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Grammatik des Kreolischen von Mauritius

von Mark Möst (Autor:in)
©2014 Dissertation 266 Seiten

Zusammenfassung

Diese Grammatik der französisch basierten Kreolsprache von Mauritius liefert eine Beschreibung der heutigen geschriebenen Sprache. Behandelt werden neben den Bestandteilen des einfachen Satzes auch verschiedene syntaktische Phänomene wie Satzstellung und indirekte Rede. Die herangezogenen Textbeispiele sind vorwiegend literarischen, aber auch nichtfiktionalen Texten der Gegenwart entnommen. Auf diese Weise entsteht eine Darstellung des aktuellen Sprachzustandes, die das Kreolische von Mauritius als eigenständige Sprache würdigt. Es zeigt sich, dass die Grammatik eine gewisse Flexibilität aufweist, sich aber dennoch in konkrete Regeln fassen lässt, und dass das Kreolische im Bereich der Grammatik anderen Sprachen wie dem Deutschen, Englischen oder Französischen ebenbürtig ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Mauritius und das Kreolische auf Mauritius
  • 1.1 Landeskundlicher Teil – ein Vorwort
  • 1.2 Zu Geographie, Bevölkerungsgruppen und Sprachen auf Mauritius
  • 1.3 Definition: Kreolsprache
  • 1.4 Die französisch basierten Kreolsprachen als Sprachen in der Schule
  • 1.5 Das Schulsystem in Mauritius und der Status des Kreolischen im Schulsystem
  • 1.6 Die Orthographie des Kreolischen von Mauritius im Rahmen der Bemühungen um eine Standardisierung
  • 1.7 Fazit: Landeskundliche und soziolinguistische Fakten und ihre Relevanz für diese Arbeit
  • 2. Rahmen und Ziel der Dissertation und ihre Relevanz im Kontext der bisherigen Forschung
  • 2.1 Die Arbeitsmethode bei dieser Dissertation
  • 2.2 Das verwendete Textkorpus
  • 2.3 Übersicht über die Abkürzungen der Belegstellen
  • 2.4 Die kreolischen Beispiele und ihre Glossierung
  • 2.5 Bisheriger Forschungsstand und Abgrenzung gegenüber den Arbeiten von Baker und Chaudenson
  • 2.5.1 Die vorliegende Arbeit im Kontext der bisherigen Forschung zum Kreolischen von Mauritius
  • 2.5.2 Abgrenzung dieser Arbeit von der Grammatik Bakers (1972)
  • 2.5.3 Abgrenzung dieser Arbeit von der Arbeit Chaudensons (1981)
  • 3. Bestandteile des einfachen Satzes
  • 3.1 Wortarten als Problem der Sprachbeschreibung
  • 3.1.1 Wortarten im Allgemeinen und Wortarten im Kreolischen – ein Vorwort
  • 3.1.2 Der Beitrag von Wortarten für die Sprachbeschreibung
  • 3.1.3 Bisherige Forschungsarbeiten und ihre Anwendung auf das Kreolische
  • 3.1.3.1 Zur Auswahl der Beiträge
  • 3.1.3.2 Coseriu (ab 1978): Einige Probleme bei der Klassifizierung nach Wortarten
  • 3.1.3.3 Givón (ab 1979): Welche Wortklassen gibt es auf universaler Ebene?
  • 3.1.3.4 Ludwig (1996): Zur Wortklassendiskussion im Kreolischen
  • 3.1.3.5 Wierzbicka (2000): Ein semantischer Ansatz zur Beschreibung von Wortarten
  • 3.1.3.6 Baker (2003): Zur Universalität lexikalischer Kategorien
  • 3.1.3.7 Zusammenfassung und Erweiterung: Theoretische Überlegungen zur Bildung von Wortarten
  • 3.1.4 Einteilung der Morpheme nach Bedeutungsebenen
  • 3.1.4.1 Zur grammatischen und lexikalischen Bedeutung von Morphemen im Kreolischen
  • 3.1.4.2 Zur kategoriellen Bedeutung der Morpheme im Kreolischen
  • 3.1.5 Gibt es im Kreolischen eine eigene Wortart „Adjektiv“?
  • 3.1.6 Fazit: Wortarten im Kreolischen
  • 3.2 Die Beschreibung der einzelnen Syntagmen – ein Vorwort
  • 3.3 Verb und Verbalsyntagma
  • 3.3.1 Allgemeines zu den Verbformen
  • 3.3.2 Kurz- und Langform
  • 3.3.3 Modalverben
  • 3.3.4 Die Verbform ohne vorangestellte Marker
  • 3.3.5 „TMA-Marker“
  • 3.3.5.1 Der Begriff des Tempus
  • 3.3.5.2 Die Begriffe „perfektiv“ und „imperfektiv“
