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Lastenausgleich

Die rechtliche Behandlung von Kriegsschäden in Deutschland seit dem 30jährigen Krieg

von Thomas Habbe (Autor:in)
©2015 Dissertation VIII, 307 Seiten
Reihe: Rechtshistorische Reihe, Band 450

Zusammenfassung

Durch Lastenausgleich unterstützte die Bundesrepublik Deutschland nach 1952 Kriegssachgeschädigte, Flüchtlinge und Vertriebene, ohne die Haftung für im 2. Weltkrieg entstandene Schäden anzuerkennen. Die Arbeit untersucht die Ursprünge der Vorstellung, ein Staat sei seinen Bürgern zum Ersatz von Kriegsschäden verpflichtet. Erste Ansätze in diese Richtung gab es im deutschen Rechtsraum während des 30jährigen Krieges. In den Koalitionskriegen und im 1. Weltkrieg kam die Frage erneut auf, im 2. Weltkrieg versprach das NS-Regime den vollständigen Ausgleich von Kriegsschäden. Die Untersuchung zeigt, dass seit dem 17. Jahrhundert die Staaten mit wenigen Ausnahmen bemüht waren, die kriegsbedingten Lasten der Bevölkerung wenigstens erträglich zu halten; der in der Bundesrepublik praktizierte Lastenausgleich entsprach nicht dem politischen Anspruch.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Der Lastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland ab 1952
  • 1. Leistungen aus dem LAG
  • 2. Abgabepflichten nach dem LAG
  • 3. Verteilung der Kriegslasten über den Zeitraum einer Generation
  • II. Entschädigungspraxis in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR
  • III. Aufgabe
  • B. Grundbegriffe des Lastenausgleichsrechts
  • I. Kriegsleistungen
  • II. Kriegsschäden
  • 1. Sachschäden
  • 2. Vermögensschäden
  • III. Differenzierungsansätze zum Sachschaden
  • 1. Nachweise im geschriebenen Recht
  • a) Zeit bis zu den Napoleonischen Kriegen
  • b) Preußische Kabinettsorder von 1831
  • c) Kriegsschädengesetz 1871
  • d) Kriegsleistungsgesetz 1873
  • e) Kriegsschädenfeststellungsgesetz 1916
  • f) Regelungen nach Kriegsende 1918
  • g) Gesetzliche Regelungen 1939–1945
  • h) Definition des LAG
  • aa) Kriegsschäden
  • bb) Weitere Schadensgattungen nach dem LAG
  • 2. Nachweise in der Literatur
  • IV. Würdigung der Definitionen
  • 1. Zeitlicher Wandel
  • 2. Kriegsschäden – ein konturloser Begriff?
  • C. Die Behandlung von Kriegsschäden im deutschen Raum bis zur Reichsgründung 1871
  • I. Vorbemerkung
  • II. Behandlung von Kriegsschäden bis zur Französischen Revolution
  • 1. Normative Grundlagen
  • a) Römisches Recht im römischen Staat
  • b) Deutscher Rechtsraum bis zum Ende des Mittelalters
  • c) Reichsabschiede des Heiligen Römischen Reiches ab dem 16. Jahrhundert
  • d) Preußen 1759
  • 2. Überlegungen in der Literatur
  • a) Schadenersatz nach römischen Rechtsgrundsätzen
  • aa) Kriegsschäden als Zufallsfolge
  • bb) Schadenersatz aus vertraglicher oder vertragsähnlicher Haftung
  • (1) Anwendung der lex rhodia de iactu
  • (2) Anwendung römischen Gesellschaftsrechts
  • cc) Allgemeines Schadensrecht
  • dd) Ergebnis
  • b) Schadenersatz nach anderen Rechtsgrundsätzen
  • c) Kriegsschadenersatz als spezifisch privatrechtliches Problem
  • 3. Würdigung der Situation
  • III. Einwirkungen der Französischen Revolution auf die Bewertung von Kriegsschäden und deren Behandlung bis zu den Freiheitskriegen
  • 1. Normative Grundlagen
  • a) Koalitionskriege gegen Frankreich
  • aa) Preußen während der französischen Besatzungszeit
  • (1) Kriegsschädenersatz mittels Feuerversicherung
  • (2) Kriegsschädenersatz durch den Staat
  • (3) Ergebnis für Preußen
  • bb) Sachsen
  • cc) Sachsen-Coburg
  • dd) Erzgebirgischer Kreis
  • ee) Bayern
  • ff) Weitere Länder
  • b) Umgang mit den Schäden aus den Befreiungskriegen
  • aa) Preußen
  • (1) Breslauer Kriegsschädenprozesse
  • (2) Stettiner Kriegsschädenprozesse
  • (3) Die Kabinettsorder vom 4. Dezember 1831
  • bb) Sachsen
  • cc) Bayern
  • dd) Mecklenburg
  • ee) Weitere Länder
  • c) Zwischenergebnis für die Koalitions- und Befreiungskriege
  • 2. Stellungnahmen in der zeitgenössischen Literatur
  • a) Literatur bis zur preußischen Kabinettsorder von 1831
  • aa) Von Berg (1796)
  • bb) Von Dalwigk (1796)
  • cc) G. M. Weber (1798)
  • dd) Hatzfeld (1798)
  • ee) Haus (1801)
  • ff) Grattenauer (1810)
  • gg) Glück (1813)
  • hh) Eichmann (1813)
  • ii) Von Sensburg (1821)
  • b) Würdigung der Literatur bis zur preußischen Kabinettsorder
  • IV. Ergebnis für die Zeit bis zur Reichsgründung 1871
  • 1. Anwendung römischer Rechtsnormen
  • a) Anwendung der lex rhodia de iactu
  • b) Anwendung allgemeiner römischer Schadenersatzvorschriften
  • 2. Staats- und gesellschaftsrechtliche Ausgleichsideen
  • a) Naturrechtliche Ausgleichsgedanken
  • b) Ausgleichsanspruch aus dem Gesellschaftsvertrag
  • D. Die Behandlung von Kriegsschäden im Kaiserreich nach 1871
  • I. Regelung der Kriegsschäden aus dem Krieg von 1870/1871
  • 1. Die Kriegsschädengesetze
  • 2. Das Beihilfegesetz 1871
  • 3. Das Kriegsleistungsgesetz 1873
  • 4. Würdigung der Kriegsschädengesetze von 1871 bis 1873
  • II. Rechtsentwicklung bis zum Ausgangstag des 1. Weltkrieges
  • 1. Gesetzgebung
  • a) Einführung preußischer Militärgesetze
  • b) Reichsverfassung 1871
  • c) Friedensleistungsgesetz von 1898
  • d) Bürgerliches Gesetzbuch 1900
  • e) Haager Landkriegsordnung 1910
  • 2. Rechtsprechung
  • III. Die Haltung in der Wissenschaft unter dem Einfluss des Rechtspositivismus
  • 1. Staatsnotrecht
  • a) Herleitung
  • b) Ablehnung des Staatsnotrechts ab Mitte des 19. Jahrhunderts
  • 2. Einzeldarstellungen
  • a) Eger (1888)
  • b) Anschütz (1897)
  • c) Mayer (1904)
  • d) Weitere Überlegungen vor Kriegsausbruch
