individuum vereinen sich die diversen Akteure und damit die Praxisfelder und Praxiselemente, die Aufschluss über das energetische Regionalisieren geben. Ausgehend von individuellen Weltbindungen können Muster oder Schemata des energetischen Regionalisierens herausgearbeitet werden, die innerhalb der community of practice vorherrschen und zum routinierten doing of business beitragen. Die Individuen haben zudem individuelle Zeitbezüge, unterschiedliche Zeitbedarfe und -bedürfnisse (Grabher/Ibert, 2011). In konkreten Projekten gibt es demnach unterschiedliche Zeiten, die von individuellen Wahrnehmungen und Deutungen abhängig sind (Zeit als kairos; vgl. Kap. 3.3.3.2). So können Praktiken aufgedeckt werden, die auf Stabilität oder Wandel hinweisen. Damit werden die vier Praxisphänomene und deren Elemente für die empirische Analyse alternativer Praktiken bedeutsam. Sie sind gleichermaßen Bedingung und Ergebnis sozialer Praxis.

Methodik

Methodologisch bildet der empirische Individualismus (vgl. Kap. 3.3.4.1) die Grundlage für dieses Akteursverständnis. Individuelle Argumente und Routinen und deren Ursachen und Folgen stehen im Mittelpunkt des empirischen Individualismus. Dabei werden Wandel und Verstetigung sozialer Praktiken fokussiert. Somit wird es durch die Konzentration auf die Betreiber ermöglicht, Erkenntnisse über (Re)Produktion und Transformation von Praxisfeldern zu gewinnen, wie sich communities of practice entwickeln, welche Routinen sich herausbilden beziehungsweise ändern und wie sich die Praxisphänomene im zeitlichen Verlauf und in bestimmten räumlichen Kontexten transformieren.

Der methodische Zugang (s. Kap. 4) der vorliegenden Arbeit ist qualitativer Art, was dem skizzierten Konzept sowie der methodologischen Fundierung im empirischen Individualismus gerecht wird. Das Interview stellt die geeignete Forschungsmethode dar, um Aufschluss über individuelle Ausdrucksformen, Argumentationen und Darstellungen individueller Werteorientierung und Wissensbestände von Betreibern von Biogasanlagen zu erhalten (vgl. Kap. 4.2.1. Diese lassen Rückschlüsse auf die Praxisfelder und deren Transformation zu. In zwei empirischen Phasen wurden insgesamt 36 leitfadengestützte, problemzentrierte Interviews vor allem mit Betreibern von Biogasanlagen geführt (vgl. Kap. 4.2.2). Die Interviews wurden transkribiert und codiert. Eine weitere Aufbereitungsmethode, das “Interview Mapping”, wurde entwickelt, um zeitliche und inhaltliche Zusammenhänge aufzuzeigen (Kap. 4.2.3.2). Diese Methode fokussiert individuelle Schilderungen und Wahrnehmungen der Interviewten, um von ← 17 | 18 →ihnen vorgebrachte Elemente der Ebenen des energetischen Regionalisierens aufzunehmen. Diese werden entlang einer Zeitachse abgetragen, wodurch die synchrone sowie die diachrone Entwicklung der mit der Biogasanlage in Beziehung gebrachten Elemente abgebildet werden können und somit ein erster Aufschluss über die Konstitution von Transitionsräumen gegeben werden kann.

Die Analyse des empirischen Materials greift auf drei Verfahren zurück. (1) Die qualitative Inhaltsanalyse hilft, die verschiedenen individuellen Bedeutungszuschreibungen und Wahrnehmungen über Raumkategorien zu extrahieren (Containerraum, relationaler Raum und Raum der Sinneswahrnehmung) und verschiedene Typen der Bezugnahme auf räumliche Kontexte zu bilden (vgl. Kap. 4.3.1). (2) Die Argumentationsanalyse zielt auf individuelle Interpretationen von räumlichen Kontexten, auf die Analyse individueller Räume der Sinneswahrnehmung und der Konstitution sozio-räumlicher Ebenen. Dafür werden raumbezogene Deutungsmuster und Konstruktionen unter Zuhilfenahme des Argumentationsschemas von Toulmin (1996 [1958]) dekonstruiert (vgl. Kap. 4.3.2). Eine Behauptung (claim) wird durch einen begründeten Fakt (data) untermauert, der einer Schlussregel (warrant) folgt, die auf einem Hintergrund (backing) aufbaut. (3) Die reflexive Inhaltsanalyse kombiniert die Erkenntnisse der beiden ersten Verfahren sowie des Interview Mappings. Damit werden die Zusammenhänge der individuellen Konstitutionsleistungen der Betreiber und der damit verbundenen Transformationsprozesse in Raum und Zeit erklärt (vgl. Kap. 4.3.3).

Empirische Ergebnisse

Kapitel 5 und 6 legen dar, wie sich der Biogassektor in dem Untersuchungsraum Luxemburg und westliches Rheinland-Pfalz heute darstellt und wie er sich seit 1990 entwickelt hat. Kapitel 7 schildert, welche Ebenen der Biogaserzeugung dadurch entstanden und wie sie sich im Lauf der Zeit veränderten.

Details

Seiten
336
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653065503
ISBN (ePUB)
9783653960808
ISBN (MOBI)
9783653960792
ISBN (Hardcover)
9783631673195
DOI
10.3726/978-3-653-06550-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Energiegeographie Energiewende Praktikenforschung Sozio-technische Systeme
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 336 S., 58 s/w Abb., 20 Tab.

Biographische Angaben

Fabian Faller (Autor:in)

Fabian Faller ist am Geographischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind regionale Transformationsprozesse und umweltorientierte Wirtschaftspraktiken.

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Titel: Energetisches Regionalisieren
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