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Europäischer Minderheitenschutz am nationalen Beispiel der Regionalsprachen in Frankreich

von Saskia Helene Jeanne Weiss (Autor:in)
©2017 Dissertation 398 Seiten

Zusammenfassung

Warum müssen Minderheiten geschützt und gefördert werden? Welche Minderheiten in Europa gibt es? Weshalb bedarf es wirksamer Minderheitenschutzsysteme auf verschiedenen Akteursebenen? Unter welchen Voraussetzungen können Minderheiten wirksam geschützt werden? Diesen und weiteren Fragen geht die Autorin in ihren kulturpolitischen Forschungen nach. Mittels der Analyse einschlägiger Dokumente untersucht sie den Schutz der nationalen Minderheiten durch den Europarat, die KSZE/OSZE und die Europäische Union, wie insbesondere auch den Schutz und die Förderung der sprachlichen Minderheiten, namentlich der Regionalsprachen, auf nationaler Akteursebene in Frankreich.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Ziele und Fragestellungen der Untersuchung
  • 1.2 Gegenstand der Untersuchung
  • 1.3 Vorgehensweise
  • 1.4 Stand der Forschung
  • 1.5 Terminologien
  • 2 Minderheiten in Europa und die Grundlagen ihres Schutzes
  • 2.1 Die historische Entwicklung des Schutzes von Minderheiten in Europa
  • 2.1.1 Erste Schutzregelungen für religiöse Minderheiten ab dem 16. Jahrhundert
  • 2.1.2 Der Schutz ethnischer Minderheiten vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg
  • 2.1.3 Minderheitenschutz zwischen den beiden Weltkriegen
  • 2.2 Begriffliche Grundlagen
  • 2.2.1 Die Definition des Minderheitenbegriffs
  • 2.2.1.1 Das Fehlen einer anerkannten Minderheitendefinition
  • 2.2.1.2 Festlegung einer Minderheitendefinition für die vorliegende Untersuchung
  • 2.2.2 Arten von Minderheiten
  • 2.2.2.1 Religiöse Minderheit
  • 2.2.2.2 Sprachliche Minderheit
  • 2.2.2.3 Kulturelle Minderheit
  • 2.2.2.4 Ethnische Minderheit
  • 2.2.2.5 Nationale Minderheit
  • 2.2.2.6 Neue Minderheit
  • 2.3 Gründe für den Schutz von Minderheiten
  • 2.3.1 Sicherheit durch Minderheitenschutz
  • 2.3.2 Der Schutz von Minderheiten als Menschenrecht
  • 2.3.3 Der Schutz von Minderheiten als Beitrag zum Erhalt der kulturellen Vielfalt
  • 2.4 Arten des Minderheitenschutzes
  • 2.4.1 Individueller und kollektiver Minderheitenschutz
  • 2.4.2 Nichtdiskriminierung und positive Diskriminierung im Minderheitenschutz
  • 2.4.3 Direkter und indirekter Minderheitenschutz
  • 2.5 Anforderungen an einen wirksamen Minderheitenschutz
  • 2.6 Minderheiten in Europa
  • 2.6.1 Albanien
  • 2.6.2 Armenien
  • 2.6.3 Aserbaidschan
  • 2.6.4 Belgien
  • 2.6.5 Bosnien und Herzegowina
  • 2.6.6 Bulgarien
  • 2.6.7 Dänemark
  • 2.6.8 Deutschland
  • 2.6.9 Estland
  • 2.6.10 Finnland
  • 2.6.11 Georgien
  • 2.6.12 Griechenland
  • 2.6.13 Irland
  • 2.6.14 Italien
  • 2.6.15 Kroatien
  • 2.6.16 Lettland
  • 2.6.17 Litauen
  • 2.6.18 Mazedonien
  • 2.6.19 Moldawien
  • 2.6.20 Montenegro
  • 2.6.21 Niederlande
  • 2.6.22 Norwegen
  • 2.6.23 Österreich
  • 2.6.24 Polen
  • 2.6.25 Portugal
  • 2.6.26 Rumänien
  • 2.6.27 Russland
  • 2.6.28 Schweden
  • 2.6.29 Schweiz
  • 2.6.30 Serbien
  • 2.6.31 Slowakei
  • 2.6.32 Slowenien
  • 2.6.33 Spanien
  • 2.6.34 Tschechien
  • 2.6.35 Türkei
  • 2.6.36 Ukraine
  • 2.6.37 Ungarn
  • 2.6.38 Vereinigtes Königreich
  • 2.7 Minderheiten in Frankreich
  • 3 Der supranationale europäische Minderheitenschutz von 1949 bis heute
  • 3.1 Der Minderheitenschutz des Europarates
  • 3.1.1 Der Minderheitenschutz des Europarates von 1949 bis 1989
  • 3.1.1.1 Der Schutz nationaler Minderheiten in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarates (EMRK) von 1950
  • 3.1.1.1.1 Nationale Minderheiten in der Entstehungsgeschichte der EMRK
  • 3.1.1.1.2 Der Schutz von Minderheiten im Text der EMRK
  • 3.1.1.1.2.1 Das Diskriminierungsverbot nach Art. 14 EMRK
  • 3.1.1.1.2.2 Der indirekte Minderheitenschutz der EMRK
