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Bricolage

Ein kommunikatives Genre im Sprachgebrauch Jugendlicher aus der Deutschschweiz

von Esther Galliker (Autor:in)
©2014 Dissertation XVIII, 486 Seiten

Zusammenfassung

Wie verwenden Jugendliche die Vielfalt ihrer sprachlichen Ressourcen? Und welche Funktionen weist ihr Umgang mit sprachlicher Varianz auf? Anhand detaillierter linguistischer Analysen authentischer Gespräche beschreibt die empirische Untersuchung das Gesprächsverhalten einer Gruppe Gymnasiasten aus der Deutschschweiz. Über das Konzept der Bricolage wird aufgezeigt, wie kompetent die Jugendlichen verschiedene Sprechstile und Sprachen miteinander kombinieren und welche u.a. sozialen Funktionen sie dadurch ausdrücken. Der Beschreibung dialektaler Variation kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu, da ihr in der deutschsprachigen Jugendsprachforschung bis dahin noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Theoretisch und methodisch orientiert sich die Arbeit an der Ethnographie der Kommunikation.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Dank
  • Transkriptionskonventionen
  • Abkürzungen
  • Gliederung
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Ausgangslage
  • 1.2 Aufbau der Arbeit
  • 2 Theoretischer Rahmen und Forschungsbezug
  • 2.1 Ethnographie der Kommunikation: Kontext und zentrale Begriffe
  • 2.1.1 Sprachliche Variabilität als kommunikative Ressource
  • 2.1.2 Sprachliche Variabilität als Ressource für soziale Symbolisierungen
  • 2.1.3 Sprachliche Variabilität, soziale Netzwerke, kommunikative Verfahren und Kompetenz
  • 2.1.4 Kontextualisierung und Kontextualisierungshinweise
  • 2.1.5 Sprechereignis, Funktionen der Sprache, Kompetenz und Performanz
  • 2.1.6 Soziale kommunikative Stile und soziale Identität
  • 2.1.7 Zusammenfassung und Situierung der Untersuchungsziele im theoretischen Rahmen der ethnographischen Stilforschung
  • 2.2 Jugendsprachforschung: Anknüpfung an zwei Forschungsschwerpunkte
  • 2.2.1 Sprache, Jugend, jugendliche Identitäten und Peergruppen-Identität
  • 2.2.2 Jugendliches Sprechen und urbane Mehrsprachigkeit
  • 2.3 Konzeptueller Fokus Bricolage: Aspekte der bisherigen Konzeption von Bricolage
  • 2.3.1 Bricolage bei Lévi-Strauss und Clarke
  • 2.3.2 Henne: Bricolage zur Bildung eines sprachlichen Sekundärgefüges
  • 2.3.3 Neuland: Bricolage als Stilbastelei auf semantisch-lexikalischer Ebene
  • 2.3.4 Schlobinski et al.: Bricolage als Bastelei mit medialen Ressourcen
  • 2.3.5 Zusammenfassung und Konkretisierung der Untersuchungsziele
  • 3 Empirie des Bricolage-Projekts
  • 3.1 Untersuchungsgegenstand, Erkenntnisinteressen und sensitivierender Zugang
  • Bricolage als sensitivierendes Konzept
  • 3.2 Angewandte Linguistik und Ethnographie der Kommunikation
  • 3.3 Datenerhebung
  • 3.3.1 SNF-Projekt Jugendsprache in der Deutschschweiz
  • 3.3.2 Theoretisches Sample
  • 3.3.3 Feldzugang
  • 3.3.4 Methodentriangulation, emische und etische Perspektive
  • Aufnahmen von Binnenkommunikation
  • Peergruppen-Interviews und -Gespräche
  • Teilnehmende Beobachtung und Rolle der Forscherin
  • Experten-Interviews und -Gespräche
  • Sammlung nicht-reaktiver Daten
  • 3.4 Beschreibung der Daten, Datentriangulation
  • 3.4.1 Aufgezeichnete Binnenkommunikation
  • 3.4.2 Peergruppen-Interviews und -Gespräche
  • 3.4.3 Experten-Interviews und -Gespräche
  • 3.4.4 (Feld)notizen
  • 3.4.5 Nicht-reaktive Daten
  • 3.5 Datenaufbereitung
  • 3.5.1 Aufbereitungsschritte
  • 3.5.2 Transkriptionskonventionen
  • 3.5.3 Dialektverschriftung
  • 3.5.4 Theoretisches Codieren mit computergestützter Analyse durch Atlas.ti
  • 3.6 Analysezugang und Interpretation
  • 3.6.1 Ethnographie der Kommunikation: Verbindung von Mikroanalyse und Ethnographie
  • 3.6.2 Konzeptueller Fokus und Analysezugang über Mikroanalyse
  • Analyseebenen und Struktur der Analyse
  • Auswahl der Beispiele
  • Mikroanalyse: Vorgehen, Darstellung, Konzepte und Begriffe
  • Konzeptualisierung von Bricolage und erweiterte Interpretation
  • 3.7 Diskussion der Gütekriterien
  • 3.7.1 Validität
  • 3.7.2 Reliabilität und Intersubjektivität
  • 4 Ethnographie der Kommunikation für die Nidwaldner Jungengruppe
  • 4.1 Makroebene: Deutschschweiz und Nidwalden/Stans
  • 4.2 Mesoebene Schule: Kollegium St. Fidelis
  • 4.3 Mikroebene: Gatekeeper, Peers, Peergruppe
  • Die Gatekeeper Andreas und Marco
  • Die Peergruppe
  • 4.4 Zentrale Interessen und Themenbereiche in der Binnenkommunikation
  • 4.5 Sprachliche Aktivitäten in der Binnenkommunikation
  • 4.5.1 Typische Sprechsituationen und Sprechereignisse für die Peergruppe
  • 4.5.2 Bricolage: Sprechereignis, Sprechhandlung, kommunikatives Verfahren, symmetrische und asymmetrische Rituale
  • 4.5.3 Zusammenfassung
  • 4.6 Sprachvariation als stilistische Ressource: Darstellung des Variationsspektrums
  • 4.6.1 Das Verhältnis von Dialekt und Standardsprache
  • Linguistische Darstellungen von Dialekt und Standardsprache
  • Dialekt und Standard im Korpus und aus Sicht der Peers (emische Perspektive)
  • Beispiel 2: „hochdeitsch“
  • 4.6.2 Standardsprache: Schweizerhochdeutsch
  • Beispiel 3: „surrealimus“
  • Einstellungen der Peers gegenüber dem Schweizerhochdeutschen
  • Beispiel 4: „hochdüütsch“
  • 4.6.3 Dialektale Variation: Schweizerdeutsch
  • Schweizerhochdeutsch vs. Schweizerdeutsch
  • 4.6.4 Nidwaldner Dialekt und Nidwaldner Ortsdialekte
  • Linguistische Darstellungen des Nidwaldner Dialekts
  • Linguistische Perspektive auf Ortsdialekt(e) und regionale Umgangssprache
