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Das Ausschlussrecht des Bieters und das Andienungsrecht der Minderheitsaktionäre im Übernahmeverfahren

Eine Analyse der §§ 39a, 39c WpÜG

von Sebastian Thilo Müller (Autor:in)
©2017 Dissertation 296 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor untersucht die Regelungen der §§ 39a und 39c WpÜG unter besonderer Berücksichtigung praktischer Gesichtspunkte. Bei der Durchführung eines Übernahmeverfahrens nach dem WpÜG kommt es regelmäßig zu Herausforderungen, insbesondere, wenn die vollständige Übernahme der Zielgesellschaft beabsichtigt wird. Die vom Gesetzgeber hierfür geschaffene Sonderregelung wird von der Praxis jedoch bislang kaum angenommen und weist deutliche Schwächen auf. Gegenstand der Untersuchung ist es, diese Schwächen der gesetzlichen Regelung de lege lata herauszuarbeiten und de lege ferenda einer Lösung zuzuführen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Kapitel 1 Einführung
  • A. Einleitung
  • B. Der Untersuchungsgegenstand
  • I. Erweiterung um ökonomische Betrachtung
  • II. Begrenzung bezüglich der Verfahrensvorschriften des § 39b WpÜG
  • C. Gang der Untersuchung
  • D. Historische Entwicklung
  • I. Mehrheitseingliederung und §§ 327a ff. AktG
  • II. Entstehung des übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens
  • E. Anwendungsbereich der §§ 39a ff. WpÜG
  • I. Börsennotierung der Zielgesellschaft
  • II. Bieter
  • III. Übernahme- und Pflichtangebot
  • Kapitel 2 Verhältnis zu anderen Ausschlussverfahren
  • A. Verhältnis zum aktienrechtlichen Ausschlussverfahren
  • I. Verhältnis der Verfahrensarten zueinander
  • 1. Hauptversammlungsbeschluss nach Antrag gem. § 39a Abs. 1 WpÜG
  • 2. Antrag gemäß § 39a Abs. 1 WpÜG während eines aktienrechtlichen Verfahrens
  • 2.1 Beendigung des aktienrechtlichen Ausschlussverfahrens
  • 2.2 Hemmung des aktienrechtlichen Ausschlussverfahrens
  • 3. Zusammenfassung
  • II. Anwendungsbereich
  • 1. Antragsberechtigung
  • 2. Zielgesellschaft
  • 3. Einschränkung des Anwendungsbereichs durch die Angemessenheitsvermutung
  • III. Beteiligungsquote
  • IV. Unterschiede im Ausschlussverfahren
  • 1. Gerichts- statt Hauptversammlungsbeschluss
  • 2. Angemessenheit der Barabfindung
  • 2.1 Art der Abfindung
  • 2.2 Berechnung der angemessenen Abfindung
  • 3. Rechtsschutzmöglichkeiten
  • 4. Gegenrechte der Minderheitsaktionäre
  • V. Zusammenfassung
  • B. Verhältnis zum verschmelzungsrechtlichen Ausschlussverfahren
  • I. Besonderheiten des verschmelzungsrechtlichen Squeeze-Out
  • II. Resonanz in der Praxis
  • III. Erkenntniswert einer vergleichenden Betrachtung
  • Kapitel 3 Das Ausschlussrecht
  • A. Sinn und Zweck des § 39a WpÜG
  • 1. Dogmatische Grundstruktur des Kapitalmarktrechts
  • 1.1 Begriff des „Kapitalmarktrechts“
  • 1.2 Entwicklungsgeschichte
  • 1.3 Wesentliche Grundgedanken
  • a) Anlegerschutz im Kapitalmarktrecht
  • b) Funktionsschutz
  • a.a.) Allokative Funktionsfähigkeit
  • b.b.) Operationelle Funktionsfähigkeit
  • c.c.) Institutionelle Funktionsfähigkeit
  • c) Zusammenspiel der Effizienzen und des Anlegerschutzes
  • 2. Das Ausschlussrecht als kapitalmarktrechtliches Instrument
  • 2.1 Ausgangslage
  • 2.2 Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts
  • a) Institutionelle Funktionsfähigkeit
  • b) Operationelle Funktionsfähigkeit
  • c) Allokative Funktionsfähigkeit
  • a.a.) Freiwerden des bislang gebundenen Kapitals
  • b.b.) Post merger phase / integration
  • c.c.) Free-rider-Problematik
  • d.d.) Endowment effect
  • 2.3 Anlegerschutz
  • 2.4 Zwischenergebnis
  • 2.5 Dogmatisches Verhältnis zu §§ 327a ff. AktG
  • a) Lex specialis derogat legi generali?
  • b) Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts als Benchmark
  • 2.6 Stellungnahme
  • B. Form des Beteiligungserwerbs
  • I. Grundlagen
  • II. Nacherwerb
  • 1. Rechtsprechung
  • 1.1 Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.12.2012
  • a) Sachverhalt
  • b) Entscheidungsgründe des Landgerichts Berlin
  • c) Entscheidungsgründe des Bundesgerichtshofs
  • 1.2 Rechtsprechung des Landgerichts Frankfurt a.M.
  • 2. Literatur
  • 2.1 Verbot des Nacherwerbs
  • 2.2 Enger zeitlicher Zusammenhang
  • 2.3 Nacherwerb binnen dreier Monate
  • 3. Kritische Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs
  • 3.1 Wortlaut des § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG
