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Luthers Lehre

Doctrina Christiana zwischen Methodus Religionis und Gloria Dei- Teil 2: Ihr Aufbau und ihr Auftrag

von Wichmann von Meding (Autor:in)
©2014 Monographie 505 Seiten

Zusammenfassung

Teil 2 dieser Vertiefung in Luthers Theologie entfaltet nun, was der erste aus den literarischen Gattungen seiner Schriften erarbeitet hatte. Es tritt den meisten bisherigen, sehr verschiedenen Gesamtkonzepten gegenüber. Christus, nicht die Schöpfung oder gar Ethik, ist das Fundament, zu dem der Katechismus führt. Seine tragend aktive Kraft lässt die Heil schaffende Trinität begreifen. Deren Tun löst jubelndes Gotteslob aus. Es aber stört die selbstzufriedene Welt. Gott regiert sie zwar, sie jedoch widersteht ihm raffiniert. Ein theologisch ungebräuchliches Wort bündelt diese Dramatik und sagt, was der Reformator vom Geschehen zwischen Gott und Mensch in der Welt lehrte. Solche aus dem Zuhören geborene Schlichtheit fiel nicht nur einst auf.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • III. Luthers Lehre, systematisch erbaut
  • A. „Ich fiel auch immer tiefer drein“ – Die Instructio
  • 16. Der Katechismusweg
  • a. Was jeder soll
  • b. Was keiner kann
  • c. Bleibt nur zu bitten
  • d. Gott gibt
  • B. „Ich geb mich selber ganz für dich“ – Doctrina I
  • 17. Christologie von unten
  • a. Christologische Konzentration
  • b. Die Himmelsleiter
  • c. Das Fundament
  • d. Die Einheit beider Naturen
  • 18. Christologie des Kreuzes
  • a. Christus das Wort
  • b. Christus im Amt
  • c. Christus stirbt als Priester
  • d. Christus herrscht als König
  • 19. Trinität in Aktion
  • a. Gott handelt im Wort
  • b. Gottes kommunikatives Wesen
  • c. Gott geht mit dem Nichts um
  • d. Gottes geschichtliche Dynamik
  • C. „Halt dich an mich“ – Doctrina II
  • 20. Gerecht ohne Gesetzeswerke
  • a. Sünde
  • b. Gesetz
  • c. Buße
  • d. Evangelium
  • 21. Gerecht aus Glauben allein
  • a. Sakramente und Schlüsselgewalt
  • b. Die Kirche
  • c. Rechtfertigung
  • d. Klostergelübde und Menschensatzungen
  • D. „Teuer hat ers erworben“ – Die Confessio
  • 22. Gott sei Lob, Preis und Ehr allein
  • a. Der Ehrbegriff
  • b. Gottes Dienst
  • c. Nächstendienst
  • d. Das Gesangbuch
  • IV. Luthers Welt, kritisch geschaut
  • 23. Gott regiert auch mittelbar
  • a. Zwei Reiche
  • b. Drei Stände
  • c. Hoffende Liebe
  • 24. Der Fürst dieser Welt
  • a. Satanserfahrung
  • b. Groß Macht und viel List
  • c. Maske des zornigen Gottes
  • 25. Der bedürftige Mensch
  • a. Das sprachbegabte Geschöpf
  • b. Der zu rechtfertigende Sünder
  • c. Bettler
  • Nachweise
  • a) Abkürzungen
  • b) Zitierte Literatur
  • c) Register
  • Luthertextreferate
  • Personenregister
  • Sachregister

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III. Luthers Lehre, systematisch erbaut

Christus war dem mannigfach gedeuteten Reformator das Fundament schlechthin. Und doch beschreibt man die Lutherrose, ‚Merkzeichen meiner Theologie’: „In goldenem Ring [stehe] auf blauem Himmelsgrund die weiße Rose und ein lebensvoll glühendes rotes Herz“ - Zeilen später erst „das Todes- und Auferstehungskreuz Christi“1. Kürzer: „Ring, Rose, Herz, Kreuz“2. Er aber faßte sie vom Zentrum her, wie Kapitel 2 zeigte. Es scheint einigen Forschern fremd zu sein, fand doch einer 2008 „- ganz klar - auch Luthers Theologie … in Gestalt von Ofenkacheln“ seines Hauses und bildete Eva bekleidet ab: nach dem Sündenfall3. Töpferte der Professor? Wer seine Lehre in Fremdprodukten sucht oder auf den Kopf stellt, wird seiner zentralen Orientierung nicht gewahr. Sein erstgedruckter Satz betonte fern dem Üblichen, Christus sei zu hören (nicht Eva zu schauen). „Bevor es Christus erkennt, jagt das Herz nach nichts als Geld und Gut“4 (oder goldenen Ringen). Die sind Gegenmodell wahrer Lehre.

Im Kloster, ja da hatte auch er Christus verfehlt, ihn als Richter gefürchtet. Nicht einmal ihn darf man beliebig deuten. Sonst „hängen wir an uns selber eher als an Christus“5. Noch immer wird Luthers Jagd nach dem gnädigen Gott zitiert, als sei sie schon reformatorisch. Ihn zu hören mußte er lernen (Kapitel 14), nicht eigene Gelübde erfüllen, Selbstauferlegtes. Was er dann tat, legitimiert sich „am Kriterium des Christusglaubens“6. Unüblich, doch wie Staupitz griff er zur Exegese, seit er wußte, Glaube komme vom Wort. Dessen Ankunft begründet seine Lehre. Trotzdem folgten auch Umwege. Die skizzierte Kapitel 8. Alles verkehrt sich, wo „Menschen sich verschiedene Heilswege vornehmen: der tut ein Gelübde, einer schläft auf der Erde, ein anderer wird Mönch. In summa: man will immer auf andere Weise zum Himmel finden. Gott aber sagt: Nein. Ich zeige euch das Wort“7. Aufs Turmerlebnis fixierte Forscher übersahen, daß er 1529 angab, durchs Gesetz rufe Gott zum nahen Retter, nicht auf gerechte Wege (Wallfahrten seien Wege zu Gott8), in eigenes Erleben. Er mußte lernen: ,„Gesetz’ … kommt eigentlich her vom Unterweisen“9. Diesen Anfang nannte er instructio oder methodus, Einführung, Weg zu Lehre und Lob. Die beginnen unterweisend. Nichts geht vorauf, als gelte: „Nur wer die … Erfahrung von Gottes Güte in seinem Leben machen durfte, den kann die Gesetzespredigt zum Beginn der Rechtfertigung bringen“10. ← 7 | 8 → Luthers Lehre hebt mit dem spät erarbeiteten gesetzlichen Katechismus an, kehrt kirchliche Konzepte des Positiven um. Der Wegweiser zu Christus ist der „Einstieg“ in die Lehre11. Andere führen nur in „Unkenntnis Gottes, Gottesverlust, Undank, Verachtung“12. Den durch Gotteszusatz vereinzelten Begriffen folgt ein doppelter. Negativ nennen sie „Quelle, Methode und Ziel der theologischen Arbeit“13. Die gestaltet sich so einfach wie das System des Aquinaten, nur völlig anders.

Wer nicht Christi katechetischen Weg läuft, modisch an Bonaventuras Stationenlehre orientiert - sie habe Jedem Menschen den Weg zum Reich Christi zu zeigen“14 - geht selbst, während der Herr zu ihm kommt. Wäre „Der Weg, Gottes Gnade zu erfahren, … der Glaube“15, so wäre der Retter fern. Auch Modalsli sah Luther als „Pilger“ an „auf dem Wege zur Begegnung mit Christus“, obwohl er „sein immer wiederkehrendes Gebet“ zitiert hatte „Komm, lieber jüngster Tag!“16. Kommt der wie sein Herr, würden Wanderer ihm weglaufen. Luther begriff die Vaterunserbitte ums Kommen des Reiches. Wer so bittet, läßt sich überraschen. Ostern 1531 hörte die Gemeinde: „Christus will es nicht haben, daß ich mich vor ihm entsetze. Habe ich aber ein [durchs Gesetz] erschrockenes Herz, wird er froh, kommt zu mir und sagt: Wenn du erschrocken bist und schlecht von mir denkst, laß fallen. Du bildest dir mich als [richtendes] Gespenst ein. Ich komme, daß ich dich tröste“17, dir diene. So korrigiert er Irrende, die sich nicht an ihn, ihn vielmehr für himmelsfern halten. Der Katechismus lehrt, darauf zu verzichten. Glaube ist kein Weg zu ihm. Er empfängt den Herrnjetzt, nicht der ihn einst nach langer Fahrt. Der gibt sich Sündern hin, die ihn so annehmen, „niemand geht, ihn zu sehen“18. Umkehr zum Nehmen bereitet der Katechismus vor. Er verhält sich zur Lehre wie das Gesetz zum Evangelium. Aus dem „predigen wir Freiheit von Sünden“19. Je eine Zeile des Freudenlieds wird die Teile der nun nachzuzeichnenden Befreiung betiteln. Schon dort steht das ganze Lehrkonzept, wenn auch noch ungeordnet.

1 Oskar Thulin 1968 aaO 42.

2 Michael Freund aaO 42.

3 Harald Meiler aaO 111 (Hans-Georg Stephan).

4 WA 37,247 (Rörer).

5 WA 27,455 (Rörer).

6 Uwe Rieske-Braun aaO 46.

7 WA 37,227 (Rörer).

8 Manfred Lütz aaO 131.

9 WA 31.I, 2 (Der 119. und 83. Psalm).

10 LuJ 62, 1995, 191 (Bericht Bernhard Erling).

11 Gegen Ulrich Asendorf 1988 aaO 33. 35.

12 WA 31.I, 540(Entwurf Psalm 51).

13 Scott H. Hendrix 2008 aaO 15.

14 Helmar Junghans 1983 aaO 98.

15 Peter Zimmerling aaO 31.

16 Ole Modalsli 1963 aaO 101.

17 WA 34.I, 314 (Rörer).

18 WA 27, 21 (Rörer).

19 WA 40.II, 214 (Enarratio Psalm 2, Rörer).

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A. „Ich fiel auch immer tiefer drein“ – Die Instructio

Luther hörte Gott zu. So beantwortete er die „erkenntnistheoretische Frage: Wo ist der Zugang der Theologie zu ihrer Sache?“20 Mögen Menschen rühmen, was sie fasziniert, „ich frage nach keinem Geist, Christus, Got, als jenem, der in den Hauptstücken des Katechismus steht“21. „Soll man der Christenheit aufhelfen, so muß man wahrlich an den Kindern anfangen“22. Ihr Kapitel greift das der Katechismusgattung auf. Es ergab, Luthers Buch biete kein Glaubenssystem. Erst in „der zweiten Hälfte des lö. Jahrhunderts … gerieten Katechismen … zu theologisch-dogmatischen Textbüchern“23. Hatte er 1525 erklärt, im vorigen Kapitel belegt, „Tilge Christus aus der Schrift, was wirst du weiter in ihr finden?“, so schrieb sein Schüler Mörlin 1564: „Man nehme den Katechismus aus der Bibel/ Was wollen wir darin behalten?“24 Ein Text ersetzte den Retter. Man könnte beginnende Abkehr von Luther auf diese Umdeutung der Katechismen in Glaubensbücher reduzieren. 1821 deutete Badens Unionsurkunde diese wie den Heidelberger Katechismus als „reine Grundlage des evangelischen Protestantismus“25. Reu versteht sie „aus dem Mittelpunkt des Evangeliums“, „das Evangelische“ dann als „Wurzel … christlich sittlichen Verhaltens“26. Vom letzten handeln sie wirklich, vom Evangelium nicht. Zu ihm führt Luthers gesetzliches Kinderbuch hin.

Das kleine wendet sich an Lehrlinge im Christentum. Es soll sie den Gesetzesweg zur Selbsterkenntnis führen27, rohe Heiden mit Säuglingsmilch ernähren. Das Große hilft Predigern, den Weg zum Glauben zu zeigen, lehrt aber keinen Glauben, bietet keine „Vereinfachung der Lehre“28. Zwar zieht die Vorrede „Diesen Katechismus oder christliche Lehre“ zusammen. Doch sofort weist sie auf „die klägliche, elende Not“ des gemeinen Mannes, der „gar nichts weiß von der christlichen Lehre“29. Luther subtrahiert die Lehre sofort wieder aus dem Doppelbegriff heraus, stellt Nichtwissen dem Katechismus parallel. Um es zu beheben vertieften Katechismuspredigten regelmäßig das häuslich Eingeprägte, legten fünf Texte schlicht aus. Immer soll „gepredigt werden,… was einem Christen Not ist zu wissen“30. Darum müssen „Alle Prediger… bei sich beschließen, jungen, unverständigen Leuten zu predigen, … Daß die verstehen … und ihr Leben bessern“31. Luther mahnte: „lehre sie fürs allererste … die zehn Gebote, Glauben, Vaterunser etc. ← 9 | 10 → nach dem Text hin von Wort zu Wort, daß sie es auch so nachsagen können“. Nur Instruierte können so mitdenken, daß Glaube ein eigener wird. Den setzt Gott nicht voraus. Mit tötendem Gesetz zerbricht er anfangs, was ihn hindert. Es gibt wie Bußpsalm 51 „die Generallehre, die alle Menschen angeht“32. Psalm 119 bitte daher um zweierlei: „Das erste, daß Gott uns fuhren wolle, lehren, weisen und festhalten bei seinem Weg, Gebot und Gesetzen. Das andere, daß er uns behüten wolle vor der Menschen Lehre und Gebot“33. Auf den Weg des Gesetzes bringen heißt auch Abwege verrammeln. Katechismen bieten keine Dogmatik34, keine „knappe, griffige Zusammenfassung des evangelischen Glaubens“35. Kenntnis ist seine Vorstufe, nicht sein Ziel. Bittere Ahnungslosigkeit bedarf ihrer zuerst.

