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La Pureté du Dogme et de la Morale

Lettres de Rome über die theologischen Kontroversen in der Epoche Clemens XIV. und des Kardinals Mario Marefoschi (1760 bis 1780)

von Christoph Weber (Band-Herausgeber:in)
©2016 Monographie 639 Seiten

Zusammenfassung

In der Epoche zwischen Aufklärung und Revolution kam es in Rom zum letzten Kampf zwischen den traditionellen und modernen Schulen der Theologie; ein Kampf, der mit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 nur vorläufig endete. Der Autor stellt der Öffentlichkeit zahlreiche neue Quellen samt Kommentierung aus den Jahren 1760 bis 1780 zur Verfügung. Das Material – Zeitungsartikel und diplomatische Texte – ermöglicht neue Perspektiven auf Fragen etwa nach der Legitimität des Jesuitenordens, der Berechtigung des Begriffes «Jansenismus» oder den Folgen von Molinismus und Probabilismus.

Inhaltsverzeichnis


EINLEITUNG

1. Zuordnung zu vorigen Editionen

Diese Quellensammlung schließt sich an die beiden vorigen Editionen des Herausgebers an,1 die neues, d.h. altes und vergessenes, unzugängliches oder verdrängtes Material zur Epoche Clemens XIV. (1705-1759-1769-1774) und des Kardinals Mario Marefoschi (1714-1770-1780) und des Vorgängers und Nachfolgers des Papstes vorgelegt hat. Diese beiden ersten Bände enthalten auch die Erläuterung der Materialien, die dem Editor zur Verfügung standen. Deshalb werden die dortigen Ausführungen hier nicht mehr im Detail ausgebreitet. Jedoch ist dieser dritte Band auch alleine benützbar, insbesondere, als er auch gänzlich neue Inhalte bietet, nämlich Debatten theologischer Art, die in ihrer Art lange nicht mehr beachtet wurden, insbesondere nicht in ihrer gegenseitigen Verknüpfung. Als Zeitraum wurde jene Epoche festgelegt, in der Ganganelli und Marefoschi an der Kirchenregierung beteiligt waren, also die zwei Jahrzehnte von 1760 bis 1780. Die Zeit davor war noch von den Persönlichkeiten der Epoche Benedikts XIV. geprägt, mit 1780 beginnt die Zeit des Bischofs von Pistoia und Prato, Scipione de Ricci, und seiner Gegner.

2. Hauptthemen

Neben vielen anderen Themen, teils diplomatisch-kirchenpolitischer Natur (die nur als „Hintergrundrauschen“ des Zeitgeistes unverzichtbar sind) werden hier die Fragen nach der Legitimität des Jesuitenordens, der Berechtigung des Begriffes „Jansenismus“,2 den vermeintlich verheerenden Folgen von Molinismus und Probabilismus oder alternativ von Augustinismus und Rigorismus anhand von Zeitungsartikeln und einer diplomatischen Quelle behandelt. Diese Themen, seit den ersten Jahrzehnten nach dem Konzil von Trient mit wachsender Erbitterung umkämpft, spitzen sich in dem hier behandelten Zeitabschnitt auf drei oder auch ← 11 | 12 → vier konkrete Streitfälle zu, die an der römischen Kurie verhandelt wurden: erstens die Seligsprechung des Ehrwürdigen Bischofs von Puebla de los Angeles (Mexiko), dann von Osma (Altkastilien) Juan de Palafox y Mendoza (1600-1659), zweitens die Einführung des Kultes des Heiligsten Herzens Jesu in die katholische Gottesverehrung (1765) und deren Bekämpfung, und drittens die ersehnte, gefürchtete und am Ende erfolgte (wenngleich letztlich erfolglose) Aufhebung der Societas Jesu. Viertens kam in den letzten beiden oder sogar drei Jahren Clemens XIV. auch noch der Komplex der antipäpstlichen Prophezeiungen und der Bestreitung seines Papsttums hinzu.

Als ein Beispiel, wie in den Augen der Zeitgenossen der Zusammenhang dieser vier Komplexe gesehen wurde, greifen wir zu dem Bericht P. Tommaso Maria Mamachis OP (1713-92) über die schriftlichen Unterlagen des prominenten römischen Jesuiten Orazio Stefanucci. Nachdem dieser im Herbst 1773 als einer der ersten Jesuiten in Rom verhaftet worden war, beauftragte die Kardinalskongregation für die Jesuitenangelegenheiten den Dominikaner (als ihren offiziellen theologischen Konsultor) mit einer Sichtung und Bewertung des Materials.3 Stefanuccis Manuskripte – es wird nicht gesagt, ob alle von ihm selbst stammten – behandelten die verleumderischen Beschuldigungen der Societas, die Untaten Portugals, Spaniens und Frankreichs gegen diese, und die Prophezeiungen über die nicht mehr ferne Wiederherstellung der Societas. Die Bücher in Stefanuccis Besitz befassten sich wiederum mit Portugal, dem Sacré-Cœur, dem Probabilismus und mit Bischof Palafox.