  • IV. Ergebnis für die Rechtsentwicklung im Kaiserreich bis 1914
  • E. Der 1. Weltkrieg
  • I. Die Behandlung von Kriegssachschäden bis Kriegsende 1918
  • 1. Rechtslage bei Ausbruch des Krieges
  • a) Elsass-Lothringen und Ostpreußen
  • b) Ansprüche gegen Feuerversicherer
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Ergänzende Regelungen während des Krieges bis 1916
  • a) Reichsgesetzgebung bis zum Jahr 1916
  • b) Vorentschädigungsverfahren in Preußen
  • c) Vorentschädigung in Elsass-Lothringen
  • d) Weitere, insbesondere private Unterstützungsmaßnahmen
  • e) Kriegsschädenfeststellungsgesetz von 1916
  • f) Würdigung der Maßnahmen während der Kriegszeit
  • 3. Literatur
  • a) Anspruch auf Kriegsschädenausgleich
  • aa) Allgemeine Anspruchsgrundlagen
  • bb) Besondere Anspruchsgrundlagen
  • b) Differenzierungsansätze
  • c) Kein Anspruch auf Kriegsschädenausgleich
  • 4. Würdigung der Literatur bis zum Kriegsschädenfeststellungsgesetz 1916
  • II. Die Ostfriedensverträge vom Frühjahr 1918
  • III. Regelungen nach dem Kriegsende 1918
  • 1. Verpflichtungen aus dem Versailler Vertrag zugunsten Ausländern
  • 2. Regelungen zugunsten deutscher Staatsangehöriger
  • a) Planung des Gesetzgebers nach 1918
  • aa) Liquidationsschäden
  • bb) Gewaltschäden
  • (1) Verdrängungsschäden
  • (2) Kolonialschäden
  • (3) Auslandsschäden
  • (4) Gemeinsamkeiten in den Gewaltschädengesetzen
  • b) Verfahren bis zum Kriegsschädenschlussgesetz 1928
  • aa) Gewaltschäden
  • bb) Liquidationsschäden
  • cc) Währungsreform 1923
  • c) Kriegsschädenschlussgesetz 1928
  • d) Kriegssachschäden im Reichsgebiet nach 1918
  • 3. Literatur und Rechtsprechung nach 1918
  • IV. Ergebnis für die Kriegsschäden des 1. Weltkriegs
  • 1. Kriegssachschäden im Reichsgebiet
  • 2. Weitere Schäden
  • 3. Anerkennung des Anspruchs auf Kriegsschädenersatz
  • F. Nationalsozialistische Zeit und 2. Weltkrieg
  • I. Entwicklung des Reichsrechts von Kriegsbeginn bis 1945
  • 1. Schadensgattungen
  • a) Kriegsleistungen
  • b) Kriegssachschäden
  • aa) SSchFVO und Nebenverordnungen
  • bb) KSSchVO
  • c) Vermögensschäden
  • aa) Nutzungsschäden
  • bb) „Fliegerschäden“ von Oktober 1940 bis Mai 1941
  • cc) „Volkstumsschäden“
  • dd) Weitere Vermögensschäden
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Höhe der Entschädigung
  • a) Sachschäden
  • aa) SSchFVO 1939
  • bb) KSSchVO 1940
  • b) Nutzungsschäden und sonstige Vermögensschäden
  • 3. Sondervorschriften für Ausländer und Juden
  • 4. Fälligkeit des Anspruchs
  • 5. Verfahrensvereinfachungen ab dem Jahr 1943
  • II. Literatur zum Kriegsschädenrecht bis 1945
  • 1. Kriegssachschäden
  • 2. Vermögensschadenersatz bei Wirtschaftsbetrieben
  • 3. Würdigung der Literatur zum nationalsozialistischen Kriegsschädenrecht
  • III. Ergebnis zu den Kriegssachschäden im 2. Weltkrieg
  • 1. Art des Anspruchs – Versicherung des Staates zugunsten seiner Bürger
  • a) „Nationalsozialistische Kampf- und Opfergemeinschaft“
  • b) Sozialleistungscharakter des „Anspruchs“
  • 2. „Typisches nationalsozialistisches Unrecht“?
  • G. Wege zum Lastenausgleichsgesetz von 1952
  • I. Situation bei Kriegsende 1945
  • II. Maßnahmen in den westlichen Besatzungszonen nach Kriegsende
  • 1. Verwaltungshandlung nach der Kapitulation
  • 2. Gesetzgeberische Maßnahmen
  • a) Währungsreform 1948
  • b) Hypothekensicherungsgesetz 1948
  • c) Soforthilfegesetz 1949
  • 3. Pläne und Diskussion in den westlichen Besatzungszonen
  • a) Pläne zum Umgang mit der Reichsschuld
  • b) Tätigkeiten offizieller Stellen
  • aa) Detmolder Memorandum, November 1945
  • bb) Colm-Dodge-Goldsmith-Plan 1946
  • cc) Zonenbeiratsgutachten 1946
  • dd) Homburger Plan 1948
  • c) Diskussion über den Umgang mit den Kriegsfolgelasten
  • d) Ergebnis: Keine juristische Auseinandersetzung
  • III. Genese des Lastenausgleichsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland
  • 1. Denkschrift des Bundesministeriums der Finanzen 1950
  • 2. Schlussbericht der Gutachterkommission
  • 3. Unkeler Abgeordnetenkreis
  • 4. Vorentwürfe des Bundesministeriums der Finanzen
  • 5. Der Entwurf des Bundesministeriums der Finanzen vom 13. August 1950
  • 6. Der Regierungsentwurf vom 31. Januar 1951
  • a) Gesetzentwurf
  • b) Die Diskussion in den parlamentarischen Gremien
  • aa) Stellungnahme des Bundesrates
  • bb) Beschlussfassung im Bundestag
  • (1) 1. Lesung im Bundestag
  • (2) Behandlung im Bundestagsausschuss
  • (3) 2. und 3. Lesung im Bundestag
  • cc) Beschlussfassung im Bundesrat
  • dd) Behandlung im Vermittlungsausschuss und endgültige Beschlussfassung
  • IV. Auswirkungen des Lastenausgleichs
  • H. Der Entschädigungsanspruch außerhalb des Lastenausgleichs
  • I. Haftung der Bundesrepublik Deutschland für Reichsverbindlichkeiten
  • 1. Gesetzliche Regelungen
  • 2. Rechtsprechung
  • 3. Literatur
  • 4. Folgerung
  • II. Schadenersatz kraft ungeschriebener Rechtsgrundsätze
  • 1. Rechtsprechung
  • a) Bundesverfassungsgericht
  • b) Bundesverwaltungsgericht
  • c) Bundesgerichtshof
  • 2. Literatur
  • III. Stellungnahme – der gewohnheitsrechtlich begründete Anspruch
  • 1. Vertrauenstatbestand: Die regelmäßige Vergütung von Kriegslasten
  • 2. Verbindliche Anerkennung durch die Beteiligten
  • 3. Schuldner des Anspruchs auf Kriegsschädenersatz
  • IV. Folgerung und Ausblick
  • I. Zusammenfassung
  • I. Anteil von Sachschäden ab dem 18. Jahrhundert
  • II. Situation nach der Reichseinigung 1871
  • III. 1. Weltkrieg
  • IV. 2. Weltkrieg
  • V. Nachkriegszeit
  • VI. Folgerung
  • Literaturverzeichnis
  • Verzeichnis der abgekürzt dargestellten Werktitel
  • Verzeichnis der abgekürzt dargestellten Gesetze

