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Akteneinsichtsrecht für Schöffen

Insbesondere bei Verständigungen in Umfangsverfahren

von Astrid Lilie-Hutz (Autor:in)
©2017 Dissertation 222 Seiten

Zusammenfassung

In Deutschland gesprochene Strafurteile ergehen „im Namen des Volkes". Die an vielen Strafverfahren beteiligten Schöffen können aber ihre Aufgabe insbesondere bei Verständigungen nicht aktiv wahrnehmen. Gerade in Umfangsverfahren werden sie ohne eine sinnvoll ausgestaltete Akteneinsicht zu Statisten. Denn Grundlage für eine Verständigung sind die Akten, in die die Schöffen keine Einsicht haben. Die Autorin wirft einen Blick in die Vergangenheit und befasst sich mit der historischen Entwicklung der Gründe für eine Laienbeteiligung am Strafprozess. Anhand des Status Quo des rechtlichen Rahmens und der Rechtsprechung zu diesem Thema werden praktische Wege aufgezeigt, wie die Beteiligung von Laien im Strafverfahren mit einer Akteneinsicht sinnvoller und effektiver ausgestaltet werden kann.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Literaturverzeichnis
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • B. Historische Entwicklung des Laienrichtertums mit Augenmerk auf das Akteneinsichtsrecht seit der Gründung des Deutschen Reiches
  • I. Entwicklung eines ersten gesamtdeutschen Gerichtsverfassungsgesetzes
  • 1. Grundsätzliche Änderungen im Strafverfahren
  • 2. Gerichtsverfassungen der deutschen Länder nach 1848
  • 3. Gesetzgebungsprozess der Laienbeteiligung bis zum ersten gesamtdeutschen GVG
  • a) Vorüberlegungen des preußischen Justizministeriums
  • b) Der grundsätzliche Wunsch nach der Beteiligung von Laien im Strafprozess
  • c) Argumente der Schöffengerichtsanhänger
  • aa) Nachteile des Schwurgerichts
  • bb) Vorteile des Schöffengerichts
  • d) Argumente der Schwurgerichtsanhänger
  • e) Die Gesetzesentwürfe
  • II. Rolle der Laienrichter im ersten Gerichtsverfassungsgesetz des Deutschen Reiches
  • 1. Schöffengericht im ersten Gerichtsverfassungsgesetz
  • a) Zusammensetzung und Zuständigkeit der Schöffengerichte
  • b) Befugnisse der Schöffen
  • c) Ausgeschlossene Personengruppen
  • d) Wahl der Schöffen und Sitzungseinteilung
  • e) Eidesformel
  • 2. Schwurgericht im ersten Gerichtsverfassungsgesetz
  • a) Zusammensetzung und Zuständigkeit
  • b) Befugnisse der Geschworenen
  • c) Wahl der Geschworenen und Sitzungseinteilung
  • d) Ausgeschlossene Personengruppen und Eidesformel
  • 3. Reformbemühungen nach 1881 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges
  • 4. Während des Ersten Weltkrieges
  • III. Weimarer Republik 1919–1933
  • 1. Entwürfe von James Goldschmidt, 1919–1920
  • 2. Reformbemühungen von Gustav Radbruch, 1922
  • 3. Entwurf von Rudolf Heinze, 1923
  • 4. „Lex Emminger“, 1923/1924, Abschaffung des Schwurgerichts
  • a) Änderungen beim Amtsgericht
  • b) Änderungen beim Landgericht
  • c) Pro und Contra zur „Lex Emminger“
  • 5. Sondergerichte in der Weimarer Republik
  • IV. Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945
  • 1. ReichstagsbrandVO
  • 2. Schleichende Abschaffung der Laienrichterbeteiligung
  • a) Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten
  • b) Gesetz über die Neuwahl der Schöffen, Geschworenen und Handelsrichter
  • c) Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens, insbesondere die Rolle des Volksgerichtshofes
  • d) Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege
  • e) Laienbeteiligung beim Reichsgericht
  • 3. Ausweitung der Sondergerichtsbarkeit
  • 4. Zusammenfassung
  • V. Recht auf Akteneinsicht seit der Einführung des ersten GVG bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
  • 1. RGSt 32, 318
  • 2. RG 2 D 983/13
  • 3. RGSt 53, 176
  • 4. RGSt 57, 165
  • 5. RGSt 69, 120
  • 6. Volksgerichtshof ZAkdtR 1937, 504
  • 7. Resümee
  • VI. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
  • 1. Laienrichter zur Zeit der Besatzung, 1945 bis 1950
  • a) Die amerikanische Besatzungszone
  • b) Die französische Besatzungszone
  • c) Die britische Besatzungszone
  • d) Die sowjetische Besatzungszone
  • 2. Vorläufiges Ende der Chancen für ein gemeinsames Deutschland
  • 3. Das Vereinheitlichungsgesetz, 1950
  • a) Besetzung der Gerichte
  • b) Neues Auswahlverfahren der Laienrichter
  • c) Weitere Neuerungen im GVG 1950