Die Zeitgenossen empfanden sehr deutlich den engen Zusammenhang der ersten drei Komplexe,4 die aber in unseren Quellen oft bis tief in ihre historischen Wurzeln hin verfolgt werden, insbesondere in den Nouvelles Ecclésiastiques, in denen immer wieder umfangreiche Abhandlungen zu den drei Hauptthemen, aber auch zu den älteren Fragen nach Molinismus, Probabilismus, Quesnellismus, d.h. zur Bulle Unigenitus, zu den literarischen Kampfmethoden der Jesuiten, schließlich hin bis zu der Frage, ob es jemals einen Jansenismus gegeben habe, geliefert ← 12 | 13 → werden.5 Wie stand Bischof Jansenius wirklich zu den bekannten fünf verurteilten Sätzen? Auch der vierte Komplex, die Beanspruchung übernatürlicher Offen-barungen zu Gunsten der Societas, hatte weit zurückreichende Vorläufer, nämlich den Anspruch, dass die Societas eine direkte Offenbarung Gottes sei, dass also nicht der Heilige Ignatius, sondern Jesus selbst ihr Schöpfer sei. Der letzte Text, den wir edieren, dringt zu der Frage vor, ob die Jesuiten denn überhaupt Christen seien, und verneint sie.

Sieg und Niederlage wechselten sich unter den Jesuiten und Jansenisten (ich verwende diesen Begriff nur als historisch eingeführten Terminus, ohne das damit gegebene Urteil zu übernehmen) ständig ab. Am Ende siegten die Jesuiten mit ihrer offiziellen Wiederherstellung (1814) und mit dem fast völligen Erlöschen des Jansenismus endgültig, und es begann eine neue Epoche weitgehender Jesuitenherrschaft in der katholischen Kirche, die von kurzen Unterbrechungen unter Pius IX, Leo XIII. und Johannes Paul II. einmal abgesehen bis heute andauert. Dabei dürfte die geradezu unvorstellbare Wandlungsfähigkeit der Societas ihr Erfolgsgeheimnis gewesen sein, während die Jansenisten dieses Talent gar nicht, oder nur in zu bescheidenem Umfang besessen haben. Dass am Ende (2011) Palafox doch noch seliggesprochen wurde, und dass die Herz-Jesu-Verehrung, die im 19. Jahrhundert alle anderen Kulte der Kirche bei weitem überflügelte, heute stark in den Hintergrund getreten ist, kann demgegenüber kaum ins Gewicht fallen.6 ← 13 | 14 →

3. Weitere Themen

Es gab noch zahlreiche weitere Themen, die in dieser Epoche Theologen beschäftigten und zu kontroversen Diskussionen anstachelten. Sie stehen oft mit der Jesuiten-Jansenisten-Frage in Verbindung.7 Hier mehrere Beispiele, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben:

       o   Sind die Theologenschulen des Augustinismus, des Thomismus, des Skotismus und des Molinismus gleichwertig, oder nicht?

       o   Ist der Papst unfehlbar, oder gibt es eine Apellation an das Generalkonzil?

       o   Kann die katholische Tradition auch von einigen Bischöfen allein gerettet und weitergegeben werden?

       o   Existiert die menschliche Natur Jesu bereits seit Ewigkeit beim Vater?

       o   Sind die Jesuiten einem neuen Nestorianismus verfallen?

       o   Führt der Jansenismus notwendig zum Kalvinismus, ja, ist er in Wirklichkeit nur eine verschleierte Erneuerung desselben?

       o   Führt die jesuitische Theorie einer Natura pura notwendiger Weise zu einem universalen Tolerantismus, nach dem auch jeder Heide die ewige Seligkeit erlangen kann?

       o   Ist der Jesuitismus une religion toute nouvelle?

       o   Bedeutet das peccatum originale nur den Verlust der übernatürlichen Gnade, wie es die Societas lehrt?

       o   Ist die Zahl der zum ewigen Heil Bestimmten hoch oder niedrig?

       o   Erleiden die ungetauft verstorbenen Kinder alle, auch die körperlichen Höllenstrafen in Ewigkeit?

       o   Ist der Mensch verpflichtet, alles, was er tut, aus Liebe zu Gott zu tun, wenigstens intentional? Oder kann er auch ohne irgendeinen Bezug zu Gott Gutes tun?

       o   Ist die Lektüre der Hl. Schrift gefährlich?

       o   Ist die Vulgata die einzige gültige Fassung der Bibel, da die hebräischen und griechischen Texte verderbt sind? ← 14 | 15 →

       o   Bedürfen die Schriften des Hl. Augustinus der Interpretation durch den Hl. Thomas?

       o   Ist die Lektüre der Schriften des Hl. Augustinus gefährlich?

       o   Ist die Theorie der delectation relativement victorieuse ebenso häretisch wie diejenige der grace necessitante?

       o   Wirkt die Gnade Gottes unwiderstehlich (wenngleich durch den freien Willen angenommen), oder verschafft sie dem Menschen nur ein Gleichgewicht (Aequilibrium) zwischen Gut und Böse, in dem der Mensch frei zu wählen hat?

       o   Ist die Bulle Unigenitus ein Glaubensdogma?

       o   In welcher Form und mit welchem positiven Inhalt muss der Gläubige die Bulle Unigenitus (die nur Verwerfungen enthält) glauben?

       o   Muss der Christ jeweils das Gegenteil der Verwerfungen von Unigenitus glauben?

