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Die empfängergerichtete Organspende

Im Kontext der bedingten Einwilligung in die Organentnahme

von Martina Resch (Autor:in)
©2014 Dissertation 238 Seiten
Reihe: Recht und Medizin, Band 119

Zusammenfassung

Die Arbeit unterzieht die Regelungen des Transplantationsgesetzes (TPG) hinsichtlich der Verknüpfung einer Organspendeerklärung mit einer Bedingung einer verfassungsrechtlichen Prüfung. Nach einem Überblick über den aktuellen gesetzlichen Rahmen für Leichen- und Lebendspende wird zunächst die Verfassungsmäßigkeit der Restriktion des Empfängerkreises bei der Lebendspende untersucht, um sodann die generelle Beschränkbarkeit der Organspendeerklärung zu erörtern. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf einer verfassungsrechtlichen Prüfung der Vereinbarkeit einer Leichenspende zugunsten eines ausgewählten Empfängers mit dem TPG. Die verfassungsrechtliche Prüfung zeigt, dass dem (postmortalen) Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Spenders sowie dem Gleichheitsgrundsatz nicht hinreichend Beachtung zukommen. Insofern plädiert die Autorin für die Einführung einer Rechtssicherheit schaffenden Ausnahmeregelung in § 9 Abs. 2 TPG, welche die empfängergerichtete Leichenspende unter gewissen Voraussetzungen zulässt, und stützt dieses Ergebnis durch ethische Aspekte.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einführung: Zum veränderten Umgang mit dem körperlichen Rückstand eines Verstorbenen
  • I. Ziele der Arbeit
  • II.Thematischer Hintergrund
  • B. Gesetzlicher Rahmen
  • I. Die Leichenspende
  • 1. Einwilligung bzw. Zustimmung
  • a) Einwilligung des Verstorbenen
  • b) Zustimmung durch eine vom Spender bestimmte Person
  • c) Zustimmung der Angehörigen
  • 2. Todeskriterium
  • a) Harvard Medical School, Hirntod und wachsende Zweifel
  • b) Ordre-public
  • 3. Arztvorbehalt
  • II.Die Lebendspende
  • 1. Subsidiarität
  • a) Bedeutung
  • b) Kritik
  • c) Möglichkeiten der Umgehung
  • d) Plädoyer für eine Beibehaltung der Subsidiarität mit Änderungen
  • 2. Gutachten einer Lebendspendekommission
  • 3. Weitere Voraussetzungen
  • 4. Begrenzter Empfängerkreis
  • III.Verfahren der Organgewinnung und Verteilung
  • 1. Vermittlungspflichtige Organe
  • 2. Koordinierungs- und Vermittlungsstelle
  • 3. Organvermittlung i.S.d. § 12 Abs. 3 TPG
  • 4. Die umstrittene Rolle der Bundesärztekammer
  • C. Problemaufriss
  • D. Lösungsansätze zur Erhöhung der Spendebereitschaft
  • I. Die Widerspruchslösung
  • II. Entscheidungslösung
  • III.Die Notstandslösung
  • IV.Die Solidar-Modelle
  • 1. Konzept einer qualifizierten Wartezeit
  • 2. Club-Modell
  • a) Modell privater Verfügung
  • b) Ringtausch
  • V. Streichung der Beschränkung des Spenderkreises bei der Lebendspende
  • VI. Finanzielle Anreize zur Postmortalspende
  • VII. Stellungnahme
  • E. Die gerichtete Organspende
  • I. Die gerichtete Lebendspende
  • 1. Einführung
  • 2. Empfängerkreis
  • a) Verwandte ersten oder zweiten Grades
  • b) Ehegatten
  • c) Eingetragener Lebenspartner
  • d) Verlobte
  • e) Andere Personen, die dem Spender in besondere persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen
  • 3. Die anonyme altruistische Lebendspende
  • 4. Die Überkreuz-Lebendspende
  • 5. Beurteilung der Beschränkung des Empfängerkreises aus verfassungsrechtlicher Sicht
  • 6. Sinn und Zweck der Beschränkung des Empfängerkreises
  • 7. Kritik am Paternalismusargument
  • 8. Zusammenfassung und Stellungnahme
  • II. Die bedingte Leichenspende – eine rechtliche Betrachtung
  • 1. Einführung
  • 2. Ausgestaltungsmöglichkeit der Erklärung zur postmortalen Organspende nach dem TPG
  • 3. Rechtsnatur der Erklärung zur postmortalen Organspende
  • a) Rechtsgeschäftliche Willenserklärung
  • b) Realakt
  • c) Geschäftsähnliche Handlung
  • 4. Die unbeschränkte Erklärung zur Organspende
  • 5. Die beschränkte Erklärung zur Organspende
  • a) Rechtsnatur der Beschränkung
  • b) Beschränkung auf bestimmte Organe
  • c) Transplantation von Organteilen
  • (aa) Tatsächliches Moment bzw. „Vorstellungsbild“
  • (bb) Rechtliches Moment bzw. Auslegung der Erklärung
  • (cc) Stellungnahme und Ergebnis
  • d) Nutzung zu Forschungszwecken
  • (aa) Anwendbarkeit des TPG
  • (bb) Mittelbare Vorteile für Erkrankte
  • (cc) Andersartigkeit des Zweckes
  • (dd) Einwilligungs- bzw. Zustimmungserfordernis
  • (ee) Stellungnahme der Zentralen Ethikkomission
  • (ff) Stellungnahme des Deutschen Ethikrates
  • (gg) Eigene Stellungnahme
  • e) Aufbereitung und Weiterveräußerung von Gewebe
  • f) Enumerativer Charakter des § 2 Abs. 2 S. 2 TPG?