  • 4. Das Gesetz zur Änderung der Bezeichnung der Richter und ehrenamtlichen Richter, 1972
  • 5. Das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrens, 1974
  • a) Änderungen bei der Wahl zum Schöffenamt
  • b) Erweiterte Zuständigkeit des Schwurgerichts
  • c) Schwurgericht als ständig tagender Spruchkörper
  • d) Besetzung des Schwurgerichts
  • C. Das Schöffenamt – die heutige Gesetzeslage
  • I. Grundsätzliches
  • II. Berufungsvoraussetzungen
  • 1. Deutsche Staatsangehörigkeit, Mindestalterbestimmungen
  • 2. Die Wahl zum Schöffen
  • III. Ausschließungs- und Ablehnungstatbestände, §§ 32 bis 35 GVG
  • 1. Unfähigkeit, § 32 GVG
  • 2. Ungeeignetheit, §§ 33, 34 GVG; §§ 44a, 44b DRiG
  • 3. Ablehnungsgründe, § 35 GVG
  • 4. Verfahren
  • IV. Spruchkörper mit Schöffenbeteiligung im Strafverfahren
  • 1. Beim Amtsgericht
  • 2. Beim Landgericht
  • a) In der großen Strafkammer
  • b) In der kleinen Strafkammer
  • c) Im Schwurgericht
  • 3. Keine Beteiligung bei den Oberlandesgerichten oder beim Bundesgerichtshof
  • V. Rechte und Pflichten der Schöffen
  • 1. Im Ermittlungs- und Zwischenverfahren
  • 2. Im Hauptverfahren
  • a) Rechte der Schöffen
  • aa) Einsicht in den Anklagesatz, Nr. 126 Abs. 3 RiStBV
  • bb) Beweisanregung, § 244 Abs. 2 StPO
  • cc) Fragerecht, § 240 Abs. 2 StPO
  • dd) Beteiligung bei Abstimmung und Beratung
  • ee) Mitwirkung bei der Urteilsabsetzung
  • ff) Entschädigung
  • b) Pflichten der Schöffen
  • c) Aufklärung über die Rechte der Schöffen
  • d) Fortbildungen für Schöffen
  • VI. Sinn und Zweck der Beteiligung von Schöffen im Strafverfahren
  • 1. Demokratieprinzip
  • 2. Rechtsstaatsprinzip
  • 3. Grundsatz der Öffentlichkeit
  • 4. Steuerungs- und Kontrollfunktion
  • 5. Rechtssoziologischer Blickwinkel
  • D. Akteneinsicht für Schöffen?
  • I. Die Akteneinsicht
  • 1. Gegenstand des Akteneinsichtsrechts
  • 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Akteneinsichtsrechts
  • 3. Akteneinsichtsberechtigte
  • a) Der Angeklagte und sein Verteidiger, § 147 StPO
  • b) Staatsanwaltschaft und Berufsrichter
  • c) Der Sachverständige, § 80 Abs. 2 StPO
  • d) Sonstige am Verfahren beteiligte Personen
  • II. Gesetzliche Ausgestaltung der Informationserlangung
  • 1. Gleichstellung, § 30 Abs. 1 GVG
  • 2. Informationen durch den Berufsrichter, Nr. 126 Abs. 2 RiStBV, sowie Beratungsbedarf während der Hauptverhandlung
  • 3. Zugänglichmachen der Anklageschrift, Nr. 126 Abs. 3 RiStBV
  • 4. Fragerecht, § 240 StPO
  • 5. Selbstleseverfahren, § 249 Abs. 2 S. 1 StPO
  • 6. Ausfertigung des Urteils
  • 7. Untersuchungsgrundsatz, § 244 Abs. 2 StPO
  • 8. Verlesung des angefochtenen Urteils in der Berufungshauptverhandlung, § 324 Abs. 1 S. 2 StPO
  • 9. Zusammenfassung
  • III. Entwicklung der Rechtsprechung (nach dem Zweiten Weltkrieg)
  • 1. BGH, Urt. v. 5. Januar 1954
  • 2. BGH, Urt. v. 17. November 1958
  • 3. BGH, Urt. v. 23. Februar 1960, tendenzielle Änderung der Rechtsprechung
  • 4. BGH, Urt. v. 27. August 1968
  • 5. BGH, Urt. v. 18. Dezember 1968
  • 6. BGH, Urt. v. 23. März 1976
  • 7. BGH, Urt. v. 2. Dezember 1986
  • 8. BGH, Urt. v. 17. Juni 1996
  • 9. BGH, Urt. v. 26. März 1997
  • 10. BGH, Urt. v. 10. Dezember 1997
  • 11. BGH, Beschl. v. 7. Juli 2004
  • 12. EGMR, Urt. v. 12. Juni 2008–26771/01 (Elezi/Deutsch­land)
  • 13. Zusammenfassung
  • IV. Stellungnahmen der Interessenvertretungen zu der Frage des Akteneinsichtsrechts für Schöffen
  • 1. Bundesrechtsanwaltskammer
  • 2. Deutscher Richterbund e.V.
  • 3. Deutscher Anwaltverein e.V.
  • 4. Deutsche Strafverteidiger e.V.
  • 5. Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter e.V.
  • 6. Zusammenfassung
  • V. Stellungnahme der Bundesregierung
  • VI. Argumente Pro und Contra Akteneinsichtsrecht
  • 1. Gleichstellung, § 30 Abs. 1 GVG
  • a) Contra Akteneinsichtsrecht
  • b) Pro Akteneinsichtsrecht
  • 2. Richtlinie Nr. 126 RiStBV
  • a) Richtlinie Nr. 126 Abs. 2 RiStBV
  • b) Richtlinie Nr. 126 Abs. 3 RiStBV
  • 3. Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsgrundsatz, § 261 StPO
  • a) Grundsatz der Mündlichkeit im Strafverfahren
  • b) Grundsatz der Unmittelbarkeit im Strafverfahren
  • c) Behandlung in der Rechtsprechung
  • d) Meinungen in der Literatur
  • aa) Contra Akteneinsichtsrecht
  • bb) Pro Akteneinsichtsrecht
  • e) Zwischenergebnis
  • 4. Fragerecht, § 240 StPO
  • a) Contra Akteneinsichtsrecht
