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Die «Volksgemeinschaft» als Rechtsbegriff

Die Staatsrechtslehre Reinhard Höhns (1904-2000) im Nationalsozialismus

von Johannes Jenß (Autor:in)
©2017 Dissertation 394 Seiten
Reihe: Rechtshistorische Reihe, Band 475

Zusammenfassung

Diese Studie untersucht das Leben und Wirken des Juristen Reinhard Höhn. Sie beinhaltet eine Darstellung der Biographie Höhns anhand des zur Verfügung stehenden Archivmaterials. Der Fokus liegt auf seiner Zeit im Jungdeutschen Orden, seiner Entwicklung zu einem maßgeblichen Mitglied des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) sowie seiner Karriere in der Bundesrepublik. Der zweite Schwerpunkt liegt auf Höhns Staatsrechtslehre, die in den historischen Kontext eingeordnet und unter besonderer Berücksichtigung seiner biographischen Entwicklung, der NS-Rechtsideologie und seiner Sozialisation in SS und SD erläutert wird.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Begründung der Arbeit – Untersuchungsgegenstand
  • II. Forschungsstand und benutzte Quellen
  • B. Leben und Wirken Reinhard Höhns
  • I. Höhns Jugend und Studium
  • II. Höhn im Jungdeutschen Orden
  • 1. Der Jungdeutsche Orden
  • 2. Höhns Aufstieg zum Großkomtur und staatsrechtlichen Berater
  • 3. Ausschluss aus dem Hochkapitel und Ordensaustritt
  • III. Höhn im Nationalsozialismus
  • 1. Machtergreifung – Eintritt in NSDAP und SS
  • 2. Höhn im Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS (SD)
  • a) Der Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS (SD)
  • b) Höhn im SD-Hauptamt
  • aa) Rechtsreferent beim Reichsführer-SS
  • bb) Kulturpolitischer Referent im SD-Hauptamt
  • cc) Die Stilllegung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
  • c) Der „Lebensgebietsforscher“
  • 3. Höhns wissenschaftlicher Aufstieg
  • a) Höhn an der Universität Heidelberg
  • b) Berufung an die Universität Berlin
  • c) Höhn als NS-Wissenschaftsfunktionär
  • 4. Höhn und die „SD-Akte Carl Schmitt“
  • a) Die Ursachen – Schmitt vs. SD
  • b) Der Anlass – Streit um das Justizministerium
  • c) Der Verlauf – Die Demission Schmitts
  • aa) Die Strafverfahrensrechtsreform – September 1936
  • bb) Kampf im NSRB – Die Judentagung vom 4. Oktober 1936
  • cc) SS-Angriff in der AfDR – November 1936
  • dd) Die Artikel im „Schwarzen Korps“ – Dezember 1936
  • ee) Schmitts Entmachtung
  • 5. Reinhard Höhns Kaltstellung – Der Fall „Walter Frank“
  • a) Erste Begegnungen mit Walter Frank
  • b) Eckhardt und die „Monumenta Germaniae Historica“
  • c) Die Generaldirektion der Preußischen Staatsarchive
  • aa) Der Pappenheim-Nachruf
  • bb) Franks „Stellung zu Professor Höhn“
  • cc) Die Reaktion des SD
  • d) Höhns Niederlage und Rückzug
  • 6. Exkurs: Höhns Stellung zum Nationalsozialismus
  • a) Einsatz für gefährdete Personen
  • b) Höhn ein Widerstandskämpfer?
  • c) Bewertung
  • 7. Im Auftrag der SS – Höhn an der Universität Berlin
  • a) Die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin
  • aa) Höhns Berufung zum ordentlichen Professor
  • bb) Höhns Tätigkeit an der Universität Berlin
  • cc) Die SS-Juristen an der Universität Berlin
  • (1) Die Dissertation von Justus Beyer
  • (2) Die Habilitation von Herbert Lemmel
  • b) Das Institut für Staatsforschung
  • IV. Reinhard Höhn und die Harzburger Akademie – Eine Nachkriegskarriere
  • 1. Höhn in den Nachkriegsjahren
  • 2. Höhn und die Volkswirtschaftliche Gesellschaft
  • 3. Höhn und die Harzburger Akademie
  • a) Die Harzburger Akademie in den Anfangsjahren
  • b) Das Berliner Spruchkammerverfahren 1958
  • c) Höhn und die Sozialdemokratie
  • d) Höhn und der Aufstieg der Harzburger Akademie
  • aa) Höhn und das „Harzburger Modell“
  • (1) Das „Harzburger Modell“ – Die Konzeption der Führung im Mitarbeiterverhältnis
  • (a) Führungs- und Handlungsverantwortung in der Linie
  • (b) Die Führung mit Stäben
  • (2) „Harzburger Modell“ und Volksgemeinschaft – Alte Führer in neuem Gewand?
  • bb) Elitenkontinuität und Harzburger Akademie – Das „old boys network“
  • (1) Der Marketingexperte – Franz Alfred Six
  • (2) Die Honorardozenten – Justus Beyer und Karl August Eckhardt
  • (3) Der Pressechef – Roger Diener
  • (4) Der Mediziner – Karl Kötschau
  • cc) Das RSHA-Verfahren 1966
  • e) Die Harzburger Akademie auf dem Zenit
  • aa) Verwaltung und Harzburger Akademie
  • bb) Gewerkschaften und Harzburger Akademie
  • cc) Bundeswehr und Harzburger Akademie
  • f) Höhn und der „Engelmann-Report“ 1971