  • 3.2 Systematische Auslegung
  • 3.3 Auslegung nach Sinn und Zweck
  • 3.4 Kapitalmarktrechtlicher Funktionsschutz
  • a) Allokative Funktionsfähigkeit
  • b) Institutionelle Funktionsfähigkeit
  • c) Operationelle Funktionsfähigkeit
  • 4. Zusammenfassende Würdigung des BGH-Urteils
  • III. Akquisitionsvehikel
  • 1. Funktion und Definition eines Akquisitionsvehikels
  • 1.1 Abgrenzung zwischen Vorrats- und Mantelgesellschaften
  • 1.2 Funktionsweise eines Akquisitionsvehikels
  • 2. Akquisitionsvehikel als Bieter im Sinne des § 2 Abs. 4 WpÜG
  • 2.1 Gemeinsam handelnde Personen im Sinne des § 2 Abs. 5 WpÜG
  • a) Vermutung nach § 2 Abs. 5 Satz 3 WpÜG zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft
  • b) Gemeinsam handelnde Personen bei abweichender Transaktionsstruktur
  • c) Gemeinsam handelnde Personen nach § 2 Abs. 5 Satz 1 WpÜG
  • 3. Finanzierung einer Übernahme mittels Akquisitionsvehikel
  • 3.1 Grundsätzliches
  • a) Schutzfunktion des § 13 WpÜG
  • b) Sicherstellung der Finanzierung
  • c) Finanzierungsbestätigung
  • 3.2 Zeitpunkt und Umfang der Sicherstellung
  • 3.3 Leveraged-Buy-Out mittels eines Akquisitionsvehikels
  • 3.4 Problemstellung im Rahmen des übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens
  • a) Bedenken gegenüber der Gesetzeslage
  • b) Ausreichender Schutz der Minderheitsaktionäre
  • c) Stellungnahme
  • a.a.) Entscheidung des Gesetzgebers
  • b.b.) Sicherstellung der Finanzierung nach § 13 WpÜG
  • c.c.) Richtlinienkonforme Auslegung und Leistungsaustausch Zug-um-Zug
  • d.d.) Alternative Lösungsmöglichkeiten
  • i. Aktualisierung der Finanzierungsbestätigung
  • ii. Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG
  • iii. Fazit
  • IV. Bedingungen
  • 1. Zulässigkeit von Bedingungen
  • 2. Mindestannahmequote
  • 3. Gestaltungsmöglichkeit für die Praxis
  • V. Zeitpunkt und Dauer des Beteiligungserwerbs
  • 1. Zeitpunkt der Antragsberechtigung (§ 39a Abs. 4 Satz 2 WpÜG)
  • 2. Verlängerte Annahmefrist
  • 3. Zulässigkeit einer „Wertpapierleihe“
  • 4. Unterschreiten der Beteiligungsquote
  • C. Erforderliche Beteiligungsquote
  • I. Allgemeines
  • II. Höhe der erforderlichen Beteiligungsquote
  • 1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
  • 1.1 Verhältnismäßigkeit im Rahmen des § 62 Abs. 5 UmwG
  • 1.2 Verhältnismäßigkeit im Rahmen der §§ 39a ff. WpÜG
  • 2. Résumé
  • III. Stimmrechtszurechnung
  • 1. Rechtslage
  • 1.1 Minderheitsaktionäre
  • 1.2 Bieter
  • 1.3 Sonderfall: Angemessenheitsvermutung im Sinne des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG
  • a) Vom Angebot betroffene Aktien im Sinne des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG
  • b) Meinungsstand
  • c) Konsequenzen für das Ausschlussverfahren
  • d) Fazit: Angemessenheitsvermutung
  • 2. Anwendbarkeit des § 30 WpÜG
  • 2.1 Herrschende Meinung zur aktuellen Rechtslage
  • 2.2 Beschreibung des bestehenden Spannungsverhältnisses
  • 2.3 Analogieverbot
  • 3. Zurechnung nach § 30 WpÜG in der konkreten Situation
  • 3.1 Voraussetzungen einer Zurechnung nach § 30 Abs. 1 WpÜG
  • 3.2 Zurechnung nach § 30 Abs. 2 WpÜG: acting in concert
  • a) Voraussetzungen eines acting in concert
  • b) § 30 Abs. 2 Satz 2 Var.1 WpÜG
  • c) § 30 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 WpÜG
  • d) Parallelerwerb / Standstill-Agreements
  • 4. Rechtsfolgen des alternativen Lösungsvorschlags
  • 4.1 Einfluss auf den Bieterbegriff
  • 4.2 Bietergemeinschaft
  • 5. Fazit
  • IV. Ausschluss der verbleibenden Vorzugsaktionäre nach § 39a Abs. 1 Satz 2 WpÜG
  • V. Wandelschuldverschreibungen
  • 1. Einführung in die Problemstellung
  • 2. Wandelschuldverschreibungen im Sinne des § 221 AktG
  • 2.1 Wandelanleihen i.e.S. (Convertible Bonds)
  • 2.2 Optionsanleihe
  • 3. Aktuell vorherrschender Meinungsstand
  • 3.1 Berechnung der Bemessungsgrundlage
  • a) „Gehören“ im Sinne des § 39a WpÜG und § 327a AktG
  • b) Bestimmung des Grundkapitals nach § 200 AktG
  • c) Unsicherheitsfaktoren
  • d) Zwischenergebnis
  • 3.2 Rechtsfolge eines Ausschlusses der Minderheitsaktionäre
  • a) Rechtsfolge bei einem Ausschluss nach den §§ 327a ff. AktG
  • a.a.) Bedeutung der potenziellen Beteiligungshöhe
  • i. Unbeachtlichkeit des Grenzwertes
  • ii. Beachtlichkeit des Grenzwertes
  • b) Fälligstellung der Bezugsrechte
  • 4. Gegenansicht
