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Die Politisierung der Oper im 19. Jahrhundert

von Maria Birbili (Autor:in)
©2015 Dissertation VI, 379 Seiten

Zusammenfassung

Gegenstand dieser Studie sind die Auswirkungen der Französischen Revolution auf die Oper des 19. Jahrhunderts. Unter Berücksichtigung der Oper der französischen Revolutionszeit, der neapolitanischen Oper unter französischer Herrschaft und der historischen Opern Rossinis für Paris wird die Grand opéra als Produkt eines Austauschprozesses zwischen Pariser Inszenierungstraditionen und italienischer musikalischer Formgebung interpretiert. Anhand neu aufgefundener Quellen läßt diese Studie eine zentrale Epoche der Operngeschichte des 19. Jahrhunderts in einem neuen Licht erscheinen, indem die häufig aggressive Dramaturgie der Grand opéra wie auch des italienischen Melodramma des Risorgimento als Konsequenz der Schreckenserfahrungen der Französischen Revolution gedeutet wird.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • I. Die Politisierung der französischen Revolutionsoper und die Entstehung der Grand opéra
  • 1. Die Französische Revolution als Akkulturationsprozeß
  • Wahrnehmung und Erfahrung der Französischen Revolution
  • Historisierung
  • Großstadttraumata
  • Die Faszination des Schreckens
  • 2. Die Belagerungsoper – allgemeine Aspekte
  • 3. »Oui, tous!«: Die kollektive Schwurszene
  • Die Idee der Kollektivität im Parlamentarismus der Französischen Revolution
  • Die Idee der Kollektivität in der Schwurszene der Revolutionsoper
  • 4. »Et tout s’écrase dans le feu«: Die Katastrophenszene
  • 5. Expeditionsoper
  • 6. Mit dem Pferd in den Krater und mit dem Volk durch das Rote Meer. Die Verlegung der »opera senza amore« nach Neapel
  • 7. Die Entstehung der Grand opéra
  • I. Revolution (La Muette de Portici)
  • II. Massaker (Le Siège de Corinthe)
  • 8. Problematische Aspekte der frühen Grand opéra: Guillaume Tell
  • II. Politisierung in der Grand opéra und ihrer italienischen Rezeption
  • 9. Die Französische Revolution in der Grand opéra
  • 10. Dokumentation des Schreckens
  • 11. Historie als Privatkonflikt: Le Prophète
  • 12. Das Freundschaftsduett
  • 13. Das gestörte Liebesduett
  • 14. Inzest
  • 15. Risorgimento
  • Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Index
  • Reihenübersicht

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Vorwort

Die neuere Opernforschung hat akzeptiert, daß das Libretto nicht an den Kriterien des gesprochenen Dramas und der autonomen Literatur zu messen ist, sondern vor allem daran, inwiefern es ihm gelingt, zu einer Durchdringung von Text und Musik im Bühnenereignis beizutragen. Das gleiche gilt natürlich für die Opernpartitur, die nicht mit dem Maßstab der »absoluten« Instrumentalmusik bewertet werden darf, auch wenn es der Musikwissenschaft stets schwergefallen ist, einen adäquaten Zugang zur Oper des 19. Jahrhunderts zu finden. Zu übermächtig ist die Tradition eines Faches, dessen Methoden an der klassischen deutsch-österreichischen Instrumentalmusik entwickelt worden sind, und ungleich komplizierter erscheint die Gattung Oper, die zum Text und zur Musik auch das szenische Element dazu kommen läßt. Insofern sich die Musikwissenschaft weigert, die Interpretation des Librettos und der Inszenierung Aufmerksamkeit zu schenken, bleibt eine umfassende Auswertung des Phänomens der Oper ausgeschlossen.

Es ist vermutlich noch zu früh, die weitere Entwicklung der librettologischen Theoriebildung vorauszusagen. Offensichtlich erscheint jedoch, daß die Debatte um eine distinkte Librettoforschung als autonome Disziplin nutzlos ist, da die Betrachtung des Librettos nur Grundlage einer das Phänomen umfassend untersuchenden Opernforschung sein kann1. Eine Grundlage, die bitter nötig ist, dennoch nie zum Selbstzweck werden sollte.