  • 3.1.1.1.2.3 Die Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK (heute Art. 25 EMRK)
  • 3.1.1.1.3 Weitere Versuche, Minderheitenrechte in die EMRK zu integrieren
  • 3.1.1.1.4 Zwischenfazit: Der Minderheitenschutz des Europarates von 1949 bis 1989
  • 3.1.2 Der Minderheitenschutz des Europarates von 1990 bis heute
  • 3.1.2.1 Die Empfehlung 1134 (1990) und die Richtlinie 456 (1990) der Parlamentarischen Versammlung zu den Rechten von Minderheiten
  • 3.1.2.2 Der Entwurf einer Europäischen Charta für Regional- und Minderheitensprachen (1991)
  • 3.1.2.3 Der Entwurf einer europäischen Konvention für den Schutz von Minderheiten der Kommission für Demokratie durch Recht (1991)
  • 3.1.2.4 Der Entwurf eines Zusatzprotokolls zur EMRK zum Schutz von Volksgruppen der österreichischen Delegation (1991)
  • 3.1.2.5 Die Empfehlung 1177 (1992) und die Richtlinie 474 (1992) der Parlamentarischen Versammlung zu den Rechten von Minderheiten
  • 3.1.2.6 Die Empfehlung 1201 (1993) und die Richtlinie 484 (1993) der Parlamentarischen Versammlung zu einem Zusatzprotokoll über die Rechte von Minderheiten zur EMRK
  • 3.1.2.7 Die Wiener Erklärung des Europarates (1993)
  • 3.1.2.8 Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (1995)
  • 3.1.2.8.1 Die Entstehungsgeschichte des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten
  • 3.1.2.8.2 Der Inhalt des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten
  • 3.1.2.8.3 Bewertung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten
  • 3.1.2.8.4 Frankreich und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten
  • 3.1.2.9 Das Zusatzprotokoll zu den Rechten von Minderheiten zur EMRK
  • 3.1.2.10 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (1992)
  • 3.1.2.10.1 Die Entstehungsgeschichte der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen
  • 3.1.2.10.2 Der Inhalt der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen
  • 3.1.2.10.3 Bewertung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen
  • 3.1.2.11 Zwischenfazit: Der Minderheitenschutz des Europarates von 1990 bis heute
  • 3.1.3 Fazit: Der Minderheitenschutz des Europarates von 1949 bis heute
  • 3.2 Der Minderheitenschutz der KSZE/OSZE
  • 3.2.1 Der Minderheitenschutz der KSZE von 1975 bis 1989
  • 3.2.1.1 Die Schlussakte von Helsinki der KSZE (1975)
  • 3.2.1.2 Das Abschließende Dokument des KSZE-Folgetreffens in Madrid (1983)
  • 3.2.1.3 Das Abschließende Dokument des Wiener Treffens der Vertreter der Teilnehmerstaaten der KSZE (1989)
  • 3.2.1.4 Zwischenfazit: Der Minderheitenschutz der KSZE von 1975 bis 1989
  • 3.2.2 Der Minderheitenschutz der KSZE/OSZE von 1990 bis heute
  • 3.2.2.1 Das Dokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension der KSZE (1990)
  • 3.2.2.2 Die Charta von Paris für ein neues Europa der KSZE (1990)
  • 3.2.2.3 Das Dokument des Krakauer Symposiums über das kulturelle Erbe der KSZE-Teilnehmerstaaten (1991)
  • 3.2.2.4 Das Dokument des Genfer Expertentreffens über nationale Minderheiten der KSZE (1991)
  • 3.2.2.5 Das Dokument des Moskauer Treffens der Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE (1991)
  • 3.2.2.6 Das Helsinki-Dokument der KSZE (1992)
  • 3.2.2.7 Zwischenfazit: Der Minderheitenschutz der KSZE/OSZE von 1990 bis heute
  • 3.2.3 Fazit: Der Minderheitenschutz der KSZE/OSZE von 1975 bis heute
  • 3.3 Der Minderheitenschutz der Europäischen Union
  • 3.3.1 Minderheiten in der Europäischen Union
  • 3.3.2 Die Kompetenzfrage
  • 3.3.3 Die ambivalente Minderheitenstrategie der Europäischen Union
  • 3.3.3.1 Minderheitenschutz im Außendiskurs der Europäischen Union
  • 3.3.3.2 Der Schutz von Minderheiten im Binnenbereich der Europäischen Union
  • 3.3.3.2.1 Minderheiten im Menschenrechtsschutz der Europäischen Union
  • 3.3.3.2.1.1 Das Diskriminierungsverbot
  • 3.3.3.2.2 Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union
  • 3.3.3.2.3 Kultur und Minderheitenschutz in der Europäischen Union