  • aa) Angriff auf die Harzburger Akademie – Der „Engelmann-Report“
  • bb) Höhns Reaktion – Die Gegendarstellungen
  • cc) „Sozialdemokraten decken Himmler-Freund“ – Engelmanns Antwort
  • dd) Die Auswirkungen des „Engelmann-Reports“
  • g) Niedergang und Verkauf der Harzburger Akademie
  • C. Die „Volksgemeinschaft“ als Rechtsbegriff – Reinhard Höhns Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus
  • I. Darstellung der Lehre von der „Volksgemeinschaft“
  • 1. Die „Volksgemeinschaft“ als Rechtsbegriff
  • a) Gemeinschaftsgeist
  • b) Rasse
  • 2. Der Staat in der „Volksgemeinschaft“
  • 3. Der „Führer“ in der „Volksgemeinschaft“
  • a) Die Führung der Reichsregierung in der „Volksgemeinschaft“
  • aa) Der Reichskanzler
  • bb) Die Amtswalter
  • b) Die Verwaltung in der „Volksgemeinschaft“
  • II. Untersuchung und Interpretation der Lehre von der „Volksgemeinschaft“
  • 1. Erläuterungen aus dem historischen und biographischen Kontext
  • a) Ausgangspunkt: Die politisch-ideologische Standortbestimmung Höhns in der Weimarer Republik
  • aa) Ursprünge in der völkisch-nationalen Bewegung
  • bb) Konsolidierung im konservativ-rechtsintellektuellen Spektrum
  • (1) Der „Jungdeutsche Staatsvorschlag“ als bündischer Staatsgedanke im Kontext der „Konservativen Revolution“
  • (2) Höhns wissenschaftliche Begründung des „Jungdeutschen Staatsvorschlags“
  • cc) Fazit
  • b) Wandlung: Höhns inhaltliche Transformation im Nationalsozialismus
  • aa) Hintergrund: Das Verhältnis der „Konservativen Revolution“ zur NS-Weltanschauung
  • bb) Kritischer Ideologievergleich: Vom „Jungdeutschen Staatsvorschlag“ zur Lehre von der „Volksgemeinschaft“ im Kontext der NS-Rechtsideologie
  • (1) Der Begriff der „Volksgemeinschaft“
  • (a) Die ideengeschichtliche Entwicklung des Volksgemeinschaftsbegriffs
  • (b) Die „Volksgemeinschaft“ der Nachbarschaften im „Jungdeutschen Staatsvorschlag“
  • (c) Höhns Volksgemeinschaftsbegriff im Nationalsozialismus
  • (α) Der nationalsozialistische Begriff der „Volksgemeinschaft“
  • (β) Die „Volksgemeinschaft“ in der NS-Rechtsideologie – Der Rassegedanke als „materieller Inhalt“
  • (d) Synthese: Von der inklusiven zur exklusiven „Volksgemeinschaft“
  • (2) Der Begriff des „Führers“
  • (a) Der Führerbegriff im „Jungdeutschen Staatsvorschlag“
  • (b) Höhns Führerbegriff im Nationalsozialismus
  • (α) Der „Führer“ in der nationalsozialistischen Weltanschauung
  • (β) Das Führerprinzip in der NS-Rechtsideologie
  • (i) Die Vereinigung der Staatsgewalt im Führer
  • (ii) Die „Volksgemeinschaft“ als Legitimationsquelle der absoluten Führergewalt
  • (γ) Kontinuität: Die intellektuelle Vorbereitung des nationalsozialistischen Führerprinzips
  • (3) Fazit
  • 2. Einordnung: Höhns „Volksgemeinschaftslehre“ in der NS-Staatsrechtslehre
  • a) Äußerer Rahmen: Die Staatsrechtslehre nach der Machtergreifung
  • b) Inhaltlicher Zusammenhang: Thematische Schwerpunkte der NS-Staatsrechtslehre
  • aa) „Volksgemeinschaft“ und Staat
  • (1) Der Begriff der „Volksgemeinschaft“ in der NS-Staatsrechtslehre
  • (2) Die Stellung der „Volksgemeinschaft“ zum Staat – „Vitalisten“ vs. „Etatisten“
  • (a) Die völkischen „Vitalisten“ – „Volksgemeinschaft“ statt juristischer Staatsperson
  • (α) Die „Vitalisten“ in der universitären Staatsrechtslehre – Die „Höhn-Schule“
  • (β) „Vitalistische“ Gemeinschaftstheoretiker in SS und SD – Die „SS-Juristen“
  • (b) „Etatistische“ Ansätze in der Staatsrechtslehre
  • (α) Die „Traditionalisten“ – Bewahrung des Staates als Rechtssubjekt
  • (β) Der unechte„Etatismus“ – Umdeutung des Staatsbegriffs
  • (c) „Anti-Etatismus“ – Staatsapparat statt juristischer Staatsperson
  • (d) Fazit – Der Richtungsstreit als „Generationenkonflikt“
  • (3) Exkurs: „Volksgemeinschaft“ und der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts
  • (a) Die Rechtsstellung der NSDAP – Von der Körperschaft zur Gesamtgemeinschaft
  • (b) Die Gemeinde – Körperschaft und Gemeinschaft
  • bb) Führung und Verwaltung
  • (1) Der Begriff der „Führung“ in der NS-Staatsrechtslehre
  • (2) Die Stellung der Verwaltung zur Führung
  • (a) Die „Dualisten“ – Trennung von Führung und Verwaltung
  • (b) Die Einheit der Führung – Verwaltung neben Menschenführung
  • (3) Führung in der Verwaltung
  • (4) Fazit
  • D. Schlussbetrachtung
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • I. Archivalien und unveröffentlichte Quellen
  • II. Gedruckte Quellen und Literatur
  • Reihenübersicht