  • 5. Kritische Würdigung der herrschenden Meinung
  • 5.1 Unbeschränkter Ausschluss
  • 5.2 Beschränkter Ausschluss
  • a) Verfassungsrechtliche Bedenken
  • a.a.) Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG
  • b.b.) Angemessenheit
  • b) Argument der bestehenden Unsicherheiten
  • c) Regelung des § 192 Abs. 2 AktG
  • 6. Alternativer Lösungsansatz: Wandelanleihen als eigene ‚Aktiengattung‘
  • 6.1 Hypothetische Vollverwässerung des Grundkapitals
  • 6.2 Erweiterung des Angebots
  • 6.3 Ermittlung der Beteiligungshöhe
  • 6.4 Zusammenfassung des Verfahrens
  • 7. Abfindungshöhe
  • 8. Zusammenfassung
  • D. Die Angemessenheitsvermutung § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG
  • I. Allgemeines
  • II. Aktueller Meinungsstand zur Angemessenheitsvermutung
  • 1. Verfassungsmäßigkeit des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG
  • 2. (Un)Widerlegbarkeit der Angemessenheitsvermutung
  • 2.1 Widerlegliche Vermutung
  • 2.2 Unwiderlegliche Formulierung
  • 2.3 Vermittelnde Ansicht
  • 2.4 Stellungnahme
  • III. Irrevocable undertakings
  • 1. Definition von irrevocable undertakings
  • 2. Berücksichtigung von irrevocable undertakings im Rahmen des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG
  • 2.1 Frühzeitiger Erwerbszeitpunkt
  • 2.2 Späterer Zeitpunkt
  • 2.3 Stellungnahme
  • IV. Paket- und Parallelerwerbe
  • 1. Nichtberücksichtigung von Paketerwerben und differenzierende Ansicht
  • 2. Rechtsprechung zu Paketerwerben
  • 3. Berücksichtigung von Paketerwerben (herrschende Meinung)
  • 4. Kritische Würdigung
  • V. Erfolgsquotenrelevanz von Nacherwerben
  • 1. Verlängerte Annahmefrist gemäß § 16 Abs. 2 WpÜG
  • 2. Dreimonatsfrist im Sinne des § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG
  • 3. Stellungnahme zur Erfolgsquotenrelevanz von Nacherwerben
  • VI. Résumé
  • E. Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt a.M.
  • Kapitel 4 Das Andienungsrecht
  • A. Allgemeine Grundlagen
  • I. Entstehungsgeschichte
  • II. Sinn und Zweck des Andienungsrechts
  • B. Rechtsnatur des Andienungsrecht in § 39c WpÜG
  • I. Akzessorietät zum Ausschlussrecht des Bieters
  • II. Andienungsrecht oder Andienungsmöglichkeit
  • 1. Unwiderrufliches Angebot des Bieters
  • 2. Kontrahierungszwang
  • 3. Würdigung des Meinungsstreits
  • 4. Empfehlung: De lege ferenda (dogmatische Kritik)
  • 4.1 Beschreibung des Anrechts
  • 4.2 Leistung Zug-um-Zug
  • 4.3 Vergleich mit anderen Jurisdiktionen
  • a) Österreich
  • b) Vereinigtes Königreich
  • c) Erkenntnisse
  • 4.4 Europarechtswidrigkeit des § 39c Satz 1 WpÜG
  • 5. Résumé
  • C. Aufschiebend bedingte Erwerbsangebote (§ 39a Abs. 4 Satz 2 WpÜG)
  • I. Teleologische Reduktion
  • II. Bestand des Andienungsrechts
  • III. Kritische Würdigung des Meinungsstreits
  • 1. Widersprüche der bisherigen Lösungsansätze
  • 2. Minderheitenschutz durch „Waffengleichheit“ und alternativer Lösungsansatz
  • 2.1 Gleichbehandlung aller Aktionäre
  • 2.2 Strenge (materielle) Verfahrensparallelität
  • IV. Nachträgliche Unterschreitung der Beteiligungshöhe
  • D. Ausschlussberechtigung
  • E. Gegenleistung
  • I. Art und Höhe der Gegenleistung nach § 39c WpÜG
  • II. Europarechtswidrigkeit des § 39c WpÜG
  • 1. Angemessenheit der Abfindung als europarechtliche Vorgabe
  • 2. Würdigung der Kritik
  • F. Ausübung und Durchsetzung
  • I. Ausübung des Andienungsrechts
  • II. Andienungsfrist
  • 1. Maßgebliche Annahmefrist im Sinne des § 39c Satz 1 WpÜG
  • 2. Unterlassene Mitteilung im Sinne des § 39c Satz 2 WpÜG
  • III. Abwicklung und Kosten der Andienung
  • IV. Durchsetzbarkeit des Andienungsrechts
  • 1. Sachliche und örtliche Zuständigkeit
  • 2. Örtliche Zuständigkeit bei ausländischen Bietern
  • 3. Anwendbarkeit des KapMuG
  • G. Zusammenfassung
  • Kapitel 5 Zusammenfassende Bewertung und Ausblick
  • A. Zusammenfassende Bewertung
  • I. Das Ausschlussrecht des Bieters nach § 39a WpÜG
  • 1. Form des Beteiligungserwerbs
  • 2. Die notwendige Beteiligungshöhe
  • 3. Die Angemessenheitsvermutung
  • II. Das Andienungsrecht nach § 39c WpÜG
  • 1. Die Rechtsnatur des Andienungsrecht
  • 2. Gegenleistung
  • 3. Ausübung und Durchsetzung
  • B. Ausblick
  • C. Regelung der § 39a, 39c WpÜG de lege ferenda nach den hier vertretenen Ansichten
  • Literaturverzeichnis
  • Literatur
  • Dokumente internationaler Organisationen
  • Onlinequellen

