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Der Schreibusus der städtischen Kanzlei Straubing im 14. Jahrhundert

Ein Beitrag zur historischen Stadt- und Kanzleisprachenforschung

von Christopher Kolbeck (Autor:in)
©2017 Dissertation 220 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor verknüpft stadtsprachliche und kanzleisprachliche Historiolinguistik durch die sprachwissenschaftliche Edition historischer Urkunden und deren linguistische Auswertung. Graphematische, morphologische und onomastische Untersuchungen erschließen den Schreibusus der städtischen Kanzlei Straubing im Übergangszeitraum vom Mittelhochdeutschen zum Frühneuhochdeutschen.
Dadurch ist dieses Buch auch ein Beitrag zur Soziopragmatik und ihrer elementaren Frage «Wie kommuniziert wer wann warum?», die es durch Analysen ausgewählter Phänomene im Hinblick auf Varianz zu beantworten gilt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einführung
  • 1.1 Stadt- und Kanzleisprachenforschung
  • 1.2 Historischer Hintergrund: Stadtgeschichte
  • 1.3 Zielsetzung
  • 2. Der Schreibusus der städtischen Kanzlei Straubing im 14. Jahrhundert
  • 2.1 Korpusauswahl
  • 2.2 Editionsrichtlinien
  • 2.3 Edition der Urkunden C1 – C32
  • 2.4 Schreiberbiographien
  • 2.5 Erläuterungen zur Methode
  • 3. Analysen
  • 3.1 Frühneuhochdeutsche Diphthongierung
  • 3.1.1 Entwicklung von mhd. /i:/
  • 3.1.2 Exkurs: Entwicklung von mhd. mîn, sîn und bî
  • 3.1.3 Exkurs: Verschriftung des Wortbildungsmorphems {-lich}
  • 3.1.4 Entwicklung von mhd. /y:/
  • 3.1.5 Entwicklung von mhd. /u:/
  • 3.2 Frühneuhochdeutsche Monophthongierung
  • 3.2.1 Entwicklung von mhd. /ie/
  • 3.2.2 Exkurs: mhd. die und sie
  • 3.2.3 Entwicklung von mhd. /uo/
  • 3.2.4 Exkurs: mhd. zuo / ze
  • 3.2.5 mhd. /ye/
  • 3.3 Entwicklung von mhd. ei, ou und öu
  • 3.3.1 Verschriftung von [ae]
  • 3.3.2 Exkurs: Wortbildungsmorpheme mhd. {-heit, -keit} und {-lei(e)}
  • 3.3.3 Verschriftung von [ao]
  • 3.3.4 Verschriftung von [oi]
  • 3.4 Rundung und Entrundung
  • 3.5 Hebung und Senkung
  • 3.6 Allografie von <u> und <v>
  • 3.6.1 initiale Verschriftung von <u> und <v>
  • 3.6.2 mediale Verschriftung von <u> und <v>
  • 3.6.3 finale Verschriftung von <u> und <v>
  • 3.7 Usus von <i>, <j> und <y>
  • 3.8 Verschriftung von <s>
  • 3.8.1 initiale Verschriftung von <s>
  • 3.8.2 mediale Verschriftung von <s>
  • 3.8.3 finale Verschriftung von <s>
  • 3.8.4 Exkurs: mhd. daz
  • 3.8.5 Exkurs: Verschriftung von /∫/
  • 3.9 Palatalisierung
  • 3.10 Assimilation
  • 3.11 Verschriftung von /k/
  • 3.11.1 initiale Verschriftung von /k/
  • 3.11.2 mediale Verschriftung von /k/
  • 3.11.3 finale Verschriftung von /k/
  • 3.12 Spirantisierung von /g/ bzw. /k/
  • 3.13 Wortbildungsmorphem -ig
  • 3.13.1 {-ig(-)}: Adjektive
  • 3.13.2 {-ig(-)}: Numerale
  • 3.14 Verschriftung des Überganges von /v/ zu /b/
  • 3.15 Verschriftung der Affrikate /pf/
  • 3.16 Usus der Interpunktion
  • 3.17 Usus der Kennzeichnung der Worttrennung am Zeilenende
  • 3.18 Groß- und Kleinschreibung
  • 3.19 Exkurs: Besonderheiten und Auffälligkeiten
  • 3.19.1 Personennamen
  • 3.19.2 Flussnamen
  • 3.19.3 Ortsnamen
  • 4. Fazit und Ausblick
  • 5. Register
  • 5.1 Personen
  • 5.2 Orte
  • 5.3 Flüsse
  • 5.4 Erläuterungen zur Lexik
  • 6. Literaturverzeichnis
  • 7. Anhang

