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Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Die Entwicklung des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im EU-Recht

von Valeska Nieden (Autor:in)
©2018 Dissertation 462 Seiten

Zusammenfassung

Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) beinhaltet mit der grundrechtssensiblen Justiz- und Innenpolitik einen der komplexesten Bereiche der EU. Angesichts von Terrorismus, Wirtschaftskrise, Migrationsdruck sowie Renationalisierung rücken Sicherheitsfragen zunehmend in den Fokus des RFSR. Es ist die Zielsetzung der Autorin, die Entwicklung des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im RFSR durch eine systematisch-chronologische Untersuchung des EU-Primärrechts aufzuzeigen und zu erörtern, inwiefern der RFSR seinen Bürgern ein angemessenes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit bietet. Die Konsequenzen für die Rechtsstellung des Einzelnen und das Gelingen der Europäischen Integration werden dargelegt und Anregungen für die Weiterentwicklung des RFSR unterbreitet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Gliederung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Teil I: Einleitung
  • A. Problemstellung
  • B. Zielsetzung der Arbeit
  • C. Aufbau der Arbeit
  • D. Untersuchungsmethodik der Arbeit
  • Teil II: Zuordnung von Freiheit und Sicherheit als Paradigmen öffentlicher Ordnung im RFSR
  • A. Die Notwendigkeit eines angemessenen Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit
  • I. Thomas Hobbes
  • II. Samuel von Pufendorf
  • III. John Locke
  • IV. Charles de Secondat Montesquieu
  • V. Jean-Jacques Rousseau
  • VI. Immanuel Kant
  • VII. Neuzeitliche Entwicklung
  • VIII. Ergebnis
  • B. Die Voraussetzungen eines angemessenen Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit
  • I. Termini
  • II. Freiheit als Zweck der Sicherheit
  • III. Freiheit und Sicherheit als Komplementärverhältnis
  • IV. Das Recht als Steuermodus
  • V. Angemessene Zuordnung durch Verhältnismäßigkeitsprüfung
  • VI. Kontrolle zum Schutz des Freiheitsrechts gegen absolute Sicherheit
  • VII. Ergebnis
  • Teil III: Der RFSR als eigenständiger Teilbereich der EU
  • A. Die Entwicklung des RFSR zu einem eigenständigen Teilbereich der EU
  • I. Vor dem Maastricht-Vertrag
  • 1. TREVI-Gruppe
  • 2. EEA
  • 3. Adonnino-Ausschuss
  • 4. Schengener Übereinkommen
  • 5. Ergebnis
  • II. Der Maastricht-Vertrag
  • III. Der Amsterdam-Vertrag mit dem Wiener Aktionsplan und dem Tampere-Programm
  • 1. Amsterdam-Vertrag
  • 2. Der Wiener Aktionsplan und das Tampere-Programm
  • IV. Der Nizza-Vertrag mit dem Haager-Programm sowie -Aktionsplan
  • 1. Nizza-Vertrag
  • 2. Haager-Programm und -Aktionsplan
  • V. Der Verfassungsvertrag
  • VI. Der Lissabon-Vertrag mit dem Stockholm-Programm und -Aktionsplan sowie dem Post-Stockholm-Programm
  • 1. Lissabon-Vertrag
  • 2. Stockholmer Programm und Stockholmer Aktionsplan
  • 3. Das Post-Stockholm-Programm
  • VII. Ergebnis
  • B. Abgrenzung zum Binnenmarkt und zur Unionsbürgerschaft
  • I. Binnenmarkt
  • II. Unionsbürgerschaft
  • III. Ergebnis
  • C. Das Konzept des Raumes im RFSR
  • I. Der RFSR als Raum
  • II. Bedeutung des Raum-Konzepts für Freiheit und Sicherheit im RFSR
  • III. Ergebnis
  • D. Die wichtigsten Strukturmerkmale des RFSR
  • I. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung
  • II. Zusammenarbeit der Verwaltungen
  • III. Subsidiaritätsgrundsatz
  • IV. Grundsatz der Rechtsangleichung
  • V. Prinzip der Differenzierung
  • VI. Solidaritätsgrundsatz
  • VII. Ergebnis
  • E. Der europäische Integrationsprozess im RFSR
  • I. EU-Integration
  • II. Integration im RFSR
  • III. Ergebnis
  • Teil IV: Die Untersuchung des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im RFSR-Recht
  • A. Vertrag von Maastricht
  • I. EUV
  • II. Erklärungen zum Maastricht-Vertrag
  • III. Ergebnis
  • B. Vertrag von Amsterdam
  • I. EUV
  • 1. Art. 29 EUV-Amsterdam
  • a) Polizeiliche Zusammenarbeit
  • b) Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
  • c) Annäherung der Strafvorschriften
  • 2. Art. 34 EUV-Amsterdam
  • 3. Art. 35 EUV-Amsterdam
  • 4. Die Rolle des Rates und des EU-Parlamentes
  • 5. Individueller Rechtsschutz
  • 6. Art. 40 EUV-Amsterdam
  • 7. Ergebnis
  • II. EGV
  • 1. Titel IV EGV-Amsterdam
  • a) Art. 61 lit. a EGV-Amsterdam
  • b) Art. 61 lit. b EGV-Amsterdam
  • c) Art. 61 lit. c EGV-Amsterdam
  • d) Art. 61 lit. e EGV-Amsterdam
  • 2. Subjektive Rechte
  • 3. Art. 67 EGV-Amsterdam
  • 4. Zuständigkeit des EuGH
  • 5. Art. 69 EGV-Amsterdam
  • 6. Ergebnis
  • III. Protokolle und Erklärungen zum Amsterdam-Vertrag
  • 1. Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Europäischen Union
  • 2. Protokoll über die Anwendung bestimmter Aspekte des Artikels 14 EGV auf das Vereinigte Königreich und auf Irland
  • 3. Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands
  • 4. Protokoll über die Position Dänemarks
  • 5. Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union
  • 6. Erklärung zu Artikel K.2 des Vertrags über die Europäische Union
  • 7. Erklärung zu Artikel 73 l Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
  • 8. Erklärung zu Artikel 73 m des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