A.   Einleitung

Als am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in der bedingungslosen Gesamtkapitulation des Deutschen Reiches in Europa endet, hat fast sechs Jahre lang ein bis heute beispielloser Krieg gewütet. Viele europäische Städte sind Trümmerwüsten. In den vormals von Deutschland besetzten oder zu Deutschland gehörenden Gebieten im Osten werden viele Städte durch unmittelbare Kampfhandlungen beim Zurückweichen der deutschen Armee in Mitleidenschaft gezogen oder bewusst verwüstet. Gleichzeitig ist es erklärtes Ziel insbesondere der Westalliierten, auf deutschem Gebiet nicht nur kriegswichtige Ziele, also Fabriken und Infrastruktur, zu zerstören, sondern auch die Bevölkerung zu treffen, als man erkennt, dass fehlender Wohnraum den Kampf- und Durchhaltewillen eher beeinträchtigt als eine zerstörte Arbeitsstätte.1 Daher geht ab dem Frühjahr des Jahres ← 1 | 2 → 1942 zunächst die britische und ab dem Jahr 1943 auch die US-amerikanische Luftwaffe dazu über, im sogenannten area bombing ganze Städte zu zerstören. Bei diesen Operationen kommen gleichzeitig bis zu 1 000 Bomber pro Stadt zum Einsatz.2

