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Das Wechselmodell

Geltendes Recht und Reformbedarf

von Dragana Damljanovic (Autor:in)
©2016 Dissertation 228 Seiten

Zusammenfassung

Einhergehend mit einem gewandelten Rollenverständnis von Mann und Frau und einem wachsenden Interesse von Vätern an der Kindesbetreuung wird eine Betreuung im sogenannten Wechselmodell für Eltern nach Trennung oder Scheidung zunehmend attraktiver. Bei diesem Arrangement betreuen die Eltern das Kind zu in etwa gleichen Anteilen. Während in vielen ausländischen Rechtssystemen das Wechselmodell gesetzlich verankert ist, fehlt im deutschen Recht eine einschlägige Regelung. Die Autorin widmet sich daher der Frage, ob sich die Kindesbetreuung im Wechselmodell mit den geltenden Vorschriften praktikabel umsetzen lässt oder ob Reformbedarf für den Gesetzgeber besteht. Dabei werden auch aktuelle sozialwissenschaftliche und psychologische Erkenntnisse berücksichtigt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Einführung in die Problemstellung
  • B. Gang der Untersuchung
  • Erstes Kapitel: Betreuungsmodelle nach Trennung der Eltern
  • A. Residenzmodell
  • I. Ausgestaltungen
  • II. Tatsächlicher und gesetzlicher Regelfall
  • B. Wechselmodell
  • I. Notwendigkeit einer Definition
  • II. Auffassung der Rechtsprechung
  • 1. Definition des Wechselmodells
  • 2. Bedeutung des zeitlichen Umfangs der Betreuung
  • a) Betreuungsanteile der Eltern
  • b) Berücksichtigung von Zeiten der Fremdbetreuung
  • c) Betreuungsrhythmus
  • 3. Wahrnehmung von Verantwortung für die Kindesbetreuung
  • III. Ansichten in der Literatur: Asymmetrisches Wechselmodell
  • IV. Definition der Ständigen Fachkonferenz 3 des DIJuF
  • V. Zwischenfazit
  • C. Nestmodell
  • D. Zusammenfassung und Fazit zu Kapitel 1
  • Zweites Kapitel: Rechtstatsächliche und psychologische Grundlagen
  • A. Das Wechselmodell vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen
  • I. Verbreitung des Wechselmodells
  • II. Gesellschaftliche Entwicklungen
  • 1. Zunehmende Erwerbsbeteiligung der Mütter
  • 2. Zunehmendes Betreuungsinteresse der Väter
  • a) Änderung der Vaterrolle
  • b) Elterngeldbezug durch Väter
  • III. Situation Alleinerziehender
  • IV. Ausbau staatlicher Kinderbetreuung
  • 1. Kinderförderungsgesetz (KiföG)
  • 2. Finanzielle Förderung
  • 3. Erhöhung der Betreuungsquote
  • 4. Ausbau von Ganztagsschulen
  • V. Änderungen im nachehelichen Unterhaltsrecht
  • 1. Änderung des Betreuungsunterhalts
  • 2. Abkehr von der Lebensstandardgarantie
  • VI. Stärkung des gemeinsamen Sorgerechts
  • 1. Reform des Kindschaftsrechts (1998)
  • 2. Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern (2013)
  • VII. Zusammenfassung und Fazit
  • B. Das Wechselmodell aus psychologischer Sicht
  • I. Wechselmodell und Bindungsforschung
  • 1. Grundlagen der Bindungstheorie
  • 2. Elternkontakte und Bindungssicherheit des Kindes
  • a) Kontakte zu beiden Elternteilen
  • b) Übernachtungen im Kleinkindalter
  • aa) Studie 2 von McIntosh/Smyth/Kelaher/Wells/Long
  • bb) Studie von Tornello/Emery/Rowen
  • cc) Studie von Solomon/George
  • 3. Bedürfnis nach Stabilität und Kontinuität
  • 4. Zwischenergebnis
  • II. Kindeswille
  • III. Äußere Rahmenbedingungen
  • IV. Erfahrungen mit dem Wechselmodell
  • 1. Studie 1 von McIntosh/Smyth/Kelaher/Wells/Long
  • 2. Studie von Maccoby/Mnookin
  • 3. Studie von McKinnon/Wallerstein
  • 4. Abhandlung von Fehlberg/Smyth
  • 5. Studie von Haugen
  • 6. Studien von Gebur und Frigger
  • V. Zusammenfassung und Fazit
  • Drittes Kapitel: Das Wechselmodell im Sorge- und Umgangsrecht
  • A. Rechtsvergleichender Überblick
  • B. Rechtssystematische Einordnung des Wechselmodells
  • I. Inhalt und Zweck der elterlichen Sorge
  • II. Inhalt und Zweck des Umgangsrechts