  • g) Widerspruch weiterer Beschränkungen zu Regelungen des TPG
  • F. Die gerichtete Leichenspende - Beschränkung auf einen bestimmten Empfängerkreis bzw. Empfänger
  • I. Vermittlungspflichtige Organe
  • 1. Exkurs: Durchbrechung der Allokationskriterien des § 12 Abs. 3 S. 1 TPG
  • a) Eurotransplant Senior Program
  • b) Bevorzugung von Kindern und Patienten mit Unverträglichkeiten sowie von Einzelfällen hoher Dringlichkeit sowie kombinierten Transplantationen
  • c) Möglichkeit der Abweichung von den Richtlinien
  • 2. Zwischenergebnis
  • II. Nicht vermittlungspflichtige Organe
  • 1. Diskriminierende Einschränkungen
  • a) Verletzung von Art. 3 GG
  • (aa) Geschlecht, Abstammung, Herkunft und Rasse
  • (bb) Heimat, Sprache, Glauben, religiöse und politische Anschauungen
  • b) Kollision mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
  • c) Stellungnahme
  • 2. Finanzielle Verknüpfung
  • a) Das Organhandelsverbot
  • (aa) Schutzzweck
  • (bb) Betroffene Rechtsgüter
  • b) Exkurs: Fallgruppen des täglichen Lebens, bei welchen mit einem autonom bestimmten Eingriff in die körperliche Integrität kein staatliches Verbot einhergeht
  • (aa) Blutspende
  • (bb) Profiboxen
  • (cc) Stellungnahme
  • c) Stellungnahme
  • III. Beschränkungen zum Ablauf der Organentnahme
  • IV. Zwischenergebnis
  • V. Rechtsfolgen einer unwirksamen Bedingung
  • VI. Zustimmung durch andere Personen und Interessenkonflikt
  • G. Lösungsansätze zur Geltungsverschaffung der bedingten Organspendebereitschaft des Verstorbenen
  • I. Anwendbarkeit der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe
  • 1. Rechtfertigender Notstand gemäß § 34 StGB
  • a) Notstandslage
  • b) Notstandshandlung, Interessenabwägung und subjektives Rechtfertigungselement
  • 2. Zwischenergebnis
  • II.§ 8 Abs. 1 S. 2 TPG analog i.V.m. dem postmortal fortwirkenden Selbstbestimmungsrecht des potentiellen Spenders
  • 1. Unbeabsichtigte Regelungslücke
  • 2. Vergleichbare Sach- und Interessenlage
  • 3. Zwischenergebnis
  • III.Teleologische Reduktion bzw. verfassungskonforme Rechtsauslegung von § 9 Abs. 2 S. 3 TPG
  • 1. Sinn und Zweck der Regelung
  • 2. Verstoß gegen Verfassungsrecht
  • 3. Verstoß gegen das postmortal fortwirkende Selbstbestimmungsrecht des spendebereiten Transplantatgebers
  • a) Schutzbereich
  • b) Eingriff in den Schutzbereich
  • c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
  • (aa) Geeignetheit und Erforderlichkeit
  • (bb) Angemessenheit
  • d) Exkurs: Verfügungsbefugnis über den eigenen Körper bzw. Körperteile
  • (aa) Verfügungsbefugnis über den eigenen (lebenden) Körper und seine Bestandteile
  • (1) Eigentum am lebenden Körper
  • (2) Eigentum an abgetrennten Körperbestandteilen
  • (bb) Verfügungsbefugnis und Bestimmungsrecht über eine Leiche bzw. Teile eines Toten
  • (1) Rechtliche Einordnung des Leichnams
  • (2) Rechtliche Einordnung von Leichenteilen
  • (3) Rechtsbeziehungen zu Leichenteilen
  • (4) Totensorgerecht der Angehörigen
  • (5) Stellungnahme
  • e) Gemeingutqualität von Organen
  • f) Stellungnahme und Abwägungsergebnis
  • 4. Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG
  • a) Schutzbereich
  • b) Eingriff
  • c) Ergebnis
  • 5. Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 GG
  • a) Schutzbereich
  • b) Eingriff
  • c) Ergebnis
  • 6. Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG
  • a) Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem
  • b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
  • (aa) Differenzierungsziel
  • (bb) Differenzierungsgrund
  • (cc) Sachgerechtes Verhältnis
  • (dd) Ergebnis
  • 7. Gesamtergebnis der verfassungsrechtlichen Prüfung
  • 8. Anpassung durch Auslegung?
  • IV.Zusammenfassende Bewertung der aufgezeigten Lösungsansätze
  • V.Probleme bei der Schaffung einer gesetzlichen Regelung
  • 1. Problemaufriss
  • 2. Stellungnahme
  • 3. IGES Umfrage
  • a) Umfrageergebnisse
  • b) Auswertung
  • c) Rechtliche Stellungnahme
  • H. Ethische Erwägungen
  • I. Gerichtete Lebendspende
  • II. Bedingte Leichenspende
  • 1. Interessen des Verstorbenen
  • 2. Interessen begünstigter Transplantatbedürftiger
  • 3. Interessen ausgeschlossener Transplantatbedürftiger
  • 4. Staatliche Interessen und Interessen der Gesellschaft
  • 5. Abwägungsergebnis
  • III.Gerichtete Leichenspende
  • I. Gesamtergebnis
  • J. Thesenartige Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse
  • Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a.A. Andere Ansicht
a.a.O. Am angegebenen Ort
Abs. Absatz
APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte
AT Allgemeiner Teil
Az. Aktenzeichen
  