  • 3.3.5.3 Merkmale des perfektiven und des imperfektiven Aspekts
  • 3.3.5.4 Strukturierung der Zeitachse, die für die Analyse der Tempora verwendet wird
  • 3.3.5.5 Marker: Allgemeines
  • 3.3.5.6 Zum syntaktischen Status der Marker
  • 3.3.5.7 Die Marker und die Kategorien „Tempus“ und „Aspekt“
  • 3.3.5.8 „TMA-Marker“ und die Kategorie „Modus“
  • 3.3.5.9 Zwischenüberlegung: Ist die etablierte Bezeichnung „TMA-Marker“ angemessen?
  • 3.3.5.10 Gebrauch der einzelnen Marker
  • 3.3.5.10.1 Genaueres zum Gebrauch von ti
  • 3.3.5.10.2 Genaueres zum Gebrauch von finn
  • 3.3.5.10.3 Genaueres zum Gebrauch von fek
  • 3.3.5.10.4 Genaueres zum Gebrauch von pou und va
  • 3.3.5.10.5 Genaueres zum Gebrauch von pe
  • 3.3.5.11 Marker in Kombination
  • 3.3.5.11.1 Allgemeines
  • 3.3.5.11.2 Genaueres zum Gebrauch von ti finn
  • 3.3.5.11.3 Genaueres zum Gebrauch von ti pou und ti va
  • 3.3.6 Die Verwendung von ete
  • 3.4 Nomen und Nominalsyntagma
  • 3.4.1 Das Nominalsyntagma mit N als Kopf
  • 3.4.1.1 Allgemeines
  • 3.4.1.2 Kombinatorik
  • 3.4.1.3 Das begleiterlose Nomen
  • 3.4.2 Wegfall des Nomens
  • 3.4.3 Personalmorpheme
  • 3.4.4 Begleiter des Nomens
  • 3.4.4.1 Der Begleiter bann
  • 3.4.4.2 Der Begleiter enn
  • 3.4.4.3 Der Begleiter la
  • 3.4.4.4 Exkurs: Die Markierung von Definitheit und der Einfluss von Mündlichkeit
  • 3.4.4.5 Der Begleiter sa ([…] la)
  • 3.4.4.6 Der Begleiter sann […] la
  • 3.5 Adjektiv und Adjektivsyntagma
  • 3.5.1 Stellung der Adjektive: Allgemeine Bemerkungen und Situation in den romanischen Sprachen
  • 3.5.2 Stellung der Adjektive im Kreolischen
  • 3.5.3 Juxtaposition von Adjektiven innerhalb des Nominalsyntagmas
  • 3.5.4 Steigerung von Adjektiven
  • 3.5.5 Ergänzungen von Adjektiven
  • 3.6 Adverb und Adverbialsyntagma
  • 3.6.1 Allgemeines
  • 3.6.2 Semantik
  • 3.6.3 Stellung
  • 3.7 Präposition und Präpositionalsyntagma
  • 3.7.1 Definition der Wortart
  • 3.7.2 Bedeutung der Präpositionen
  • 3.8 Fazit: Die Beschreibung der einzelnen Syntagmen
  • 4. Aufbau des Satzes
  • 4.1 Aspekte der Syntax – ein Vorwort
  • 4.2 Satzgliedstellung
  • 4.2.1 Grundprinzipien der Satzgliedstellung im Kreolischen
  • 4.2.2 Die Satzgliedstellung in einzelnen Satzarten
  • 4.2.2.1 Aussagesatz
  • 4.2.2.1.1 Vorbemerkungen
  • 4.2.2.1.2 Genauere Beschreibung der Satzgliedstellung
  • 4.2.2.1.3 Der Satzanfang im Aussagesatz
  • 4.2.2.1.4 Methoden der Fokussierung
  • 4.2.2.1.5 Methoden der Topikalisierung
  • 4.2.2.1.6 Exkurs: Die Thema-Rhema-Gliederung und der Einfluss von Mündlichkeit
  • 4.2.2.2 Fragesatz
  • 4.2.2.3 Aufforderungssatz
  • 4.3 Satzpositionen und Möglichkeiten ihrer Realisierung
  • 4.3.1 Prädikat
  • 4.3.2 Subjekt
  • 4.3.3 Nullsubjekt
  • 4.3.4 Objekt
  • 4.4 Verbformen zum Ausdruck von Passiv und Zustand
  • 4.5 Reflexivität
  • 4.6 Ausblendung des Agens
  • 4.7 Verneinungen
  • 4.8 Relativsätze
  • 4.9 Der Gliedsatz
  • 4.9.1 Zur Unterscheidung von Haupt- und Gliedsätzen
  • 4.9.2 Einleitung von Gliedsätzen
  • 4.9.3 Semantische Einteilung der Gliedsätze
  • 4.9.4 Zur Notwendigkeit und Angemessenheit der Unterscheidung von Haupt- und Gliedsätzen im Kreolischen
  • 4.10 Verwendung von Lexemen in verdoppelter Form
  • 4.10.1 Die Struktur X-X mit Wiederholung desselben Lexems
  • 4.10.2 Phrasenstrukturen der Form X-X
  • 4.10.2.1 Die Struktur N-N
  • 4.10.2.2 Klassifikatoren und klassifizierende Nomina: Ein Sonderfall von N-N?
  • 4.10.2.3 Die Struktur V-V: Zu Serienverben im Kreolischen
  • 4.11 Gibt es Kongruenz?
  • 4.12 Indirekte Rede
  • 4.13 Ausdruck von Ortsbestimmungen
  • 4.14 Fazit: Syntax des Kreolischen
  • 5. Schlussbemerkungen
  • Bibliographie
  • Quellenangaben zu den kreolischen Texten