  • 4.6.5 Sprachliche Normallage der Peers mit Out-Group-Jugendlichen (OJ): Sprechstil Nidwaldner Jugendlicher
  • Diatopische Einordnung der Normallage OJ ins Variationsspektrum
  • Beispiel 5: „rèpètizion“
  • Diaphasische Einordnung der Normallage OJ ins Variationsspektrum
  • Beispiel 6: „abschlussfäscht“
  • Beispiel 7: „stammfunktionä“
  • Emische Perspektive auf die Normallage OJ
  • Beispiel 8: „intergmeindaal“
  • Beispiel 9: „nidwaldner jugendschpraach“
  • Beispiel 10: „nèèd“
  • 4.6.6 Allochthone Variation
  • 4.7 Weitere Ressourcen sozialer Stile
  • 4.8 Auffällige soziale Stile und soziale Bezugsgrössen der Jugendlichen
  • 4.8.1 Fremddarstellung: „urchiger“ (urtümlicher) Stil – „diä urchigä“ (die Urtümlichen)
  • Beispiel 11: „güsler“
  • 4.8.2 Fremddarstellung: ethnolektales Schweizerdeutsch – „diä crossè“ (die Krassen)
  • Primärer, sekundärer und tertiärer Ethnolekt
  • Ethnolektales Sprechen und die Kategorie der „jugos“
  • Beispiel 12: „vvoll cross monn“
  • Ethnolektales Sprechen und die Kategorie der Hiphopper
  • Beispiel 13: „cross am umägäxä“
  • Ethnolektales Sprechen und die Kategorie der „gengsters“ aus emischer Perspektive
  • Beispiel 14: „gengsters und jugos“
  • Zusammenfassung: Ethnolektales Sprechen und „mediale Jugendsprache“
  • 4.9 Selbstdarstellung im ibi-Stil: sprachliche Normallage in der In-Group (IJ)
  • 4.9.1 Diaphasische Einbettung der Normallage IJ (ibi) in das Variationsspektrum
  • 4.9.2 Diatopische Einbettung der Normallage IJ (ibi) in das Variationsspektrum Diatopische Einbettung der Normallage IJ (ibi)
  • 4.9.3 Aktivitäten, Themenbereiche und Funktionen
  • 4.9.4 Selbststilisierung – Selbstinszenierung
  • 4.9.5 Emische Perspektive auf den ibi-Stil (Mesoebene)
  • Beispiel 15: Gruppenstil vs. Nidwaldner Jugendsprache
  • Beispiel 16: Selbstzuschreibung „ibologii“
  • Beispiel 17: „hinderwäldler“
  • „urchiger“ ibi-Stil
  • Beispiel 18: „urchig“
  • Beispiel 19: Schulsprache vs. Gruppensprache
  • Beispiel 20: Unverständliches ibi für Forschende/Erwachsene
  • Beispiel 21: Unverständliches ibi für Nicht-Peers
  • 4.9.6 Etische Perspektive anderer Jugendlicher auf den ibi-Stil (Mesoebene)
  • Beispiel 22: „isch nid deis“
  • 4.10 Zusammenfassung
  • 4.10.1 Zusammenfassung der Bezüge der Peergruppe zu Mikro-, Meso- und Makroebene über die diaphasische Variation
  • 4.10.2 Zusammenfassung der Bezüge der Peergruppe zu Mikro-, Meso- und Makroebene über die diatopische Variation
  • 5 Datenanalyse und ethnographisch orientierte Konzeptualsierung der Arten von Bricolage
  • 5.1 Lautliche Bricolagen
  • 5.1.1 Lautliche Bricolagen mit ethnolektaler Ressource
  • Beispiel 23: „marcoo“
  • Beispiel 24: „lörnemer“
  • 5.1.2 Lautliche Bricolagen mit dialektalen Ressourcen
  • Beispiel 25: „luigg und marteini“
  • Beispiel 26: „meittwuch“
  • Beispiel 27: „tuiback“
  • 5.1.3 Lautliche Bricolagen mit homophonen Silben und gruppenspezifischer Lautung
  • Beispiel 28: „schwaan - z“
  • Beispiel 29: „schwa(a)n - z“
  • Beispiel 30: „pf(.)äänis“
  • Beispiel 31: „pä - nis“
  • Beispiel 32: „peuzmischt“
  • 5.1.4 Zusammenfassung
  • 5.2 Lexikalische Bricolagen (morphologische und semantische Bricolagen)
  • 5.2.1 Morphologische Bricolagen mit hochdeutscher und schweizerdeutscher Ressource
  • Beispiel 33: „zuuphack“
  • 5.2.2 Verfestigtes morphologisches Bricolage-Muster mit hochdeutschen Infinitiv-Morphemen
  • Beispiel 34: „huubern und haabern“
  • Beispiel 35: „huubèrè und habèrè“
  • Beispiel 36: „piiken“
  • 5.2.3 Zwischenfazit: Bricolage-Muster und Bezug zur Mikro-, Meso- und Makroebene
  • 5.2.4 Semantische und morphologische Bricolagen mit dem Schlüsselbegriff ibi
  • Beispiel 37: „ibi, ibologii, ibiaabeezee“
  • Beispiel 38: „dii ibischen zaale“
  • Beispiel 39: „umäibälä“
  • Beispiel 40: ibi aus emischer Perspektive
  • 5.2.5 Verfestigtes morphologisches Bricolage-Muster mit dem Derivationssuffix -ler
  • 5.2.6 Weitere semantische und morphologische Bricolagen mit Schlüsselbegriffen
  • Lexikalische Bricolagen mit huuber
  • Beispiel 41: „pèschè huuber“
  • Beispiel 42: „sauhuuber“
  • Beispiel 43: „huuber achti“, „huuber litter piär“
  • Beispiel 44: „toongehuuber“
  • Beispiel 45: „s huuber vom brood“
  • Beispiel 46: „huuber chaud“
  • Beispiel 47: „inähuubern“, „umähuubern“
  • Beispiel 48: „neiberhuuber“
  • Lexikalische Bricolagen mit wüètè
  • Beispiel 49: „wüètè“
  • Beispiel 50: „wüètèr“
  • Beispiel 51: „wüètèrstimmig“, „wüètèrwuchè“
  • Beispiel 52: „riisäwüètèttè“, „verwüètig“
  • Beispiel 53: „verwüèttè“
  • Lexikalische Bricolagen mit riämä
  • Beispiel 54: „riämä“
  • Beispiel 55: „riämlè“
  • Beispiel 56: „riämäbar“
  • Beispiel 57: „riämäroman“
  • eispiel 58: „romanriämärundi“
  • 5.2.7 Zwischenfazit: semantische und morphologische Bricolagen mit Schlüsselbegriffen
  • 5.2.8 Morphologische und semantische Bricolagen als Ad hoc-Bildungen transitorischer Varianten mit diversen Ressourcen
  • Beispiel 59: „dräckschlüüdere“
  • Beispiel 60: „chindermade“
  • Beispiel 61: „multimeschting“
  • 5.2.9 Zusammenfassung
  • Semantische Bricolagen
  • Morphologische Bricolagen
  • 5.3 Phraseologische Bricolages
  • 5.3.1 Phraseologische Bricolagen mit den Schlüsselbegriffen wüètè und wüètèr
  • Beispiel 62: „etz wüètèds“
  • Beispiel 63: „es wüètèd etz scho“
  • Beispiel 64: „dä isch ja voll wüètèr“
  • Beispiel 65: „das isch voll de wüètèr“
  • 5.3.2 Zusammenfassung und Funktionen: phraseologisches Bricolage-Muster
  • 5.3.3 Weitere Beispiele phraseologischer Bricolage anhand des Schlüsselbegriffs päänis