Am 8. Mai 1945 sind im Gebiet der späteren Bundesrepublik Deutschland3 etwa 2 ½ Millionen Wohnungen zerstört; etwa 2 ½ Millionen Menschen haben dort aus diesem Grund ihre Heimatstädte verlassen müssen.4 Ab Januar 1945 kommen Flüchtlinge und Vertriebene aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße: Etwa zwölf Millionen Personen registrieren die Behörden bis Jahresende 1950; etwa acht Millionen werden im Gebiet der Westalliierten aufgenommen, die übrigen vier Millionen kommen zumindest zunächst in der sowjetischen Besatzungszone unter.5 Vermutet wird, dass die Vertriebenen und Flüchtlinge in ihrer Heimat Vermögen in Höhe von etwa 75 Milliarden RM zurücklassen. Der Verlust der circa acht Millionen Kriegssachgeschädigten6 wird auf einen Wert von ca. 27 Milliarden RM geschätzt. Die Währungsreform betrifft am 21. Juni 1948 außerdem rund 20 Millionen Sparer, deren Geldvermögen von etwa 28,6 Milliarden RM abgewertet wird.7

Vermuten offizielle Stellen noch bis in das Jahr 1941 hinein, dass Kriegsfolgen nur einen geringen Teil der Deutschen treffen würden,8 haben sich die Vermögensverhältnisse bis Kriegsende, verglichen mit den Vorkriegszeiten und ← 2 | 3 → der Weimarer Republik, vielfach umgekehrt. Verlieren die Ausgebombten in den Städten häufig ihren Sachbesitz, können aber wenigstens ihr persönliches Umfeld retten, werden viele Flüchtlinge und Vertriebene aus ihrem Sozialgefüge herausgerissen. Die Verhältnisse der sie aufnehmenden Besatzungszonen lassen zunächst weder eine soziale Aufnahme noch eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge zu. Ihnen droht daher das Schicksal, binnen kürzester Zeit zu verelenden.9 Nur ein kleiner Bevölkerungsteil ist ohne größere materielle Verluste durch den Krieg gekommen; eine noch kleinere Gruppe hat während des Krieges Gewinne erzielen können. Die wegen der Differenz zwischen Geldmenge und Kaufkraft notwendige Währungsreform droht die Spaltung zwischen Sachwert- und Geldwertbesitzern zu verstärken, sollte der Sachbesitz nicht in die Reform einbezogen werden.10

Spätestens das Kriegsende offenbart die Notwendigkeit eines gerechten und sozialen Neuanfangs, um die durch den Krieg entstandene Schieflage in der Sozialstruktur zu beseitigen. Bis zu diesem Zeitpunkt verspricht der von der Reichsführung propagierte „Endsieg“ den Wiederaufbau der Städte und die Entschädigung der Bevölkerung aus den Reparationsleistungen der Gegner. Staatliche Entschädigung oder Unterstützung während des Krieges hat nur vorläufigen Charakter.11 Nach der Kapitulation kann und muss dagegen offen die Frage gestellt werden, wie die Kriegsfolgen aus eigenen Mitteln ausgeglichen werden können. Dass ein Ausgleich geschehen muss, wird nicht bezweifelt;12 umstritten ist nur, wie er zu erfolgen hat. Kaum größer können die materiellen und sozialen Gegensätze in der Bevölkerung sein, die während des Krieges und in der unmit ← 3 | 4 → telbaren Nachkriegszeit durch Kriegswirtschaft, Zerstörung, Flucht und Vertreibung, Schwarzmarkt und fehlende staatliche Kontrollen entstanden sind.

I.   Der Lastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland ab 1952

Bereits kurz nach Kriegsende wird folglich vermutet, dass der notwendige Ausgleich einen bedeutenden Teil des zu schaffenden Rechts darstellen werde.13 Bei der Währungsreform 1948 verpflichten die Westalliierten die Deutschen in den westlichen Besatzungszonen mit der Präambel des ersten Gesetzes zur Neuordnung des Geldwesens (WährungsG)14, den Ausgleich umgehend zu regeln. Die zentralen Fragen, die der jungen Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 gestellt werden, sind: Wie können die Geschädigten Hilfe beanspruchen, und wer hat mit welchem Anteil die Kriegslasten zu schultern?

1.      Leistungen aus dem LAG

Das Lastenausgleichsgesetz (LAG)15 hat die Fragen dahingehend beantwortet, dass die Kriegsgeschädigten, seien sie nun Flüchtlinge, Vertriebene oder einfache Sach- und Währungsgeschädigte, in der Bundesrepublik Deutschland einen sozialen Ausgleich ihrer Verluste – „Lastenausgleich“ – erhalten. Nach §§ 243, 246 Abs. 2 LAG16 erhalten die Geschädigten eine volle sog. Hauptentschädigung bis zu einer Schadenshöhe von insgesamt 4 800 RM.17 Verluste darüber hinaus werden anteilig entschädigt, wobei die Höhe des Anteils mit zunehmen ← 4 | 5 → der Schadenshöhe abnimmt (sog. soziale Degression); er beträgt minimal 6,5 % des Wertes des erlittenen Verlustes. Flüchtlinge und Vertriebene, die regelmäßig kaum Vermögen retten können, erhalten nach § 246 LAG auf die Entschädigungssumme einen sog. Entwurzelungszuschlag in Höhe von 10 %,18 so dass ihnen wenigstens 7,15 % des erlittenen Schadens ersetzt wird. Nur natürliche Personen können Ansprüche aus dem Lastenausgleich geltend machen. Den Ausschluss juristischer Personen ordnet das LAG an, indem es nur natürliche Personen als Geschädigte ansieht (§ 229 Abs. 2 LAG19), die Ausgleichszahlungen erhalten können (§ 229 Abs. 1 LAG).