Nachdem die Opernforschung sich methodisch unter formalen und strukturellen Ausgangspunkten mit der Untersuchug der Auswirkung der librettistischen Makrostruktur auf die Disposition der musikalischen Nummer2 sowie mit dem Verhältnis zwischen Versifikationsstruktur und melodischer Mikrostruktur3 eingehend befaßte, mag die vorliegende Untersuchung, die von der librettistischen Thematik ausgeht, beim ersten Blick als methodischer Rückschritt erscheinen. In der vorliegenden Untersuchung hat jedoch die Librettothematik keineswegs als literaturwissenschaftlicher Ausgangspunkt, etwa für eine Stoffwahldiskussion, fungiert4, sondern es wurde streng per Quellenforschung sowie musikanalytisch untersucht, wie genau sich manche spezifischen Eigenschaften des Librettos musikalisch-formal auf die Partitur auswirkten. ← 1 | 2 →

Das Phänomen der von mir heuristisch bezeichneten »opere senza amore« d.h. der Opern, in denen der dramatische Hauptkonflikt nicht auf der gattungskonstituierenden privaten Handlung einer Liebes- oder einer Dreiecksgeschichte beruht, ist von der Opernforschung bisher unkommentiert geblieben oder ist nie systematisch untersucht worden. Die vorliegende Untersuchung stellt den Versuch dar, diese Lücke zu schließen.

Trotz eines auf den ersten Blick verwirrenden Eindrucks von Disparatheit und Heterogenität des reichen Materials ließen sich die während der Untersuchung festgestellten spezifischen Kategorien derart deutlich und konstitutiv identifizieren, daß es beinahe legitim erschien, eine besondere librettistische Kategorie anzuerkennen, deren systematische Erforschung die Entwicklung der Oper des 19. Jahrhunderts unter völlig neuen Aspekten beleuchten dürfte.

Die Untersuchung hat sich von der unterschiedlichen Gattungsprovenienz der »opere senza amore« nicht beirren lassen. Das methodische Verfahren, verschiedene Gattungen, von der Oper der französischen Revolutionszeit bis zur Oper des italienischen Fin de siècle, unabhängig von nationalen Traditionen, jedoch unter strenger Beachtung der entsprechenden gattungsgeschichtlichen Wechselbeziehungen und Austauschprozesse in die Untersuchung einzubeziehen, korrespondiert mit dem neuesten Trend in der Opernforschung5 und sollte hoffentlich dazu beitragen, daß diese sich endlich von der obsoleten monographischen Tradition der häufig in einem Vakuum besprochenen einzelnen Komponisten entfernt. Die Untersuchung hat sich andererseits ausschließlich auf die französischen und italienischen Gattungen konzentriert und sich nicht ausgeweitet auf die Rezeption des Phänomens im späten 19. Jahrhundert, die sich im übrigen Europa, vorwiegend im osteuropäischen Raum, ereignete, mit der Verbreitung russischer, polnischer und tschechischer historisierender Opern (von Glinka und Mussorgsky bis Szymanowski). Zur präzisen chronologischen und konzeptionellen Festlegung der Untersuchung siehe die Einleitung des Kapitels 1 sowie den das Buch abschließenden Ausblick.