       o   Ist ein Appell von der Papstentscheidung Unigenitus an ein künftiges Konzil eine schwere Sünde, ja eine Häresie, und sind deshalb alle Appellanten Verdammte?

       o   Müssen einem unbußfertigen Appellanten die Sterbesakramente verweigert und muss seine Leiche in ungeweihter Erde verscharrt werden?

       o   Sind Ordensleute verpflichtet, beim Ortsbischof die Genehmigung zum Predigen und Beichthören zu erbitten?

       o   Genießt die Societas Jesu das von Gott verliehene Privileg, niemals einer Reform zu bedürfen?

       o   Hat Gregor XIII. jede Kritik an der Regel der Societas Jesu mit der Exkommunikation bedroht?

       o   Dürfen Jesuiten durch von ihnen berufene Judices Conservatores auch Bischöfe exkommunizieren?

       o   Wird vielen Sündern ihre Schuld durch die Verdienste der Societas Jesu vergeben?

       o   Sind das Bischofsamt und das Pfarramt der Kirche wesentlich, oder könnte diese auch von Apostolischen Vikaren und Jesuiten alleine betreut werden, die vom Papst dazu bevollmächtigt wären?

       o   Ist das Erzbistum Utrecht ein Teil der katholischen Kirche oder Konventikel verdammter Häretiker?

       o   Handelt die Kirche richtig, wenn nicht alle Teile der Liturgie hörbar zu sprechen sind, und wenn sie verbietet, die Liturgie in der Volkssprache zu feiern?

       o   Haben die Laien einen Anspruch darauf, in der Hl. Messe die Hl. Kommunion zu empfangen, also nicht nur vorher oder nachher vorkonsekrierte Hostien zu erhalten? ← 15 | 16 →

       o   Nehmen die Laien am Messopfer teil, oder wird dieses alleine vom Priester dargebracht?

       o   Dürfen Laien täglich kommunizieren?

       o   Ist es erlaubt, dass in einer Kirche gleichzeitig mehrere Messen gefeiert werden?

       o   Entschuldigt der unbesiegbare Irrtum, oder die unüberwindbare Unwissenheit auch bei Sünden gegen das Naturgesetz?

       o   Darf ein Gewohnheitssünder auch dann sofort in der Beichte absolviert werden, wenn eine echte Wandlung seines Lebens zum Besseren nicht angenommen werden kann?

       o   Ist das Bußsakrament auch ein Strafgericht?

       o   Genügt die Angst vor der Hölle, um in der Beichte von schweren Sünden losgesprochen zu werden, oder ist eine echte Abscheu vor dem Bösen der begangenen Tat erforderlich?

       o   Ist eine Eheschließung auch dann gültig, wenn die Zustimmung der Eltern fehlt?

       o   Darf man einer bloß schwach wahrscheinlichen Meinung folgen, um das Gebot Gottes beiseite zu lassen, für dessen konkrete Gültigkeit eine wahrscheinlichere Meinung spricht?

       o   Reicht es aus, wie Schwester Marguerite-Marie Alacoque lehrte, Gott nicht gehasst zu haben, um gerettet zu werden?

       o   Hat Gott der Schwester Marguerite-Marie Alacoque Wahrheiten geoffenbart, die bisher der Kirche unbekannt waren?

       o   Genügt es, inständig das Herz Jesu zu verehren, um seines ewigen Heiles sicher zu sein?

       o   Gewährt Jesus jedem Christen, der neun Mal am ersten Freitag des Monates kommuniziert, einen guten Tod, d.h. den würdigen Empfang der Sterbesakramente, wie es Jesus der Schwester Marguerite-Marie Alacoque versicherte?

       o   Ist das Herz Jesu vom Himmel herabgestiegen?

       o   Kann das Herz Jesu, nachdem der Erlöser von den Toten auferstanden ist, noch bluten, wie in vielen Bildern dargestellt?

       o   Soll man auch die Herzen von Maria und Joseph verehren?

       o   Hat Gott mehreren frommen Seherinnen aufgetragen, den Tod des bösen Papstes Clemens XIV. (genauer: nur des unrechten Besetzers des Papst-thrones Lorenzo Ganganelli) zu verkündigen, ebenso wie den grausamen Tod der bösen Könige, welche die Gesellschaft seines Sohnes verfolgten?

       o   Hat Gott einer dieser Seherinnen die Wahl Kardinal Braschis (oder doch zuerst Viscontis?) zum neuen, guten Papst zu verkünden aufgetragen? ← 16 | 17 →

       o   Ist die Societas, die den Namen Jesu beansprucht, oder im Gegenteil die Sekte der Jansenisten eine Offenbarung des Fürsten der Finsternis, ein Rauch, der dem Höllenschlund entstieg?

Dies sind einige der Fragen, die hier behandelt werden, und je nachdem, welche Quellen man heranzieht, werden sie verschieden beantwortet.