Das drückt der Begriff aus. „Catecho im Griechischen [bedeutet] ‚instruo’ oder ‚erudio’ auf Latein“36, Unterricht. Nicht nur Gott beginnt so. Um Feinde zu besiegen müsse man zuvor in Waffen unterwiesen sein37. Ein Wort in Psalm 5,4 bedeute „instruere, wie man einen Tisch zurichtet“38. Anweisungen sagen, was geschehen soll. Gott konzentriert dieses jedem Auftrag offene Fordern im Gesetz, fokussiert im Katechismus. Schon eine frühe Dekalogauslegung hieß „Instructio pro confessione peccatorum“39 Getaufte müssen lernen, ihre Sünde zu er- und zu bekennen. Daran hindern kirchliche Interpretationen, das Gesetz sei ethisch erfüllbar. Nein, das stets vor Gott fliehende Herz strebt nach Selbstverwirklichung40. Daher der im Katechismusjahr gepredigte Satz, „das Evangelium ist nicht für Ahnungslose da (denen der Sachsenspiegel gehört)“, ein Gesetz41. Das muß niemand suchen. Es steht im Herzen geschrieben. Wer als Getaufter glauben möchte, soll beim bereits Gegebenen anfangen und hören lernen, was längst gilt.

Diese formale Auskunft bleibt für vielerlei offen. Ein Predigtband mag das belegen. Mancher spreche „in einer Stunde 20 Paternoster“. Doch quantitatives Ableisten sei kein Beten. „So können Knaben instrui“, arg verfuhrt werden. Christen hingegen sollen „bene instructi“ im Glauben sein, auch wenn alles ihm widerspreche. Gute Instruktion gibt Klarheit, Festigkeit. Werke dienen nicht Gott, sondern dem Nächsten, „wenn der das nicht weiß, instrue ihn, Christus habe alles gemacht“, was vor Gott gilt. Fehlgeleitete sollen wissen, was er tat. Es sei das „Amt jedes Beliebigen, daß er den Nächsten instruat ec. Und diese Vollmacht wurde nicht nur Klerikern gegeben …, sondern allen Glaubenden“42. Alltägliches Instruieren bewirkt, daß Alle den Katechismus im Kopf haben, um ihn stets zu meditieren. ← 10 | 11 → Wie Maler, was sie zur Pinselpflege lernten, dauernd anwenden, ohnejedesmal im Lehrbuch nachzuschlagen. Darum muß die instructio den Nagel aber auch auf den Kopf treffen. Sonst nützt kein Anwenden. Das elementare Handwerksbuch der Getauften setzt meisterliche Ausarbeitung voraus.

Die vermengt, obwohl Prediger sie erläutern, Unterweisung und Predigt, Wissen und Glauben nicht, zeigt aber Zusammenhänge. Die Generallehre bietet keine christliche, sondern erst einmal die Bedingung ihrer Möglichkeit.

16. Der Katechismusweg

Am Ende seiner Antwort an Erasmus beschrieb Luther die geistige Lage fast wie kluge Atheisten heute: „so verwaltet Gott diese körperliche Welt in äußeren Angelegenheiten, daß du, wenn du das Urteil menschlichen Verstandes prüfst und ihm folgst, gezwungen bist zu sagen, entweder sei kein Gott, oder er sei dir feind, wie jener Unbekannte sagt: Oft werde ich erregt, anzunehmen, daß keine Götter sind“43. Realistisch räumte er rationale Resignation ein. Die halte Gott entweder für eine Illusion oder für schrecklich. Er quäle Menschen, die ihm in edler Absicht nahen wollen. Er widerspreche ihnen, weil sie einem nahen Gott ausschließen. Denn der katechetische „theologus legis … ist [anfangs] im Grunde ein theologus gloriae“44. Sein Wissen dient seinem Selbstruhm, der seine Gottesidee prägt. „Gott allein ist ein Sünder und nichts, Jeder Mensch ist gerecht und alles. Allein der Vater ist machtlos, weil Menschen mächtig sind … Allein der Sohn ist dumm, weil Menschen weise sind … Allein der Geist ist ruchlos, weil Menschen so nett“45. Nicht einmal die Notiz „Der Mensch der Gegenwart fragt nicht mehr nach dem gnädigen Gott“46 konfrontiert Luthers vorreformatorische Frage mit einem neuen Problem. Der Professor ging von harten Analysen, dieser Sackgasse aus.

Er bestritt Gottes irritierendes Weltverwalten nicht, behauptete nur, es habe Grund und Sinn. Es stoße stolze Sinne in Nihilismus, sie von gedachten Göttern loszueisen. Die schweigen tatenlos. Wer jedoch (gebietend) spricht und stößt, ist nicht nichts. „Das Licht der Herrlichkeit kann die Suche [nach Gott] ganz leicht lösen, die im Licht des Wortes oder der Gnade unzerstörbar ist“. Rastlos retten Wort und Gnade aus ratloser Rechthaberei. Sie bekunden „das Licht des Evangeliums … allein im Wort und Glauben“47. „Ich glaube den Gott, der sich [bei Jesu Taufe] in der Taube zeigte, der im Jordan stand“48. Christus, Gottes Wort, wird sofort angepeilt. Erst er stellt atheistisches Wissen wirklich auf den Kopf, Gott müsse brav fern sein statt zu kommen. Jesu Sturmstillung zeige: „Christus tritt ins ← 11 | 12 → Schiff und seine Jünger. Wo nicht, ist es still, ist kein Unwetter, scheint die Sonne, das Meer ist freundlich anzusehen. Aber wenn sie sich einschiffen, wird der Himmel finster und Sturm zieht auf und die andern Schiffe greift der Wind nicht sofort an. So lerne aus dem Evangelium, … wenn Christus ins Schiff steigt, so geht es bald los, wenn nicht, so ist das Meer ruhig“49. Wie es kommt der Katechismus freundlich daher, streift den Sturm auslösenden Retter und sein Kreuz kaum. Nett lädt er zum Einsteigen ein. Unterm Gesetz scheint die Welt in Ordnung zu sein. Daß es „Gewissen erschreckt“50, merkt man später. Wieder bestätigt sich: Gattungen haben in Luthers Schrifttum spezifische Aufgaben, die bei der Interpretation zu beachten sind. „Elementare Glaubensvergewisserung“51 bedarf (wie am Sinai oder bei Matthäus) zunächst zugesprochener Pflichten. Die sind vor Gott nie erfüllbar. Gesetz soll „führen zur Erkenntnis unsers Unvermögens und von uns zu einem andern treiben, nämlich zu Christus, Gnade und Hilfe zu suchen“52.

Das einladend formulierte Gesetz mutet Glaubenslehrlingen nicht jenen Weg zu, den Luther selbst gelaufen war. Er schickte werdende Christen nicht ins Kloster. 1530 predigte er Jesu Satz, niemand solle sein Haus auf Sand, sondern Fels bauen (Mt 7,24-27). Er habe „viel erfahren und gesehen solche armen Leute, vornehmlich in Klöstern, die diesen Gegensatz so sehr gefühlt haben, daß sie zuletzt wahnsinnig wurden vor Schrecken … Denn sie hatten auf ihr eigenes Wesen, Andacht und guten Leumund gebaut, wußten aber nichts von Christus“53. Ruhig zeigt der Katechismus, der Sand eigener Gesetzeserfüllung sei zwar gefordert, doch haltlos. Selbsterlösung sei zu verlernen. So weist er hin zu Christi bald umtobtem Schiff. Alles sonst gesagte Dunkle fehlt jenem Buch, das nach jahrelanger Arbeit – nie baute Luther ausdauernder als an ihm und dem Gesangbuch – Getauften zur Hand kam. Es konfrontiert mit Gottes erläutertem Gesetz. Der Ansatz, zu hören sei, was er will, entspricht dem Schma Israel Dt 6. Die Bibel von 1534 glossiert: „Immer treiben und üben/ daß sie [Gottes Worte] nicht verrosten [wie unbenutzte Klingen] noch verdunkeln [wie weggestellte Bilder]/ sondern stets im Gedächtnis und [gehörten] Wort/ neu und hell bleiben/ Denn je mehr man Gottes Wort handelt/ desto heller und neuer wird es/ und heißt billig/ [wie roter Nachtschatten, dessen Rinde immer süßer schmecktje länger man kaut]je längerje lieber/ Wo man es aber nicht treibt/ wird es bald vergessen und kraftlos“54. Das anhaltende Katechismusverfahren gilt dem in der Lehre wahrlich nicht empfohlenen Gesetz. Es steht am Anfang, wie das Alte vor dem Neuen Testament. Erfüllen allerdings werden Katechumenen es nie. Das tut Christus, zu dem es weist.

Diese Startrolle wird dem Katechismus oft entzogen. „Die lutherischen Bekenntnisschriften … sind … der Wegweiser, der in verwirrten … Zeiten die rechte ← 12 | 13 → Richtung angeben kann. Sie bleiben auch in Zukunft für uns die unentbehrlichen Richtungsweiser“55. Treffend warnen solche Sätze vor Orientierungslosigkeit, spielen nur auf den Luther fremden ordo salutis an, einen Glaubensweg ins Jenseits. Gottes Reich ist kein Ziel strebend bemühter Lebensläufe. Es kam längst und bleibt ewig. Daher gab Luther einer Bekenntnisschrift in der Vorrede mit, sie sei „mein Zeugnis und Bekenntnis, … darauf ich auch noch bisher geblieben bin und bleiben will mit Gottes Gnaden“. Wäre in Wirrnissen die rechte Richtung einzuschlagen, so hätte er, dessen Widersacher „sich unterstehen, mein Schrift und Lehre stracks wider mich zu führen“56, nicht bleiben dürfen. Kommt das Reich, müssen Christen bleiben, wo es zu Ohren kommt. Bliebe es fern, müßten sie hineilen. Der Gegensatz sollte nicht verwischt werden. Luthers Lehre gibt an, wojedenfalls er gewiß bleiben wollte. Der Katechismus aber fordert Getaufte erst einmal auf, diese Gewißheit aufzufinden.

So hebt er auf vorchristlichem Niveau an, bei dem ins Herz geschriebenen Gesetz. Jeder will wissen, was das Leben soll, erfährt aber, was er selbst soll. Jeder will einen Gott haben, aber „die Leute … müssen es [das Gesetz] haben, daß wir begreifen, was wir sind und uns im Herzen steckt… Wenn der Mensch sich nicht erkennt, nützt ihm das Evangelium, Christus nichts“57. Der rettet nur aus erkannter Rettungslosigkeit, selbst alles zu sollen. Auch Delfis Tempel forderte Besucher auf: Erkenne dich selbst. Wer das fordert, ist weder nichts noch fern. Diesen schlichten Ansatz zeigte Kapitel 8. Ja Luther beginnt noch primitiver. Als hätte er 1525 nicht erklärt, „Gott sagt Worte des Gesetzes, nicht uns die Kraft des Willens zu bestätigen, sondern den blinden Verstand zu erleuchten“58, ermuntert er hier geradezu fröhlich, „die solche Gebot halten“. Fast präsentiert er das euphorisch erasmische ‚Du kannst, denn du sollst’. Nur werde sich bald zeigen, „daß kein Mensch [es] so weit bringen kann, daß er eins von den zehn Geboten halte, wie es zu halten ist, sondern … der Glaube und das Vaterunser zu Hilfe kommen muß“59. Denn, „Wo jemandem ein Gesetz gegeben wird, kommt eine Unvollkommenheit hinein, Ich sage nicht zur Frau: sei eine Frau, sie ists bereits. Was schon ist, muß ich nicht befehlen“60. Befehle verlangen, was nicht ist.

Luthers Ansatz beim gebietenden Wort bekundet also keinen „pädagogischen Takt im Katechismus“61. Gewiß, Gesetz „ist unser Pädagoge. Wohin? auf Christum“62. Es „muß durchs Evangelium interpretiert werden … das Evangelium macht durch seine Kraft aus einem Räuber [der Selbstgerechtigkeit] einen Pädagogen [des Wortes] und raubt jenen durch das Gesetz Getöteten und führt ihn zu ← 13 | 14 → Christus zurück“63. Es raubt weder taktvoll noch gibt es, was es raubte, freiwillig her. Der Katechismus setzt Gal 3,23-25 um, läßt harmlos Pflichten lernen. Der Prediger lehrte 1531 keine Pädagogik, sondern Gottes Groteske am Beschneidungsgebot: „Gott zeigt durch sein Tun, wie närrisch er die Sache anpackt den Leuten zu helfen … Ist ein lächerlich Gebot. Davon wir nicht gern reden und gedenken, daß der Knabe 8 [Tage alt war] und genau wie der erwachsene Abraham beschnitten werden sollte, und [alle], die zum Judentum übertreten wollten … Das ist ein Exempel, daß Gott die Welt zur Närrin macht, und was er vorgibt, soll ihr nicht gefallen, [nein,] umgekehrt. So geht es mit allen Gesetzen und Geboten, daß Vernunft sich dran stoßen muß“64. Ernsthaft stößt der Katechismus den Verstand um, verschweigt aber, wie der Prediger vor der Gemeinde öffentlich urteilte.