Die Hauptentschädigung gehört, wie die Kriegsschadenrente, die Hausratsentschädigung und Entschädigung für Sparguthaben Vertriebener, zu den Ausgleichsleistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht (§ 232 LAG). Kriegsschadenrente wird gezahlt, wenn der Geschädigte in fortgeschrittenem Alter oder aufgrund von Krankheit oder Gebrechen dauernd erwerbsunfähig ist (§ 261 Abs. 1 Nr. 1 LAG) oder wenn ihm aufgrund seiner allgemeinen Einkunfts- und Vermögensverhältnisse die Bestreitung des Lebensunterhalts nicht möglich ist (§ 261 Abs. 1 Nr. 2 LAG). Die Hausratsentschädigung wird unabhängig von der Hauptentschädigung pauschal gewährt (§§ 293 ff. LAG).20 Außerdem wird Vertriebenen durch das Währungsausgleichsgesetz (WährungsausgleichsG)21 ein Ausgleich für den Verlust von Sparguthaben gewährt, weil bei der Währungsreform nur Spareinlagen umgestellt werden, die bei Instituten im Währungsgebiet geführt werden. Dieser sog. Währungsausgleich ist Gegenstand eigener Gesetzgebung.

Die Hauptentschädigung kann mangels Masse im Entschädigungsfonds nicht mit Inkrafttreten des LAG ausgezahlt werden. § 252 Abs. 1 LAG sieht daher die Erfüllung nach sozialen und volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten vor. Der Gesetzgeber verpflichtet sich in § 246 Abs. 3 LAG, bis zum 31. März 1957 die Höhe der Hauptentschädigung durch Gesetz festzulegen und die Entschädigung ab Januar 1953 nach § 251 Abs. 1 LAG zu verzinsen. Bis zum 31. März 1957 wird die Hauptentschädigung nur in Form von sog. Eingliederungsdarlehen ausgezahlt (§§ 252 Abs. 2, 285 LAG). Die Darlehen ermöglichen den Ge ← 5 | 6 → schädigten, sofort eine neue Lebensgrundlage aufzubauen (§ 253 Abs. 1 LAG); sie werden auf die Hauptentschädigung angerechnet (§ 258 LAG). Sie gehören, wie auch Wohnraumhilfen (§ 298 ff. LAG) und Leistungen aus einem Härtefonds sowie weitere Fördermaßnahmen (§§ 301–303 LAG) zu Übergangsleistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht (§ 233 LAG). Die Wohnraumhilfe hat einen ähnlichen Zweck wie das Eingliederungsdarlehen, denn sie soll den Geschädigten Gelegenheit zum Bezug einer Wohnung geben, deren Bau durch Darlehen des Ausgleichsfonds ermöglicht wird (§ 299 Abs. 1 LAG). Die Wohnraumhilfe muss also nicht an den Geschädigten gezahlt werden, sondern ist eine Form sozialer Wohnungsbauförderung. Anders als die Eingliederungshilfe wird sie nicht als Kredit vergeben.

Eine Zwischenposition nimmt die Kriegsschadenrente ein, die in Unterhaltshilfe und Entschädigungsrente differenziert wird. Auf die Kriegsschadenrente besteht ein Rechtsanspruch, obwohl sie eine Vorleistung auf die Hauptentschädigung ist: Ist der Geschädigte zugleich Berechtigter einer Hauptentschädigung, wird die Unterhaltshilfe angerechnet (§ 273 Abs. 2 LAG)22 bzw. wird ein Teil der Entschädigungsrente als Vorausleistung angesehen (§ 283 LAG).

Bis zum Jahr 2001 werden durch den Lastenausgleich insgesamt mehr als 135 Milliarden DM an die Geschädigten ausgezahlt. Den größten Anteil hat die Kriegsschadenrente (über 59 Milliarden DM), gefolgt von der Hauptentschädigung (über 28 Milliarden DM). Die Eingliederungsdarlehen betragen etwa 19 Milliarden DM, die Hausratsentschädigung mehr als 10 Milliarden DM.23 Die Leistungen vergüten den Geschädigten im Durchschnitt etwa 22 % des Schadens.24 Zu berücksichtigen ist, dass die Hauptentschädigung frühestens zwölf Jahre nach dem Schadenseintritt gewährt wird und der Schaden, soweit Immobilien betroffen sind, gemäß §§ 12 ff. Feststellungsgesetz (FestG)25 nach den steuerlichen Einheitswerten berechnet wird, die im Moment des Schadenseintritts häufig überholt sein dürften.26 So wird im Ergebnis eine wesentlich geringere Quote ersetzt. ← 6 | 7 →

2.      Abgabepflichten nach dem LAG

Die Leistungen an die Geschädigten werden aus dem Lastenausgleichsfonds bestritten: Nach § 5 LAG ist der Ausgleichsfonds ein Sondervermögen des Bundes, dem die sog. Ausgleichsabgaben (§ 3 LAG) zugeführt werden. Es handelt sich um eine allgemeine Vermögensabgabe (§ 3 Nr. 1 LAG) sowie um Sonderabgaben auf Hypotheken- und Betriebsgewinne (§ 3 Nr. 2, 3 LAG), die entsprechende Abgaben nach dem Hypothekensicherungsgesetz (HypSiG)27 fortführen.