  • b) Pro Akteneinsichtsrecht
  • 5. Selbstleseverfahren, § 249 Abs. 2 StPO
  • a) Contra Akteneinsichtsrecht
  • b) Pro Akteneinsichtsrecht
  • 6. Mitwirkung bei Entscheidungen
  • a) Contra Akteneinsichtsrecht
  • b) Pro Akteneinsichtsrecht
  • 7. Untersuchungsgrundsatz, § 244 Abs. 2 StPO
  • 8. Verlesung des angefochtenen Urteils in der Berufungshauptverhandlung, § 324 Abs. 1 StPO
  • 9. Europäische Charta der Ehrenamtlichen Richter
  • 10. Fehlendes Verständnis der Schöffen für die Verhandlung
  • a) Contra Akteneinsichtsrecht
  • b) Pro Akteneinsichtsrecht
  • 11. Ungleichgewicht zwischen Schöffen und Berufsrichtern
  • 12. Voreingenommenheit
  • 13. Zusammenfassung
  • VII. Handhabungen in anderen Gerichtsbarkeiten
  • 1. Verwaltungsgerichtsbarkeit
  • 2. Finanzgerichtsbarkeit
  • 3. Handelsgerichtsbarkeit
  • 4. Sozialgerichtsbarkeit
  • 5. Arbeitsgerichtsbarkeit
  • 6. Zusammenfassung
  • VIII. Besonderheiten der Beteiligung der Schöffen bei Verständigungen im Strafverfahren
  • 1. Mitwirkungsmöglichkeiten der Schöffen bei Verständigungen
  • a) Verständigung im Ermittlungsverfahren
  • b) Verständigung im Zwischenverfahren
  • c) Verständigung im Hauptverfahren
  • aa) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens, §§ 212, 202a StPO
  • bb) Während der Hauptverhandlung, §§ 257b, 257c StPO
  • cc) Außerhalb der Hauptverhandlung
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Auswirkungen der eingeschränkten Mitwirkungsmöglichkeit
  • a) Keine Überprüfbarkeit des Geständnisses des Angeklagten durch die Schöffen
  • b) Rechtsprechung zur Überprüfbarkeit des Geständnisses
  • c) Strafzumessungserwägungen nicht für Schöffen überprüfbar
  • d) Faktischer Ausschluss der Schöffen
  • 3. Beteiligung der Schöffen an Verständigungsgesprächen während des Hauptverfahrens und Akteneinsicht
  • 4. Keine Befangenheit der Schöffen durch Teilnahme an Verständigungsgesprächen oder Akteneinsicht
  • a) § 257c StPO
  • b) Vorlagebeschluss, § 209 Abs. 2 StPO
  • c) § 324 Abs. 1 S. 1 StPO
  • 5. Fazit
  • IX. Schöffen in Umfangssachen, insbesondere in Wirtschaftsstrafverfahren
  • 1. Prozessuale und materielle Besonderheiten
  • 2. Spezialisierung der Richter
  • 3. Spezialisierung der Strafverfolgungsbehörden
  • 4. Konsequenzen für die Schöffen
  • a) Informationsdefizit
  • b) Fehlende Mitwirkungsmöglichkeit ohne Aktenkenntnis
  • E. Zusammenfassung und Ausblick
  • I. Historische Entwicklung der Gesetzgebung zur Schöffenbeteiligung im Strafverfahren
  • II. Entwicklung der Rechtsprechung in Bezug auf die Möglichkeit von Laienrichtern, Einsicht in die Akten zu nehmen
  • III. Funktion der Schöffen in der Hauptverhandlung
  • IV. Gesetzliche Ausgestaltung der Informationserlangung von Laienrichtern
  • V. Stellungnahmen der Interessenvertretungen zu der Frage des Akteneinsichtsrechts für Schöffen
  • VI. Argumente Pro und Contra Akteneinsichtsrecht
  • VII. Handhabungen in anderen Gerichtsbarkeiten
  • VIII. Besonderheiten der Beteiligung von Schöffen bei Verständigungen im Strafverfahren
  • IX. Probleme für Schöffen in Umfangssachen, insbesondere bei Verständigungen
  • X. Zusammenfassung
  • F. Vorschläge zur praktischen Ausgestaltung eines Akteneinsichtsrechts
  • I. Zugang zu den Originalakten
  • 1. Mitgabe der Originalakten nach Hause
  • 2. Anfertigung von Aktenduplikaten, ggf. digital
  • 3. Zugang zu einem Server
  • 4. Lösungsvorschlag
  • II. Zeitpunkt und Zeitraum der Einarbeitung
  • 1. Nach dem Aufruf der Sache
  • 2. Während der Hauptverhandlung
  • 3. Zwischen zwei Hauptverhandlungsterminen
  • 4. Lösungsvorschlag
  • III. Umfang
  • IV. Pflicht oder Recht
  • V. Unterstützung beim Aktenverständnis
  • VI. Rückgabe
  • VII. Entschädigung
  • VIII. Zusammenfassung
  • G. Gesetzlicher Rahmen und erforderliche Änderungen
  • I. De lege lata
  • II. De lege ferenda
  • 1. Schaffung eines Rechts auf Akteneinsicht
  • 2. Beteiligung an Verständigungsgesprächen
  • a) Während des Hauptverfahrens
  • b) Unterrichtung der Laienrichter über den Inhalt von Verständigungsgesprächen
  • 3. Einbindung der Schöffen in umfangreichen Prozessen
  • a) Einbindung in die Berichterstattung in Verfahren vor Strafkammern und Schwurgerichten
  • b) Einbindung in Verfahren vor Schöffengerichten
  • 4. Hinzuziehung besonders ausgebildeter Schöffen
  • 5. Systematische Verortung im Gesetz
  • 6. Ergebnis
  • H. Fazit