Der bedrohte 1538 alle „Prediger der Finsternis“, er wolle ihnen „aus dem Katechismus einmal das Gesetz schärfer predigen“65. Radikal führt Gesetzlichkeit zum Licht. Gemeinsam zeigen beide Büchlein das der Bergpredigt nahe Verschärfen. Das Große erläutert die Erklärung des zehnten Gebots aus dem kleinen, wir sollten „unserm Nächsten nicht sein Weib, Gesinde oder Vieh abspannen, abdringen oder abwendig machen“66: erst „Juden“ hätten „dieses Gebot so gedeutet …, daß niemand dem andern das Seine wie Weib, Gesinde, Haus und Hof, Acker, Wiesen, Vieh an sich zu bringen denke und sich vornehme, auch mit gutem Schein und Vorwand, doch mit des Nächsten Schaden“. Abspannen umschließe aber auch „mit Ehren vor der Welt dazu kommen“67. Diese Auslegung dehnt biblische Verbote auf menschliche Ehrsamkeit aus. An Ostern jedoch, das jenem „Artikel [gilt], der der Christliche heißt“, predige er „nicht… von den Werken, die ihre Zeit haben, nämlich im Katechismus“68. Der fordert gute Werke ganz und gar, doch anfangs, nicht „an zentraler Stelle“69. Das Neue Testament hingegen erwähnt als Subjekt „des Lehrens … nie das Gesetz“70. Paulus habe es gar durch seine rhetorische prosopopoeia „verächtlich gemacht“71.

Wo man verkannte, daß der Katechismus Gesetz treibt, um zum Erlöser zu führen, wo man ihn gar auf die drei Titel des 2.Hauptstücks, ja auf „Schöpfung und Erlösung“ verkürzte (ohne entscheidende Heiligung), darin aber „die gesamte Lehre“ sah72, wurde es wirr. Schott schob die Differenz des katechetisch nötigen, doch theologisch tötenden Gesetzes wie Ritsehl in den Menschen: „Die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium liegt eben nicht ursprünglich in Gottes Wort, sondern im Bewußtsein des Menschen; denn ebenso wie Luther im Großen ← 14 | 15 → Katechismus dasselbe Gesetz, dessen Schrecken er sonst wohl zu schildern versteht, hoch erhebt …, darauf man vor aller Welt mit gutem Gewissen trotzen kann, weiß er auch, daß das schönste Gnadenwort unter Umständen Schrecken auslöst und als Gesetzespredigt wirkt“73. Die schreckt unbedingt, nicht nach subjektiven Umständen, nicht im Evangelium. Der Katechismus lockt freundlich, Mut machend in diese arge Realität. Verkündigung braucht Erfahrung, wie hart sie ist. Werden Gattungen vermengt, verwirrt das die Sache, als entscheide nicht Gott, sondern menschliches Bewußtsein im doppelten Brauch des Gesetzes.

Katechismus und Lehre verhalten sich zu einander wie Weg und Ziel. Wer dies anderswohin überträgt und behauptet, die „Kirchenpostüle ist wie die Bibel ein Volks- und Erziehungsbuch“74, wer umgekehrt den „Großen Katechismus … als von Rechts wegen maßgebliche Darstellung kirchlicher Lehre“ sieht75, wer sogar erklärt „Der Große Katechismus … ist Luthers zentrale theologische Schrift in deutscher Sprache“76, verquirlt Gesetz und Evangelium. So „wie der Arzt sich zunächst … präsentiert und dann erst die Diagnose stellt, beginnt Luther sehr oft seine Predigten so, daß er Christus als Versöhner und iustificator verkündet. Eben wenn die Versöhnungstat der Liebe Gottes in Christus gepredigt wird, wird zugleich unsere tiefste Sünde geoffenbart“77. So reihte der Wittenberger nicht. Seinem Katechismus fehlt Gottes Präsentation78. Erst später trat sie hinzu. Er sperrt sich den Predigtaussagen. Die lehren, nur Christus mache gerecht: „Jesus Nasarenus, am Kreuz für uns gestorben, ist der Gott, der in dem Ersten Gebot spricht“79. Der Katechismusgott aber ‚soll’ von angesprochenen Menschen anerkannt werden. Er verlangt es, um Lehrlinge vom Eigenwillen und Erfüllungsstolz abzubringen. Daher erklärt der Schriftausleger, dem Glaube als „das höchste Werk“ galt: „Nun haben wir aus der Schrift gelernt, daß wir nicht einmal die geringsten Werke tun können ohne den Geist Gottes, wie sollten wir denn durch unsere Kräfte das höchste Werk tun können, nämlich glauben?“80 Sein Katechismus leitet Jeden an, diese Unfähigkeit zu erfahren. Luther hat „die Bibel zum christlichen Grundbuch gemacht“81, ihn aber zum Grundbuch für alle, die (noch) keine Christen sind.

Diese allen Menschen zugewandte Systematik überschüttete Lernende und Glaubende nicht mit Einheitsdressing. Der Prediger widersprach dem gesetzlichen Katechismus: „Leute fromm zu machen, muß man nicht mit Gesetzen anfangen“82. Dennoch beginnt sein Lehrlingsbuch exakt so. Der Prediger wußte: „Im ← 15 | 16 → 1.Gebot ist auch Christus begriffen“, der vom Tod, nicht aus Ägypten rettet83. „Moses gibt Gott den Namen [‚der aus Ägypten führte’] nicht weiter als bis zum Advent des [verheißenen] Propheten. Der kam [nun] schon und erfüllte die Schrift und gab Gott einen anderen Namen, nämlich daß er uns aus Sünde, Tod geführt hat und in Gerechtigkeit; Christus ist im 1.Gebot ebenso gefaßt wie Gott“84. Als sei all das vergessen, fordert der Große Katechismus: „laßt uns das erste Gebot gut lernen, daß wir sehen, wie Gott… nicht Höheres von uns fordert als eine herzliche Zuversicht alles Guten“85. Wer fordert, führt nicht heraus. Diese Forderung des 1.Gebots rahmt und prägt sogar das ganze 1.Hauptstück.

Das erwähnt überhaupt keine Rettung, weder die aus Ägypten noch die vom ewigen Tod. Jene „Historien und Geschichten, wie uns die Schrift reichlich anzeigt“, deuten den erinnernden Relativsatz Ex 20,2 kaum an. Glaubenslehrlinge sollen nicht alte Vorgänge erwägen oder wer Gott sei. Nur: wie „schrecklich diese Dräuwort sind, so viel mächtigerer Trost ist an der Verheißung, daß, die sich allein an Gott halten, sollen gewiß sein, daß er Barmherzigkeit an ihnen erzeigen will“. Daher kommt Christus nicht vor, nur Furcht oder Zutrauen. Auf der Kanzel hingegen rügte Luther, wie oft denen, die sichvon Heiligen zu Gott wandten, „innerlich [Selbst-]Liebe und Vertrauen auf die Kreatur bleibt“86. Das sei der „Heiden Meinung, einen Gott haben heiße trauen und glauben“87. „Alle anderen können nicht helfen noch für andere genug tun …, nur Christus allein, daß jeder vertrauensvoll [cum fiducia] zu ihm trete“. Die ist keine fides in eum, „dadurch kannst du ihn nicht fassen, nur durch Glauben allein“88. 15 3 5 hob er die „fides … vera“ von der „fides … Historica“ ab89. Glaube kann wahr sein oder vermuten, etwas solle passieren. Nur letzteres spricht der Katechismus an. „Für Luther gibt es keine menschliche Weisheit’, die erlaubt, über die Erbsünde und die Rechtfertigung zu sprechen; erlangen kann sie der Mensch nicht aus eigenen Kräften. Als ‚göttliche’ muss sie dem Menschen erst vermittelt werden“90. Doch der Katechismus beginnt mit (bald scheiternden) Eigenkräften. Gottes Zorn wird ans Ende des 1.Hauptstücks verschoben. „Lessing will“ nicht, auch wenn Beintker das meint, „anders als Luther die Vernunft über den Weg der Selbsterkenntnis zur Religion führen“91. Er wollte es ebenso, predigte 1544: „Sicher sollen mich die 10 Gebote lehren, was ich tun soll … Aber selbst muß ich erkennen, daß ich es nicht tun kann“92. Beide Herren hielten Selbsterkenntnis hoch – insoweit gemeinsam. Behutsam führt das Gesetz bei Luther zu der Einsicht, auf den Retter angewiesen zu sein. ← 16 | 17 →

1519 erklärte er zum Vaterunser, „daß Gott in diesem Gebet uns gegen uns selbst bitten heißt, wobei er uns lehrt, daß wir keinen größeren Feind haben als uns selbst. Denn unser Wille ist das größte in uns, und gegen den müssen wir bitten ,0 Vater, laß mich nicht dahin fallen, daß es nach meinem Willen gehe’“. Wenn „eigenwillige Menschen recht bedächten, wie sie gegen ihren Willen bitten, würden sie dem Gebet feind werden oder davor erschrecken“93. Gottes strenger Wille führt erschreckte Eigenwillige ins Scheitern. Niemand dürfe von guter Religiosität ausgehen wie Scholastiker, nur von willentlicher Selbsttäuschung. Enttarnen werde Gott sie, um den Weg zu weisen, sein Wort zu hören, sich an ihm zu halten. Zu Sach 14,18 notierte Luther, es sei die „Größte und greulichste Plage/ Gottes Worts beraubt zu sein“94. Also kann Glaube, zu dem der Katechismusweg leitet, nie gewollt, nicht errungen werden. Gesetz rettet nicht vom Tod. Es tötet Eigenwillige. Daher ist Nachfolge bei Luther keine ethische Kategorie. Er meditierte nicht aus eigener Spiritualität, buchstabierte Gottes Wort. Gesetz führe in Kreuz und Tod und so zum Glauben, der dem Wort dann gern folgt wie Jünger ihrem Herrn.

Dem soll man zuhören, nicht weglaufen, um ihn zu suchen. „Die Sonne ist aller Menschen Sonne. Wenn hundertmal mehr Menschen in der Welt wären, hat doch jeder die Sonne für sich und alle zugleich. Willst du in den Keller kriechen oder die Augen schließen, so ist doch die Sonne da. Es fehlt nicht an ihr, sondern an dir, der du nicht hinsehen willst. So ist der Emanuel mit uns und unser“95. Am Licht leuchtet das ein. Den erleuchtenden Gott aber suchen Menschen im Keller ihrer Wünsche. Willig, viel beizutragen, fliehen sie den Täter. Das zu unterlassen müssen sie lernen, Gottes Anrede greife schon nach ihnen. Luther dokumentiert, wem was gehört. Niemand ist Gottes Herr. Der gebietet und bietet dann. In diesem Licht müssen Theologen später Gesetz und Evangelium, Gottes- und Menschenwerk, Glaube und Liebe unterscheiden, göttliche Regierweisen. Aber anzufangen ist nicht irgendwo (in der Bibel), sondern mit Gottes gegebenem Gebot.

Luthers Katechismus weist Getaufte, die noch nicht glauben, auf diesen Weg. Weil ihnen das Elementare schwer fällt, rühmt erjene Wenigen, die ihn zeigen können: „Für die besten und nützlichsten Lehrer aber und für auserlesen halte man die, die den Katechismus gut treiben können, das ist, die das Vaterunser, Zehn Gebote und den Glauben recht lehren: das sind seltene Vögel“. Daß ihr Gezwitscher „kein Evangelium ist, worin man solches nicht lehren könnte“, fügt er ausdrücklich an96. Nett lockt der Katechismus auf den Weg zum Christenstand anhand wichtiger Texte der biblisch-kirchlichen Tradition. Wegweiser sagen: wer ans genannte Ziel will, soll hier gehen. Wer es tut, ist noch nicht da. Der ganze Katechismus mit ständigem, fünfzig mal im kleinen Büchlein stehendem ‚soll’ fordert zum Gehen, zum Tun auf, entfaltet theologisch den primus usus legis. Nur als sachgemäße Hinwendung gehört er schon zur Lehre. ← 17 | 18 →

Von ihr unterscheidet sich, was noch keine Lehre sein kann, da es zu ihr führt (Katechismus), was andererseits nicht mehr lehrt, weil es aus ihr folgt (Gotteslob). So zu präzisieren war keine neue Kunst. Die Alte Kirche lernte sie, die Bibel auslegend, praktizierte sie in Streitthemen. Das ist hier nicht zu entfalten. Auch die Papstkirche hielt prinzipiell am Differenzieren fest. Doch unter der Hand zerrann es ihr. Die für sie, nicht die Ostkirche, nicht den Protestantismus charakteristischen Gottesbeweise gelten unabhängig davon, ob sie überzeugen, einem gedachten Gott als Grund allen Seins, Urquell des Lebens. Sie machen den gegenwärtigen Herrn des Ganzen zum fernen, himmlischen, Menschen prüfenden Gericht. Gesetz und Evangelium werden eins, letzteres als nova lex bezeichnet. Auch die Unterscheidung von Vater, Sohn und Geist wurde weder wirklich gedacht noch wahrhaft geglaubt. Monotheismus führte in massive Weltflucht (Klöster). Der Alltag, wo Christus und der Geist handeln, schien wenig wert zu sein.