BÄK Bundesärztekammer
BAnz Bundesanzeiger
Bd. Band
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl. Bundesgesetzblatt
BGesBl. Bundesgesundheitsblatt
BGH Bundesgerichtshof
BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen
BGHZ Enzscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BK Bonner Kommentar zum Grundgesetz
BMG Bundesministerium für Gesundheit
BT-Drs. Bundestags-Drucksache
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes
BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgericht
Bzgl. Bezüglich
Bzw. Beziehungsweise
  
CDU Christlich Demokratische Union
CSU Christlich-Soziale Union
  
DÄBl. Deutsches Ärzteblatt
DKG Deutsche Krankenhausgesellschaft
DÖV Die Öffentliche Verwaltung
DSO Deutsche Stiftung Organtransplantation ← 15 | 16 →
DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt
  
Ebd. Ebenda
EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche
Erl. Erläuterung
Eth Med Ethik in der Medizin
  
f./ ff. Folgend/ fortfolgende
FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht,
Erbrecht, Verfahrensrecht, Öffentlichem Recht
F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung
FDP Freie Demokratische Partei
FS Festschrift
  
GG Grundgesetz
GMK Gesundheitsministerkonferenz
gpk Gesellschaftspolitische Kommentare
  
IGES Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH
Insbes. Insbesondere
i.S.d. Im Sinne des/der
  
Jg Jahrgang
JZ Juristen Zeitung
  
LK Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch
  
MedR Fachzeitschrift Medizinrecht
MMW Münchener Medizinische Wochenschrift - Fortschritte der Medizin
m.w.N. mit weiteren Nachweisen
  