  • 3.3.3.2.3.1 Kultur in der Europäischen Union
  • 3.3.3.2.3.2 Vielfalt der Kulturen und Minderheitenschutz
  • 3.3.3.2.3.3 Der Schutz und die Förderung von Regional- und Minderheitensprachen
  • 3.3.3.2.4 Minderheitenschutz im Rahmen der Beschäftigungspolitik und der sozialen Integration der Europäischen Union
  • 3.3.3.2.4.1 Minderheitenschutz und Beschäftigungspolitik
  • 3.3.3.2.4.2 Minderheitenschutz und soziale Integration
  • 3.3.3.2.5 Minderheiten in der Regionalpolitik der Europäischen Union
  • 3.3.4 Die Initiativen des Europäischen Parlaments im Minderheitenschutz der Europäischen Union
  • 3.3.4.1 Der Ebner-Bericht (2003)
  • 3.3.4.2 Zwischenfazit: Die Initiativen des Europäischen Parlaments im Minderheitenschutz der Europäischen Union
  • 3.3.5 Fazit: Der Minderheitenschutz der Europäischen Union
  • 3.4 Fazit: Der supranationale europäische Minderheitenschutz von 1949 bis heute
  • 4 Nationaler Minderheitenschutz am Beispiel der Regionalsprachen in Frankreich
  • 4.1 Die Definition der Regionalsprachen in Frankreich
  • 4.1.1 Die Definition der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarates aus französischer Sicht
  • 4.1.2 Die Regionalsprachen Frankreichs
  • 4.2 Die Regionalsprachen in der französischen Sprachpolitik von 1539 bis heute
  • 4.2.1 Die Ordonnance de Villers-Cotterêts (1539)
  • 4.2.2 Die Regionalsprachen in der französischen Revolution ab 1789
  • 4.2.2.1 Der Rapport Barère, 8 pluviôse an II (1794)
  • 4.2.2.2 Der Rapport Grégoire, 16 prairial an II (1794)
  • 4.2.2.3 Die Loi 118 du 2 Thermidor, an II (1794)
  • 4.2.3 Die Regionalsprachen in der Dritten Republik (1870–1940)
  • 4.2.4 Die Regionalsprachen in der Sprach- und Bildungspolitik Frankreichs ab 1951
  • 4.2.4.1 Die Regionalsprachen in den französischen Unterrichtsgesetzen von 1951 bis heute
  • 4.2.4.1.1 Die Loi Deixonne (1951)
  • 4.2.4.1.2 Die Loi Haby (1975) und die Loi Jospin (1989)
  • 4.2.4.1.3 Der Code de l’éducation (2000)
  • 4.2.4.2 Die Regionalsprachen und die Gesetze zum Gebrauch der französischen Sprache von 1975 bis 1994
  • 4.2.4.2.1 Die Loi Bas-Lauriol (1975)
  • 4.2.4.2.2 Die Loi Toubon (1994)
  • 4.2.5 Französisch wird zur einzigen Sprache Frankreichs (1992)
  • 4.2.6 Zwischenfazit: Die Regionalsprachen in der französischen Sprachpolitik von 1539 bis 2000
  • 4.2.7 Die Implementierung der Regionalsprachen in die französische Verfassung (2008)
  • 4.2.8 Das Projekt eines eigenen Regionalsprachen-Gesetzes
  • 4.2.9 Fazit: Die Regionalsprachen in der französischen Sprachpolitik von 1539 bis heute
  • 4.3 Frankreich und die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarates (1992)
  • 4.3.1 Die Stellungnahme des Conseil d’État (1996)
  • 4.3.2 Der Bericht von Bernard Poignant (1998)
  • 4.3.3 Der Bericht von Guy Carcassonne (1998)
  • 4.3.4 Der Bericht von Bernard Cerquiglini (1998)
  • 4.3.5 Frankreich unterschreibt die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (1999)
  • 4.3.6 Die Entscheidung des Conseil Constitutionnel (1999)
  • 4.3.7 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen unter François Hollande
  • 4.4 Fazit: Nationaler Minderheitenschutz am Beispiel der Regionalsprachen in Frankreich
  • 5 Erklärungsfaktoren für einen funktionierenden Minderheitenschutz
  • 5.1 Dezentrale Staatsstrukturen als Voraussetzung für einen funktionierenden Minderheitenschutz
  • 5.2 Starke Interessengruppen zur Sicherung des Minderheitenschutzes
  • 5.3 Fazit: Erklärungsfaktoren für einen funktionierenden Minderheitenschutz
  • 6 Ergebnis der Untersuchung und Ausblick
  • 6.1 Der Schutz von Minderheiten auf supranationaler europäischer Ebene
  • 6.2 Der nationale Schutz der Regionalsprachen in Frankreich
  • 6.3 Europäischer Minderheitenschutz und der französische Schutz seiner (sprachlichen) Minderheiten
  • 6.4 Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Zusammenfassung
  • Résumé
  • Summary

