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Christentum und Menschenrechte in Europa

Perspektiven und Debatten in Ost und West

von Vasilios N. Makrides (Band-Herausgeber:in) Jennifer Wasmuth (Band-Herausgeber:in) Stefan Kube (Band-Herausgeber:in)
©2016 Konferenzband 218 Seiten

Zusammenfassung

Der Band geht auf eine internationale Konferenz in Erfurt zurück und ist den aktuellen Beziehungen zwischen Christentum und Menschenrechten in Europa gewidmet. Die Veröffentlichung der offiziellen Position der Russischen Orthodoxen Kirche zu den Menschenrechten im Jahre 2008 hat der Diskussion eine neue Dynamik verliehen und intensive Debatten in Ost- und Westeuropa ausgelöst. Die verschiedenen Beiträge behandeln einerseits das russische orthodoxe Dokument zu den Menschenrechten in seinen diversen Dimensionen, sowohl im russischen und breiteren orthodoxen Kontext als auch in seinem Verhältnis zu den westlichen christlichen Kirchen und europäischen säkularen Akteuren und Institutionen. Andererseits werden Positionen zu den Menschenrechten aus katholischer und evangelischer Sicht auf prägnante Weise präsentiert und die Ambivalenzen des modernen Menschenrechtsdiskurses zwischen Säkularismus und Religion thematisiert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Christentum und Menschenrechte in Europa – Interaktionen in Geschichte und Gegenwart: Eine Einführung
  • Die Menschenrechtsdoktrin der Russischen Orthodoxen Kirche aus dem Jahr 2008 – der institutionelle und ideologische Kontext
  • The Theological Hermeneutics of The Russian Orthodox Church’s Basic Teaching on Human Dignity, Freedom and Rights
  • Die Grundlagen der Lehre über die Würde, die Freiheit und die Rechte der Menschen im Kontext der Soziallehre der Russischen Orthodoxen Kirche
  • Die Erklärung der Russischen Orthodoxen Kirche zu den Menschenrechten
  • Das Menschenrechtsverständnis der Russischen Orthodoxen Kirche und der Katholischen Kirche – ein Vergleich
  • Kulturphilosophische Anfragen an die russisch-orthodoxe Konzeption der Menschenwürde
  • „Orthodoxie, Christentum, Demokratie“: Orthodoxe Priester als Menschenrechtsaktivisten
  • Der Europarat als Adressat des Menschenrechtsdiskurses der Kirchen
  • Positionen zu den Menschenrechten in der rumänischen Orthodoxie
  • Anerkennung und Theologie der Menschenrechte in der Katholischen Kirche
  • Die Katholische Kirche in Polen und die Menschenrechte: Kirchliche Stellungnahmen zu ausgewählten Menschenrechtsdebatten
  • Menschenrechte und christliche Tradition – Evangelische Aspekte
  • Begründung der Menschenrechte jenseits von Religion und Säkularismus?
  • Autoren- und Autorinnenverzeichnis
  • Reihenübersicht

Vorwort

Der vorliegende Sammelband geht auf eine internationale Tagung zurück, die von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. (DGO) in Berlin, dem größten Verbund der Osteuropaforschung im deutsch-sprachigen Raum, und deren Fachgruppe Religion sowie vom Lehrstuhl für Religionswissenschaft (Orthodoxes Christentum) an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt organisiert wurde. Großzügige finanzielle Unterstützung erfuhr die Tagung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Die Konferenz, an der Wissenschaftler/innen aus verschiedenen Ländern teilnahmen, fand am 10. und 11. Dezember 2010 in Erfurt statt und widmete sich dem Thema „Christentum und Menschenrechte: Aktuelle Debatten in Ost und West“, ein Thema, das bis heute nicht an Relevanz und Brisanz verloren hat.