4. Quellen

Unsere Quellen sind vier Zeitungen und den Berichten eines Diplomaten entnommen, nämlich

       A.   dem jansenistischen Zentralorgan Nouvelles Ecclésiastiques (NNEE)

       B.   dem jesuitenkritischen Courier du Bas-Rhin (CduBR)

       C.   dem konservativen Mercure Historique et Politique (MHP)

       D.   der jesuitisch inspirierten Gazette de Cologne (GazC), und

       E.   den Berichten des jesuitenfreundlichen Tommaso Antici, dem römischen Minister der Höfe von Bonn und München.

Zu den Nouvelles Ecclésiastiques ist zu sagen, dass sie für diese Edition von vorrangiger Bedeutung sind und auch den meisten Raum einnehmen dürfen. Nur in diesem Jansenistenorgan finden wir tiefschürfende theologische Untersuchungen, die oft genug bis ins christliche Altertum hinabgreifen. Was hier über den Molinismus, den Probabilismus, über den Kult des fleischlichen Herzens Jesu und über den Venerable Palafox gesagt wird, verdient auch heute noch positive Beachtung (ungeachtet des Versinkens dieser Themen in der postkonziliären Kirche).

Zielpunkt aller Untersuchungen, die wenigstens zu einem bedeutenden Anteil von dem Pariser Priester und Baccalaureus S. Theol. Pierre-Sébastien Gourlin (1695-1775) stammen, war es, zu beweisen, dass es einen Jansenismus nie gegeben hat, sondern dass vielmehr die über eineinhalb Jahrtausende tradierte Lehre von Gott, dem Menschen, seinem Fall und seiner Erlösung, die noch auf dem Konzil von Trient selbstverständlich bestätigt wurde, von der erst kürzlich gegründeten Societas Jesu systematisch unterminiert wurde, um an die Stelle der Tradition ein neuartiges Gebilde zu setzten. Heute würde die Religionswissenschaft die Tat der Gesellschaft Jesu, die sich zwischen 1560 und 1610 vollzog, als Neuoffenbarung bezeichnen, als eine radikale Veränderung der Mutterkirche, wenn man will als gewaltige Modernisierung unter (auch nur vorläufiger) Beibehaltung des äußeren Aufbaus. ← 17 | 18 →

Wie man diesen Vorgang bewertet, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab.8 Der Historiker wird sich hier zurückhalten, muss aber feststellen, dass die Societas Jesu einen äußerst massiven Führungsanspruch erhob, der die alten Kräfte, wie die monastischen Orden, beiseiteschob, die anderen Reformkräfte, wie z.B. die Oratorianer, Piaristen und auch die Reformzisterzienserinnen von Port-Royal als niederzuringende Feinde betrachtete, ebenso wie alle jene Universitäten, die ihnen keine Führungsrolle einräumten, wie dies besonders in Paris und Löwen der Fall war. Außerdem war die Feindschaft der Jesuiten gegenüber den Dominikanern von Anfang an gegeben und unheilbar, denn beide Orden erhoben einen absoluten Führungsanspruch in der katholischen Kirche.9

Die Berichte aus Rom der Nouvelles Ecclésiastiques kann man nur selten bestimmten Personen zuordnen, z.B. den beiden jansenistischen Emissären Clément und du Coudray in den 60er Jahren.10 Das jansenistische Milieu in Rom und seine Gegner sind inzwischen von Dammig und Stella, von Rosa und Caffiero, von Boutry und Pavone intensiv erforscht worden. Ein wichtiger Informant dürfte der Direktor der Druckerei der Propaganda Fidei, Amaduzzi, gewesen sein. Vieles findet man aus der Umgebung Mario Marefoschis, der nach dem Tode Kard. Passioneis (1761) der ranghöchste Jansenist von Rom war.

Kardinal Marefoschi ist jene Person, die in den Mittelpunkt dieser Edition gestellt wurde. Marquis d‘Aubeterre, der französische Botschafter, erzählte, dass dieser aus dem Nachlaß Passioneis die Sammlung von Porträt-Kupferstichen der führenden Theologen von Port-Royal erworben habe und sich dieses Besitzes offen rühme.11 In unserer Edition werden alle Artikel und Berichte, in denen Marefoschi erwähnt wird, bevorzugt herausgegeben. Neben Marefoschi beachten wir besonders Mons. Diomede Carafa di Columbrano, einen zweiten echten Jansenisten in der Kurie, sowie die Monsignori Onofrio Alfani12 und Alessandro Macedonio, welche ← 18 | 19 → keine Jansenisten waren, wohl aber enge Mitarbeiter des Papstes bei der Abolitio Societatis.

Ansonsten wird von Fall zu Fall angegeben, wer eventuell ein Korrespondent der Nouvelles Ecclésiastiques gewesen sein könnte. Da es kein Archiv dieser Zeitung gibt, werden wir hier nicht mehr viel Näheres erfahren. Seit den 1770er Jahren haben wir zweifellos viele Beiträge von Martino Natali Scholarum Piarum, der als Professor in Pavia eine führende Rolle in der Reformbewegung der Lombardei zur Zeiten von Kaunitz und Firmian spielte, während die 60er Jahre in Rom sicherlich noch von dem Kreis um Bottari durch Briefe nach Paris dargestellt wurden. Übrigens ist die Verfasserfrage bei den Artikeln der Nouvelles Ecclésiastiques nicht so vorrangig, wie z.B. bei einem Text der Dichtkunst oder der politischen Entscheidungsebene: alle Autoren dieser Zeitung vertraten den „jansenistischen“ Schulstandpunkt. Das gleiche gilt entsprechend für die jesuitischen Broschürenschreiber: es ist nicht wirklich unverzichtbar zu wissen, ob eine bestimmte Broschüre von Faure, Zaccaria, Cordara, Benvenuti, Asquasciati, Scarponia, Lazeri oder Stefanucci stammte; wenigstens in ihrem Abwehrkampf stimmten sie alle überein. Nur die Gruppe muss man jeweils zweifelsfrei klären, um ein volles Verständnis zu gewinnen.