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1. Einführung

1.1 Stadt- und Kanzleisprachenforschung

Der eigentlichen Aufgabe der historischen Stadtsprachenforschung und der Kanzleisprachenforschung geht – abgesehen von theoretischen Publikationen – archivalische Pionierarbeit voraus. Sprachhistorikerinnen und Sprachhistoriker stellen sich konkreten Fragestellungen, dies können Untersuchungen zur Syntax, Textgrammatik, Graphematik, Phonetik, Lexik, Onomastik, Morphologie, Dialektologie oder Pragmatik sein, regional begrenzt oder kontrastiv im (inter-)nationalen, überregionalen Vergleich. Im Fokus stehen einerseits die Schreibenden und Schreibstätten, andererseits ihr Sprachkontakt, ihre Ausbildung und ihre Sozialisierung. Die Kanzleisprachenforschung beschäftigt sich eher mit institutionellem Schriftgut, also allem, was innerhalb einer Kanzlei produziert wurde, während sich die historische Stadtsprachenforschung allem widmen darf, was im Kontext „Sprache“ und „Stadt“ steht. Die vorliegende Arbeit vereint beides, erstmals wird Straubing als Stadt Gegenstand kanzleisprachlicher Untersuchungen.

Der Fülle an Quellen und interessanten Themen geschuldet, sind es generell meist kleinere, oft auf Kleinstkorpora basierende Einzeluntersuchungen, die uns einen Einblick in historische Sprachstufen geben – und dies in vielfältigster Art und Weise, was Titel wie „aus Gnaden mit dem Schwert gericht… Zum Sprachgebrauch eines Nürnberger Henkers um 16001“ oder „Nürnberger Bürgertöchter der frühen Neuzeit im historiografischen und privatbrieflichen Diskurs“2, „Arkane Confessio oder Regiolekt mit Konfessionshintergrund? Fragen zum soziofunktionalen Status grafischer Varianten in ostoberdeutschen frühneuzeitlichen Drucken“3 thematisch doch sehr eindrucksvoll unter Beweis stellen. Die Forderung ← 11 | 12 → nach größeren, systematisch aufbereiteten sprachhistorischen Korpora ist allgegenwärtig und muss an dieser Stelle gebetsmühlenartig wiederholt werden – die vorliegende Arbeit soll aber auch diesbezüglich einen Teil beitragen, einen weiteren weißen Fleck auf der Landkarte sprachhistorischer Forschung zu tilgen.

Umfangreichere Arbeiten zur Kanzleisprachenforschung, deren Arbeitskreis unter der Leitung von Albrecht Greule, Jörg Meier und Arne Ziegler neben den Tagungsbänden der IAK-Reihe im Jahr 2012 das Handbuch „Kanzleisprachenforschung“ publizierte4, liegen u.a. von Peter Ernst zur Schreibsprache Wiens5, Libuše Spačilova zur Olmützer Stadtkanzlei6 und Fausto Ravida zu Luxemburger Rechnungsbüchern7 vor, sind aber weitaus seltener als vereinzelte, punktuelle Beiträge. Die Ursachen dafür sind vielfältig: neben Kleinstuntersuchungen folgen viele dem derzeitigen Trend hin zu Analysen an quantitativen, annotierten Korpora – wie dies z.B. am rasanten Wachstum des Kernkorpus des Deutschen Textarchives (DTA) deutlich zu erkennen ist8 – es stehen somit statt Handschriften eher Drucke im Fokus der Wissenschaft9. Drucke können durch OCR-Erkennung mit wesentlich geringerem Aufwand digital aufbereitet werden als schwer zu transkribierende Handschriften, die – und man möge hoffen, dass der technologische Fortschritt dies irgendwann ändern wird – noch immer „Graphem um Graphem“ von Hand zu edieren sind. Zudem ist die Paläografie innerhalb der universitären, germanistischen Ausbildung noch immer stiefmütterliche Hilfswissenschaft, die eher den Historikerinnen und Historikern überlassen wird – worunter v.a. die praktische Anwendung der (wenn überhaupt) ← 12 | 13 → vermittelten theoretischen sprachhistorischen Inhalte leidet, was zukünftig für sprachhistorische Forschungen generell ein großes Problem darstellen wird. Die Diskussion zur historischen Graphematik und Phonologie, die z.B. Kohrt sehr theoretisch ausführt10, wird an dieser Stelle bewusst vermieden: gibt es andere Quellen als die in ihrer Wertigkeit stets diskutierten Handschriften und Drucke? Wie sollen historische Sprachstufen anders als durch graphematisch-phonologische Analysen zur Schreibvarianz erschlossen werden?

