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Ein «jüdisches» Mäzenatentum für moderne französische Kunst?

Das Fallbeispiel der Nationalgalerie im Berlin der wilhelminischen Ära (1882–1911) – Eine kultur- und sozialhistorische Studie

von Johanna Heinen (Autor:in)
©2016 Dissertation 554 Seiten

Zusammenfassung

Im Jahre 1896 erwarb die Nationalgalerie in Berlin als erstes Museum einer europäischen Metropole – noch vor Paris – Werke der französischen Impressionisten. Ihr Direktor Hugo von Tschudi setzte sich damit bis zu seiner Demission 1909 über die wilhelminische Kunstdoktrin wie auch die deutsch-französische «Erbfeindschaft» hinweg. Die Motive der Mäzene, die diese Werke stifteten, blieben bislang weitgehend unerforscht. Diese interdisziplinäre Studie zeigt neue Erklärungsmuster für das Kunstmäzenatentum im wilhelminischen Berlin auf. Die Autorin dekonstruiert überzeugend bisherige Thesen, die sich vor allem auf die jüdische Herkunft der Mäzene und ein oppositionell gesinntes Bürgertum beriefen.
Diese Studie wurde mit dem Dissertationspreis der Deutsch-Französischen Hochschule ausgezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Tabellenverzeichnis
  • Vorwort und Danksagung
  • Einleitung
  • I. Eine Vorliebe für moderne französische Kunst?
  • 1. Das soziale Feld der Mäzene
  • 1.1. Der soziale Status der Mäzene innerhalb des Berliner Wirtschafts-bürgertums
  • 1.2. Eine Sonderstellung der „jüdischen“ Mäzene innerhalb der Wirtschaftselite?
  • a) Eine „jüdische Überrepräsentation“?
  • b) Erklärung zum Reichtum der Berliner Juden
  • c) Antisemitismus innerhalb der Wirtschaftselite?
  • 2. Das kulturelle Ausgangsmilieu der Mäzene: Die repräsentative Sammlerkultur alter Kunst
  • 2.1. Die alte Kunst als soziales Kapital und ihre repräsentativen Räume: Urbane und gesellschaftliche Verflechtungen
  • a) Das soziokulturelle Milieu des Tiergartenviertels: Eine Hochburg der modernen Kunst?
  • b) Von Berlin-Mitte in den Tiergarten: Die repräsentative Sammlerkultur alter Kunst als Folge des sozialen Aufstiegs und der innerstädtischen Mobilität
  • c) Ursachen und Folgen der innerstädtischen Mobilität der Mäzene
  • 2.2. Die alte Kunst als kulturelles Kapital
  • a) Kunst als Schutz vor Antisemitismus?
  • b) Kunst als Ausgleich eines „Bildungsdefizits“?
  • c) Kunst zur Legitimation von Reichtum?
  • d) Kunstbesitz zur Integration in die „bessere Gesellschaft“ Berlins?
  • e) Antisemitismus innerhalb der repräsentativen Sammlerkultur alter Kunst?
  • 3. Der Museumsdirektor als Zugpferd für das Mäzenatentum: Handlungsspielraum, Strategien und Bilanzen
  • 3.1 Bodes Beziehung zu den zukünftigen Mäzenen der Nationalgalerie: Ein „Tauschgeschäft“?
  • 3.2 Tschudis Handlungsspielraum für das Mäzenatentum
  • a) Von Bode zu Tschudi: Ungleiche Voraussetzungen
  • b) Der Umfang des Mäzenatentums moderner französischer Kunst für die Nationalgalerie
  • c) Hypothesen zum Ablauf des Mäzenatentums für die Nationalgalerie
  • 4. Die Sammler der modernen französischen Kunst
  • 4.1. Moderne französische Kunst – welches Kapital?
  • a) Ein ideelles Mäzenatentum?
  • b) Der Modernitäts- und Liberalitätsbegriff der Mäzene in Sachen Kunst: Eine Relativierung
  • c) Moderne Kunst als Ausdruck von Individualität und Modernität
  • 4.2. Das moderne Kunstsammler- und Mäzenatentum als Resultat jüdischer Netzwerke?
  • a) Eduard Arnhold: Einflüsse des Museumsdirektors
  • b) Die Bernsteins: Direkte Verbindungen in die französische Metropole
  • c) Max Liebermann: „In seiner Heimat gilt der Prophet nichts“
  • d) Die Mendelssohns: Modernes Kunstsammlertum als kultureller Habitus innerhalb der Familie?
  • e) Karl Steinbart und die Berliner Großbanken: Brüche in der Theorie eines jüdischen Netzwerkes moderner Kunst
  • f) Das Kunstmäzenatentum als Elberfelder Familientradition? Die Mäzene Karl von der Heydt und Karl von Wesendonk
  • g) Verschleierte Identitäten – Zwei Katholikinnen und die moderne französische Kunst: Elise Koenigs und Henriette Mankiewicz
  • II. Die politische Bedeutung des Mäzenatentums: Ein Affrontgegen das wilhelminische Regime?
  • 1. Französische Kunst = Feindeskunst? Die Politisierung der modernen französischen Kunstwerke in der Nationalgalerie
  • 1.1. Die Bestimmung der Nationalgalerie und die Bedeutung der französischen Kunst vor dem Amtsantritt Tschudis: Eine Bestandsaufnahme
  • a) Die Entstehungsgeschichte der Berliner Museumsinsel und der Nationalgalerie