Das erste Kapitel im vorliegenden Buch verfolgt die etablierten geschichtswissenschaftlichen Theorien über das historisch-soziale Phänomen der Französischen Revolution und bespricht die Konsequenzen dieses historischen ← 2 | 3 → Ereignisses auf die Zeitgenossen aus historischer, soziologischer und psychoanalytischer Sicht. Als nächstes wird diese Diskussion, ebenfalls in historischer, soziologischer und psychoanalytischer Sicht, auf die Oper der Revolutionszeit und die Oper der Napoleonischen Zeit und (nach einem Exkurs in das neapolitanische »französische Jahrzehnt«, in dem die Revolutionsmodelle nach Italien gebracht wurden) auf die historischen Opern Rossinis und die Grand opéra geführt, indem die besprochenen Gattungen als Akkulturationsprozeß und Rezeption des Revolutionsereignisses auf der Bühne und in der Psyche der Zeitgenossen untersucht werden. Das Buch gliedert sich in zwei Teile, wobei der erste Teil die Oper der französischen Revolutionszeit und die historischen Opern Rossinis und Aubers als Rezeption des Revolutionsereignisses auf der Opernbühne bespricht. Der zweite Teil untersucht und identifiziert die sich später in eine andere Richtung entwickelnde Rezeption des Revolutionsereignisses in der Gattung Grand opéra. Ein abschließender dritter Teil konzentriert sich auf den Aspekt der veränderten Rollentypologie in der »opera senza amore«, mit unter anderem der Einführung des Baritonfachs in einem als Ersatz des Liebeskonflikts fungierenden privaten Konflikt zwischen Vater und Tochter. Der abschließende dritte Teil des Buchs behandelt auch die Rezeption der besprochenen französischen Modelle in der italienischen Oper des Risorgimento. In einem kurzen Ausblick wird dann dargestellt, wie das Phänomen der »opera senza amore« im italienischen Verismo ausstirbt.

Das vorliegende Buch wurde 2007 als Dissertation unter der Betreuung von Prof. Dr. Jürgen Maehder und Prof. Dr. Sieghart Döhring von der Freien Universität Berlin angenommen. Die dazugehörige Forschungsarbeit wurde im wesentlichen während mehrerer Forschungsaufenthalte in Paris, Krakau, Neapel, Pesaro und Parma sowie selbstverständlich in Berlin durchgeführt. Ein wahrer Genuß waren nicht allein die spannenden Recherchen an den schier unerschöpflichen Beständen der Pariser Bibliothèque Nationale und der Pariser Archives Nationales, sondern ebenfalls die häufig anonym gebliebene Hilfe unzähliger Bibliothekare. Meinen Dank aussprechen möchte ich ebenfalls der Athener/New Yorker Stiftung »The Friends of Music«-Society für die Förderung meiner Pariser Recherchen sowie selbstverständlich meinen Eltern, die mir stets geduldig finanzielle Unterstützung gewährten.

Ideell und programmatisch verpflichtet fühle ich mich an erster Stelle Anselm Gerhard, ohne dessen Verstädterung der Oper6 meine Dissertation schlicht und einfach nie entstanden wäre, da ich es ohne dieses Vorbild nie gewagt hätte, eine derart gattungsübergreifende Untersuchung zu erwägen. Anselm Gerhards bestechende, sich im Bereich der Soziologie bewegende Interpretation der Grand opéra als gesellschaftliches Phänomen, das mit der Urbanisierung von Paris als »europäische Hauptstadt des 19. Jahrhunderts« eng verbunden war, inspirierte mich dazu, diese Interpretation weiterzuführen und das Verhältnis der historischen Oper mit dem für das 19. Jahrhundert erschütternden gesellschaftlichen ← 3 | 4 → Ereignis, das die Französische Revolution darstellt, zu untersuchen. Auch sein umfassender, informativer Aufsatz über die Grand opéra in der Forschung seit 19457 ermöglichte mir, meinen frühen Wissensdurst für die bis dato stiefmütterlich behandelte Gattung Grand opéra ansatzweise zu befriedigen oder ihm zumindest Orientierung zu verleihen.