← XXXIV | 1 →

A.  Einleitung

Im Namen des Volkes“ ergehen sämtliche in Deutschland gesprochenen Strafurteile, § 268 Abs. 1 StPO. Diese Formulierung ist Ausdruck dafür, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, Art. 20 Abs. 2 GG. Das bedeutet, dass das Urteil im Namen des Volkes erlassen wird. Allerdings ist „das Volk“ nicht an allen Entscheidungen der Strafgerichte beteiligt. Der Strafrichter beim Amtsgericht, die Schöffengerichte und die Strafkammern außerhalb der Hauptverhandlung sowie die Senate bei den Oberlandesgerichten und beim Bundesgerichtshof entscheiden ohne die Mitwirkung von Laienrichtern (vgl. § 25 i.V.m. § 28 GVG für das Amtsgericht; §§ 30 Abs. 2, 76 Abs. 1 S. 2 GVG für die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung; §§ 115, 122 GVG §§ 124, 139 GVG für den Bundesgerichtshof). Die Laienrichter wirken hingegen bei Hauptverhandlungen vor dem Schöffengericht (§§ 28, 29 GVG) sowie vor dem Landgericht mit. Diese Mitwirkung betrifft sowohl die Verfahren erster Instanz, wie auch die Verfahren zweiter Instanz und kann gegebenenfalls beide Instanzen betreffen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die den Laienrichtern zur Verfügung stehenden Mitwirkungsmöglichkeiten – gerade vor dem Hintergrund der Vorschriften über die Verständigung im Strafverfahren – so ausgestaltet sind, dass die Laienrichter diese aktiv wahrnehmen können. Die meisten Verständigungen zwischen den Verfahrensbeteiligten finden vor der Hauptverhandlung und auf Grundlage der Prozessakten statt. Die Laienrichter wirken allerdings weder vor der Hauptverhandlung mit, noch wird ihnen Einsicht in die Akten gewährt. Die sich aus dieser Konstellation ergebenden Probleme für die Laienrichter und ihre Beteiligung im Strafverfahren werden in dieser Arbeit vorgestellt. Des Weiteren werden mögliche Wege aufgezeigt, wie die Beteiligung von Laien im Strafverfahren sinnvoller und effektiver ausgestaltet werden könnte.