  • Beispiel 66: „wo isch dä huèrè päänis?“
  • Beispiel 67: „das isch ja voll päänis“
  • Beispiel 68: „bisch am päänis?“
  • 5.4 Sprechstilistische Bricolagen
  • 5.4.1 Sprechstilistische Bricolagen mit lokalen Dialekt-Ressourcen
  • Beispiel 69: „fatzäneetli“
  • Beispiel 70: „güsler“, Teil I
  • Beispiel 71: „güsler“, Teil II
  • 5.4.2 Sprechstilistische Bricolagen mit ethnolektalen Ressourcen
  • Beispiel 72: „vvoll cross monn“
  • Beispiel 73: „dini muètèr“
  • 5.4.3 Sprechstilistische Bricolage mit verschiedenen Ressourcen des Variationsspektrums
  • Beispiel 74: „hed öpper gfunde ddeggel?“
  • Beispiel 75: „broda mann“
  • 5.4.4 Zusammenfassung
  • 5.5 Intertextuelle Bricolagen
  • 5.5.1 Intertextuelle Bricolagen mit lokalen Dialekt-Ressourcen
  • Beispiel 76: „ibèlèr sind sändèlèr“
  • 5.5.2 Intertextuelle Bricolagen mit ethnolektaler Ressource
  • Beispiel 77: „futze däne“
  • 5.5.3 Intertextuelle Bricolage u.a. mit hochdeutscher Ressource
  • Beispiel 78: „kumbaiaa mei lord I“
  • Beispiel 79: „kumbaiaa mei lord II: jeesus wòò äin wòndesmann“
  • Beispiel 80: „kumbaia mei lord III“
  • 5.5.4 Intertextuelle Bricolage mit englischer Ressource
  • Beispiel 81: „neiberhuuber“
  • 5.5.5 Intertextuelle Bricolage mit Handlungsmustern und Genrestilen
  • Beispiel 82: „uf spasstauglichkeit prüffä“
  • Beispiel 83: „chindermade“
  • 5.5.6 Zusammenfassung
  • 5.6 Exkurs: Ideelle Bricolagen
  • 5.6.1 Ideelle Bricolage auf Basis eines gruppenspezifischen Begriffs
  • Beispiel 84: „peuzmischt“
  • 5.6.2 Ideelle Bricolage auf Basis einer transitorischen Ad hoc-Bildung
  • Beispiel 85: „notschischastellen“
  • 6 Diskussion der Konzeptualisierung von Bricolage
  • 6.1 Bricolage als kommunikatives Genre
  • 6.1.1 Überblick über die prägenden Faktoren für das Genre Bricolage
  • 6.1.2 Diskussion und Präzisierung der prägenden Faktoren des kommunikativen Genres Bricolage
  • 6.2 Typen von Bricolage und Bricolage-Mustern
  • 6.2.1 Typisierung von Bricolagen nach Ressourcen und sprachlichen Einheiten: von lautlich zu intertextuell und ideell
  • Lautliche Bricolagen
  • Lexikalische Bricolagen
  • Morphologische Bricolage
  • Semantische Bricolage
  • Phraseologische Bricolagen
  • Sprechstilistische Bricolagen
  • Intertextuelle Bricolagen
  • Ideelle Bricolagen
  • 6.2.2 Typisierung von Bricolagen nach Komplexitätsgrad: von minimal bis erweitert
  • Minimale Bricolagen
  • Erweiterte Bricolagen
  • 6.2.3 Typisierung von Bricolagen nach Verfestigungsgrad: von transitorischen Ad hoc-Bildungen zu verfestigten Bricolage-Mustern
  • Charakterisierung nach Verfremdungsgrad: von mimetisch zu karikierend von strukturell über propositional zu konversationell
  • Charakterisierung von Bricolagen nach Verfremdungsebene: von strukturell über propositional zu konversationell
  • 6.3 Zusammenfassung: Kurzdefinition von Bricolage
  • 7 Interpretationsmöglichkeiten
  • 7.1 Bricolage als stilbildendes Genre eines kommunikativen sozialen Stils
  • 7.1.1 Bricolage, rhetorische Strategien und Ressourcen der Stilbildung
  • Die Regeln des Sprechens
  • Bricolage und Formelhaftigkeit des Sprechens
  • Bricolage und Ausdrücke für soziale Kategorien und Typisierungen
  • Bricolage und sprachliche Variation
  • Bricolage in Bezug auf einzelne Sprecher: Bricoleure als Wortführer
  • Ausprägungen von Bricolage in verschiedenen Gruppen
  • 7.1.2 Bricolage und verschiedene Manifestationen von Stil
  • 7.1.3 Zusammenfassung
  • 7.2 Bricolage in Beziehung und Abgrenzung zu anderen sprachlichen Verfahren und Konzepten der Jugendsprachforschung
  • 7.2.1 Bricolage und konversationelles Code-Switching, metaphorische und diskursive Funktionen (Gumperz)
  • 7.2.2 Bricolage und Crossing (Rampton)
  • 7.2.3 Bricolage und Polylingual Languaging/Polylanguaging (Jørgensen)
  • 7.2.4 Zusammenfassung: Bricolage, Code-Switching, Crossing und Polylanguaging
  • 7.2.5 Bricolage und interaktionale Praktiken des Dissens, Frotzelns und Lästerns
  • 7.2.6 Bricolage und die Vergegenwärtigung einer Gegenwelt (Schwitalla)
  • 7.2.7 Bricolage als Spiel mit Wortbildung, Semantik, Phraseologismen (Androutsopoulos)
  • Spiel mit Wortbildung
  • Spiel mit Wortbedeutungen und Phraseologismen
  • 7.2.8 Bricolage als Spiel mit medialen Ressourcen, als verfremdendes Zitieren (Schlobinski)
  • 7.2.9 Zusammenfassung
  • 8 Fazit und Ausblick
  • 8.1 Bricolage als typisch „jugendliches“ Genre?
  • 8.2 Bricolage als konzeptueller Ansatz für variationslinguistische Vergleiche
  • 8.3 Desiderate
  • 9 Zusammenfassung
  • 9.1 Untersuchungsgegenstand und Ziele
  • 9.2 Ethnographie der Kommunikation für die Nidwaldner Gruppe
  • 9.3 Bricolage als kommunikatives Genre
  • 9.4 Konzeptualisierung verschiedener Bricolage-Typen
  • 9.4.1 Typisierung von Bricolagen nach Ressourcen und sprachlichen Einheiten: von lautlich zu intertextuell und ideell
  • 9.4.2 Typisierung von Bricolagen nach Komplexitätsgrad: von minimal bis erweitert
  • 9.4.3 Weitere Kriterien zur Charakterisierung von Bricolagen
  • 9.5 Interpretationsmöglichkeiten und Konsequenzen der Arbeit
  • 9.5.1 Bricolage als stilbildendes Genre eines kommunikativen sozialen Stils
  • 9.5.2 Bricolage, sprachliche Kompetenz und Performanz
  • 9.5.3 Bricolage in Beziehung und Abgrenzung zu anderen sprachlichen Verfahren
  • 9.5.4 Makrokontext Jugendsprache – die historische Dimension
  • 9.5.5 Makrokontext Jugendsprache – Bricolage als typisches Genre jugendlichen Sprechverhaltens?
  • 9.5.6 Bricolage als konzeptueller Ansatz für variationslinguistische Vergleiche
  • 9.6 Kurzdefinition von Bricolage
  • 10 Bibliographie