  • 9. Erklärung zu Artikel 73 o des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
  • 10. Erklärung zu Artikel 5 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union
  • IV. Wiener Aktionsplan und Tampere-Programm
  • 1. Allgemeines
  • 2. Leitlinien
  • a) Raum der Freiheit
  • b) Raum der Sicherheit
  • c) Raum des Rechts
  • d) Säulenaufteilung
  • 3. Konklusion
  • V. Ergebnis
  • C. Vertrag von Nizza
  • I. EUV
  • 1. Art. 29 und 31 EUV-Nizza
  • 2. Art. 40, 40 a und 40 b EUV-Nizza
  • 3. Art. 43 EUV-Nizza
  • II. EGV
  • 1. Art. 67 Abs. 5 EGV-Nizza
  • 2. Weiterentwicklung durch den EuGH
  • a) Vorrang der ersten vor der dritten Säule
  • b) Zuständigkeit in grundsätzlichen säulenübergreifenden Fragen
  • c) Begründungspflicht bei staatlichen Eingriffen in die Rechte Einzelner
  • d) Wirkung von EU-Recht im innerstaatlichen Recht
  • e) Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips
  • III. Protokolle und Erklärungen zum Vertrag von Nizza
  • 1. Protokoll zu Artikel 67 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
  • 2. Erklärung zu Artikel 67 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
  • IV. Haager-Programm und -Aktionsplan
  • 1. Allgemeines
  • 2. Leitlinien
  • a) Stärkung der Freiheit
  • b) Stärkung der Sicherheit
  • c) Stärkung des Rechts
  • d) RFSR-Außendimension
  • e) Ergebnis
  • f) Folgemitteilungen
  • V. Ergebnis
  • D. Vertrag von Lissabon
  • I. EUV
  • 1. Art. 2 EUV
  • 2. Art. 3 EUV
  • 3. Art. 4 EUV
  • 4. Art. 6 EUV
  • 5. Art. 12 EUV
  • 6. Vergemeinschaftung
  • II. AEUV (Ex-EGV)
  • 1. Allgemeine Bestimmungen
  • a) Art. 67 AEUV
  • b) Art. 68 AEUV
  • c) Art. 69 AEUV
  • d) Art. 70 AEUV
  • e) Art. 71 AEUV
  • f) Art. 72 AEUV
  • g) 73, 74 AEUV
  • h) Art. 75 AEUV
  • i) Aufhebung von Art. 67–69 EGV-Nizza
  • j) Art. 76 AEUV
  • 2. Politik im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung
  • a) Art. 77 AEUV
  • b) Art. 78 AEUV
  • c) Art. 79 AEUV
  • d) Art. 80 AEUV
  • 3. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen
  • 4. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
  • a) Art. 82 AEUV
  • b) Art. 83 AEUV
  • c) Art. 84 AEUV
  • d) Art. 85 AEUV
  • e) Art. 86 AEUV
  • 5. Polizeiliche Zusammenarbeit
  • a) Art. 87 AEUV
  • b) Art. 88 AEUV
  • c) Art. 89 AEUV
  • III. Protokolle und Erklärungen zum Lissabon-Vertrag
  • 1. Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit
  • 2. Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich
  • 3. Protokoll über die Übergangsbestimmungen
  • 4. Protokoll über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand
  • 5. Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des RFSR
  • 6. Protokoll über die Position Dänemarks
  • 7. Erklärung zum Schutz personenbezogener Daten im Bereich PJZS
  • 8. Erklärung zu den Art. 75 und 215 AEUV
  • 9. Erklärung zu Art. 10 des Protokolls über die Übergangsbestimmungen
  • 10. Erklärung Irlands zu Art. 3 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des RFSR
  • 11. Erklärung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zu Art. 75 AEUV
  • 12. Erklärung 45–47 zu Art. 5 Abs. 2–5 des Protokolls über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand
  • 13. Erläuterung zu Art. 6 GRC
  • IV. EU-Grundrechtecharta
  • 1. Die EU-Grundrechte im RFSR
  • a) Allgemein
  • b) Freiheit und Sicherheit nach Art. 6 GRC im RFSR
  • c) Konklusion
  • 2. Formeller und materieller Grundrechtsschutz im RFSR
  • a) Vor dem Lissabon-Vertrag
  • b) Nach dem Lissabon-Vertrag
  • V. Stockholmer-Programm und -Aktionsplan
  • 1. Allgemeines
  • 2. Leitlinien
  • a) Raum des Schutzes der Grundrechte
  • b) Raum des Rechts und der Justiz
  • c) Ein Europa, das schützt
  • d) Zugang zu Europa
  • e) Europa der Verantwortung
  • f) Die externe Dimension des RFSR
  • VI. Post-Stockholm-Programm
  • 1. Allgemein
  • 2. Leitlinien
  • 3. Strategische Agenda
  • VII. Ergebnis
  • 1. EUV- sowie AEUV-Lissabon
  • 2. Stockholm-Programm sowie Stockholmer Aktionsplan
  • 3. Post-Stockholm-Programm
  • Teil V: Resümee
  • A. Endergebnis
  • I. Notwendigkeit und Voraussetzungen eines rechtsstaatlich angemessenen Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit
  • II. Entwicklung und Funktionsweise des RFSR als eigenständiger Teilbereich der EU
  • III. Das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR-Recht
  • IV. Fazit
  • B. Anregungen
  • I. Allgemein
  • II. Einzelne Anregungen
  • 1. Stärkung des Freiheitsrechts
  • 2. Stärkung der Gerichte und Parlamente
  • 3. Objektiv bestimmbare und überprüfbare Faktoren für öffentlich-rechtliches Handeln
  • 4. Reglementierung der Informationsbeschaffung, -speicherung, und -weitergabe
  • 5. Stärkung des Prinzips der Reziprozität
  • 6. Freiheitsrechtliche sowie einheitliche Asyl- und Einwanderungspolitik
  • 7. Problem- sowie ursachenorientiertes Vorgehen
  • 8. Öffentlicher Diskurs
  • 9. Engagement der Bürger
  • 10. Transparenz und echte Teilnahme zugunsten der Bürger
  • 11. Unionales Handeln statt Nationalismus
  • Anhang gem. § 7 Abs. 3 Nr. 1 UHH-PromotionsO von 1998: Kurzfassungen des Dissertationsergebnisses in deutscher und englischer Sprache
  • Anhang gem. § 7 Abs. 3 Nr. 2 und 3 UHH-PromotionsO von 1998: Erklärung und eidesstattliche Versicherung
  • Literaturverzeichnis