  • b) Die Bedeutung der französischen Kunst in der Sammlung Wagener
  • c) Erweiterung der Bestände der Nationalgalerie bis zu Tschudis Amtsantritt
  • 1.2. Die Politisierung der modernen französischen Kunst in der wilhelminischen Ära
  • a) Die Kunstauffassung von Wilhelm II.
  • b) Julius Langbehn und Carl Vinnen
  • 1.3. Die Phasen der Politisierung der Kunstwerke in der Nationalgalerie während Tschudis Amtszeit
  • a) Die Entwicklung Hugo von Tschudis vom zurückhaltenden Museumsassistenten zum Direktor und Verfechter der modernen Kunst
  • b) 1896-1898: Die Phase „mit dem Kaiser“
  • c) Die Wende im Jahre 1899
  • d) Die Tschudi-Affäre 1908 und Eskalation
  • 2. Das Verhältnis der Mäzene zum Kaiser, zur alten Elite und zum preußischen Regime
  • 2.1. Die Bedeutung preußischer Orden und Titel
  • a) Die preußischen Orden und Titel im Besitz der Mäzene
  • b) Orden und Titel als Tauschgeschäft?
  • c) Ordens- und Titelverweigerungen
  • d) Ein gekoppeltes Kontrollsystem
  • e) Ordens- und Titelverleihungen an Juden
  • 2.2. Die „allerhöchsten Gnadenbeweise“: Die Aufnahme in den Adelsstand, die Berufung ins Herrenhaus und die Verleihung des Exzellenz-Prädikats
  • a) Der alte Adel: Guido Henckel von Donnersmarck
  • b) Der „Börsenadel“ und die Nobilitierung von Juden
  • c) Das Verhältnis zwischen der Wirtschaftselite und der alten Elite
  • d) Die „Kaiserjuden“ und der „Judenflintenprozess“
  • e) Die Berufung ins Herrenhaus und die Verleihung des Exzellenz-Prädikats
  • f) Die Bedeutung der politischen Ausrichtung der Mäzene: Die Nationalliberalen, Freisinnigen und Konservativen
  • g) Ablehnungen von Nobilitierungs-Anträgen: Oscar Hainauer und Karl von der Heydt
  • h) „Einkauf“ in den preußischen Adelsstand: Karl von Wesendonk versus Fritz von Friedländer-Fuld
  • 2.3. Einen Orden für moderne Kunst?
  • a) Kunstmäzenatentum als politisches Statement? Paul Freiherr von Merling
  • b) Die Bewertung des Mäzenatentums moderner französischer Kunst in den Polizeiakten
  • 3. Moderne französische Kunst für die „Heimat“? Kosmopolitismus versus Patriotismus
  • 3.1. Der Jude als Prototyp des modernen Kosmopoliten?
  • a) Die Wiederbelebung und Übertragung eines ursprünglich antisemitischen Stereotyps auf die moderne Kunst
  • b) Der Kosmopolitismus der Mäzene – eine Probe aufs Exempel
  • 3.2. Das Mäzenatentum für die moderne französische Kunst als patriotische Geste?
  • a) Die alte Heimat
  • b) Lokalpatriotismus: Berlin als Wahlheimat
  • 3.3. Von der Zedaka zu einem bürgerlichen Habitus des Mäzenatentums
  • Schlussbetrachtung
  • Kartenanhang
  • 1. Übersichtsplan der Stadt Berlin im Kaiserreich mit dem Tiergartenviertel und Berlin-Mitte
  • 2. Das Tiergartenviertel, Berlin, 1882
  • 3. Das Viertel Berlin-Mitte, 1882
  • 4. Das Viertel Berlin-Mitte, 1896-1911
  • 5. Das Tiergartenviertel, Berlin, 1896-1911
  • Biografischer Anhang
  • Die Mäzene ausländischer Kunstwerke für die Berliner Nationalgalerie zur Amtszeit von Hugo von Tschudi (1896-1909)
  • I. Das Sample: Die Berliner Mäzene der modernen französischen Kunst (Gemälde und Skulpturen im impressionistischen und realistischen Stil)
  • Arnhold, Eduard
  • Bernstein, Felicie
  • Bleichröder, Georg
  • Bleichröder, Julius
  • Friedländer-Fuld, Fritz
  • Hagen (Levy), Carl
  • Hainauer, Julie
  • Henckel von Donnersmarck, Guido
  • Von der Heydt, Karl
  • Huldschinsky, Oscar
  • Kappel, Mathilde
  • Kaufmann, Julius
  • Koenigs, Elise
  • Liebermann, Max
  • Loewe, Isidor
  • Mendelssohn, Franz (d.J.)
  • Mendelssohn, Robert
  • Mendelssohn-Bartholdy, Ernst
  • Merling, Paul
  • Oppenheim, Hugo
  • Siemens, Georg
  • Simon, James
  • Staudt, Wilhelm
  • Steinbart, Karl
  • Steinthal, Max
  • Veit, Eduard
  • Warschauer, Robert (d.J.)
  • Wesendonk, Karl
  • II. Die Mäzene moderner französischer Kunst außerhalb Berlins
  • Mankiewicz, Henriette
  • Thiem, Adolf
  • III. Die Mäzene anderer ausländischer Kunstwerke
  • Beit, Alfred
  • Bley, Fritz
  • Burchard, Wilhelm
  • Guthmann, Robert
  • Gwinner, Arthur
  • Kopetzky, Wilhelm
  • Krupp, Alfred
  • Kühn, Helene
  • Oppenheim, Margarete
  • Reisinger, Hugo
  • Seeger, E.
  • Siemens, Arnold Wilhelm
  • Simon, Eduard Georg
  • Steinthal, Leopold
  • Zeiss, August
  • Quellen und Literatur
  • I. Archivalien
  • II. Mündliche und schriftliche Auskünfte
  • III. Historische Zeitungen und Zeitschriften
  • IV. Gedruckte Quellen und Literatur
  • Register
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Reihenübersicht