Während der Recherchen zur Dissertation erreichte mich die Nachricht des Todes von Prof. Elizabeth Bartlet, der diese Arbeit in vielem, überwiegend im ersten Teil des Buchs, verpflichtet ist. Ihre tiefgehende, souveräne, beinahe übermenschlich erscheinende Vertrautheit mit den unerschöpflichen, manchmal unübersichtlich erscheinenden Beständen der Pariser Bibliotheken regte mich an erster Stelle, als unerreichbar gebliebenes Vorbild, zu mehr Anstrengung an. Überdies verdanke ich ihr anregende Diskussionen, informative Hinweise, produktive Kritik und vor allem ihr konstantes, geduldiges Interesse und Verständnis für die vorliegende Arbeit, die sie von Anfang an mit Überzeugung unterstützte, trotz eines anfänglichen leicht ungeregelten Eindrucks und trotz der Gefahr der Ablenkung durch die Spannweite des Sujets, das sie mit »It’s definitely on the broad side« kommentierte. Auch ohne direkte Interaktion, allein durch ihre bloße Anwesenheit in den verschiedenen Pariser Bibliotheken, bewirkte ihre stets fleißig forschende, uneitle und sachliche Präsenz, daß ich beflügelt und inspiriert mit neuem Elan arbeitete.

Mindestens genauso viel prägende Anregung verdanke ich dem Betreuer der vorliegenden Arbeit, Prof. Dr. Sieghart Döhring, der mir als erster gewährte, an wissenschaflichen Kongressen teilzunehmen und Aufsätze zu publizieren, und der mir auch den Rahmen zur Verfügung stellte, die von ihm als Dissertation angenommene Arbeit in die nun abgeschlossene Form zu bringen, indem er mir am Forschungsinstitut für Musiktheater Schloß Thurnau die Mittel zur Verfügung stellte, die Abbildungen und die Musikbeispiele zu erstellen. Tief verpflichtet bin ich ihm besonders, da er die Betreuung meiner Dissertation aufnahm, obwohl ich an einer anderen Universität immatrikuliert war. Die genauen Intentionen meines anfangs für Außenstehende leicht unübersichtlich erscheinenden Projekts erahnte er, neben Prof. Maehder und Prof. Bartlet, mit Scharfsinn vom ersten Augenblick an. Darüberhinaus ist mein Buch ihm auch methodisch verpflichtet, nicht nur in Bezug auf seine Interpretation der Oper des 19. Jahrhunderts, die im deutschsprachigen Raum vorrangig mit seinem Namen verbunden ist, sondern auch in Bezug auf die Oper der französischen Revolutionszeit. Von ihm inspiriert wurde ich angeregt, neben dem unverzichtbaren sachlichen Aspekt der Quellenforschung auch die ergänzende Komponente einer tieferen, ideellen Interpretation zu verfolgen. Selbst wenn letztere Vorgehensweise Gefahr läuft, sich in eine etwas subjektivere Richtung als die pragmatische, materielle Forschung zu bewegen, ist sie unerläßlich für eine angemessene musikdramatische Interpretation der Gattung Oper. ← 4 | 5 →

Sabine Henze-Döhring bin ich dankbar dafür, daß sie in den frühen 1990er Jahren auf die Idee kam, über die Produktion der damals freilich unbekannten, vor der Ära Rossinis komponierenden neapolitanischen »Kleinmeister« aus dem »französischen Jahrzehnt« der Herrschaft Joachim Murats in Neapel zu forschen8. Ohne ihren Beitrag wäre ich nicht auf die (nur ansatzweise realisierte) neapolitanische Rezeption der Oper der französischen Revolutionszeit und der Napoleonischen Zeit aufmerksam geworden, die wiederum Rossinis avantgardistische neapolitanische Opern anspornten.

Über Rossini und über die italienische Oper zu sprechen, ohne Philip Gossett zu erwähnen, wäre regelrecht ein Verstoß gegen die Grundbegriffe der Musikwissenschaft. Ich bin ihm tief verpflichtet für anregende Diskussionen, hilfreiche Hinweise, steten souveränen Beistand und vor allem endlose Geduld, mich während gelegentlicher Momente der Desillusionierung stetig voranzutreiben.