1.  Mauritius und das Kreolische auf Mauritius

1.1  Landeskundlicher Teil – ein Vorwort

In diesem Teil wird ein grober Überblick über die Geographie und insbesondere die Bevölkerung von Mauritius gegeben. Dies geschieht in dem Bewusstsein, dass Sprache als Mittel zur Kommunikation nicht isoliert und für sich selbst existiert, sondern eingebettet ist in einen gesellschaftlichen Kontext. Diesen Kontext und damit die äußeren Rahmenbedingungen zu kennen, innerhalb deren das Kreolische von seinen Sprechern in der Gestalt Verwendung findet, die hier beschrieben wird, dient zur Abrundung des Gesamtbildes, zur Einbettung in einen größeren Zusammenhang. Unbeschadet dieser Tatsache bleibt der eigentliche Untersuchungsgegenstand das Sprachsystem des Kreolischen. Bei der im zweiten Teil dieser Arbeit erfolgenden Beschreibung der Regeln des grammatischen Systems, welches das Kreolische aufweist, spielen soziolinguistische Betrachtungen keine Rolle.

Im landeskundlichen Teil der Arbeit spielt die Frage, welchen Stellenwert das Kreolische im Bildungswesen der Insel Mauritius hat, eine zentrale Rolle innerhalb des soeben angesprochenen gesellschaftlichen Kontextes. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass Schule und Universität wesentliche Stationen der Sozialisation sind, und da in der Schule Unterrichtsinhalte grundsätzlich über das Medium Sprache vermittelt werden, handelt es sich dabei zwangsläufig auch um eine sprachliche Sozialisation.