Bevor jedoch darauf eingegangen wird, ob Laienrichtern Einsicht in die Verfahrensakten gewährt werden und wie die Beteiligung der Laienrichter bei Verständigungen ausgestaltet werden könnte, soll ein Blick in die Vergangenheit die historische Entwicklung und die Gründe für die Beteiligung von Laien am Strafprozess darstellen. Sodann soll der Status Quo des rechtlichen Rahmens der Laienbeteiligung als Grundlage für die eigentliche Problematik dienen. ← 1 | 2 →

← 2 | 3 →

B.  Historische Entwicklung des Laienrichtertums mit Augenmerk auf das Akteneinsichtsrecht seit der Gründung des Deutschen Reiches

Um die Entwicklung der Gesetzgebung und Rechtsprechung sowie die Rolle der Laienrichter1 im heutigen Strafprozess besser nachvollziehen zu können, ist ein Blick in die Geschichte unerlässlich, beginnend bei dem ersten deutschen Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und der ersten Strafprozessordnung (StPO) bis hin zu den heutigen Regelungen betreffend die Schöffen im Strafverfahren.

I.  Entwicklung eines ersten gesamtdeutschen Gerichtsverfassungsgesetzes

Die Entwicklung des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes wurde durch die politischen Verhältnisse und Entwicklungen in Europa, insbesondere durch Frankreich geprägt. Gerade die Revolutionen in Frankreich in den Jahren 1789 und 1848 beeinflussten die Entwicklung Deutschlands und vor allem die Entwicklung des deutschen Strafprozesses erheblich.2 Die Gewaltenteilung, insbesondere die Trennung von Justiz und Verwaltung, war eines der wesentlichen Ziele der französischen Revolution. Die durch die Revolution gewonnene Unabhängigkeit sollte sich auch im Strafprozess widerspiegeln, sodass in Frankreich im Jahr 1791 eine Urteilsjury nach dem englischen Vorbild eingeführt wurde.3

Beschleunigt durch die französische Besetzung und die Übernahme der französischen Gesetze in den linksrheinischen Gebieten wurden Geschworenengerichte in den deutschen Partikularstaaten eingeführt und bestanden auch nach dem Ende der Okkupation in den südwestdeutschen Ländern fort.4 Tatsächlich wurden nach dem Vorbild des französischen Code d‘instruction criminelle von ← 3 | 4 → 1808 wesentliche Änderungen im Gerichtswesen der deutschen Einzelstaaten vorgenommen.5

1.  Grundsätzliche Änderungen im Strafverfahren

Während der deutsch-nationalen Freiheitsbewegung wurde der Schriftsteller August von Kotzebue 1819 von einem aus Jena stammenden Burschenschaftler getötet.6 Diese Tötung nahmen der Österreichische Kanzler Metternich und die den Deutschen Bund beherrschenden Fürsten zum Anlass, die aufkommende Freiheitsbewegung sowie mögliche Revolutionäre mit den sogenannten Karlsbader Beschlüssen zurückzudrängen.7 Aufgrund der Beschlüsse konnten Personen verfolgt werden, die den liberalen und nationalen Ideen anhingen (Demagogen). Während dieser sogenannten Demagogenverfolgung wurden viele Burschenschaftler, aber auch renommierte Schriftsteller sowie Wissenschaftler verfolgt und durch Gerichte ohne Laienbeteiligung inhaftiert, weswegen die Bevölkerung das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Richter fast völlig verlor.8 Die Bevölkerung hegte wegen der Abhängigkeit der Berufsrichter von der „staatlichen Obrigkeit“ großen Argwohn gegen diese; nicht zuletzt deshalb, weil sie dem Landesherrn zur Treue verpflichtet und jederzeit absetzbar und daher austauschbar waren.9 Das führte dazu, dass die Öffentlichkeit eine größere Beteiligung der Laienrichter im Strafprozess immer vehementer forderte, da sie sich dadurch ein faires Verfahren erhoffte.10

Vor dem Hintergrund des Ausgangs des Verfahrens gegen die Veranstalter des Hambacher Festes, Wirth und Siebenpfeiffer, verstärkte sich bei den Menschen der Eindruck, dass sich nur mit Hilfe von Geschworenen der Einfluss des Staates auf die Berufsrichter eindämmen lasse.11 Denn in den Prozessen nach dem Hambacher Fest 1832 gegen die Organisatoren des Festes, wurde aufgrund der übernommenen französischen Gerichtsverfassung ein Teil der dreizehn ← 4 | 5 → Angeschuldigten wegen Hochverrats und ein anderer Teil wegen Verletzung des Versammlungsrechts angeklagt. Die Verhandlung wegen Hochverrats fand vor einem Schwurgericht (besetzt mit Laienrichtern) statt und führte zum Freispruch der Angeklagten. Diejenigen Angeklagten hingegen, die wegen Verletzung des Versammlungsrechts angeklagt waren und deren Verhandlung vor einem ausschließlich mit Berufsrichtern besetzten Gericht stattfand, wurden zu langen Freiheitsstrafen verurteilt.12