Auf das Stichwort »Geduld« hin möchte ich last but not least mit großen Nachdruck dem Erstgutachter und Betreuer dieser Arbeit, Prof. Dr. Jürgen Maehder, unendlich danken, da er als meine überhaupt erste direkte Begegnung mit der Musikwisssenschaft mich mit seiner fortschrittlichen, alles andere als national gerichteten Auffassung der Opernforschung und mit seiner steten Berücksichtigung der neuen Ansätze zur Erforschung der europäischen und außereuropäischen Operngeschichte tief beeinflußt hat, und dies blieb bei weitem nicht die einzige prägende Anregung, die ich aus seinen Lehrveranstaltungen erhalten habe. Ihm verdanke ich nützliche Hinweise, wachsame Intervention während einer ursprünglichen Tendenz stilistischer Emphase, nüchterne Kritik, und dies stets verbunden mit dem lebenswichtigen Sarkasmus, der die Vorausetzung für einen recht aufgeschlossenen Gedankenaustausch schafft.

Tief verpflichtet bin ich Prof. Dr. Jürgen Maehder und Prof. Dr. Thomas Betzwieser dafür, daß sie mir die Veröffentlichung meines Buchs in ihrer Reihe »Perspektiven der Opernforschung« ermöglichten. Dr. Rainer Franke (vom Forschungsinstitut für Musiktheater, Schloß Thurnau) möchte ich einen besonderen Dank aussprechen, da er mir seinen Scanner zur Verfügung stellte für die Erstellung der Abbildungen und Musikbeispiele.

Nicht zuletzt möchte ich mich bei Rolf Houpt herzlich bedanken für die redaktionelle Hilfe bei der Beseitigung unzähliger Flüchtigkeitsfehler und Unaufmerksamkeiten im Manuskript.

Abschließend bedanke ich mich noch bei allen meinen guten Freunden in Deutschland, Europa und Amerika, die mich moralisch und ideell unterstützten ← 5 | 6 → und durch viel ereignisreiche Zeit und daraus resultierende Schuldgefühle mich indirekt zu intensiver Arbeit am vorliegenden Buch anregten.

1 Dazu siehe Alessandro Roccatagliati, Libretti: Autonomous or Functional Texts? in: The Opera Quarterly 11 (1995), pp. 111-115.

2 Harold S. Powers, »La solita forma« and the Uses of Convention in: Acta Musicologica 59 (1987), pp. 65-90. Auch in: Atti del convegno internazionale in occasione della prima del »Rigoletto« in edizione critica, Vienna 12/13 marzo 1983, Parma (Istituto di Studi Verdiani) und Milano (Ricordi) 1987, pp. 74-109, Alessandro Roccatagliati, Felice Romani librettista, Lucca (Libreria musicale italiana) 1996.

3 Friedrich Lippmann, Der italienische Vers und der musikalische Rhythmus, in: Analecta Musicologica 12 (1973), pp. 235-369, 14 (1974), pp. 325-410, 15 (1975), pp. 298-333, Peter Ross, Studien zum Verhältnis von Libretto und Komposition in den Opern Verdis, Bern (Gnägi Druck) 1980.

4 Wie in zahlreichen Studien, beispielsweise: John Black, The Italian Romantic Libretto: A Study on Salvatore Cammarano, Edinburgh (Edinburgh University Press) 1984.

5 Siehe z.B. Sieghart Döhring, Multimediale Tendenzen in der französischen Oper des 19. Jahrhunderts in: Daniel Heartz und Rachel Wade (edd.), International Musicological Society: Report of the 12th congress Berkeley 1977 Kassel (Bärenreiter) 1981, pp. 497-500, ders., Zur ästhetischen und dramaturgischen Disposition der Ballszene in Meyerbeers »Les Huguenots« in: Meyerbeer und der Tanz, München-Paderborn (Ricordi) 1998 (»Meyerbeer Studien« 2), pp. 50-64, ders., Die Oper Meyerbeers als Theater der redenden Bilder, in: Meyerbeer und das europäische Musiktheater, Laaber (Laaber Verlag) 1998 (»Thurnauer Schriften zum Musiktheater« 16), pp. 250-257, ders., Private Tragödie und politischer Akt: Zum Kompositionsprozeß der »Bénédiction des poignards« aus Meyerbeers »Les Huguenots« in: Werner Breig (ed.), Opernkomposition als Prozeß. Referate des Symposiums Bochum 1995 Kassel (Bärenreiter) 1996 (»Musikwissenschaftliche Arbeiten« 29), pp. 113-125 sowie Anselm Gerhard, Die Verstädterung der Oper. Paris und das Musiktheater im 19. Jahrhundert, Stuttgart/Weimar (Metzler) 1992.