Die allgemeine Vermögensabgabe nach §§ 3 Nr. 1, 16 ff. LAG belastet das Vermögen in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Sonderabgabe in Höhe von 50 % des Vermögenswertes (§ 31 LAG); sie ist nach § 34 LAG in Vierteljahresbeträgen bis zum 31. März 1979 zu entrichten. Bemessungsgrundlage für die Abgabe ist gemäß § 21 Abs. 1 LAG der Vermögenswert am 21. Juni 1948, also am Tag nach der Währungsreform; bei Immobilien gilt ebenfalls der steuerliche Einheitswert (§ 21 LAG). Die Vermögensabgabe nach dem LAG verlängert die Abgaben aus den Soforthilfegesetzen (SHG).28 Diese belegen bereits im Jahr 1949 das Vermögen mit einer Sonderabgabe in Höhe von 3 % des Nennwertes,29 die ebenfalls zugunsten der Flüchtlinge, Vertriebenen30 und Sachge ← 7 | 8 → schädigten verwendet wird. So beträgt das Aufkommen der Soforthilfeabgaben schon in den ersten drei Jahren (April 1949–März 1952) insgesamt 4,1 Milliarden D-Mark.31 Weil die Abgabeschuld auch nach dem LAG nicht sofort, sondern nach § 34 LAG in vierteljährlichen Teilbeträgen zu entrichten ist, wird das Vermögen über einen Zeitraum von insgesamt 30 Jahren ab der Währungsreform mit Sonderabgaben belegt. Die letzte Rate ist zum 31. März 1979 fällig (§ 34 Abs. 1 LAG).

Betrifft die Vermögensabgabe das allgemeine Vermögen, beziehen sich die Hypotheken- und Kreditgewinnabgabe nur auf Gewinne, die durch die Währungsreform entstehen. So belastet das HypSiG bereits im Jahr 1948 Grundvermögen mittels einer Grundschuld zugunsten einer Treuhandstelle in Höhe des Betrages, um die der Nennbetrag einer Grundschuld in Reichsmark bei der Währungsreform durch das Umstellungsgesetz (UmstG)32 den Umstellungsbetrag in Deutscher Mark übersteigt (§ 16 UmstG),33 ohne dass die Grundschuld fällig gestellt werden kann.34 Diese Verpflichtungen führen §§ 91 ff. LAG fort; ähnlich schöpft die Kreditgewinnabgabe nach §§ 161 ff. LAG die Gewinne gewerblicher Schuldner aus der Währungsreform ab. Gleichzeitig treten die SHGe (§ 373 Nr. 1 LAG) und die HypSiGe (§ 373 Nr. 2 LAG) der Länder außer Kraft. Die Abgaben summieren sich bis März 1979 auf insgesamt 53 Mrd. DM.35

3.      Verteilung der Kriegslasten über den Zeitraum einer Generation

Mit einer Belastung des Vermögens in Höhe von 50 %, der Abschöpfung von Gewinnen aus der Währungsreform und Verteilung dieses Vermögens an die Geschädigten findet in der Bundesrepublik Deutschland über den Zeitraum einer ← 8 | 9 → Generation nach 1952 ein sozialer Ausgleich der Kriegslasten des 2. Weltkrieges statt.

Sozial einerseits, weil das LAG die Entschädigung degressiv staffelt, so dass kleinere Vermögensverluste in relativ größerem Umfang entschädigt werden als große und weil Eingliederungsmaßnahmen zumindest am Anfang im Vordergrund stehen; sozial andererseits, weil die Abgabepflichten auf einen ebenso langen Zeitraum erstreckt. Die Inhaber von Vermögen sind folglich nicht zur Übertragung an Geschädigte oder den Lastenausgleichsfonds verpflichtet: Meistens ist es möglich, die Abgabeschuld aus dem Vermögensertrag zu erbringen. Eine kurzfristige Umschichtung von Vermögen an die Geschädigten findet nicht statt. Dem sozialen Ausgleich stehen Forderungen nach höheren und einheitlichen Ersatzquoten gegenüber und Anstrengungen, die Vermögensabgabe sofort fällig zu stellen. Beides lässt sich in der Diskussion bis 1952 nicht durchsetzen.36

II. Entschädigungspraxis in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR

Die DDR leistet keine dem Lastenausgleich vergleichbare Entschädigung oder Unterstützung. Schon kurz nach der Kapitulation und noch vor der Staatsgründung wird angenommen, das Reich sei durch die alliierte Besetzung völkerrechtlich untergegangen. Der neugeschaffene Staat habe aufgrund seiner neuen Klassenordnung keine Gemeinsamkeit mit dem Vorgänger und hafte daher nicht für Reichsschulden.37 Diese Auffassung setzt sich auch durch, wenn Gebietskörperschaften des Reiches, die über den 8. Mai 1945 auch in der DDR Bestand haben, in Anspruch genommen werden.38 Dagegen wird nur wenig Kritik geäußert.39 ← 9 | 10 →

Zu beachten ist, dass sich die Entschädigung für verlorenes Eigentum oder sonstiges Vermögen auch nicht mit dem Gedanken der sozialistischen Eigentumsordnung verträgt. Es ist das Ziel, kein Privateigentum zuzulassen, das nicht dem persönlichen Gebrauch gewidmet ist. Aus diesem Grund erscheint jede weitergehende Entschädigung für Kriegsschäden in der DDR verfehlt. Dennoch erhalten insbesondere geflüchtete oder vertriebene40 Bauern als sog. Neubauern Land im Zuge der sowjetischen Bodenreform.41 Das kann kaum als Entschädigung für erlittene Verluste, sondern muss vielmehr als Wiederansiedlungshilfe verstanden werden, zumal die Kollektivierung der Landwirtschaft die meisten Neubauern wieder enteignet.42 Außerdem hat die Rechtsprechung in der DDR die Rechte am Bodenreformland so weit beschränkt, dass von einer Eigentümerposition im Sinne eines Grundrechtes nicht ausgegangen werden kann.43 Erst nach der Revolution im Herbst 1989 beschließt die Volkskammer der DDR ein Gesetz, das den Inhabern von Neubauernland eine Eigentümerposition im Sinne eines Grundrechts zuweist.44 ← 10 | 11 →

III.Aufgabe

Dieser Befund wirft die Frage auf, ob ein Staat oder, allgemeiner, ein Gemeinwesen die Rechtspflicht hat, für Sach- und Vermögensschäden der Zivilbevölkerung, die ihre Ursache in kriegerischen Ereignissen gefunden haben, Ersatz zu leisten.