1Einleitung

1.1Ausgangslage

Die Forschungsfrage und Erkenntnisinteressen dieser Dissertation haben sich aus Beobachtungen von auffälligen Variationsphänomenen in der Binnenkommunikation einer Peergruppe Deutschschweizer Jugendlicher ergeben. Die Gruppe männlicher Gymnasiasten aus der ländlich geprägten Innerschweiz (Kanton Nidwalden) wurde parallel zu anderen Gruppen aus dem gleichen Raum, aber auch aus anderen Dialektgebieten der Deutschschweiz im Rahmen des SNF-Dore-Projekts Jugendsprache in der Deutschschweiz während eines Jahres ethnographisch begleitet (vgl. Kp. 3.3.1). Es zeigte sich, dass sich bei dieser Peergruppe die Art des Umgangs mit sprachlicher Variabilität als Ressource für ihre Binnenkommunikation in besonderer Weise herausgebildet hatte (vgl. Kp. 2.2.1).

Anhand des folgenden Beispiels soll verdeutlicht werden, um welche Art von Variabilität resp. Variation, also Umgang mit Variabilität, es sich dabei handelt und welche analytischen Probleme bzw. Fragestellungen sich daraus ergeben. Es ist ein Gesprächsausschnitt aus der Binnenkommunikation der Jugendlichen, welche diese ohne Beisein von Erwachsenen aufgezeichnet haben.1

Beispiel 1: „tuiback“

Kontext: Andreas sitzt mit drei seiner Freunde um Mitternacht zusammen. Sie vertreiben sich die Zeit mit dem Rauchen einer Haschpfeife, wofür sie Tabak verwenden, und heiteren Gesprächen über Alltägliches. Der Sequenz voraus geht eine Diskussion über das Projekt, für welches die Aufnahmen aufgezeichnet werden. Andreas erklärt, dass Studierende die Aufnahmen auswerten werden, worauf Nico mit der ironischen Frage-Antwort-Sequenz reagiert studierst du? – ja immer. Das Thema wechselt und David versucht, mehr Tabak aufzutreiben für das Nachfüllen der Pfeife. ← 1 | 2 →

P37: 145 (00:05:15)

Personen: Nico (NIC), David (DAV), Marco (MAR), Timo (TIM)

Datum: 09.04.07

Für Transkriptionskonventionen und Dialektverschriftung vgl. Kp. 3.5.

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Übersetzung:

NIC: Studierst du? – Ja, immer. DAV: He, Tabak, Tabak. MAR: Tabak hehe. ?: Wo ist meiner? DAV: der Tüp Tabak. ?: He zupack Tabak. MAR: Ja, ich hab jetzt dann bald keinen Tabak mehr. ?: Und Fifty Cent.

Die erste Erwähnung findet der Begriff Tabak auf Zeile 03: David fragt seine Freunde nach Tabak, indem er den dialektalen Begriff tuback zuerst mit aspiriertem t, einem gedehnten u und einem aspirierten p ausspricht, was eine stark markierte Aussprachevariante gegenüber der unmarkierten dialektalen Aussprache im Nidwaldner Dialekt darstellt. Diese Variation generiert den Eindruck, es handle sich dabei um den englischen Begriff Two Pac, dem Namen eines nordamerikanischen Rappers. David wiederholt den Begriff direkt im Anschluss nochmals, diesmal ohne Aspirationen, aber dafür mit einer ebenfalls markierten Aussprache des u als Diphthong ui, wie es dem lokalen Ortsdialekt entspricht (tuiback). Die ortsdialektale Variante ist jedoch in diesem Kontext eine stark markierte Variante, die meisten anderen Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums würden diese Variante nicht in einem solchen Gespräch mit ihren Freunden am Gymnasium verwenden. Marco gefällt Davids erste Aussprachevariante offensichtlich und er wiederholt sie auf die gleiche Weise begleitet von einem honorierenden Lachen (Z 04). Nach einer Zwischenfrage greift David selber die erste Variante nochmals auf, um erneut nach Tabak zu fragen (Z 06). Einer der Sprecher, der hier nicht identifiziert werden kann, bildet ad hoc dazu das Verb zuuphack und verbindet es mit dem sich darauf reimenden thuuphack. zuuphack wird dabei im sonst dialektalen Kontext mit einem hochdeutschen Verbzusatz zuu (chdt. zuè) ausgesprochen und dieser nicht vom Verb abgespalten, was eine Normabweichung von einer regulären dialektalen Satzkonstruktion darstellt.2 Marco wiederholt den Begriff nochmals in der ortsdialektalen Variante tuiback und betont, dass ihm dieser langsam ausgeht. Die Sequenz schliesst mit der betont nasal und englisch ausgesprochenen Aussage fifti ssent (Fifty Cent), dem Namen eines anderen nordamerikanischen Rappers. Die englische, tiefe und nasale ← 2 | 3 → Aussprache sowie die Wiederaufnahme des Rapper-Themas verdeutlichen, dass auch dieser Jugendliche in der markierten Aussprache des Begriffs thuuphack auf Zeile 01 und Zeile 04 eine Anspielung auf den Rapper Two Pac erkannt hat. Das folgende vereinfachende Strukturschema soll die dabei ablaufenden Prozesse verdeutlichen:

image

Tabelle 1: Strukturschema Beispiel 1

Strukturell fällt auf, dass in diesem Gespräch der unmarkierte Dialektbegriff tuback (Schritt 0) in eine englische Variante transformiert wird und dadurch inhaltlich polysem wird (er bedeutet gleichzeitig Tabak und Two Pac, Schritte, 1, 3 und 4). Weiter wird der Begriff in der gleichen Sequenz auch in eine stark ortsdialektale Variante transformiert, die mit der anderen kontrastiert (tuiback, Schritte 2 und 6). In einem weiteren Prozess bilden sie einen sich reimenden Neologismus zur pseudoenglischen Variante (Schritt 5) und im letzten Schritt (6) wird durch die Aussprache eines Namens eine Anspielung auf einen ganzen Stil vorgenommen.