Tabellenverzeichnis

Vorwort und Danksagung

Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich am 13. Dezember 2012 an der Freien Universität in Berlin verteidigt habe.

Mein erster Dank gilt meinen beiden Doktorvätern, Professor Michael Werner (École des hautes études en sciences sociales, Paris) und Professor Étienne François (Frankreichzentrum, Freie Universität Berlin). Sie haben meine Arbeit nicht nur durch ihre langjährige Expertise auf dem Gebiet der deutsch-französischen histoire croisée stark bereichert, sondern diese auch über viele Jahre hinweg vorbehaltslos und nachdrücklich unterstützt.

Der Arbeit dieses Buches gingen einige Jahre der Forschung zu einem verwandten Thema, den deutsch-jüdischen Kunsthändlern der modernen französischen Kunst Ende des 19. und Anfang 20. Jahrhunderts, voraus. Dies sollte zunächst auch das Thema meiner Dissertation sein. Ich hatte mich damit erstmals intensiv im Rahmen meiner französischen Maîtrise (damals gleichwertig mit einem deutschen Magister, heute durch den Master I ersetzt) in Kunstgeschichte an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne auseinandergesetzt. Anhand des Beispiels des Kunsthändlers Siegfried Bing, der in Paris 1895 die Galerie Art nouveau eröffnete, befasste ich mich mit der Frage, warum Kunsthändler deutsch-jüdischer Abstammung auf dem internationalen Kunstmarkt der Moderne um die Jahrhundertwende, im Vergleich zum minimalen Anteil von Juden an der deutschen Gesamtbevölkerung, so zahlreich vertreten waren. In der anschließenden Masterarbeit über den Kunsthändler Hugo Perls, die ich an der École des hautes études en sciences sociales in Paris einreichte, trug ich ein umfangreiches Quellenmaterial zusammen, das mir eine Aufstellung der Galerien in den acht wichtigsten Städten des deutschen Kunstmarkts mit über 400 Einträgen ermöglichte. Die Übersicht zeigt, dass Kunsthändler jüdischer Herkunft bereits seit der Entstehung des Kunstmarktes in all seinen Sparten – von antiquarischer über fernöstliche bis hin zur zeitgenössischen Kunst – überrepräsentiert waren. Dieser Umstand lässt sich auf die beruflichen und wohnrechtlichen Einschränkungen zurückführen, denen Juden vor der Emanzipation unterlagen und die zu ihrer starken Konzentration in den Handelsberufen führten. Doch kann die „Überrepräsentation“ von Juden auf dem politisch umstrittenen und risikoreichen Gebiet der ausländischen Avantgardekunst auch noch nach ihrer Emanzipation, im Zeitalter der Moderne, von diesen historischen Erfahrungen, von einem Habitus, der aus der Not geboren wurde, abgeleitet werden? Und wie lässt sich die Basis einer solchen ethnischen oder religiösen „Gruppenzugehörigkeit“ in Abgrenzung zu anderen, nicht-jüdischen Kunsthändlern und -vermittlern definieren und rechtfertigen, ohne dabei in Stereotype abzugleiten? Was macht also das „Jüdische“ dieser Akteure aus, deren Familien seit Generationen in die deutsche Gesellschaft integriert waren und oftmals ihren Glauben nicht mehr praktizierten? Wie in der Einleitung dieser Arbeit erörtert, gelten noch heute ← 13 | 14 Eigenschaften wie „kosmopolitisch“ und „innovativ“ aufgrund historischer Erfahrungen bei Juden und Personen jüdischer Herkunft als besonders ausgeprägt. Solche Attribute wurden vielmals als Erklärungsmodell dafür herangezogen, warum diese Personen eher bereit waren moderne französische Kunst zu kaufen oder zu stiften. Diese Stereotype gilt es im Rahmen dieser Arbeit zu hinterfragen.

Die Wege zur modernen und politisch umstrittenen französischen Kunst waren individuell sehr verschieden und entsprachen in den allermeisten Fällen keineswegs einer jüdischen Familientradition. Anhand der Kunsthändler, wenngleich diese in der Vermittlerkette die prominentesten Beispiele bieten, lassen sich Antworten auf diese Fragen und damit ein allgemeingültiges Erklärungsmodell der „Überrepräsentation“ jedoch kaum wissenschaftlich untermauern: Die Akteure waren an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten tätig und versuchten, bestimmte Künstlergruppen und -stile zu monopolisieren. Jeder erfolgreiche Kunsthändler verfügte somit über eigene Netzwerke, propagierte einen anderen intellektuellen Diskurs über die moderne Kunst und unterlag spezifischen Rahmenbedingungen.

Der Fundus eines historischen Aktenbestandes, der heute im Berliner Landesarchiv aufbewahrt wird, brachte schließlich die glückliche Wende und erlaubte mir, die Kernfrage nach der möglichen Bedeutung der jüdischen Herkunft für die Förderung der modernen französischen Kunst in umfassender Weise zu erforschen.

Dieser Aktenbestand, der anlässlich Ordens- und Titelverleihungen zu Personen der wilhelminischen Wirtschaftselite angelegt wurde, liefert umfangreiches Material zu den Berliner Mäzenen, die dem Direktor der Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, die finanziellen Mittel zur Verfügung stellten, mit denen er bereits ab dem Jahre 1896 impressionistische Bilder für das Museumerwarb. Es handelte sich dabei um die ersten Kunstwerke dieser Stilrichtung, die jemals von einem Museum einer europäischen Metropole erworben wurden. Doch der Impressionismus war derzeit auch im Deutschen Kaiserreich noch sehr umstritten. Hugo von Tschudi trug bis zu seinem Wechsel nach München im Jahre 1909 bekanntlich große Konflikte mit Kaiser Wilhelm II. aus, der ihn inständig bat keine „violetten Schweine“ mehr zu kaufen, wie er die impressionistischen Werke abschätzig nannte. Die Ankäufe hatten jedoch auch eine politische Dimension, denn Frankreich war noch immer Deutschlands „Erbfeind“ und das vereinte deutsche Kaiserreich ein noch recht junges Resultat des Deutsch-Französischen Krieges von 1871. Der „Tempel der Deutschen Kunst“, wie die Nationalgalerie auch genannt wurde, hatte gemäß den Vorstellungen von Wilhelm II. eine Vorbildfunktion einzunehmen und erzieherisch auf das Volk zu wirken. Das Mäzenatentum der Berliner Bürger nimmt daher eine herausragende Bedeutung ein, denn ohne ihre finanzielle Unterstützung wäre Tschudis „mutige Tat“ nicht möglich gewesen. ← 14 | 15

Diese Schwerpunktverlagerung bedeutete jedoch, dass ich mein Manuskript (im vierten Jahr der Promotion!) nochmals von vorne beginnen und zuvor erneut umfangreiche Forschungen anstellen musste. Ein Aufwand, der sich schnell als sehr lohnenswert erwies.

Im Gegensatz zu den Kunsthändlern gehörten die Mäzene fast ausnahmslos demselben Milieu an. Zwei Drittel waren Bankiers, verkehrten in denselben exklusiven Kreisen und allesamt waren Millionäre. Knapp drei Viertel der Mäzene hatten nachweislich jüdische Vorfahren. Dieser Fundus ermöglichte eine detaillierte sozial- und kulturhistorische Untersuchung auf Mikroebene durchzuführen, die besonders aufschlussreiche Vergleichsmöglichkeiten zwischen jüdischen und nichtjüdischen Akteuren bot.