  • III. Zuordnung des Wechselmodells
  • C. Umsetzung des Wechselmodells bei Einvernehmen der Eltern
  • I. Umsetzung durch Elternvereinbarung
  • 1. Inhalt und Grenzen
  • 2. Bindung und Vollstreckbarkeit
  • II. Gerichtliche Anordnung
  • 1. Beispielsfall
  • 2. Sorgerechtsverfahren (§ 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB)
  • a) Allgemeines
  • b) Zeitliche Aufteilung der elterlichen Sorge
  • c) Feststellung der gemeinsamen Sorge und Sorgeausübung
  • 3. Analoge Anwendung des § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB
  • 4. Abänderungsentscheidung (§ 1696 Abs. 1 S. 1 BGB)
  • 5. Gerichtlich gebilligter Vergleich (§ 156 Abs. 2 FamFG)
  • 6. Analoge Anwendung des § 156 Abs. 2 FamFG
  • III. Reformbedarf
  • 1. Umsetzung des Wechselmodells durch gerichtlich gebilligten Vergleich
  • 2. Reformvorschlag
  • IV. Zwischenfazit
  • D. Gerichtliche Anordnung gegen den Willen eines Elternteils
  • I. Fallkonstellationen
  • II. Rechtsgrundlage
  • 1. Sorgerechtsentscheidung (§ 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB)
  • 2. Umgangsregelung ( § 1684 Abs. 3 BGB)
  • 3. Entscheidung nach § 1666 Abs. 1 BGB
  • III. Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl
  • 1. Kindeswohl als gerichtlicher Beurteilungsmaßstab
  • 2. Ansichten in der Rechtsprechung
  • a) Erstmalige Anordnung des Wechselmodells
  • b) Aufrechterhaltung des praktizierten Wechselmodells
  • 3. Ansichten in der Literatur
  • IV. Reformbedarf?
  • 1. Diskussion im Schrifttum
  • 2. Urteil des BVerfG vom 24.06.2015
  • 3. Resolution des Europarats
  • 4. Stellungnahme
  • V. Zusammenfassung
  • E. Elterliche Entscheidungsbefugnisse beim Wechselmodell
  • I. Entscheidungsbefugnisse nach Trennung der Eltern
  • II. Übertragung auf das Wechselmodell
  • 1. Alleinsorge eines Elternteils
  • 2. Gemeinsames Sorgerecht der Eltern
  • III. Reformbedarf?
  • F. Zusammenfassung und Fazit zu Kapitel 3
  • Viertes Kapitel: Kindesunterhalt und Umgangskontakte
  • A. Grundzüge des Kindesunterhaltsrechts
  • I. Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs
  • II. Elternhaftung und Art des Unterhalts
  • III. Bemessung der Unterhaltshöhe
  • 1. Allgemeines
  • 2. Unterhaltsbemessung bei minderjährigen und volljährigen Kindern
  • a) Minderjährige Kinder
  • b) Volljährige Kinder
  • 3. Berechnungsbeispiele
  • a) Minderjähriges Kind (Residenzmodell)
  • b) Volljähriges Kind
  • B. Auswirkungen von Umgangskosten auf den Unterhalt
  • I. Rechtsprechung des BGH
  • 1. Üblicher Umgang
  • 2. Erweiterter Umgang
  • 3. Beispielsfälle
  • a) Üblicher Umgang
  • b) Erweiterter Umgang
  • II. Auffassungen im Schrifttum
  • 1. Abstellen auf die prozentuale Mitbetreuung
  • a) Berechnungsmodell
  • b) Beispielsfälle
  • aa) Üblicher Umgang (Fall 1)
  • bb) Erweiterter Umgang (Fall 2)
  • 2. Umgruppierung nach Anzahl der Betreuungstage
  • a) Berechnungsmodell
  • b) Beispielsfälle
  • aa) Üblicher Umgang (Fall 1)
  • bb) Erweiterter Umgang (Fall 2)
  • 3. Pauschale Anrechnung von Umgangskosten
  • a) Berechnungsmodell
  • b) Beispielsfälle
  • aa) Üblicher Umgang (Fall 1)
  • bb) Erweiterter Umgang (Fall 2)
  • 4. Abgestufte Unterhaltspflicht
  • a) Berechnungsmodell
  • b) Beispielsfälle
  • aa) Üblicher Umgang (Fall 1)
  • bb) Erweiterter Umgang (Fall 2)
  • 5. Anrechnung des tageweisen Unterhaltsbeitrags
  • a) Berechnungsmodell
  • b) Beispielsfälle
  • aa) Üblicher Umgang (Fall 1)
  • bb) Erweiterter Umgang (Fall 2)
  • III. Beurteilung der Berechnungsmethoden und Fazit
  • Fünftes Kapitel: Bestimmung des Kindesunterhalts im Wechselmodell
  • A. Rechtsprechung des BGH
  • B. Berechnungsmodelle
  • I. Vorbemerkungen
  • II. Modell 1: Abzug des vollen Kindergeldes
  • 1. Berechnung
  • 2. Beispielsfälle