Über Tommaso Antici (1731-1812) wurde im ersten Teil dieses Projekts, dem Horreur des Jésuites, schon ausführlich berichtet.13 Der Patrizier aus Recanati, zu dessen Milieu auch die Familie Leopardi gehörte – in diesem stadtadligen Milieu des Kirchenstaates gehörten literarische Ambition zum kulturellen Kodex14 – war eng mit der Papstfamilie Rezzonico und Kardinal-Staatssekretär Torrigiani verbunden, denen er offensichtlich seine Position als diplomatischer Minister von Polen, Kurpfalz, Kurbayern, Kurköln und Lüttich verdankte. Mit sehr kleinen Vorbehalten war er ein entschiedener Jesuitenfreund. Seine Beurteilung Clemens XIV. war entsprechend: aus hoffnungsvollen Anfängen entwickelte er sich durch Missachtung des Kardinalskollegium schrittweise zum Tyrannen, der durch seine autokratische Regierungsform, seinen immer boshafteren Jesuitenverfolgungen und am Ende mit „sullanischen“ Verhaftungswellen jede Achtung der römischen Elite und jedes Vertrauen des Volkes verlor und dessen Tod am Ende von allen ← 19 | 20 → sehnsüchtig erwartet wurde. Antici scheint sogar die Prophezeiungen der Seherinnen von Valentano gegen den Papst befürwortet zu haben, wenngleich er sich offiziell, aber doch nur zum Schein, von diesen Umtrieben distanzierte.

Antici bringt sehr viele sonst unbekannte Details von großem Wert, mit theologischen Traktaten ist er seinen Auftraggebern, dem Kurfürsten von Köln Max Friedrich15 und dem Kurfürsten von Bayern, Maximilian III. Joseph,16 nicht lästig gefallen. Die Berichterstattung nach Bayern wurde herangezogen, weil in derjenigen an den kurkölnischen Hof in Bonn große Zeitabschnitte aus den Jahren 1773-74 fehlen.

Zu Anticis Berichten ist zu sagen, dass sie stets nur in Auszügen ediert werden. Denn, völlig im Rahmen frühneuzeitlicher diplomatischer Berichte, erfasste der kurkölnische, kurpfälzische und kurbayerische Minister nicht nur politisch wichtige Vorgänge im Quirinal, sondern auch dynastisch-familiäre Ereignisse aller Art, Festivitäten, Theateraufführungen, Reisen großer Herren und fürstlicher Damen, Geburten und Todesfälle usw. Einen großen Raum nehmen Berichte aus dem Orient ein, besonders seit dem Ausbruch des russisch-türkischen Krieges, aber auch aus der italienischen Staatenwelt, bis hin zu Zeremonialstreitigkeiten, die auch in der Epoche der Hochaufklärung von Zeit zu Zeit aufflammten.17

Alle diese Teile, ebenso wie die Anrede- und Schlussformeln in den Berichten Anticis werden weggelassen oder nur kurz regestiert. Besonders entfallen ← 20 | 21 → auch die sog. Zeitungsberichte aus Rom, Venedig, Konstantinopel, Izmir, Malta, Palermo oder Brindisi und Otranto, die über den Krieg im Mittelmeer Kunde geben, und die gar nicht von Antici stammen, sondern nur seinen Berichten beigelegt wurden. Anticis Kenntnisse über die innerkirchlichen Vorgänge stammen hingegen aus erstrangigen Quellen, nämlich der Familie Rezzonico, Torrigiani und sicher auch anderen Kardinälen der Jesuitenpartei, wie seinem alten Gönner de Rossi. Persönliche Beziehungen zu einzelnen Jesuiten nennt er nicht, es muss sie aber gegeben haben, denn gelegentlich kennt er Quellen, die nur von ihnen stammen können.18

Die Berichterstattung über die diplomatischen Verhandlungen zwischen Clemens XIV. und den bourbonischen Mächten wird hier nicht vorrangig dokumentiert, erstens weil Antici, aber auch die Redakteure der ausgewerteten Zeitungen darüber nur schlecht informiert waren, zweitens aber, weil dieser Gesamtzusammenhang schon sehr lange genau und hingebungsvoll erforscht wurde. Berichte des Kard. De Bernis waren seit 1818 bekannt,19 die Forscher-generation um 1846-1856, also Crétineau-Joly, Theiner, Ravignan, Boero, Danvila y Colládo hat eigentlich schon alles wichtige dazu eruiert, und wenn das Werk Pastors in seinem Band XVI/2 einen Vorzug hat, dann den, dass die sogenannte große Politik dort im Grunde abschließend, natürlich vom Standpunkt der Verfasser aus, behandelt wurde. Dass es dazu neue Editionen gibt, ist dennoch begrüßenswert. So erkennt man aus der neuesten Hauptquelle, den Berichten Moninos von 1772 bis 1774 manches, was in der punktuellen Heranziehung durch ältere Autoren undeutlich oder sogar schief beurteilt blieb.