Die Beiträge und Diskussionen gaben neue Impulse für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Problematik der Beziehungen zwischen Christentum und Menschenrechten, besonders in Europa, aber auch im internationalen Vergleich. Daraus erwuchs auch die Idee einer Publikation der Tagungsbeiträge, die mit der vorliegenden Schrift in der Buchreihe „Erfurter Studien zur Kulturgeschichte des Orthodoxen Christentums“ nun zugänglich gemacht werden.

Leider war es aus verschiedenen Gründen nicht möglich, alle Beiträge der Tagung in einer überarbeiteten, schriftlichen Form zusammenzutragen und in diesem Band aufzunehmen. Dazu gehört zum Beispiel der öffentliche Abendvortrag „Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte“ von Hans Joas (dem damaligen Dekan des Max-Weber-Kollegs in Erfurt), dessen Ideen jedoch im bereits erschienenen, gleichnamigen Buch enthalten sind. Stattdessen konnten die Herausgeber weitere Beiträge von anderen Personen gewinnen, die sich ebenfalls eingehend mit dem gesamten Spektrum befasst haben. Auf diese Weise konnte ein Band zusammengestellt werden, der zum besseren Verständnis der historischen wie aktuellen Problematik der Menschenrechte in Europa im Verhältnis zum Christentum in seinen verschiedenen Dimensionen beizutragen vermag.

Was die Erfurter Tagung betrifft: Besonderer Dank gilt der DGO für die reibungslose Zusammenarbeit bei der Organisation und Durchführung der Tagung. Ein eben solcher Dank gebührt auch der damaligen Mitarbeiterin des Lehrstuhls, Nicole Förster, für ihr Engagement bei der Vorbereitung und organisatorischen Begleitung der Tagung sowie dem Team der Kleinen Synagoge Erfurt für die Bereitstellung der historischen Räumlichkeiten, die der Veranstaltung einen ganz besonderen Rahmen verliehen.

Was das vorliegende Buch betrifft: Gedankt sei Dr. Nicolai Staab, Dr. Isabella Schwaderer, Dr. Sebastian Rimestad und Nicole Förster für ihre vielfältige Hilfe in den verschiedenen Phasen bei der Redaktion der Texte und der Erstellung des endgültigen Typoskripts. Die Herausgeber des Bandes haben sich bemüht, die verschiedenen Bei ← 7 | 8 → träge zu vereinheitlichen (z.B. in Bezug auf Orthographie, Transliteration oder Übersetzungen), jedoch wurden auch die besonderen Wünsche der jeweiligen Autoren und Autorinnen nach Möglichkeit respektiert.

Erfurt Berlin Zürich
Vasilios N. Makrides Jennifer Wasmuth Stefan Kube

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Christentum und Menschenrechte in Europa – Interaktionen in Geschichte und Gegenwart: Eine Einführung

Vasilios N. Makrides / Jennifer Wasmuth / Stefan Kube

Die Gesamtproblematik

Christentum und Menschenrechte in Europa heute – das Thema ist brisant und hochaktuell, obwohl es bereits auf eine lange Vorgeschichte auf diesem Kontinent (und natürlich darüber hinaus) zurückblicken kann. Die dazugehörige Literatur ist dementsprechend kaum mehr zu überblicken. Das Thema selbst hat durch die Entwicklungen in den zurückliegenden Jahrzehnten an Komplexität gewonnen. Denn einerseits kam es in den säkular ausgerichteten, liberalen Demokratien des Westens zu Entscheidungen (wie z.B. der Verabschiedung von Kohabitationsgesetzen und Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Paare), die auf die Nicht-Diskriminierung sexueller und anderer relevanter Gruppen bzw. Minderheiten in der Gesellschaft abzielen und die von daher einen unmittelbaren Einfluss auf das Thema der individuellen Menschenrechte haben. Andererseits lassen sich etliche, u.a. verschiedene christliche Reaktionen darauf beobachten, die insbesondere im postkommunistischen Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa zu lokalisieren sind und die im modernen säkularen Menschenrechtsdiskurs eine deutliche Gefährdung der traditionellen Moral und Familie sehen wollen. Im Zuge der Annäherung des östlichen Europas an die Europäische Union (EU) werden solche Schwierigkeiten und eventuellen Kompatibilitätsprobleme zunehmend sichtbar. Zieht man noch weitere Dimensionen des Themas in Betracht, wie zum Beispiel die Beziehungen des Islam zu den modernen, hauptsächlich westlich geprägten Menschenrechten, dann werden die damit verbundenen Probleme noch stärker deutlich. Die steigende Präsenz von Muslimen unterschiedlicher Provenienz in Europa stellt in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung des gängigen Menschenrechtsdiskurses dar und führt nicht selten zu erheblichen Konflikten (z.B. in Bezug auf die Meinungs- und Pressefreiheit). Da jedoch dieser Band vorrangig das europäische Christentum in den Blick nimmt, werden der Islam sowie andere Religionen hier nicht berücksichtigt.

