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Translation ohne Biologie – Henne ohne Ei?

von Michèle Cooke (Band-Herausgeber:in)
©2017 Sammelband 174 Seiten
Reihe: Translation Happens, Band 4

Zusammenfassung

Dieser Band ist ein Plädoyer für die Anerkennung der biologischen Realität, die der Translation als menschlicher Handlung zu Grunde liegt. Die Autorinnen stellen konventionelle Axiome des translationswissenchaftlichen Kanons in Frage und gleichzeitig eine neue Definition von Translation vor. Aus der Synthese vermeintlicher Dichotomien wie Biologie oder Kultur, emotional oder rational, Denken oder Fühlen entstehen neue Begrifflichkeiten, welche die Translation in ein neues Licht rücken. Der biokulturelle Ansatz der Autorinnen verankert Sprache, Kommunikation und Kognition fest in der Spontaneität des Lebens und erklärt diese als dynamische bio-logische Prozesse.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • Translation als emorationale Tätigkeit (Christina Steyskal)
  • Nichts ist unmöglich – T…ranslation! Zum Übersetzen von referential hurdles in Spielfilmen (Paulina Piotrowska-Motyka)
  • Fühlen, Denken und Handeln: Die Relevanz der Intuition im Translationsprozess (Tuğba Ayaz)
  • Translation, Leben und spontane Systeme (Michèle Cooke)
  • Index
  • Abbildungsverzeichnis
  • Die Autorinnen
  • Reihenübersicht

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Vorwort

Wir alle wissen es: Ein Ei ohne Henne ist nicht vorstellbar. Und eine Henne kann es ohne Ei nicht geben. Die „Henne-oder-Ei“-Frage kann deswegen nicht beantwortet werden, weil die Frage falsch ist. Es geht nicht darum, welches der beiden „zuerst“ da war, oder ob das Ei Vorrang vor der Henne hat. Beide gehören zusammen. Das eine ohne das andere wäre nicht möglich.

Das ist unser Anliegen in dem vorliegenden Band: Kognition oder Emotion? Nature oder nurture? Sind unser Handeln und Fühlen embedded, situated, embod­ied …? Wir wollen in unseren Beiträgen beispielhaft illustrieren, dass Translation als komplexe Handlung, die von realen Menschen durchgeführt wird, auch in der Ganzheit des spontanen erlebten und gelebten Lebensprozesses betrachtet werden muss. Wir nehmen eine Henne als solche wahr. Ebenso ein Ei. Aber wir wissen, dass sie begrifflich auch eine Einheit bilden. Wir wissen, dass sie einander bedingen.

Wir wollen mit den hier präsentierten Thesen vorschlagen, auch das Phänomen Translation in das von Menschen spontan gelebte Leben zurückzubringen. Wir hoffen, zu zeigen, wie unsere Lebenserfahrungen notwendig sind, um andere Menschen – also auch Texte – zu verstehen und zu übersetzen. Wir wissen natürlich, dass Translation als menschliche Tätigkeit bereits ein Hauptthema der Translationswissenschaft ist. Wir möchten lediglich daran erinnern, dass diese translatorisch handelnden Menschen aus Fleisch und Blut bestehen. Und dass sie in der Gesamtheit ihres körperlichen – und daher auch ihres kognitiv-emotionalen – Seins kommunikativ und translatorisch handeln.

Wir suchen keine Antwort auf die Frage: Was kam zuerst, Henne oder Ei? Vielmehr wollen wir die Henne zum Ei bringen, damit diese Frage nicht mehr gestellt werden muss. ← 7 | 8 →

Abbildung 1 – René Magritte, Variante de la tristesse, 1957 © Bildrecht, Wien, 2017.

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Christina Steyskal prägt in ihrem Beitrag einen neuen Begriff: emorational. Trotz der impliziten Anwesenheit des Menschen in vielen Untersuchungen der translatorischen Praxis vermisst sie in der Translationswissenschaft eine wichtige Schlussfolgerung und gleichzeitige Voraussetzung des sozialen Handelns: dass der Mensch nicht nur denkt, sondern auch fühlt. Der neue Begriff identifiziert den translatorisch handelnden Menschen als Wesen, das die Welt ganzheitlich erlebt und versteht.