Der Courier du Bas-Rhin stand unter der Leitung des Piemontesen Jean Manzon, der angeblich Jesuitennovize gewesen ist, sicher aber einen Teil seiner Erziehung unter ihrer Anleitung verbrachte. Er verfügte über ausgezeichnet unterrichtete Korrespondenten in Rom, die tiefe Einblicke gewährten, die wir aber noch weniger deutlich ausmachen können als die der Nouvelles Ecclésiastiques, oder vielmehr gar nicht. Der Editor vermutet, dass er irgendwie von Kard. De Bernis „gefüttert“ wurde. Er vertrat im Sinne seines Auftraggebers, König Friedrichs II. von Preußen, eine gemäßigte Aufklärung, also eine solche, die den Menschen nicht bloß als eine materielle Maschine auffasste. Seine Jesuiten-feindschaft ist dennoch stark, aber nicht so eschatologisch aufgeladen wie diejenige der Nouvelles Ecclésiastiques.

Sein Hauptvorwurf lautete: Herrschsucht und Hochmut! Er hätte sich wohl mit einer kraftvollen Reform des Jesuitenordens begnügt, z.B. der Abschaffung des Zentralismus in der Ordensführung, einer Autonomie der Provinzen, wohl auch der einzelnen Häuser und Kollegien, der effektiven Entfernung der Jesuiten von den Höfen, einer Beseitigung ihrer Vorherrschaft an vielen Universitäten und generell einer ← 21 | 22 → Einschränkung ihrer Dominanz im Bildungssystem katholischer Staaten, kurz, einem Ende ihres politischen Einflusses und der innerkirchlichen Herrschaft über Päpste und Bischöfe.20 Manzon hat in dieser Richtung eine anonyme Denkschrift veröffentlicht, in ← 22 | 23 → der eine allgemeine Reform des gesamten Ordenswesens entworfen wurde. Danach sollte es nur noch vier katholische Orden geben: erstens einen monastischen Orden zur Pflege der Liturgie und für gelehrte Studien, zweitens einen Seelsorge- und Predigtorden, drittens einen Schulorden und viertens einen Orden für Krankenpflege.21

Eine Lieblingsfeindin Manzons war die Gazette de Cologne, wo der Ex-Jesuit Jacques d‘Ambrin22 (alias Dambrin) gelegentlich römische Korrespondenzen, vermutlich von P. Zaccaria, in seine Suppléments aufnahm. Ihre Zahl ist gering und ihr Inhalt nicht sensationell. Aber man erfährt gelegentlich Umstände, die sonst nicht berichtet werden. Eine besondere polemische Zuspitzung konnte der Editor nicht finden, aber unter dem aufgeklärten Absolutismus war jede noch so bescheidene Kritik an Regierungsentscheidungen, wie z.B. der Abolitio Societatis, verboten.

Der Mercure Historique et Politique war ein altangesehenes Monatsblatt aus Leiden,23 das gerne umfangreiche Dokumente abdruckte. Nirgendwo findet man so kompakt die Anti-Jesuitenpolitik der französischen Parlamente ausgebreitet wie hier. Die Berichte aus Rom erinnern an die Diktion der bourbonischen Anti-Jesuiten-Diplomatie, also an den Duc de Choiseul und den Kard. de Bernis. Der Redakteur, der in fast der gesamten Epoche, die wir behandeln, sein Anonymat streng bewahren konnte, dürfte Beziehungen zur französischen Regierung gehabt haben, vielleicht von dort subventioniert worden sein. Auch Spanien wird wohlwollend behandelt, nicht weniger Neapel-Sizilien. Dementsprechend war die Hochzeit des Dauphin Louis mit der Kaisertocher Marie-Antoinette Gegenstand einer begeistert huldigenden Berichterstattung.24 Theologica findet man nur bei der Verurteilung jesuitischer Bücher. Der römische Hof wird genau, ohne Wohlwollen, aber auch ohne Verleumdung beobachtet. Der Ton bleibt immer im Rahmen der internationalen Diplomatie und der aristokratischen Hofberichterstattung. ← 23 | 24 →

5. Auswahlprinzipien und Schwerpunkte

Dies sind die Quellen, aus denen unsere Edition ausgewählt wurde. Ausgeschlossen wurden Texte, die in keinem Bezug zu Rom stehen und die sich gar nicht mit den theologischen Debatten befassen. Damit ist auch gesagt, dass bevorzugt Quellen vorgelegt werden, die sich mit den Protagonisten der Kämpfe beschäftigen, als da sind die Jesuitenfreunde Clemens XIII., Torrigiani, Castelli, Antici, die Theologen jesuitischer Herkunft oder Prägung wie G.B. Faure, Zaccaria und ältere wie Tournely und viele andere, und die Jesuitenfeinde Kard. Marefoschi, York, Malvezzi, die Monsignori Carafa, Alfani und Macedonio und die Patres Mamachi, Giorgi, Dinelli, Natali und auch viele andere.