Im europäischen Kontext hat die ganze Thematik eine völlig neue Brisanz mit den „Grundlagen der Lehre der Russischen Orthodoxen Kirche über Würde, Freiheit und Rechte des Menschen“ von 2008 gewonnen. Zusätzlich zu ihrer umfangreichen Sozialkonzeption aus dem Jahre 2000 veröffentlichte die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) damit erstmals eine verbindlich artikulierte und begründete Position zu den Menschenrechten und der Menschwürde. Da bis dato keine solche offizielle Position zum Thema auf orthodoxer Seite vorlag, sondern nur gelegentliche, vereinzelte und unverbindliche Meinungen, wurde dieser Schritt der ROK als ein willkommenes und vielversprechendes Novum von verschiedenen Seiten begrüßt. Mit der Thematik der Menschenrechte ← 9 | 10 → hatten sich bisher nur die westlichen Kirchen auf systematische Weise auseinandergesetzt. Sicherlich gibt es etliche Unterschiede zwischen der römisch-katholischen und der evangelischen Rezeptionsgeschichte der Menschenrechte, jedoch haben sich beide Kirchen gründlich und sorgfältig damit befasst und ihre jeweiligen Positionen, Einschätzungen und Vorschläge öffentlich gemacht. Dabei handelte es sich um einen andauernden, ja jahrhundertelangen Prozess, der nicht ohne Spannungen und Konflikte verlief (insbesondere für die Römisch-Katholische Kirche). Im 20. Jahrhundert jedoch kam es zu einer konstruktiven Interaktion der westlichen Kirchen mit den modernen Menschenrechtsideen, was in diesem Band ausführlich thematisiert wird.

Vor diesem Hintergrund bietet sich ein Vergleich zwischen den aktuellen Diskussionen und Debatten über die Beziehungen zwischen Christentum und Menschenrechten in Ost- und Westeuropa an. Ein solcher Vergleich führt zu einer Sensibilisierung für die religiös-kulturellen Besonderheiten und Unterschiede zwischen Ost und West wie auch innerhalb der osteuropäischen und hier insbesondere der russischen Gesellschaft. So wird etwa das Recht auf Religionsfreiheit von der ROK nicht in der Weise anerkannt, wie es in der Europäischen Menschenrechtskonvention geschieht, obwohl diese von der Russischen Föderation 1998 ratifiziert worden ist. Dass es nicht selten zu Differenzen und sogar Spannungen zwischen diversen Akteuren kommt, ist dabei nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Menschenrechte mit unterschiedlichen Menschenbildern begründet werden. Inwieweit unterschiedliche anthropologische Bestimmungen, aber auch andere weltanschaulich geprägte Faktoren für den kontrovers geführten Diskurs um die Menschenrechte maßgeblich sind, wird in den nachfolgenden Beiträgen eingehend thematisiert.