  • a) Geringe Einkommensunterschiede
  • b) Hohe Einkommensunterschiede
  • III. Modell 2: Abzug des hälftigen Kindergeldes
  • 1. Berechnung
  • 2. Beispielsfälle
  • a) Geringe Einkommensunterschiede (Fall 1)
  • b) Hohe Einkommensunterschiede (Fall 2)
  • IV. Modell 3: Gesonderte Abrechnung von Grund- und Mehrbedarf
  • 1. Berechnung
  • a) Grundbedarf
  • b) Mehrbedarf
  • 2. Beispielsfälle
  • a) Geringe Einkommensunterschiede (Fall 1)
  • b) Hohe Einkommensunterschiede (Fall 2)
  • V. Modell 4: Keine Berücksichtigung des Wechselmehrbedarfs
  • 1. Berechnung
  • 2. Beispielsfälle
  • a) Geringe Einkommensunterschiede (Fall 1)
  • b) Hohe Einkommensunterschiede (Fall 2)
  • VI. Modell 5: Gesonderter Kindergeldausgleich
  • 1. Berechnung
  • 2. Beispielsfälle
  • a) Geringe Einkommensunterschiede (Fall 1)
  • b) Hohe Einkommensunterschiede (Fall 2)
  • VII. Modell 6: Fiktive alleinige Barunterhaltspflichten
  • 1. Berechnung
  • 2. Beispielsfälle
  • a) Geringe Einkommensunterschiede (Fall 1)
  • b) Hohe Einkommensunterschiede (Fall 2)
  • VIII. Weitere Ansichten
  • IX. Auswertung der Ergebnisse
  • C. (Weitere) Streitpunkte im Einzelnen
  • I. Kindergeld
  • 1. Bedarfsmindernde Anrechnung
  • 2. Anrechnungshöhe
  • 3. Erhöhung des Haftungsanteils
  • II. Wechselmehrbedarf
  • 1. Anrechenbare Mehrkosten
  • 2. Berechnungsmethode
  • III. Unterhaltsberechnung bei Leistungsunfähigkeit
  • IV. Ungleiche Versorgungsleistungen auf den Grundbedarf
  • D. Zusammenfassung und Fazit zu Kapitel 5
  • I. Abschließende Beurteilung zum Kindesunterhalt im Wechselmodell
  • II. Folgen für die Bestimmung des Wechselmodellbegriffs
  • III. Reformvorschläge
  • Sechstes Kapitel: Durchsetzung des Kindesunterhalts im Wechselmodell
  • A. Rechtliche Einordnung und prozessuale Geltendmachung
  • I. Geltendmachung als Unterhaltsanspruchs des Kindes
  • 1. Einzelvertretungsbefugnis (§ 1629 Abs. 2 S. 2 BGB)
  • 2. Bestellung eines Ergänzungspflegers (§ 1909 BGB)
  • 3. Gerichtliche Übertragung der Entscheidungsbefugnis (§ 1628 BGB)
  • 4. Beantragung einer Beistandschaft (§ 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB)
  • II. Einordnung als familienrechtlicher Ausgleichsanspruch
  • 1. Rechtsfigur des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs
  • 2. Anwendung auf das Wechselmodell
  • III. Fazit
  • B. Elternvereinbarungen über den Kindesunterhalt
  • I. Vereinbarungsinhalt beim Wechselmodell
  • 1. Aufteilung der Kosten
  • 2. Freistellungsvereinbarung und Ausgleichsanspruch
  • II. Wirksamkeit und Bindung
  • C. Fazit zu Kapitel 6
  • Siebtes Kapitel: Betreuungsunterhalt beim Wechselmodell
  • Achtes Kapitel: Wechselmodell im Sozial- und Steuerrecht
  • A. Sozialrechtliche Bezüge
  • I. Regelleistungen für Kinder in Bedarfsgemeinschaft (§ 19 Abs. 1 S. 2 SGB II).
  • II. Mehrbedarf für Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 SGB II)
  • III. Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II
  • IV. Pflegegeld (§ 37 Abs. 1 SGB XI)
  • V. Wohngeld (§ 5 Abs. 6 S. 1 WoGG)
  • VI. Unterhaltsvorschuss (§ 1 Abs. 1 UVG)
  • VII. Elterngeld (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 3 BEEG)
  • B. Auswirkungen im Steuerrecht
  • I. Berechtigung zum Kindergeldbezug (§ 64 EStG)
  • 1. Grundlegendes zur Bezugsberechtigung
  • 2. Bestimmung des Bezugsberechtigten beim Wechselmodell
  • a) Analoge Anwendung von § 64 Abs. 2 S. 2, 3 EStG
  • b) Voraussetzung der mehrfachen Haushaltsaufnahme
  • 3. Bezugsberechtigung bei Streit über die Betreuungsanteile
  • II. Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG)
  • C. Familienzuschlag (§§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 4 BBesG)
  • D. Melderecht (§§ 21, 22 BMG)
  • E. Fazit zu Kapitel 8
  • Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