Weit umfangreicher als die personengeschichtlichen Texte sind allerdings die theologischen Debatten, die hier wieder ans Licht gehoben werden. Sie fußen auf der heute nur noch schwer nachzuvollziehenden Verurteilung von 101 Sätzen aus dem Hauptwerk des Oratorianers Pasquier Quesnel (1634-1719)25 durch die Bulle Unigenitus von 1713. Verständlich wird diese Verurteilung, die zu den ganz großen der katholischen Kirche gehört, vergleichbar nur der Bulle Auctorem fidei von 1794, dem Syllabus errorum von 1864 und Humani generis von 1950, nur, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ihr Ziel die Dogmatisierung des Molinismus und die Verdammung des Augustinismus war. Erinnern wir uns daher an die leicht verständlichen Sätze 2 bis 4:

       „2.  Iesu Christi gratia, principium efficax boni cuiuscunque generis, necessaria est ad omne opus bonum; absque illa non solum nihil fit, sed nec fieri potest.

        3.  In vanum, Domine, praecipis, si tu ipse non das, quod praecipis.

        4.  Ita, Domine, omnia possibilia sunt ei, cui omnia possibilia facis, eadem operando in illo.“

Das sollten Häresien sein? Den Jansenisten fiel es wahrlich nicht schwer, nicht nur viele direkte Zitate aus den Werken des Hl. Augustinus, sondern auch aus der ganzen Tradition der Kirche inklusive der Messliturgie vorzulegen, die dieser Auffassung der göttlichen Gnade genau entsprachen.26 Unigenitus war der abschließende Ansturm der Jesuiten (hauptsächlich der französischen), ihre Schultheologie, in der nicht nur eine protestantische, sondern jede Gnadenlehre eliminiert worden war, um einem universalen Humanismus Platz zu machen, zum Dogma zu erheben. Auch hier blieben sie langfristig erfolgreich, wenn man beobachtet, dass in der heutigen alltäglichen Verkündigung der Kirche die Gnadenlehre de facto verschwunden ist. Sie mag in gelehrten Monographien und wissenschaftlichen Convegni noch gelegentlich behandelt werden, in den Predigten vor dem Volk taucht sie nicht mehr auf. ← 24 | 25 →

6. Kommentierung der Texte

Hierbei hat sich der Editor gewisse Freiheiten genommen, auf der anderen Seite aber versucht, neue Wege zu beschreiten, die er dem Internet verdankt, und bei der eigentlichen Kommentierung, d.h. bei der Erklärung nicht sofort verständlicher Texte keine Mühe zu scheuen.

Gewisse Freiheiten: sehr bekannte Personen, wie Augustinus, Thomas von Aquin, Ignatius von Loyola, Pascal, oder Ludwig XV., Maria Theresia oder Katharina die Große werden nicht weiter kommentiert.

Bei Kardinälen genügt ganz generell der Hinweis auf Salvatore Mirandas Jahrhundertwerk The Cardinals oft he Holy Roman Church, in dem jenes Lexicon Cardinalium, das ich 1994 in meinem Senatus Divinus ersehnte, in perfekter Weise realisiert wurde. Man gibt einfach in der Suchmaschine den eben genannten Titel ein und findet sowohl eine chronologische wie eine alphabetische Liste. Die Reichhaltigkeit der Angaben ist überzeugend. Dass dieses Werk von Miami aus begonnen und vollendet wurde, beweist mir, dass die Kandelaber der Wissenschaft von den römischen Forschungsinstituten von oben her weggenommen und anderen gegeben wurden. Wenn ich etwas zu Kardinälen sage, dann nur, um bestimmte Texte besser verständlich zu machen.

Kirchenväterzitate werden oft, nicht immer verifiziert. Meistens werden Augustinuszitate in den Nouvelles Ecclésiastiques ohnehin genau nach Werk, Buch und Kapitel zitiert, so dass der Benutzer ebenfalls im Internet, wo Augustinus ganz digitalisiert ist, sich relativ mühelos orientieren kann.

Positiv wirkt sich aus, dass mir die Bände der Arbeitsgruppe Hubert Wolf und Herman H. Schwedt zur Verfügung standen, die für das 18. Jahrhundert komplett vorliegen, also sowohl die Prosopographie als auch die Sitzungsprotokolle und die Bandi der Inquisition und der Indexkongregation. Damit konnten die Bio-Bibliographien der Mitglieder dieser beiden römischen Glaubensgerichte, sowohl der Kardinäle als auch der Konsultoren, lückenlos erfasst werden. Aber auch die genauen Daten zur Indizierung von hier ausführlich behandelten Theologen, z.B. des Bischofs Duc de Fitz-James, der Ordenstheologen Berruyer SJ, Nannaroni OP und Natali Scholarum Piarum sowie des Akolyten Mesenguy findet man hier mitsamt den Namen der Gutachter, welche bisher gänzlich unbekannt waren.