Die Jugendlichen bedienen sich also bei einer simplen Aufgabe wie der Suche nach Tabak verschiedener sprachlicher Ressourcen und kombinieren resp. kontrastieren diese anhand eigener Regeln. Die Regelhaftigkeit und die Funktionen dieser Variation sind dabei für Aussenstehende schwer erkenn- und interpretierbar, ohne fundierte Kenntnis des Repertoires der Jugendlichen und ihre sozialen und kulturellen Bezüge in die Orts- und Gesamtgesellschaft. Etwas offensichtlicher ist, dass die Jugendlichen Freude an diesem lautlichen Spiel empfinden (vgl. Lachen Z 04) und sich gemeinsam daran beteiligen (vgl. die vielen Wiederholungen des Begriffs). ← 3 | 4 →

Bei der Beobachtung und Analyse der Gespräche dieser Jungengruppe ergab sich, dass ein solcher Umgang mit Variabiltät für die Gruppe sehr typisch ist und sich in regelhafter Weise auch in Bezug auf die Funktionen auf allen Ebenen des Sprachsystems finden lässt. Sie verwenden dafür die unterschiedlichsten Ressourcen. Dies führte zur Festlegung dieser Phänomene als Untersuchungsgegenstand für die vorliegende Arbeit und zu folgenden grundlegenden Forschungsfragen:

Welche Regelmässigkeiten auf struktureller und funktionaler Ebene lassen sich für diese Variationsphänomene finden?

Wie hängen in diesem Fall Struktur und Funktion zusammen?

Über welchen Zugang resp. anhand welchen Konzepts lassen sich die beobachteten Phänomene in geeigneter Weise erfassen und darstellen?

Die Bricolage erwies sich dabei in Form eines sensitivierenden Konzepts (Denzin 1989: 14) als adäquates Instrument, die verschiedenen vorgefundenen Variationsphänomene zu erfassen, zu ordnen und zu beschreiben. Das Konzept geht auf Lévi-Strauss (1963) resp. Clarke et al. (1975, 1979) zurück und lässt sich auf folgendes einfaches Grundprinzip reduzieren: bestehende soziale oder kulturelle Ressourcen werden von Gesellschaftsmitgliedern aufgegriffen und so transformiert, dass dadurch etwas Neues und Eigenes entsteht. Genau dieser Prozess ist auch im obigen Beispiel beim Umgang mit sprachlicher Variabilität ersichtlich: die Jugendlichen transformieren ihre eigene unmarkierte sprachliche Variation in eine englische Variante, die sie mit dem Kontext des angloamerikanischen Raps in Verbindung bringen, andererseits greifen sie auch auf lokale Ortsdialekte zurück, die kulturell und sozial in starkem Kontrast stehen zur englischen Variante und sie integrieren ein hochdeutsches Morphem in die dialektale Umgebung. Sie bedienen sich also in einer sehr kurzen Sequenz der ganzen Breite ihres sprachlichen Repertoires – der inneren und äusseren Mehrsprachigkeit – um bestimmte kommunikative Ziele zu erreichen. Aus der neuartigen und eigenen Komposition dieser Varianten kreieren sie dabei eine eigene neue Variation, die eigenen sprachlichen Normen folgt.

Ziel der Arbeit wird es sein aufzuzeigen, welche Regelhaftigkeiten diesen Prozessen einerseits strukturell zugrunde liegen und andererseits welche genaue Bedeutungen resp. Funktionen ihnen in den konkreten Kommunikationssituationen zukommen. Sie geht dabei davon aus, dass gerade ein konzeptueller Zugang resp. ein Zugang auf Verfahrensebene zu einem so schwer fassbaren – da subjektiven – Phänomen wie Variabilität resp. Variation sich eignet, um die vorgefundenen kommunikativen Phänomene mit jenen anderer Gruppen und in anderen Kontexten zu vergleichen.

Die folgenden Ziele und Erkenntnisinteressen stehen also in dieser Arbeit im Zentrum:

Es soll aufgezeigt werden, inwiefern diese Variationsphänomene eine gewisse Regelhaftigkeit und Musterhaftigkeit in ihrer Form aufweisen.

Es soll aufgezeigt werden, welche Funktionen diesen Phänomenen in der Binnenkommunikation der Jugendlichen zukommen, also auch welche Aufgaben sie damit bewältigen. ← 4 | 5 →

Diese strukturell-funktionalen Gefüge sollen über das Konzept Bricolage erfasst und dieses soweit adaptiert und weiterentwickelt werden, dass damit eines der wesentlichsten Verfahren der Variation in den Gesprächen dieser Jugendlichen möglichst gut erfasst werden kann.

Es soll aufgezeigt werden, inwiefern Bricolage als regelhafter Umgang mit sprachlichen Ressourcen als ein zentrales stilbildendes Verfahren für die Gruppenkommunikation betrachtet werden kann, resp. inwiefern ihr eine soziale Funktion in Bezug z.B. auf die Gruppenbildung zukommt.

Die Konzeptualisierung von Bricolage soll so weit ausgebaut werden, dass sie übertragbar wird auf andere kommunikative Settings und somit fungiert als ein Instrument zur Analyse und für den Vergleich von Variationsphänomenen anderer Jugendgruppen und auch weiterer sozialer und kultureller Gruppen.

Nicht zuletzt soll durch die Arbeit ein Beitrag geleistet werden zu einer Theoriebildung sprachlicher Variation.

