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Beschäftigtendatenschutz nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung

Möglichkeiten und Grenzen für Big Data-Anwendungen im Personalwesen

von Nicolai Culik (Autor:in)
Dissertation 302 Seiten

Zusammenfassung

Die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) ist seit Mai 2018 unmittelbar anwendbar. Trotz einer Öffnungsklausel für den Beschäftigtendatenschutz ergeben sich große Neuerungen zum Beispiel für betriebliche Datenschutzbeauftragte. Ebenso besteht dadurch die Möglichkeit, Regelungen durch Betriebsvereinbarungen zu treffen. Der Autor untersucht die europarechtlichen Vorgaben etwa hinsichtlich Zweckbindung, Profiling und Scoring und lotet den nationalen Gestaltungsspielraum und die Auswirkungen für die Praxis aus. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Beurteilung von Big Data-Anwendungen, die im Personalwesen etwa im Bereich der Eignungsdiagnostik bereits vermehrt eingesetzt werden. Die Ergebnisse liefern einen wertvollen Beitrag für die Diskussion über die Möglichkeit und die Notwendigkeit eines eigenständigen Beschäftigtendatenschutzgesetzes.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Literaturverzeichnis
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Kapitel: Einleitung
  • A. Datengestützte Personalentscheidungen in der digitalisierten Arbeitswelt
  • B. Kernfragen und Gang der Untersuchung
  • 2. Kapitel: Big HR Data Analytics-Anwendungen
  • A. Big HR Data Analytics als Arbeitsbegriff
  • I. Big Data-Charakteristika
  • 1. Volume
  • 2. Variety
  • 3. Velocity
  • 4. Weitere Merkmale
  • II. Beurteilung
  • 1. Unterschiede zu gewöhnlichen Business Intelligence-Lösungen
  • 2. Zur Verwendung des Begriffs
  • B. Berufliche Eignungsdiagnostik
  • I. Einführung in die psychologische Personalauswahl
  • 1. Grundlagen und Überschneidungen mit Big Data-Analysen
  • 2. Grenzen menschlicher Entscheidungskompetenz
  • a) Perpetuierung von Machtverhältnissen
  • b) Gefahr der Diskriminierung
  • II. Ausgewählte Merkmale und Methoden
  • 1. Biografische Daten
  • 2. Intelligenz
  • 3. Persönlichkeitsmerkmale nach dem Big Five-Modell
  • 4. Weitere Ansätze
  • III. Unterstützung durch Big HR Data Analytics
  • C. Bestandsaufnahme aktueller Anwendungen
  • I. Bisherige Verbreitung
  • 1. Deutschland
  • 2. Großbritannien/USA
  • 3. Erklärung und Ausblick
  • II. Aktuelle Anwendungsbeispiele
  • 1. Automatisierte Stimmenanalyse zur Bewerberauswahl
  • 2. Auswertung von Kommunikationsverhalten und Gesundheitszustand
  • 3. Background Checks durch Social Media-Analysen
  • 4. Erstellung von Persönlichkeitsprofilen zur Personalbindung
  • 5. Weitere Anwendungsszenarien
  • D. Vorteile und Risiken abseits des Datenschutzes
  • I. Vorteile datengestützter Personalauswahl
  • II. Risiken datengestützter Personalauswahl
  • 1. Diskriminierung durch Algorithmen
  • a) Unbewusste Diskriminierung
  • b) Mittelbare Diskriminierung
  • c) Differenzierungskriterien außerhalb des AGG
  • d) Fehlerhafte Daten oder Algorithmen
  • 2. Nachvollziehbarkeit der Analyseergebnisse
  • E. Ergebnis
  • 3. Kapitel: Auswirkungen der DS-GVO auf den Beschäftigtendatenschutz
  • A. Beschäftigtendatenschutz auf EU-Ebene