N Engl J Med New England Journal of Medicine
NJW Neue Juristische Wochenschrift
Nr./ Nrn. Nummer/Nummern
  
o.Ä. Oder Ähnliches
  
RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
Rn. Randnummer
  
S. Satz, Seite
SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands
SpuRt Zeitschrift für Sport und Recht ← 16 | 17 →
StäKO Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer
StGB Strafgesetzbuch
  
TFG Transfusionsgesetz
TPG Transplantationsgesetz
  
u.a. Und andere/ unter anderem
  
VBlBW Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg, Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung
VGH Verwaltungsgerichtshof
vgl. Vergleiche
  
WG Wechselgesetz
  
ZEE Zeitschrift für Evangelische Ethik
ZEK Zentrale Ethikkommission
ZfmE Zeitschrift für medizinische Ethik
ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ← 17 | 18 →

 

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A.  Einführung: Zum veränderten Umgang mit dem körperlichen Rückstand eines Verstorbenen

Schaut man in der Geschichte der Menschheit weit zurück und vergleicht mit der Gegenwart, so wird deutlich, dass das Verhältnis zu den körperlichen Überresten eines Verstorbenen und deren Verwendung eine grundlegende Veränderung erfahren hat.

Vor Jahrtausenden noch war für die Ägypter der menschliche Leichnam hauptsächlich ein Objekt der Totenehrung. Für das Leben nach dem Tod musste der Körper des Verstorbenen erhalten bleiben, wofür ein hoch spezialisiertes Verfahren der Mumifizierung entwickelt worden ist.1 Hierfür musste die Bauchhöhle vollständig entleert werden, weshalb die inneren Organe entfernt2, in sog. Kanopen3 gegeben und neben den Sarg gestellt wurden. Von einer umfassenden ökonomischen Nutzung des Leichnams wie man sie heute vorfindet war man, abgesehen von der Verwendung einzelner Teile einer Mumie für die Herstellung von Arzneimitteln, weit entfernt. Die Anfänge einer gezielten ökonomischen Verwertung von Leichnamen und Leichenteilen sind vielmehr in der Spätantike zu suchen. Mit der Öffnung eines Märtyrergrabes und der Übertragung der Gebeine in eine innerstädtische Kirche nahm der Reliquienkult seinen Anfang, welcher in seinem Verlauf dazu führte, dass Leichname regelrecht zerteilt und an verschiedene Orte verteilt wurden. So war gewährleistet, dass möglichst viele Gläubige die Heiligen sehen, verehren und von spontan vollbrachten Wunderheilungen profitieren konnten.4 Mit der Zahl der Heilungswunder stieg gleichsam der ← 19 | 20 → Wallfahrtsstrom Gläubiger, was sich freilich positiv auf die Einnahmen der Wallfahrtsorte auswirkte.5 Nach und nach entstand ein zunehmendes Interesse an einer wissenschaftlichen und kommerziellen Nutzung menschlicher Körpersubstanzen. Anatomen benötigten Leichen zu Forschungs- und Lehrzwecken6, und der einhergehende medizintechnische Fortschritt machte es möglich, dass Körpersubstanzen zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken nutzbar gemacht werden konnten. Heute sind die Organe eines Menschen nicht mehr personengebunden nur für diesen „Lebenselixier“. Dank der sich rasant weiterentwickelnden Transplantationsmedizin und Transplantationsimmunologie können die Organe Lebender und gar Verstorbener dazu verwendet werden, das Leben anderer Menschen zu retten, indem ein erkranktes Organ durch ein gesundes ersetzt wird. Aus Geweben und Zellen werden neuartige medizinische Produkte hergestellt, die Genforschung ist ein zentrales Thema der Gegenwart und nicht zuletzt zählt die Erzeugung menschlichen Lebens im Reagenzglas zu den nicht unumstrittenen Errungenschaften der medizinischen Forschung. Der Körper als „ökonomisches Objekt“ ist äußerst wertvoll geworden.7 Die meisten Bestandteile können nicht nur wissenschaftlich und diagnostisch, sondern therapeutisch sowie- und hierin liegt die einträglichste ← 20 | 21 → Form- industriell verwertet werden.8 Diese Errungenschaften erfordern von der Gesellschaft ein hohes Maß an Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein. Insbesondere dem Gesetzgeber kommt bei der rechtlichen Regulation des Umgangs mit Körpersubstanzen die Funktion des „Züngleins an der Waage“ zu, wobei er stets bestrebt ist technischen und biomedizinischen Fortschritt mit dem Anspruch der Bevölkerung auf eine sozialkonforme Normierung, die Selbstbestimmung und Menschenrechte achtet, in Einklang zu bringen.