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Teil I:Einleitung

Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) ist nicht nur ein zentraler Pfeiler der Europäischen Integration, sondern zugleich einer der komplexesten und unübersichtlichsten Bereiche der Europäischen Union (EU). Es ist die Zielsetzung dieser Arbeit, die Entwicklung des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im RFSR durch eine systematisch-chronologische Untersuchung des EU-Primärrechts aufzuzeigen. Um jedoch der Komplexität der Materie gerecht zu werden, bedarf es einer vielschichtigen Herangehensweise, welche die Untersuchung in eine übergelagerte Ordnungsstruktur integriert.

In einem ersten Schritt werden daher die zentralen Termini „Freiheit“ und „Sicherheit“ begriffsgeschichtlich erörtert und im Rahmen dessen aufgezeigt, dass das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR nicht nur konstitutiv für die Rechtsstaatlichkeit der EU ist, sondern auch essentiell für die demokratische Zukunft der Europäischen Integration insgesamt, da das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit das Zusammenleben der Menschen und damit die Substanz der EU maßgeblich gestaltet. In Anbetracht dessen, dass der RFSR erst seit relativ kurzer Zeit zu einem der „Integrationsmotoren“ der EU herangewachsen ist, wird in einem zweiten Schritt aufgezeigt, dass der RFSR mittlerweile einen selbstständigen Teilbereich der EU darstellt, der eigene Umsetzungs- sowie Strukturmerkmale aufweist und eine erweiterte Form der öffentlichen Ordnung im Rahmen der EU etabliert.

Sodann wird als dritter Schritt in dem Hauptteil dieser Arbeit das zuvor Erörterte angewendet und die Entwicklung des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im RFSR anhand des Primärrechts der EU chronologisch von Maastricht bis zum aktuellen Lissabon-Vertrag untersucht. Hierbei wird aufgezeigt, dass der komplexe Regelungsgehalt der grundrechtssensiblen Justiz- und Innenpolitik des RFSR sowie dessen Konstruktion im Spannungsfeld zwischen der EU und den souveränen Mitgliedstaaten eine rechtsstaatliche Gestaltung sowie Umsetzung des RFSR erheblich erschweren. Zusätzlich wird dargelegt, dass ein angemessenes Verhältnis von ←21 | 22→Freiheit und Sicherheit im RFSR durch den zunehmenden internationalen Terrorismus, die weiterhin bestehende Wirtschaftskrise in vielen Mitgliedstaaten, den steigenden Migrationsdruck in die EU sowie die aktuelle Flüchtlingskrise und das Erstarken von Populismus und Renationalisierung vor großen Herausforderungen steht.

In Anbetracht dessen, dass es sich bei der Erörterung der Entwicklung des RFSR stets nur um eine Momentaufnahme handeln kann, werden nach der abschließenden Präsentation eines Gesamtergebnisses zum Status quo des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit, als letzter Schritt darüber hinausgehende Anregungen für die zukünftige Gestaltung des RFSR dargelegt.

Um eine noch bessere Orientierung innerhalb der komplexen Materie des RFSR zu ermöglichen und den Untersuchungsverlauf nachvollziehbar zu machen, werden im Folgenden die Problemstellung (A.), die Zielsetzung (B.) der Aufbau (C.) sowie die Untersuchungsmethodik (D.) dieser Arbeit noch einmal dezidierter dargelegt:

A.Problemstellung

Der RFSR ist ein umfassendes juristisches Konzept der Europäischen Union, anhand dessen die Innen- sowie Justizpolitik der Mitgliedstaaten angeglichen wird. Der RFSR ist im Laufe des EU-Entwicklungsprozesses aufgrund der Notwendigkeit entstanden, dass die durch den Binnenmarkt bedingte wirtschaftliche Öffnung der Mitgliedstaaten einer begleitenden Ausgestaltung mittels der Innen- und Justizpolitik bedurfte. Das Konzept des RFSR sollte ursprünglich nur gewährleisten, dass sich die EU-Bürger durch die Konzeption des RFSR in allen Mitgliedstaaten frei bewegen können, ohne dass damit eine Minderung ihrer Sicherheit oder ihres Rechtsstatus einhergeht. Von dieser „Anhängsel“-Position als primäre Ergänzung zum Binnenmarkt hat sich der RFSR (wie aufzuzeigen sein wird) mittlerweile gelöst und sich zu einem eigenständigen Teilbereich der EU entwickelt, dessen zentrales Anliegen die (Rechts-)Stellung des Bürgers in der EU nach Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 Abs. 1 AEUV und Absatz 1 der Binnenpräambel der EU-Grundrechtecharta ist.