  • I. Bisheriges System
  • 1. Primärrechtliche Kompetenzgrundlage für den Beschäftigtendatenschutz
  • a) Umfassende Kompetenzgrundlage
  • aa) Spezifische Kompetenzgrundlage für den Datenschutz
  • bb) Freier Datenverkehr
  • cc) Binnenmarktkompetenz
  • b) Beschränkte Kompetenzgrundlage
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Sekundärrecht
  • a) EG-Datenschutzrichtlinie
  • b) Sektorspezifische Vorgaben
  • II. Neuregelung durch die DS-GVO
  • 1. Gesetzgebungsprozess
  • 2. Bedeutung
  • a) Verbindliche und unmittelbare Wirkung
  • b) Anwendungsvorrang
  • B. Vorgaben für den nationalen Beschäftigtendatenschutz
  • I. Bisherige nationale Entwicklung
  • II. Regelungsmöglichkeiten nach der DS-GVO
  • 1. Die DS-GVO: Zwischen Verordnung und Richtlinie
  • 2. Die Öffnungsklausel für den Beschäftigtendatenschutz
  • a) Big HR Data Analytics im Anwendungsbereich der Öffnungsklausel
  • b) „Spezifischere“ Vorschriften
  • aa) Konkretisierungen
  • bb) Abweichungen
  • (1) Strengere Vorschriften
  • (2) Ausgleich widerstreitender Grundrechte und Grundfreiheiten
  • cc) Zwischenergebnis
  • c) Ausfüllen durch Rechtsvorschriften und Kollektivvereinbarungen
  • III. Anpassung an nationales Recht
  • 1. Nebeneinander von DS-GVO und § 26 BDSG n.F.
  • 2. Möglichkeit zukünftiger Regelungen
  • 4. Kapitel: Big HR Data Analytics-Maßnahmen im Anwendungsbereich der DS-GVO
  • A. Bereichsspezifische Regelungen
  • I. Anwendbarkeit des TKG
  • 1. Das TKG als Umsetzung der ePrivacy-Richtlinie
  • 2. Der Arbeitgeber als Diensteanbieter nach dem TKG
  • 3. Differenzierung nach Regelungsinhalt
  • a) Privatnutzung vom Arbeitgeber nicht ausdrücklich gestattet
  • b) Privatnutzung vom Arbeitgeber gestattet
  • II. Anwendbarkeit des TMG
  • III. Ergebnis
  • B. Sachlicher Anwendungsbereich
  • I. Personenbezug von Daten
  • 1. Information
  • 2. Identifizierte oder identifizierbare natürliche Person
  • a) Objektiver und subjektiver Personenbezug
  • b) Gesetzeszweck und rechtspolitische Erwägungen
  • c) Wahrscheinlichkeit der Identifizierung
  • d) Zusatzwissen Dritter
  • e) Zwischenergebnis
  • 3. Planungsdaten, Prognosen und Scores
  • a) Bestandteil der Identität der Beschäftigten
  • b) Abstrakte Planungsdaten
  • c) Besonderheiten bei Prognosedaten
  • d) Zwischenergebnis
  • 4. Anonymisierte Beschäftigtendaten
  • a) Anonyme Daten vs. personenbezogene Daten
  • b) Möglichkeiten anonymisierter Big HR Data Analytics- Verarbeitungen
  • aa) Erhebung anonymisierter Daten
  • bb) Nachträgliche Anonymisierung
  • c) Zwischenergebnis
  • 5. Pseudonymisierte Beschäftigtendaten
  • a) Pseudonymisierung und relativer Personenbezug
  • b) Schwächen der Pseudonymisierung
  • c) Verarbeitung pseudonymisierter Daten durch externe Dienstleister
  • 6. Ergebnis
  • II. Automatisierte Verarbeitung oder Dateibezug
  • C. Räumlicher Anwendungsbereich
  • I. Niederlassungsprinzip
  • II. Marktortprinzip
  • III. Nationale Anpassung
  • IV. Ergebnis
  • D. Der Begriff des „Beschäftigten“
  • I. EU-rechtliche Auslegung
  • II. Nationale Anpassung
  • III. Ergebnis
  • 5. Kapitel: Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung
  • A. Legitimationsgrundlagen
  • I. Gesetzliche Erlaubnisnormen