I.  Ziele der Arbeit

Die vorliegende Arbeit hat sich anknüpfend an diesen schwierigen Balanceakt des Gesetzgebers zum Ziel gesetzt, die bestehenden gesetzlichen Regelungen des Transplantationsgesetzes hinsichtlich der Verknüpfung einer Organspendeerklärung mit einer Bedingung einer rechtlichen, in Bezug auf die Leichenspende anhand des § 9 Abs. 2 S. 3 TPG insbesondere verfassungsrechtlichen, Überprüfung zu unterziehen. Hierbei soll untersucht werden, ob der Gesetzgeber bei der Schaffung des Gesetzes das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht potentieller Spender im Hinblick auf Bestimmungen verfahrenstechnisch-organisatorischer Natur sowie auf Bestimmungen, den Organempfänger betreffend, in ausreichendem Maße beachtet hat.

Nach einer lediglich überblickartigen Darstellung des rechtlichen Rahmens zur Zulässigkeit von Leichen- und Lebendspende wird mit Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit der Restriktion des Empfängerkreises bei der Lebendspende fortgefahren werden. Erlauben doch die bestehenden Regelungen, wie zu zeigen sein wird, hier gerade nur die Spende an einen bestimmten Empfänger. In Anlehnung an diese Ausführungen soll nach einer Untersuchung der generellen Beschränkbarkeit der Organspendeerklärung zum eigentlichen Schwerpunkt der Arbeit, der gerichteten Organspende, übergeleitet werden. Hierbei liegt der Fokus auf einer verfassungsrechtlichen Prüfung der Vereinbarkeit einer Leichenspende zugunsten eines ausgewählten Empfängers mit dem Transplantationsgesetz. In der Konsequenz wird gefragt werden, ob es insofern einer gesetzlichen Normierung bedarf, eine Novellierung des TPG also ← 21 | 22 → insofern als unerlässlich anzusehen ist. Hierbei sollen stets die Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in die Organspende und das Bestreben die Spendezahlen zu erhöhen, um den bestehenden Organmangel zu bekämpfen, als Leitgedanken dienen, wenngleich dem fortwirkenden Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen sowie der Totensorge der Angehörigen besondere Aufmerksamkeit gebühren soll. Es schließt sich ein Vergleich der Lebend- und Leichenspende an, welcher Parallelen und Unterschiede aufzuzeigen versucht, wobei eventuell bestehende Unterschiede eine mögliche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermögen.

Bereits aus dem Themenbereich der Arbeit, dem Medizinrecht, in concreto dem Transplantationsrecht, ergibt sich, dass eine rein rechtliche Betrachtung nicht ausreichend wäre, um sämtliche Auswirkungen der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der bedingten Organspende zielführend zu erfassen. Das Transplantationsrecht beansprucht, wie sonst wohl im Hinblick des Lebensschutzes nur noch das Embryonenschutzgesetz, elementaren Fragen wie Leben und Tod einen rechtlichen Rahmen zu geben.9 Überdies sind in die Entscheidung über die Durchführung einer Transplantation Dritte (Angehörige und Ärzte) „in besonderer Weise“10 eingebunden. Insofern verknüpft diese Materie beispielhaft die Disziplinen Recht, Medizin und Ethik. Nicht zuletzt verfolgt diese Arbeit daher das Ziel mithilfe ethischer Grundsätze diesen Themenkomplex akzentuiert interdisziplinär zu begleiten und ethische Erwägungen in die Untersuchung der Organspendeeinwilligung unter Empfängerbestimmung einzubeziehen. Am Ende der Arbeit sollen schließlich die Ergebnisse der Untersuchung thesenartig zusammengefasst werden.