Elstner11 fordert zur Recht: „Woran es der Forschung noch mangelt, sind übergreifende Gesamtdarstellungen, welche die Zuständigkeiten und Einflussmöglichkeiten des Kanzleipersonals sowie die Entwicklung und Veränderung der Kanzleien im Laufe des Mittelalters und der frühen Neuzeit aufgrund sich wandelnder Aufgaben beschreiben“. Des Weiteren betont sie die Bedeutung der historischen Soziolinguistik: „Gerade was die Klärung der Bedeutung einzelner Kanzleien bzw. Kanzleisprachen für die Entwicklung der neuhochdeutschen Standardsprache anbelangt, so spielt die Berücksichtigung des Schreibpersonals einer Kanzlei eine gravierende Rolle“12. Somit sind kleine, punktuelle Untersuchungen ebenso notwendig wie der Versuch, Schreiberbiografien zumindest annähernd so weit wie möglich zu rekonstruieren, um ein großes Gesamtbild im Rahmen der historischen Stadt- und Kanzleisprachenforschung zu erzeugen.

Straubing war – dies zum sehr überschaubaren Forschungsstand – bis auf die Magisterarbeit Boris Blahaks zum Thema „Das Rechnungsbuch des Straubinger Landschreibers Hans Kastenmayr 1424/25“ und den umfangreichen onomastischen Untersuchungen „Regensburg-Straubing-Bogen: Studien zur mittelalterlichen Namenüberlieferung im ostbayerischen Donauraum“ von Michael Prinz13 nie Gegenstand sprachhistorischer Untersuchungen, weshalb sich Straubing vor allem auch im Hinblick auf die interessante Stadtgeschichte und seine historische Entwicklung für Untersuchungen im oberdeutschen Sprachraum anbot. ← 13 | 14 →

1.2 Historischer Hintergrund: Stadtgeschichte

Die Donaustadt Straubing liegt zwischen den sprachwissenschaftlich gut erforschten Dom- und Universitätsstädten Regensburg und Passau in Niederbayern14. Straubing und der Straubinger Raum sind seit der Jungsteinzeit durchgehend besiedelt15, der reichhaltige Gäuboden bietet durch den hier möglichen, sehr ertragreichen Ackerbau die Grundlage für dauerhafte Ansiedlungen16. Durch Handel mit Agrarprodukten und deren Weiterverarbeitung ist bis heute für einen gewissen Wohlstand der Region gesorgt, schon um Christi Geburt zog dies nach den Kelten auch die Römer nach Straubing17. Von den Römern wurde der erhaltene keltische Siedlungsname „Sorviodurum“ beibehalten. Selbstverständlich müssen an dieser Stelle sowohl die zentrale geographische Lage in Bayern als auch die Donau als Verkehrsweg von höchster Bedeutung genannt werden – Aspekte, die für die Stadt und ihre Bürger von enormer Bedeutung waren und es immer noch sind.

Die Römer hinterließen in ihrer 400 Jahre andauernden Herrschaft Kastelle, Handelswege sowie Münzen und Alltagsgegenstände, die heute als Römerschatz im Gäubodenmuseum18 zu besichtigen sind. Während der römischen Besiedlungszeit stellte Straubing eine wichtige Verteidigungsbasis an der osträtischen Donaugrenze dar. Nach dem Zerfall des römischen Reiches wurde das Gebiet von den Bajuwaren besiedelt, die sich wiederum zwischen Donau und Allachbach niederließen. Nach dem Namen des bajuwarischen Anführers Strupo benannten diese die Siedlung in *Strūpinga um – Strupo ist bislang aber wissenschaftlich nicht näher zu fassen.

Unter Otto dem Großen gelangte Straubing in den Besitz des sächsischen Kaiserhauses, die erste urkundliche Erwähnung Straubings von 897 n. Chr. ← 14 | 15 → stammt aus dieser Zeit. Über Kaiser Heinrich den Heiligen kam das Straubinger Gut dann an dessen Bruder Bruno, Bischof von Augsburg. So war Straubing von 1029 bis 1537 Besitz des Augsburger Domkapitels und entzog sich infolge dessen den kirchenpolitischen Einflüssen Regensburgs und Passaus.