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Abkürzungsverzeichnis

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1   Einleitung

„Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas“ lautet gem. Art. 2 Abs. 3 des Vertrages von Lissabon1 eines der Ziele der Europäischen Union (EU). Die Union verpflichtet sich darüber hinaus, gemäß der sogenannten Kulturverträglichkeitsklausel in Art. 167 Abs. 4 AEUV2, bei allen ihren Tätigkeiten „den kulturellen Aspekten […] insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen“ Rechnung zu tragen. Diese primärrechtliche Verankerung der kulturellen Vielfalt sowie der Verpflichtung ihr in allen Tätigkeitsbereichen Rechnung zu tragen unterstreicht den unermesslich hohen Wert, den die kulturelle Vielfalt für die Länder der Europäischen Union, und darüber hinaus auch für den ganzen europäischen Kontinent darstellt.

Neben der kulturellen Vielfalt ist auch explizit die Wahrung der sprachlichen Vielfalt in die Unionsziele eingereiht, was verdeutlicht, dass auch die Sprachen, als stärkste Ausdrucksform von Kultur, einen wesentlichen Bestandteil der europäischen Kulturvielfalt ausmachen, welche es, als Besonderheit unseres Kontinents, zu schützen und zu fördern gilt. Neben der Vielfalt an europäischen Amtssprachen gehören zu der europäischen Sprachenvielfalt auch zahlreiche Regional- und Minderheitensprachen, die jeweils von bestimmten Teilen der Bevölkerung innerhalb der Staatsgebiete gesprochen werden. Obgleich die Vielfalt der Sprachen eines der wertvollsten Elemente des europäischen Kulturerbes darstellt, ist sie vehement bedroht. Schätzungen zufolge werden binnen der nächsten Dezennien etwa 30 % der zurzeit weltweit noch 6500 gesprochenen Sprachen ausgestorben sein. Pessimistische Schätzungen prognostizieren sogar ein Sprachensterben von 90 % der heute in der Welt gesprochenen Sprachen.3 Von dem erheblichen Rückgang von Sprecherzahlen bis hin zum gänzlichen ← 23 | 24 → Untergang der Sprache/n sind insbesondere auch die Regional- und Minderheitensprachen betroffen.4

Untrennbar verbunden mit den Regional- und Minderheitensprachen sind ihre Sprecher/innen.5 Als Minderheiten sind indes nicht nur solche Gruppen von Staatsbürgern zu verstehen, die sich durch sprachliche oder kulturelle Merkmale von der Mehrheit eines Staatsvolkes unterscheiden und gewillt sind, ihre Eigenart zu behalten, sondern es gibt auch religiöse, ethnische und nationale Minderheiten.6

Das Erfordernis eines wirksamen europäischen Minderheitenschutzsystems ist zwar primär kulturell begründet, jedoch zeigt sich an vielen Stellen, dass ein funktionierender Minderheitenschutz auch aus sicherheitspolitischer Perspektive notwendig ist. Die immer wieder entstehenden Konflikte, in denen die Minderheitenfrage eine Rolle spielt – insbesondere die Kriege auf dem Balkan, aktuell jedoch auch sichtbar an den Konflikten in der Ukraine sowie diversen Separationsbewegungen in Europa7–, belegen, dass ein funktionierendes System zum Schutz nationaler Minderheiten eine notwendige Voraussetzung für dauerhafte Stabilität, Frieden und die Sicherung von Menschenrechten ist.

Die Minderheitenfrage hat in Europa zwar eine jahrhundertelange Tradition, jedoch wurden die Minderheitenprobleme erst mit der Entstehung der ← 24 | 25 → Nationalstaatsideologie des 19. Jahrhunderts akut. Die ideologische Vorstellung der Kongruenz von Staat, Volk und Sprache wich von der Realität und ihren polyethnischen wie -sprachlichen Strukturen ab. Im Namen des Nationalstaates, der sich durch ein homogenes Volk mit einheitlicher Sprache und Kultur auszeichnet, wurde vielerorts die Homogenisierung der Bevölkerung durch Assimilation der Minderheiten an die Mehrheit vorangetrieben. Die Strategien hierfür waren vielfältig und mündeten oft in Unterdrückung sowie in die Bekämpfung von Minderheiten. Die Maßnahmen reichten von der Verhängung von Verboten, beispielsweise Minderheitensprachen zu gebrauchen, über Vertreibung, Umsiedlung bis hin zu Mord und den grausamen sogenannten ethnischen Säuberungen. Eines der schlimmsten Beispiele hierfür bildet zweifelsohne die nationalsozialistische Schreckensherrschaft mit ihrem Rassismus gegen jegliche Art von Minderheiten und damit einhergehend der radikalen Bekämpfung der kulturellen und ethnischen Vielfalt.