Ein ganz besonderer Dank gilt an dieser Stelle hinsichtlich der glücklichen Wende, neben meinen Doktorvätern, drei weiteren Personen, die diese Arbeit inhaltlich beeinflusst haben. An erster Stelle möchte ich Professor Alexandre Kostka (Université de Strasbourg) danken. Er war mein erster Dozent der Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin in einem Seminar über den deutsch-französischen Kunsttransfer und begleitete meine Ausbildung durch einen regelmäßigen wissenschaftlichen Austausch bis zur Disputation. Sein Unterricht führte schließlich auch zu meinem Promotionsthema: Meine erste Hausarbeit befasste sich mit dem Werk von Paul Cézanne in der Alten Nationalgalerie. Zum Zweiten danke ich Doktor Béatrice Joyeux-Prunel von der École Normale Supérieure (rue d’Ulm, Paris), die mir im entscheidenden Moment den Anstoß gab, meine Themenwahl zu überdenken. Die aktive Mitarbeit an der von ihr an der ENS initiierten und geleiteten Forschergruppe Artlas führte zur Entstehung meines Kapitels über die soziospatialen Einflüsse auf die Kunstförderung und seine Illustrierung anhand von geographischen Karten und damit auch zu neuen Erkenntnissen. Schließlich gilt mein besonderer Dank meiner lieben Freundin und ehemaligen Kollegiatin Doktor Anika Bethan, die jedes (!) Kapitel dieser Arbeit gegengelesen hat.

Mein Dank gilt darüber hinaus den anderen Kollegiaten und Professoren des deutsch-französischen Doktorandenkollegs Construire les différences – Unterschiede denken, das unter dem Dach der Deutsch-Französischen Hochschule 2006 und unter der Leitung von Professor Pierre Monnet (École des hautes études en sciences sociales) und Professor Hartmut Kaelble (Humboldt-Universität zu Berlin) entstand und dem ich von Beginn an bis 2008 als Mitkoordinatorin und bis 2009 als Kollegiatin angehören durfte. Ich habe sehr viel durch den wissenschaftlichen Austausch und die gemeinsame Arbeit gelernt.

Ich danke zudem den ehemaligen Mitstreitern und Redaktionsmitgliedern des deutsch-französischen Online-Magazins rencontres.de, das ich 2003 gegründet und bis 2010 als Chefredakteurin geleitet habe, die mich in meiner Dissertation durch die Abnahme vieler meiner Tätigkeiten unterstützt haben. ← 15 | 16

Folgende Institutionen haben diese Arbeit durch Dissertations- und Mobilitätsstipendien gefördert: das französische Bildungsministerium/die EHESS mit einer Allocation de recherche, die Freie Universität Berlin mit einem Austauschstipendium an der École Normale Supérieure Paris sowie der DAAD, das Deutsche Historische Institut in Paris und der CIERA mit Forschungsstipendien für die Arbeit in deutschen und französischen Archiven.

Zahlreiche Archivare, Bibliothekare und Forscher haben mit viel Geduld meine Fragen beantwortet und mir geholfen, das umfangreiche Quellenmaterial, das in dieser Arbeit verwendet wurde, zu finden und mir darüber hinaus auch Informationen aus Ihrer eigenen Forschung anvertraut. Ihnen, wie auch den Nachfahren von Carl Hagen, dem großzügigsten unter Tschudis Mäzenen, die heute in London (Irene Matthew), München (Dr. Louis Hagen), Oslo (Hartmut Liste und Karen Viktoria Hagen Liste) und Kalifornien (Jennifer Lamb) leben und mich mit großem Engagement unterstützt haben sowie der von ihnen beauftragten Firma Facts & Files, Historical Research Institute Berlin (dort gilt mein Dank Beate Schreiber), gilt mein besonderer und herzlicher Dank, ebenso wie Bernhard Thévoz, Nachfahre des Mäzens Robert Warschauer in Berlin. Ich danke zudem dem Mendelssohn-Archiv der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, dem Kupferstichkabinett, der Kunstbibliothek und der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz sowie dem Verein für die Geschichte Berlins e.V. für die kostenfreie Überlassung von Bildmaterial sowie der Kartenabteilung des Landesarchivs Berlin für die unentgeltliche Verwendung des historischen Berlinplans.

Mein Dank gilt zudem Professor Elisabeth Décultot (CNRS-EHESS, Paris), die kurzfristig bereit war, den französischen Vorsitz der Disputationskommission zu übernehmen und Professor Leora Auslander von der University of Chicago für die Zeit, meine Dissertation sorgfältig zu lesen und anschließend mit mir zu diskutieren sowie meiner Lektorin Doktor Jana Teuscher, die das Endmanuskript vor Drucklegung sehr gründlich bearbeitet hat.

Besonders danke ich Professor Uwe Puschner (Freie Universität Berlin), der Mitglied meiner Disputationskommission war und meine Studie in die Reihe Zivilisationen & Geschichte aufnahm. Ein Druckkostenzuschuss der Deutsche Bank AG und der Deutsch-Französischen Hochschule ermöglichten die Veröffentlichung.

Ich danke zudem der Deutsch-Französischen Hochschule, die diese Studie mit dem Dissertationspreis 2013 für die beste von ihr geförderte Doktorarbeit ausgezeichnet hat, was mir eine ganz besondere Ehre war. Ebenso danke ich den Rotary Clubs RC Paris und RC Berlin-Brandenburger Tor für die kooperative Stiftung dieses Preises.

Last but not least gilt mein Dank meinen ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten in der Alten Nationalgalerie, insbesondere der Kuratorin Dr. Angelika Wesenberg und dem Leiter Dr. Philipp Demandt sowie den Geschäftsführern des ← 16 | 17 → Vereins der Freunde der Nationalgalerie, Dr. Katharina von Chlebowski und André Odier. Während meines Volontariats durfte ich die Ausstellung Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende (2015) mitkonzipieren und anschließend während der Laufzeit als freie wissenschaftliche Mitarbeiterin betreuen. Ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt, was diesem Buch bei der abschließenden Überarbeitung zugutekam. Es war ein unvergessliches Erlebnis, über eineinhalb Jahre an dem Ort und mit den Originalwerken arbeiten zu dürfen, die Gegenstand dieser Studie sind.

Ohne die übermenschliche Geduld und vorbehaltslose Unterstützung durch meine Familie und Freunde über die vielen Jahre hinweg hätte ich diese Arbeit nicht zu Ende führen können – ich weiß, dass dies alles andere als selbstverständlich ist! Meinem Vater Raymond Heinen, der während dieser Zeit so tapfer gegen Krebs kämpfte, sei mit diesem Buch statt einer Widmung ein Andenken geschaffen. Es hat mir unendlich viel bedeutet, dass er mich noch zu meiner Disputation begleiten konnte. Es lag ihm sehr am Herzen, dass diese Arbeit, die er sehr unterstützt hat, auch als Buch erscheint. Dieser letzte Wunsch soll ihm nun post mortem erfüllt sein – in Liebe und Dankbarkeit. ← 17 | 18 ← 18 | 19 →

Einleitung

Die Entstehung der modernen französischen Kunst und die Notwendigkeit von Kunstvermittlern

„Liberté, égalité, fraternité“ – die Leitworte der Französischen Revolution könnten ebenso für die Gesinnung des internationalen Milieus der Avantgarde stehen, das sich im Paris der 1850er-Jahre formierte. Die von der Industrialisierung geprägten revolutionären Umbrüche veränderten das Leben der Menschen nachhaltig und veranlassten Künstler zu Experimenten mit neuen Gestaltungsmitteln und Bildmotiven: „[…] il faut être de son temps et faire ce que l’on voit“1 – man muss mit der Zeit gehen und malen, was man sieht – verkündete Édouard Manet, ein Begründer der modernen Malerei. Paris entwickelte sich schnell zum europäischen Zentrum der Innovationen und setzte neue Maßstäbe auf dem Gebiet der modernen Kunst, die von Künstlern unterschiedlicher Nationalitäten übernommen und weiterentwickelt wurden.