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Kapitel 1  Einführung

A.  Einleitung

Trotz anhaltender wirtschaftlicher Turbulenzen als Nachwirkungen der noch immer spürbaren Finanz- und Wirtschaftskrise sind öffentliche Übernahmen von börsennotierten Gesellschaften auch in den vergangenen Jahren fester Bestandteil des nationalen und globalen M&A-Marktes gewesen.1 Anders als bei einer privaten Übernahme ist es bei der Übernahme eines börsennotierten Unternehmens nur selten möglich, alle Aktionäre der Zielgesellschaft mit dem Bieter an einen Tisch zu bringen. Dieser Mangel an einer direkten Kommunikationsmöglichkeit zwischen den Beteiligten kann insbesondere dann virulent werden, wenn der Bieter einen vollständigen Erwerb der Zielgesellschaft beabsichtigt. Bei der Durchführung eines öffentlichen Übernahmeverfahrens dürfte eine hundertprozentige Annahmequote die absolute Ausnahme darstellen. Die vom Bieter angestrebte vollständige Übernahme der Zielgesellschaft wäre dann nur nach einer langwierigen und kostenintensiven Auseinandersetzung mit den verbleibenden Minderheitsaktionären möglich. Nicht nur aus der Sicht des Bieters, sondern auch aus ökonomischen Gesichtspunkten stellt sich daher die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen es dem Bieter möglich sein soll die verbleibenden Minderheitsaktionäre auch gegen deren Willen aus der Zielgesellschaft auszuschließen. Ein solcher Zwangsauschluss von Minderheitsaktionären stellt einen tiefen Eingriff in die bestehenden Rechtsverhältnisse dar und hat sowohl den Gesetzgeber als auch Rechtsprechung und Literatur intensiv beschäftigt. Gegen ein solches Recht zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre wurde eine Vielzahl an Stimmen laut, die auch bis heute nicht gänzlich verstummt sind. Entgegen der geäußerten Bedenken hat zumindest der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Ausschlussmöglichkeit erkannt und bereits im Jahre 2002 ein entsprechendes Verfahren eingeführt.

Allerdings hat sich der deutsche Gesetzgeber gegen die Einführung eines einheitlichen Ausschlussverfahrens entschieden; vielmehr entstanden mit der Zeit drei unterschiedliche Varianten, die sowohl einige Gemeinsamkeiten als auch bedeutsame Unterschiede aufweisen. Durch die unterschiedlichen Verfahrensarten sollte ein möglichst differenziertes Instrumentarium geschaffen werden, welches es ermöglicht den Eigenheiten der jeweiligen Ausgangslage besser Rechnung zu tragen.2 Aus chronologischer Sicht kommt dem übernahmerechtlichen Ausschlussverfahren dabei ← 19 | 20 → die Rolle des Zweitgeborenen zu. Die Einführung eines rein übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens wurde von der Literatur zunächst überwiegend positiv aufgenommen.3 Die anfängliche Euphorie konnte sich allerdings nicht lange halten und fand in der Praxis keinen Widerhall.4 So fristet das übernahmerechtliche Verfahren auch neun Jahre nach seiner Einführung noch ein Schattendasein. Jüngst veranlasste eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Literatur sogar dazu, offen über einen Nachruf zu diskutieren und das übernahmerechtliche Ausschlussverfahren damit symbolisch bereits zu Grabe zu tragen.5 Diese fast schon resignierende Haltung in Literatur und Praxis steht jedoch in einem diametralen Verhältnis zu den ursprünglichen Hoffnungen, die auf das neue Ausschlussverfahren gesetzt wurden.

Diese ablehnende Haltung der Praxis ist umso verwunderlicher, als das die Einführung des übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens dazu bestimmt war, eine Beschleunigung und Vereinfachung gegenüber dem bisherigen aktienrechtlichen Verfahren zu bewirken.6 Aus wissenschaftlicher Sicht stellt sich daher die Frage, weshalb sich die Regelungen der §§ 39a ff. WpÜG in der Praxis bislang nicht durchsetzen konnten. Rechtstatsache ist jedenfalls, dass seit seiner Einführung im Jahre 2006 nur sehr wenige Verfahren nach diesen Vorschriften stattgefunden haben.7 Eine kritische Bestandsaufnahme in Literatur und Praxis zeigt, dass noch immer wesentliche Punkte als ungeklärt gelten, woraus zum Teil erhebliche Rechtsunsicherheiten resultieren. Die mangelnde Rechtssicherheit geht häufig mit einem hohen Haftungsrisiko der Beteiligten einher und kann darüber hinaus zu kostenintensiven Verzögerungen führen. Aus Sicht des Bieters ist es hingegen von großer Bedeutung derartige Risiken zu vermeiden oder zumindest weitestgehend zu minimieren. Es überrascht daher auch nicht, dass ein Ausschluss der Minderheitsaktionäre nach §§ 39a f. WpÜG nur selten von der rechtsberatenden Praxis in Erwägung gezogen wird.

B.  Der Untersuchungsgegenstand

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den Regelungen zum übernahmerechtlichen Ausschlussrecht des Bieters und dem Andienungsrecht der Minderheitsaktionäre auseinander. Diese beiden Rechte bilden die zentralen Punkte der Untersuchung, obgleich vielfach eine darüberhinausgehende Darstellung geboten sein wird. Bereits die systematische Stellung der Regelungen macht es erforderlich, diese auch stets ← 20 | 21 → im Kontext des gesamten Übernahmerechts zu sehen. Bisweilen ergeben sich aber darüber hinaus Verknüpfungen zu anderen Rechtsgebieten, die – wie noch nachzuweisen sein wird – aus der besonderen dogmatischen Stellung des Übernahmerechts resultieren. Eine Eigenheit des Untersuchungsgegenstands besteht darin, dass sich dieser nicht auf eine einzelne Fragestellung reduzieren lässt, da jeweils eine Vielzahl von unterschiedlichen Diskussionspunkten zu beachten sein wird. Zudem weist dieser Themenbereich einen sehr hohen Praxisbezug auf.