6 ANSELM GERHARD, Die Verstädterung der Oper.

7 Anselm Gerhard, Die französische Grand opéra in der Forschung seit 1945, in: Archiv für Musikwissenschaft 59 (1987), pp. 220-270.

8 Sabine Henze-Döhring, Das melodramma serio am Teatro San Carlo unter Napoleonischer Herrschaft (1808-1815), in: Bianca Maria Antolini und Wolfgang Witzenmann (edd.), Napoli e il teatro musicale fra Sette e Ottocento (Studie in onore di Friedrich Lippmann), Firenze (Olschki) 1992, pp. 247-266.

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Die französische Revolutionsoper und die Entstehung der Grand opéra

Wahrnehmung und Erfahrung der Französischen Revolution

Als einschneidender, wirkungsreicher geschichtlicher historischer Vorgang an der Schwelle zur Moderne, der sich in einer immer noch nicht ganz ausgewerteten Masse verschiedenster Quellen niedergeschlagen hat, ist und bleibt die Französische Revolution nicht nur das meistdiskutierte Problem der Geschichtswissenschaft, sondern, und überwiegend als Gegenstand interdisziplinärer Studien, überhaupt eines der beliebtesten Forschungsgebiete der Geisteswissenschaft.

Ist die Diskussion über den Zäsurcharakter der Französischen Revolution für Frankreich und darüber hinaus für ganz Europa heute ein Konzept, das im politischen Denken des 19. und des 20. Jahrhunderts bei den politisch Linken wie bei den Rechten eine kaum zu unterschätzende Schlüsselrolle gespielt hat, relativiert durch die neuerdings aufgetretene Beachtung auch der Kontinuitäten9 in der sozial-, wirtschafts- und bevölkerungsgeschichtlichen Entwicklung vom frühen 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, erweist sich diese Interpretation als weniger spektakulär, als sie zuerst anmutet. Denn auch wenn »die konsequente Anwendung der Prämissen einer histoire de longue durée auf eine Epoche, deren außerordentliche Ereignisdichte bis dahin einen methodischen Vorbehalt zugunsten der Ereignisgeschichte zu rechtfertigen schien«10, irreführende Eindrücke erweckt, ist letztlich der Zäsurcharakter der Französischen Revolution trotz aller Relativierung nicht zu widerlegen. Und obschon die mitreissende Faszination, die von der Französischen Revolution ausgegangen ist und noch ausgeht, gleichsam in sich die Gefahr birgt, die Auswirkung der Revolution auf die in ihrer Vielfalt noch schwer zu fassende allgemeine Mentalitäts- und Kulturgeschichte überzubewerten, erscheint es zunächst keineswegs übertrieben zu behaupten, die Französische Revolution habe sowohl im politischen als auch im kulturellen Bereich das moderne Zeitalter initiiert.

In der aktuellen Forschung11 besteht das Bestreben, die Französische Revolution in ihrer tiefsten und nachhaltigsten Wirkung und damit in ihrem umfassenden ← 7 | 8 → Charakter zu erfassen. Betrachtet man die früheren empirisch-statistischen Regionalstudien, die Basis der historischen Frankreichforschung, so ergibt sich, daß die landläufige sozio-ökonomische Deutung der Französischen Revolution überholt ist, daß die Revolution die Wirtschafts- und Sozialstruktur des alten Frankreich viel weniger verändert hat als die verbreitete traditionelle Vorstellung von der Französischen Revolution als Paradigmenwechsel behauptet. Dagegen zeichnet sich in den neuesten Forschungsergebnissen ein größerer Zäsurcharakter auf soziokulturellen Gebieten und im gesellschaftlichen Bewußtsein ab. Dieser Befund reiht die Französische Revolution keineswegs in eine historische Kontinuität ein, er stellt vielmehr die Richtigkeit eines bestimmten Bildes von ihr in Frage und öffnet damit den Blick auf ihre lange übersehene abstrakte Dimension. Dieser Perspektivwechsel von der materiellen gesellschaftlichen Wirklichkeit zur Konzentration auf die Untersuchung von Akkulturationsprozessen, der die Revolutionsgeschichtsschreibung zu historischer Bewußtseinsforschung12 veranlaßt hat und der nicht zufällig mit der allgemein zunehmenden Beachtung von Mentalitätshistorie und historischer Anthropologie13 zusammentrifft, hat sich inzwischen international zu einem methodologischen Neuansatz der Revolutionsgeschichtsschreibung entwickelt.