A.  Einführung in die Problemstellung

Wenn eine Familie durch Trennung oder Scheidung der Eltern zerbricht, wird die Kindesbetreuung in der Regel im sog. Residenzmodell praktiziert.1 Dabei hat das Kind einen festen Lebensmittelpunkt bei einem Elternteil, welches für seine Betreuung überwiegend zuständig ist, und pflegt Umgangskontakte zum anderen Elternteil.2 Einhergehend mit einem gewandelten Rollenverständnis von Mann und Frau und einem zunehmenden Interesse der Väter an der Kindesbetreuung soll eine Betreuung im Wechselmodell für Eltern immer attraktiver werden.3 Indem ein regelmäßiger (z. B. wöchentlicher) Aufenthaltswechsel des Kindes von der Wohnung eines Elternteils zum anderen stattfindet, betreuen die Eltern das Kind bei diesem Arrangement zu in etwa gleichen Anteilen.4 Das Kind hat auf diese Weise zwei Lebensmittelpunkte, zwischen denen es hin und her wechselt.

Aktuell werden sowohl in der Presse als auch in der Fachwissenschaft die Vor- und Nachteile, die Anforderungen an eine Durchführbarkeit sowie die rechtlichen und psychologischen Folgen des Wechselmodells breit diskutiert.5 So war das Wechselmodell Thema von zwei Arbeitskreisen des 20. Deutschen Familiengerichtstages.6 Auch Vätervereinigungen setzen sich vermehrt mit diesem Betreuungsmodell auseinander und fordern mitunter eine gesetzliche Regelung, die eine hälftige Betreuung als Regelmodell vorsieht.7

In den §§ 1626 ff. BGB sind die Voraussetzungen für den Erhalt der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts sowie die daraus resultierenden Rechte und Pflichten geregelt. Die konkrete Ausgestaltung in Form eines Betreuungsarrangements hingegen bleibt grundsätzlich den Sorgeberechtigten überlassen.