I.  Erweiterung um ökonomische Betrachtung

Daraus folgt, dass sich die vorliegende Untersuchung nicht bereits in einer isolierten Betrachtung der §§ 39a ff. WpÜG erschöpft, sondern insbesondere praktische Erwägungen von Bedeutung sein werden. Den Ausführungen liegt dabei stets die Frage zu Grunde, weshalb das übernahmerechtliche Ausschlussverfahren noch immer von der Praxis abgelehnt wird und unter welchen Voraussetzungen diese Ablehnung vermindert oder beseitigt werden kann. Eine rein dogmatische Herangehensweise könnte den hier gestellten Anforderungen nicht gerecht werden. Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, die dogmatischen Grundstrukturen dieser Rechtsinstitute herauszuarbeiten und sie anhand einer breitgefächerten Analyse auf ihre praktische Anwendbarkeit hin zu untersuchen. Angesichts der enormen wirtschaftlichen Bedeutung des übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens soll dabei nicht lediglich die juristische und oftmals dogmatisch geprägte Sichtweise eingenommen werden, sondern auch ein – wenn auch nur in eingeschränktem Maße möglicher – Brückenschlag zu den Wirtschaftswissenschaften erfolgen. Geleitet von dem Ansatz einer ökonomischen Analyse des Rechts wird der Versuch unternommen, die Einflussmöglichkeit der §§ 39a ff. WpÜG auf die Leistungsfähigkeit des deutschen Kapitalmarkts mit in die Untersuchung einzubeziehen.8 Bezüglich der ökonomischen Analyse des Rechts ist allerdings Folgendes zu berücksichtigen:

Einmal gilt es, das Postulat der Autonomie des Rechts so zu wahren, dass Recht nicht zum Datum ‚reiner Ökonomie‘ wird, andererseits ist Recht (gerade zur Wahl seiner Autonomie) auf die Kenntnis von Interdependenzen in einer politischen konstituierten Gesellschaft angewiesen, die einen umfassenden Ansatz auch der Ökonomietheorie erforderlicher macht9. ← 21 | 22 →

So versteht auch KÜBLER die ökonomische Analyse des Rechts als eine „Fortentwicklung des methodischen Instrumentariums10. Obwohl wirtschaftswissenschaftliche Aspekte in die Untersuchung einbezogen werden, versteht sich die vorliegende Arbeit als dem Fachbereich der Rechtswissenschaften zugehörig und hat nicht die vollständige ökonomische Analyse des Ausschluss- und Andienungsrechts zum Gegenstand.11

II.  Begrenzung bezüglich der Verfahrensvorschriften des § 39b WpÜG

Auf eine ausführliche Darstellung der Verfahrensvorschriften des § 39b WpÜG wurde weitestgehend verzichtet, um den thematischen Rahmen der vorliegenden Arbeit übersichtlich zu halten. Diese Entscheidung lässt sich damit begründen, dass die wesentlichen Schwachstellen der §§ 39a ff. WpÜG im Bereich der materiellen Voraussetzungen vermutet werden. Vielfach wird die Anwendung des übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens nicht an den Verfahrensvorschriften des § 39b WpÜG scheitern, sondern bereits an den materiellen Vorschriften. Wo immer Ausführungen zu § 39b WpÜG für das Verständnis erforderlich sind, werden diese entsprechend berücksichtigt.

C.  Gang der Untersuchung

Zunächst erfolgt eine ausführliche Untersuchung des Sinn und Zwecks des Ausschlussrechts des Bieters unter Berücksichtigung der Funktion des Kapitalmarktrechts. Im Folgenden werden die Formen eines möglichen Beteiligungserwerbs im Zusammenhang mit § 39a WpÜG einer näheren Betrachtung unterzogen. Im Anschluss daran wird die erforderliche Beteiligungshöhe eingehend analysiert, wobei auch moderne Methoden der Unternehmensfinanzierung berücksichtigt werden. Als Dreh- und Angelpunkt des übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens wird zudem die Angemessenheitsvermutung im Sinne des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG genauer beleuchtet.

Darauf folgt eine eingehende Analyse des Andienungsrechts der Minderheitsaktionäre. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Analyse der Rechtsnatur des Andienungsrechts von herausragender Bedeutung. Anschließend werden weitere umstrittene Rechtsfragen im Zusammenhang mit § 39c WpÜG untersucht.

Die Arbeit enthält – neben den bereits erwähnten wirtschaftswissenschaftlichen Erwägungen – stellenweise auch rechtsvergleichende Betrachtungen. Ein Vergleich mit sämtlichen Rechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union kann hingegen ← 22 | 23 → aus Platzgründen nicht geleistet werden.12 Deshalb beschränkt sich eine derartige Analyse auf die Rechtslage im Vereinigten Königreich und Österreich. Diese Einschränkung beruht darauf, dass die britische Rechtsordnung als Vorbild für die spätere Übernahmerichtlinie der Europäischen Union angesehen werden kann und zudem dem börslichen Handelsplatz in London eine besondere Bedeutung zukommt. Obgleich der wirtschaftlichen Bedeutung der österreichischen Rechtsordnung keine derart herausragende Bedeutung zukommen mag, so eignet sich diese gleichwohl in besonderem Maße für eine rechtsvergleichende Betrachtung. Dieser Umstand ergibt sich daraus, dass sowohl das österreichische wie auch das deutsche Ausschlussverfahren auf derselben Textfassung der Übernahmerichtlinie beruhen, weshalb hier eine Abweichung aufgrund sprachlicher Unterschiede weitestgehend auszuschließen ist.

Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Thesen und Erkenntnisse sowie einem Vorschlag für eine etwaige künftige gesetzliche Ausgestaltung des Regelungsrahmens.