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A.   Einleitung

Wenige Tage nach dem Tod Reinhard Höhns, dem Gründer der „Bad Harzburger Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft“, veröffentlichte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einen Nachruf.1 Höhn wird darin für seine beachtlichen Leistungen im Bereich der Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensführung gelobt. Seine „nicht-autoritäre[n] Managementlehre“, das sogenannte „Harzburger Modell“, so der unbekannte Autor, hätte erstmals „betriebswirtschaftliche und humanistische Erkenntnisse auf einen Nenner gebracht“. Seine Vergangenheit als nationalsozialistischer Staatsrechtslehrer und Jurist im Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS (SD) wird dagegen gänzlich ausgespart. Genauso reduziert ein in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienener Nachruf den Verstorbenen auf sein Wirken nach der Zeit des Nationalsozialismus.2 Höhn wird dort für seine „visionäre Weitsicht“ gewürdigt und als eine Art deutscher Peter F. Drucker3 bezeichnet. Mit dem „Harzburger Modell“ hätte er „über seinen Tod hinaus etwas Unvergängliches“ hinterlassen. Als die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nur kurze Zeit nach dem ersten Nachruf, nicht zuletzt aufgrund der Briefe protestierender Leser, einen weiteren Nachruf unter rechtsgeschichtlichen Gesichtspunkten von Uwe Wesel druckt, entsteht ein völlig anderes Bild.4 Wesel rückt Höhns Rolle im Nationalsozialismus in den Vordergrund und benennt ihn als „Wortführer“ einer „radikale[n] Minderheit“, die versucht habe, „Rechtsformen vollständig zu zerstören, um sie durch die ‚völkische Gemeinschaft‘ zu ersetzen“. Er charakterisiert Höhn als „intelligent und ehrgeizig, autoritär, rassistisch, antiliberal, antidemokratisch, völkisch“, der verantwortlich war „für jene Atmosphäre, in der die Justizkatastrophe des Dritten Reiches passieren konnte, die Zerstörung von Recht und Menschlichkeit“. Im Zusammenhang mit der Harzburger ← 15 | 16 → Managementakademie spricht er in einem etwas polemischen Vergleich von der „Harzburger Front“ und belegte das „Harzburger Modell“ mit der degradierenden Formel „vom Führer zur Führung“.

Bereits in diesen Nachrufen wird die Ambivalenz der Person Höhns deutlich. Sie sind beispielhaft für ein selektives Erinnern und zeigen zugleich exemplarisch die Gefahr von relativierenden Verengungen und Aussparungen bei einer Gesamtbetrachtung Höhns. Denn die Tatsache, dass seine Biographie vollkommen verschiedenartige Phasen deutscher Geschichte umfasst, sowie auch die Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit seiner Tätigkeiten lassen eine solche Gesamtbetrachtung im Sinne einer Bewertung kaum zu. Ein Urteil unter Berücksichtigung seines gesamten Lebens und Wirkens ist mithin nur schwer möglich. So führt die Hervorhebung bestimmter Abschnitte nicht nur zu einer gegebenenfalls unzulässigen Aufwertung und lässt andere Bereiche somit unbedeutender erscheinen, sondern verhindert gleichzeitig eine angemessene Betrachtung des Gesamten. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Reinhard Höhn erfordert deshalb einhohes Maß an Differenzierung und eine klare Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes, ohne dabei durch Aussparung biographischer Fakten den Gesamtzusammenhang zu ignorieren.

I.   Begründung der Arbeit – Untersuchungsgegenstand

Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Staatsrechtslehre Reinhard Höhns nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die Aufgabenstellung der Arbeit besteht darin, die Staatsrechtslehre Höhns darzustellen und sie aus sich heraus unter besonderer Berücksichtigung des historischen Kontextes sowie Höhns biographischer Entwicklung und Sozialisation im Dritten Reich zu erläutern. Es soll herausgearbeitet werden, wie sich die staatsrechtlichen Ansichten Höhns im Verlauf der Wandlung der politischen und persönlichen Verhältnisse veränderten, welche Position er in der Staatsrechtslehre des Nationalsozialismus letztlich warum eingenommen hat und welcher Stellenwert der SS und dem SD als Höhns institutionellem Hintergrund hierbei zukamen.

Begründen lassen sich Untersuchungsgegenstand und Aufgabenstellung allen voran durch die Bedeutung Höhns für die Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus. Bereits bei oberflächlicher Betrachtung lässt sich erahnen, dass Höhn gerade in den ersten Jahren nach der Machtergreifung der NSDAP zu den aktivsten und prägendsten Professoren für Staatsrechtslehre im Dritten Reich gehörte, was jedoch in keinem Verhältnis zur rechtsgeschichtlichen Beachtung seiner Person steht. Eine werkbiographische monographische Studie über Reinhard Höhn und seine Staatsrechtslehre gibt es bislang nicht und stellt damit ein Forschungsdesiderat dar, das in einem offensichtlichen Widerspruch zu seinem wissenschaftspolitischen Einfluss steht. Die wissenschaftliche Relevanz dieser Arbeit liegt folglich auch in der Beseitigung des Widerspruchs zwischen dem bisherigen Interesse der Forschung an der Person Höhns und seiner Bedeutung für die Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus. ← 16 | 17 →