Auf Grund der vorangegangenen Geschehnisse wurden der Wunsch des Volkes nach Mitbestimmung und die Wut auf die offenbar gerade in der Strafjustiz vorherrschende Willkür immer größer.13 Nach 1848 wurde das Schwurgericht14 in allen Partikularstaaten zu einem Sinnbild des Liberalismus.15 Mit der Einführung des Schwurgerichtsprozesses gingen auch wesentliche Änderungen im Strafprozess einher. Der schriftliche und geheime Inquisitionsprozess wurde abgeschafft,16 das Vorverfahren wurde vom Hauptverfahren getrennt und die Staatsanwaltschaft als eigene Institution eingeführt, die das Vorverfahren leitete.17 Von besonderer Bedeutung war die Einführung der Grund­sätze der Mündlichkeit und Öffentlichkeit im Strafverfahren.18 Außerdem sollten die Richter zukünftig unabhängig sein, was unmittelbar mit der Trennung von Justiz und Verwaltung einherging.19 Hinzu kam die Beteiligung der Laien an der Rechtsprechung.20

2.  Gerichtsverfassungen der deutschen Länder nach 1848

Die Gerichtsordnung war in den deutschen Einzelstaaten vor dem ersten gemeinsamen Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nicht einheitlich geregelt. Grundsätzlich hatten zwar alle Länder drei erstinstanzlich zuständige Strafgerichte, allerdings wurden diese häufig sehr unterschiedlich zusammengesetzt und bezeichnet.21 Je nach Schwere der Tat war ein Gericht unterer, mittlerer oder oberer ← 5 | 6 → Ordnung zuständig.22 Die Art der Beteiligung von Laienrichtern war nahezu in jedem Land anders geregelt. Ein Teil der Länder beteiligte gar keine Laien an der Rechtsprechung.23 In anderen Einzelstaaten bestanden wiederum neben den ausschließlich mit Berufsrichtern besetzten Gerichten auch Schwurgerichte mit der Beteiligung von Geschworenen als Laienrichter.24

Die Schwurgerichte waren in der Regel mit Geschworenen – deren Anzahl die der Berufsrichter überwog – besetzt, die nur über die Tat- und nicht auch über die Rechtsfrage zu entscheiden hatten.25 Diese Entscheidung oblag den Berufsrichtern.26 Die Geschworenen hatten dementsprechend darüber zu befinden, ob der Angeklagte die Tatbestandsmerkmale erfülle, ob er sich also schuldig gemacht habe.27 Den Geschworenen wurden Fragen vorgelegt, die sie dem Beschuldigten zu stellen hatten.28 Aus der „Tatfrage“ wurde später die „Schuldfrage“.29 Die vom Richter zu beantwortende „Rechtsfrage“ beschränkte sich demgemäß auf Verfahrensfragen, Gesetzeshinweise und die Festsetzung der Strafe.30 Das Schwurgericht tagte lediglich periodisch, oftmals nur ein paar Mal im Jahr.31

In einem weiteren Teil der deutschen Länder tagten neben den Schwur- und den nur mit Berufsrichtern besetzten Gerichten auch Schöffengerichte.32 Diese Laienrichter waren dabei je nach Land sowohl in den Gerichten unterer als auch in den Gerichten mittlerer Ordnung tätig.33 Diese „Vielgestaltigkeit“ sollte erst ← 6 | 7 → mit einer einheitlichen Gesetzgebung zum Strafprozess und zum Gerichtswesen aufgehoben werden.34

Allerdings wurde die Einführung der Schwurgerichte auch kritisch gesehen.35 So konnte die Regierung in einigen Ländern auf Grund der Übernahme des französischen Wahlsystems auf die Wahl der Geschworenen Einfluss nehmen.36 Weiter sollte das Geschworenenamt die Bürger finanziell nicht überfordern, sodass die Geschworenenbank wegen des auch in den deutschen Staaten geltenden Vermögens- und Bildungszensus für die unterste Schicht unzugänglich blieb.37 Schwinge kommentiert:

So sahen sich plötzlich die liberalen Volkskämpfer des Schwurgerichts zu ihrer großen Überraschung im Besitze einer Jury von 12 reichen Männern, die womöglich auch noch ein von der Regierung abhängiger Verwaltungsbeamter auszuwählen hatte.“ 38

3.  Gesetzgebungsprozess der Laienbeteiligung bis zum ersten gesamtdeutschen GVG

Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 sollten die bereits in den Partikularstaaten vorhandenen und zum Teil divergierenden Regelungen zum Gerichtsverfassungsrecht vereinheitlicht werden.39 Der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck bat den preußischen Justizminister Leonhardt, den Entwurf einer Gerichtsverfassung zu erarbeiten.40 Das preußische Justizministerium veröffentlichte neben den von Bismarck 1873 vorgelegten Entwürfen für ein GVG,41 die „Amtliche Denkschrift über die Schöffengerichte“.42 Diese Denkschrift enthält einen Großteil der Motive zu dem Gesetzentwurf und spricht sich deutlich für eine Beteiligung der Laien im Strafprozess in Form des Schöffenwesens aus.43 ← 7 | 8 →