Aufgrund dieser Zielausrichtung des RFSR, die den Bürger in den Mittelpunkt des Unionshandelns stellt2, und des breiten Regelungsbereiches der Justiz- und Innenpolitik, ist der RFSR für die EU als Institution sowie für die europäische Integration von wesentlicher Bedeutung. Dem geschuldet hat sich der RFSR mittlerweile zu einem der zentralen Politikfelder der EU entwickelt und steht nunmehr als eines der großen Integrationsprojekte des europäischen Einigungsprozesses ←22 | 23→auf gleicher Stufe wie die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie der Binnenmarkt.3 Dadurch ist mit dem RFSR eine signifikante neue Dimension der EU entstanden4, die weit über die zuvor dominierenden wirtschaftlichen, sozialen sowie ökologischen Ziele hinausgeht5 und auf dem Weg zu der Etablierung einer „Europäischen öffentlichen Ordnung“ ist.6

Um seiner Aufgabe der Angleichung der Justiz- und Innenpolitik mit dem Fokus auf die Rechtsstellung der EU-Bürger gerecht zu werden, umfasst der Oberbegriff RFSR einen komplexen heterogenen Themenbereich, welcher von Asyl, Visa und Einwanderungspolitik über die justizielle Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen bis zur polizeilichen Zusammenarbeit und dem Schengen-Abkommen reicht. Hierbei soll den EU-Bürgern durch die Normierungen des RFSR die drei grundlegenden öffentlichen Güter „Freiheit“‚ „Sicherheit“ und „Recht“ geboten werden.7 Diese drei Güter basieren auf einer Begrifflichkeit, die in der Philosophie der Aufklärung wurzelt und in der Rechtsstaatlichkeit ihre konkrete Gestalt gefunden hat, indem sie deren Grundfesten bilden und Voraussetzung für die Ausübung aller Grund- und Menschenrechte sind. Mit der Bereitstellung des RFSR hat sich die EU nach Art. 67 Abs. 1 AEUV zur Aufgabe gemacht, die Stellung des einzelnen Bürgers sowie das Zusammenleben aller Bürger in der EU zu verbessern und ihre Realisierungsmöglichkeiten auszuweiten. Damit sind die Trias der öffentlich-rechtlichen Güter „Freiheit, Sicherheit und Recht“ materiell-rechtlich konstitutiv für den RFSR.

Da der RFSR mit den Bereichen der Innen- sowie Justizpolitik zudem die wesentlichen Funktionen respektive Vorrechte des Nationalstaates berührt und zahlreiche grundrechtssensible Belange beinhaltet, stellt der RFSR nicht nur ein sehr komplexes und umfangreiches, sondern ebenso ein spannungsgeladenes Normenkonstrukt des EU-Rechts dar. Denn bei den Rechtsbereichen des RFSR handelt es sich im Wesentlichen um originär staatliche Aufgaben, was den RFSR in das Spannungsfeld der staatlichen Souveränität der Mitgliedstaaten rückt. So berührt der RFSR die Elementarfunktionen eines Staates, wie die Gewährleistung eines funktionierenden Justizsystems, der Garantie der Sicherheit der eigenen Bürger, der Kontrolle des Zugangs zum Staatsgebiet und dessen öffentliche Ordnung – mithin die Bestimmung über Freiheit, Sicherheit und Recht als die traditionelle Funktion der modernen demokratischen öffentlichen Ordnung.8 Damit tangiert der RFSR den Wesensgehalt der (mitglieds-)staatlichen Existenz.

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Die EU substituiert durch den RFSR zwar keinesfalls die Mitgliedstaaten als primäre Garanten der öffentlichen Ordnung, jedoch ist der zunehmende Einfluss des RFSR und damit dessen Entwicklung als zusätzlicher Garant nicht zu negieren9. Die EU hat es sich mit der Schaffung des RFSR zur Aufgabe gemacht, die Trias der öffentlich-rechtlichen Güter in der EU umfassend zum Vorteil aller Bürger zu etablieren und somit von seiner Kopplung an den jeweiligen Mitgliedstaat im Sinne der europäischen Integration zu lösen, indem die EU Freiheit, Sicherheit und Recht für alle Bürger gleichermaßen in jedem Mitgliedstaat bietet. Der Umstand, dass sich der RFSR materiell-rechtlich in einem Spannungsfeld zwischen den souveränen Mitgliedstaaten der EU befindet, welche sich in der Wahrnehmung ihrer originär staatlichen Aufgaben zum Teil bedroht sehen, erschwert die effektive Umsetzung des RFSR.

In dem breiten aufgezeigten potenziellen Maßnahmenbereich des RFSR gegenüber dem Einzelnen fallen einige der stärksten Formen (mitglieds-)staatlicher Machtausübung, wie der Freiheitsentzug durch Verhaftung und Gefängnisstrafen, das Einfrieren von Vermögenswerten, die Ausweisung, die Einreiseverweigerung und die Speicherung, Auswertung sowie der Weitergabe von personenbezogenen Daten.10 So können sich Maßnahmen im RFSR tief greifend auf die Rechte des Einzelnen auswirken11 und diese viel intensiverer berühren als etwa durch wirtschaftliche Regelungen im Bereich des Binnenmarktes. Aufgrund dieser potentiellen Eingriffsintensivität von RFSR-Normierungen ist der Schutz der Rechte des Einzelnen im RFSR von besonderer Bedeutung. Andernfalls kann der EU-Bürger vom primär Begünstigten des RFSR schnell zu einem seiner Opfer werden.12 Dies gilt auch für Drittstaatsangehörige, die als Asylsuchende oder illegale Einwanderer der restriktiven Seite der EU-Asyl- und Einwanderungspolitik ausgesetzt sein können. Mithin können Maßnahmen im RFSR besonders gravierende Auswirkung auf die Wahrung der Rechte des einzelnen Bürgers haben, sodass hier das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit besonders relevant ist.13