Der Minderheitenschutz in Europa hat eine lange Geschichte. Bereits im 16. Jahrhundert wurden Maßnahmen zugunsten religiöser Minderheiten erlassen. Der Schutzbereich dieser Regelungen wurde sukzessive um die nationalen, ethnischen und sprachlichen Minderheiten erweitert und der Minderheitenschutz fand in der Völkerbundszeit zwischen den beiden Weltkriegen von 1919 bis 1932 seinen Höhepunkt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stand in Westeuropa die Etablierung von Demokratie, Rechtstaatlichkeit sowie den allgemeinen Menschenrechten im Vordergrund der politischen Bemühungen. In dieser Phase war es der Europarat, der kurz nach seiner Gründung am 05. Mai 1949 im Zuge der Erarbeitung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) die Minderheitenfrage erstmals wieder aufgriff. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre trat auch die durch die Schlussakte von Helsinki im Jahr 19758 gegründete Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE9) als Akteurin im europäischen Minderheitenschutz hinzu. Aus minderheitenrechtlicher Sicht zeichnet sich die Phase von 1945–1989 insbesondere dadurch aus, dass in ihr Grundsteine für die spätere Entwicklung umfassender Minderheitenschutzmaßnahmen gelegt wurden. Erst mit dem Umbruch in Europa und dem Ende des Kalten Krieges rückte die Minderheitenfrage ab 1989/1990 wieder in den Fokus der politischen Bemühungen. Insbesondere die Ereignisse in Südosteuropa, namentlich auf dem Balkan, hatten die Annahme ← 25 | 26 → zunichtegemacht, dass der Schutz von Minderheiten im Rahmen der allgemeinen Menschenrechte ausreichend gesichert sei. Fortan entwickelte und festigte sich das Bewusstsein, dass ein wirksamer Minderheitenschutz nur mit spezifischen Schutzmaßnahmen zugunsten der Minderheiten erzielt werden kann. In dem Begehren, die Minderheiten in Europa zu schützen und zu fördern und sie damit als wichtigen Teil des europäischen Kulturguts zu erhalten, ihre Menschenrechte zu sichern sowie auch weiterhin das mit ihnen zusammenhängende Konfliktpotenzial zu reduzieren, intensivierten die europäischen Institutionen – namentlich der Europarat und die KSZE/OSZE – ab 1990 ihre Bemühungen, den europäischen Minderheitenschutz auszubauen und zu konkretisieren, und auch auf Ebene der Europäischen Union ist eine sukzessive Einbindung der Minderheitenfrage in verschiedene Politikbereiche zu konstatieren.10

Ein Umdenken in der Minderheitenfrage auf europäischer Ebene ist demnach erfolgt, die wichtigste Akteursebene im europäischen Minderheitenschutz bilden jedoch die Nationalstaaten. Sie müssen bereit sein, Zugeständnisse auf der europäischen Ebene zu machen und insbesondere auch die europäischen Minderheitenschutzdokumente unterschreiben, ratifizieren und implementieren, damit die europäischen Regelungen eine Wirkung auf die innerstaatlich angesiedelten Minderheiten entfalten können. Darüber hinaus kommt ihnen die Aufgabe zu, eigene nationale Minderheitenschutzsysteme zu etablieren. Die verschiedenen Minderheitenschutzsysteme und auch -standards in den einzelnen europäischen Ländern zeigen indes, dass die Nationalstaaten in unterschiedlichem Maße bereit sind, Zugeständnisse im Bereich des Minderheitenschutzes zu machen. Hieraus ergibt sich, dass der europäische Minderheitenschutz auch nur in dem Maße ausgeprägt sein kann, in dem seine Maßnahmen und Regelungen konsensfähig sind. Dem Minderheitenschutz kritisch eingestellte Staaten können also eine bremsende Wirkung auf den supranationalen europäischen Minderheitenschutz haben. Resultierend daraus liegen die europäischen Minderheitenschutzstandards zum Teil auch hinter den innerstaatlichen Schutzstandards zurück.11 Im (vorwiegend ← 26 | 27 → völkerrechtlich verbindlichen) europäischen Minderheitenschutz werden also oftmals – aufgrund der Konsensfähigkeit – lediglich Mindeststandards festgehalten. Um die innerhalb der Staaten angesiedelten Minderheiten adäquat zu schützen und zu fördern, bedarf es demnach – neben dem supranationalen europäischen Minderheitenschutz – auch nationaler Minderheitenschutzsysteme, welche Regelungen und Maßnahmen enthalten, die, im Besten Fall, über die europäischen Schutzstandards hinausgehen.

