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Stadtbürgerliche Verwandtschaft und kirchliche Macht

Karrieren und Netzwerke Lübecker Domherren zwischen 1400 und 1530

von Anja Voßhall (Autor:in)
©2016 Dissertation 712 Seiten
Reihe: Kieler Werkstücke, Band 12

Zusammenfassung

Diese Untersuchung folgt der jüngeren Dom- und Stiftskapitelforschung, die sich der Verflechtungsanalyse bedient. Die Studie wendet diesen sozialgeschichtlichen Forschungsansatz erstmals auf ein norddeutsches, stadtbürgerlich geprägtes Domkapitel an. Die übergeordnete These fragt nach den Besetzungsmechanismen am Lübecker Kapitel zwischen 1400 und 1530. Auf der Grundlage eines Personenkatalogs werden Herkunft und Karrieren der Domherren untersucht. Wesentlichen Anteil nimmt die Analyse der sozialen Verflechtungen der Kleriker in Lübeck, in der Region, an den Universitäten und in Rom. Der päpstliche Einfluss und die Präsenz der Kanoniker am Tiber wird erstmals gleichgewichtet berücksichtigt. So gelingt es, das Bild der «Kurienferne» für das Lübecker Domkapitel deutlich zu korrigieren.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • A. Einleitung
  • A.I Forschungsstand
  • A.II Quellenlage
  • A.III Fragestellung und Vorgehensweise
  • B. Das Domkapitel als Stift in der Stadt
  • B.I Verwandtschaft als Chance – Die Lübecker Führungsgruppen im Domkapitel
  • B.I.1 Kanoniker aus Lübecker Familien zu Beginn des 15. Jahrhunderts
  • B.I.1.1 Die Familien Pleskow, Schepenstede und von Calven
  • B.I.1.2 Die Bergenfahrer-Familien Ossenbrügge, Paal und Lange
  • B.I.2 Kanoniker aus Lübecker Familien um die Mitte des 15. Jahrhunderts
  • B.I.3 Kanoniker aus Lübecker Familien am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts
  • B.I.4 Ein Sonderfall: Das Besetzungsrecht der Familie Warendorp
  • B.I.5 de civitate Lubicensi oriundus – Die Bischöfe Arnold und Wilhelm Westphal
  • B.I.6 Überlegungen zur Absenz einiger Ratsfamilien im Domkapitel
  • B.II Abseits des Rates – Karrieren stadtbürgerlicher Kanoniker
  • B.III Domkapitulare als Amtsträger der Stadt Lübeck
  • B.IV Einfluss des Stadtherrn? Der römisch-deutsche König und die Lübecker Domkapitulare
  • B.V Zwischenfazit
  • C. Das Domkapitel als Stift in der Region
  • C.I Benachbarte Städte
  • C.I.1 Lüneburger im Lübecker Domkapitel
  • C.I.1.1 Vier Lüneburger – ein Netzwerk?
  • C.I.1.2 Der Lüneburger Prälatenkrieg und die Folgen
  • C.I.2 Hamburger im Lübecker Domkapitel
  • C.I.3 Landsmannschaft als Chance? Hannoveraner im Lübecker Domkapitel
  • C.II Der regionale Adel und das Lübecker Domkapitel
  • C.II.1 Adlige als Mitglieder im Lübecker Domkapitel
  • C.II.2 Lübecker Domkapitulare als Amtsträger weltlicher Herren
  • C.III Zwischenfazit
  • D. Die Universitäten
  • D.I Studienverhalten – Gelehrte als neue soziale Gruppe
  • D.I.1 Studienorte, Studienfächer, Studienabschlüsse
  • D.I.2 Lübecker Kanoniker als Funktionsträger an Universitäten
  • D.II Die Universitäten als Ort der Vernetzung
  • D.II.1 Landsmannschaften und Bekanntschaften an Universitäten
  • D.II.2 Die Gründungen der Universitäten Rostock und Greifswald
  • D.III Studienförderung und Stipendienstiftungen
  • D.IV Zwischenfazit
  • E. Die päpstliche Kurie und Rom
  • E.I Das Provisionswesen
  • E.I.1 super canonicatu et prebenda Lubicen(sibus) – Lübecker Kanonikate auf dem Pfründenmarkt
  • E.I.1.1 Das Ende des Großen Schismas und die Jahre des Konstanzer Konzils (1400–1417)
  • E.I.1.2 Die Pontifikate Martins V. und Eugens IV. (1418–1447)
  • E.I.1.3 Von Nikolaus V. bis Paul II. (1447–1471)
  • E.I.1.4 Das ausgehende 15. Jahrhundert (1471–1503)
  • E.I.1.5 Die Jahre vor der Reformation (1503–1530)
  • E.I.1.6 Entwicklungslinien vom Anteil Lübecker Kanonikate auf dem Pfründenmarkt
  • E.I.1.7 Erfolglose Pfründenanwärter
  • E.I.2 Päpstliche Dispense und Absolutionen
  • E.I.3 Lübecker Kanoniker als kuriale Funktionsträger
  • E.I.3.1 Die Präsenz von Kurialen im Domkapitel
  • E.I.3.2 Hermann Dwerg
  • E.I.3.3 Johannes Walling
  • E.II Kommunikation, Interaktion und soziale Verflechtung – die Kurie und der Stadtraum Rom
  • E.II.1 Soziale Verflechtungen an der Kurie und in Rom
  • E.II.1.1 Patron-Klient-Verhältnisse
  • E.II.1.2 Bekanntschaften und Geschäftspartner
  • E.II.2 S. Maria dell’Anima und der rione Parione
  • E.II.3 Vier Lübecker Kanoniker zusammen in Rom – Dietrich von Calven, Heinrich Pomert, Heinrich Gherwer und Dietrich Clinckrade
  • E.II.4 Der Kurienvertreter Thomas Giese aus Lübeck
  • E.II.5 Bernhard Schulteti – ein Kurialer zu Beginn des 16. Jahrhunderts
  • E.III Nicht nur ein Zwischenfazit – Zur ‚Kuriennähe‘ und ‚Kurienferne‘ der Hansestadt Lübeck
  • F. Schluss
  • G. Abkürzungsverzeichnis
  • H. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • H.I Ungedruckte Quellen
  • Archiv des Anima-Kollegs, Rom:
  • Archivio Segreto Vaticano, Città del Vaticano (ASV)
  • Archivio Capitolino, Rom (AC)
  • Archiv der Hansestadt Lübeck (AHL)
  • Landesarchiv Schleswig
  • Stadtarchiv Hamburg
  • H.II Gedruckte Quellen
  • Universitätsbibliothek zu Kiel
  • Quelleneditionen:
  • H.III Literatur
  • H.IV Internetseiten
  • I. Anhang: Personenkatalog
  • J. Register
  • Personenregister
  • Ortsregister