  • 1. Der Grundsatz der Erforderlichkeit in der DS-GVO und seine Anpassung im nationalen Recht
  • a) Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses
  • b) Konkretisierung durch nationales Recht
  • 2. Zur Erforderlichkeit von Big HR Data Analytics- Anwendungen
  • a) Interessenabwägung
  • b) Übergeordnete Erwägungen
  • aa) Das Beschäftigungsverhältnis im Spannungsfeld von Macht- und Informationsasymmetrie
  • bb) Überwiegen der Beschäftigteninteressen
  • cc) Heranziehung der Sphärentheorie
  • c) Bestand der aufgestellten Rechtsgrundsätze
  • d) Einzelne Wertungen der DS-GVO
  • aa) Nachvollziehbarkeit für den Beschäftigten
  • bb) Datenverarbeitung im Konzern
  • cc) Folgen für den Beschäftigten
  • dd) Streubreite der Verarbeitung
  • 3. Ergebnis
  • II. Einwilligung
  • 1. Voraussetzungen
  • a) Freiwilligkeit
  • aa) Arbeitsrechtliche Erwägungen
  • bb) Vorgaben der DS-GVO
  • cc) Nationale Anpassung
  • dd) Freiwilligkeit bei Bewerbern
  • ee) Grenzen durch das Kopplungsverbot
  • ff) Zwischenfazit
  • b) Bestimmtheit und Informiertheit
  • c) Form
  • d) Widerruf
  • 2. Tauglichkeit für Big HR Data Analytics-Anwendungen
  • a) Rückgriffsverbot
  • b) Unterschiedliche Hürden je nach Beschäftigungsphase
  • c) Unsicherheitsfaktor für die Datenanalyse
  • 3. Ergebnis
  • III. Betriebsvereinbarung
  • 1. Grundvoraussetzungen
  • a) Rechtliche Grundlage
  • b) Verpflichtende Wirkung
  • c) Vorteile
  • d) Anwendbarkeit des BetrVG
  • 2. Die Rolle des Betriebsrats
  • a) Vertretung aller „Arbeitnehmer“
  • b) Mitwirkungsrechte
  • c) Mitbestimmungsrechte
  • aa) Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen
  • (1) Umfang
  • (2) Folgen fehlerhafter Mitbestimmung
  • bb) Personalfragebögen und Beurteilungsgrundsätze
  • (1) Umfang
  • (2) Folgen fehlerhafter Mitbestimmung
  • cc) Auswahlrichtlinien
  • (1) Umfang
  • (2) Folgen fehlerhafter Mitbestimmung
  • d) Zwischenergebnis
  • 3. Schutzstandard von Betriebsvereinbarungen
  • a) Punktuelle Abweichung vom alten gesetzlichen Schutzstandard
  • b) Beachtung des neuen gesetzlichen Mindeststandards
  • c) Zwischenergebnis
  • 4. Der betriebliche Datenschutzbeauftragte
  • a) Bestellung
  • aa) Vorgaben der DS-GVO
  • bb) Nationale Anpassung
  • b) Stellung und Aufgaben
  • c) Verhältnis zum Betriebsrat und Zwischenergebnis
  • IV. Ergebnis
  • B. Grundsätze für die Datenverarbeitung
  • I. Zweckbindung
  • 1. Zweckfestlegung
  • a) Zweckbindung als Kernelement anderer Datenschutzgrundsätze
  • b) Konkretisierungsgrad
  • 2. Ausnahmen von der Zweckbindung im engeren Sinne
  • a) Einwilligung
  • b) Öffnungsklausel
  • c) Kompatibilitätstest
  • aa) Interessenabwägung
  • bb) Rechtsfolgen bei positiven Testergebnis
  • d) Statistische Zwecke
  • 3. Ergebnis
  • II. Datenminimierung
  • 1. Privacy by Design und Privacy by Default
  • 2. Begrenzung durch den Zweck der Datenverarbeitung
  • 3. Speicherbegrenzung
  • a) Zeitliche Dimension der Datenminimierung
  • b) Löschungsansprüche und -pflichten
  • aa) Recht auf Vergessenwerden
  • bb) Weitere Löschungspflichten
  • cc) Rechtfertigungsgründe und Zwischenergebnis
  • 4. Ergebnis
  • III. Direkterhebung
  • 1. Verarbeitung allgemein zugänglicher Daten
  • 2. Wegfall des Direkterhebungsgrundsatzes mit der DS-GVO