So sind, was die Rolle von Sprache und Sprachen in einem Bildungssystem allgemein angeht, zwei Fragen voneinander zu unterscheiden: 1. Welche Sprachen werden als Muttersprache bzw. als Fremdsprache gelehrt. 2. In welcher Sprache sollen die Unterrichtsfächer abgehalten werden, die nicht zum Kanon der sprachlichen Fächer gehören, sondern beispielsweise den naturwissenschaftlichen oder gesellschaftswissenschaftlichen? Auch hier müssen bei der Erstellung und Umsetzung von Lehrplänen grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden, die einerseits aufschlussreich sind für die Einstellung der Betroffenen und deren Meinung etwa über die Bedeutung einzelner Sprachen. Zum anderen steuert die Schule das Sprachverhalten der Schüler zumindest während der Zeit, die sie in der Schule verbringen, und potientiell darüber hinaus. Die Schule unterweist ← 13 | 14 → die Schüler in den betreffenden Sprachen und wird damit zur Vermittlerin einer kommunikativen Kompetenz, die sich innerhalb der Schule wie auch außerhalb der Schule nutzen lässt.

Dieser Teil ist, wie der Rest der Arbeit, deskriptiv angelegt. Das hat zur Konsequenz, dass die Informationen über Sprachverwendung im gesellschaftlichen Leben und im Bildungssystem nicht aus systematischen persönlichen Befragungen stammen, sondern aus von der bisherigen Forschung durchgeführten und ausgewerteten Umfragen und Erhebungen, Lehrplänen und akademischen Quellen. Dies hat Konsequenzen für die Aussagekraft der Informationen: So müssen beispielsweise die herangezogenen Umfragen mit der nötigen Vorsicht behandelt werden, weil keine absolute Garantie für die Richtigkeit und Aufrichtigkeit der dort gemachten Angaben besteht. Wenn aus Lehrplänen zitiert wird, dann geschieht dies in dem Bewusstsein, dass diese zunächst einmal nur eine Zielvorstellung formulieren, eine mehr oder weniger verbindliche Absichtserklärung sind, aber nicht imstande sind, ein Bild von der konkreten Realität im Einzelfall zu zeichnen. Hierbei ist jedoch zu bemerken, dass auch die Kenntnis von Zielvorstellungen und Absichten hilfreich für die Einschätzung der Lage und der Entwicklung sein kann.

Wenn all diese Dinge berücksichtigt werden, dann können diese Daten insgesamt durchaus ein aussagekräftiges Bild von der Funktion und der Rolle des Kreolischen auf Mauritius liefern.

1.2  Zu Geographie, Bevölkerungsgruppen und Sprachen auf Mauritius

Die folgenden Informationen zu Geographie und Wirtschaft der Insel sind, wenn nicht anders angegeben, aus Stein (1982) entnommen. Sie dienen als Rahmen für die sich anschließende Darstellung der aktuellen Sprachensituation.

Die Insel Mauritius liegt ca. 800 km östlich von Madagaskar im Indischen Ozean. Sie hat eine Fläche von 1865 km2. Der Staat Mauritius umfasst daneben außerdem unter anderem die Insel Rodrigues. Die Einwohnerzahl, von Stein für das Jahr 1972 noch mit 826.000 Einwohnern angegeben, ist bis zum Jahr 2004 auf rund 1,23 Millionen Menschen gestiegen1.

Klimatisch zeichnet sich Mauritius durch ein subtropisches Klima aus, das erhebliche Variationen zwischen den verschiedenen Landesteilen aufweist. Zwischen ← 14 | 15 → der Hauptstadt Port Louis im Nordwesten und Curepipe im Südosten befindet sich ein Ballungszentrum, in dem etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt.

Die Bevölkerung von Mauritius ist europäischer, afrikanischer, indischer und chinesischer Abstammung2. Sie lässt sich in vier Gruppen einteilen3: Den größten Anteil haben mit 52 % Hindus, gefolgt von Muslimen (17 %); ferner gibt es Sino-Mauritianer, die 2 % der Bevölkerung stellen. Unter dem Begriff „General Population“ (29 % der Bevölkerung) lassen sich farbige Bevölkerung, Franko- und Afro-Mauritianer zusammenfassen.