Doch gerade die öffentlich-rechtlichen Güter Freiheit und Sicherheit stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander und können sich gegenseitig limitieren, da die uneingeschränkte Erfüllung des einen zumeist mit einer Beeinträchtigung des anderen einherzugehen scheint. So stärkt die Abschaffung der Grenzkontrollen zwischen den EU-Mitgliedstaaten das Freiheitsrecht der Bürger, erschwert aber gerade aufgrund der fehlenden Kontrolle die Straftatenbekämpfung und kann somit die Sicherheit der Bürger verringern. Die Ausbalancierung des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit steht zudem in Zeiten der Globalisierung vor immer neuen Hürden, ein abwägender Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit ist ←24 | 25→daher heutzutage erforderlicher als je zuvor.14 Gleichwohl sind Sicherheit und Freiheit in dem mitgliederstarken RFSR der EU umstrittene Güter, welchen komplexe historisch bedingte Überzeugungen und Wahrnehmungen in kultureller, politischer und sozio-ökonomischer Hinsicht zugrunde liegen.15 Daher wird im Rahmen dieser Arbeit eingehend auf die Bedeutung von Freiheit und Sicherheit sowie die Determinanten für deren rechtsstaatlich angemessenes Verhältnis eingegangen.

Im aktuellen Zusammenhang mit der internationalen Terrorgefahr sowie der Währungs- und Finanzkrise sind Sicherheitsfragen in den Fokus des RFSR gerückt. Ebenso schüren die fortschreitende Erweiterung der EU sowie des zunehmenden Migrationsdrucks an den Außengrenzen der EU16 Ängste der Bürger und lassen den Ruf nach erhöhten Sicherheitsmaßnahmen laut werden.17 Hierbei besteht die Gefahr, dass den Sicherheitsbelangen gegenüber den Freiheitsrechten zu schnell der Vorrang gewährt wird, ohne die Notwendigkeit sowie die Konsequenzen dieses Vorgehens zu erwägen. Denn Freiheit ist das zentrale Rechtsgut des Menschen und des Rechtsstaats. Insbesondere im Handeln (und Unterlassen) der öffentlich-rechtlichen Institutionen, denen die Sicherheit der Bürger, die Verfolgung von Straftaten oder das Management von grenzüberschreitenden Migrationsbewegungen anvertraut ist, spiegelt sich der jeweilige Herrschaftscharakter einer öffentlichen Ordnung unmittelbar wider. Insofern ist der Innen- und Justizpolitik des RFSR ein Wertebezug zum Freiheitsrecht inhärent. In keinem anderen Politikfeld der EU ist jedoch das Spannungsverhältnis zwischen der Verpflichtung auf den gemeinsamen Wert des Freiheitsrechts und deutlichen Defiziten bei dessen praktischer Umsetzung derart offenkundig wie hier.18 Das Gut der Freiheit bedarf gerade in Zeiten, in denen zunehmend die Sicherheit im Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit steht, der Verteidigung gegenüber allzu leichtfertigen Beschränkungen zugunsten einer vermeintlichen Sicherheit.

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Viele Bürger haben zudem das Gefühl durch die EU ignoriert und übergangen zu werden. Dieses tatsächliche Problem der Intransparenz und der mangelnden Teilhabe verleiht der EU berechtigterweise den Anschein eines zu wenig demokratischen (Eliten-)Projekts und steht der wirksamen Handhabung des Freiheitsrechts der Bürger entgegen.19 Dieses gilt im besonderen Maße für den grundrechtssensiblen Bereich des RFSR.20 Auch aufgrund der Integrationszielrichtung des RFSR ist es von erheblicher Bedeutung den EU-Bürgern zu vermitteln, dass der RFSR zu ihren Gunsten besteht und „es hier um mehr geht, als nur um eine bloße Aneinanderreihung repressiver Entscheidungen“.21 Dabei muss im Wege einer offeneren kritischen Auseinandersetzung22 spürbar gemacht werden, dass der RFSR einen Vorteil bietet, indem er die Freiheit des Einzelnen erweitert sowie die Bürgerrechte stärkt und diese nur dort reglementiert, wo es zur Sicherheitsgewährleistung der Menschen unabdingbar ist. Hier ist es wichtig nicht allein einen wirtschaftlichen Schwerpunkt zu setzten, bei dem die Wertigkeit der EU anhand einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung berechnet wird, sondern die historische Kernbotschaft der EU auf den RFSR anzuwenden: Die Gewährleistung eines lang anhaltenden Friedens in der EU durch die Stärkung des Freiheitsrechts in dem gesamten RFSR.23 Werden die Gewichtungen jedoch anders gesetzt, kann eine erfolgreiche europäische Integration mangels grundlegender Legitimation und Akzeptanz bei den Bürgern schwer gelingen, wie sich an den gescheiterten Referenden zum Verfassungsvertrag sowie an dem erfolgreichen „Brexit“ aufzeigen lässt.

Aufgrund der aufgezeigten Faktoren sowie des Umstandes, dass der RFSR originär staatliche Aufgaben berührt und die Rechtsstellung der Bürger stark beeinflusst, ist die Etablierung respektive Aufrechterhaltung eines rechtsstaatlich angemessenen Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit in dem umfangreichen Themenkomplex des RFSR, nicht nur eine schwierige, sondern vor allem eine wesentliche Aufgabe. Dieses gilt umso mehr, als dass der RFSR eine immer wichtigere Rolle im Gefüge der EU spielt.

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B.Zielsetzung der Arbeit

Angesichts der dargelegten Problemstellung bezüglich des RFSR, ist es Gegenstand und Ziel dieser Arbeit zu untersuchen, wie sich das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR entwickelt hat und inwieweit der RFSR den EU-Bürger nach dem EU-Primärrecht tatsächlich ein angemessenes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit bietet. Die Ausrichtung auf die Untersuchungsparameter Freiheit und Sicherheit begründet sich aus der aufgezeigten besonderen Beziehung zwischen diesen beiden Gütern sowie deren Relevanz für den RFSR als öffentliche Ordnung.24 Im Rahmen dieser Schwerpunktsetzung wird jedoch auch das Recht als drittes öffentlich-rechtliches Gut einbezogen, da es innerhalb des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit als vermittelndes Element fungiert.