  • 3. Einbeziehung in die Verhältnismäßigkeitsabwägung
  • IV. Ergebnis
  • 6. Kapitel: „Klassische“ Big HR Data Analytics-Verfahren
  • A. Verbot automatisierter Entscheidungen im Einzelfall einschließlich Profiling
  • I. Automatisierte Entscheidung im Einzelfall
  • 1. Eigenständiges Verbot
  • 2. Ausschließlichkeitskriterium
  • a) Manuelle Überprüfung
  • b) Vorherige Festlegung der Bedingungen
  • 3. Rechtliche Wirkung oder erhebliche Beeinträchtigung
  • a) Automatisierte Absagen an Bewerber
  • b) Erfolgreiche Bewerbungen
  • 4. Ergebnis
  • II. Datenverarbeitungen im Rahmen der Entscheidungsfindung
  • 1. Profiling
  • a) Grundlegende Erwägungen
  • aa) Schutzgut
  • bb) Verhältnis zu Art. 22 Abs. 1 DS-GVO
  • b) Bewertung von persönlichen Aspekten
  • aa) Grundlage automatisierter Entscheidungen
  • bb) Beschäftigtenscreening
  • cc) Metainformation als Abgrenzungskriterium
  • dd) Wertungsunterschiede zu herkömmlichen Personalbeurteilungen
  • c) Ergebnis
  • 2. Scoring
  • a) Grundlegende Erwägungen
  • aa) Begriffsverständnis
  • bb) Verhältnis zu Art. 22 DS-GVO
  • b) Kompetenz für den Erlass nationaler Vorschriften
  • aa) Art. 22 Abs. 2 lit. b DS-GVO
  • bb) Art. 6 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 23 DS-GVO
  • cc) Konkretisierung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO
  • dd) Zwischenergebnis
  • c) Vorgaben der nationalen Regelung
  • aa) Anwendbarkeit im HR-Bereich
  • bb) Zwecke eines Vertragsverhältnisses
  • cc) Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Verhaltens
  • dd) Wissenschaftlich anerkanntes mathematisch-statistisches Verfahren
  • ee) Erheblichkeit für das Ergebnis
  • d) Ergebnis
  • B. Ausnahmen vom Verbot automatisierter Einzelentscheidungen
  • I. Grundtatbestände
  • 1. Erforderlichkeit
  • 2. Öffnungsklausel
  • 3. Einwilligung
  • 4. Zwischenergebnis
  • II. Garantie angemessener Maßnahmen
  • 1. Systematik
  • a) Nationale Konkretisierung
  • b) Eigenständige Ausnahme
  • 2. Rechte der Beschäftigten
  • a) Interventionsrechte
  • aa) Widerspruchsrecht
  • bb) Berichtigungsanspruch
  • cc) Recht auf Einschränkung der Verarbeitung
  • b) Auskunftsrechte und Informationspflichten
  • aa) Gewährleistung transparenter Entscheidungsfindung
  • bb) Umfang
  • (1) Involvierte Logik
  • (2) Weitere Informationen
  • cc) Form und Antragserfordernis
  • dd) Recht auf Datenübertragbarkeit
  • 3. Technische und organisatorische Maßnahmen des Verantwortlichen
  • a) Verarbeitungsverzeichnis
  • b) Datenschutz-Folgeabschätzung
  • 4. Sanktionen
  • a) Umfang
  • b) Vollzug
  • III. Ergebnis
  • C. Verarbeitung sensibler Daten
  • I. Verbot
  • 1. Begriff
  • 2. Überschneidungen mit dem AGG
  • II. Ausnahmen
  • 1. Rechte und Pflichten des Verarbeiters
  • 2. Weitere Ausnahmen
  • III. Sensible Daten im Rahmen automatisierter Entscheidungen
  • IV. Auswirkungen auf die Anwendung von Big HR Data Analytics
  • 1. Verschiedene Kategorien sensibler Daten
  • 2. Einbeziehung von Wahrscheinlichkeiten
  • V. Ergebnis
  • 7. Kapitel: Schlussbetrachtungen
  • A. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • B. Ausblick: Möglichkeiten und Notwendigkeit eines eigenständigen Gesetzes für den Beschäftigtendatenschutz