Die Beiträge

Von den insgesamt dreizehn Beiträgen im vorliegenden Sammelband befassen sich die meisten mit unterschiedlichen Aspekten der Beziehung zwischen russischer Orthodoxie und Menschenrechten, vor allem im postsowjetischen Russland. Diese Fokussierung erklärt sich aus dem Umstand der vielfältigen interkonfessionellen Diskussionen und Debatten, die das oben erwähnte Dokument der ROK von 2008 bis heute ausgelöst hat. Die Situation in anderen orthodoxen Kontexten (z.B. in Rumänien) wird jedoch auch behandelt und ermöglicht einen Vergleich mit dem Diskurs in Russland. Weitere Beiträge in dem Band nehmen das westliche Europa in den Blick und behandeln die römisch-katholische und evangelische Thematisierung von Menschenrechten. Dies geschieht entweder auf überblicksartige, generelle Weise oder bezogen auf konkrete Situationen, wie z.B. im katholischen Polen. Schließlich gibt es Beiträge, die die Menschenrechtsthematik im Spannungsfeld zwischen Religion und Säkularität beleuchten oder in Bezug auf die Rolle der christlichen Kirchen einschließlich der ROK in den Menschenrechtsdebatten im Europarat.

Im ersten Beitrag untersucht KRISTINA STOECKL den institutionellen Rahmen und den ideologischen Hintergrund des offiziellen Dokumentes der ROK von 2008 ← 10 | 11 → „Grundlagen der Lehre der Russischen Orthodoxen Kirche über Würde, Freiheit und Rechte des Menschen“ näher. Stöckl ist mit dem Menschenrechtsdiskurs der ROK bestens vertraut und hat sich hier eine Detailkenntnis erworben, was auch in ihrem jetzigen Beitrag deutlich wird. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die Zeit vor 2008, nämlich die Jahre zwischen 1999 und 2008, um die Haltung der ROK in einem weiteren zeitlichen Rahmen verorten und entsprechend deuten zu können. Sie dokumentiert die Entwicklungen innerhalb der ROK bezüglich des Menschenrechtsdiskurses sowie die dadurch entstandenen Veränderungen und Anpassungen der jeweiligen Positionen, so dass sich die Wandlungen im Selbstverständnis der ROK erkennen lassen. Stöckls Fazit ist, dass die ROK ihre Position zu den Menschenrechten während dieser langen Periode schrittweise geändert hat, auch wenn diese Wandlung innerhalb konservativer orthodoxer kirchlicher Eliten als umstritten und widersprüchlich galt. Dieser Prozess beinhaltete Stöckl zufolge eine kontrollierte Öffnung zum kulturellen Erbe des Westens einschließlich der laufenden Debatten um Werte und deren Begründung. Gleichzeitig bemühte sich jedoch die ROK, eine eigene, davon unabhängige Position zu artikulieren und publik zu machen, die sie als „Verteidigung traditioneller Werte“ definierte. Die Haltung der ROK zu den Menschenrechten ist daher eine ambivalente und zwiespältige, zumal sie mit dem Versuch dieser Kirche einhergeht, wieder als signifikante internationale Akteurin an Einfluss zu gewinnen und die orthodoxe Welt richtungsweisend in das 3. Jahrtausend zu geleiten. Das Menschenrechtsdokument ist Stöckl zufolge weniger für die innerkirchliche Klärung und Lehrbildung konzipiert, als vielmehr als Instrument kirchlicher Außenpolitik und internationaler Präsenz zu verstehen.

Details

Seiten
218
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653027112
ISBN (ePUB)
9783653999266
ISBN (MOBI)
9783653999259
ISBN (Hardcover)
9783631625804
DOI
10.3726/978-3-653-02711-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Dezember)
Schlagworte
Christliche Kirchen Menschenrechtsdiskurs Ost- und Westeuropa Europäische Union
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 218 S.

Biographische Angaben

Vasilios N. Makrides (Band-Herausgeber:in) Jennifer Wasmuth (Band-Herausgeber:in) Stefan Kube (Band-Herausgeber:in)

Vasilios N. Makrides lehrt Religionswissenschaft (mit dem Schwerpunkt Orthodoxes Christentum) an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt. Jennifer Wasmuth ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Stefan Kube ist Chefredakteur der Monatszeitschrift «Religion & Gesellschaft in Ost und West», Zürich.

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