Luther, einst selbst im Kloster von eigener Heiligkeit auf den alles bestimmenden Gott gestoßen, lernte, die Bibel unterscheide zwei Testamente, die altkirchliche Theologie gar Christi göttliche und menschliche Natur, ohne sie zu trennen. Beides prägt sein Verstehen bis ins Letzte: „Unterscheiden sollen wir ein christliches und ehrsames Leben … Unterscheide mein und Gottes Werk“97. „Du mußt Gottes Kreatur und unsre Bosheit voneinander scheiden“98, „es ist Lehre der Christen, daß sie zu unterscheiden wissen zwischen Hand und Herz“99. Er vermengte nicht, fädelte auch keine Perlen der Gelehrsamkeit neben einander auf einen Faden, sondern erklärte Gottes Lehre als gebauten Raum, in dem rechts und links, oben und unten, vorn und hinten verschieden sind. Doch alles Schritt um Schritt. Den ersten führt der Katechismus der Selbsterkenntnis aus dem Gesetz. Noch 1515/6 hatte Luther sein gesamtes Wirken als ein Bekennen bezeichnet („Tota nostra operacio confessio")100 Davon hob sich sein bereits bestehendes Interesse am Katechismus noch nicht ab. Die Bibel lehrte ihn langsam, noch tiefer als die alte Kirche zu unterscheiden. Begründet im Gottes- und Christusverständnis bestimmte er schließlich den ganzen theologischen Erkenntnisvorgang auch im Auseinanderhalten von Katechismus, Lehre und Gotteslob.

Nicht jeder Christ könnte das zutreffend und verständlich formulieren. Sprachhilfen sind nötig. „Sprachschwindsucht“ ist „in geistlicher Hinsicht… heute vielleicht die größte Gefahr der Menschheit, behebbar … nicht durch nur erschwindelte fromme Redensarten… Vielleicht ist es … ein alarmierendes Signal …, daß wir nicht einmal mehr sagen können, woran wir kranken und was uns gefangen hält“. Wie bei Kleinkindern geht es zu, die zwar sagen, es tue ihnen weh, aber nicht, wo. Diffuser Ärger, das Gefühl, gestreßt zu sein, obwohl keine Generation bequemer lebte, leere Wut auf plappernde Kirchen, alles belegt dieses Defizit als ← 18 | 19 → geistliche Not. Doch dann fügt Ebeling kurz an: „wir haben Texte, die uns helfen. Das ist ein Grund zum Danken“101.

Zu ihnen gehört der Katechismus. Er formt Sprachhilfen auf dem Weg zum Glauben. Luther legte 1529, theologisch reflektiert, vortheologische Katechismustafeln und zwei Büchlein vor. Das kleine folgt, wie gesagt, dem primus usus legis. Gott erklärt seinen Willen so, wie er geschehen soll. Da er nicht geschieht, fördert das Große Buch der Katechismuspredigten mit der Wendung, das Gebot verlange „das ganze Herz des Menschen“, die Erkenntnis, „wie zornig Gott ist über die, so sich auf irgend etwas außer ihm verlassen“102. Diese Einsicht, verlassen sei, wer eigener Verläßlichkeit vertraut, macht bereit, die rettende Gabe des Evangeliums anzunehmen. Wegweisend ist Gottes Gesetz im schlichten und anklagenden Wortverstand, damit Menschen ihre Not erkennen und sich dem gebenden Herrn öffnen. Es bleibt, gegen Agricola, als methodus totius religionis nötig, gibt aber nie wahren Glauben. Türken, Tataren und Papisten haben keinen andern „methodus, als daß man auf unsere Kräfte sich verlassen solle“103. Christen haben den Katechismus, der gerade dies als Illusion erweist.

Wer hingegen scheiternden Gehorsam verschweigt, macht gottgewollten Glauben unerreichbar, seinen Geber zum untätigen Phantom. Viele quälen sich, nicht glauben zu können, hören aber nie, Glaube werde Menschen, die seit Adam zu gehorchen unfähig sind, im zugesprochenen Wort geschenkt. Kirchen verschweigen ihnen den Weg (methodum) dorthin, wo Christus aus diesem Elend zieht104. Christlicher Glaube beginnt nicht geheimnisvoll. Ein unbequemer Weg führt zum Eingang. Gottes Gesetz fordert „Gehorsam [als] aller Tugend Krone“105, um dann an ihr Scheiternde zum gehorsamen Herrn zu führen. Scharf trennt sich dieser Weg von dem, was ein bischöflich-evangelisches Magazin 2007 als „religion für einsteiger“ bot: „Unbeschwert von Schuld, unbefleckt an Körper und Seele: nur so konnten sich Menschen seit Urzeiten ihrem Gott nähern“. Dieser urzeitlichen Naturreligion zugewandt pries es, „die Einladung, sich an ethischen Idealen zu orientieren und an ihnen aufzurichten“. Sie sei gültig106. Gäbe es derart unbefleckte Menschen, brauchten sie Christus nicht und keine Kirchen. Die schaffen sich ab. An ethischen Idealen mag man sich aufrichten. Aber aufrichtig?

Nach dieser Einweisung handelt das Kapitel vor allem vom kleinen Buch. Seine Aussagen werden nicht belegt, da auf wenigen Halbseiten der WA (und anderer Ausgaben, bitte nicht späterer Fassungen) leicht zu finden107. ← 19 | 20 →

a. Wasjeder soll

Das erste, im Großen Buch weitaus längste Hauptstück gibt dem ganzen Katechismus das Vorzeichen. Ihm fehlt alles Dogmatische zugunsten des Einen, was Lebende und Sterbende sollen: Gottes proklamierten Willen hören. Der zieht Angeredete fort von ihrem Ich, auch allem, was es gerne wüßte und erstrebt. Es erfährt nicht einmal, wer zu ihm redet und warum. Ein anonymes Ich ergreift das Wort, weder dem Sinai noch Christus verbunden. Gebetsschriften hingegen zitieren die biblische Selbstdarbietung „Ich bin der Herr, dein Gott“ (Ex 20,2)108. Hier aber fehlt sie, da sie „eben das Evangelium ist“109. Auch der Nebensatz über die erfolgte Rettung entfiel aus gleichem Grund. Das Gesetz rettet niemanden. Es befiehlt, was ‚Du sollst’. So lauten die ersten Worte nach Vorrede und Überschriften. Fundamental widerspricht das dem Bau mittelalterlicher Katechismen wie heutigem Mutmaßen, zunächst sei Gott anzurufen, zu bitten. Er spricht. Er kehrt um, was Menschen meinen. Im Leben gilt, Sterbenden bleibt: „Du sollst nicht andere Götter haben“ – nicht Tod, Existenz, Werte, Dich. Ausschließlicher Anspruch.

Ob Jahwe einst so sprach, interessiert nicht. Der Katechismus sagt es jetzt. Er ersetzt Moses, macht den als (rettende) Person verborgenen Befehler redend gegenwärtig. Der ruft allen zu, was sie sollen: ihn „fürchten, lieben und [ihm] vertrauen“. Luthers Sermon der guten Werke hatte Augustin zugestimmt, das 1.Gebot gebiete Glaube, Liebe, Hoffnung110. Der Katechismus nimmt Liebe durch lieben, Hoffnung durch vertrauen auf. Glauben jedoch kippt um in Furcht. Die steht wie Augustins Glaube voran. Das sah ein profilierter Aufsatz. Zwar ist er alt. Doch er präludiert allerlei auch sonst Vorgetragenem, weist so auf ein Grundproblem der Lutherexegese hin. Der Katechismus fordere im 1.Gebot keine „Furcht vor Gottes Zorn und Strafe“, „kindliche Ehrfurcht [sei] gemeint“. Er habe das Gebot „aus der Sphäre des Gesetzes herausgehoben“. Furcht und Liebe wiesen auf „den rechtfertigenden Glauben“, als stünde der nicht im 2.Hauptstück. Er übertrage die „Worte: ‚Ich bin der Herr dein Gott’ … in’s Neutestamentliche“. Gerade die fehlen in Luthers Text. Auch sonst argumentiert Hardeland aus reicher Kenntnis dessen, was anderswo steht, aus Predigten, Sermonen, Vorlesungen, Disputationen …, ja mit rechter Furcht als Frucht der Liebe111. Hätte Luther die gemeint, hätte er sie nicht vor die Liebe stellen dürfen. Was der Katechismus Lehrlingen sagt, kommt nicht zum Tragen. Mangelndes Unterscheiden der Gattungen macht Furcht zur Ehrfurcht, Gesetz zum Evangelium, Gottes Drohen zur Rechtfertigung. Doch er will, daß „ich den himmlischen Richter selber müßte fürchten“112. Nur Richterfurcht, nicht Ehrfurcht. Das ganze Herz im erschreckten Gottesverhältnis. Daß Luther unterschied, darf nicht nur deklariert, es muß auch aufgespürt werden. ← 20 | 21 →

Kehrt fast familiäres ‚lieben’ die vom Gesetzgeber verlangte Furcht denn nicht sofort in ein herzliches Vertrauen um? Dann dürfte der Schluß der Gebote nicht erneut Furcht des Zornes vor Liebe und Folgsamkeit fordern, gegensätzliche Gefühle gegenüber dem unbekannten Richter. Der verlangt einfach alles. Das predigte Luther sogar. Als die Katechismen vorlagen, erklärte er den Satz „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein": „Das heißt so viel wie wir Deutschen von einem Geizwanst sagen ‚Geld ist sein Herz’. Wenn er nur Geld hat, ist das seine Freude und Trost und summa sein Gott. Hat er jedoch nichts, das ist sein Tod. Da ist kein Herz, Freude noch Trost. Darum will Christus so sagen: Seht euch vor und prüft euer eigen Herz in der Gewißheit, euer Herz werde ganz an dem Ort sein, da euer Schatz ist. Wie man sonst auch zu sagen pflegt: Was dem Menschen lieb ist, das ist sein Gott“113. Eine Vorform des Katechismus faßte schon 1520 das Vertrauen ähnlich warnend und exklusiv: „Ich setze mein Trauen auf keinen Menschen auf Erden, auch nicht auf mich selbst, noch auf meine Gewalt, Kunst, Güter, Willigkeit oder was ich haben mag“114. 1530 parallelisierte eine Psalmauslegung „trauen, hoffen, trotzen“, kurz vorher „trauen, trotzen, hoffen und pochen“115. Da kommt kein Evangelium vor. Das ganze Herz soll den Richter fürchten, lieben, ihm trauen. Kapitel 8 erwies diese dreifache Pflicht als Gesetzesformel. Der Katechismus proklamiert den neuen, totalen Bund. Jer 31,31ff verlangt, alle Herzenskräfte hinzugeben, weder Werke wie am Sinai noch Glauben wie in Christo. Bald schon wird das überstrapazierte Herz platzen. Dem istjetzt nachzugehen.

Noch ist keine Rede davon. Die Trias läßt das Vertrauen nachklingen, schmeichelt sich ein. Als wachse „ein schön Vertrauen zu Gott in uns“116. Luther lockt „in den einfachsten Tönen“, durch „aktive Redeweise“117. Vertrauen kann Abgöttern, soll Fürsten gelten. Hier nur dem Einen. Als Pflicht. Zu ihr lockt der Katechismus, Glauben kaum anvisierend. Sogar lieben solle man, dem Du „gelobt hast, Er solle dein Gott sein im ersten Gebot“118. Katechismuspredigten hatten das noch nicht gesagt119. Vor allem sei er zu furchten: „über Gottes Furcht wird gesprochen wie auch vom Gesetz des Herrn“120. Denn „die Schrift ordnet Gottesfurcht an … als höchste Weisheit, einzutreten in Erkenntnis des Zornes Gottes“121. Der verlangt Entsetzliches, ist im Katechismus wirklich „für Luther der Schöpfer schlechthin“122, gewaltig. Wenn wir „seine Güter und Gaben brauchen, essen, trinken und fröhlich“ sind, will er, daß wir „ihn fürchten, lieben, vertrauen“123, ← 21 | 22 → permanent und mit aller Kraft. Ausleger, die dennoch „allein im Glauben als Vertrauert“ deuten und schreiben, „das Wesen des Glaubens besteht darin, nicht getäuscht zu werden“124, mixen Gesetz und Evangelium. Schon Vertrauen in Fahrpläne täuscht oft. „Furcht und Glaube … sind Gegensätze“125. Nur Glaube hält Gott fest, kann also nicht täuschen126. Der anonyme Schöpfer packt Hörende, ihr ganzes Herz, ohne zu retten, ohne Evangelium127. Er will ihr Herz und sagt es. Aber er behauptet nicht, man könne es geben. Ein harmloser Anfang?