Von wirtschaftlicher Bedeutung auf Mauritius ist der Anbau von Zuckerrohr, der einen sehr hohen Anteil am Export ausmacht, während Nahrungsmittelproduktion und Fischfang eine untergeordnete Rolle spielen. Weitere bedeutende Wirtschaftszweige stellen verschiedene Formen von Industrie dar sowie der Tourismus.

Die Sprachensituation sieht folgendermaßen aus: Amtssprache ist das Englische. Französisch ist als Kultursprache weit verbreitet. Es ist im Fernsehen beispielsweise in Form der täglich um 19.30 Uhr auf MBC1 ausgestrahlten Nachrichtensendung Le journal télévisé vertreten. Als Umgangssprache fungiert das Kreolische – charakterisierbar als „language of everyday interactions“4 –, dessen Grammatik Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist. Zu der Sprachensituation heißt es von offizieller Seite: „English is the official language. French is extensively used and Creole is widely spoken. Asian languages also form part of the linguistic mosaic.“5

Parallel zu den französischsprachigen Nachrichten auf MBC1 bietet MBC2 täglich um 19.00 Uhr ein Zurnal Kreol in kreolischer Sprache. Es sei nur am Rande darauf hingewiesen, dass auf der Homepage des Fernsehsenders MBC in der Ankündigung des Programms „Zurnal“ geschrieben wird, im Vorspann jedoch „Zournal“ zu lesen ist6. Dies belegt, wie uneinheitlich die Verschriftlichung des Kreolischen bis heute gehandhabt wird, selbst innerhalb desselben Kontextes.

Die Anzahl der Kreolsprecher wird bei Stein (1984) für Mauritius und Rodrigues mit 950.000 angegeben. In einer Umfrage im Rahmen des Zensus 2000 gaben knapp 800.000 Personen, 69 % der betroffenen Personen, an, Kreolisch sei die bei ihnen zu Hause gesprochene Sprache; Französisch und Englisch dagegen ← 15 | 16 → liegen bei nur 3,4 bzw. 0,3 %7. Für den Zeitraum 1944 bis 1972 ist dabei ein Zuwachs bei der Gruppe der Kreolsprecher von rund 36 % im Jahre 1944 auf rund 52 % im Jahre 1972 zu verzeichnen8. Aus diesen Werten, die naturgemäß wie alle durch Befragungen gewonnenen Statistiken mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind, was ihre Genauigkeit betrifft, ergibt sich eine unangefochtene Stellung des Kreolischen als Sprache, die zu Hause gesprochen wird. Diese Feststellung kann interessanterweise unabhängig von der ethnischen Gruppe getroffen werden9. Die Akzeptanz des Kreolischen, innerhalb der Bevölkerung kennt bei allem Wohlwollen jedoch auch Grenzen: „However, that Creole is accepted in the home does not mean that it can be recognised as a national language. […] Mauritians admit to using Creole in their homes, but might not be ready to see its use institutionalised“.10

Bezüglich des Kreolischen ist also Folgendes festzustellen: Die Basissprache Französisch ist nach wie vor stabil auf Mauritius verankert; im Unterschied zu anderen Kreolsprachen muss das Kreolische von Mauritius dennoch als dachlos gewordenes Kreol betrachtet werden11, da das Englische seit 1810 Verwaltungssprache ist und das Französische abgelöst hat. Dies relativiert sich jedoch dadurch, dass die Rolle des Englischen im Alltag bescheiden ist: „[I]t has never gained acceptance in Mauritian society as a language of everyday interaction.“12

1.3  Definition: Kreolsprache

Bei der Begriffsbestimmung der Kreolsprache ist der Begriff „Pidgin“ von erheblicher Bedeutung. Die folgende Definition von Stein (1984) fasst wesentliche Elemente zusammen, die für Kreolsprachen konstitutiv sind und diese von anderen Arten von Kontaktsprachen abzugrenzen; es handelt sich um eine recht knappe Definition, deren Kernelemente dennoch jedem, der sich wissenschaftlich mit Kreolsprachen beschäftigt, bewusst sein sollten:

„Kreolsprachen entstehen im Kontext der Plantagengesellschaften, wo sich Sprachen herausbilden, welche zu Verständigungszwecken in dieser spezifischen Situation ← 16 | 17 → geeignet waren (Pidginsprachen). Diese Pidgins wurden dann Muttersprachen und einzige Sprache für die Sklaven, man spricht von Kreolsprachen. Diese Kreolsprachen haben, wie die zugrunde liegenden Pidginsprachen, eine europäische Grundlage (Englisch, Französisch, Spanisch, Niederländisch, Portugiesisch) und sind von einem afrikanischen Substrat beeinflusst.“13

In diesem Sinne soll in dieser Arbeit der Begriff der Kreolsprache bzw. des Kreolischen verstanden werden, wobei im Rahmen der Vorstellung der Ziele deutlich werden wird, dass nicht alle Aspekte, die für die Definition bedeutsam sind, im weiteren Verlauf behandelt werden, da die Analyse des heutzutage verbreiteten Kreolisch im Vordergrund steht und beispielsweise nicht die Frage nach dem Verhältnis von Kreolisch und anderen Sprachen in der Gesellschaft von Mauritius oder die Frage nach der Entstehung der Sprache und der Herausbildung des heute vorliegenden Sprachzustandes.

Gleichwohl sollte bewusst sein, dass die typischen Bedingungen, unter denen Pidgin- und Kreolsprachen entstehen, auch im Falle von Mauritius zutreffen: Mauritius kam nach einer niederländischen Periode (1598–1710) im Jahre 1715 in französischen Besitz. Die Bevölkerungszahl und -struktur änderte sich im 18. Jahrhundert; die Bevölkerung wuchs bis 1767 auf fast 20.000 Menschen an, von denen 15.000 Sklaven waren14. Dieser hohe Anteil an Sklaven hat einen maßgeblichen Anteil an der Entstehung des Kreolischen. Obwohl die Insel von 1810 bis zur Unabhängigkeit 1968 unter britischer Verwaltung stand, hat das Französische, wie erwähnt, einen festen Stellenwert.

1.4  Die französisch basierten Kreolsprachen als Sprachen in der Schule

Innerhalb des von Frankreich eingerichteten Bildungssystems in den betreffenden Überseegebieten gibt es zwei Maßnahmen, an denen eine Stärkung des Status der kreolischen Sprache abzulesen ist.

Auf der Ebene der Sekundarstufe wurde das Kreolische durch eine entsprechende Verordnung auf die Liste der Regionalsprachen (langues régionales) im Rahmen der Abiturprüfung (baccalauréat) gesetzt, auf gleicher Stufe etwa mit Baskisch, Bretonisch und Katalanisch. ← 17 | 18 →

Analog zu dieser Entwicklung gibt es seit geraumer Zeit auch eine Möglichkeit, Kreolisch im Rahmen der Lehramtsprüfung CAPES zu wählen. Wiederum steht hier das Kreolische als Regionalsprache neben Baskisch, Bretonisch und Katalanisch. Dabei ist die Formulierung „CAPES créole“ im Singular nicht unumstritten, umfasst doch das Sprachgebiet zwei räumlich voneinander getrennte Gebiete im Atlantik und im Indischen Ozean, deren Heterogenität auch innerhalb eines Gebietes in Frage gestellt werden kann. Kritisch hat sich in dieser Hinsicht Chaudenson (2002) geäußert, der die ganz entsprechende Benennung im Falle der CAPES-Prüfung untersucht und dabei die vermeintliche Einheitlichkeit des Kreolischen mit der Einheitlichkeit des Spanischen und des Italienischen vergleicht. Seine provokative Frage lautet: „Songerait-on à faire pour ces deux langues un CAPES de « langue romane » ?“15

Der Blick auf die Bibliographie zur Prüfungsvorbereitung zeigt, dass der Bereich des Atlantiks ebenso abgedeckt werden soll wie der des Indischen Ozeans (Réunion). Die folgenden beiden Titel dienen zur Vorbereitung auf das Gebiet Linguistik, das mündlich geprüft wird16:

Bernabe, Jean, 1983, „Fondal-natal. Grammaire basilectale approchée des créoles guadeloupéen et martiniquais“, Paris, L’Harmattan, 3 volumes.