Methodisch verfolgt die Arbeit einen biographischen Interpretationsansatz. Höhns Staatsrechtslehre soll in erster Linie aus seiner biographischen Situation innerhalb des geschichtlichen Zusammenhanges erklärt werden. Für eine solche Vorgehensweise sprechen hauptsächlich die überragende Bedeutung der politischen Rahmenbedingungen für die inhaltliche Positionierung und die historische Bezugslosigkeit der Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus. Denn die maßgeblichen Einflussfaktoren auf die Lehrmeinungen der aktiven Staatsrechtslehrer waren die Verfassungswirklichkeit nach der Machtergreifung, die politische Erwartungshaltung des NS-Regimes sowie ein individueller Anpassungswille, der sich aus wissenschaftlichem Karrierestreben oder beruflicher respektive wirtschaftlicher Selbsterhaltung gespeist hat. Die staatsrechtlichen Ansichten waren somit weniger das Resultat juristischer Lehre oder Verfahrensweise als vielmehr ein Produkt aus weltanschaulicher Affinität und politischer Assimilation. Die Staatsrechtslehre wurde nicht rechtswissenschaftlich, sondern in erster Linie ideologisch und politisch begründet. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung muss deshalb den historischen Kontext in den Vordergrund eines Deutungsversuchs stellen und darf auch die persönliche Situation und Motivation in diesem Kontext nicht vernachlässigen.

Aus diesem Grund ist es auch schwierig, juristische Ursprünge der NS- Staatsrechtslehre auszumachen. Der Machtergreifung folgte der völlige Bruch mit der bislang geltenden Ideen- und Begriffswelt. Ein entscheidendes Wesensmerkmal der Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus war gerade ihre weitgehende inhaltliche und terminologische Bezugslosigkeit. Inhaltliche Konstanten zur Staatsrechtslehre vor und während der Weimarer Republik lassen sich kaum feststellen. Dies gilt umso mehr für die Staatsrechtslehre Höhns, die sich noch stärker durch den nationalsozialistischen Geist einer vollkommenen Rechtserneuerung im Sinne der NS-Ideologie auszeichnete, was den biographischen Interpretationsansatz zusätzlich erforderlich macht. Eine intellektuelle Wegbereitung oder geistige Urheberschaft durch andere staatsrechtliche Modelle lässt sich allenfalls konstruieren. Eine klare inhaltliche Verbindungslinie kann hingegen nicht gezogen werden. Insbesondere kann ein solcher inhaltlicher Anknüpfungspunkt nicht in der Verbands- und Genossenschaftslehre Otto von Gierkes5 gesehen werden. Nachdem ← 17 | 18 → gemeinschaftsorientierte völkische Staatsrechtslehrer schon in der Weimarer Republik ein „zurück zu Gierke“6 gefordert hatten,7 erfolgte entsprechend der geistigen Verwandtschaft zwischen völkischer und nationalsozialistischer Weltanschauung auch eine, wenngleich weitaus kritischere, Rezeption der Gedankenwelt Gierkes in der Rechtslehre des Nationalsozialismus.8 Während sich andere regimetreue Juristen auf Gierke beriefen,9 wurde eine mögliche Vorreiterrolle Gierkes für eine nationalsozialistische Staatsrechtslehre von Höhn nicht nur angezweifelt, sondern ausdrücklich abgelehnt:

„Gierkes organische Staatsrechtslehre galt allgemein als die Überwindung des individualistischen Staatsdenkens. Es liegt deshalb nahe, daß man heute an Gierke anknüpft und die Grundvorstellungen unserer Zeit mit Gierke zu erklären versucht. Diese Wendung in der deutschen Staatsrechtslehre bekämpft die vorliegende Arbeit. Die Auseinandersetzung mit Otto von Gierke, die hier vorgenommen wird, ergibt, daß seine Staats- und Rechtslehre von unserer Zeit nicht mehr zu gebrauchen ist. Fremd stehen wir seiner Auffassung von Staat und Volk, Gemeinschaft und Gesellschaft, Persönlichkeit und Recht gegenüber. Mit seinen Grundbegriffen wie Körperschaft, Organismus, Organ, Gesamtperson, Einheit in der Vielheit usw. können wir heute nichts mehr anfangen. Zugleich zeigt sich, daß in Gierkes Staats- und Rechtslehre nur eine oft verdeckte Abwandlung des Rechtssystems des 19. Jahrhunderts vorliegt, das im Grundprinzip aufrechterhalten wird. … Für uns handelt es sich heute nicht mehr darum, innerhalb des individualistischen Rechtssystems die eine oder andere Abwandlung vorzunehmen, sondern das System überhaupt aufzugeben. Diesem Bestreben stand bisher auf dem ← 18 | 19 → Gebiete des sog. Öffentlichen Rechts die organische Staatslehre Otto von Gierkes entgegen. … Gierkes Rechtssystem ist der letzte große Pfeiler, der uns im Kampf um die Rechtserneuerung von einem neuen Denken aus entgegensteht.“10

Höhn hielt vor allem das Festhalten am Körperschaftsbegriff sowie die Trennung von Staat und den organisch gegliederten Genossenschaften bei Gierke für unvereinbar mit einer nationalsozialistischen Staatsrechtslehre. Während Gierke der fingierten juristischen Person die gleichermaßen rechtsfähige Person der „realen Verbandspersönlichkeit“ entgegenstellte,11 forderte Höhn die Ersetzung der juristischen Staatsperson durch die „Volksgemeinschaft“. Für Gierke war der Staat „das oberste Subjekt im öffentlichen Recht“,12 für Höhn nur ein Apparat zu Diensten des übergeordneten Volkes. Überhaupt weist Gierkes Theorie mit dem führerzentrierten, rassistischen Staatsdenken des Nationalsozialismus keine wirklichen Übereinstimmungen auf, so dass Höhns Einschätzung hier durchaus als nachvollziehbar zu bezeichnen ist. Es bestanden vielmehr „erhebliche Unterschiede zwischen der verbreiteten politisch-rechtshistorischen Polemik nach 1933 und den Auffassungen“ Gierkes.13 Nachdem Gierkes Ideen bereits von den völkischen Rezeptionskritikern in der Weimarer Republik in ihrem Sinne modifiziert und weiterentwickelt wurden,14 erfolgte im Dritten Reich die Vereinnahmung und Instrumentalisierung seiner Genossenschaftslehre, sofern sie denn nicht wie von Höhn verworfen wurde. Entsprechend kann zwar von einer „Gierke-Renaissance“15 nach der nationalsozialistischen Machtergreifung gesprochen werden, eine geistige „Vorläuferschaft zum Nationalsozialismus“ jedoch gerade nicht konstatiert werden.16 ← 19 | 20 →