Obwohl sich der französische Staat 1855 auf der Pariser Weltausstellung anhand seiner technischen Errungenschaften als „modern“ präsentierte, hielt er in den Künsten an alten Werten fest. Die Kunst sollte vor allem die politische und kulturelle Überlegenheit Frankreichs widerspiegeln. Ihre Gestaltungsmittel wurden an den Idealen der Antike gemessen. Kunstwerke, die diesen Vorgaben nicht entsprachen, wurden von den maßgeblichen Institutionen ausgeschlossen, wie dem Pariser Salon, und hatten somit geringe Verkaufsaussichten. Gustave Courbet setzte im Jahr der Weltausstellung mit seinem eigenen Pavillon du réalisme, den er aus Protest gegen den Ausschluss einiger seiner Bilder aus dem Pariser Salon neben dem Eingang des Ausstellungsgeländes errichtete, schließlich ein Zeichen: Der Einzug der „Moderne“ in die französische Kunst war nicht mehr zu leugnen.

Die Entstehung, Rezeption und Etablierung der modernen französischen Kunstrichtungen – Realismus, Impressionismus, Kubismus, Fauvismus und ihrer Zweigströmungen – stellen sich als sehr komplex dar und sind stark geprägt von den jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie ihren eigenen nationalen und transnationalen Netzwerken. All diesen Stilen ist jedoch gemein, dass dieser Prozess ohne „le détour par l’étranger“, den Umweg über das Ausland, nicht möglich gewesen wäre.2 Die Etablierung der modernen französischen Kunst funktionierte nach einem „Bumerang-Prinzip“: Was im Ausland Absatz fand, konnte seinen Marktwert auch in Paris steigern und wurde einige Jahre oder Jahrzehnte später im Heimatland offiziell anerkannt. Während die Realisten selbst einen Absatzmarkt für ihre Werke im Ausland fanden, waren die späteren Generationen moderner Künstler zunehmend auf Kunstvermittler angewiesen. Da ← 19 | 20 runter sind im Rahmen dieser Arbeit alle Personen zu verstehen, die am Prozess der Verbreitung und Etablierung eines Stils bzw. der Produktion eines Künstlers oder einer Gruppe maßgeblich beteiligt waren: Kunsthändler, Mäzene, Sammler, Kunstkritiker und -Schriftsteller, Verleger, Museumsdirektoren sowie andere Mittelsmänner zwischen den verschiedenen Akteuren und Ländern.

Berlin repräsentierte in diesem Prozess den wichtigsten europäischen Ort für die Rezeption der modernen französischen Kunst. Allerdings gestaltete sich dieser „Umweg“ nicht problemlos. Auch auf deutscher Seite dominierte der Akademismus und es wurde von Künstlern erwartet, sich an den Vorbildern der Antike zu messen. Darüber hinaus sah der kunstinteressierte Kaiser Wilhelm II. (Regierungszeit 1888-1918) in der Kunst ein wichtiges pädagogisches Werkzeug, um das Volk zu erziehen. Sie sollte in erster Linie eine patriotische Botschaft vermitteln und zur Identifizierung mit dem deutschen Nationalstaat beitragen, der erst infolge des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 gegründet worden war.3

Die Werke moderner französischer Kunst widersprachen der wilhelminischen Kunstdoktrin jedoch nicht nur formal, sondern auch inhaltlich, zumal der Realismus oftmals sozialkritisch interpretiert wurde und sein Ursprungsland Frankreich Schauplatz der Revolution war. Das Nachbarland galt jedoch nicht nur als „Erbfeind“4 , sondern gerade im künstlerischen Bereich auch als großer Konkurrent. Für viele deutsche Künstler, auch im akademischen Bereich, hatten die französischen Ausbildungs- und Ausstellungsmöglichkeiten Vorbildcharakter. In der wilhelminischen Ära kam es daher zu einer Politisierung, d.h. einer politischen Aufladung der modernen französischen Kunstwerke, in denen nun eine, über die eigentlichen Inhalte hinausgehende Botschaft gelesen wurde.

Die Geschichte der Rezeption und Interpretation der französischen Kunst in Berlin ist daher im Kontext der Beziehungen zwischen dem deutschen und dem französischen Staat sowie den kulturpolitischen Zielsetzungen des jeweiligen preußischen Monarchen wie auch der verschiedenen Positionen in der zeitgenössischen Debatte über die Aufgabe und Wertung der Kunst zu analysieren.

Trotz der voraussehbaren Konflikte mit Wilhelm II. kaufte der neue Direktor der Berliner Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, bereits in seinem ersten Amtsjahr 1896 moderne französische Kunstwerke an. Die Konsequenz seines Handelns fand ← 20 | 21 schließlich im Rahmen der sogenannten Tschudi-Affäre im Jahre 1908 ihren Höhepunkt, in deren Folge der Museumsdirektor von seinem Posten für ein Jahr beurlaubt wurde und wenige Wochen nach seiner Rückkehr 1909 demissionierte.5