Staudacher-Valliamee, Gillette, 2004, „Grammaire du créole réunionnais“, Paris, Sedes.

Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen die Stellung des Kreolischen im Allgemeinen, haben jedoch auf Mauritius keine unmittelbaren Auswirkungen, da Mauritius ein unabhängiger Staat mit einem eigenen, von Frankreich unabhängigen Bildungssystem ist. Die Situation des Kreolischen auf Mauritius muss daher gesondert betrachtet werden.

1.5  Das Schulsystem in Mauritius und der Status des Kreolischen im Schulsystem

Die folgende kurze Beschreibung des Schulsystems auf der Insel Mauritius folgt den Daten, die von der International Association of Universities (IAU) in Form einer Informationsdatenbank herausgegeben worden sind17. ← 18 | 19 →

Das Schulsystem der Insel Mauritius gliedert sich in einen Grundschulbereich und einen Sekundarschulbereich. Die sechsjährige Grundschule, abgeschlossen durch das Diplom Certificate of Primary Education (CPE), ist ebenso obligatorisch wie der Besuch weiterer fünf Jahre Sekundarschule. Es wird am Ende ein Schulabschluss erworben, der sich an den englischen O-Levels orientiert. Nach dem freiwilligen Besuch von zwei weiteren Jahren Sekundarschule kann ein Schulabschluss erworben werden, der den englischen A-Levels und dem deutschen Abitur entspricht.

Da es sich bei den Prüfungen im Sekundarschulbereich in den meisten Fällen um die Cambridge Higher School Examinations handelt18, orientieren sie sich einerseits streng am englischen Vorbild und bieten andererseits keine Möglichkeit, das Kreolische als Prüfungsfach zu wählen. So ist im Sekundarschulbereich Kreolisch auch als Unterrichtsfach nicht vorgesehen. Die einzige Erwähnung findet das Kreolische im Lehrplan für die Primarstufe, also den Grundschulbereich. Hier wird auf die große Bedeutung hingeweisen, die die Schule als Vermittlerin von Kenntnissen u.a. in der Amtssprache Englisch und der zweiten wichtigen Sprache des Landes, Französisch, spielt, da für die meisten Schüler gilt: „[T]he school is the only place where they have the opportunity to be exposed to English, French, Asian languages and Arabic“.19

Der Lehrplan für den Grundschulbereich sieht vor, die Schüler zum Erlernen des Englischen und Französischen von einzelnen, ihnen vertrauten kreolischen Begriffen auszugehen; das Lernziel lautet: „Deviner, pour quelques des mots du créole, les mots correspondants en français“20. Es wird davon ausgegangen, dass insbesondere Englisch für die wenigsten Schüler zu Beginn ihrer Schulzeit Muttersprache ist, allerdings geht das Bestreben dorthin, innerhalb relativ kurzer Zeit sicherzustellen, dass die Schüler dem englischsprachigen Unterricht folgen können. Denn die Rolle des Englischen beschränkt sich, auch im Grundschulbereich, nicht nur auf die Rolle eines Unterrichtsfaches im Rahmen der fremdsprachlichen Fächer. „English plays a key role in our educational system, not only as an important subject but especially as the medium of instruction“21. Dass die sichere Beherrschung des Englischen als Voraussetzung für späteren Lernerfolg angesehen wird, zeigt folgendes Zitat: „[T]he child should be given a good grounding in the language from the earliest stages of her/his schooling so that s/he can move ahead on the path ← 19 | 20 → of learning.“22 Denn es wird zwar davon ausgegangen, dass weder Englisch noch Französisch in der Phase vor der Schulzeit erlernt worden sind, doch genau diese Sprachen sind die angestrebten Unterrichtssprachen, und in diesem Sinne soll im Laufe der Grundschulzeit der Anteil des Unterrichts in diesen Zielsprachen auch immer weiter erhöht werden. „As the children progress up the educational ladder, the use of the language of the environment needs to be adjusted and the use of the target languages increased progressively“23.