II.   Forschungsstand und benutzte Quellen

Der zugrunde liegende Stand der Forschung ist für jeden inhaltlichen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit verschieden zu bewerten. Bestimmte Teilbereiche, mit denen sich die vorliegende Arbeit befasst, sind bereits umfänglich erforscht, während andere Themenkomplexe der Arbeit bislang nur oberflächlich oder gar nicht von der Forschung betrachtet wurden. Im Folgenden wird erst der Forschungsstand zur Biographie und anschließend zum Werk Höhn skizziert, danach folgt für beide Komplexe eine Beschreibung der Quellenlage.

Die Biographie Höhns ist bisher nur fragmentarisch bekannt. Insbesondere fehlte eine Gesamtdarstellung, die einen vollständigen Überblick über alle bekannten Abschnitte seines Lebens gab. Eine Betrachtung der Person Höhns erfolgt in der Sekundärliteratur stets am Rande oder im Zusammenhang bestimmter Ereignisse mit Beteiligung Höhns. Dabei fokussiert sich die Forschung besonders auf die Zeit des Nationalsozialismus, weshalb der Wissensstand zu diesem Zeitraum am weitesten ist. Gerade zu Höhns wissenschaftspolitischen Auseinandersetzungen mit Carl Schmitt und Walter Frank existieren umfangreiche Ausführungen in anderen Werken. Eine Darstellung der politischen Kaltstellung Schmitts findet sich bei Andreas Koenen und Anne-Marie Gräfin von Lösch,17 die Fehde zwischen Höhn und Frank wird von Helmut Heiber und wiederum von Lösch detailliert beschrieben.18 In Bezug auf diese Sachverhalte beschränkt sich die vorliegende Arbeit deshalb auf die Zusammenfassung und Ergänzung des Kenntnisstandes, indem dieser um noch nicht bekannte Details und Zusätze erweitert wird. Das weitere Wirken Höhns im Dritten Reich über die genannten Auseinandersetzungen hinaus ist dagegen weniger gut erforscht. Der Forschungsstand, auf den zurückgegriffen kann, beschränkt sich hier mehrheitlich auf kurze Anmerkungen. Höhns universitäre Laufbahn lässt sich anhand der Literatur zwar noch verhältnismäßig gut nachverfolgen,19 doch bleiben Art und Weise seiner Tätigkeit für die SS und vor allem für den SD weitestgehend unklar. So gibt es zwar umfangreiche Literatur zur allgemeinen Geschichte des SD und biographische Werke zu führenden SS- und SD-Funktionären wie Reinhard ← 20 | 21 → Heydrich,20 Walter Schellenberg21, Franz Alfred Six22 oder vor allem Wilhelm Stuckart,23 die als Randfiguren auch für die Darstellung der Rolle Höhns von Belang sind, doch ist über den konkreten Tätigkeitsbereich sowie die genaue Arbeitsweise der Abteilung Höhns (Zentralabteilung II/2, „Lebensgebietsmäßige Auswertung“) nur wenig bekannt. Ferner fehlt bislang leider eine umfassende biographische Studie zu Otto Ohlendorf, der nicht nur einer der engsten Mitarbeiter Höhns im SD war, sondern wohl auch nach dessen Ausscheiden aus dem hauptamtlichen Dienst in Kontakt zu Höhn stand. Auch die Biographie von Karl August Eckhardt, dessen wissenschaftspolitischer Einfluss eng mit der Person Höhns verbunden war, stellt eine Lücke in der Erforschung der Wirkungsmacht von SS und SD auf die Wissenschaft im Dritten Reich dar24 und hätte für Höhns Lebensweg in dieser Zeit wichtige Aufschlüsse geben können.

Höhns Biographie in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik wurde von der Forschung bisher weitgehend außer Acht gelassen. So ist Höhns politisch-ideologischer Ausgangspunkt im Jungdeutschen Orden allenfalls unzureichend erforscht. Zwar existieren zur Geschichte des Jungdeutschen Orden mehrere wissenschaftliche Werke, doch wird Höhns Rolle im Orden darin kaum oder gar nicht betrachtet.25 Die Strömungen der „Konservativen Revolution“ und „völkischen Bewegung“ als äußerer Rahmen der Entwicklung Höhns sind von der Sekundärliteratur dagegen trotz begrifflicher und methodischer Unwägbarkeiten verhältnismäßig ← 21 | 22 → umfassend untersucht worden,26 wobei gerade die Erforschung des wegen seiner Heterogenität schwer zu fassenden Spektrums der Völkischen zuletzt einen Rückstand aufgeholt hat.27 Höhns Werdegang im Nachkriegsdeutschland fand bislang vor allem unter dem Gesichtspunkt der Elitenkontinuität28 und im Zusammenhang mit der Harzburger Akademie Beachtung.29 Die Arbeit leistet hier entscheidende Beiträge und erweitert den bisherigen Wissenstand. Vor allem die Angaben über sein Leben in der Bundesrepublik Deutschland vervollständigen die Kenntnisse über Höhn, wenngleich hier kein unmittelbarer Zusammenhang mehr zu seiner Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus besteht.