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1.  Kapitel: Einleitung

A.  Datengestützte Personalentscheidungen in der digitalisierten Arbeitswelt

Wie nahezu sämtliche Lebensbereiche unterliegt auch die Arbeitswelt dem digitalen Wandel.1 Durch den Einzug neuer Informations- und Kommunikationstechnik in das Arbeitsumfeld ist eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der Wertschöpfungskette erreicht, welche Unternehmer2 auf Produktivitätssteigerungen hoffen lässt.3 Nach der Erfindung der Dampfmaschine, der Automatisierung von Arbeitsprozessen und dem Einzug von Computertechnologie in das Arbeitsleben befinden wir uns inmitten der vierten industriellen Revolution – der Industrie 4.0.4

Die Erteilung von Projektaufgaben über digitale Plattformen an Selbstständige, das Crowdworking,5 beschleunigt den Rückgang von Normalarbeitsverhältnissen und die damit einhergehende Zunahme atypischer Erwerbsformen.6 Der Wunsch der „Generation Y“7 nach mehr Flexibilität im Beruf, etwa der Möglichkeit, mobil oder vom Homeoffice aus zu arbeiten, stellt auf der einen Seite neue Anforderungen an die Personalpolitik der Unternehmen. Auf der anderen Seite verändern sich damit jedoch auch die Erwartungen auf Arbeitgeberseite, beispielsweise dahingehend, dass Arbeitnehmer dem Unternehmen auch in ihrer ← 45 | 46 → Freizeit zur Verfügung stehen sollten. Für die unterschiedlichen Ausprägungen dieser Entwicklung muss das Arbeitsrecht Lösungen anbieten.8

Auch der Datenschutz wird von dieser technologischen Entwicklung vor neue Herausforderungen gestellt,9 denn Industrie 4.0 zeichnet sich gerade durch eine zunehmende Vernetzung von Datenströmen aus.10 Diese entstehen durch den Einsatz „smarter“ Arbeitsgeräte und generieren nicht nur Maschinendaten, sondern auch vermehrt personenbezogene Daten.11 Für private Unternehmen sind Informationen über das Verhalten von Verbrauchern von besonderem Interesse, um Gewohnheiten und Vorlieben erkennen und neue Geschäftsmodelle entwickeln zu können.

Im Zuge der fortschreitenden Entwicklung von Automatisierungsprozessen, selbstlernenden Algorithmen und Künstlicher Intelligenz (KI) ist es absehbar, dass zugunsten höherer Qualifikationsbereiche zukünftig weniger Arbeitsplätze in produzierenden Niedriglohnsektoren benötigt werden.12 Dies betrifft in Deutschland zwar derzeit nur rund 12 % aller Arbeitsplätze, jedoch hängt die Entwicklung stark davon ab, wie sich Betriebe und Volkswirtschaften daran anpassen.13

Weitere Veränderungen sind demographischer Natur.14 Sie werden zu einem Mangel an Fachkräften führen. Um für qualifizierte Arbeitnehmer attraktiv zu bleiben, müssen Unternehmen auf diese Herausforderungen reagieren und im Rahmen der Personalbindung unter anderem mehr Wert auf die Entwicklung ← 46 | 47 → einer Arbeitgebermarke und eines kulturellen Profils legen, sogenanntes „Employer Branding“. In diesem „War for Talents“ wird auch die Fluktuation der Mitarbeiter zunehmen.15

Verstärkt durch diese Entwicklung und die Tatsache, dass Personalkosten in vielen Unternehmen den größten Kostenfaktor darstellen, wird die Bedeutung von Personalentscheidungen zunehmen. Dies gilt insbesondere für die Auswahl der Mitarbeiter eines Unternehmens.16 In diesem Zusammenhang werden auch die Daten von Mitarbeitern und Bewerbern immer wichtiger.

In einem traditionellen Bewerbungsprozess reicht der Bewerber seine Unterlagen ein und wird bei Interesse zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Entscheidung über seine Einstellung hängt sodann zu einem Großteil vom persönlichen Eindruck, vom Bauchgefühl des Personalverantwortlichen ab. Wenngleich diese von einer guten Erfolgsquote ihrer Entscheidungen überzeugt sind,17 erscheint es möglich, den auf persönlichen Eindrücken basierenden Prozess durch die Erhebung und Analyse von Bewerberdaten zu objektivieren und zu optimieren.

Ein Erfolgsbeispiel hierfür kommt aus der Sportswelt: Billy Beane, Manager des finanziell klammen Baseball-Teams der Oakland Athletics, setzte bei der Suche nach Talenten konsequent auf Datenanalysen und begann an Statistiken zu zweifeln, auf die sich Experten jahrzehntelang gestützt hatten. Hierdurch gelang es, bis dato unbekannte Korrelationen zwischen verschiedenen Spielerdaten zu erkennen, zum Beispiel, dass Wurfgeschwindigkeit und Schlagkraft für den sportlichen Erfolg überraschenderweise eine geringere Rolle spielen als die Fähigkeit, den Ball mit einer guten Quote zunächst ins Spiel zu bringen, sogenannte On-Base-Percentage. Da die erstgenannten Fähigkeiten vom Markt zu hoch bewertet waren, gelang es auf diese Weise, talentierte Spieler zu entdecken, welche weder die eigenen Scouts, noch die der anderen Teams im Blick gehabt hatten.18