Lutherworte anderer Textgattungen widersprechen. Das Hebräerbriefkolleg grollt dem Addieren der Pflichten: „mit Vertrauen und ohne Furcht sollen wir zum Thron der Gnade gehen, weil wir Jesus Christus als Priester haben“128. Unbekannte kann man fürchten, nie lieben. Hieronymus sage: „was wir fürchten, das hassen wir“129. „Furcht und [sehnendes] Verlangen bestehen nicht mit einander“130. Die Gemeinde hörte 1527: „Gott soll nicht gefürchtet, sondern geliebt werden“131. Später: „Wer sich furchtet, verzagt ist, soll kein Prediger sein“132. „Wie viel du glaubst, so viel liebst du“133. Im Katechismus aber steht ‚und’, nicht ‚oder’. Niemand kann das. Nicht Furcht, Gottes Zuwendung mache neu. Die Dreier-Formel verlangt, macht nichts: Pflicht zu Liebe und Vertrauen erhöht die Furcht, es nicht zu schaffen. Daher sagte Luther 1541, alle Welt habe „in der Ersten Tafel … gar nichts weiter zu tun …, als sich zu fürchten und zittern vor Gott“134. „Gott fürchten … heißt… Gott dienen“135. Knechten fehlt die Liebe (Uoh 4,17-18), kindlich vertrauender Geist (Rö 8,15). Jona, der Gott zu fürchten gestand, nenne sich „wahrer Verehrer (cultor) des wahren Gottes“136. Der Zürnende verlangt Ehre mit Liebe und Vertrauen obendrein. Auswegloses Gesetz, doch nett formuliert.

Das letzte Verb weist, wie sich andeutete, auf die Predigt voraus. 1526, in der Sommerpostille, grenzte Luther das erste Gebot gegen päpstliche „Werke und andere Heiligen haben“ ab. Es sage, „man soll Gott allein vertrauen, man soll Gott allein anrufen“137, ohne Furcht. Gleichzeitig predigte er, Obrigkeit und Hausstand seien zweierlei: „Bei den Eltern ist keine Furcht und Schrecken, sondern lauter Liebe; bei der Obrigkeit ist nicht viel Liebe, sondern Furcht und Erschrecken“138. ← 22 | 23 → Da galt kein ‚und’. „Ists gut, so liebt und begehrt“ das Herz, „ists böse, so fürchtet und scheut“ es sich139. Also stellt Gott sich im Gesetz umfassend vor, erst als Regent, dann als Vater, schließlich als beständig. Drei Verben deuten schon den Dreieinigen an. Der aber bleibt noch anonym und verlangt als Gesetzgeber, gefürchtet und geliebt und gehört zu werden. Das kann niemand.

Daher muß es schief gehen. Selten wagen Interpreten den Protest, daß die „den Einfältigen“ gesagten Erläuterungen des Gottesbegriffs aus „dem Wörtlein ‚gut’“ im Großen Katechismus140 „vom Evangelium her beurteilt so armselig sind, daß man besser von … Unkenntnis Gottes spräche“141. Der sei nur unser Traum142, schrieb Luther dem Herrn Christianus 1530. Im Gesetz offenbart Gott sich nicht, stellt sich nicht vor. Er verbirgt seine Absicht: „Wenn du das Gesetz erfüllen willst, … glaube an Christus“; denn „welcher Art das Wort ist, so gestaltet es sich die Seele“143. Im Großen Katechismus steht: „allein das Trauen und Glauben des Herzens macht beide, Gott und Abgott“144. Da ein katechetischer Sermon 1521 erläuterte, „warum der Mensch etwas tut, das ist sein Gott“145, motiviert er das Herz nur zu Taten. Auf die Titusbriefvorlesung hingegen präparierte die eigenhändige Definition, „Glaube ist das, durch das an Christus durch die Predigt der Apostel geglaubt wird“146. Sie hat kein Äquivalent im Katechismus. Ausleger, die modisch ins Willkommene verrühren, was Luther unterschied, verraten die Sache.

1521 stellte eine Predigt den Weltenrichter dem nach Jerusalem ziehenden Herrn gegenüber: „Dieser kommt selber, ehe du es verdienst, ohne all dein Planen … Christus muß selber kommen und zwar, wie der Prophet sagt: Der kommt dir ‚arm, gerecht und Retter’ … Er kommt nicht als ein strenger Richter, nicht als zorniger Herr, will nichts fordern von dir. Er will dir das Gewissen sanft machen, kommt darum, daß er sich dein erbarme“147, nicht Furcht verlange. Eine andere mahnte 1532: „Da ihr getauft seid auf den Mann, in seinem Namen, Haufen, Reich, Tod, Auferstehung, denkt doch, daß ihr euch zu allem anders stellt mit eurem Wesen, vor dem sich die Welt entsetzt. Es bedarf anderer Augen als zuvor, die ihr von Adam her hattet, nicht so verwirrt, als hätte das Leben dieses Ende [im Gericht], sondern wenn ich krank bin, bin ich gesund, wenn ich schwach bin, in Unehre, wenn ich sterbe, hebe ich an zu leben“148. Im „Summa Summarum“ von 1531 zielt katechetische Furcht auf die „Christliche Beichte: Gott den Herrn fürchten, 2. vertrauen, daß Christus, sein Sohn, für mich starb“149. Lehrlingen begegnet ← 23 | 24 → all das nicht. Furcht, Liebe, Vertrauen sind Regungen ihres Herzens, kein Glaube. Der erst schaut Gottes Paradoxie und Gabe (2Tim 1,7).

Da die Verben den streng oder freundlich Urteilenden meinen, konnte Luther letztere groß schreiben150, ja umstellen. Wer „nicht Gott furchtet, traut und liebt“, verachte ihn151. „Denn worauf ein Mensch traut und sich verläßt, das ist sein Gott“152, oft ein Götze. Er wußte von „Jammer und Herzeleid, daß ein Mensch gern des andern Gott wäre“153. Wer da den Glaubensbegriff unterschöbe, käme zu „seinem einfältigen, ungebrochenen, urkräftigen, prophetisch-idealistischen, kühnen Gottvertrauen“154, um bei allem Pathos das Hören zu vergessen. Es prägt den Glauben, nicht Furcht, Liebe, Vertrauen. Menschen furchten den Namenlosen, möchten aber einen lieben, dem sie trauen könnten. Der Katechismus legt das natürliche Gesetz im Menschenherzen aus. Seine Trias spiegelt den minderrangig-geteilten Glaubensbegriff der Scholastik. Der meint das rechte Gottesverhältnis wie Sünde das falsche. Diese Macht peilt der Katechismus an.

Daher weist Gottes gesetzliche Trias mit Liebe und Zutrauen nicht einmal auf Glaube und Liebe voraus. Würde Vertrauen den Glauben auch nur andeuten, so wäre ihm die Liebe verkehrt zugeordnet, da sie seine Frucht ist. Der Katechismus pocht aufs Gesetz, bietet keine Lehre. Sie müßte darlegen: „ein Gesetz, das nicht tötet, wäre kein Gesetz, es sei denn ein verhülltes“, denn Satan „will das Gesetz nicht, das zum Töten, Verdammen, Anklagen gelehrt wird“155. Freundlich wie der Gottseibeiuns erklärt der Katechismus Gottes Willen, als tötende Macht teuflisch harmlos verhüllt. Daher auch der Gegensatz der auf „Christum, unsern Herrn“ weisenden Vorrede an fromme Hausväter zu namenlosen, ihrem ganzen Haus geltenden Geboten. Völlig läßt Luther sich aufs positive Gesetz des zornigen Gottes ein und sagt es Untertanen des Fürsten dieser Welt, Katechumenen.

Das geschieht markant. Das Bildverbot fehlt, weil Christus Gottes Bild ist. Somit gilt das Gesetz auch Getauften. Doch es rettet sie nicht. Daher überging Luther die biblische Selbstvorstellung. Näher steht das 1.Hauptstück Kant: „Moral … führt unumgänglich zur Religion“156. Zehn (durch Teilung der letzten erreichte) Forderungen zeigen, daß „die Zehn Gebote Gottes“ alles umfassen und „solches Licht so reichlich durch den Katechismus offenbart ist“157. Der richtende Gott akzeptiert nur gerecht lebende Menschen. Er gibt nichts. Freundlich überfordernd setzt er den Totalanspruch. Das soll Licht sein? Ja, Luzifer leuchtet. Zehn den Katechismus einleitende lakonische Sätze fordern Alles. Der erste eröffnet den Dekalog wie der den Katechismus. Der erste Schritt entscheidet über den eingeschlagenen ← 24 | 25 → Weg. Und doch bezeugt er Gottes redende Zuwendung, schlägt nicht „die Einhaltung elementarer sozialer Normen“ vor158. Die stecken höchstens in den Geboten vier bis zehn. Da Luther 1525 den Schluß, was man solle, könne man auch, als lächerliches Argument törichter Vernunft charakterisiert hatte (nicht jeder kann hören, der es soll159), ging es ihm nicht um Normerfüllung. Doch auch das sagt der Katechismus nicht, nur Gottes Befehle. Die gliedert Luther nach dem mittelalterlichen Schema von Gedanken, Worten und Werken. Gott fordert rechte Gedanken, dann rechte Reaktion aufs Wort, schließlich rechte Taten. Alle Befehle aber verlangen, einem Ungenannten das ganze Herz zu übergeben. Keins läßt vermuten, der werde je für sie dasein, gar sich geben. Daß er kam, ruft und gibt, sollen Glaubenslehrlinge im weiteren Verlauf des Katechismuswegs langsam merken. Denn ihr Glaube soll ein eigener werden.

b. Was keiner kann

Schlicht schlägt das dem Herzen gebietende Wort die Brücke zum zweiten Hauptstück. Göttlichem ‚Du sollst’ antworten Lehrlinge brav ‚Ich glaube’. Folgt nun also, nach dem Gesetz, die Glaubenslehre? Nein, da Religion Pflichten auferlegt, gehorchen sie. Gegen Althaus besagt die Stellung der Gebote vor dem Credo doch etwas160, auch weil Bucer sie 1534 änderte. Nun wird das erste entfaltet. Dem „fürchten, lieben und vertrauen“ fügt sich „Der Glaube“ an, „wie ein Hausvater denselben seinem Gesinde … vorhalten soll“. Das Soll bleibt. Eine Katechismuspredigt erklärte 1528: „Das Symbolum lehrt, wo und wie wir die 10 Gebote erfüllen müssen … Das ist aufs kindischste gesagt vom Symbol“161. Obwohl die Gemeinde in Luthers Glaubenslied singt ‚Wir glauben’, spricht hier das vom Dekalog aufgeforderte Du sein Ich. Es will tun, was es soll. Antwortende geloben, Gottes Willen kindlich zu tun, Pflichten bejahend, da „Christus … immer zu geistlichen Kindern macht, die den Katechismus lernen“162. Kindlicher Glaube, den der Hausvater vorhalten soll, akzeptiert Gottes forderndes Gebot. Der Gehorsamsakt zeigt eine zu Beginn des ersten Hauptstücks noch nicht formulierte Absicht an. Luther will, daß es „den Kindern und Einfältigen leicht zu lernen ist“163.

Daher spricht die Erklärung jenes Credo, dessen Teile stets den christlichen Glauben ‚an’ den Dreieinigen formulieren, dreifach nur vom Wissen, ‚daß’ ein Schöpfer, ein Erlöser und ein Heiliger sind und was sie taten. Wie man von Spanien wissen kann, ohne es zu kennen. Längst hatte Augustin, wie erläutert, ein dreifaches Glauben unterschieden. Luthers Kenntnis des Kirchenvaters zwingt, die Wahl des rangniedrigsten, distanzierten Glaubensbegriffs als katechetisch gewollt so ernst zu nehmen wie brutales ‚fürchten und lieben’. Auch er ist arg. 1522 ← 25 | 26 → schrieb Luther den „Päpstlichen Heiligen … die trefflichen neuen Artikel des Glaubens“ zu:

„Ich gleube, das man des morgens mesß halten soll.
Ich glewbe, das man ynn kirchen mesß halten soll.
Ich glewbe, das man platten unnd kassel an haben solle“164.

Erfundene Religionspflichten passen gut unter den Daß-Glauben. Den wertete eine Apostolikumspredigt 1523 deutlich ab: „Empfangen vom heiligen Geist, das ist: ich glaube an den Empfangenen, … Auch der Teufel weiß, Jesus sei aus dem heiligen Geist empfangen, doch er tröstet sich dessen nicht. Es reicht nicht, zu glauben, daß er empfangen wurde: Ich glaube an den Empfangenen, an den Gestorbenen, sodaß immer zugefügt wird ‚an’ … Anders wäre unser Glaube nicht größer als der des Teufels“165. Schon die Adventspostille hatte Von-Glauben gegen wahren In-Glauben abgegrenzt und Teufeln zugeschrieben166. Die Erklärungen des Taufbekenntnisses bestätigen, was sich bereits zum geschönten Gesetz ergab: sie formulieren den Teufelsglauben der Katechumenen.