Der Lastenausgleich nach 1952 in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht der erste Kriegsschädenausgleich in Deutschland. Die Diskussion darüber ist älter: Kurz nach Beginn des 1. Weltkrieges stellt eine umfangreiche Monographie die Frage, ob Kriegsschadenausgleich eine Rechtspflicht oder nur ein Gebot politischer Klugheit sei,45 ohne sie bis Kriegsende zu beantworten. Dieselbe Frage stellt sich den Deutschen während des 2. Weltkriegs, als die Alliierten im Luftkrieg ab Mitte 1940 die westlichen Reichsteile erreichen: Jetzt sichert § 1 Abs. 1 Kriegssachschädenverordnung (KSSchVO)46 vollen Schadenersatz zu, ohne den Zeitpunkt der Erfüllung zu nennen (§ 9 KSSchVO).

Bei der Untersuchung der Entwicklung des Ausgleichs von Kriegssachschäden kann auf mehrere Monographien aus der Zeit um ca. 1760 bis etwa 1800 zum Kriegsschadensrecht sowie auf Literatur zum Staatshaftungsrecht aus der Zeit nach der Reichsgründung zurückgegriffen werden. In der Zeit zwischen 1871 und dem Beginn des 1. Weltkrieges ist ein Diskurs zum Kriegsschädenrecht nicht nachzuweisen. Bei der Betrachtung fällt auf, dass bestimmte Begründungsansätze wiederkehren, ohne dass Urheber zu erkennen sind. Außerdem fehlt auch systematischen Darstellungen des Kriegsschädenrechts eine Untersuchung zur Herkunft des Rechtsinstitutes. Schließlich stellt sich die Frage, ob es in der Geschichte Beispiele für den mit dem Lastenausgleich gewählten sozialen Ausgleich gibt.

Für jede untersuchte Epoche wird zuerst die Frage gestellt, ob eine ausdrückliche oder wenigstens anerkannte gesetzliche Grundlage für die Regulierung von Kriegsschäden besteht. Ist dies nicht der Fall, wird weiter untersucht, ob in der Literatur andere positive Normen als Grundlage für Kriegsschädenersatz oder als Grundlage für seine Ablehnung herangezogen werden. Die zweite Frage ist, wie die Frage der Kriegsschäden in der Literatur behandelt wird. Erkennbar ist der Diskurs dort am reichhaltigsten, wo die Gesetzeslage undeutlich ist oder der Kriegsschädenersatz durch den Staat ausgeschlossen wird, so im deutschen Raum in der Zeit um die französische Revolution, in Preußen nach den Befreiungskriegen und im Deutschen Reich zu Beginn des 1. Weltkrieges. Die Literatur ist auf die Frage hin zu untersuchen, ob und aus welchen Gründen ← 11 | 12 → Kriegsschädenersatz als staatliche Pflicht angesehen wird; zuletzt ist zu fragen, nach welchen Kriterien der Ersatz oder Ausgleich stattfinden soll.

Diese Fragen werden auf die Entwicklung des Lastenausgleichs nach 1945 projiziert: Die KSSchVO bewertet Kriegsschäden differenziert und gilt über das Kriegsende hinaus bis zur Ablösung durch das LAG. Selbst wenn die KSSchVO für einen Ausgleich herangezogen werden könnte, ist zu fragen, ob sie angesichts der gewaltigen Zerstörungen und Verluste Geltung haben kann, oder ob nicht der Kriegsschädenausgleich neu zu überdenken ist. Die Diskussion um das Lastenausgleichsgesetz ist finanzwissenschaftlich erschlossen,47 ohne dass sich erkennen lässt, ob auch ohne die Lastenausgleichsgesetzgebung ein Anspruch der Geschädigten besteht.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet vor Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes, Unterstützung in Notzeiten sei nicht mit einem Schadenersatzanspruch zu vergleichen;48 später erklärt das Gericht, erst das LAG begründe Rechtsansprüche.49 Die Frage stellt sich, ob die Gerichte einen Schadenersatzanspruch außerhalb von Spezialgesetzen grundsätzlich zu jeder Zeit ablehnen oder nur aufgrund zwingender gesetzlicher Regelungen. Die Diskussion über den Ersatz von Kriegsschäden in der Nachkriegszeit lässt erwarten, dass auch zu anderen Zeiten in der Literatur ein Anspruch anerkannt wird.50 ← 12 | 13 →

 