Kaiser Ludwig der Bayer nutzte seine Machtstellung als deutscher König, um energische Hausmachtpolitik zu betreiben. Aufgrund der geographischen Lage entwickelte sich Straubing so sehr schnell zum Zentrum wittelsbachischer Herrschaft.

Als im September 1345 Wilhelm IV., der letzte Graf von Hennegau, Holland, Seeland und Friesland, kinderlos starb, nahm Ludwig das Erbe seiner zweiten Frau Margaretha, der Schwester Wilhelms von Hennegau, dankend an. Nach dem Tod Ludwigs wurde das Reich unter seinen Söhnen geteilt, bereits 1353 kam es daraufhin im Regensburger Vertrag erneut zu einer Teilung. Diese betraf die Grafschaft Tirol und die Mark Brandenburg mit der Residenzstadt Landshut einerseits, andererseits Niederbayern und die niederländischen Lehen, die an Wilhelm und Albrecht fielen, welche von diesem Zeitpunkt an den Titel „Pfalzgrafen bei Rhein und Herzöge zu Bayern, Grafen zu Hennegau, zu Holland, zu Seeland und der Herrlichkeit zu Friesland“ führten19.

So gehörten interessanterweise die heute holländisch-belgischen Gebiete Hennegau, Holland, Seeland und Friesland ab der Mitte des 14. Jahrhunderts zu Straubing in Bayern. Die Stadt Straubing war für die Herzöge nicht nur Residenzstadt und Machtbasis in der Nähe des Königs, sondern auch eine reichlich sprudelnde Geldquelle: Die Steuereinnahmen waren immens, einige reiche Familien Straubings allein bezahlten mehr Steuern und Abgaben als andere Städte des Fürstentums.

Noch unter Herzog Albrecht I. (reg. 1347–1404) wurde die Residenz und die Verwaltung nach Den Haag verlegt. Aufgrund der dadurch entstehenden Distanz – eine Reise von Den Haag nach Straubing dauerte schätzungsweise 3–4 Wochen – war ein strukturiertes Herrschaftsystem ebenso notwendig wie eine funktionierende Verwaltung und geregelter Boten- und Schriftverkehr. Straubing wurde im Laufe des 14. Jh. sozusagen als „Nebenlande der Niederlande“ von Viztumen und Pflegern verwaltet, was unweigerlich zu einer starken Stellung der Landstände, der Adeligen, der Klöster und insbesondere eben der Stadt Straubing selbst führte. Der gewaltige Verwaltungsaufwand und der daraus ← 15 | 16 → resultierende erhöhte Kommunikationsbedarf waren nur mittels gut organisierter Kanzleien zu bewältigen, was Straubing für die Sprachwissenschaft wertvoll und interessant werden lässt. Im Gegensatz zu Regensburg20 ist die Verwaltungs- und Kanzleistruktur allerdings noch nicht detailliert untersucht. Neben der städtischen Kanzlei gibt es im 14. Jahrhundert eine Pflegerkanzlei als ständige Vertretung des Herzogs mit dem dort wirkenden Landschreiber, die fürstliche Herzogskanzlei in Den Haag ist neben der Stadt- und Pflegerkanzlei als dritte Straubinger Kanzlei zu nennen21. Des Weiteren urkunden zu dieser Zeit im Straubinger Raum bedeutende Klöster, z.B. Aldersbach, Niederalteich und Windberg, und auch höhere Beamte, wie z.B. Richter. Ebenfalls sind Urkunden des Straubinger Spitals im Korpus vorhanden – der Spitalpfleger war ständiges Mitglied des Stadtrates.

Heute hat Straubing ca. 45000 Einwohner und ist seit 2013 Hochschulstadt, das Stadtarchiv unter der Leitung von Dr. Dorit-Maria Krenn birgt u.a. handschriftliche Schätze in Form von Urkunden, Akten, Rechnungsserien22.