a)  Vorüberlegungen des preußischen Justizministeriums

Nach der Ansicht der Verfasser der Amtlichen Denkschrift stand es außer Frage, dass „kein Strafurtheil ohne die Mitwirkung von Laien“ gefällt werden dürfe und „daß die Strafgerichte Schöffengerichte sein sollen.44 Der zu bildende Gerichtszug sollte aus kleinen, mittleren und großen Schöffengerichten zusammengesetzt sein. Die Erwägungen, die gegen ein ausschließlich mit Berufsrichtern besetztes Gericht sprächen, würden für Gerichte aller Ordnungen gelten.45 Ein weiterer Grund, der für die Beteiligung von Laienrichtern spreche, liege in der geplanten Beseitigung der Berufungsinstanz.46 Auf Grund der fehlenden zweiten Tatsacheninstanz müsse die Garantie für die Richtigkeit der erstinstanzlichen Urteile erhöht werden. Diese sei durch eine Erhöhung der Richterzahl zu erreichen. Allerdings stünden nicht genug Berufsrichter zur Verfügung, als dass allein mit ihnen ein Ausbau der erstinstanzlichen Gerichte möglich sei. Auch aus diesem Grund müssten Laienrichter am Strafprozess mitwirken. Zusammenfassend wird in der Amtlichen Denkschrift über die Schöffengerichte festgehalten:

Hiernach konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß die nothwendige Vermehrung der Zahl der Urtheiler durch eine erweiterte Heranziehung des Laienelements zu bewirken sei.47

b)  Der grundsätzliche Wunsch nach der Beteiligung von Laien im Strafprozess

Dass nun Laien am Strafverfahren teilnehmen sollten, stand außer Frage. Allerdings waren sich die Länder uneinig darüber, wie diese Teilnahme ausgestaltet werden solle.48

Wie bereits erwähnt, gab es 1873 in einigen deutschen Staaten neben den Schöffengerichten auch Schwurgerichte.49 Dies war nach Ansicht der Verfasser der Denkschrift jedoch dem Umstand der „Unfertigkeit der deutschen Rechtszustände überhaupt“ geschuldet.50 Für eine Fortführung des Schwurgerichts ← 8 | 9 → bestünde bei genauerem Hinsehen kein Bedürfnis. Das regelmäßig von Befürwortern des Schwurgerichts herangezogene Argument, man könne nicht das Schwurgericht abschaffen, wo gerade seine Einführung „eine seit Jahrzehnten ausgesprochene Forderung des Deutschen Volkes“ sei, greife nicht. Denn der eigentliche Wille sei in Wahrheit die Beteiligung des Volkes an der Strafrechtspflege.51 Wenn das Volk ausdrücklich nach Geschworenengerichten verlange, dann nur, weil man in Deutschland keine andere Art der Laienbeteiligung am Strafprozess gekannt habe.52 Die Verfasser der Denkschrift kritisierten, dass regelmäßig nur darüber diskutiert wurde, ob die Laien- oder die Berufsrichter besser Recht sprechen würden, anstatt zu hinterfragen, ob es nicht „angemessen sei, die Juristen und die Laien zu einem Kollegium zu vereinigen.53

c)  Argumente der Schöffengerichtsanhänger

Der sächsische Generalstaatsanwalt Schwarze setzte sich als ausgesprochener Befürworter der Schöffengerichte für eine gänzliche Abschaffung des 1865 in Sachsen geltenden Geschworenensystems ein.54 Er forderte die Errichtung eines Gerichtszuges, der ausschließlich aus Schöffengerichten bestehen sollte.55 Besonders wichtig war ihm – wie den meisten Schöffengerichtsanhängern – ein einheitlicher Urteilsspruch, das heißt, die Laienrichter sollten gemeinsam mit den Berufsrichtern eine Entscheidung fällen, sodass die Trennung der Tat- von der Schuldfrage entbehrlich werden sollte.56 Zugleich kritisierte er die Schwerfälligkeit des Schwurgerichts und das damit einhergehende Problem, kleine und mittlere Strafsachen zügig zu bearbeiten.57 Ebenso war Heinze 1865 der Ansicht, dass weder die französische noch die englische Jury allein als Vorbild dienen könne, sondern dass Deutschland einen eigenen Weg finden müsse:

Und wessen Herz für die Größe unseres Vaterlandes warm schlägt, der möge noch das Eine bedenken: daß ein jedes Volk in seiner Selbstachtung und Zukunft tödlich gefährdet ist, welches die Formen seines öffentlichen Lebens immer und immer dem Auslande abborgt, anstatt aus dem eigenen Fleische und Blute sie zu erzeugen.58 ← 9 | 10 →

Im Ergebnis ebenso Feuerbach schon 1812:

Viele menschliche Einrichtungen gleichen jenen Pflanzen, die blos unter ihrem eigenen Himmelsstriche auf dem mütterlichen Boden gedeihen, dem sie entwachsen sind, die, sobald man sie anderswohin verpflanzt, des ihnen nöthigen Lebensstoffes entbehren, und trotz aller künstlichen Pflege entweder verdorren oder nur taube Blüten treiben.“ 59