Bis dahin hatte er die Nationalgalerie jedoch bereits mit zahlreichen Meisterwerken französischer Realisten und Impressionisten bereichert, darunter Werke von Gustave Courbet, Jean-Charles Cazin, Jean-François Millet, Charles-François Daubigny, Henri Fantin-Latour, Édouard Manet, Paul Cézanne, Claude Monet, Alfred Sisley, Edgar Degas, Auguste Renoir, Auguste Rodin und Camille Pissarro. Da ausländische Werke nicht vom Staat finanziert wurden, wäre es Tschudi ohne die Mäzene aus dem Bürgertum nicht möglich gewesen, das Museum von einer „Manege des Patriotismus und der Sentimentalität in die schönste moderne Galerie Europas“6 zu verwandeln. Diesen Ereignissen kommt eine herausragende Bedeutung zu, da die Berliner Nationalgalerie weltweit das erste Museum einer Kulturmetropole war, das Werke der französischen Impressionisten erwarb.7 In Paris wurden die Werke der Impressionisten erst ein Jahr später, 1897, im Musée du Luxembourg, dem damals wichtigsten französischen Museum für Werke lebender Künstler, als integraler Bestandteil der Sammlung ausgestellt. Dabei handelte es sich jedoch nicht um staatliche Ankäufe, sondern um ein Vermächtnis des impressionistischen Malers und Sammlers Gustave Caillebotte. Von diesem „Geschenk“ wurden jedoch nur knapp zwei Drittel der Werke angenommen.8 Vor diesem Hin ← 21 | 22 tergrund wird verständlich, warum die Präsenz der damals umstrittenen französischen Avantgardekunstwerke in der Berliner Nationalgalerie – dem „Tempel der deutschen Kunst“ – derart von politischer Tragweite war, dass sie sogar im Preußischen Abgeordnetenhaus für hitzige Diskussionen sorgte.9

Der besondere Beitrag von Kunstvermittlern deutsch-jüdischer Herkunft

Bemerkenswert ist, dass ein Großteil der deutschen Kunstvermittler moderner französischer Kunst eine jüdische Herkunft aufweist, obwohl der Anteil von Juden an der deutschen Gesamtbevölkerung im Untersuchungszeitraum bei nur unter einem Prozent lag. Zu den bekanntesten Größen unter den Kunstvermittlern zählen die Kunsthändler. Oftmals waren sie das erste und damit wichtigste Glied in der Vermittlerkette, indem sie selbst neue Talente entdeckten. Für die Künstler bot ein Vertrag mit einem Kunsthändler die Möglichkeit, eine eigene künstlerische Vision unabhängig von staatlichen Auftragsarbeiten zu verwirklichen. Ein Kunsthändler wie Paul Durand-Ruel, der „Vater“ der Impressionisten, ging damit ein großes finanzielles Risiko ein, da für jede neue Kunstrichtung ein neuer Absatzmarkt geschaffen werden musste, was mit erheblichen Widerständen durch das wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld verbunden sein konnte. Hingegen konnte sein Geschäftspartner in Berlin, Paul Cassirer, die Impressionisten auf deutscher Seite Ende der 1890er-Jahre bereits zu hohen Preisen verkaufen, auch wenn er dafür zunächst einige Überzeugungsarbeit unter den potenziellen Sammlern im prestigeträchtigen Berliner Tiergartenviertel leisten musste.10 Die Berliner Kunstsammler der Moderne entstammten, wie im Kapitel I.2. dieser Arbeit aufgezeigt wird, überwiegend dem Sammlerkreis akademisch anerkannter Stile historischer Epochen. Wilhelm Bode, der spätere Generaldirektor der Berliner Museumsinsel, hatte große Anstrengungen innerhalb der Berliner Wirtschaftselite unternommen, um diesen exklusiven Kreis an Kunstsammlern und -förderern für die Berliner Museen zu konstituieren.11 Neben Paul Cassirer traten eine Reihe weiterer prominenter Kunsthändler deutsch-jüdischer Herkunft auf dem Gebiet der modernen französischen Kunst besonders hervor. Zu ihnen zählte Daniel-Henry Kahnweiler, der Pablo Picasso, Georges Braque, Juan Gris und Fernand Léger in Paris den Weg für den Kubismus ebnete und der erste Galerist von André Derain und Maurice de Vlaminck war, die zusammen mit Henri Matisse den Fauvismus begründeten. Sein Ge ← 22 | 23 schäftspartner Alfred Flechtheim war ebenfalls jüdischer Abstammung. Regelmäßig stellte er in seinen Galerien in Düsseldorf, Berlin, Frankfurt am Main und Köln neben deutschen auch moderne französische Kunstwerke aus, zudem gründete er die Kunstzeitschrift Querschnitt und war Gründungsmitglied des Düsseldorfer Sonderbunds.

Laut Stefan Pucks waren von den 29 Berliner Sammlern, die bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft moderne französische Kunst erwarben, nur sechs nicht-jüdischer Herkunft.12 Die allerersten Bilder französischer Impressionisten wurden ebenfalls von einem jüdischen Paar, Felicie und Carl Bernstein, im Jahre 1882 nach Berlin gebracht. Die Bernsteins unterhielten in ihrer Wohnung am nördlichen Rand des Tiergartenparks eine Art Salon, in dem die Bilder ihrer Privatsammlung öffentlich zugänglich waren und trugen durch eine Schenkung ebenfalls zu Tschudis musealer Sammlung an impressionistischen Werken bei.

Hugo von Tschudi war selbst nicht-jüdischer Herkunft. Laut der Studie Jüdische Mäzene für die Preußischen Museen zu Berlin von Cella-Margaretha Girardet waren jedoch zwanzig der dreißig Mäzene, die die modernen französischen Werke für die Nationalgalerie stifteten, Juden bzw. jüdischer Herkunft.13 Der wichtigste Mittelsmann und Kunstpolitiker jüdischer Konfession war Max Liebermann, der selbst zunächst realistischer, dann impressionistischer Maler war und Hugo von Tschudi in den Pariser Kunstmarkt der Moderne einführte. Mit Cassirer stand er an der Spitze der Berliner Secession, eine 1898 konstituierte und 1899 offiziell gegründete Vereinigung,14 deren Gründungszweck darin bestand, unabhängig von der Akademie, dem Verein der Berliner Künstler und dem jährlichen Salon der Großen Berliner Kunstausstellung ausstellen zu können. Darüber hinaus präsentierte die Secession dem Berliner Publikum Werke moderner ausländischer Künstler, darunter auch Bilder französischer Impressionisten. ← 23 | 24

Hinzu kommen zahlreiche Verleger, Literaten, Übersetzer, Kunstkritiker und -historiker deutsch-jüdischer Herkunft wie Carl Einstein, die den Werken eine Stimme verliehen, sie in den kunsthistorischen und zeitgenössischen Kontext einordneten, zum Teil auch „anpassten“, sie dem Publikum „erklärten“ und somit den Kreis der Sammler und Mäzene vergrößerten.

Fragestellung, Forschungsstand und Problematik einer Arbeit über jüdische Kunstvermittler

Wie kam es nun aber zu dieser „jüdischen Überrepräsentation“ auf dem Gebiet der modernen französischen Kunst? Und welche Motive standen hinter deren Förderung? Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt dieser Studie.