Das Werk Höhns ist im Rahmen rechtsgeschichtlicher Arbeiten mehrfach betrachtet worden. Gleichwohl seine Ansichten grundsätzlich in vielen wissenschaftlichen Studien zur NS-Staatsrechtslehre erwähnt und auch untersucht werden, ist eine umfassende Positionierung Höhns entsprechend seines Einflusses und seiner Verantwortung für die rechtliche Legitimierung des Dritten Reiches in der Rechtsgeschichte bislang unterblieben. Eine Studie mit Schwerpunkt auf der Staatsrechtslehre Höhns im Dritten Reich gibt es nicht,30 was in einem auffälligen Missverhältnis ← 22 | 23 → zu der Anzahl seiner Veröffentlichungen und zu seinem Einfluss auf die Ausformung einer nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft in der Anfangsphase des Nationalsozialismus steht. Während die Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus inzwischen ausführlich erforscht worden ist,31 erscheint Höhn trotz seiner regen publizistischen Aktivität in den Darstellungen hierzu oft nur als Randfigur. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass sein staatsrechtliches Modell hinsichtlich Qualität und Komplexität hinter den Lehren der bekannteren Staatsrechtslehrer zurückblieb, deren Leben und Wirken entsprechend bereits umfangreich aufgearbeitet ist. Es existieren umfassende Werkbiographien zu Carl Schmitt,32 Ernst RudolfHuber,33 Ernst Forsthoff34 oder Otto Koellreutter.35 Eine Würdigung des Werkes von Höhns Lehrer Franz Wilhelm Jerusalem, über dessen Leben nur wenig bekannt ist,36 und von Theodor Maunz,37 der für eine Positionierung Höhns in der Staatsrechtslehre nach der Machtergreifung durchaus von Bedeutung ist, fehlt hingegen noch.

Analog zum Forschungsstand ist auch die Quellenlage für die beiden Schwerpunkte der Arbeit sehr unterschiedlich zu beurteilen. Die für diese Arbeit wesentliche Darstellung der Staatsrechtslehre Höhns im Nationalsozialismus beruht auf den veröffentlichten Schriften als Primärquelle. Aufgrund der hohen publizistischen Aktivität Höhns in den ersten Jahren nach der Machtergreifung ist ein umfangreiches Werk entstanden, das insgesamt sehr gut erhalten und zugänglich ist. Höhn verfasste zahlreiche Aufsätze in verschiedenen rechtswissenschaftlichen Zeitschriften und mehrere kürzere Abhandlungen. Allerdings zeichnet sich ein wesentlicher Teil ← 23 | 24 → seiner Beiträge durch die Wiederholung und Bekräftigung der eigenen Position aus. Höhn beschränkte sich darauf, seine Staatsrechtslehre zu vertreten und zu verteidigen, so dass es sich zumindest bis zum Kriegsbeginn um ein monothematisches Werk handelt.38 Auch Höhns Frühwerk, das im Zusammenhang mit dem Jungdeutschen Orden entstand, ist als primäre Quelle, die für die Darstellung der inhaltlichen Entwicklung seiner staatsrechtlichen Ansichten unerlässlich ist, nahezu vollständig vorhanden. Ferner sind sämtliche Schriften und Beiträge Höhns aus der Zeit nach 1945, die zwar mit Abstand den größten Teil seines Gesamtwerkes darstellen,39 für die vorliegende Arbeit aber nur von geringer Bedeutung sind, verfügbar.

Im Gegensatz dazu ist die Quellenlage zur Biographie Höhns fragmentarisch und zum Teil unübersichtlich. Ein persönlicher Nachlass steht derzeit nicht zur Verfügung.40 Dementsprechend musste überwiegend auf öffentlich zugängliches Archivmaterial zurückgegriffen werden. Diese Quellen zu seinem Lebenslauf verhelfen, sowohl durch Anzahl als auch durch Qualität, zu einem sehr unterschiedlichen Grad an Transparenz und geben regelmäßig nur einen ausschnitthaften Einblick in das Leben Höhns. So lässt sich Höhns Zeit im Jungdeutschen Orden nur anhand der Sitzungsprotokolle des Ordenskapitels rekonstruieren.41 Höhns Tätigkeiten für SS ← 24 | 25 → und SD lassen sich vor allem seiner SS-Offiziersakte des Berlin Document Center entnehmen.42 Da eine Vielzahl von Unterlagen des SD bereits während des Zweiten Weltkriegs vernichtet wurde oder verschollen ist, können die Arbeitsweise oder das genaue Aufgabenfeld der Abteilung Höhns nicht mit Sicherheit ermittelt werden. Der ausführliche Aktenbestand zu der vom SD initiierten Entmachtung Carl Schmitts stellt insoweit eine Ausnahme dar.43 Die in der Arbeit verwendeten autobiographischen Zeugnisse Höhns aus einem Privatarchiv können zwar insgesamt als wertvolle Quelle qualifiziert werden, durch die viele Lücken in der Darstellung seines Werdegangs geschlossen werden konnten, doch stehen gerade seine Ausführungen nach Ende des Dritten Reiches zu seiner Rolle in SS und SD aufgrund des Verdachts der Schutzbehauptung unter dem Vorbehalt der Unrichtigkeit.