Während 43 der 47 Mitgliedstaaten des Europarates das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 01. Februar 1995 unterschrieben und/oder ratifiziert haben, gehört Frankreich – neben der Türkei sowie den Kleinstaaten Andorra und Monaco12 – zu den einzigen Europaratsstaaten, die das europäische Minderheitenschutzdokument bis heute gänzlich ablehnen. Darüber hinaus hat Frankreich die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarates vom 05. November 1992 zwar im Jahr 1999 unterschrieben, eine Ratifikation steht jedoch bis heute aus. Auf innerstaatlicher Ebene hat die französische Republik zudem noch im Jahr 1997 in einem Bericht an den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen die Existenz von Minderheiten auf seinem Staatsgebiet gänzlich geleugnet.13 Obgleich die sprachlichen Minderheiten, namentlich die Regionalsprachen, seit 2008 in Artikel 75–1 einen Platz in der französischen Verfassung gefunden haben und damit ein Richtungswechsel in der französischen Regionalsprachpolitik weg von dem jakobinischen Diskurs der Revolution zu konstatieren ist, deuten die weitgehende Ablehnung der europäischen Minderheitenschutzdokumente wie auch die Verleugnung von Minderheiten auf französischem Staatsgebiet noch im Jahr 1997, also zwei Jahre nachdem auf europäischer Ebene das ← 27 | 28 → Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates 1995 zur Zeichnung aufgelegt wurde, sowohl auf ein schwieriges Verhältnis Frankreichs zum europäischen Schutz von Minderheiten als auch auf Probleme im innerstaatlichen Minderheitenschutz hin. Frankreich eignet sich demnach als Fallauswahl, um zu verdeutlichen, dass die Nationalstaaten die zentrale Akteursebene im europäischen Minderheitenschutz darstellen und sie sowohl auf europäischer als auch auf innerstaatlicher Ebene bereit sein müssen, den Schutz ihrer Minderheiten umfassend zu gestalten, damit die innerstaatlich angesiedelten Minderheiten zum einen durch supranationale europäische Maßnahmen und zum anderen durch nationale Regelungen geschützt und gefördert werden können, mit dem Ziel die innerstaatliche (und damit auch die europäische) Kultur- und Sprachenvielfalt zu erhalten sowie etwaigen Minderheitenkonflikten vorzubeugen. Zudem lässt sich anhand der Fallauswahl Frankreich aufzeigen, dass der wirksame Schutz von Minderheiten mit dem zentralistischen Staatsaufbau der Republik nur schwer zu vereinbaren ist und dass Dezentralisierung, verbunden mit der Delegation von politischen Kompetenzen auf die regionalen und/oder kommunalen Ebenen derjenigen Gebiete, in denen die Minderheiten mehrheitlich bzw. in großer Anzahl ansässig sind, als Voraussetzung für einen wirksamen Minderheitenschutz fungieren kann sowie dass die Minderheiten in organisierter Form von Interessengruppen selbst zu einem wirksamen Minderheitenschutzsystem beitragen können.

Aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen und Akteure im europäischen Minderheitenschutz ergibt sich ein dreistufiger Aufbau, dessen unterste Akteursebene die Minderheiten selbst bilden, die mittlere Akteursebene die einzelnen nationalen Staaten darstellen und die oberste Akteursebene die supranationalen/zwischenstaatlichen europäischen Institutionen, wie der Europarat, die KSZE/OSZE und die Europäische Union bilden.

Mit der vorliegenden Untersuchung soll herausgearbeitet werden, dass der europäische Minderheitenschutz Mängel aufweist und weiterhin Handlungsbedarf besteht. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, dass die Wirksamkeit der europäischen Regelungen maßgeblich von der Bereitschaft der Nationalstaaten abhängt, europäische Maßnahmen positiv mitzugestalten, sie anzuerkennen und umzusetzen, sodass die europäischen Regelungen auch eine schützende und fördernde Wirkung auf die innerstaatlich angesiedelten Minderheiten entfalten können. Zudem soll verdeutlicht werden, dass die nationalen Staaten nicht nur zentrale Akteure im europäischen Minderheitenschutz sind, sondern primär auch nationale Minderheitenschutzsysteme erarbeitet und umgesetzt werden müssen, um einerseits die nationale und europäische Kulturvielfalt zu erhalten ← 28 | 29 → und andererseits das von den Minderheiten ausgehende Sicherheitsrisiko einzudämmen. Schließlich gilt es vor dem Hintergrund der divergierenden Minderheitenschutzstandards in den einzelnen europäischen Ländern, sowie insbesondere auch dem problematischen Minderheitenschutz in Frankreich herauszuarbeiten, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Minderheiten auf innerstaatlicher Ebene wirksam geschützt und gefördert werden können.

1.1   Ziele und Fragestellungen der Untersuchung

In dem Wunsch, die Sensibilität für die Minderheitenfrage zu steigern und etwaige Defizite des Minderheitenschutzes in Europa und auch in Frankreich herauszuarbeiten sowie zukünftige Wege für einen adäquaten europäischen und insbesondere auch nationalen französischen Minderheitenschutz aufzuzeigen, die zu der Erhaltung der kulturellen Vielfalt unseres Kontinents sowie zu einem friedlichen Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheit führen können, ist das Ziel dieser Arbeit zu untersuchen, wie sich der supranationale europäische Minderheitenschutz seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und insbesondere seit 1989/1990 entwickelt hat und inwiefern diese Regelungen dazu geeignet sind, die Minderheiten zu schützen und zu fördern. Darüber hinaus wird analysiert, in welchem Maße der Minderheitenschutz auf nationaler Ebene am Beispiel der Regionalsprachen in Frankreich ausgeprägt ist. Ferner wird beleuchtet, wie die europäischen Minderheitenschutzdokumente am Beispiel der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (1992) des Europarates mit der nationalen Rechtsordnung der Republik bzw. dem nationalen Umgang mit der Minderheitenfrage zu vereinbaren sind. Schließlich werden, ausgehend von Frankreich, die Erklärungsfaktoren für einen wirksamen Minderheitenschutz herausgearbeitet.