Anja Voßhall

Stadtbürgerliche Verwandtschaft und kirchliche Macht

Karrieren und Netzwerke Lübecker Domherren zwischen 1400 und 1530

Autorenangaben

Anja Voßhall studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Neue deutsche Literatur- und Medienwissenschaften und Soziologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie war mehrere Jahre als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Kiel tätig und Stipendiatin des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

Über das Buch

Diese Untersuchung folgt der jüngeren Dom- und Stiftskapitelforschung, die sich der Verflechtungsanalyse bedient. Die Studie wendet diesen sozialgeschichtlichen Forschungsansatz erstmals auf ein norddeutsches, stadtbürgerlich geprägtes Domkapitel an. Die übergeordnete These fragt nach den Besetzungsmechanismen am Lübecker Kapitel zwischen 1400 und 1530. Auf der Grundlage eines Personenkatalogs werden Herkunft und Karrieren der Domherren untersucht. Wesentlichen Anteil nimmt die Analyse der sozialen Verflechtungen der Kleriker in Lübeck, in der Region, an den Universitäten und in Rom. Der päpstliche Einfluss und die Präsenz der Kanoniker am Tiber wird erstmals gleichgewichtet berücksichtigt. So gelingt es, das Bild der „Kurienferne“ für das Lübecker Domkapitel deutlich zu korrigieren.