Höhns akademischer Werdegang kann dagegen durch die Promotionsakte sowie die Personalakten aus den Universitätsarchiven Heidelberg und Berlin weitgehend lückenlos dokumentiert werden.44

Sein Leben und Wirken in der Bundesrepublik nach dem Ende des Nationalsozialismus ist angesichts seiner bemerkenswerten Nachkriegskarriere wiederum nur verhältnismäßig oberflächlich durch Quellen belegt. Insbesondere die Jahre unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs können durch objektiv belastbare Dokumente nur teilweise nachvollzogen werden. Die vorliegende Arbeit ist hier zumeist auf die Angaben von Höhn selbst angewiesen. Während Höhns Erinnerungen an die NS-Zeit grundsätzlich zu bezweifeln sind, erscheinen seine Aussagen zu diesem Lebensabschnitt größtenteils plausibel und lassen sich ohne offensichtliche Widersprüche in das bislang Bekannte einfügen. Die Geschichte der Harzburger Akademie kann zudem durch verschiedene Dokumente, allen voran durch die zahlreichen Veröffentlichungen der Akademie und ergänzende Archivalien sehr genau wiedergegeben werden. Da Höhns Biographie seit Gründung der Akademie untrennbar mit dieser verbunden ist, kann demgemäß auch sein Werdegang nachgezeichnet werden. Der Entwicklungsgang der Akademie ist nahezu identisch mit dem Lebenslauf Höhns, weshalb sich Höhns Spuren nach dem Ende der Akademie auch mehr oder weniger verlaufen. ← 25 | 26 →


1 „FAZ“ vom 19. Mai 2000, Nr. 116, S. 18.

2 Deckstein, Ein Lehrer für 600 000 Manager, Zum Tode von Reinhard Höhn, dem Gründer der Harzburger Akademie, in: „Süddeutsche Zeitung“ vom 22. Mai 2000, Nr. 116, S. 18.

3 Peter F. Drucker (* 19. November 1909 in Wien, † 11. November 2005 in Clarmont) war ein erfolgreicher Ökonom und Publizist und gilt als einer der Vordenker des modernen Managements. Von ihm stammt die Methode „Führen durch Zielvereinbarung“ zur Dezentralisierung von Organisationen, die noch heute Anwendung findet. Während der Zeit des Nationalsozialismus befasste sich Drucker, der in Hamburg und Frankfurt Rechtswissenschaft und Geschichte studiert hatte und 1931 über „Die Rechtfertigung des Völkerrechts aus dem Staatswillen“promoviert wurde, unter anderem mit dem Einfluss der wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Entstehung des Totalitarismus. Nachdem einer seiner Aufsätze von den Nationalsozialisten verboten wurde, emigrierte er zunächst nach Großbritannien und anschließend in die USA (Meynhardt, Klassiker der Organisationsforschung. S. 86 ff.; „Peter F. Drucker ist tot“, in: manager magazin vom 12. November 2005).

4 Wesel, Der Letzte, in: „FAZ“ vom 23. Mai 2000, Nr. 119, S. 54.

5 Otto von Gierke (* 11. Januar 1841 Stettin, † 10. Oktober 1921 Berlin) studierte Rechtswissenschaften in Berlin und Heidelberg. Nach Beendigung seines Studiums erfolgte 1860 seine Promotion bei Carl Gustav Hohmeyer mit einer Arbeit über Lehenrecht. Bereits in seiner Habilitationsschrift 1867 befasste sich Gierke dann mit dem Genossenschaftsrecht. Im selben Jahr wurde er Privatdozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Nachdem er 1871 am deutsch-französischen Krieg teilgenommen hatte, erhielt er eine außerordentliche Professur in Berlin, wechselte jedoch schon wenige Monate später an die Schlesische-Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau, wo er im Wintersemester 1882/1883 zum Rektor ernannt wurde. Im Jahr 1884 wurde Gierke ordentlicher Professor in Heidelberg, bevor er 1887 an die Universität Berlin zurückkehrte und 1902 auch dort Rektor wurde (Bader, „Gierke, Otto Friedrich von“, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 374–375).

6 Dieser Ausspruch stammt aus der 1929 gehaltenen Göttinger Rektoratsrede des völkischen Rechtshistorikers Herbert Meyer (Meyer, Recht und Volkstum, S. 22), welcher später auch dem Nationalsozialismus nahestand (Stolleis, Fortschritte der Rechtsgeschichte, S. 195).

7 Vor allem Gierkes Kritik an der Rezeption des als gemeinschaftsfeindlich empfundenen Römischen Rechts zulasten des pflichtenorientierten germanischen Rechts im Allgemeinen (Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. II, S. 22; ders., Deutsches Privatrecht, Bd. I, S. 13) und dem römischen Eigentumsbegriff im Besonderen (Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. II, S. 359 ff.) wurde von völkischen Juristen aufgenommen und zu einem „Apostel der neuen Zeit“ (Meyer, Recht und Volkstum, S. 4) stilisiert.

8 Höhn, Otto von Gierkes Staatslehre und unsere Zeit, Hamburg 1936; Krupa, Otto von Gierke und die Probleme der Rechtsphilosophie, Breslau 1940; ders., Genossenschaftslehre und soziologischer Pluralismus. Ein Beitrag zur Staatslehre Otto von Gierkes, in: AöR 69 (1940), S. 97–114; Helfritz, Otto von Gierke und die neueste Lehre von der juristischen Staatsperson, in: RVerwBl. Bd. 56, 1935, S. 485–490; Huber, Die genossenschaftliche Berufsordnung, in: Blätter für deutsche Philosophie 7 (1933/34), S. 293–310.