D.  Historische Entwicklung

Bei den übernahmerechtlichen Vorschriften zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen Barabfindung und des korrespondierenden Andienungsrechts handelt es sich um vergleichsweise junge Regelungen. Erst im Jahre 2006 wurden die §§ 39a ff. WpÜG zur Umsetzung der Art. 15 und 16 der EU-Übernahmerichtlinie in das WpÜG eingefügt.13 Das hierdurch geschaffene übernahmerechtliche Ausschlussverfahren bildete damit neben den §§ 327a ff. AktG bereits das zweite Verfahren dieser Art im deutschen Recht. In der Literatur ist vielfach der Begriff des „Squeeze-outs14 anzutreffen; dieser wird aufgrund seiner terminologischen Unschärfe hier nur zurückhaltend verwendet.

So versteht man im amerikanischen Recht unter einem Squeeze-out das Herausdrängen von Minderheitsaktionären durch gezielte faktische Maßnahmen, etwa der Verweigerung von Ausschüttungen. Findet das Hinausdrängen der Minderheitsaktionäre durch eine rechtliche Maßnahme statt so spricht man hingegen von einem „freeze-out“.15 ← 23 | 24 →

I.  Mehrheitseingliederung und §§ 327a ff. AktG

Obwohl das übernahmerechtliche Ausschlussverfahren erst 2006 eingeführt worden ist, kann der geschichtliche Ursprung des Ausschlussrechts schon weit früher verortet werden. Bereits der britische Companies Act aus dem Jahre 1929 enthielt erste Vorgängervorschriften, die aufgrund ihrer langen Tradition wohl als Vorbild für die spätere Übernahmerichtlinie der EU angesehen werden können.16 In Deutschland fehlte hingegen lange eine vergleichbare Regelung zum Ausschluss einer Minderheit. Noch völlig losgelöst von der Voraussetzung eines Übernahme- oder Pflichtangebots bot die Mehrheitseingliederung nach den §§ 320 ff. AktG eine Möglichkeit zur vorübergehenden Umstrukturierung eines Konzerns und somit zum Ausschluss von Minderheitsaktionären.17 Die Regelung wurde im Jahre 1994 grundlegend überarbeitet18 und bildete die erste Möglichkeit zum Ausschluss von Minderheitsaktionären.

Bereits im Jahre 1997 wurde von unterschiedlichen Seiten die Einführung eines speziellen Ausschlussrechts angeregt, so etwa vom Bundesverband der Industrie und der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen.19 Mit dem Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht zur Einführung eines Ausschlussrechts wurden diese Forderungen auch von europäischer Seite unterstützt.20 Kurze Zeit später unterbreitete der Handelsrechtsausschuss des deutschen Anwaltsvereins einen ersten Gesetzgebungsvorschlag, der bereits die wesentlichen Eckpunkte der späteren §§ 327a ff. AktG enthielt.21 Nach weiteren gesetzgeberischen Zwischenschritten wurden die §§ 327a ff. AktG und damit das erste Verfahren zum Ausschluss von Minderheitsaktionären mit Wirkung zum 1.1.2002 ins Aktiengesetz eingefügt.22 Bisweilen ist dieses jedoch aufgrund der Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses und der Möglichkeit zur ← 24 | 25 → Einleitung eines Spruchverfahrens als zu schwerfällig und aufwendig kritisiert worden.23

II.  Entstehung des übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens

Die Anfänge einer europäischen Übernahmerichtlinie liegen deutlich weiter zurück. Schon im Jahre 1974 hatte die damalige EG-Kommission den britischen Professor ROBERT R. PENNINGTON mit der Erstellung einer Studie zum Thema „Übernahmeangebote und andere Angebote“ beauftragt.24 Allerdings verliefen sich diese Entwicklungen zunächst.25 Auf europäischer Ebene begann der Entstehungsprozess eines rein übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens im Jahre 2000 mit den Lesungen des gemeinsamen Standpunkts zur Übernahmerichtlinie im Europäischen Parlament.26 In diesem Zusammenhang wurde erstmals über die Einführung eines übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens diskutiert. Im Folgenden wurden diese Erwägungen von einer durch die Kommission eingesetzten „Hochrangige[n] Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts“27 aufgegriffen28. In ihrem Abschlussbericht vom 10.1.2002 sprach sich die WINTER-GRUPPE für die Schaffung eines entsprechenden übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens aus, sie wies allerdings auch auf die Notwendigkeit eines Andienungsrechts der Aktionäre hin, das als Gegenstück fungieren sollte.29 Bereits mit dem Kommissionsentwurf vom 2.10.2002 für eine EU-Übernahmerichtlinie wurden die wesentlichen Eckpunkte der späteren Regelungen gesetzt. ← 25 | 26 →

Mit Erlass der Übernahmerichtlinie der Europäischen Union30 war der deutsche Gesetzgeber neuerlich mit diesem Themenbereich konfrontiert, zumal die Vorgaben dieses Regelungsrahmens bis zum Jahre 2006 in nationales Recht umzusetzen waren. Eine eigenständige Regelung neben dem aktienrechtlichen Ausschlussverfahren war vom Richtliniengeber nicht gefordert; nach Erwägungsgrund 24 Satz 2 zur Übernahmerichtlinie stand es dem nationalen Gesetzgeber allerdings frei, sich für eine eigenständige Regelung zu entscheiden. Dass der deutsche Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, begründete sich überwiegend mit der Unzufriedenheit hinsichtlich der bereits bestehenden Regelungen in den §§ 327a ff. AktG.31 Die selbständige Normierung des übernahmerechtlichen Ausschlussverfahrens wurde vom überwiegenden Teil der Literatur positiv aufgenommen.32 Der Gesetzgeber befürchtete zudem, dass das zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon verfassungsrechtlich in Frage gestellte aktienrechtliche Ausschlussverfahren durch die Umsetzung der Artt. 15 und 16 der Übernahmerichtlinie weiter an rechtspolitischer Akzeptanz verlieren könnte.33 Angesichts der kontroversen Debatten bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Angemessenheitsvermutung und deren Widerleglichkeit waren die gesetzgeberischen Bedenken aus heutiger Sicht nicht völlig unbegründet. Zudem wurde kritisiert, dass der Ausschluss nicht auf börsennotierte Unternehmen begrenzt wurde, sodass in der Literatur unterschiedliche Missbrauchskonstellationen befürchtet wurden.34