Trotz des unbestrittenen Verdienstes dieser „deutsch-jüdischen Vermittlergruppe“ auf dem Gebiet der modernen französischen Kunst – sowohl qualitativ als auch quantitativ – existiert bislang keine wissenschaftliche Untersuchung, die diese Überrepräsentation zu erklären vermag. Die Problematik einer Arbeit, die sich ausschließlich mit deutsch-jüdischen Kunstvermittlern beschäftigt, liegt vor allem darin, einen gemeinsamen Nenner dieser Gruppe zu definieren und ihre Abgrenzung zu anderen Kunstvermittlern zu rechtfertigen. Die Familien der Kunstvermittler deutsch-jüdischer Herkunft waren seit Generationen in die deutsche Gesellschaft integriert.15 Einige von ihnen, wie die Bankiersbrüder Robert und Franz von Mendelssohn, die jüdische Vorfahren besaßen, hätten sich selbst jedoch nie als Juden bezeichnet: Ihre Mutter hatte nach derzeitigem Forschungsstand keine jüdischen Vorfahren und auch väterlicherseits war die Familie bereits in der zweiten Generation getauft.

Wie kann also das Jüdische innerhalb dieser Gruppe definiert werden? Unter keinen Umständen kann in der Kunstvermittlung – im Gegensatz zu religiösen Bräuchen etc. – von einem „jüdischen Verhalten“ gesprochen werden. Dies würde die Individuen dieser Gruppe auf eine jüdische Identität reduzieren, wie es von den Nazis praktiziert und in der Propagandaausstellung Entartete Kunst aus dem Jahre 1938 propagiert wurde. Dort musste ein Großporträt Alfred Flechtheims, der im Vorjahr verstorben war, versehen mit dem Kommentar „Der Jude, der Großmanager dieser Kunst“ als Vorzeigeobjekt einer internationalen, jüdischen Kunstverschwörung zugunsten der Moderne herhalten.

Michel Espagne, Autor von Les juifs allemands à l’époque de Heinrich Heine, ist derzeit der einzige Verfasser einer Arbeit, die sich speziell mit deutschen Juden im Pariser Kulturmilieu beschäftigt. Aber auch er stieß sich an der Definition des Jüdi ← 24 | 25 schen dieser Gruppe und gab zu bedenken, ob es legitim sei, die deutschen Juden im Paris des 19. Jh. als eine isolierbare Gruppe mit eigener Identität zu betrachten und ob der intellektuelle Berliner Jude nicht dem protestantischen Berliner Intellektuellen viel näher sei als seinen ehrfürchtigen Glaubensbrüdern aus anderen deutschen und europäischen Städten.16

Bisherige kunst- und kulturgeschichtliche Arbeiten stützen sich in der Definition des Jüdischen weitgehend auf den Ethnizitätsbegriff, der von Werner E. Mosse geprägt wurde.17 Sie beziehen demnach auch Getaufte mit christlichen Eltern und entfernten jüdischen Vorfahren in die Untersuchung ein. Die Basis dieser „ethnischen Gruppe“ bilden, laut Mosse, Merkmale wie Binnenheirat, verwandtschaftliche Netzwerke, gemeinsame Bräuche und Traditionen sowie die Wahrung von typischen Namen, sodass die Religion nur eines von vielen Merkmalen der Gruppenzugehörigkeit darstellt.

Der Ethnizitätsbegriff zur Definition des Jüdischen in kunsthistorischen Arbeiten ist jedoch nicht unproblematisch, da auf seiner Grundlage oftmals eine künstlich abgetrennt erscheinende „jüdische Gruppe“ innerhalb des Kunstmilieus formiert wird. Ebenso werden christliche Mäzene mit entfernten jüdischen Vorfahren dabei nachträglich wieder zu „jüdischen“ Akteuren umgedeutet. Vergleichsmomente zu nicht-jüdischen Akteuren, darunter Kollegen und wichtige Kontakte der Kunstförderer, fehlen oftmals gänzlich. Auf der Basis des Ethnizitätsbegriffes kann daher nicht untersucht werden, ob überhaupt noch Einflüsse der jüdischen Herkunft auf das Kunstsammler- und Mäzenatentum bestanden und somit auch kein Erklärungsmodell zur „jüdischen Überrepräsentation“ aufgezeigt werden. Darüber hinaus scheint ein Vergleich zwischen den Juden unserer Tage in den USA und den Juden im wilhelminischen Kaiserreich hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen jüdischen und nationalen Identität sowie aufgrund der unterschiedlichen Rechtslage, Staatsgebilde und historischen Erfahrungen – vor und nach dem Holocaust – inkompatibel.

In Anbetracht der großen Anzahl an jüdischen Kunstvermittlern kommen Kunsthistoriker jedoch meist nicht umhin, auf dieses Phänomen zumindest hinzuweisen. In einer Publikation des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris18 wird die Tatsache der großen Anzahl an jüdischen Kunstvermittler auf dem Gebiet der modernen französischen Kunst als ein „wichtiges Element für zukünftige For ← 25 | 26 schungen“ gehandelt, derzeit fehlten jedoch noch solide Studien und Quellenauswertungen, um Rückschlüsse hinsichtlich einer „jüdischen Kunstvermittlung“ zu ziehen.19

Oftmals werden trotz fehlender Studien dennoch Erklärungsmodelle für die „jüdische Überrepräsentation“ auf dem Gebiet der modernen französischen Kunst vorgebracht oder zumindest Vermutungen angestellt, über die im Folgenden ein Überblick geboten werden soll.

Das Interesse an politisch umstrittener Kunst und deren Förderung durch jüdische Mäzene und Sammler wird in kunsthistorischen Studien in der Regel auf Attribute wie „kosmopolitisch“ und „weltoffen“ zurückgeführt, die dieser „Gruppe“ insbesondere eigen gewesen seien. So bezeichnet Thomas W. Gaethgens die Mäzene als „fast ausnahmslos jüdische Bürger“, die „seit über hundert Jahren zu dem aufgeschlossenen, international orientierten […] Bevölkerungsteil gehörten.“20 Für Ines Sonder spielt ebenfalls „Weltoffenheit gegenüber neuen künstlerischen Entwicklungen“ für das Engagement eine „wesentliche Rolle“.21 Cella-Margaretha Girardet stellt heraus, dass „vor allem das jüdische Großbürgertum, das überall in Europa über Kontakte verfügte, […] einen offenen Blick für die fortschrittlichen Tendenzen der Zeit“ hatte.22 Und auch Stefan Pucks bezeichnet die Berliner Förderer der modernen französischen Kunst, die meist aus dem Judentum stammten, als „Kosmopoliten“.23