9 So etwa auch Karl August Eckhardt, der ein „Vorwärts mit Gierke!“ propagierte (Eckhardt, Otto Gierke: Deutsches Privatrecht, S. 270). Anlehnungen an Gierkes Genossenschaftslehre finden sich beispielweise auch bei Edgar Tatarin-Tarnheyden und Franz Wilhelm Jerusalem (Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 138 ff.). Weitere Nachweise bei Thieme, Was bedeutet uns Otto von Gierke?, S. 420.

10 Höhn, Otto von Gierkes Staatslehre und unsere Zeit, S. 7 f.

11 Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. I, S. 518; ders., Das Wesen der menschlichen Verbände, S. 13 ff.

12 Gierke, Die Grundbegriff des Staatsrechts und die neuesten Staatsrechtstheorien, S. 27.

13 Klippel, Subjektives Recht und germanisch-deutscher Rechtsgedanke in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 46.

14 So war Gierke durchaus der Ansicht, dass die individuellen Rechte, so eben auch das subjektive Recht, Priorität hätten, nur dürfe man nicht das Verhältnis von Befugnis und Pflicht zu Lasten der Sozialgebundenheit verzerren. Außerdem sei das Römische Recht nicht gänzlich von Pflichten befreit und auch im germanischen Recht gäbe es in Einzelfällen unbeschränkte Rechte (Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. I, S. 255). Diese moderateren Töne findet man bei den völkischen Juristen in der Weimarer Republik nur selten. Stattdessen wurde seine Kritik von germanistischen Rechtshistorikern, aber vor allem fachfremden Autoren des rechten Spektrums, mit einer rassistischen Kritik verbunden, indem ein Verfall des Römischen Rechts durch jüdische Einflüsse konstruiert wurde (Merk, Vom Werden und Wesen des deutschen Rechts, S. 32 f.; Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 77 und S. 82; Chamberlain, Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, S. 181 und S. 211).

15 Dilcher, Genossenschaftstheorie und Sozialrecht: ein „Juristensozialismus“ Otto von Gierkes, S. 321.

16 Ebenda, S. 349.

17 Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 651 ff., S. 736 ff.; von Lösch, Der nackte Geist, S. 440 ff.

18 Heiber, Walter Frank, S. 865 ff.; von Lösch, Der nackte Geist, S. 412–424.

19 Dies gilt sowohl für seine Assistentenzeit an der Universität Jena (Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 13 ff.; ders., Soziologie und Politik, S. 124 ff.) als auch für seine Zeit als Staatsrechtslehrer in Heidelberg (Schroeder, Eine Universität für Juristen und von Juristen, S. 538 ff.; Vézina, Die Gleichschaltung der Universität Heidelberg, S. 126 f.) und Berlin (Von Lösch, Der nackte Geist, S. 326 ff. und S. 439 ff; Pauly, Das Öffentliche Recht an der Berliner Juristischen Fakultät 1933–1945, in: Grundmann, Stefan (u.a.) (Hrsg.), Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2010, S. 775–795).

20 Aronson, Reinhard Heydrich und die Frühgeschichte von Gestapo und SD, Stuttgart 1971. Zuletzt erschien 2011 eine neue Biographie von Robert Gerwarth über Heydrich, welche den Fokus mehr auf Heydrichs Leben vor der Machtergreifung sowie die Rolle und den Einfluss seiner Frau legte (Gerwarth, Reinhard Heydrich, München 2011).

21 Doerries, Hitler’s Intelligence Chief. Walter Schellenberg, New York 2009.

22 Hachmeister, Der Gegnerforscher – Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, München 1998.

23 Jasch, Staatssekretär Wilhelm Stuckart und die Judenpolitik. Der Mythos von der sauberen Verwaltung, München 2012.

24 Einstweilen Nehlsen, Karl August Eckhardt, in: ZRG/GA 104 (1987), S. 497–536; Niemann, Karl August Eckhardt, in: Schmoeckel, Mathias (Hrsg.): Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln (u.a.) 2004, S. 159–184.

25 Kessler, Der Jungdeutsche Orden in den Jahren der Entscheidung 1928–1930 (I), 1974; ders., Der Jungdeutsche Orden in den Jahren der Entscheidung 1931–1931 (II), 1976; ders., Der Jungdeutsche Orden auf dem Wege zur Deutschen Staatspartei 1928–1930, München 1981; Hornung, Der Jungdeutsche Orden, 1958; Vogel, Katholische Kirche und nationale Kampfverbände in der Weimarer Republik, 1989. Daneben existieren noch Abhandlungen von Autoren aus dem Umfeld des Ordens, die angesichts offensichtlicher Parteilichkeit nicht als objektiv wissenschaftliche Zeugnisse eingestuft werden können (Maste, Die Republik der Nachbarn; ders., Vom Staat zum Gemeinwesen; Kalkbrenner, Die Staatslehre Artur Mahrauns).

26 Lenk, Deutscher Konservativismus, 1989; Mohler, Die konservative Revolution in Deutschland 1919–1932, 2006; Breuer, Anatomie der konservativen Revolution, 1995; ders., Ordnungen der Ungleichheit. Die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871–1945, 2001.

Details

Seiten
394
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631733509
ISBN (ePUB)
9783631733516
ISBN (MOBI)
9783631733523
ISBN (Hardcover)
9783631733486
DOI
10.3726/b12707
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Oktober)
Schlagworte
Drittes Reich Volksbegriff Staatsperson Sicherheitsdienst Jungdeutscher Orden
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 393 S.

Biographische Angaben

Johannes Jenß (Autor:in)

Johannes Jenß studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Kiel, wo er am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römisches Recht, Europäische Privatrechtsgeschichte der Neuzeit und Rechtsvergleich promoviert wurde.

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Titel: Die «Volksgemeinschaft» als Rechtsbegriff
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