Diese Zielsetzung ist in drei Teilziele untergliedert, die aufeinander aufbauen. Das erste Teilziel besteht darin, die Notwendigkeit und insbesondere die Voraussetzungen eines rechtsstaatlich angemessenen Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit als Paradigmen öffentlicher Ordnung theoretisch herauszuarbeiten. Das zweite Teilziel liegt darin, die Entwicklung des RFSR zu einem eigenständigen Teilbereich der EU zu untersuchen, um aufzuzeigen, dass und warum es sich bei dem RFSR um eine öffentliche Ordnung der EU handelt, in dem die öffentlich-rechtlichen Güter Freiheit und Sicherheit zur Anwendung kommen. Daran anschließend wird die Funktionalität sowie Wirkungsweise des RFSR erörtert, da diese Mechanismen die Rechtssetzung und Umsetzung des RFSR-Rechts bedingen. Das dritte Teilziel bildet den Schwerpunkt der Arbeit und führt die beiden zuvor erörterten Aspekte zusammen, indem das Primärrecht des RFSR als zentraler Untersuchungsparameter auf das konkrete Verhältnis von Freiheit und Sicherheit hin chronologisch analysiert wird. Dabei gilt es festzustellen, ob es der EU tatsächlich gelingt, ein rechtsstaatlich angemessenes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit zugunsten der Menschen in der EU zu wahren und so ein „Europa der Bürger“ zu schaffen. Hierbei ist auch aufzuzeigen, ob und inwiefern das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit Einfluss auf den europäischen Integrationsprozess hat.

Da mit dem weiten und komplexen Rechtsgebiet des RFSR ein Themenkreis eröffnet ist, der den Umfang dieser Arbeit sprengen würde, kann und wird hier nicht auf die einzelnen Rechtsbereiche des RFSR detailliert eingegangen. Zu den einzelnen Politiken des RFSR gibt es bereits umfassende Literatur25, sodass sich diese Arbeit vielmehr auf das grundlegende Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im Primärrecht des gesamten RFSR fokussiert.

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Trotz des rasch zunehmenden Stellenwerts des RFSR in den letzten Jahren ist dessen Gesamtzusammenhang im Vergleich zu anderen EU-Politikbereichen wenig wissenschaftlich untersucht.26 So ist auch die genannte Zielsetzung in der Fachliteratur nur am Rande behandelt worden. Diese Lücke soll die vorliegende Arbeit schließen helfen, ganz im Sinne des Aufrufs der EuGH-Generalanwältin Sharpston hinsichtlich des RFSR: „It would be very good if the academic community would also contribute thoughtfully to the debate.“27 Diese Untersuchung soll damit einen aktuellen Beitrag zur wissenschaftlichen Erörterung des RFSR leisten, indem anhand einer dogmatischen Auseinandersetzung neue Erkenntnisse erarbeitet werden und so Impulse für eine weiterführende rechtswissenschaftliche Diskussion über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR geben werden.

Daneben ist der RFSR im Vergleich zu der Währungsunion oder dem Binnenmarkt in der öffentlichen Debatte wenig präsent, was partiell der komplexen Konstruktion des RFSR sowie seiner Rechtsbereiche geschuldet ist. Zwar ist der RFSR seit 2001 infolge der terroristischen Anschläge in den USA und Europa28 stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt.29 Dennoch führt der RFSR immer noch ein Schattendasein und damit werden tief greifende Veränderungen in die Rechte der Bürger weitgehend nicht wahrgenommen30, was angesichts der Regulierung zahlreicher grundrechtsrelevanter Aspekte im RFSR besonders relevant ist. Diese Arbeit soll einen wissenschaftlichen Beitrag dazu leisten, die Bedeutung von Freiheit und Sicherheit im RFSR hervorzuheben und erkenntlich zu machen.

Der Abschluss der inhaltlichen Bearbeitung erfolgte am 31. Oktober 2016, sodass alles danach Erscheinende respektive sich Ereignende nicht mehr in die Untersuchung aufgenommen werden konnte. Lediglich einzelne Ereignisse auf EU-Ebene wurden zur Verdeutlichung der aktuellen Brisanz der Thematik eingearbeitet.

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C.Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit ist in fünf Teile untergliedert, wobei Teil I sowie Teil V einführende sowie resümierende Funktion haben und Teil II respektive III als theoretische Grundlage für die Hauptuntersuchung in Teil IV dienen.

Teil I bildet die Einleitung in die zu untersuchende Materie. Hierbei wird zuerst die Problemstellung (unter A.) des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im RFSR aufgezeigt, mit welcher sich die Arbeit befasst. Sodann wird daran ausgerichtet die konkrete Zielsetzung (B.) der Untersuchung dargelegt und abschließend der Aufbau der Arbeit (C.) erörtert.

Eine Untersuchung des RFSR anhand des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit ist substantiiert nicht möglich, ohne die Bedeutung dieser Termini sowie deren Beziehung zueinander vorab zu erörtern. In Teil II erfolgt daher die Zuordnung von Freiheit und Sicherheit als Paradigmen öffentlicher Ordnung im RFSR. Hier soll als Grundlage der späteren Untersuchung der RFSR-Normen aufgezeigt werden, wieso ein ausgeglichenes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit wesentlich für den RFSR ist und wie dieses konkret zu gestalten ist. Hierzu wird zuerst eine konzeptionelle Klärung von Freiheit und Sicherheit rechtsphilosophisch sowie rechtstheoretisch vorgenommen, indem deren Bedeutung sowie Notwendigkeit als Paradigmen öffentlicher Ordnung historisch hergeleitet werden (A.). Darauf aufbauend werden die Folgerungen für die Zuordnung von Freiheit und Sicherheit im RFSR als die Voraussetzungen, an denen ein rechtsstaatlich angemessenes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in einer öffentlichen Ordnung wie dem RFSR festzustellen ist, dargelegt (B.). Dieses Kapitel stellt damit die zentrale rechtstheoretische Grundlage der Arbeit dar.