Harsch griff Luther sonst jenes Glauben an, das nur Geschehnisse aufzählt. Es sei „kein rechter Glaube, wie die Türken und Juden glauben: ‚Ich glaube, daß Gott Himmel und Erde geschaffen habe’“167. In der Bibel von 1534 steht: „seine Werke und Geschichten wissen/ ist noch nicht das rechte Evangelium wissen/ denn damit weißt du noch nicht/ daß Er die Sünde/ Tod und Teufel überwunden hat/ Also ist auch das noch nicht das Evangelium wissen/ wenn du solche Lehre und Gebot weißt/ sondern wenn die Stimme kommt/ … Christus sei dein eigen mit Leben/ Lehren/ Werken/ Sterben/ Auferstehen/ und was er ist/ hat/ tut und vermag“168. Die Genesis biete „den höchsten … Artikel des Glaubens … an Gott den Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde. Aber fürwahr wenige sind es, die dahin kommen. Er sucht nämlich einen Menschen, der durchaus tot sei allen Kreaturen“169. So unterscheidet der Katechismus bis zum dritten Artikel nicht. Er bietet lernbares Wissen, keine Lehre. Zu selten zeigt die Katechismusliteratur, Luther habe kein Glaubensbuch, sondern einen Text für Lehrlinge verfaßt.

1528 hatte er Gottes „10 Gebote und das Symbol“ erklärt, „worin wir gelernt haben, was der Mensch tun soll aufs allerbeste“170. Lehrte er also, indem er diese Pflicht hervorkehrte, doch ein sonst scharf abgelehntes facere quod in se est? Diese römische Formel hatte er 1521 empört übersetzt „Ein Mensch kann aus seinen natürlichen Kräften, wenn er tut, was an ihm ist, Gottes Gebot halten und erfüllen“171. Katechismusschülern, auf dem Weg zur Selbst-, dann Christuserkenntnis, ← 26 | 27 → legte er es just so vor. Wie die Gebote Ungehorsam verschweigen, versteckt das heimatliche Schöpfungsbild den Sündenfall. Auch sein Fehlen macht klar, der einfältige Katechismus für Weltkinder biete keinesfalls Luthers Theologie. Die Gliederung nach ‚Schöpfer, Erlöser, Heiligmacher’ riskiert naiven Tritheismus, bildet kein Äquivalent für Vater, Sohn und Geist. Luther öffnet den katechetischen Zugang zur, nicht die Lehre selbst. Er hat das „Ringen Christi mit dem Gesetz … in die Katechismen nicht aufgenommen“172. Der kleine übergeht dessen Richteramt, der Große faßt es als Explikation seines Herrschens. Ob der befohlene Glaube realisierbar sei, wird noch nicht thematisiert, nur das Aufgetragene. Es sei konzeptionell erst zu lernen und zu verstehen (kleiner Katechismus), dann als Kraft zum Halten der Gebote zu verkündigen (Großer Katechismus)173.

All das bestreitet keineswegs, wie präzis Luther formuliert hat. Die beiden Naturen Christi, zuvor kaumje gleichrangig ausgesagt, da entweder seine Gottheit oder Menschheit zur Apposition abrutschte, haben völlig gleiches Gewicht. Sie explizieren den biblischen Herrentitel: ‚Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott… und auch wahrhaftiger Mensch …, mein Herr sei’. Auch einige im Apostolikum fehlende Kernsätze deuten sich vorsichtig an (‚dein eigen’ besagt mehr als ‚mein Herr’). Selbst mittelalterlichem Dualismus tritt sein Artikel entgegen: Ein Siecher „ging mit gutem Vertrauen zu Sanct Thomas Grab und bat ihn um Heilung, und ward alsbald gesund. Aber als er heimkam, gedachte er bei sich, daß Gesundheit des Leibes vielleicht der Seele Schade wäre. Darum ging er wieder hin zu dem Grab und betete: wäre seine Gesundheit der Seele nichts nütz, so möchte er ihm die Krankheit wieder geben. Da ward er zu derselben Stunde wieder so krank als zuvor“. Noch grundsätzlicher wurde geteilt: wenn Menschen „weltlichen Rat begehrten war es ziemlich, daß sie verloren die göttliche Hilfe“174. Gott und Welt schlössen einander aus. Die Credoerklärung aber betont, auch der Leib sei Gottes Gabe, faßt Begierde, wie Paulus, als „Erfüllung und Erhaltung des Lebens …, und darum äußert es sich ebenso im Trotz, der das Gebot mißachtet, wie im Ruhm, der aus dem Gesetz ein Mittel der Selbstbehauptung macht“175. Der Katechismus tendiert nicht dualistisch. Trotzdem steht seine dogmengeschichtliche Präzision unter dem Vorzeichen nur vermutenden Daß-Glaubens. Hatte doch das Ende der Erklärung des ersten Artikels soeben betont, Jeder sei „zu dienen und gehorsam zu sein schuldig“. Damit deutet das die gesetzliche Glaubenspflicht hervorhebende Credo erstmals Schuld an.

Wie der Dekalog den Sinai überging, fehlt auch dem Credo eine geschichtliche Situation. Die vorreformatorische Kirche hatte es, ohne biblischen Beleg, den Aposteln zugeschrieben. Ein pseudoaugustinischer Sermon des 8.Jahrhunderts schilderte: „Am zehnten Tage nach Christi Himmelfahrt, als die Jünger aus Furcht vor den Juden versammelt waren, schickte der Herr den versprochenen Tröster. ← 27 | 28 → Durch sein Kommen wurden sie … entflammt und stellten … das Glaubensbekenntnis zusammen. Petrus sagte: Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen … den Schöpfer Himmels und der Erde. Andreas sagte: Und an Jesus Christus seinen Sohn … Jakobus sagte: Der empfangen ist vom Heiligen Geist… Geboren von der Jungfrau Maria … Johannes sagte: Gelitten unter Pontius Pilatus“. So geht es weiter bis zu Matthias, dem zu sagen bleibt: „Ein ewiges Leben“176. Diese Legende führte zum Titel ‚Apostolikum’, ja zur Erklärung eines Kunsthistorikers: „Die zwölf Artikel des Credo beziehen sich auf die Berufung der zwölf Apostel und zwar ist für jeden der Apostel ein Artikel bestimmt“177. Als hätten die schon bei ihrer Berufung das Ostergeschehen bekennen können! Das Bekennen des Glaubens wird historisiert. Wer heute hersagt oder liest, was Apostel einst sprachen, bekennt nicht sich, stimmt lediglich Toten zu.

Luther kannte die historisierende Zwölfteilung. Die „Apostel haben das Symbol gemacht“178. Brüssels Märtyrer hätten auf die Frage der Inquisition, was sie glaubten, geantwortet: „Die zwölf Stücke des Christlichen Glaubens“179. 1528 konterte er: „Einst hörtet ihr von zwölf Glaubensartikeln predigen … Ihr aber sollt das Symbol in die Hauptstücke teilen, nach denen es drei Personen sind“, die göttliche Trinität180. So aus der Sache gliedert sein Katechismus 1529. Fraglos war damit der wahre Textaufbau gefunden. Wer Selbsterkenntnis ansteuert, historisiert nicht. Glaube referiert nicht, an wen Andere glaubten. Wer Ich sagt, spricht in eigener, nicht fremder Person. Er bekennt, das frühere Heilsgeschehen gestalte sein eigenes Leben. Dort erfuhren Katechumenen es aber noch nicht. Daher wird ihr hochgemutes „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat“ bald erschrecktem „Ich glaube, daß ich nicht… glauben … kann“ weichen. Erster und dritter Artikel geraten in Streit. Doch wo sie aufeinander prallen, wird Resignation – „der kleine, schwache Glaube, der eher Unglaube ist und Verzweiflung“181 – sofort in Gewißheit überfuhrt: bekenne ich, „daß ich nicht… glauben kann“, so hat eben „der heilige Geist mich durchs Evangelium berufen“, Unfähigkeit wahr zu bekennen. Nicht ich, sondern er. Er allein macht, daß das Ich zu be- und ergreifen beginnt, es sei berufen, nicht nur zum Gehorsam gefordert. Daher setzen die Artikelerklärungen mit passivem, dann ablehnendem Ich ein: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat … Ich glaube, daß Jesus Christus … sei mein HERR … Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christ, meinen Herrn, glauben … kann“. Das 1.Gebot hatte Glauben und Berufung nicht zugesprochen.

Gleichwohl fließt sogar „das ganze dritte Stück des Glaubens … ganz aus dem ersten Gebot“182. Unbeirrt spricht Luther, am Apostolikum vorbei, das Glaubensverständnis ← 28 | 29 → der Lehrlinge an, ihr vermutendes Zustimmen. Die Erklärung des ersten Artikels hatte harmloses Zustimmen ermöglicht, indem es den Vater überging. Lebende konnten durchaus annehmen, ein gebietender Gott habe sie geschaffen. Nur als Vater hatten sie ihn nicht erlebt. Dann lernten sie, Christus sei ihr Herr. Das war ihnen völlig fremd. Darum beginnt der dritte Artikel mit dem ehrlichen Bekenntnis, ‚daß ich nicht an Jesus glauben kann’. Daß-Glaube und An-Glaube stehen in einem Satz, nur durch die Negation getrennt. Negativ öffnet sich ein Türchen zu eigenem Glauben. Höchst subtil prallt die fides historica auf Gottes geistvolle Gegenwart und bekennt nun wirklich die im ersten Hauptstück nur angepeilte Unfähigkeit, Verlangtes wirklich selbst zu tun. Auch dazu eine Predigtäußerung: „Wer nicht glauben will, habe genug Ketzerei, sagt der Herr“183. Radikal führt der Katechismus vor die, ohne ein Aus zu formulieren. Der spannungsreiche Text hat das Scheitern des Gesetzeswegs erreicht. Luther läßt gutwillige Katechumenen an ihrem anfangs selbstverständlichen Einverständnis zerbrechen, tief fallen. Das Lernen der einst bei ihrer Taufe gesprochenen Glaubensformel wird zum existentiellen, erst negativen, bald aufhorchenden Bekenntnis.

Auch diese Beobachtung überinterpretiert nicht. Schon der Dekalog redete das Du existentiell an. Nur umgingen die Erläuterungen die Frage, ob und wie viel es leisten kann. Vom beanspruchten Du wechselt der Katechismus im Credo zum willigen Ich. Seine im 2.Artikel den Horizont der Weltkinder verlassenden Erklärungen führen zur ehrlichen Antwort eigener Unfähigkeit vor dem Gott, dessen Wort sie berief. Der hat befehlend, rufend, bereits im ersten Wort, den Anfang einer Wende gesetzt. Die formuliert Luther klassisch in der Eingangsstrophe seines Freudenliedes:

Nu frewt euch lieben Christen gmein/
und last uns frölich springen/
Das wir getrost und alljnn ein/
mit lust und liebe singen/
Was Gott an uns gewendet hat/
und seine süsse wunder that/
Gar thewr hat ers erworben184.

Im Katechismus ruft der gebietende Gott in diese Umkehr. Dann erst bekennen Hörende, Gott habe sich an sie gewendet, sie zum Hören berufen, sich also zugewandt. Dabei arbeiten die Erläuterungen mit einem unangemessenen Glaubensbegriff. Beide Hauptstücke sind gesetzlich gebaut. Dicht und ganz gehören sie zu einander, obwohl sie unverbunden neben einander stehen.

Der erste Artikel schilderte die ganze Welt als Gottes mit der Linken regiertes Reich, daher ohne Hinweis auf Paradies, Verkündigung. „Der offene Garten Eden hat sich … gewandelt in das bergende Haus des Ackerbürgers“185. Als die Katechismen vorlagen, folgte eine Auslegung von Psalm 118. Eine Passage ähnelt ← 29 | 30 → ihnen: „Seine Güte währet ewiglich, das ist, ohne Unterlaß tut er uns immer und immer das Beste. Schafft uns Leib und Seele, behütet uns Tag und Nacht, erhält uns ohne Unterlaß beim Leben, läßt uns Sonne und Mond scheinen und den Himmel, Feuer, Luft und Wasser dienen, aus der Erde [dem vierten Element186] Wein, Korn, Futter, Speise, Kleider, Holz und alles Nötige wachsen, gibt Gold und Silber, Haus und Hof, Weib und Kind, Vieh, Vogel, Fisch, Summa: wer kann es alles erzählen? Und des alles die Fülle und überschwänglich, alle Jahre, alle Tage, alle Stunden, alle Augenblicke. Denn wer kann allein die Güte berechnen, daß er einem gibt und erhält ein gesundes Auge oder Hand? Wenn wir krank sind oder eines davon entbehren müssen, so sieht man erst, was für eine Wohltat ein gesundes Auge ist, eine gesunde Hand, Fuß, Bein, Haupt, Nase, Finger haben, Item: Was es für eine Gnade sei Brot, Kleid, Wasser, Feuer, Haus haben ec“. All das gibt Gott nicht Christen nur, die er als „den frommen Haufen sondert von den drei Haufen [Herren, Untertanen, Kleriker] und gibt doch den drei Haufen alles, was in diesem Leben auf Erden ist“, „einem jeglichen Menschen täglich“. Deshalb gebührt ihm „eine allgemeine Danksagung für alle Wohltat“187. Nur wird des Schöpfers erhaltendes Handeln selten erkannt, da völlig alltäglich. Der Psalmjedoch preist das gar zu Selbstverständliche gleich zu Beginn.