In vielen gesetzlichen Regelungen hat der Gesetzgeber jedoch das Residenzmodell als Leitmodell für die Nachtrennungsfamilie zugrunde gelegt.8 Bei der ← 17 | 18 → Anwendung dieser Normen wirft die Betreuung im Wechselmodell eine Reihe von Rechtsfragen auf. Am deutlichsten kommt dies im Kindesunterhaltsrecht zum Ausdruck. Denn nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB erfüllt der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung zum Kindesunterhalt beizutragen, in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes. Der andere, nicht betreuende Elternteil erfüllt in diesem Fall seine Kindesunterhaltspflicht aus § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB durch Leistung des Barunterhalts in Form der Entrichtung einer Geldrente (§ 1612 Abs. 1 S. 1 BGB). Diese am Residenzmodell ausgerichtete Trennung von Betreuungs- und Barunterhaltspflicht passt nicht, wenn die Eltern ihr Kind gleichermaßen betreuen. Entsprechendes gilt für die Regelung der Einzelvertretungsbefugnis eines Elternteils in Unterhaltsverfahren (§ 1629 Abs. 2 S. 2 BGB). Auch diese steht nur demjenigen Elternteil zu, der das Kind in Obhut hat. Daneben kann eine Betreuung im Wechselmodell Auswirkungen im steuer- und sozialrechtlichen Bereich haben. Als Beispiel sei an dieser Stelle die Regelung zum Anspruch des Kindes auf Unterhaltsvorschuss genannt, welcher zur Voraussetzung hat, dass das Kind bei einem Elternteil lebt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG).

Im Vergleich zu einer Reihe von anderen europäischen sowie außereuropäischen Ländern, existiert im deutschen Familienrecht keine gesetzliche Regelung des Wechselmodells. So kann das Gericht in Frankreich9, Tschechien10, Australien11, Großbritannien12 und in der Schweiz13 eine Betreuung im Wechselmodell durch gerichtlichen Beschluss auch entgegen des Willens eines Elternteils festlegen. Im belgischen Familienrecht stellt das Wechselmodell seit 2006 sogar das Regelmodell für die Nachtrennungsfamilie dar.14 Im Juni 2015 entschied das BVerfG, dass der Gesetzgeber nicht gehalten ist, die Anordnung des Wechselmodells als Regelfall vorzusehen und abweichende Betreuungsmodelle als Ausnahme auszugestalten.15 Die Frage, ob der Gesetzgeber zur Schaffung einer evtl. fehlenden Gesetzesgrundlage zur gerichtlichen Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils verpflichtet ist, ließ das BVerfG offen.16

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Wechselmodell in das geltende Recht integriert werden kann und die bestehenden Regelungen zur Bewältigung der durch diese Betreuungsform aufgeworfenen Rechtsfragen genügen. In diesem Rahmen ist zu klären, ob eine gesetzliche Verankerung des Wechselmodells im Sorge- und Umgangsrecht, im Unterhaltsrecht und/oder im Steuer- und Sozialrecht ← 18 | 19 → erforderlich ist. Im Schwerpunkt soll sich die Untersuchung der Ermittlung des Kindesunterhalts bei einer Betreuung im Wechselmodell widmen. Die hierzu vertretenen Berechnungsmodelle sollen anhand von zwei Fallbeispielen einer kritischen Würdigung unterzogen werden. In diesem Zusammenhang wird auch die Berücksichtigung von Umgangskosten beim Kindesunterhalt relevant. Eine Betreuung im Residenzmodell mit umfangreichen Umgangskontakten zum anderen Elternteil markiert die Schnittstelle zum Wechselmodell. Für die Beurteilung des Kindesunterhalts im Wechselmodell ist daher auch die unterhaltsrechtliche Situation im Falle einer Betreuung im Residenzmodell mit erweitertem Umgang mit zu berücksichtigen.

B.  Gang der Untersuchung

Im ersten Kapitel werden die nach Trennung der Eltern praktizierten Betreuungsmodelle dargestellt. Hierbei soll untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen ein Betreuungsarrangement als Wechselmodell eingeordnet wird und in welchem rechtlichen Zusammenhang diese Einordnung Bedeutung erlangt. Das zweite Kapitel widmet sich der aktuellen Verbreitung des Wechselmodells sowie seiner voraussichtlichen zukünftigen Bedeutung unter Berücksichtigung gesellschaftlicher und rechtlicher Entwicklungen. Ferner wird in Kapitel 2 unter Darstellung der psychologischen Hintergründe der Frage nachgegangen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Betreuung im Wechselmodell dem Kindeswohl dient.

In Kapitel drei wird zum einen untersucht, ob nach dem geltenden Sorge- und Umgangsrecht eine gerichtliche Umsetzung des Wechselmodells mit und ohne Einvernehmen der Eltern möglich ist und ob Reformbedarf besteht. Zum anderen wird auf die Entscheidungsbefugnisse der Eltern in Kindesangelegenheiten und somit insbesondere auf die Übertragbarkeit des § 1687 Abs. 1 S. 2, 3 BGB auf das Wechselmodell eingegangen. Im vierten Kapitel werden die Auswirkungen von Kosten des einfachen und erweiterten Umgangs auf die Barunterhaltspflicht des Umgangselternteils dargestellt. Hierzu werden im Schrifttum verschiedene Berechnungsmethoden, die von der Vorgehensweise des BGH abweichen, diskutiert. Diese werden anhand ihrer Anwendung auf dasselbe Fallbeispiel veranschaulicht und die Ergebnisse ausgewertet.