Zitierfähigkeit des eBooks

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

A. Einleitung

A.I Forschungsstand

A.II Quellenlage

A.III Fragestellung und Vorgehensweise

B. Das Domkapitel als Stift in der Stadt

B.I Verwandtschaft als Chance – Die Lübecker Führungsgruppen im Domkapitel

B.I.1 Kanoniker aus Lübecker Familien zu Beginn
des 15. Jahrhunderts

B.I.1.1 Die Familien Pleskow, Schepenstede und
von Calven

B.I.1.2 Die Bergenfahrer-Familien Ossenbrügge,
Paal und Lange

B.I.2 Kanoniker aus Lübecker Familien um die Mitte
des 15. Jahrhunderts

B.I.3 Kanoniker aus Lübecker Familien am Ende
des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts

B.I.4 Ein Sonderfall: Das Besetzungsrecht der Familie Warendorp

B.I.5 de civitate Lubicensi oriundus – Die Bischöfe Arnold und Wilhelm Westphal

B.I.6 Überlegungen zur Absenz einiger Ratsfamilien im Domkapitel

B.II Abseits des Rates – Karrieren stadtbürgerlicher Kanoniker

B.III Domkapitulare als Amtsträger der Stadt Lübeck

B.IV Einfluss des Stadtherrn? Der römisch-deutsche König und die Lübecker Domkapitulare

B.V Zwischenfazit←5 | 6→

C. Das Domkapitel als Stift in der Region

C.I Benachbarte Städte

C.I.1 Lüneburger im Lübecker Domkapitel

C.I.1.1 Vier Lüneburger – ein Netzwerk?

C.I.1.2 Der Lüneburger Prälatenkrieg und die Folgen

C.I.2 Hamburger im Lübecker Domkapitel

C.I.3 Landsmannschaft als Chance? Hannoveraner im Lübecker Domkapitel

C.II Der regionale Adel und das Lübecker Domkapitel

C.II.1 Adlige als Mitglieder im Lübecker Domkapitel

C.II.2 Lübecker Domkapitulare als Amtsträger weltlicher Herren

C.III Zwischenfazit

D. Die Universitäten

D.I Studienverhalten – Gelehrte als neue soziale Gruppe

D.I.1 Studienorte, Studienfächer, Studienabschlüsse

D.I.2 Lübecker Kanoniker als Funktionsträger an Universitäten

D.II Die Universitäten als Ort der Vernetzung

D.II.1 Landsmannschaften und Bekanntschaften an Universitäten

D.II.2 Die Gründungen der Universitäten Rostock und Greifswald

D.III Studienförderung und Stipendienstiftungen

D.IV Zwischenfazit

E. Die päpstliche Kurie und Rom

E.I Das Provisionswesen

E.I.1 super canonicatu et prebenda Lubicen(sibus) – Lübecker Kanonikate auf dem Pfründenmarkt

E.I.1.1 Das Ende des Großen Schismas und die Jahre des Konstanzer Konzils (1400–1417)

E.I.1.2 Die Pontifikate Martins V. und Eugens IV. (1418–1447)

E.I.1.3 Von Nikolaus V. bis Paul II. (1447–1471)←6 | 7→

E.I.1.4 Das ausgehende 15. Jahrhundert (1471–1503)

E.I.1.5 Die Jahre vor der Reformation (1503–1530)

E.I.1.6 Entwicklungslinien vom Anteil Lübecker Kanonikate auf dem Pfründenmarkt

E.I.1.7 Erfolglose Pfründenanwärter

E.I.2 Päpstliche Dispense und Absolutionen

E.I.3 Lübecker Kanoniker als kuriale Funktionsträger

E.I.3.1 Die Präsenz von Kurialen im Domkapitel

E.I.3.2 Hermann Dwerg

E.I.3.3 Johannes Walling

E.II Kommunikation, Interaktion und soziale Verflechtung –
die Kurie und der Stadtraum Rom

E.II.1 Soziale Verflechtungen an der Kurie und in Rom

E.II.1.1 Patron-Klient-Verhältnisse

E.II.1.2 Bekanntschaften und Geschäftspartner

E.II.2 S. Maria dell’Anima und der rione Parione

E.II.3 Vier Lübecker Kanoniker zusammen in Rom – Dietrich von Calven, Heinrich Pomert, Heinrich Gherwer und Dietrich Clinckrade

E.II.4 Der Kurienvertreter Thomas Giese aus Lübeck

E.II.5 Bernhard Schulteti – ein Kurialer zu Beginn
des 16. Jahrhunderts

E.III Nicht nur ein Zwischenfazit – Zur ‚Kuriennähe‘
und ‚Kurienferne‘ der Hansestadt Lübeck