Wie auch das Beispiel zeigt, benötigt eine präzise Analyse und Interpretation solcher Prozesse und ihrer Funktionen und eine entsprechende Konzeptualisierungsarbeit fundiertes Wissen über das Variationsspektrum, in welchem sich die Mitglieder einer Sprechgemeinschaft bewegen. Es braucht Wissen über Regeln und Normen, die ihren Sprachgebrauch bestimmen und es braucht Wissen über ihr erweitertes soziales und kulturelles Umfeld, um die Bezüge und Funktionen ihres sprachlichen Verhaltens verstehen zu können. Ein Ansatz, der sprachliche Handlungen in konkreten Kommunikationssituationen untersucht und sie als soziale und kulturelle Handlungen in einem erweiterten gesellschaftlichen Kontext betrachtet, ist die Ethnographie der Kommunikation nach Hymes (1974, 1979) und Gumperz (u.a. 1972, 1982, 1994). Sie geht dabei von einem Kompetenzansatz aus und versteht sprachliches Handeln als Wissen und Anwendenkönnen von sprachlichen Normen und Regeln, die es braucht, um erfolgreich an einer Gesellschaft partizipieren zu können. Sie konzentriert sich dabei insbesondere auf sprachliches Handeln als Mittel, um gesellschaftliche Aufgaben und Probleme zu lösen. Sie versucht, Strukturen, Muster und deren spezifische Funktionen herauszuarbeiten, die sich in der Kommunikation einzelner sozialer Gruppen dafür herausbilden. Als zentrale Ressource für sprachliche Handlungen betrachtet die Ethnographie der Kommunikation die Variabilität der Sprache. Das heisst, Sprachbenützende können durch die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen des Ausdrucks, durch die Verwendung von Variabilität als sprachliche Ressource – z.B. durch die Wahl zwischen diatopischen und diaphasischen Varianten – ausdrücken, wer sie sind, welcher Gruppe von Menschen sie sich zuordnen, wie sie sich und andere oder eine bestimmte Situationen einschätzen. Auf diese Weise schaffen sie soziale Wirklichkeit. Dieser Ansatz bietet mit seiner theoretischen Ausrichtung und den qualitativen, empirischen Untersuchungsmethoden einen idealen Rahmen für diese Arbeit.

Durch die Untersuchung von Variationsphänomenen in der Binnenkommunikation einer jugendlichen Peergruppe knüpft die Arbeit nicht nur an die Variationsforschung resp. der Ethnographie der Kommunikation an, sondern auch an die Erfor ← 5 | 6 → schung jugendlicher Sprechweisen. Die Jugendsprachforschung hat im deutschen Sprachraum, besonders in Deutschland, bereits eine längere Tradition, was insbesondere für die mündliche, private Kommunikation Jugendlicher in der Deutschschweiz nicht zutrifft. Wie auch das obige Beispiel verdeutlicht, bietet sich die Deutschschweizer Sprachsituation jedoch in besonderem Masse für eine komplementäre Untersuchung des Phänomens an. Die Variation bedeutet hier nämlich in erster Linie dialektale Variation und als Referenzsystem für Variationsphänomene kann nicht primär die hochdeutsche Standardsprache beigezogen werden, wie das in der deutschen Jugendsprachforschung sehr verbreitet ist (vgl. u.a. Neuland 1987, 1994, 2001, 2003, 2008).

In der Arbeit wird dabei nicht primär versucht, Jugendsprache zu untersuchen, an deren Vorhandensein als einheitliche Varietät ohnehin gezweifelt werden muss (vgl. Kp. 2.2.1), sondern im Zentrum steht das sprachliche Verhalten einer Gruppe Jugendlicher und ihr spezifischer Umgang mit sprachlicher Variabilität als Ressource für ihre Stilbildung resp. als möglicher Ausdruck sozialer Verbundenheit mit ihrer Gruppe. Dafür werden exemplarisch vergleichende Mikroanalysen ausgewählter Schlüsselsequenzen aus der Binnenkommunikation dieser Jugendlichen durchgeführt und dabei schrittweise die Konzeptualisierung von Bricolage konkretisiert. In einem zweiten Schritt wird das Konzept resp. die damit untersuchten Verfahren mit weiteren Untersuchungen jugendlichen Sprechverhaltens verglichen, um Parallelen und Unterschiede des Konzepts, aber auch des Verfahrens in Bezug auf verschiedene Jugendgruppen und deren Sprechverhalten herauszuarbeiten. Ziel der Arbeit ist es dementsprechend, über den konzeptuellen Zugang zu Variationsphänomenen eine Möglichkeit des Vergleichs von sprachlichem Verhalten auf Verfahrensebene hervorzubringen, anhand dessen die sprachliche Variation verschiedener Jugend-, aber auch anderer sozialer Gruppen verglichen werden kann. Es soll auch diskutiert werden, inwiefern Bricolagen als typisch für jugendliches Sprechverhalten betrachtet werden können.

Bereits durch die Verbindung einer an sich linguistischen Fragestellung mit einem gesellschaftlichen Kontext wie der Untersuchung einer konkreten gesellschaftlichen Gruppe und ihren Bezügen zu ihrer Umwelt lässt sich die Arbeit im Paradigma der Angewandten Linguistik verorten. Wie Knapp (2004: XVII) betont, liegen die Aufgaben der Angewandten Linguistik auch in der Lösung von gesellschaftlichen Problemen:

Wissenschaften sind zunehmend gefordert, die auf sie verwandten Ressourcen zu rechtfertigen, und dafür ihren Fokus vom Problemverstehen auf das Problemlösen auszuweiten. Dies gilt auch für die Linguistik. Die Linguistik untersucht Strukturen und Gebrauchsweisen von Sprachen mit dem Ziel, Regelmässigkeiten und Zusammenhänge im Aufbau und in der Verwendung von Sprachen aufzuweisen und diese Erkenntnisse für Beschreibungen einzelner Sprachen sowie für generelle Theorien über den Aufbau von Sprachen, ihre Variation im historischen und sozialen Kontext oder die menschliche Sprachfähigkeit zu nutzen. Dabei steht die Bewältigung lebenspraktischer Probleme in der Regel nicht im Vordergrund. Es entspricht einem verbreiteten Denkmuster, im Sinne einer disziplinären Arbeitsteilung für die Bear ← 6 | 7 → beitung solcher Probleme generell die Angewandten Wissenschaften – in diesem Fall: die Angewandte Linguistik – verantwortlich zu machen.

Die Arbeit reagiert entsprechend dieser Anforderung auf zwei Desiderate, auf welche bereits verschiedentlich in der Forschungsgemeinschaft hingewiesen wurde. Auch diese lassen sich am anfangs aufgeführten Beispiel gut darstellen: legt man einen solchen Gesprächsausschnitt bspw. einer Gruppe Studierender oder älterer Gesellschaftsmitglieder vor, ist häufig die erste Reaktion die eines unverständigen Kopfschüttelns oder gar einer offensichtlichen Abneigung gegenüber dem sprachlichen Verhalten der Jugendlichen. Nicht selten folgt auch eine Kritik der angeblich schwachen sprachlichen Kompetenzen der Jugendlichen. Diese Reaktionen reflektieren zwei Fakten: erstens ein sehr verbreitetes und vor allem auch von den Medien3 ständig geschürtes Stereotyp der mangelhaften sprachlichen Kompetenzen heutiger Jugendlicher und zweitens das Aufeinanderprallen und Nichtverstehen verschiedenen sprachlichen Verhaltens resp. verschiedener sprachlicher Normen. Über den kompetenzorientierten, variationslinguistischen Ansatz versucht diese Arbeit einen Beitrag zu leisten zu einem besseren Verständnis unterschiedlichen sprachlichen Handelns. Sie betrachtet jugendliches Sprechverhalten nicht primär als Abweichung von der „korrektenStandardsprache im Sinne eines defizitären Verhaltens, sondern vielmehr als kreativen Umgang mit verschiedenen sprachlichen Formen und Normen. Sie soll aufzeigen, inwiefern das sprachliche Verhalten junger Gesellschaftsmitglieder auch als künstlerischer Ausdruck eines eigenen Selbstverständnisses betrachtet werden kann.