Paulina Piotrowska-Motyka erklärt in ihrer Untersuchung zur Übersetzung von Spielfilmen, welchen Beitrag die eigene Biografie und die Gemeinsamkeiten der menschlichen Lebenserfahrung zum Verstehen von fiktiven Welten leisten. Mit ihrem neuen Begriff der referential hurdles zeigt sie den dynamischen Charakter des Verstehensprozesses auf und hinterfragt damit konventionelle Auffassungen von Kulturspezifik und Zielgruppenbestimmung. ← 8 | 9 →

Auch im Beitrag von Tuğba Ayaz geht es um die Synthese von Erfahrung, Denken und Fühlen, die wir als Intuition erleben. Im translatorischen Entscheidungs­prozess spielen unterschiedliche Dimensionen des Wissens eine Rolle, wobei der Intuition als Drehpunkt des rational-emotionalen Denkens eine Schlüsselposition zukommt. Auch wenn wir intuitiv handeln, schalten wir weder die Analysefähigkeit noch die Ratio aus.

In meinem eigenen Beitrag wird die „Vermenschlichung“ von TranslatorInnen weitergeführt. Als kognitiv-emotionale Systeme leben Menschen in spontaner Interaktion mit ihrer Umwelt, also auch mit anderen Menschen. Leben ist ein grundsätzlich kognitiver Prozess, der Relationen jeglicher Art umfasst. Translation, wie jede andere Form der menschlichen Kommunikation, ist eine relationale Handlung. Ich diskutiere eine neue Definition von Translation, die konventionelle Begriffe wie Kultur, Sprache und Verstehen in den Rahmen des spontanen Lebens verankert.

Translation happens. Nicht als mentaler, rationaler Prozess. Nicht als emotio­nale Handlung. Translation ist Teil des Lebens. Und kann nur in der Dynamik des Lebensprozesses stattfinden. Translation happens in der Ganzheit der Erfahrung dessen, was wir Leben nennen.

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Wien, im Mai 2017Michèle Cooke ← 9 | 10 →

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Christina Steyskal

Translation als emorationale Tätigkeit

Abstract: The concept emorational synthesises the age-old dichotomy between thinking and feeling. This dichotomy places severe restrictions on translation scholarship, which is dominated by a rational-cognitive approach. The synergy of cognition and emotion reflects the real translating practice of real people.

Einleitung

Worauf können sich professionelle TranslatorInnen verlassen? Auf ihr Gefühl. Es ist wegweisend für sie, nimmt ihnen Entscheidungen ab, gibt ihnen Feedback, lässt sie andere Menschen verstehen. Es gibt ihnen im Nachhinein die Gewissheit, dass das, was sie fertiggestellt haben, richtig ist. Emotion ist aus keinem einzigen Arbeitsschritt der Translation wegzudenken. Es handelt sich um ein omnipräsentes Mittel, das TranslatorInnen gezielt in ihrer Arbeit einsetzen. Ohne Gefühl ist Translation nicht möglich. All das wird allerdings auf theoretischer Ebene bisher weitgehend ausgeklammert. Theorie und Praxis sind in dieser Hinsicht weit voneinander entfernt.

In der Theorie ist die Translation eine rationale Arbeit. Charakteristisch für das Rationale ist der kategorische Ausschluss von allem Emotionalen. Das bedeutet, Kognition wird erst in der Abgrenzung von Emotion zu dem, was es für uns bedeutet. Noch einmal von vorne: Zuerst ist eine starre Zweiteilung von Emotion und Kognition augenscheinlich. Die beiden Begriffe stehen einander in unserer Vorstellung seit Jahrtausenden gegenüber. Diese Darstellung lässt sich bis zu den alten GriechInnen zurückverfolgen. Denken und Fühlen werden einander seither grundsätzlich gegenübergestellt. Dieser Dualismus hat zu einer Hierarchisierung geführt, denn wir sind es gewohnt, grundsätzlich alles zu dualisieren und uns dann emotional auf eine Seite zu schlagen. Ist dies einmal geschehen, dann bleibt es dabei. Oder? Schwarz und weiß, jung und alt, Mann und Frau, Übersetzung und Original. Alles, was dazwischen liegt, ist keine Kategorie, die mit den starken Bildern dieser Paare mithalten könnte. Gleichzeitig ist klar, welche Seite bevorzugt und welche benachteiligt wird. Was die Dichotomie zwischen Denken und Fühlen betrifft, wird traditionell die Emotion gegenüber der Kognition abgewertet. Doch ist es möglich, diese Rangordnung aufzuheben? Es gäbe zahlreiche Gründe, die dafür sprechen würden, diesen Versuch zu unternehmen, besonders in Hinblick auf die Translationswissenschaft. ← 11 | 12 →