F. Schluss

G. Abkürzungsverzeichnis

H. Quellen- und Literaturverzeichnis

H.I Ungedruckte Quellen

H.II Gedruckte Quellen

H.III Literatur

H.IV Internetseiten ←7 | 8→

I. Anhang: Personenkatalog

J. Register

Personenregister

Ortsregister←8 | 9→

Vorwort

Auf dem Rückweg einer Vorlesung im schleswig-holsteinischen Regen sprachen Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Gerhard Fouquet und ich über ein Thema für meine Magisterarbeit. Als ich mein Interesse an Lübeck und an Kirchengeschichte erwähnte, schlug Herr Fouquet umgehend vor, mir doch einmal das sozialgeschichtlich noch wenig erforschte Domkapitel der Hansestadt anzuschauen. Dass sich mir durch diese Idee eine so spannende Welt eröffnen würde, die mich von der Trave an den Tiber und wieder zurück führen sollte und für welche die Seiten einer Magisterarbeit in keiner Weise ausreichten, ahnte ich in diesem Regenschauer gewiss nicht.

Nicht nur für diesen Vorschlag, noch viel mehr für die Unterstützung, die Anteilnahme und die stets offene Tür möchte ich meinem Doktorvater von Herzen danken. Nicht zuletzt möchte ich ihm auch für die Aufnahme in diese Schriftenreihe und für die Geduld Dank sagen, die er aufbrachte, als sich die Drucklegung durch andere Jobs und die Elternzeit für eine so lange Zeit hinzog. Für die Übernahme des Koreferates danke ich Prof. Dr. Oliver Auge.

Besonders danken möchte ich auch der Possehl-Stiftung in Lübeck, durch welche die Erstellung des Personenkataloges ein halbes Jahr lang gefördert wurde. Auch den Mitarbeitern des Archivs der Hansestadt Lübeck ist ein herzlicher Dank auszusprechen.

Dem DHI schulde ich meinen Dank für die Gewährung eines Stipendiums. Auch für die interessierten und hilfreichen Gespräche und Ratschläge danke ich dem damaligen Direktor Prof. Dr. Michael Matheus. An die fröhliche Gesellschaft und die Hilfe von Dr. Kerstin Rahn und Dr. Eberhard Nikitsch in den römischen Archiven denke ich stets dankbar und mit Freude zurück. Zudem danke ich Prof. Dr. Ludwig Schmugge für seine Geduld und kostbaren Hinweise, ohne welche die vatikanischen Quellen alle zugleich auf mich eingestürzt wären. Auch die Mitarbeiter des Archivio Segreto Vaticano unterstützten mein Projekt. Die Zeit in der Ewigen Stadt hat die Arbeit wesentlich vorangebracht.

Frau Prof. Dr. Birgit Studt, Freiburg, Herrn Prof. Dr. Matthias Thumser, Berlin, Herrn Prof. Dr. Achim Hack und Herrn PD Dr. Robert Gramsch, beide Jena, danke ich für die Einladungen in ihre Kolloquien, aus denen ich viele Anregungen mitnehmen konnte.

Herr Prof. Dr. Klaus Wriedt stellte mir die Ergebnisse seines DFG-Projektes zu den Universitätsbesuchern zur Verfügung, mit denen ich meine Recherche abgleichen konnte. Dr. Gerrit Lungershausen half bei der Drucklegung durch ein gründliches Korrekturlesen aus. Ihm sei herzlich für das Auffinden mancher Unschönheiten gedankt.←9 | 10→

Auf Unterstützung und Ratschläge konnte ich auch im heimischen Kiel immer zählen. Dr. Sven Rabeler und Dr. Dennis Hormuth gaben ebenfalls nützliche Hinweise. Die Kollegen und Freunde PD Dr. Gabriel Zeilinger, Dr. Christian Hagen und Dr. Julia Ellermann halfen mir durch den fachlichen und erfrischenden Gedankenaustausch, Ermutigungen und steten Beistand. Dafür bin ich euch so dankbar!

Diese Arbeit wurde im Sommer 2013 an der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Nach manchem Umweg konnte ich die Drucklegung nun endlich abschließen. Es wurden nur noch wenige einschlägige Literaturtitel aufgenommen.

Von Herzen möchte ich zum Schluss meiner Familie danken. Meine Schwägerin Janina D. Meesenburg hat mir die drei Karten erstellt. Was täte ich so manches Mal ohne dein Können. Mein Bruder und meine Eltern glauben immer an mich und unterstützen mich so selbstverständlich und bedingungslos. Ebenso wie mein Mann Patrick, der meine körperliche und oft auch geistige Abwesenheit sowie manche Verzweiflung so liebevoll ertrug. Man kann euch nicht genug Dank sagen! Euch widme ich diese Arbeit.