Auch der Katechismus spricht davon. Gott versorge „mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibs und Lebens“. „Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter“ besagen, „das weltliche Regiment [solle] unter sich die Leute regieren und schaffen, daß Leib, Gut, Ehr, Weib, Kind, Haus, Hof und allerlei Güter im Frieden und Sicherheit bleiben“188. Gottes weltliche Güte wird gepriesen. Das spricht rohe Heiden an. Kein Wort von „grundsätzlicher und radikaler Verneinung jener Güter des positiven Genusses“189. Auch nicht, Luther rede „deswegen in seiner Erklärung des ersten Artikels nur vom alltäglichen Leben und nicht von der Kirche, weil er dieses Vorgehen für katechetisch geboten halte, nicht aber …, weil ihm die Kirche minder wichtig sei“; er lege „dem Schüler des Katechismus das persönliche Bekenntnis in den Mund, Christus sei im Wort für ihn gegenwärtig, damit er sich [!] gegen die Gefährdung seines Glaubens wehren kann“190. Nicht Christus spricht im Artikel, wie von Zezschwitz und Peters meinten, „das gemeine Bekenntnis der Apostel“191 soll in der Welt dem redenden Gott Hörer finden. „Denn aufs kürzeste ist das Evangelium eine Rede von Christo [nicht Christi], daß er Gottes Sohn und Mensch für uns geworden sei, gestorben und auferstanden, ein Herr über alles gesetzt“192. Bis zum dritten Artikel tritt apostolischer Glaube als distanziertes Vermuten ohne Ergriffensein neben das Gesetz. Da steht nur, was ein ← 30 | 31 → Hausvater seinen Kindern und „Gesinde aufs einfältigste vorhalten soll“. Kein Schritt geht über den Gesetzeshorizont hinaus.

Bayer hingegen deutet, wie Hasselhorn 1997193, evangeliumsgemäß „Rechtfertigung als Schöpfung; Schöpfung als Rechtfertigung“. Er zitiert die Erklärung des ersten Artikels bis „ohn all mein Verdienst und Würdigkeit“, um „die ausdrückliche Begrifflichkeit der Rechtfertigung“ hervorzuheben: „Das Wort Verdienst’ stammt aus dem Streit um die Rechtfertigungslehre, das Wort ‚Würdigkeit’ aus dem Streit um die Sakramentenlehre“194. Logik spricht dagegen: ‚Ohne Verdienst’ träfe im Rechtfertigungskontext zu, ‚ohne Würdigkeit’ wäre beim Empfang des Sakramentes falsch195. Luther kann Gegensätze nicht durch ‚und’ verbunden haben. Also meinte er schlicht und platt, niemand habe des Schöpfers Güte würdig verdient. Schöpfung rechtfertigt nicht, ist kein Sakrament. Der gesetzliche Katechismus läßt sich in kein Zeugnis reformatorischen Evangeliums umdeuten. Auch das zweite Hauptstück erläutert Weltkindern, Gott habe sie erlöst und gewonnen. Predigend jedoch unterschied Luther: „Ein irdisches Reich gibt Lohn um Verdienst, das himmlische Gnade umsonst“196. Also war die Papstkirche verweltlicht, die das Volk lehrte, durch eines Heiligen „Verdienst so wurden die Blinden sehend und die Tauben hörend, die Lahmen gehend, die Toten lebendig. Von dem Wasser, darin man seine blutigen Kleider wusch, wurden viele Menschen gesund“. Obwohl sie auch bekannte, daß in der Menschwerdung „Gottes Gnade wider uns erwiesen werde ohne all unser Verdienst“197. Sonst wäre Gott ein spendables Lohnbüro. Das lehnt der Katechismus eindeutig ab.

Daher gerät sogar seine weltliche Auslegung in eine Schieflage, so gewiß sie sich anbietet. Müßte es doch jedes Sozialgefüge zerstören, wollte Gott alltäglich alle versorgen, die nichts verdient haben. Auf die Welt angewandt würde die alles gebende Rechtfertigung ein satanisch sanftes Schlaraffenland sichtbar machen. Bald werden Katechumenen den Betrug merken und erschrecken, das Kreuz sei übergangen. Das intendiert Luther. Daher blieb er, wie in der Dekalogerläuterung, beim naiven Auslegen. Er zeigt ihnen keinen inhaltlich christlichen Glauben, obwohl das Glaubensbekenntnis anzueignen sei. Kein Wort, Christus rechtfertige Gottlose sola fide. Gottes (ge)bietendes Wort, aber noch kein angemessenes Verstehen, prägt auch das zweite Hauptstück. Beide sagen, „was man tun und glauben soll“. Am Sollen ändert sich nichts, da der Katechismus Glauben eben fordert. Gott will ihn, liefert aber keine Fähigkeit.

Luther nahm die Differenz zwischen Katechismus und Lehre nicht etwa in Kauf, er profilierte sie, um zu destruieren. Katechumenen zum Glauben fuhren heißt sowohl, sie ernst nehmen als sie überraschen. Da er sie anfangs nicht auf ihren wenn auch noch so schwachen Glauben ansprechen konnte, pries er ihnen tagtägliche ← 31 | 32 → Vorgänge. Denn „die Ungläubigen [werden] zum Glauben bekehrt … durch … Zeichen und Wunder/ aber durch Weissagung werden die Gläubigen gebessert und gestärkt“198. So weist selbst die Predigt auf Wundervolles, das Ungläubige beeindruckt. Von Kleidern und Schuhen bis zum ewigen Leben schildert der Katechismus genau dies, reizt zum Staunen und Sich-Wundern, sich als beschenkt zu erkennen. Die auf leibliches Heil Verwiesenen leben, wie Kapitel 7 zeigte, in Gottes wundersam erhaltenem Weltreich. Das höchst andere, als Kreuz störende geistliche, sollen sie langsam begreifen. Luther hat bei Paulus gelernt, den Katechismus nicht als Dogmatik, sondern analog den Wundererzählungen der Evangelien zu gestalten. Daher die grandios formulierte, fast unerträglich heile, kleinbäuerliche, allen Katechumenen doch als hart bekannte Welt des ersten Artikels, dem in langsamer Steigerung negative Töne folgen. Hatte er fast geschwärmt von „göttlicher Güte und Barmherzigkeit“, so spricht der zweite von „verlorenen und verdammten Menschen“, der dritte von akuter Glaubensunfähigkeit. Unfähig ist niemand zum Beschenktwerden, aber zum hier befohlenen Gehorsam.

Wie der Dekalog vortrug, was Gott gebietet, so das Credo, was er bietet. Aber daß Jesus mein Herr sei, ist zu viel. Und doch verlangt das 2.Hauptstück den Teufelsglauben, Fakten zuzustimmen. Im 3.Artikel bricht der allen zugängliche Kenntnisglaube zusammen: „Ich glaube [weiß nun], daß ich nicht … an Jesum Christ, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der heilige Geist hat …“ Daß-Glaube weicht einem negativen An-Glauben. Irgend eine Parallele im 1.Hauptstück und den Anfangsartikeln fehlt. Schrittweise kommen Lehrlinge dem Glauben näher, begreifen, da er nicht zu leisten sei, habe der Geist ihnen wahr zu reden gegeben – wie der Schöpfer das Leben. Schlafende Augen merken keinen Sonnenschein199. Luther setzt mit dem ein, was alle Welt glaubt, führt aber welthafte Faktenakzeptanz schrittweise zum berufenden Geber. Scheinbar naiv setzt er schönste Schilderungen einer heilen Welt an den Anfang, da „der Jugend so mit Lust/ Gottes Wort und Werk eingebildet“ werden muß, wie er über Schauspiele im Alten Testament schrieb200. Lustiger Teufelsglaube bricht am Ende des 2.Hauptstücks zusammen auf hochgemut begonnenem Katechismusweg.

Textlich wie im Druckbild hervorgehoben fordert Gott, Christus als Herrn anzuerkennen. Wo aber „der Erlösung“ auch noch „Heiligung“ folgt, entziehen die Katechumenen sich. Die Erklärung, „Luthers Verständnis des Heiligen Geistes … kann … nur der alte Name … sein …: Spiritus Creator, Schöpfergeist“201, enthält die Wahrheit, der Fordernde schaffe, was er fordert. Der Versuch, Jesus fürchtend, liebend, vertrauend zu glauben, zerbricht in präziser Erkenntnis eigener Unfähigkeit. Die einzige ganz aktive Glaubensformulierung scheitert. Kein Teufelskind kann Christus seinen Herrn nennen. Konsequent protestiert der dritte Artikel, „daß ich nicht … glauben … kann“. Diesem Desaster weicht die Erklärung aus, „Die ← 32 | 33 → Gebote schärfen ihm ein, was zu tun er schuldig ist; das Credo zeigt ihm, dass er trotz seiner Schuld frohen Gewissens leben darf’202. Nein, Schüler sind gestrandet. Während der Dekalog ihnen erfüllbar schien, präsentiert der Katechismusweg sich nun als Holzweg. Das Ich selbst meinte nur, glauben zu können.

Dieses Scheitern schlägt auf den Anfang zurück. Der interessiert betretene Weg führt in Ent-Täuschung. Kein Gebot läßt sich halten. Das Credo, „Antwort und Bekenntnis der Christen, auf das erste Gebot“203, endet in menschlichem Unvermögen, keinem Glauben. Das ganze Credo erledigt die gesamte Dekalogeuphorie. Lernende können dem gebietenden Gott statt des Glaubens nur Ohnmacht bekennen. „In Luthers Katechismussystematik geht es insgesamt um einen … Umgang mit Gottes Tatwort in des Menschen Antwort“204. Die kann als restlos negative aber nur sehr formal als Umgang bezeichnet werden. Der Dekalog mutiert aus einer Tatanweisung für Menschen im dritten Artikel zu Gottes Tatwort, das endlich ihre geständige Antwort bewirkt hat.

Nichts bleibt als diese Kehre durch den rufend präsenten Geist. Er beginnt schon, kaum wird er kennen gelernt, zu lehren, das Gebotene sei unerfüllbar. Er stürzt anfangs vorhandene Gutwilligkeit. Denn „die Schöpfung haben wir nun hinweg, so ist die Erlösung auch ausgerichtet, aber der heilige Geist treibt sein Werk unablässig bis auf den jüngsten Tag“205. Darum spricht Luther im Großen Katechismus, das Credo zusammenfassend, nur von ihm im Präsens und erklärt den dritten Artikel ausführlicher als beide anderen zusammen. Der geistgeprägte Glaubensbegriff steht den Erklärungen der ersten Artikel je einmal voran, den dritten aber zeichnet er sechsmal aus. Zugleich erscheint erstmals das Evangelium, als Berufungsmedium, auch rhythmisch der Glaubensunfähigkeit entgegengesetzt. Diese Antithese wendet den dritten Artikel „betont gegen einen libertinistischen Antinomismus“206, signalisiert nach der (langen) Dekalogauslegung, wo Entscheidendes geschieht. Genau da, wo der Katechismusweg im Sumpf zu enden scheint, setzt Gottes Geist seine sprachlichen Zeichen.

Die öffnen nun Tatwillige, die ihr Scheitern zugeben, für sein Tun. „Aus dem siehst Du nun, daß der Glaube eine sehr andere Lehre ist als die zehn Gebote. Die lehren, was wir tun sollen. Diese aber sagt, was uns Gott tue und gebe. Die zehn Gebote sind auch sonst in aller Menschen Herzen geschrieben. Glauben aber kann keine menschliche Klugheit begreifen, er muß allein vom heiligen Geist gelehrt werden. Darum macht jene Lehre keinen Christen. Denn es bleibt noch immer Gottes Zorn und Ungnade über uns, weil wir nicht halten können, was Gott von uns fordert. Aber diese bringt alle Gnade“207. Aktive Verben zeichnen sie aus. Aktiv bricht der Geist in resigniertes Gestehen menschlicher Unfähigkeit ein. ← 33 | 34 → Pflichten helfen nicht aus der nun selbst erkannten Lage, nur der alles wendende Geist. Kein Katechismusschüler sah sich „als jemand, über welchen der Herr sein letztgültiges Ja bereits gesprochen hat“208. Jeder muß bitter scheiternd lernen. Der Geist lehrt Heiden, die Christen sein wollen209, in Gottes gebietender, zunächst als wohltuend empfundener Anrede ihre Berufung trotz Glaubensunfähigkeit doch zu glauben. Der Katechismusweg führt vom ersten zum zweiten Stück. Es kehrt den Sinn des ersten um. Die in mittelalterlichen Katechismen unübliche Stellung des Dekalogs vor dem Credo hat hohes Gewicht.