Im fünften Kapitel werden die zur Berechnung des Kindesunterhalts im Wechselmodell vertretenen Berechnungsmodelle dargestellt und sodann auf zwei Fallbeispiele angewandt. Durch die anschließende Auswertung der Ergebnisse soll ermittelt werden, welche Berechnungsmodelle zu gerechten Ergebnissen führen. In diesem Zusammenhang wird auch auf einen möglichen Reformbedarf eingegangen. Das sechste Kapitel widmet sich der gerichtlichen Durchsetzung des Kindesunterhalts beim Wechselmodell und hier insbesondere der Diskussion um Alternativen zur Einzelvertretungsbefugnis aus § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB. Kapitel sieben behandelt die Auswirkungen einer Betreuung im Wechselmodell auf den Betreuungsunterhalt nach Trennung (§ 1615l Abs. 2 S. 2–4 bzw. Abs. 4 BGB) und Scheidung (§ 1570 BGB). In Kapitel acht werden die Rechtsfolgen der wechselnden Betreuung im Sozial- und Steuerrecht dargestellt. ← 19 | 20 →


1 Staudinger/Salgo, § 1687 Rn. 14.

2 Staudinger/Salgo, a.a.O.; MüKo/Hennemann, § 1687 Rn. 1.

3 Spangenberg, FamRZ 2014, 88.

4 Horndasch, FuR 2011, 593, 594.

5 Sünderhauf, Wechselmodell: Psychologie – Recht – Praxis; Jokisch, FuR 2013, 679; dies., FuR 2014, 25; Spangenberg, FamRZ 2014, 88; Wohlgemuth, FPR 2013, 157; Bausch/Gutdeutsch/Seiler, FamRZ 2012, 258; Kostka, ZKJ 2014, 2. Vgl. auch die Berichte in der Presse: Die Welt, Wenn das Trennungskind zum Ping-Pong Ball wird, 29.01.2015; Süddeutsche Zeitung, Die Zeit der Zahlväter ist vorbei, 13.11.2015; Die Zeit, Kinder sind flexibel, 24.04.2014.

6 Vgl. 20. DFGT, Ergebnisse des Arbeitskreises 7 und 15.

7 Vgl. Väteraufbruch für Kinder e.V., Position Paritätische Doppelresidenz, abrufbar unter: http://www.vaeteraufbruch.de/index.php?id=doppelresidenz.

8 Horndasch, FuR 2011, 593, 594.

9 Art. 373-2-9 Code civil.

10 § 26 Abs. 2 des tschechischen FamG, vgl. Rieck/Rombach, Länderteil Tschechien, S. 13.

11 Section 65DAA des Family Law Amendment Act.

12 Section 1 (2A) des Children and Families Act 2014.

13 Art. 133 Abs. 1 Nr. 2 ZGB, vgl. Rieck/Woelke, Länderteil Schweiz, S. 12.

14 § 2 Abs. 2 des Gesetzes 374 bBGB, vgl. Bergmann/Ferid/Henrich/Pintens, Länderteil Belgien, S. 57.

15 BVerfG, FamRZ 2015, 1585.

16 A.a.O.

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Erstes Kapitel: Betreuungsmodelle nach Trennung der Eltern

Den Eltern steht es grundsätzlich frei, zu entscheiden, welcher Elternteil das Kind in welchem Umfang nach ihrer Trennung betreut bzw. Umgang mit diesem hat. Das Gesetz regelt einerseits die Voraussetzungen für Erhalt und Entziehung der elterlichen Sorge (§§ 1626 ff. BGB) und andererseits das zwischen Eltern und Kind bestehende Recht auf Umgang (§ 1684 BGB). Die konkrete Ausgestaltung in Form eines Betreuungsarrangements ist den Eltern jedoch kraft ihrer aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zustehenden Elternautonomie selbst überlassen.17 In der juristischen Praxis werden die verschiedenen Betreuungsvarianten für Kinder von getrenntlebenden Eltern in drei Modelle untergliedert.