Darüber hinaus wird auch eine fortschrittliche, kulturelle Sensibilität als speziell „jüdische Eigenschaft“ gewertet. So schreibt Gaethgens: „Zum Mäzen wird man nicht geboren. Aber diejenigen werden leichter durch die Vermittler zu Mäzenen, die zu Offenheit und kultureller Sensibilität erzogen wurden.“24 Shulamit Volkov argumentiert ebenfalls, dass gerade Juden über eine einzigartige Kapazität verfügten, die Herausforderungen der Moderne zu meistern.25 Reinhard Rürup beschreibt die Juden sogar „ihrer Situation entsprechend“ als „Wortführer der Traditionskritik“ und als „soziale Gruppe unbestreitbarer Repräsentanten […] der bürgerlichen Moderne.“26 ← 26 | 27

Den Bezugspunkt für die Argumente lieferten unter anderen die sozial- und wirtschaftshistorischen Studien von Werner E. Mosse, der den Kosmopolitismus als „jüdische Eigenart“ auch in den Geschäftspraktiken wiedererkennt:

Die Offenheit von Juden für Ausländisches wird in heutigen Studien in Anlehnung an Mosse meist auf das Bestehen eines internationalen Kontaktnetzes durch geschäftliche und verwandtschaftliche Beziehungen mit einer besonderen ethnischen Gruppensolidarität zurückgeführt. Dies wiederum sei der Diaspora, den Vertreibungen und Verfolgungen sowie den Wohnrechts- und Berufsverboten vor der Emanzipation geschuldet. Zudem habe die damalige Notwendigkeit, sich aufgrund schwieriger Rahmenbedingungen flexibel und erfinderisch zu zeigen, zu einer offeneren Haltung für Innovationen geführt.

Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit sich dieser jüdische Habitus, der einst aus der Not geboren worden war, auch im Zeitalter der Moderne als jüdische Eigenart in Abgrenzung zu den Geschäftspraktiken und Vorlieben von „Nicht-Juden“ aufrechterhielt und darüber hinaus einen Einfluss auf die Förderung moderner Kunst ausübte.

Obgleich Begriffe wie „weltoffen“, „modern“ und „liberal“, die in der kunsthistorischen Forschung als Attribute einer jüdischen Kunstvermittlergruppe verstanden werden, heute durchweg positiv und mit besten Absichten im Sinne von Weitsichtigkeit und einer anti-kulturchauvinistischen Einstellung interpretiert werden, tragen sie dennoch dazu bei, dass unterschwellig-antisemitische Stereotypen weiterhin Bestand haben. Von den Gegnern der modernen französischen Kunst im Kaiserreich wurde die Offenheit gegenüber dieser Kunstrichtung als Widerspruch zum deutschen Patriotismus verstanden und sogar mit Vaterlandslosigkeit gleichgesetzt.28 Von Antisemiten wurde die Verbreitung und Förderung der modernen französischen Kunst, insbesondere auf dem Berliner Kunstmarkt, schließlich als jüdische Eigenart proklamiert. Dabei wurden alte antisemitische Legenden, wie jene vom heimatlosen, ewigen Juden wiederbelebt. Die Verwendung dieses Stereotyps fand 1940 als gleichnamiger Titel eines nationalsozialistischen Propagandafilms seinen Höhepunkt.29 ← 27 | 28

Der Kunsthändler Paul Cassirer und der Maler Max Liebermann, die dazu noch Vorsteher der Berliner Secession waren, wurden während der wilhelminischen Ära zu den Repräsentanten „des spezifischen Judengeistes von Berlin W.“ erklärt, die für die Vermittlung der „unheilvollen Strömung“ des Impressionismus verantwortlich seien.30 Der Protest gegen die moderne französische Kunst schlug sich schließlich im sogenannten Vinnen-Streit von 1911 nieder, als deutsche Künstler gegen die hohen Preise protestierten, die deutsche Museen für die moderne Kunst aus dem Nachbarland ausgaben. Auch hier stand Paul Cassirer neben dem Museumsdirektor der Kunsthalle Bremen, Gustav Pauli, im Mittelpunkt der Anklagen.31

Die allgemeine Präsenz von Antisemitismus im Kaiserreich wird als weiteres Erklärungsmodell für die Kunstförderung durch Juden gehandelt, da diese nicht nur auf dem Gebiet der modernen Kunst, sondern auch als Stifter und Schenker für andere Berliner Museumsabteilungen im Kaiserreich überrepräsentiert waren. Girardet schätzt den Anteil jüdischer Stiftungen auf 80 %32 und führt dies auf einen Legitimationsdruck zurück, unter dem Millionäre, „vor allem aber […] Juden in einer von antisemitischen Vorurteilen geprägten Gesellschaft“ gestanden hätten.33 Da keine Mäzene nicht-jüdischer Herkunft im biografischen Anhang enthalten sind, fehlen jedoch Vergleichsmomente, um ein Erklärungsmodell dieser Überrepräsentation aufzeigen zu können. Von diesem Anspruch distanziert sich Girardet aber auch mangels einer Quellenanalyse zu einzelnen Akteuren ausdrücklich.34 Sowohl Girardets Studie als auch Hans-Otto Schembs Übersicht über die Jüdischen Mäzene und Stifter in Frankfurt am Main35 sind in die Erinnerungskultur infolge des Holocausts einzuordnen. Die Leistungen der jüdischen Bevölkerungsgruppe, die dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen, sollten dabei sichtbar gemacht und in Erinnerung bewahrt werden.

Details

Seiten
554
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653038767
ISBN (ePUB)
9783653990928
ISBN (MOBI)
9783653990911
ISBN (Hardcover)
9783631648643
DOI
10.3726/978-3-653-03876-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Impressionismus Bürgertum 19. Jahrhundert Juden
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 554 S., 5 farb. Abb., 14 Tab.

Biographische Angaben

Johanna Heinen (Autor:in)

Johanna Heinen studierte Frankreichwissenschaften an der Freien Universität Berlin, Kunstgeschichte an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne und Geschichte an der Ecole des hautes études en sciences sociales. Sie wurde im Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften an der FU Berlin und der EHESS Paris promoviert und war u.a. Stipendiatin der École Normale Supérieure, des DAAD und des DHI Paris. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der EHESS und arbeitet als Kuratorin für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin.

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Titel: Ein «jüdisches» Mäzenatentum für moderne französische Kunst?
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