Aber es gab auch Theologen, die hier nicht hingehörten, aber doch in Rom eine respektable Stelle einnahmen, z.B. als Konsultoren der Ritenkongregation (die wegen der dort laufenden Heiligsprechungsprozesse sehr wichtig war). Dann die Professoren an der Sapienza, am Propagandakolleg, am Collegio Romano, im Collegio Casanatense usw., die auch nur zum Teil bei Wolf und Schwedt greifbar sind. Hier hilft ein ziemlich neues Internethilfsmittel, nämlich: Claudio De Dominicis, Chi era chi? Es handelt sich um ein fast 1000 Seiten starkes Werk, welches innerhalb eines noch viel größeren Gesamtprojektes zur kurialen Prosopographie eine vollständige Erfassung der Notizie per l‘anno von 1716 bis ← 25 | 26 → 1798 bietet, und zwar sowohl alphabetisch nach Personen, als auch chronologisch nach Ämtern.27

Die Werke von Wolf/Schwedt und De Dominicis erleichtern die Personen-forschung enorm. Dass sich jeder Kirchenhistoriker des 17. bis 19. Jahrhundert die entsprechenden Arbeiten des Herausgebers dieser Edition anschaffen muss, versteht sich ja von selbst.

Ein Werk höchster Qualität und schwerem Gewicht wurde uns 2004 in die Hände gelegt: Dictionnaire de Port-Royal, élaboré sous la direction de Jean Lesaulnier et Antony McKenna, Paris Honoré Champion Editeur, pp. 1176. Dieses Kollektivwerk zahlreicher Forscher ist so groß und schwer, dass man dazu eigentlich ein Lesepult benötigt, insbesondere man es nicht mit einer Hand alleine tragen kann. Der Inhalt ist absolut erschöpfend, jedoch endet der Berichtszeitraum mit der Zerstörung Port-Royals. Für die häufigen Bezüge, die in unseren Texten auch zur Epoche vor 1709 angesprochen werden, besonders hinsichtlich Jansenius‘, Palafox‘ und vieler Theologen, die auch noch in der Unigenitus-Epoche tätig waren, ist dieses ca. 350 Euro teure Werk eine große Bereicherung. Wenn man eine Kritik anbringen muss, dann nur diese: die Gegner von Port-Royal werden nicht behandelt! Dadurch entsteht eine inhaltliche Lücke, die schwer zu füllen ist.28

Zwei ganz frische Editionen aus Spanien, näherhin von der Universität Alicante, bereichern unser Wissen, in allerdings unterschiedlicher Dichte: die Tagebücher des Jesuiten Manuel Luengo für das Jahr 1773, und die Berichte Moimgimgnos vom Juli 1772 bis zum September 1774. Das erstgenannte Buch bietet eine wirklich intensive Darlegung der Sichtweise der Jesuiten mit weitausholenden Reflexionen und härtesten Werturteilen gegen die Jesuitenfeinde, deren Handlungen als diabolisch und infernal verurteilt werden, insbesondere die Untaten und Grausamkeiten der Kardinäle Malvezzi und Marefoschi.29 Aber auch die ← 26 | 27 → Politik der Ordensleitung, besonders des Generals Lorenzo de’Ricci und des Assistenten für Spanien Francisco Montes, findet eine respektvolle, inhaltlich aber scharfe Kritik. Manuel Luengo (1735-1816) ist für die Vorgänge in Bologna künftig die vorrangige Quelle. Aber auch für die Visitation des Seminario Romano, die fünf „infernalen“ Kardinäle der Congregatio postjesuitica usw. ist er ein überragender, wenngleich unverholen parteiischer Zeuge.

Man müsste ihn eigentlich Blatt für Blatt mit den hier edierten Texten vergleichen, was nicht Aufgabe des Editors sein kann. Ich verweise daher ein für allemal auf diese bedeutende Edition und zitiere sie da, wo es notwendig ist. Nebenbei bemerkt, bestätigt Luengo, der sein Tagebuch von 1767 bis 1814 führte,30 also noch die Resurrectio Societatis erlebte, jenen merkwürdigen Sachverhalt, der so schwer zu verstehen ist: die völlige Abwesenheit auch nur eines Schimmers von Selbstkritik bezüglich seines Ordens, oder – wenn das schon zu viel verlangt wäre – einer Ahnung von Begreifen der Gegner der Societas. Auch das eigene Handeln der jesuitischen Polemiker wird nie in Frage gestellt. Dass jesuitische Kampfbroschüren schwerste Verleumdungen des Palafox enthielten, bemerkt er gar nicht, ein gefälschter Hirtenbrief des Erzbischofs von Utrecht wird als gelungener Angriff betrachtet: gegenüber Feinden der Societas war, wenigstens literarisch, alles erlaubt. Man kann sich dabei nicht des Eindrucks erwehren, als ob die Jesuitenpolemik letzten Endes der Ermutigung und Belustigung der eigenen Seite gedient habe, nicht wirklich dem Versuch, die Gegner zu überzeugen.

Details

Seiten
639
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653069204
ISBN (ePUB)
9783653957587
ISBN (MOBI)
9783653957570
ISBN (Hardcover)
9783631675304
DOI
10.3726/978-3-653-06920-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Jesuiten Papstgeschichte Moraltheologie Jansenisten
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 639 S., 16 s/w Abb.

Biographische Angaben

Christoph Weber (Band-Herausgeber:in)

Christoph Weber studierte Katholische Theologie, Philosophie sowie Mittelalterliche und Neuere Geschichte an den Universitäten Bonn und Trier. Er war Professor für Neuere Geschichte an der Universität Düsseldorf und publiziert insbesondere zur neuzeitlichen Papst- und Kirchengeschichte.

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Titel: La Pureté du Dogme et de la Morale
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