Bei der Verwirklichung entschied sich der deutsche Gesetzgeber für eine Minimalumsetzung. Die Richtlinie sollte also möglichst „eins zu eins“ in das deutsche Recht transformiert werden.35 Eine Änderung der bereits bestehenden Übernahmeregelungen fand daher nur statt, soweit dies von der Übernahmerichtlinie explizit gefordert war. Damit wurde jedoch der in der Literatur geäußerten Hoffnung eine Absage erteilt, dass es im Zuge der Richtlinien-Transformationen zu weiteren Reformbewegungen kommen werde.36 Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der Artt. 15 und 16 der Übernahmerichtlinie enthielt bereits die relevanten Bestimmungen der ← 26 | 27 → späteren §§ 39a ff. WpÜG.37 Dieser Entwurf wurde im Folgenden im Bundesrat kontrovers diskutiert; insbesondere wurde angeraten die Unwiderleglichkeit der Angemessenheitsvermutung eingehend zu prüfen.38 Geäußerte Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit wurden von der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung ebenso wenig geteilt wie die weiteren Bedenken des Bundesrates hinsichtlich der Angemessenheitsschwelle von 90 % oder der Möglichkeit eines Spruchverfahrens.39 Mit Wirkung zum 14.7.2006 traten die als Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz bekannte WpÜG-Novelle in Kraft und mit ihr auch die §§ 39a ff. WpÜG. Diese wiesen durch ihre Beschränkung auf börsennotierte Unternehmen eine deutlich stärkere kapitalmarktrechtliche Prägung auf, als dies für das eher verbandsrechtliche Verfahren der §§ 327a ff. AktG galt.40

Im Bericht der EU-Kommission vom 28.6.2012 zur Anwendung der Übernahmerichtlinie in den Mitgliedstaaten wurden Maßnahmen zur weiteren Harmonisierung angeregt. Eine konkrete Änderung der Richtlinie ist hiernach bislang allerdings (noch) nicht angestrebt.41 Die dem Bericht zugrundliegende externe Studie42 geht dabei intensiv auf die teils sehr unterschiedlichen Ausgestaltungsformen der nationalen Regelungen ein, die durch die EU-Kommission jedoch kaum berücksichtigt wurden.43 Auch ohne weitere Reformbestrebungen durch die Europäische Union oder den nationalen Gesetzgeber ist es nicht völlig auszuschließen, dass eine formelle Richtlinienänderung erfolgen wird. Daher bleibt abzuwarten, ob mögliche Anpassungen bzw. Nachbesserungen der §§ 39a ff. WpÜG lediglich auf Bestrebungen des deutschen Gesetzgebers oder auch der Europäischen Union zurückzuführen sein werden.

Als drittes Ausschlussverfahren und zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie 2009/109/EG vom 16.9.200944 wurde zusätzlich ein verschmelzungsrechtliches Ausschlussverfahren in § 62 Abs. 5 UmwG eingefügt.45 ← 27 | 28 →

E.  Anwendungsbereich der §§ 39a ff. WpÜG

Eingangs soll zunächst der Anwendungsbereich der §§ 39a ff. WpÜG und des WpÜG im Allgemeinen beschrieben werden, zumal sich bereits hier einige Besonderheiten ergeben und die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse als Grundlage für die weiteren Ausarbeitungen dienen sollen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass hier Meinungsstreitigkeiten vorzufinden sind, die erst an späterer Stelle eingehend untersucht werden sollen. Daher beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die wesentlichen Punkte.

I.  Börsennotierung der Zielgesellschaft

Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 WpÜG kann jede Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Sitz im Inland sein sowie eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums.46 Die Anwendung der §§ 39a ff. WpÜG kommt aber nur in Frage, wenn es sich bei der Zielgesellschaft um ein börsennotiertes Unternehmen in der Rechtsform einer AG oder KGaA handelt.47 Dies ergibt sich bereits aus § 1 Abs. 1 WpÜG, wonach die Anwendung des Wertpapierübernahme- und -erwerbsgesetzes auf den Erwerb von Wertpapieren beschränkt ist, die von einer Zielgesellschaft ausgegeben worden und zum Handel am organisierten Markt zugelassen sind.48 Aufgrund der Bezugnahme des § 1 Abs. 1 WpÜG auf den organisierten Markt scheidet eine Anwendung der §§ 39a ff. WpÜG aus, wenn die Wertpapiere der Zielgesellschaft lediglich zum privatrechtlich organisierten Freiverkehr zugelassen sind.49 Zur Umsetzung des Art. 4 Abs. 2 lit. e) i.V.m. lit. b) und lit. c) der Übernahmerichtline hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 und 3 WpÜG bestimmte Vorschriften des WpÜG für anwendbar erklärt, wenn es sich bei der Zielgesellschaft um eine inländische Gesellschaft handelt, deren stimmberechtigte Aktien ausschließlich an einem organisierten Markt eines EWR-Staates gehandelt werden, oder um eine EWR-Gesellschaft, deren stimmberechtigte Aktien auch im Inland zum Handel am organisierten Markt zugelassen sind. Zur näheren Bestimmung der anwendbaren Vorschriften wurde das Bundesministerium für Finanzen gemäß § 1 Abs. 4 WpÜG zum Erlass einer entsprechenden Verordnung ermächtigt.50 Demnach ist das übernahmerechtliche Ausschlussverfahren gemäß § 1 Abs. 2 WpÜG i.V.m. § 1 Nr. 19 ff. WpÜG-AnwendbkVO auf inländische Gesellschaften anzuwenden, auch wenn deren Aktien ← 28 | 29 → ausschließlich an einem organisierten Markt des Europäischen Wirtschaftsraums gehandelt werden.51 Diese Einschränkungen des § 1 Abs. 2 WpÜG gelten allerdings nicht, wenn es sich bei den im EWR-Staat gehandelten Anteilen um stimmrechtslose Vorzugsaktien handelt.52 Dahingegen sind die §§ 39a ff. WpÜG gemäß § 1 Abs. 3 WpÜG i.V.m. § 2 WpÜG – AnwendbkVO nicht auf Zielgesellschaften mit Sitz in einem EWR-Staat anzuwenden, unabhängig davon, ob deren Anteile auch im Inland zum Handel am organisiertem Markt zugelassen sind.53