Ein ähnliches Vorgehen könnte auch in anderen Branchen Erfolg versprechen, zumal die Datenauswertung durch neue Technologien sowohl kostengünstiger als auch hochwertiger geworden ist. ← 47 | 48 →

B.  Kernfragen und Gang der Untersuchung

Ausgehend von Big Data-Anwendungen im Personalwesen analysiert die Arbeit das komplexe System des Beschäftigtendatenschutzes19 nach der neuen Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)20. Dieses ist geprägt von einer Öffnungsklausel, welche durch eine nationale Regelung bereits ausgefüllt wurde. Das zukünftige Zusammenspiel von DS-GVO, Bundesdatenschutzgesetz n.F. (BDSG n.f.)21 und anderen nationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften wird daraufhin untersucht, ob es für das Spektrum möglicher Anwendungsszenarien Lösungen anbieten kann. Dabei wird auch den Fragen nachgegangen, ob der Einsatz neuer Technologien in der Datenauswertung ein detailliertes Gesetz für den Datenschutz von Beschäftigten erfordert und welche Grenzen von der Verordnung hierfür gesetzt werden.

Die Arbeit gliedert sich in fünf Abschnitte. Im zweiten Kapitel wird zunächst der Untersuchungsgegenstand herausgearbeitet, indem der Begriff „Big Data“ konturiert wird. Dies ist notwendig, um das weite Feld des Beschäftigtendatenschutzrechts abzustecken. Sodann wird beispielhaft der Forschungsstand der psychologischen Eignungsdiagnostik untersucht, die sich – wie aufzuzeigen sein wird – in weiten Teilen mit den Einsatzzwecken bestimmter Big Data-Maßnahmen deckt. Dies gilt insbesondere im wichtigen Anwendungsbereich der Bewerberauswahl. Zum Untersuchungsgegenstand zählt jedoch auch der Einsatz moderner Datenverarbeitungstechnologien in laufenden Beschäftigungsverhältnissen. Es folgt eine Bestandsaufnahme der in der aktuellen Praxis bereits angewendeten Lösungen. ← 48 | 49 →

Dieser rechtstatsächliche Abschnitt schließt mit einer Abwägung der Vorteile und Risiken der dargestellten Technologien. Zu letzteren zählen insbesondere rechtliche Aspekte der Diskriminierung, welche aufgrund bestimmter Überschneidungen mit dem Datenschutzrecht nicht unerwähnt bleiben sollen. Eine ihrer Bedeutung angemessene Auseinandersetzung würde allerdings den Rahmen der Arbeit ebenso überschreiten wie die Behandlung urheberrechtlicher Fragestellungen oder solcher nach dem Dateneigentum,22 die durch den Einsatz von Big Data-Technologien ebenfalls aufgeworfen werden. Dringender ist die Auseinandersetzung mit dem Datenschutzrecht: Etwa die Hälfte aller deutschen Unternehmen, die entsprechende Anwendungen potenziell einsetzen, sehen dieses als ein derart gewichtiges Problem an, dass sie davon abhält, Big Data- Anwendungen einzusetzen.23 Auch spricht der Zeitpunkt kurz vor Inkrafttreten der DS-GVO dafür, die neu zu beurteilenden datenschutzrechtlichen Fragestellungen in den Fokus zu stellen.

Ausgangspunkt der rechtlichen Analyse ist im 3. Kapitel die in der Verordnung vorgesehene Öffnungsklausel zugunsten nationaler Regelungen für den Beschäftigtendatenschutz. Als Bestandteil vorrangig anwendbaren Rechts sind die von ihr gemachten Vorgaben von zentraler Bedeutung für die Auslegung der nationalen Anpassung und für die Beurteilung der Möglichkeiten etwaiger zukünftiger Regelungen. Die Auslegung erfordert vor allem eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Gesetzgebungsgeschichte und der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten im Bereich Datenschutz. Auf die gewonnenen Wertungen kann in den folgenden Abschnitten im Rahmen der Analyse einzelner Zulässigkeitsvoraussetzungen von DS-GVO und BDSG n.F. rekurriert werden.