Ferner artikuliert insbesondere die „Amtliche Denkschrift über die Schöffengerichte“ den ausdrücklichen Wunsch des preußischen Justizministeriums zur Ersetzung der Schwur- durch die Schöffengerichte.60 Die hier schon im Jahr 1873 gegen das Schwurgericht angebrachten Argumente wurden in den darauffolgenden Jahrzehnten immer wieder aufgegriffen, weswegen eine genauere Beschäftigung mit der Denkschrift sehr aufschlussreich ist.

aa)  Nachteile des Schwurgerichts

Nach Ansicht der Verfasser der Amtlichen Denkschrift krankte das deutsche Geschworenengericht im Gegensatz zu dem Schöffengericht an einem „unheilbaren Gebrechen“: es versuche vergeblich, die Tat- von der Rechtsfrage zu trennen, obwohl beide „untrennbar verwebt und durchwachsen“ seien.61

Denn Geschworenen hatten im damaligen Deutschland und Preußen eben nur über die Tatfrage und nicht über die Schuldfrage zu entscheiden.62 Im Gegensatz dazu wurde in England – dem Vaterland der Jury – den Geschworenen die Entscheidung über die ganze Schuldfrage auferlegt, sodass die Berufsrichter regelmäßig nur das Strafmaß zu bestimmen oder den Beschuldigten freizusprechen hatten.63 Dem englischen Jurysystem sind die im damaligen Deutschland und Preußen durch das Gericht den Geschworenen vorzulegenden Fragen fremd.

Das zweite grundlegende Problem sei, dass Berufsrichter als juristische Sachverständige bei der Entscheidung über die Schuldfrage unerlässlich seien. Diese beiden Prämissen könne jedoch das Geschworenengericht nicht erfüllen. Sie ließen sich auch nicht durch die Fragen ersetzen, die der Richter an die Geschworenen stelle.64 Die Fragestellungen seien selbst problematisch, da der Fragende die „Auffassungsweite“ der Geschworenen nicht kenne, was zu Verständigungsproblemen ← 10 | 11 → führen könne.65 Die englische Jury komme ohne diese Fragen aus, was jedoch nicht bedeute, dass es sich um ein besseres Geschworenensystem handele. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. Das System verhindere auf diese Art und Weise, dass Missverständnisse überhaupt entdeckt werden könnten.66 Jedoch sei das englische mit dem deutschen oder dem französischen System kaum zu vergleichen, da es nicht durch einen „Akt der Gesetzgebung“, sondern „als etwas im Laufe der Geschichte Gewordenes, als das Ergebnis einer viele Jahrhunderte alten Rechtsausübung und Rechtsentwicklung […] zu verstehen“ sei.67 Deshalb sei das System der englischen Jury nicht einfach auf Deutschland anwendbar.68

Gegen das Schwurgericht spreche zudem, dass die Beteiligung von Laien als Geschworene organisatorisch kaum umsetzbar sei. Das lediglich periodisch tagende Schwurgericht könne nicht der Vielzahl von geringeren Straffällen Herr werden.69 Ferner müssten die in Haft sitzenden Angeklagten wegen der seltenen Schwurgerichtstermine häufig Monate auf ihr Verfahren warten. Wenn dann noch mehr als ein Hauptverhandlungstermin vor dem Schwurgericht für die Beendigung eines Verfahrens notwendig sei, würde sich die Untersuchungshaft um weitere Monate verlängern.70 Diese für den Angeklagten und die Gerichtsorganisation äußerst bedenkliche Situation könne durch Schöffengerichte beseitigt werden.71

Ein weiteres Argument der Verfasser der Amtlichen Denkschrift war der Vergleich zwischen der „Last des Schöffendienstes“ und der des Geschworenendienstes. Die Verfasser der Denkschrift monierten, dass unnötig viele Geschworene auf das Auswahlverfahren warten müssten und letzten Endes einige umsonst angereist seien.72 Auch würden die Geschworenen „unthätig und nutzlos am Orte des Gerichts“ ihre Zeit verbringen müssen, während die Schöffen in dem Bewusstsein leben würden, dass den von ihnen „gebrachten Opfern eine entsprechende Bewerthung“ ihrer Kraft gegenüber stehe.73 ← 11 | 12 →

Details

Seiten
222
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631726440
ISBN (ePUB)
9783631726457
ISBN (MOBI)
9783631726464
ISBN (Paperback)
9783631726433
DOI
10.3726/b11343
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Juli)
Schlagworte
Akteneinsicht Verständigung Wirtschaftsstrafverfahren Laienrichter
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. XXXIV, 222 S.

Biographische Angaben

Astrid Lilie-Hutz (Autor:in)

Astrid Lilie-Hutz studierte Rechtswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit einer Station bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York (USA). Als Rechtsanwältin berät sie Individualbeschuldigte und Unternehmen in Wirtschaftsstrafsachen. Sie ist zudem Geschäftsführerin des Deutschen Zentrums für Wirtschaftsstrafrecht e.V. und als Redakteurin für eine juristische Fachzeitschrift tätig.

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Titel: Akteneinsichtsrecht für Schöffen
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