1.3 Zielsetzung

Sowohl terminologische als auch konzeptionelle Erläuterungen sind an dieser Stelle notwendig, um die Zielsetzung – eine Analyse des Schreibusus der städtischen Kanzlei Straubings im 14. Jahrhundert – plastisch zu gestalten. Der Terminus „Schreibusus“ ist abstrakt und stets individuell: „Wie schreibt wer wann warum?“ ist die aus soziopragmatischer Sicht grundlegende Frage, die es zu beantworten gilt. Hier sind unter „Schreibusus“ letztendlich die Ergebnisse der Analysen ausgewählter Phänomene im Hinblick auf synchron-frequenzielle, diachrone und bzw. oder auch regionale (dis-)kontinuierliche Schreibvarianz zu definieren23.

Grundlegend ist die Auswahl eines geeigneten Korpus (2.1), für dessen Edition – da es sich um sprachwissenschaftlich unentdecktes Land handelt ← 16 | 17 → – sprachwissenschaftliche Editionsrichtlinien (2.2) definiert werden mussten. Die erstmalig in dieser Form veröffentlichte Edition des Straubinger Stadturkundenkorpus, dessen qualitativer Wert für die Analysen von zentraler Bedeutung ist, umfasst die aufwändigen Transkriptionen (2.3) einerseits, andererseits eine soziolinguistisch-historische Erschließung der Urkunden mit dem Ziel, Schreiberbiografien zu rekonstruieren. Zur Erschließung der Quellen sind erstens Schreiberbiografien (2.4), zweitens Besonderheiten und Auffälligkeiten bezüglich der Onomastik (3.19) und – als Grundlage zur Aufbereitung des umfangreichen Materials – drittens Register (5.1–5.3) sowie viertens Erläuterungen zur Lexik (5.4) zur inhaltlichen Erschließung notwendig.

Die sprachwissenschaftlichen Analysen (Kapitel 3) beinhalten die Untersuchung ausgewählter phonetisch-graphematischer und morphologischer Phänomene sowie Untersuchungen zur Interpunktion und der Groß- und Kleinschreibung. Durch diese Auswahl kann der Schreibusus der Kanzlei auf dem Weg zum Frühneuhochdeutschen bestmöglich abgebildet und untersucht werden, indem sie ein synchron überblicksartiges, aber doch diachron engmaschiges Gesamtbild der Verschriftungsstrategien und Schreibvarianz in Straubing im 14. Jahrhundert ermöglichen. Die Auswahl der zu untersuchenden Phänomene kristallisierte sich durch Voruntersuchungen24 sowie in Vorgesprächen mit Prof. Greule zur Vorstellung des Promotionsthemas in Graz heraus25. Ein Schwerpunkt liegt auch in der grafischen Darstellung von Kontinuität und Wandel einer schriftlinguistisch analysierten Stadt durch übersichtliche Diagramme.

Die phonematisch-graphematischen Untersuchungen umfassen die Analyse der Frühneuhochdeutschen Diphthongierung (3.1) sowie der Frühnheuhochdeutschen Monophthongierung (3.2), beide Lautwandelerscheinungen sind jeweils in weitere Exkurse und diachrone Lautentwicklungen unterteilt. Des Weiteren werden die Nukleussenkung (3.3), die Rundung und Entrundung (3.4) sowie die Hebung und Senkung (3.5) analysiert.

Graphematische Analysen zur Verschriftung z.B. der Allografie von <u> und <v> (3.6), dem Gebrauch von <i>, <j> und <y> (3.7) sowie der Verschriftung von /s, z/ (3.8), /k/ (3.11) sowie der Affrikate /pf/ (3.15) sollen einen Überblick zum Variantengebrauch der Straubinger Schreiber im 14. Jahrhundert geben. Durch die initial, medial und final erfolgenden Analysen der Varianten kann ← 17 | 18 → unter Umständen auch eine funktionale Differenzierung ersichtlich werden. Bleibt die Anzahl der Varianten gleich, erhöht sie sich im 14. Jahrhundert oder werden von den Schreibern weniger Varianten somit einheitlicher verschriftet?

Aus morphologischer Sicht wurde durch die Vorstudien deutlich, die Wortbildungsmorpheme {-lich} (3.1.3), {-heit, -keit} und {-lei(e)} (3.3.2), aber auch {-ig(-)} in Bezug auf Adjektive und Numerale genauer zu untersuchen (3.13).

Analysen u.a. zur Palatalisierung (3.9) sowie assimilatorischer Prozesse (3.10) sowie der Untersuchung der Verschriftung des Überganges von /v/ zu /b/ sollen eine möglichst eindeutige zeitliche Zuordnung im Hinblick auf eher konservativen, kontinuierlich modifizierten mittelhochdeutschen Schreibgebrauch oder doch schon einem im Wandel und Übergang zum frühneuhochdeutschen eher stärker differenzierbaren, frühneuhochdeutschen Schreibusus ermöglichen.