Ebenso wie in der neuerdings eingeleiteten Gesamtdarstellung der Französischen Revolution aus kultursoziologischer Sicht scheint sich auch im Bereich der bedeutend konservativer ausgerichteten Disziplin Musikwissenschaft ein Neuansatz in der Betrachtung der Kunstgattung Oper als soziales Kommunikationssystem14 abzuzeichnen. Das Forschungsvorhaben des vorliegenden Buchs, dessen Ausgangspunkt aus der neueren Methodologie der französischen Revolutionsgeschichtsschreibung stammt, besteht in der Betrachtung der Opernbühne als Spiegel gesellschaftlicher Akkulturationsprozesse. Ein Perspektivenwechsel von der abstrakten, traditionell streng musikalisch definierten Einzeldisziplin Musikwissenschaft zu einer unumgänglich notwendigen Entfaltung der ← 8 | 9 → Opernforschung in eine integrale Multidisziplin, die eine Synergie der Komponenten Musik, Librettotext und Bühnenereignis als drei gleichrangige, komplementäre Kategorien anerkennt, würde der Opernforschung neue Möglichkeiten eröffnen für eine nuanciertere und tiefgreifende Erkenntnisgewinnung.

Im vorliegenden Buch ist konsequent eine gleichberechtigte Betrachtung der drei Komponenten Musik, Text und Bühnenereignis angestrebt, insofern sich bei der Erörterung der beobachteten Phänomene die Diskussion nicht aus einem bestimmten Grund ausschließlich auf die musikalische Schicht beschränkt. Im Gegensatz zur für die ältere Opernforschung typischen und auch in vielen aktuellen Untersuchungen immer noch tief verwurzelten methodischen Vorgehensweise der selektiven Besprechung allein der wesentlichen musikalischen Faktoren eines Opernstücks, primär mit einer weitgehend beziehungslosen, mechanisch ins Detail gehenden harmonischen Analyse, hat sich die vorliegende Untersuchung, wenn erforderlich – und dies war fast immer der Fall –, sowohl mit librettologischen als auch mit szenographischen Kategorien (mise en scène15) intensiv befasst. Die Erörterung der Originalinszenierung einer Oper ist für die Interpretation des Werkes unverzichtbar. Daher haben Quellen zur Originalregie während der Forschungsarbeit zur vorliegenden Untersuchung eine gleichrangige Beachtung gefunden wie die musikalischen und die librettistischen Originalquellen.

Details

Seiten
VI, 379
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653040913
ISBN (ePUB)
9783653993356
ISBN (MOBI)
9783653993349
ISBN (Hardcover)
9783631646588
DOI
10.3726/978-3-653-04091-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Januar)
Schlagworte
Französische Revolution Grand opéra Neapolitanische Oper Rossini Meyerbeer
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. VI, 379 S., 34 s/w Abb.

Biographische Angaben

Maria Birbili (Autor:in)

Maria Birbili studierte Romanistik, Musikwissenschaft und Theaterwissenschaft. Nach ihrer Promotion an der Freien Universität Berlin und Forschungsaufenthalten in Italien und Paris ist sie Mitarbeiterin an der Kritischen Edition der Werke Rossinis und Meyerbeers und Editorin von Rossinis Le Siège de Corinthe.

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Titel: Die Politisierung der Oper im 19. Jahrhundert
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