In der Translationswissenschaft hat die allgemeine Herabsetzung des Gefühls nicht nur zu einer weitgehend einseitigen Forschung, sondern auch zu anti-emotionalen Theorien geführt. Postkolonialistische, feministische und queere Translationstheorien bieten alternative Anschauungen. Wenn auch Emotion und Empathie darin wenig bis gar keine Erwähnung finden, so ist es dennoch von unschätzbarem Wert, dass sie Ideen hervorbringen, die abseits von binären Mustern neue Perspektiven für TranslatorInnen als sichtbare, eigenständig handelnde, menschliche Wesen eröffnen und gewisse gewohnte Ideen auf die Probe stellen. Auch der in der Translationswissenschaft seit Kurzem aufkommende soziologische Ansatz konzentriert sich zwar ebenfalls nicht auf das Gefühl von TranslatorInnen, aber unterstreicht dennoch ihre Existenz als soziale Wesen in Translationsprozessen. Dies ist ein Fortschritt gegenüber der ansonsten meist nur implizit erwähnten Anwesenheit von TranslatorInnen. Auch darauf aufbauend soll argumentiert werden. Schließlich liegt der Schluss nahe, dass, wenn Menschen beteiligt sind, dann deren Gefühl involviert sein muss, oder?

Es fehlt also im Großteil des translationswissenschaftlichen Diskurses ein Puzzle-Stück, das in der Translationspraxis entscheidend ist. Erst seit kurzer Zeit werden erste Schritte in Richtung Erforschung der Emotion in Translation unternommen. Das lässt ersichtlich werden, was für alle Menschen aus der Translationspraxis ganz selbstverständlich und alltäglich ist: Emotion ist nicht nur ein Puzzle-Stück der Translation, sondern bildet ihr Fundament. Zudem wird allgemein langsam klar, dass sowohl die Entzweiung von Emotion und Kognition als auch deren Einteilung in „gut und schlecht“ und die daraus entstandene Vernachlässigung der Emotion besser rückgängig gemacht werden sollte, wenn dies denn möglich wäre.

Ich möchte daher einen die zwei Seiten vereinenden Neologismus präsentieren, der eine Aufhebung der Dichotomisierung von Emotion und Kognition auf Wortebene unterstützen soll. Das Wort emorational soll verdeutlichen, dass es nach dem heutigen Wissensstand nicht sinnvoll ist, eine Unterteilung in Emotion und Kognition vorzunehmen. Anhand von Beispielen aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen wird dies im Folgenden beschrieben und in Bezug zu Translation untersucht werden.

Diese entzweite Welt wird spätestens in der Empathie, einer überaus bedeutenden Fähigkeit für die Translation, vereint werden. Die Empathie wird als Musterbeispiel einer emorationalen Fähigkeit beschrieben, da sie die ehemals getrennten Seiten nach dem aktuellen Stand der Forschung verbindet. Die Empathie von TranslatorInnen macht ihnen ein Verstehen möglich und bedeutet daher zukünftig einen Forschungsschwerpunkt für die Translationswissenschaft.

Zu Beginn sollen die folgenden Fragen stehen: Wie manifestieren sich anti-emotionale Theorien in der Translationswissenschaft? Was bedeutet die Eingliederung ← 12 | 13 → von Emotion in Translation auf theoretischer Ebene? Die Festlegung zweier Axiome soll den Grundstein für den Versuch einer Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen legen:

I. AXIOM

TranslatorInnen sind Menschen und bleiben auch in der Translation Menschen.

Details

Seiten
174
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631729526
ISBN (ePUB)
9783631729533
ISBN (MOBI)
9783631729540
ISBN (Hardcover)
9783631729519
DOI
10.3726/b11510
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Oktober)
Schlagworte
Biosemiotik Übersetzen Systemtheorie Kommunikationstheorie Kognition Intuition
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2017. 174 S., 5 Abb.

Biographische Angaben

Michèle Cooke (Band-Herausgeber:in)

Michèle Cooke ist Professorin am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Translation aus biokultureller Sicht und Ethik der interkulturellen Kommunikation.

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Titel: Translation ohne Biologie – Henne ohne Ei?
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