II.  Bieter

§ 2 Abs. 4 WpÜG definiert den Begriff des „Bieters“: Demnach kann diese Eigenschaft sowohl natürlichen als auch juristischen Personen zukommen, aber auch Personengesellschaften.54 Die vom Gesetzgeber vorgenommene Aufzählung dient der Klarstellung, dass jedes Rechtssubjekt als Bieter auftreten kann.55 Ein ausländischer Rechtsträger kann Bieter im Sinne des § 2 Abs. 4 WpÜG sein, wenn das deutsche Recht diesem die Rechtsfähigkeit zuerkennt.56 Grundsätzlich gilt, dass Ausschlussberechtigter im Sinne des § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG nur derjenige sein kann, der auch das vorangegangene Übernahme- oder Pflichtangebot durchgeführt hat.57 Allerdings sind diesbezüglich eine Vielzahl von Sonderkonstellationen vorstellbar, sodass eine über die Definition des § 2 Abs. 4 WpÜG hinausgehende Darstellung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll.58

III.  Übernahme- und Pflichtangebot

Das Ausschlussrecht des Bieters besteht – ebenso wie das Andienungsrecht der Aktionäre – nur, wenn dem ein Übernahme- oder Pflichtangebot vorangegangen ist. Somit muss ein auf den Erwerb aller Anteile gerichtetes Übernahmeangebot im ← 29 | 30 → Sinne des § 29 WpÜG oder ein Pflichtangebot gemäß § 35 WpÜG vorgelegen haben.59 Die Abgabe von Teilangeboten ist nach § 32 WpÜG unzulässig. Die Anwendung der §§ 39a ff. WpÜG kommt nicht in Betracht, wenn es sich bei dem Angebot des Bieters lediglich um ein freiwilliges, aus einer Kontrollposition heraus abgegebenes Aufstockungsangebot handelt. Diese Einschränkung entspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers.60 Dies soll auch dann gelten, wenn der Bieter in Folge des Aufstockungsangebots die erforderliche Beteiligungsquote von 95 % hält.61 Eine analoge Anwendung der §§ 39a ff. WpÜG auf freiwillige Aufstockungsangebote ist ebenso ausgeschlossen, da sich die Mindestgegenleistung nicht nach den Regeln des § 31 WpÜG bemisst.62 Im Übrigen finden die §§ 39a ff. WpÜG auch dann keine Anwendung, wenn der Beteiligungserwerb durch ein sonstiges, nicht den Regeln des WpÜG unterfallendes Angebot oder eine reine Umstrukturierungsmaßnahme zustande kommt.63 Insgesamt ist dieser enge Anwendungsbereich nicht zu beanstanden und steht auch im Einklang mit dem engen Angebotsbegriff des Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Übernahmerichtlinie.64 Als Annexverfahren zu einem Übernahme- oder Pflichtangebot kommt damit dem übernahmerechtlichen Ausschlussverfahren eine privilegierte Stellung zu.65


1 Im Jahre 2014 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) in 26 Fällen die Angebotsunterlagen genehmigt, dies geht aus dem Jahresbericht der BaFin, S. 233 hervor (abzurufen unter: http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Jahresbericht/dl_jb_2014.pdf;jsessionid=7300315050B799E03FC8AF435192D972.1_cid298?__blob=publicationFile&v=8).

2 Dazu etwa Seibt/Heiser, AG 2006, 301 (316 f.); wohl auch Prasuhn, Schutz der Minderheitsaktionäre (Diss.), S. 166.

3 So etwa Diekmann; NJW 2007, 17 (19).

4 Kritisch etwa Heidel/Lochner, in: Heidel (Hrsg.), AktG, § 39a WpÜG Rn. 6 ff.; Schüppen/Tretter, in: Frankfurter Kommentar WpÜG, Vor. § 39a Rn. 20; Schüppen, BB 2006, 165 (168).

5 Hentzen/Rieckers, in: DB 2013, 1159.

6 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003, S. 14; Seiler, in: Assmann/Pötzsch/Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 39a Rn. 5; Hasselbach, in: Kölner Kommentar WpÜG, § 39a Rn. 8; Schüppen/Tretter, in: Frankfurter Kommentar WpÜG, Vor. § 39a Rn. 4.

Details

Seiten
296
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783631705032
ISBN (PDF)
9783653070385
ISBN (MOBI)
9783631705049
ISBN (Paperback)
9783631676462
DOI
10.3726/978-3-653-07038-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Schlagworte
Squeeze-out Sell-out Kapitalmarktrecht Übernahmeverfahren Ausschlussrecht Andienungsrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 296 S., 1 s/w Abb., 1 s/w Tab.

Biographische Angaben

Sebastian Thilo Müller (Autor:in)

Sebastian Thilo Müller studierte Rechtswissenschaften an der Eberhard Karls Universität Tübingen, wo er auch promoviert wurde.

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