1Diese Strategie geht im Wesentlichen auf eine Überlegung von Arthur Harris zurück, dem Kommandanten der britischen Bomberflotte. Der Angriff auf unverteidigte Städte und Dörfer ist nach Art. 25 des 2. „Abkommen[s], betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges“ vom 18.10.1907, RGBl. 1910, S. 107 (im Folgenden: Haager Ordnung) verboten. Die Haager Juristenkonferenz von 1923 will zusätzlich Flächenbombardements und den Angriff auf Gebiete, in denen sich überwiegend Zivilbevölkerung aufhält, verbieten (Art. 23 des Entwurfs). Obwohl die Staaten den Entwurf nicht ratifizieren, setzt sich das Verbot als bindendes Recht durch (vgl. Detter, S. 284). Gleichwohl halten sich im 2. Weltkrieg zunächst die Deutschen (bei der Zerstörung Londons mit den sog. V1-Geschossen und V2-Raketen) und später vor allem die Westalliierten nicht an diese Vereinbarung. Moralische Bedenken treten nach der deutschen Bombardierung der Zivilbevölkerung Londons in den Hintergrund (vgl. Wiegand, S. 18).

2Eine kurze Darstellung der Situation findet sich bei Wiegand, S. 17 ff.

3Mit „Bundesgebiet“ ist hier, soweit nicht anders bezeichnet, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen vom 23.5.1949 (zusammen mit dem Saargebiet) bis zum 2.10.1990 gemeint.

4Zahlen nach Bundesausgleichsamt (1959), S. 15 f.

5Zahlen nach Krumper, S. 3.

6Die Zahl bezieht sich allein auf Sachgeschädigte im späteren Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.

7Zahlen nach Waldeck, S. 73. Waldeck bemerkt zum Vermögen der Flüchtlinge und Vertriebenen, dass die Angaben im Einzelnen stark differierten.

8So noch Stuckart, DV 1941, S. 6 (8); anders (und für die Zeit erstaunlich offen) äußert sich im Juli 1944 Fuhrmann (S. 3), der davon ausgeht, dass das Kriegsschädenrecht eine Bedeutung erlangt habe „wie nie zuvor“ und dies für „jeden Volksgenossen, ob er bereits von einem Schaden betroffen ist oder nicht.“

9Giersch vermutet im Jahr 1948, dass sich unter den ca. 20–25 Millionen Personen, die überdurchschnittlich geschädigt sind, ca. 12–14 Millionen Ostausgewiesene befinden, „die kaum das notwendigste zum Leben besitzen“, während andere Teile des Volkes ihr Vermögen durch die Kriegsereignisse fast ungeschmälert hindurchretten oder durch geschicktes Handeln während des Krieges oder unmittelbar nach dem Krieg sogar noch vermehren können. Giersch, S. 7 f.

10Vgl. Giersch, S. 8.

11Das ist in der Literatur nicht unwidersprochen. Zwar spricht z. B. Goebbels in seinen Reden davon, dass die zerstörten oder beschädigten deutschen Städte „schöner als je zuvor“ wieder aufgebaut werden sollten, „und der Staat wird dazu seine helfende Hand leihen“ (Goebbels (Reden), Nr. 228 (S. 200)), abgesehen von § 1 Abs. 1 S. 1 der Kriegssachschädenverordnung vom 30.11.1940 (RGBl. I 1940, S. 1547), der dem Wortlaut nach vollen Ersatz der Kriegsschäden vorsieht, wird aber nie von einer staatlichen Stelle der Bevölkerung versprochen, dass die Opfer von Kriegsschäden einen vollen, persönlichen Ersatz erhalten sollten. Ebenso Hughes, S. 9 f.

12Ebenso Möller, S. 10. Gegenansichten sind in der geschichtlichen, wirtschaftswissenschaftlichen und juristischen Literatur nach 1945 nicht nachzuweisen.

13Cahn, S. 3, formuliert 1948 im Hinblick auf das Rechtsinstitut: „Kriegsschadenrecht ist die staatliche Organisation des Wiederaufbaus. Damit fällt ihm eine Bedeutung zu, die kaum überschätzt werden kann.“

14Nach der Präambel des „Erste[n] Gesetz[es] zur Neuordnung des Geldwesens (Währungsgesetz)“ vom 20.6.1948 (Gesetz Nr. 61 / Verordnung Nr. 158 der Militärregierung Deutschlands), Abs. 5, ist der Lastenausgleich durch die Deutschen bis zum 31.12.1948 zu regeln.

15„Gesetz über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz – LAG)“ vom 14.8.1952, BGBl. I 1952, S. 446.

16Soweit nicht anders bezeichnet, sind die Normen des LAG in der ursprünglich geltenden Fassung zitiert.

17Nach § 246 Abs. 2 LAG in der Fassung vom 16.5.2008; ursprünglich ist ein voller Schadensausgleich (Schadensbetrag in Reichsmark entspricht dem Grundbetrag in Deutscher Mark 1:1) nur bis zu einem Schadensbetrag von 800 RM vorgesehen. Bereits von Anfang an sieht § 246 Abs. 3 LAG vor, die Grundbeträge ggf. zu erhöhen.

Details

Seiten
VIII, 307
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653026016
ISBN (ePUB)
9783653998603
ISBN (MOBI)
9783653998597
ISBN (Hardcover)
9783631627334
DOI
10.3726/978-3-653-02601-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Kriegssachschäden Kriegsschädenausgleich Schadenersatz Vertriebene
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. VIII, 307 S.

Biographische Angaben

Thomas Habbe (Autor:in)

Thomas Habbe studierte an der Universität Potsdam Rechtswissenschaften sowie an der Uniwersytet Jagielloński in Kraków (Polen). Er ist Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte an der Universität Potsdam.

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Titel: Lastenausgleich
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