1.2Aufbau der Arbeit

Die Arbeit gliedert sich analog zur dargestellten Ausgangslage und den oben formulierten Zielen.

Theoretischer Rahmen. Im ersten Teil wird der theoretische Rahmen vorgestellt, in welchem sich die Untersuchung platzieren lässt. Einerseits werden dafür die Grundannahmen der Ethnographie der Kommunikation nach Hymes und Gumperz eingeführt sowie auch neuere darauf aufbauende Untersuchungen im deutschsprachigen Raum nach Kallmeyer und Keim. Anschliessend werden zwei Forschungsschwerpunkte der aktuellen Jugendsprachforschung vornehmlich im deutschsprachigen Raum aufgezeigt und konkretisiert, inwiefern sich die Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit daran anschliessen lassen. In diesem Kontext werden auch be ← 7 | 8 → stehende Arbeiten aufgezeigt, welche bereits mit dem Konzept Bricolage gearbeitet haben.

Empirie des Bricolage-Projekts. Im zweiten Teil folgt die Darstellung der Empirie des Projekts, die sich konsequenterweise ebenfalls im Rahmen der Ethnographie der Kommunikation, also im qualitativen Forschungsparadigma, ansiedeln lässt. Es werden die methodischen Zugänge beschrieben, die daraus resultierenden Daten und der konkrete Analysezugang.

Ethnographie der Kommunikation der Nidwaldner Peergruppe. Im dritten Teil der Arbeit folgt die eigentliche Ethnographie der Kommunikation der untersuchten Peergruppe. Das heisst, sie und ihr sprachliches Verhalten werden in einen gesellschaftlichen und sprachlichen Kontext eingebettet. Diese Beschreibung umfasst auch das Umreissen ihrer sprachlichen Normallage als Referenzsystem für Variationsphänomene. Zudem wird eine Auswahl der in den Gesprächen verwendeten kommunikativen sozialen Stile beschrieben, die für das Verständnis der nachfolgenden Analysen von Bricolage und insbesondere in Bezug auf die Bedeutung der dabei verwendeten Ressourcen unerlässlich sind.

Ethnographisch orientierte Konzeptualisierung von Bricolage. Der vierte Teil bildet das Kernstück der Arbeit: in diesem wird das Konzept Bricolage schrittweise anhand detaillierter Mikroanalysen von Beispielen auf verschiedenen Ebenen des Ausdruckssystems und unter Einbezug unterschiedlichster Ressourcen präzisiert und weiterentwickelt. Auf Basis dieser Analyse folgt eine Diskussion der Konzeptualisierung und alle in der Analyse entwickelten Kategorien und Typen verschiedener Bricolagen werden zusammenfassend dargestellt.

Interpretationsmöglichkeiten. In einem erweiterten interpretativen Teil wird auf Bricolage als stilbildendes Verfahren eingegangen in Bezug auf den Gruppenstil der hier im Fokus stehenden Peergruppe. Die Diskussion wird anschliessend ausgweitet und die Konzeptualisierungsarbeit resp. das Verfahren selber werden mit anderen Untersuchungen jugendlichen Sprechverhaltens verglichen. Dies dient dazu, das hier entwickelte Konzept von anderen bereits bestehenden Konzepten abzugrenzen bzw. Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Zudem sollen dadurch auch Parallelen im Sprechverhalten verschiedener Jugendgruppen aufgezeigt werden.

Zusammenfassung, Fazit und Ausblick. Im letzten Teil der Arbeit werden abschliessende Überlegungen angestellt zu Bricolage als typischem Verfahren jugendlichen Sprechens und zu seiner Eignung für variationslinguistische Arbeiten und Vergleiche. Es werden die zentralen Ergebnisse und Desiderate aufgezeigt. ← 8 | 9 →

1Das Beispiel wird im Hauptteil der Arbeit zusätzlich fundiert analysiert und besprochen (vgl. Beispiel 27).

2Korrekt wäre: pack de tuiback resp. *pack de tuiback zue, wobei auch auf Schweizerdeutsch die Variante mit Verbzusatz nicht transitiv verwendet werden kann (für die genaue Analyse vgl. Beispiel 27).

3Vgl. bspw. die diesbezüglichen Darstellungen von Jannis Androutsopoulos Plenarvortrag an der 6. internationalen Jugendsprachtagung in Freiburg i. Br. vom 1.–3. April 2011 zum Thema: Jugendsprache als Struktur, Performanz und Ideologie, http://www.hpcl.uni-freiburg.de/jugendsprachen-2011 [Internet: 28.04.2012]. Er macht darauf aufmerksam, dass es eine Aufgabe der Linguisten und Linguistinnen im Bereich der Jugendsprachforschung ist, den stark vereinfachenden und vor allem defizitorientierten Darstellungen jugendlichen Sprechverhaltens in den Medien entgegenzuwirken.

2Theoretischer Rahmen und Forschungsbezug

Diese Arbeit hat primär einen linguistischen Fokus mit dem Ziel, systematisch ein bestimmtes kommunikatives Verfahren in Gesprächen einer Jugendgruppe zu beschreiben, zu konzeptualisieren und seine diskursiven und sozialen Funktionen in der Gruppenkommunikation darzustellen. Im Fokus der Untersuchung stehen Gespräche, in welchen sich Jugendliche durch einen sehr gezielten Umgang mit sprachlicher Variabilität in ihrem sozialen Umfeld positionieren. Dadurch knüpft die Arbeit an verschiedene Teilgebiete der Angewandten Linguistik an, die sich mit Fragen und Problemen an der Schnittstelle zwischen Sprache und Gesellschaft und dem Umgang mit sprachlicher Variation im intra- und interkulturellen Bereich auseinandersetzen und nicht zuletzt auch mit sprachlicher Variation als Ausdruck von kommunikativer Kompetenz. Nach Perrin (2006: 29) zeichnet sich die Angewandte Linguistik dadurch aus, dass sie problemorientiert, also in konkreten Anwendungsfeldern arbeitet: „Angewandte Linguistik: disziplinäre Variante der Linguistik, die linguistische Theorien, Methoden und Erkenntnisse anwendet, um Probleme des Sprachgebrauchs in bestimmten Anwendungsfeldern zu klären.“