Gebote leiten also nicht, wie Peters meinte, speziell zum Schöpfungsartikel, sondern kontinuierlich bis in den dritten hinein. Schrittweise fuhren sie vom Sollen übers Wollen zum Nicht-Können. Gott rettet Menschen, die gescheitert und somit gescheiter geworden sind. Niemand erstrebt und erreicht das aus eigener Kraft. Gewiß ruft schon der Dekalog als Gottes Tatwort nach menschlicher Antwort. Doch so lange die als Gehorsamsleistung galt, wie der Katechismus teuflisch nahe legte, konnte niemand die Gabe umwendenden Glaubens begreifen. Endlich gestehen Überraschte dem, der Getaufte ruft, sie könnten nicht, nur er. Ihre Antwort leistet nichts, bekennt nur die Wahrheit. Mühsam mußten sie lernen, erfahrene Zuwendung enthalte bereits dieses Ziel und die Wende, Glaube sei kein Menschentun, ein Soll zwar, doch ein verheißendes: es soll, es wird geschehen. Der gebietende Gott nimmt nicht (gute Absichten hin), er schenkt, bietet. Längst hat er berufen, erleuchtet, erhalten. Das betonen fast plerophore Verben. Handelte er nicht, würden Menschen ratlos Unbekanntes suchen. Jeder bliebe „ein Suchender, dem niemand gesagt hatte, wo der richtige Weg ist“210. In Luthers Katechismus nimmt Gott Satans Schönungskunst in Dienst. Wo Lehrlinge hören, sie seien berufen, nicht erst im Gebet, antworten sie dem 1.Gebot, dem ganzen Dekalog. Beide Texte sind nicht inselartig isoliert, sondern systematisch zum Gehweg gefugt.

c. Bleibt nur zu bitten

Geradezu zwangsläufig folgt das Gebet des Herrn der Erkenntnis, zwar zum Glauben unfähig, aber längst berufen zu sein. Schon eine frühe, nicht katechetische Schrift, der erste Abendmahlssermon, hatte gereiht: „kannst du nicht glauben, so bitte drum“211. So verbinden sich das 2. und 3.Hauptstück. Was man nicht zustande bringt, läßt sich nur erbitten. Hatte das erste mit anredendem Du eingesetzt, das zweite mit dem angeredeten, anfangs zustimmenden Ich, so eröffnet der bisher fast übergangene Vater das dritte. Ihn bitten Lehrlinge, da sie nun ihren Zustand kennen, sie mit Glauben zu beschenken. Die Bitte, daß Gottes Wille geschehe, schließt nicht nur unerfüllbare Gebote, auch die geschehene Berufung ein212. Während die gebetstheologische ‚Einfältige Weise zu beten’ das Gebet vor Dekalog ← 34 | 35 → und Credo auslegen wird213, hat es hier eine katechismussystematische Position. Der Wende anfänglicher Tatbereitschaft ins Scheitern folgt Hinwendung zum Vater der Verlorenen. Eigene Ferne macht seine Nähe bejahen. Trotzdem formuliert auch das dritte Hauptstück weiterhin Gesetz: „Wir haben nun gehört, was man tun und glauben soll, darin das beste und seligste Leben steht, folgt nun das dritte Stück, wieman beten soll“214. „Ihr müßt beten … wie das 2. Gebot sagt“215.

1520 hatte Luther erklärt, das Herrengebet umfasse drei Aufforderungen und drei Bitten216. Genau so gliederte später das Vaterunserlied217. Der Katechismus geht zwischen Anrede und Schluß anders vor. Hier „sind nun in sieben … Bitten nacheinander gefaßt alle Not, die uns ohne Unterlaß betrifft, und jede so groß, daß sie uns treiben sollte, unser Leben lang daran zu bitten“218. Derart einfältig zu reihen entspricht dem Text schlecht. Er bittet erst ab dem Brotwort. Da Katechismusschüler nun aber nichts mehr können als bitten, sollen sie tun, was einzig ihnen blieb. Das (2.) als ihre Leistung Unmögliche kann, da es doch geschehen soll (1.), nur erbeten werden (3.). Darum sagt Luther oft, der ganze Katechismus sei zu beten. Das Herrengebet erbittet auch Vergebung der im heiligen Geist erkannten Unfähigkeit zu gebotenem Glauben. Mit dieser Bitte wird die im dritten Artikel zugesagte Sündenvergebung bejaht219. Sie trägt Gott keine Frömmigkeitsübung vor, nimmt Glauben in Konsequenz eigenen Scheiterns entgegen: „da wird nichts draus, daß eine Sünde vergeben werde, sie sei denn zuvor erkannt“220. Wie Kranke wissen müssen, daß sie krank sind, um Arznei anzunehmen.

Dies war längst formuliert. „Wenn der Mensch mit Gott zu Werk kommen soll und von ihm etwas empfangen, muß es so zugehen, daß nicht der Mensch anhebe und den ersten Stein lege, sondern Gott muß allein ohne alles Ersuchen und Begehren des Menschen zuvor kommen und ihm eine Zusage tun. Das Wort Gottes ist das erste, der Grund, der Fels, auf dem sich hernach alle Werke, Worte, Gedanken des Menschen bauen, welches Wort der Mensch dankbar aufnehmen muß und der göttlichen Zusage treulich glauben und nie dran zweifeln, es sei und geschehe so, wie er zusagt. Diese Treu und Glaube ist Anfang, Mitte und Ende aller Werke und Gerechtigkeit“221. Drei teils noch unreife Sätze enthalten den Bau des Katechismus in nuce: Dem Wort des anhebenden Gottes (Dekalog) folgt treulicher Glaube (Credo) und das Begehren (Vaterunser). Das geforderte Du und anfangs ← 35 | 36 → ahnungslos willige Ich macht dem Vater Platz. Ziel ist bereits das Ergreifen (der Sakramente) in den letzten Hauptstücken.

Trotzdem reißt der Weg des Gesetzes in den Verben gebieten und bieten nicht ab. Auch das penetrante Sollen setzt sich wie jenes freundliche Anlocken fort: Gott wolle „uns locken, daß wir glauben sollen, er sei unser rechter Vater und wir seine rechten Kinder, auf daß wir getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten sollen“. Jesu Gebet lehrt weder das Evangelium noch eine Methode, Wunscherfüllung zu erreichen, nur „wie man beten soll“. Nämlich, „daß man Gott immerdar in Ohren liege, rufe und bitte, daß er uns den Glauben und Erfüllung der zehn Gebote gebe, erhalte und mehre und alles, was uns im Wege liegt und daran hindert, hinweg räume“222. Der Katechismusweg bleibt gesetzlich orientiert. Da ist kein „Einsatz beim Evangelium“, nur die „göttliche Anleitung, unsere Not zu erkennen“. Der Große Katechismus massiert den Gebotsbegriff sogar außerordentlich in der Gebetsermahnung. Schon 1528 arbeitete Luther „schroff den Gebotscharakter unseres Betens“ heraus, wählte „für unser Beten ganz analoge Bilder wie im ersten Hauptstück für Gottes Gebote“223. Wie Glaube im ersten gründet das Beten „im andern Gebot“. Die Hauptstücke 2 und 3 legen also den Anfang der ersten Dekalogtafel aus. Williger Optimismus der Lehrlinge ist dahin, nicht das katechetisch kunstvolle Konzept. Wie der Glaube stehen Gebete „nicht in unsrer Willkür“, da „wir um Gottes Gebots willen schuldig sind zu beten“224. Sie bleiben geboten, verlangen theonome statt autonomer Menschenrede. Die schlägt Gott nichts vor, erbittet sein Vergeben, hält erkannte Glaubensunfähigkeit ohne dogmatische Fragen, die Peters hineinliest225, einfältig dem gebietenden Vater hin. Ihn spricht sie an, nicht sich aus. Sie bittet, daß sein Wille „auch bei uns geschehe“. Der wollende Gott setzt sich gegen gutwillig scheiternde Menschen durch.

Scharf bringt das Gebet ihre nun verzweifelt eingestandene Ohnmacht, ihre ganze Not und Schuld zur Sprache: „Folgt das Herrengebet. Da kein Mensch die zehn Gebote vollkommen hält, auch die nicht, die glauben und begonnen haben fromm zu werden durch den Glauben, hilft nichts als unser Gebet, Gott wolle die Erfüllung der Gebote durch den Glauben geben“226. Betend erbringt er keine Leistung227. Dazu waren die Lehrlinge anfangs bereit gewesen, doch an Christus gescheitert. Wer bittet, daß Gottes Name bei ihm geheiligt werde (1.Bitte), bittet Gott, sein eigenes (2.) Gebot zu erfüllen. Deshalb steht das Vaterunser anders als im Mittelalter nicht am Anfang. Es bittet „nicht um Erfüllung eigener Wünsche … sondern um einen ewigen, überschwenglichen Schatz und alles, was Gott selbst vermag, das viel zu groß ist, daß ein menschlich Herz es in Sinn nehmen dürfte zu ← 36 | 37 → begehren, wo er es nicht selbst geboten hätte zu bitten“228. Jede Bitte gründet in Gottes Wort.

Dem den Katechismus harmlos eröffnenden Dekalog also sind „das Glaubenssymbol und das Herrengebet dienend zugeordnet“229. Er regiert weiter, während das Credo scheiterte. Im Amen des Gebets steckt Gottes Zusage: „Ja, es soll also geschehen“230. Dieser Satz hätte die Gebote einleiten können. Hier aber entspricht er Luthers letztem Zettel: „Wir sind Bettler. Das ist wahr“231. Selbsterkenntnis und die des schenkenden Gottes fügen sich zwiefach ineinander. Beides gebend vertritt der Geist Glaubensunfähige mit von ihnen unaussprechlichem Seufzen (Rö 8,26). Gebotener Glaube ergreift weder im Gesetz noch anfangs fröhlichem Credo das Wort. Erst das gebotene Gebet erbittet ihn. In augustinischer Tradition wird täglich erbetene durch von Anfang an zugesagte Sündenvergebung gewiß232. Daher folgt umgehend die Taufe. Die Stücke reihen sich dicht. Wie das zweite und dritte die Anfangsgebote entfalten, rekapituliert „die zweite Bitte den zweiten und dritten Artikel des Credo“233.

Da an Fakten Glaubende (sich hin)geben wollten, der Katechismus aber beim zweiten Schritt dies als Irrtum erwies, bestätigt pures Bitten, der Heilsweg des Gehorsams sei aufgegeben, umgekehrt worden. „Wir glauben nicht, dass Jesus Christus auferstanden ist, sondern weil er auferstanden ist, glauben wir“234. Die Gerufenen denken sich keinen Gott mehr, der sie befähigt, auch keinen Dämon wie die kirchliche Gebetsfloskel ,0 Herr, laß uns …‘, as ließe er normalerweise gute Menschenvorhaben nicht zu. Luthers Auslegung erklärt penetrant: „Gottes Reich kommt wohl ohne unser Gebet von allein, aber wir bitten in diesem Gebet, daß es auch zu uns komme“. Es bittet darum, das unfähige Ich in sein grundstürzendes Handeln einzubeziehen. Christologisch viel präziser hatte Luther das längst gepredigt: Vor Gott kommt man im Gebet nicht so, „daß ich mich auf meine Gebete verlasse, sondern weil mein Herr Christus für mich eintritt und mein Fürsprecher ist“235. Langsam bringt der Katechismusweg dem Herrn nahe.

Wie Glaube keine irgendwie höhere Macht bekennt, die man zu ahnen meint, sondern den längst handelnden Gott, bittet das Gebet ihn, Betende auch künftig nicht zu übergehen. Er wolle seinen Willen an denen vollziehen, die es aufgaben, ihm ihre Beiträge darzubringen. Legitimes Beten antwortet, wird keine eigene Rede. Es reagiert auf den berufenden Geber, spricht den vergebend anredenden Vater dankbar an. Liebe und Vertrauen, in der Erklärung des 1. Gebots nach Furcht positioniert, fordern weiterhin, daß wir „mit aller Zuversicht ihn bitten ← 37 | 38 → sollen wie die lieben Kinder ihren lieben Vater“. Das Sollen hört nicht auf. Tägliches Brot faßt die Gaben des 1.Artikels zusammen. Nun beschenkt erkennt der erfahrene Lehrling sich im 1.Hauptstück als „einen Sünder und bösen Menschen. Danach hält ihm der Glaube vor …, wo er … die Gnade finden soll… Zum dritten lehrt ihn das Vaterunser, wie er die begehren, holen und zu sich bringen soll“236. Schon 1520 hatte Luther die drei Anfangsstücke sorgfältig komponiert.

d. Gott gibt

Details

Seiten
505
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653055740
ISBN (ePUB)
9783653950137
ISBN (MOBI)
9783653950120
ISBN (Hardcover)
9783631594209
DOI
10.3726/978-3-653-05574-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (April)
Schlagworte
Luthers Theologie Gott Teufel Trinität Dogmatik Katechismus
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 505 S., 3 s/w Abb.

Biographische Angaben

Wichmann von Meding (Autor:in)

Wichmann von Meding studierte Theologie in München, Heidelberg, Tübingen, Bonn und Göttingen. Er war Pastor mehrerer norddeutscher Gemeinden. Nach Promotion und Habilitation lehrte er bis zur Emeritierung an der theologischen Fakultät Kiel.

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Titel: Luthers Lehre
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