A.  Residenzmodell

I.   Ausgestaltungen

Beim sog. Residenz- oder Eingliederungsmodell lebt das Kind vorwiegend bei einem Elternteil, hat dort seinen Lebensmittelpunkt und wird von diesem Elternteil allein oder überwiegend betreut.18 Der Kontakt zum anderen Elternteil bricht nicht vollständig ab, sondern bleibt in Form von regelmäßigen Besuchsaufenthalten bei diesem erhalten.19 Die konkrete Ausgestaltung einer Betreuung im Residenzmodell kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen. Im Laufe der Zeit hat sich in der Rechtsprechung und Familienberatung entwickelt, dass ein alle 14 Tage stattfindender Wochenendaufenthalt des Kindes bei dem nicht überwiegend betreuenden Elternteil inkl. der Hälfte der Schulferien als üblicher Umgangskontakt im Residenzmodell anzusehen ist.20 Der BGH bewertet eine Betreuung durch den Nichtresidenz-Elternteil von ca. fünf bis sechs Tagen im Monat als üblichen Umgangskontakt, was dem o.g. Rhythmus in etwa entspricht.21 Der Umgang zwischen Kind und nichtbetreuendem Elternteil wird häufig aber auch weitaus umfangreicher gestaltet, was als sog. erweiterter Umgang bezeichnet wird und die Schnittstelle zu einer Betreuung im Wechselmodell kennzeichnet.22 Gemeint ist dabei ein „über das übliche Maß ← 21 | 22 → hinaus wahrgenommenes Umgangsrecht, dessen Ausgestaltung sich bereits einer Mitbetreuung annähert“, häufig in Form eines Betreuungsanteils von ca. 30 %.23

II.  Tatsächlicher und gesetzlicher Regelfall

Das Residenzmodell ist mit ca. 85 % – 95 % aller Fälle das am häufigsten praktizierte Betreuungsmodell nach Trennung oder Scheidung.24 Auch das Gesetz geht in vielen Regelungsbereichen von einer Betreuung im Residenzmodell als Regelfall aus. Dies zeigt sich sehr deutlich im Unterhaltsrecht. Nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB erfüllt der betreuende Elternteil seine Unterhaltspflicht für das minderjährige Kind in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung, während der nichtbetreuende Elternteil seiner Unterhaltspflicht durch Entrichtung einer Geldrente nachkommt (§ 1612 Abs. 1 S. 1 BGB). Für minderjährige Kinder geht das Gesetz somit davon aus, dass sich die Eltern im Falle ihrer Trennung in der Weise arrangieren, dass ein Elternteil das Kind betreut und dafür von der Barunterhaltspflicht befreit ist und der andere Elternteil den Barbedarf des Kindes decken muss.

Ähnliches gilt im Rahmen der prozessualen Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes. Nach § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB kommt dem Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, trotz gemeinsamen Sorgerechts der Eltern ein Alleinvertretungsrecht für die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen zu.25 Vorschriften aus dem Sorge- und Umgangsrecht sind zum Teil an eine Betreuung im Residenzmodell ausgerichtet. So regelt § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB für getrenntlebende, gemeinsam sorgeberechtigte Eltern, dass der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, die Alleinentscheidungsbefugnis in Angelegenheiten des täglichen Lebens hat.26 Auch die Notwendigkeit der Gewährung eines Umgangsrechts nach § 1684 BGB ergibt sich nur bei einer Betreuung im Residenzmodell. Denn ein Umgangsrecht nach § 1684 BGB dient dem berechtigten Elternteil vordergründig, um sich vom körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung fortlaufend zu überzeugen sowie verwandtschaftliche Beziehungen aufrechtzuerhalten, dagegen nicht, um an der Erziehung des Kindes mitzuwirken.27 ← 22 | 23 →

Details

Seiten
228
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783631701225
ISBN (PDF)
9783653066432
ISBN (MOBI)
9783631701232
ISBN (Hardcover)
9783631673829
DOI
10.3726/978-3-653-06643-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (September)
Schlagworte
Elternvereinbarungen Residenzmodell Kindesbetreuung Kindesunterhalt Sorge- und Umgangsrecht Betreuungsmodelle
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2016. 228 S.

Biographische Angaben

Dragana Damljanovic (Autor:in)

Dragana Damljanovic studierte Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo sie auch promoviert wurde. Sie ist als Staatsanwältin tätig.

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