Das folgende Kapitel soll aufzeigen, welche theoretischen Ansätze, Konzepte und Forschungsbereiche der Arbeit zugrunde liegen und welche Desiderate sich aus diesen für die Arbeit ableiten lassen. Die theoretischen Grundpfeiler bilden dabei einerseits die Ethnographie der Kommunikation und die Erforschung von Variation als stilistischem Phänomen im Allgemeinen. Andererseits werden Bezüge hergestellt zum Gebiet der Erforschung jugendlicher Sprechweisen, denen sich diese Untersuchung ebenfalls anschliessen lässt. Insbesondere werden Studien erläutert, die sich im Bereich der Soziologie und der Untersuchung jugendlicher Sprechweisen bereits mit dem Konzept Bricolage auseinandergesetzt haben. Der Fokus der Darstellungen liegt auf einer knappen Wiedergabe der theoretischen Überlegungen, Konzepte und Begriffe, die im zweiten Teil der Arbeit wieder aufgegriffen werden. Im letzten Teil der Arbeit werden Bezüge und Anschlussmöglichkeiten zu weiteren Forschungsergebnissen und -gebieten aufgezeigt, die sich nach der Präzisierung des untersuchten Phänomens besser verdeutlich lassen.

2.1Ethnographie der Kommunikation: Kontext und zentrale Begriffe

Wie gesagt, geht die Arbeit von auffälligen und wiederholt auftretenden Variationsphänomen im Korpus einer jugendlichen Peergruppe aus und versucht, diese struk ← 9 | 10 → turell sowie funktional zu beschreiben und zu erklären. Ein geeigneter theoretischer Rahmen dafür bietet die Ethnographie der Kommunikation nach John Gumperz (v.a. 1982, 1994, Gumperz/Hymes 1986) und Dell Hymes (1979), welche wichtige theoretische und methodologische Grundlagen erarbeitet haben für die Untersuchung sprachlicher Formen resp. ihrer Funktionen als soziales Phänomen. Nach Hymes (1979: 33) befasst sich „Die Ethnographie des Sprechens mit den Situationen und Gebrauchsweisen, den Mustern und Funktionen des Sprechens als einer gesellschaftlichen Aktivität aus eigenem Recht.“ Sie hat analog zu anderen ethnographischen Zugängen zum Ziel, kleine Lebenswelten zu beschreiben, „die nicht mehr nur ausserhalb der eigenen Kultur liegen, sondern die gerade vor dem Hintergrund einer sich ausdifferenzierenden und pluralisierenden Gesellschaft auch innerhalb der eigenen Kultur zu ‚fremden‘ Lebenswelten werden“ (Krüger/Grunert 2002: 239). Sie betrachtet dabei Kommunikation als Grundform sozialen Handelns, deren Formen und besonders auch Funktionen nur in natürlichen Kontexten beobachtet und beschrieben werden können. Dabei geht sie davon aus, dass Mitglieder von sozialen Netzwerken bzw. Sprechgemeinschaften gemeinsam durch den fortwährenden, längeren Kontakt miteinander eigene sprachliche Formen, Funktionen und Normen entwickeln, die Ausdruck ihrer sprachlicher Kompetenz sind und durch welche sie sich von anderen sozialen Gruppen unterscheiden. Die Ethnographie der Kommunikation versucht, diese sprachlichen Muster und Normen von Sprechgemeinschaften herauszuarbeiten, zu beschreiben und zu interpretieren. Sie tut dies durch die Verbindung verschiedener Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand: der Innenperspektive der Mitglieder der Sprechgemeinschaft selber (emische Perspektive) und verschiedener Aussenperspektiven (etische Perspektive) weiter entfernter Gesellschaftsmitglieder und der Forschenden.

Für die Arbeit zentral ist auch die Weiterentwicklung dieser Ideen und Methodologie unter pragmatischem, ethnographischem und gesprächsanalytischem Einfluss im Rahmen der interaktionalen Soziolinguistik, wie sie von Gumperz (1994) und im Rahmen der Ethnographie der Kommunikation im deutschsprachigen Raum u.a. von Imken Keim, Werner Kallmeyer und Johannes Schwitalla in den Projekten Kommunikation in der Stadt und Kommunikative soziale Stilistik durchgeführt wurden (vgl. Kallmeyer 1994, 1995, Keim 1995, 2007 und Schwitalla 1995).4

Auf methodische und methodologische Aspekte der Ethnographie der Kommunikation, für welche insbesondere auch Blumers (1981) und Denzins (1989, 2001) Arbeiten prägend waren, wird im Empirie-Teil genauer eingegangen (vgl. Kp. 3 und v.a. 3.2). ← 10 | 11 →

2.1.1Sprachliche Variabilität als kommunikative Ressource

Die Prämisse dieser Ansätze liegt darin, Sprachverwendung als von Natur aus variabel zu betrachten, was impliziert, dass Sprechende einer Gesellschaft die Kenntnis von und die Wahl zwischen grammatischen und lexikalischen Möglichkeiten haben, um sich auszudrücken (Gumperz 1994: 612 f.). Dementsprechend stellt die Variabilität der Sprache die Grundlage für die menschliche Kommunikation an sich dar und dient als analytische Ressource in linguistischen Untersuchungen:

Variabilität wird als eine analytische Ressource betrachtet, der Sprachtheorien Rechnung tragen müssen, wenn sie sprachliche Äusserungen mit der sozialen Umgebung in Beziehung setzen wollen, in deren Rahmen die Äusserungen produziert und interpretiert werden. Daher sind die grundlegenden Objekte der soziolinguistischen Analyse nicht einzelne Sprachen, Dialekte oder Sprachregister, betrachtet als grammatisch definierte Systeme, sondern sprachliche Repertoires […] d.h. die Gesamtheit der paradigmatisch geordneten Mengen von Alternativen, die Signalwert haben für die jeweilige Population. (ebd., Hervorh. E.G.)5

Zentral bei dieser Sichtweise ist die Bedeutung, die der Wahl der einen oder anderen sprachlichen Variante in konkreten Gruppen zukommt und wie die jeweiligen Gesellschaftsmitglieder durch sprachliche Variation in realen Kommunikationssituationen Sinn stiften.

2.1.2Sprachliche Variabilität als Ressource für soziale Symbolisierungen

Details

Seiten
XVIII, 486
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653039948
ISBN (ePUB)
9783653993813
ISBN (MOBI)
9783653993806
ISBN (Hardcover)
9783631646281
DOI
10.3726/978-3-653-03994-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juli)
Schlagworte
Sprachliche Varianz Dialekt Schweizerdeutsch, Jugendsprache Ethnographie der Kommunikation
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XVIII, 486 S., 70 Tab.

Biographische Angaben

Esther Galliker (Autor:in)

Esther Galliker studierte Germanistik und Romanistik an der Universität Zürich. Sie arbeitete im Projekt Jugendsprache in der Deutschschweiz an der Zürcher Fachhochschule mit, unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds. Sie promovierte an der Universität Wuppertal und unterrichtet Kommunikation an der Hochschule Luzern.

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Titel: Bricolage
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