Die zentrale Forschungsfrage lautet hierbei:

Wie hat sich der Minderheitenschutz sowohl auf supranationaler europäischer als insbesondere auch auf nationaler französischer Akteursebene entwickelt und unter welchen Voraussetzungen können Minderheiten wirksam geschützt werden?

1.2   Gegenstand der Untersuchung

In dieser Dissertation wird sowohl die Entwicklung des Schutzes von Minderheiten auf europäischer Ebene als auch der nationale Schutz der Minderheiten am Beispiel von Frankreichs Regionalsprachen untersucht. Darüber hinaus wird dargestellt, wie das Verhältnis zwischen den Schutzsystemen auf beiden Ebenen ist und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der Schutz ← 29 | 30 → von Minderheiten auf nationaler Ebene funktionieren kann. Die Relevanz dieser Untersuchung ergibt sich insbesondere aus kultureller Sicht und der Notwendigkeit, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um dem Rückgang der europäischen Kulturvielfalt entgegenzuwirken14, sowie aus der Pflicht, die Menschenrechte der Minderheiten zu sichern. Ferner können Minderheitenkonflikte einen Risikofaktor für Stabilität und Sicherheit darstellen. Insbesondere die Prognose der Gesellschaft für bedrohte Sprachen, die aktuelle Lage in der Ukraine, aber auch die immer wiederkehrenden Separationsbewegungen – u. a. der Basken, der Korsen sowie der Schotten –, belegen, dass Minderheitenprobleme in Europa omnipräsent ist. Obgleich der europäische Minderheitenschutz sich seit 1990 positiv entwickelt hat, weist er bis heute Lücken auf, die es zu schließen gilt.

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wie sich sowohl der supranationale europäische als insbesondere auch der nationale französische Minderheitenschutz entwickelt hat und unter welchen Voraussetzungen Minderheiten wirksam geschützt werden können, erfolgt zunächst eine Untersuchung der ersten Ebene, d. h. der Minderheitenschutzbemühungen der supranationalen europäischen Akteursebene, namentlich von Europarat, KSZE/OSZE und Europäischer Union. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Analyse von offiziellen Dokumenten der europäischen Institutionen, vor allem sind das im Rahmen der KSZE primär die Schlussfolgerungen der einzelnen Gipfeltreffen und Zusammenkünfte, die völkerrechtlichen Dokumente und die dazugehörigen (Erläuternden) Berichte des Europarates wie auch die Empfehlungen und Entschließungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sowie das Primärrecht und auch sekundärrechtliche Dokumente wie Entscheidungen, Richtlinien und Empfehlungen der Europäischen Union. Für die Untersuchung des Minderheitenschutzes auf der nationalen französischen Akteursebene werden indes die sprachpolitischen Regelungen Frankreichs von 1539 bis heute im Hinblick auf den Schutz und die Förderung von Regionalsprachen untersucht. Anschließend wird die Vereinbarkeit von europäischem Minderheitenschutz mit nationaler Rechtsordnung am Beispiel der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Frankreich dargelegt. Hierzu werden insbesondere die offiziellen Berichte sowie die Stellungnahmen des französischen Verfassungsrates analysiert.15 ← 30 | 31 →

In die Untersuchung des Minderheitenschutzes der supranationalen europäischen Akteure wird die Phase nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die Etablierung und Festigung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten im Vordergrund stand, zwar miteinbezogen, da es in dieser Zeit bereits diverse Bemühungen gab, einen spezifischen Minderheitenschutz in die allgemeinen Menschenrechte zu implementieren und in dieser Phase auch die Grundsteine für den europäischen Minderheitenschutz ab 1990 gelegt wurden. Der zeitliche Fokus der Untersuchung der supranationalen europäischen Akteursebene liegt jedoch auf dem Zeitraum von 1990 bis heute, in dem der moderne und völkerrechtlich verbindliche Minderheitenschutz entwickelt wurde.

1.3   Vorgehensweise

Die Arbeit ist in vier Hauptteile gegliedert. In einem ersten Teil erfolgen grundlegende Ausführungen zu den Minderheiten in Europa und ihrem Schutz. Nach einem kurzen Überblick über die historische Entwicklung des Minderheitenschutzes in Europa von seinen Anfängen im 16. Jahrhundert bis zur Völkerbundszeit werden begriffliche Grundlagen wie die Definition des Minderheitenbegriffs sowie auch die verschiedenen Arten von Minderheiten aufgeführt. Im Anschluss werden die Gründe für das Erfordernis des Schutzes von Minderheiten wie auch die verschiedenen Arten von Minderheitenschutz dargestellt, um abschließend einen kurzen Überblick über die Minderheiten in den einzelnen europäischen Staaten zu geben. Dieser erste Teil dient dazu, dem Leser Grundlagen für ein besseres Verständnis der Minderheitenfrage in Europa und ihrer Dimension zu vermitteln.