Das Kreolische als Unterrichtssprache ist demnach nur eine Übergangslösung. Ziel ist ein Unterricht auf Englisch. Der Lehrplan verweist explizit darauf, dass das Kreolische für die meisten Schüler diejenige Sprache ist, mit der sie vor der Schulzeit am meisten in Kontakt gekommen sind und in der sie folglich die meisten Vorkenntnisse mitbringen. Das Kreolische ist, wie der Lehrplan feststellt, „la langue dans laquelle ils sont pour la plupart d’entre eux venus au monde et dans laquelle ils agissent et parlent à la maison“24.

Dabei ist gerade angesichts der mangelnden Kenntnisse besonders der englischen Sprache die Verwendung des Kreolischen ein wichtiger Faktor, um sicherzustellen, dass die Schüler die Unterrichtsinhalte überhaupt verstehen. Dass spätestens ab der vierten Klasse das Englische außer für die Fächer Französisch und Fremdsprachen alleinige Unterrichtssprache sein sollte25, steht dieser Tatsache als Hindernis im Wege, denn: „[Le créole] est […] indispensable pendant tous les six ans de l’école primaire, pour que les élèves comprennent la matière enseignée“26. Gleichwohl findet sich auf der Seite des Erziehungsministeriums immerhin ein Vorschlag zur Vereinheitlichung der Orthographie von Hookoomsing27. Diese Tatsache dahingehend zu deuten, dass eine Stärkung des Kreolischen und die Zuweisung eines festen Platzes in irgendeinem Fächerkanon vorgesehen sei, scheint übertrieben. In der Tat ist allerdings die bislang nicht erfolgte Fixierung der Orthographie ein Hemmnis für den weiteren Ausbau des Kreolischen, der zu einer Aufwertung dieser Sprache und zu einer Gleichstellung mit Englisch, Französisch und anderen Sprachen im schulischen Bereich führen würde.

Die strikte Ausrichtung des Bildungssystems auf das englische Vorbild wirkt sich jedoch nicht gerade günstig auf Vorhaben zur Aufwertung des Kreolischen ← 20 | 21 → aus. Die Verankerung des Kreolischen als eigenes Unterrichtsfach hätte zur Folge, dass hiermit ein Angebot (oder gar ein Pflichtfach) geschaffen werden würde, das nicht als Prüfungsfach gewählt werden kann, und damit bliebe das Kreolische hinter anderen Fächern, bei denen die Möglichkeit einer Wahl als Prüfungsfach besteht, zurück.

Die marginale Position, die das Kreolische innerhalb des Bildungssystems einnimmt, spiegelt sich auch in der Häufigkeit wieder, mit der Personen der betreffenden Altersgruppen das Kreolische verwenden: So wird es in der Altersgruppe der Personen unter 20 Jahren, deren Mitglieder üblicherweise eine Bildungseinrichtung besuchen, seltener gebraucht als in der Altersgruppe von 20 bis 32 Jahren28, was auf den hohen Stellenwert des Englischen und des Französischen im Schulsystem zurückzuführen ist.

Details

Seiten
266
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653041231
ISBN (ePUB)
9783653989700
ISBN (MOBI)
9783653989694
ISBN (Hardcover)
9783631649435
DOI
10.3726/978-3-653-04123-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Januar)
Schlagworte
Morphosyntax Kreolsprache Syntax
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 266 S.

Biographische Angaben

Mark Möst (Autor:in)

Mark Möst, 2005 Staatsexamen (Lehramt Gymnasium) in Französisch und Latein an der Universität Heidelberg; 2006-2008 Lehrbeauftragter am Seminar für Klassische Philologie, 2008-2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Romanischen Seminar der Universität Heidelberg; seit 2013 Lehrer für Latein und Französisch und Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg.

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