Die andere Grundlage für die Untersuchung des Verhältnisses der öffentlich-rechtlichen Güter Freiheit und Sicherheit im RFSR ist die Darlegung, dass es sich bei dem RFSR um eine öffentliche Ordnung der EU handelt. Daher wird in Teil III die Eigenständigkeit des RFSR in der Konstruktion der EU erörtert. Zudem ist die Entkopplung des RFSR vom Binnenmarkt in der einschlägigen Fachliteratur bisher als eigener Untersuchungsgegenstand nicht eingehend erörtert worden, sondern wird lediglich im Kontext anderer Thematiken meist relativ knapp festgestellt. In diesem Sinne wird die Entwicklung des RFSR zu einem eigenständigen Teilbereich anhand der chronologischen Erörterung des EU-Primärrechts sowie der Umsetzungsprogramme und den Aktionsplänen dargelegt (A.). Dem schließt sich eine kurze Untersuchung der Abgrenzungskriterien zwischen dem RFSR und dem Binnenmarkt respektive der Unionsbürgerschaft an (B.), da diese EU-Bereiche eng zusammenhängen sowie diverse Überschneidungen aufzeigen, jedoch jeweils unabhängig voneinander sind. Sodann wird das Konzept des Raumes in dem eigenständigen RFSR dargelegt und dessen Bedeutung für das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR (C.) aufgezeigt. Daran gekoppelt erfolgt die Erörterung der wichtigsten Strukturmerkmale respektive rechtlichen Umsetzungsgrundsätze des RFSR (D.), um die Funktionsweise des RFSR darzulegen. Abschließend wird die ←29 | 30→Relevanz des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im RFSR für den europäischen Integrationsprozess aufgezeigt (E.).

In Teil IV wird das konkrete Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR-Recht untersucht. Damit bildet dieser Teil den Schwerpunkt der Arbeit. Hier wird das zuvor unter Teil II und III theoretisch Erarbeitete auf die RFSR-Normen praktisch angewendet. Dabei wird das tatsächliche Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR-Recht unter Einbeziehung der EuGH-Rechtsprechung untersucht, um zu erörtern, ob und inwiefern das zuvor unter Teil II festgestellte angemessene Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR erreicht wird. Es gilt herauszuarbeiten, wie sich das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR bis zu dem jetzigen Zeitpunkt entwickelt hat und inwieweit das RFSR-Primärrecht substantielle primärrechtliche Neuerungen in Ausgestaltung und Funktion des RFSR hinsichtlich des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im RFSR beinhaltet. Diese chronologische Untersuchung beginnt mit dem Vertrag von Maastricht (A.), über den Vertrag von Amsterdam (B.), den Vertrag von Nizza (C.) und endet mit dem Schwerpunkt auf dem aktuellen Vertrag von Lissabon (D.). Jeweils zeitlich eingeordnet werden die zu den Verträgen gehörigen Umsetzungsdokumente erörtert. Im Rahmen des Lissabon-Vertrages wird darüber hinaus die neue Grundrechte-Charta der EU untersucht und die Differenzen zu dem nicht in Kraft getretenen Verfassungsvertrag aufgezeigt.

Teil V beendet die Bearbeitung in Form eines Resümees mit Schlussfolgerungen. Dabei wird zunächst ein Fazit gezogen und das Ergebnis der gesamten Untersuchung zusammenfassend dargelegt (A.). Abschließend erfolgen Anregungen für die künftige Ausgestaltung der behandelten Thematik mitsamt eines Ausblickes auf mögliche künftige Entwicklungen (B.).

D.Untersuchungsmethodik der Arbeit

Die Untersuchungsmethode der vorliegenden Arbeit ist daran ausgerichtet, dass mit der Erörterung des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im RFSR ein problemorientiertes Thema behandelt wird, welches auf einer rechtstheoretischen sowie rechtsphilosophischen Thematik basiert. In diesem Sinne wird das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im RFSR grammatisch, historisch, systematisch und teleologisch ermittelt.31 Im Rahmen dessen ist es aufgrund der dynamischen Entwicklung des EU-Rechts notwendig mehrere Gesetzesfassungen parallel zu verwenden, um die Rechtsentwicklung nachvollziehbar darstellen zu können.

Die normative Grundlage dieser Arbeit sind daher das chronologisch zu untersuchende EU-Primärrecht zum RFSR sowie die jeweils zu den Verträgen dazugehörigen Protokolle respektive Erklärungen. Hinzu kommen insbesondere die einschlägigen Umsetzungsprogramme sowie Aktionspläne zum RFSR, da diese ausschlaggebend für die konkrete Umsetzung der RFSR-Normen sind. Um angesichts ←30 | 31→dieser vielschichtigen Untersuchungsmaterie eine Übersichtlichkeit zu gewährleisten, wird an die jeweilige Rechtsquelle stets die in Bezug genommene Vertragsfassung angehängt, sodass etwa „Art. xy EUV-Nizza“ für die jeweilige Norm des durch den Nizza-Vertrag konsolidierten EUV steht und „Art. xy EUV-Lissabon“ für die gleiche Norm des durch den Lissabon-Vertrag konsolidierten EUV.