Mönkeberg, den 26.08.2016

Anja Voßhall, geb. Meesenburg ←10 | 11→

A. Einleitung

Item so wetet, dat der proves van Lubeke doet is; God hebbe syne sele, und er waz hyr und wolde dem hylgen grafe ten: und ydelman, der sprekt, nu der proves doet is, nu is Lodewykez vordorven, der Wale, de to Lubeke lycht, wente der proves halp em to male sere; und Lodewykez makede nůmmer en wessel, der proves lofede dar vor, wente de lude woldem em sulven nycht loven.1

Eine unangenehme Nachricht musste Peter Karbow seinem Handelspartner Hildebrand Veckinchusen 1409 in einem Brief aus Venedig nach Brügge übersenden: Durch den Tod des Lübecker Dompropstes Nikolaus de Insula im Juli 1409 würden wahrscheinlich die Wechselgeschäfte, die durch den italienischen Bankier Ludovico Baglioni unternommen wurden, ins Stocken geraten, da dieser in der Hansestadt ohne seinen Fürsprecher keinen guten Stand habe. Der Kaufmann sagte dem Italiener an der Trave ein schnelles Ende seiner Geschäfte voraus.

Mitnichten war der Wale nach 1409 jedoch vordorven. Vielmehr folgten auf den Bankier weitere italienische Korrespondenten der Medici, nämlich der ehemalige gharzone Baglionis, Gherardo Bueri, sowie als dessen Nachfolger Francesco Rucellai und Niccolò Bonsi.2 Alle vier hatten als Vertreter der Medici-Bank seit der Ankunft Baglionis in Lübeck um 1405 vor allem einen Kommittenten: die päpstliche Kurie.3 Insbesondere die Einnahmen der Papstkirche aus dem Ostseeraum – Annaten, Servitien, Ablässe oder Kirchensteuern4 – konnten in der Travestadt gesammelt werden, um von dort in den „unsichtbaren Kanälen des bargeldlosen Transfers“5 zu versickern. Dass die Geschäfte im Auftrag und unter dem Schutz der Kurie abgewickelt wurden, veranschaulicht sich zum Beispiel an den Schutzbriefen der Kurie für die Reisen Ludovico Baglionis6 wie auch durch einen Brief aus dem März des Jahres 1448 von Gherardo Bueri, in dem er schrieb:←11 | 12→

Giovanni, i’o scrito a tuo padre che lui scriva et chometa a Ruberto che ma fazi avere da lo Papa le bolle de la mia chomissione de la choletoria, chomo io avevo da Papa Martino e da Papa Eugenio,[…] tuo Gherardo Bueri, in Lubiche.7

Die ständige Präsenz der italienischen Bankiers an der Trave im 15. Jahrhundert und die steten Verbindungen zur päpstlichen Kurie, die mit den Wechselgeschäften dieser Medici-Vertreter einhergingen, sind ausgerechnet für diese Stadt im norddeutschen Raum, der in Anlehnung an Peter Moraws Terminus „königsfern“8 häufig als „kurienfern“9 bezeichnet und an der Peripherie verortet wurde, bemerkenswert.10

Warum beginnt eine Arbeit über das Domkapitel in Lübeck mit einer solchen Feststellung? Bereits im Eingangszitat wird deutlich, dass in der Travestadt Mittelsmänner zugegen waren, die bei den Geschäften zwischen den fremden (und fremdsprachigen) Italienern und der Stadtgemeinde eine maßgebliche Rolle einnahmen. In einer solchen Position befand sich etwa der genannte Nikolaus de Insula in seiner Würde als Lübecker Dompropst wie auch in seiner Funktion als Kollektor der Kirchenprovinzen Riga und Bremen sowie der Diözesen Verden, Kammin und Schleswig für die apostolische Kammer.11 Auch sein Nachfolger in der Propstei und als Kollektor, Bertold Dives, war zwischen Trave und Tiber positioniert.12 Ihm folgten als Kollektoren im Norden der Kanoniker und spätere Bischof Johannes Schele und der Lübecker Thesaurar Ludolf Robring.13 Im Lübecker Domkapitel waren also Karrieris←12 | 13→ten aus dem niedersächsischen Raum, von stadtbürgerlicher Herkunft und mit Universitätsstudium – Dives und Schele gar mit einem Abschluss als doctor decretorum –, die zumindest für eine Zeit lang an der päpstlichen Kurie gelebt hatten, präbendiert.14 Die Lebenswege der vier Würdenträger widersprechen jenem Bild, das die Forschung bislang für den Norden gezeichnet hat.