In einem zweiten Teil erfolgt die Untersuchung des europäischen Minderheitenschutzes durch die supranationalen europäischen Institutionen Europarat, KSZE/OSZE und Europäische Union von 1949 bis heute. In der Phase von 1945–1989 galten – wie in der KSZE-Charta von Paris für ein neues Europa (1990)16 proklamiert – zwar der Ausbau und die Festigung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit als oberste Maximen politischen Handelns, jedoch sind ← 31 | 32 → bereits in dieser Zeit auch einige Maßnahmen zum Schutz von Minderheiten zu konstatieren. Der moderne Minderheitenschutz in Europa beginnt indes in den 1990er Jahren. In dieser Phase wurde der bestehende Minderheitenschutz ausgebaut und konkretisiert. Der bis dato weitestgehend indirekte und lediglich politisch verbindliche Minderheitenschutz wurde durch direkte und völkerrechtlich verbindliche Minderheitenschutzregelungen ergänzt.

Die ersten Impulse im europäischen Minderheitenschutz der Nachkriegszeit kamen ab 1949 vom Europarat im Zuge der Erarbeitung der allgemeinen Menschenrechte. Folglich beginnt der zweite Teil dieser Dissertation mit der Untersuchung des Minderheitenschutzes des Europarates von 1949 bis heute. Zunächst wird die Rolle der Minderheitenfrage in der Erarbeitung und dem finalen Dokument der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarates aus dem Jahr 1950 beleuchtet. Es gilt hierbei die Relation zwischen den allgemeinen Menschenrechten und den spezifischen Minderheitenrechten darzustellen sowie herauszuarbeiten, welchen Stellenwert die Minderheitenrechte bei der Etablierung der allgemeinen Menschenrechte eingenommen haben. In einem weiteren Kapitel werden die Arbeiten des Europarates im Bereich des Minderheitenschutzes seit den 1990er Jahren, mit dem Fokus auf die bis heute wohl wichtigsten europäischen Minderheitenschutzdokumente, dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (1995) sowie der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (1992) des Europarates, analysiert und bewertet. Mit ihrer Entstehung am 01. August 1975 mit der Schlussakte von Helsinki ist auch die KSZE zu einer wichtigen Akteurin im europäischen Minderheitenschutz geworden. Die Untersuchung des Minderheitenschutzes der KSZE erfolgt in zwei Kapiteln. Nach der Analyse der KSZE-Dokumente von 1975 bis 1989 hinsichtlich ihrer minderheitenrelevanten sowie minderheitenspezifischen Regelungen erfolgt eine Darstellung des Minderheitenschutzes der KSZE/OSZE von 1990 bis heute. Schließlich erfolgt in diesem zweiten Teil eine kritische Auseinandersetzung mit den Minderheitenschutzmaßnahmen im Innen- und Außenbereich der Europäischen Union mit einem besonderen Augenmerk auf die Initiativen des Europäischen Parlaments als herausragende Institution im europäischen Minderheitenschutz.17 ← 32 | 33 →

Zusammengefasst gilt es in diesem zweiten Teil herauszuarbeiten, wie sich der europäische Minderheitenschutz von 1949 und insbesondere ab 1990 bis heute entwickelt hat und inwieweit die Minderheitenschutzmaßnahmen von Europarat, KSZE/OSZE und EU dazu geeignet sind, die Minderheiten zu schützen und zu fördern. Ferner wird dargestellt, inwiefern ein europäisches Minderheitenschutzsystem vorhanden ist und welche Mängel es aufweist.

Im dritten Teil dieser Dissertation wird die nationale Akteursebene untersucht. Es erfolgt eine Analyse des Minderheitenschutzes am Beispiel der Regionalsprachen in Frankreich. Hierbei wird einerseits die nationale Sprachpolitik hinsichtlich der Regionalsprachen untersucht und andererseits Frankreichs Umgang mit der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarates (1992) analysiert. Dieser Teil widmet sich der Frage, welchen Stellenwert die Regionalsprachen in der französischen Sprachpolitik von 1539 bis heute einnehmen und welche Wirkung die allgemeine Sprachpolitik auf die Regionalsprachen der Republik entfaltet. Ferner wird am Beispiel Frankreichs untersucht, inwieweit europäischer und nationaler Minderheitenschutz zu vereinen sind und in welchem Maße die europäischen Maßnahmen auf nationaler Ebene umgesetzt werden.

Details

Seiten
398
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631713860
ISBN (ePUB)
9783631713877
ISBN (MOBI)
9783631713884
ISBN (Hardcover)
9783631713853
DOI
10.3726/b10465
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Schlagworte
Politik Völkerrecht Kulturelle Vielfalt Kulturpolitik Nationalstaaten Menschenrechte
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 398 S.

Biographische Angaben

Saskia Helene Jeanne Weiss (Autor:in)

Saskia Helene Jeanne Weiss absolvierte Frankreichstudien in Berlin und Avignon (Frankreich) und promovierte im Fach Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.

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Titel: Europäischer Minderheitenschutz am nationalen Beispiel der Regionalsprachen in Frankreich
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