Innerhalb der Erörterung dieses Rechtsrahmens wird angesichts des Untersuchungsgegenstandes ausschließlich auf solche Normen eingegangen, die dem RFSR zugeordnet sind respektive sich auf diesen beziehen und zudem Relevanz für den Eigenständigkeitsprozess des RFSR bzw. das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit haben. Aus diesem Grunde werden auch allein Grundsatzentscheidungen des EuGHs und dessen Auslegung des RFSR bezüglich des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit im Rahmen dieser Arbeit erörtert. Auf die einzelnen Politiken des RFSR respektive das EU-Sekundärrecht zum RFSR wird daher nur in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand eingegangen, da alles andere einen angemessenen Bearbeitungsumfang nicht zulassen würde.

1Benjamin Franklin, Remarks on the Propositions (A Plan which it is believed would produce a permanent union between Great Britain and her Colonies, 1775), in: Memoirs of the life and writings of Benjamin Franklin, Vol. 1, William Temple Franklin (Hrsg.), T.S. Manning, Philadelphia 1818, S. 333–334.

2Vgl. 2013 war das offizielle „Europäischen Jahr der Bürgerinnen und Bürger“, Ziel dieser Initiative war es die Rechte aller EU-Bürger zu fördern. Vgl. IP/12/1253 v. 23.11.2012 der EU-Kommission; EU-Kommission, Standard Eurobarometer 79/Frühjahr 2013, durchgeführt von TNS Opinion & Social.

3Monar, Der RFSR in der erweiterten Union, S. 221.

4Kaunert, Construction of a ‚European Public Order‘, S. 470.

5Dobin, Migration und Schutz der inneren Sicherheit: rechtliche Fragen der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, S. 50.

6Kaunert, Construction of a ‚European Public Order‘, S. 460 ff.

7Monar, Die Vertragsreformen von Lissabon in den Bereichen Inneres und Justiz: verstärkte Handlungsfähigkeit, Kontrolle und Differenzierung, S. 379.

8Baker/Hardin, From past imperfect to future perfect? A longitudinal study of the third pillar, S. 37.

9Vgl. auch Bogdandy/Bast – Monar, S. 751.

10Siehe auch Bogdandy/Bast – Monar, S. 751.

11So auch Sharpston, S. 439 f.

12Vgl. auch Bogdandy/Bast – Monar, S. 789–795.

13So auch Sharpston, S. 441.

14Thiel, S. 182.

15Anderson/Apap, Striking a Balance between Freedom, Security and Justice in an enlarged European Union, S. 5.

16Müller-Graff/Repasi, Asyl-, Einwanderungs- und Visapolitik, S. 143. In der nationalen Ausgabe der Meinungsumfrage Eurobarometer vom 19.02.2015 geben 37 Prozent der befragten Deutschen an, dass Migration die größte Herausforderung für die EU und für Deutschland ist, vgl. Standard Eurobarometer 82, abgerufen am 15.03.2016 unter http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb82/eb82_de_de_nat.pdf. Die Meinungen zur Migration hängen jedoch davon ab, ob die Zuwanderer aus EU-Ländern oder aber aus Drittstaaten stammen. 52 Prozent der EU-Bürger und 50 Prozent der befragten Deutschen begrüßen die Einwanderung von Menschen aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Der Einwanderung aus Drittstaaten stehen hingegen nur 35 Prozent der EU-Bürger sowie 29 Prozent der Deutschen positiv gegenüber.

17Müller-Graff/Repasi, Asyl-, Einwanderungs- und Visapolitik, S. 151.

18Knelangen, Nachbarn in Sicherheit, Freiheit und Recht? Inneres und Justiz: Ambivalenzen der EU, S. 263.

19Stephan Wohanka, Europa als „Elitenprojekt“, 23.02.2014, abgerufen am 17.06.2014, http://www.euractiv.de/europawahlen-2014-000394/artikel/europa-als-elitenprojekt-008578.

20Stephan Wohanka, Europa als „Elitenprojekt“, 23.02.2014, abgerufen am 17.06.2014, http://www.euractiv.de/europawahlen-2014-000394/artikel/europa-als-elitenprojekt-008578.

21Wenceslas de Lobkowicz: L’Europe et la sécurité intérieure, Paris (La documentation Francaise) 2002, S. 13.

22Siehe Interview mit Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, FAZ, 04.05.2014, Reinhard Müller, abgerufen am 17.06.2014 unter http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/verfassungsgerichtspraesident-vosskuhle-offene-diskussion-ueber-europa-12922802.html.

23FAZ, 13.05.2014, Dr. Thomas Petersen, abgerufen am 17.06.2014 unter http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/allensbach-umfrage-fuer-die-f-a-z-europa-profitiert-von-kriegsangst-12937761.html.

24Wenn und insoweit im Rahmen dieser Arbeit der Begriff „Staat“ sowie „staatlich“ verwendet wird, so sind hiermit die Mitgliedstaaten der EU gemeint, die als einzelne Staaten die EU bilden. Eine etwaige Staatlichkeit der EU ist mithin nicht in Bezug genommen.

25Wie dem Literaturverzeichnis dieser Arbeit zu entnehmen ist.

26Kaunert, Construction of a ‚European Public Order‘, S. 460 sowie Lavenex/Wagner, Which European Public Order?, S. 225.

Details

Seiten
462
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631767177
ISBN (ePUB)
9783631767184
ISBN (MOBI)
9783631767191
ISBN (Paperback)
9783631767160
DOI
10.3726/b14788
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Europäische Integration Freiheitsrecht Grundrechte Datenschutz Lissabon-Vertrag Innen- und Justizpolitik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 462 S., 1 s/w Abb.

Biographische Angaben

Valeska Nieden (Autor:in)

Valeska zur Nieden studierte Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg und an der Nationalen und Kapodistrias-Universität Athen. Sie ist in einer Rechtsanwaltskanzlei tätig und arbeitet zudem als Juristin in der Privatwirtschaft.

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Titel: Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
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