Dabei wurde das Verhältnis zur päpstlichen Kurie für den Norden des Reiches zumeist pauschalisiert. Zu den expliziten Beziehungen zwischen Lübeck als Reichs- und Hansestadt und dem Zentrum der christianitas hat man sich bislang eher zögerlich geäußert.15 Götz-Rüdiger Tewes schrieb über die Verbindungen norddeutscher Diözesen nach Rom sogar, sie seien „kaum der Rede wert, wobei die kurienfernsten die zwischen Brandenburg und Schleswig gelegenen Diözesen der Provinzen Magdeburg und Bremen“16 gewesen seien. Und auch die Einschätzung von Enno Bünz und Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, der Pfründenmarkt sei für Nordelbien von „nachrangiger Bedeutung“17 gewesen, weist in dieselbe Richtung. Einzelne Untersuchungen über das Wissen der päpstlichen Kurie bezogen auf das spätmittelalterliche Reich attestierten dem Norden, unter Hervorhebung des niedersächsischen Raumes, nur wenig Prominenz in Rom.18 Doch die Verhältnisse in der Reichs- und Hansestadt Lübeck sind bereits durch ihre herausragende Stellung als einziger nordalpiner Filialort italienischer Bankiers östlich des Rheins nur schwerlich mit anderen Regionen und Städten des Nordens vergleichbar und bedürfen einer präzisen Untersuchung.

A.I Forschungsstand

Seit den späten 1970er Jahren vollzog sich in der insgesamt eine lange Tradition aufweisenden Dom- und Stiftskapitelforschung ein entscheidender Wandel.19 Waren die älteren Arbeiten fast ausschließlich verfassungs- und←13 | 14→ rechtsgeschichtlich geprägt und eine personenstandliche Deskription höchstens untergeordnet berücksichtigt, wurden diese Ansätze nun vermehrt zu umfassenden Institutionengeschichten erweitert und dabei die personengeschichtliche Beschreibung deutlich intensiviert.20 Aus und neben diesem Forschungsstrang entwickelte sich seit den 1980er Jahren ein sozialgeschichtlich perspektivierter und methodisch neu ausgerichteter personengeschichtlicher Zugang, der bereits in dem viel rezipierten Aufsatz Peter Moraws von 1977 über hessische Stiftskirchen als besonders „zukunftsreich“ ausgewiesen worden war.21 Den wesentlichen Ausgangspunkt für diese Arbeiten bildete dann jedoch die Verflechtungsanalyse, die Wolfgang Reinhard unter Verwendung der Kategorien Verwandtschaft, Freundschaft, Landsmannschaft und Patronage in die Geschichtswissenschaft einführte22 und die sich gerade für die Erforschung der Gemeinschaften des Weltklerus als einem „Verdichtungspunkt für soziale Beziehungen ganz verschiedener Art und im weitesten Sinne“23 als überaus fruchtbar erwiesen hat. Als eine Pionierarbeit auf diesem Gebiet darf die Studie Gerhard Fouquets von 1987 gewertet werden, der diesen Ansatz erstmals konsequent auf das Speyerer Domkapitel anwandte.24 Auch die Arbeit Michael Hollmanns zu Mainz stützte sich auf diese Kategorien.25 Die Analyse der sozialen Gefüge und auch einzelner Personen, ihrer Karrieren und persönlichen Beziehungen etablierte sich als ein fester Teil der Stiftsforschung, sodass die meisten Arbeiten mittlerweile – zurecht – nicht mehr ohne eine Personengeschichte auskommen.26 Fand der nicht zu unterschätzende Einfluss des Papstes als außerordentlicher Kollator in diesen Untersuchungen bereits Berücksichtigung, so rückten seit der grundlegenden Arbeit von Andreas Meyer27 die jüngeren Studien von Brigitte Hotz und Thomas Willich diese römische Perspektive sogar ins Zentrum ihres Interesses.28