Abgerundet mit Analysen zur Interpunktion (3.16) und zur Kennzeichnung der Worttrennung am Zeilenende (3.17) sowie der Groß- und Kleinschreibung (3.18) soll ein möglichst guter Überblick erreicht werden, der – und dies ist die Kernfrage – den Schreib(er)usus der städtischen Kanzlei so gut wie möglich überblicksartig abbildet, eine Einschätzung bezüglich „Regionalität“ durch die Analyse des Korpus ermöglicht sowie – und dies ist das im Vordergrund stehende Ziel – eine bislang unerforschte Region ein wenig in das Licht der Forschungsöffentlichkeit zu rücken.


1 Böhme, Yasmin / Hans Ulrich Schmid: aus Gnaden mit dem Schwert gericht… Zum Sprachgebrauch eines Nürnberger Henkers um 1600, in: Kolbeck, Christopher / Krapp, Reinhard / Rössler, Paul (Hrsg.): Stadtsprache(n) – Variation und Wandel. Beiträge der 30. Tagung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung, Regensburg, 03.–05. Oktober 2012 (= Germanistische Bibliothek, Bd. 47), Heidelberg 2013, S. 27–40.

2 Brandt, Giesela: Nürnberger Bürgertöchter der frühen Neuzeit im historiografischen und privatbrieflichen Diskurs. ebd., S. 41–56.

3 Rössler, Paul: Arkane Confessio oder Regiolekt mit Konfessionshintergrund? Fragen zum soziofunktionalen Status grafischer Varianten in ostoberdeutschen frühneuzeitlichen Drucken, in: Macha, J. / Balbach, A.-M. / Horstkamp, S. (Hrsg.): Konfession und Sprache in der Frühen Neuzeit. Interdisziplinäre Perspektiven (= Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit, Bd. 18), Münster 2012, S. 113–122.

4 Greule, Albrecht / Meier, Jörg / Ziegler, Arne (Hrsg.): Kanzleisprachenforschung. Ein internationales Handbuch. Berlin/Boston 2012 [in Folge Handbuch IAK].

5 Ernst, Peter: Die Anfänge der frühneuhochdeutschen Schreibsprache in Wien, Wien 1994.

6 Spacilova, Libuse: Das Frühneuhochdeutsche in der Olmützer Stadtkanzlei. Eine textsortengeschichtliche Untersuchung unter linguistischem Aspekt, in: Meier, Jörg / Ziegler, Arne (Hrsg.): Germanistische Arbeiten zur Sprachgeschichte, Bd. 1, Berlin 2000.

7 Ravida, Fausto: Graphematisch-phonologische Analyse der Luxemburger Rechnungsbücher (1388–1500). Ein Beitrag zur Historischen Stadtsprachenforschung (= Germanistische Bibliothek, Bd. 43). Heidelberg 2012.

8 Informationen zum DTA unter www.deutschestextarchiv.de [Zugriff am 16.08.2015].

9 Zum Verhältnis von Druck und Handschrift vgl. z.B. Voeste, Anja: Die Norm neben der Norm. Zum Zusammenhang von Graphienwahl und Überlieferungsform. In: Bons, Iris / Kaltwasser, Dennis / Gloning, Thomas (Hrsg.): Fest-Platte für Gerd Fritz. Gießen 2010.

10 Kohrt, Manfred: Historische Graphematik und Phonologie. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, in: Besch, Werner / Betten, Anne / Sonderegger, Stefan: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Berlin 1998, S. 551–573.

11 Elstner, Kerstin: Schreiber und Kanzlisten. In: Handbuch IAK, S. 127.

Details

Seiten
220
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631720684
ISBN (ePUB)
9783631720691
ISBN (MOBI)
9783631720707
ISBN (Hardcover)
9783631720578
DOI
10.3726/b11005
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (März)
Schlagworte
Mittelhochdeutsch Edition Frühneuhochdeutsch Verschriftung Korpus Graphematik
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 220 S., 28 farb. Abb.

Biographische Angaben

Christopher Kolbeck (Autor:in)

Christopher Kolbeck studierte Germanistik und Geschichte für das Lehramt an Gymnasien und war als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft der Universität Regensburg tätig.

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