Im 4. Kapitel wird sodann erläutert, unter welchen Voraussetzungen das Datenschutzrecht bei Big Data-Anwendungen im Personalwesen

An­­­­wendung findet. Neben dem BDSG n.F. kommen bei Verarbeitungen von Beschäftigtendaten die Vorschriften von TKG und TMG in Betracht, deren Geltung nach Verabschiedung der DS-GVO einer neuen Beurteilung bedarf. Besonders bedeutsam für die Anwendbarkeit des Datenschutzrechts ist der Personenbezug eines Datums, dessen Bestimmung auch nach Inkrafttreten des neuen Datenschutzrechts Fragen aufwirft. Der räumliche Anwendungsbereich der Grundverordnung darf aufgrund transnationaler Datenverarbeitungen ← 49 | 50 → großer Konzerne und Cloud Computing nicht unerwähnt bleiben. Jedoch handelt es sich dabei nicht um Big Data- spezifische Fragestellungen, sodass etwa die Problematik von Datenübermittlungen in das außereuropäische Ausland nicht behandelt werden kann.24 Mangels Definition in der DS-GVO ist schließlich der Beschäftigtenbegriff einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Ausgehend vom Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, welches auch nach der Verordnung zu beachten ist, werden im folgenden 5. Kapitel die datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbestände auf ihre Bedeutung für den Einsatz von Big Data-Anwendungen im Personalwesen untersucht. In Betracht kommen zunächst die Generalklausel für den Beschäftigtendatenschutz nach § 26 Abs. 1 S. Hs. 1 BDSG n.F. und die Einwilligung, die im Beschäftigungsverhältnis nach besonderen Maßstäben zu beurteilen ist. Daneben von großer Wichtigkeit ist die beschäftigungsdatenschutzrechtliche Besonderheit von Betriebsvereinbarungen als Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten.

Ferner sind in diesem Zusammenhang die einschlägigen Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten unter die Lupe zu nehmen. Insbesondere die Grundsätze der Zweckbindung und der Datenminimierung stehen in einem Konflikt mit Big Data-Anwendungen und bedürfen einer intensiven Auseinandersetzung. Die Komplexität der rechtlichen Beurteilung einzelner Anwendungen wird am Beispiel von Social Media-Daten aufgezeigt, für welche der Grundsatz der Direkterhebung besonders wichtig ist.

Im Rahmen der Analyse sind zwei Einschränkungen zu beachten: Erstens steht der Umgang mit Beschäftigtendaten durch private Stellen im Fokus der Bearbeitung, da diesen in Bezug auf Big Data-Anwendungen im Personalwesen ein größeres Innovationspotenzial beizumessen ist, als öffentlichen Stellen.25 Wenig Bedeutung kommt daher der Tatsache zu, dass die DS-GVO, anders als das BDSG a.F.26 und das BDSG n.F., nicht strikt zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen unterscheidet.27 Zweitens wird davon ausgegangen, dass es die Human Resource (HR)-Abteilungen der Unternehmen anstreben, die ← 50 | 51 → Datenanalysen – mithilfe erworbener Software – eigenständig durchzuführen.28 Mit zunehmender Verbreitung von Datenanalysen im HR-Bereich wird sich das Aufgabenportfolio von Personalverantwortlichen dem von „Data Scientists“29 annähern, sodass der Bereich der Auftragsdatenverarbeitung ebenfalls vernachlässigt werden darf.30

Schließlich folgt im 6. Kapitel die Beurteilung der Zulässigkeit einiger „klassischer“ Big Data-Anwendungen. Zentral ist dabei das auch nach der DS-GVO geltende Verbot automatisierte Einzelentscheidungen. Dieses basiert auf besonderen Arten der Datenverarbeitung wie dem Profiling oder dem Scoring. Hinsichtlich letzterem erweist sich als problematisch, dass von der DS-GVO keine ausdrücklichen Regelungen vorgesehen sind – im Gegensatz zum BDSG n.F. Weitere rechtliche Fragen ergeben sich unter anderem daraus, dass weder der nationale, noch der unionale Gesetzgeber den Beschäftigungsbereich im Visier hatte, als die entsprechenden Regelungen getroffen wurden.