Wenn man sich diesem Forschungsansatz der sozialen Verflechtungen anschließen möchte, kommt man aktuell nicht umhin, sich der Frage nach den „Netzwerken“ zu stellen, die in den letzten Jahren geradezu eine Hochkonjunktur durchlaufen hat. Auch innerhalb der mediävistischen Geschichtsfor←14 | 15→schung machte man sich die Methode der Netzwerkanalyse vor allem für die Wirtschaftsgeschichte zunutze.29 Interessanterweise hat sich der Netzwerk-Begriff innerhalb der mittelalterlichen Stiftsforschung noch nicht in gleicher Weise etabliert, und dass obwohl man doch – überspitzt interpretiert – in den Interaktionen der Kleriker auf dem in der Literatur so häufig angeführten „Pfründenmarkt“30 ähnliche Phänomene vermuten könnte.31 So hat sich zum Beispiel Brigide Schwarz in ihren zahlreichen Untersuchungen zu miteinander ‚vernetzten‘ Klerikern stattdessen Terminologie der „Seilschaften“ verschrieben.32 Erst allmählich findet der Begriff des Netzwerkes für die dem Untersuchungsgegenstand anverwandten Themenbereiche Anklang, die ja dieselben Personengruppen betreffen, so etwa in dem Beitrag von Eberhard Nikitsch über „Römische Netzwerke zu Beginn des 16. Jahrhunderts“, der seinen Ausgangspunkt an der Kirche S. Maria dell’Anima nimmt,33 aber auch in der Dissertation Gunnar Meyers zu den Netzwerken Lübecker Bürger des 15. Jahrhunderts in ihren Testamenten34 oder in dem 2010 erschienenen Aufsatz von Rainer Christoph Schwinges, in welchem der Verfasser die Beziehungen innerhalb der von ihm bereits seit längerer Zeit untersuchten „studentische[n] Kleingruppen“35 nunmehr als Netzwerke deklariert.36 In dem jüngst erschienen Band über „Raumbildung durch Netzwerke?“ standen das Phänomen und der Versuch einer begrifflichen Definition dann noch einmal für verschiedene Teilbereiche der Geschichtswissenschaft und der Archäologie←15 | 16→ in Anwendung auf den Ostseeraum explizit im Vordergrund.37 Und Robert Gramsch benennt dieses neue Denken explizit, wenn er schreibt: „Die spätmittelalterliche deutsche Kirche bildete ein gewaltiges personales Netzwerk, welches regionale Verdichtungen und Subzentren sowie als unbestrittenes Zentrum die römische Kurie besaß.“38

Als weiterhin bestehendes Desiderat der Stiftsforschung ist hervorzuheben, dass Arbeiten über Dom- und Stiftskapitel als sozial exklusive Gemeinschaften spätmittelalterlicher Führungsgruppen bislang fast ausschließlich für die west- und süddeutschen Diözesen entstanden sind. Für den Raum der nördlichen Kirchenprovinz Bremen existiert keine Monografie, welche den modernen Ansprüchen einer personengeschichtlichen Perspektive genügen würde.39 Die letzten Arbeiten über norddeutsche Dom- und Stiftskapitel stammen zumeist noch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und lehnen sich in ihrer verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Orientierung an den Gang der damaligen süddeutschen Forschung an – stellvertretend seien hier die Studien zu Verden, Bremen und Hamburg genannt.40 Auch die mit einem Personenkatalog versehene Dissertation Andreas Röpckes über das Kollegiatstift Eutin von 1974 folgte dieser älteren Linie.41 Die 1987 veröffentlichte Arbeit Margit Kaluza-Baumrukers zum Schweriner Domstift kündigt im Vorwort zwar die Anlehnung an Moraw an, erfüllt dies jedoch nur für die Außenbeziehungen des Domkapitels als Institution. Die sozialen Beziehungen der Kleriker berührt die Autorin fast gar nicht und die Verbindungen zur Kurie nur relativ kurz.42

Details

Seiten
712
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783631707050
ISBN (PDF)
9783653071825
ISBN (MOBI)
9783631707067
ISBN (Hardcover)
9783631675885
DOI
10.3726/b10405
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Schlagworte
Stiftsforschung Kirchengeschichte Sozialgeschichte Papsttum Spätmittelalter
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2016. 712 S., 10 s/w Abb.

Biographische Angaben

Anja Voßhall (Autor:in)

Anja Voßhall, geb. Meesenburg, studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Neue deutsche Literatur- und Medienwissenschaften und Soziologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie war mehrere Jahre als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Kiel tätig und Stipendiatin des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

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Titel: Stadtbürgerliche Verwandtschaft und kirchliche Macht
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