Von dem Verbot für automatisierte Einzelentscheidungen ergibt sich eine Reihe von Ausnahmen. Kommen diese zum Zuge, muss der Verarbeiter „angemessene Maßnahmen“ treffen, worunter die Gewährleistung diverser Rechte der Beschäftigten, unter anderem umfassende Informationsrechte, fällt. Besondere Voraussetzungen für die Zulässigkeit von automatisierten Entscheidungen, Profiling und anderen Datenverarbeitungen gelten abschließend für die Verarbeitung besonderer Kategorien von Daten.

In der Schlussbetrachtung im 7. Kapitel werden die Ergebnisse der Arbeit noch einmal zusammengefasst und ein Ausblick auf die Zukunft von Big Data-Anwendungen im Personalwesen und das System des Beschäftigtendatenschutzes geworfen. Die Ergebnisse der Arbeit werden dazu verwendet, einen Beitrag zur rechtspolitischen Diskussion hinsichtlich der Möglichkeit und der Notwendigkeit eines detaillierten eigenständigen Beschäftigtendatenschutzgesetzes zu leisten. ← 51 | 52 →


1 Unter dem Begriff werden grundlegende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft auf Basis einer schnellen und breiten Adaption neuer Informations- und Kommunikationstechnologien zusammengefasst, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weißbuch Arbeiten 4.0, 199.

2 Dass in dieser Arbeit, welche das Thema der Gleichbehandlung im Beschäftigungsverhältnis zumindest streift, durchgehend die männliche Form verwendet wird, dient allein der besseren Lesbarkeit. Wenn von „Unternehmer“, „Arbeitgeber“, „Beschäftigter“, „Datenverarbeiter“ etc. die Rede ist, gilt die weibliche Form stets als umfasst.

3 Instruktiv hierzu Hofmann, in: Obermaier, Industrie 4.0, 171.

4 S. nur Holthaus/Park/Stock-Homburg, DuD 2015, 676 (677).

5 S. zu den arbeitsrechtlichen Herausforderungen Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032.

6 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Grünbuch Arbeiten 4.0, 16.

7 Vgl. zum Begriffsverständnis Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weißbuch Arbeiten 4.0, 200.

8 S. hierzu instruktiv u.a. Günther/Boglmüller, NZA 2015, 1025; Krause, Gutachten zum 71. DJT 2016: Digitalisierung der Arbeitswelt; ders., NZA-Beilage 2/2017, 53; Türpe/Geuter/Poller, in: Friedewald//Lamla/Roßnagel, Informationelle Selbstbestimmung, 227 (237 ff.); Uffmann, NZA-Beilage 2/2017, 45.

9 Knapp zwei Drittel der Bevölkerung sehen darin den größten Regelungsbedarf bei der Gestaltung der Digitalisierung der Arbeitswelt, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weißbuch Arbeiten 4.0, 147.

10 Körner, Wirksamer Beschäftigtendatenschutz, 12.

11 Vgl. Erwägungsgrund 6 DS-GVO.

12 Dieser Zustand wird als Wissensgesellschaft bezeichnet, Bundeszentrale für politische Bildung, abrufbar unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/zukunft-bildung/146199/wissensgesellschaft.

13 Bonin/Gregory/Zierhan, Übertragung der Studie von Frey/Osborne, 14; vgl. in diesem Zusammenhang Frey/Osborne, The Future of Employment.

14 Seit vier Jahrzehnten liegt die Anzahl der Kinder, die eine Frau in Deutschland durchschnittlich auf die Welt bringt, konstant bei ca. 1,4, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weißbuch Arbeiten 4.0, 29.

15 Jánszky, Das Recruiting-Dilemma, 39 ff., 83 ff.

16 Weiterführend Kersting, in: Gourmelon/Kirbach/Etzel, Personalauswahl, 33.

Details

Seiten
302
ISBN (PDF)
9783631768754
ISBN (ePUB)
9783631768761
ISBN (MOBI)
9783631768778
ISBN (Paperback)
9783631768747
DOI
10.3726/b14709
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
People Analytics Automatisierte Einzelentscheidung Profiling Scoring Eignungsdiagnostik Arbeitnehmerdatenschutz
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2018. 302 S.

Biographische Angaben

Nicolai Culik (Autor:in)

Nicolai Culik studierte Rechtswissenschaften in Konstanz, Lyon und Münster. Er war als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht in Münster tätig und forschte im Projekt ABIDA (Assessing Big Data) zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Big Data.

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