II.  Thematischer Hintergrund

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen am 1. Dezember 199711 waren große Hoffnungen verbunden. Ziel ← 22 | 23 → war es, mit diesem Gesetzeswerk Rechtssicherheit und Transparenz bei der Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben zu schaffen, das Organaufkommen deutlich zu steigern und den Organhandel einzudämmen. Doch die Bilanz nach sechzehn Jahren Transplantationsgesetz fällt ernüchternd aus, denn die Erwartungen konnten zumindest im Hinblick auf die Steigerung der Spendebereitschaft und das Organspenderaufkommen nicht erfüllt werden. Derzeit befinden sich in Deutschland über 12.000 Menschen auf der Warteliste für ein Organ, doch nur ca. 3.500 Transplantationen im Jahr werden durchgeführt.12 Dieses enorme Missverhältnis hat nicht selten den „Tod auf der Warteliste“13 zur Folge14. Die Spendebereitschaft hatte bereits im Jahr 2008 mit 1.198 Menschen, die nach dem Tod ihre Organe spendeten, im Vergleich zum Vorjahr sogar um 9 % abgenommen15. Nicht zuletzt wegen der alarmierenden Zahlen wurde auch im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP von einem dringenden Handlungsbedarf gesprochen. Laut dieser Vereinbarung sollten vor allem die organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen in den Krankenhäusern derart verändert werden, dass eine Stärkung der Organspende erfolgt.16 Bereits die Aufnahme des Ziels der Förderung der Organspende in den Koalitionsvertrag ließ die hohe gesellschaftliche und politische Brisanz der Thematik offenbar werden. Zwar konnte der plötzliche dramatische Rückgang der Spenderzahlen im Jahr 2009 gestoppt ← 23 | 24 → werden,17 doch als im Jahr 2012 Manipulationen der Warteliste in verschiedenen Transplantationskliniken18 öffentlich geworden sind hatte dies fatale Auswirkungen auf die ohnehin erneut sinkende Spendebereitschaft der Deutschen. Im Jahr 2012 war mit einem Minus von 12, 8 Prozent ein deutlicher Rückgang der Spendebereitschaft im Vergleich zu Jahr 2011 zu verzeichnen.19 Im ersten Halbjahr 2013 ging die Bereitschaft zur Organspende gar um 18 % im Vergleich zum Vorjahr zurück.20 Neben einer schonungslosen Aufklärung der aufgedeckten Manipulationen sowie der Umstrukturierung des Meldeprozesses muss es weiterhin erklärtes Ziel bleiben, die Anzahl der für eine Spende verfügbaren Organe durch jede nur denkbare Maßnahme zu steigern, soweit diese mit rechtlichen, medizinischen und ethischen Vorgaben und Verhaltensanweisungen in Einklang steht.

Trotz einer Neufassung des TPG im Jahr 2007, welche mit der europarechtlich angestoßenen Gewebegesetzgebung einherging21, blieben die Bestimmungen zur Organentnahme zunächst weitgehend bestehen, bis im Jahr 2012 das TPG gleich durch zwei Gesetze novelliert wurde. Die Regulierung des Transplantationsrechts hat den Gesetzgeber vor eine interdisziplinäre Herausforderung gestellt, denn die Regelung dieser Materie erforderte neben dem Anspruch auf Rechtsklarheit die Einbeziehung medizinischer Erkenntnisse sowie ethischer Erwägungen.

So soll im Folgenden zunächst eine kurze rechtliche Umrahmung des Verfahrens der Organgewinnung und -verteilung erfolgen, bevor sodann auf den Organmangel und mögliche Lösungsansätze einzugehen sein wird. Im Speziellen jedoch liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit, wie vorangehend bereits deutlich gemacht worden ist, in der Untersuchung der Bedingbarkeit einer Spendeerklärung, insbesondere aber auf der gerichteten Lebend- sowie Leichenspende. An die Ausführungen zur Rechtfertigung des beschränkten Empfängerkreises bei der Lebendspende schließt sich eine Untersuchung der Möglichkeit einer bedingten Leichenspende an. Hierbei soll geprüft werden, inwieweit die Erklärung zur Organspende Beschränkungen beinhalten kann und welche Auswirkungen eine unwirksame Bedingung auf die Geltungskraft einer Organspendeerklärung hat. ← 24 | 25 → Insbesondere die Zulässigkeit der Heranziehung des Notstandskriteriums im Bereich der Transplantationsmedizin und die analoge Anwendbarkeit des beschränkten Empfängerkreises der Lebendspende auf die gerichtete Leichenspende sollen einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden. Im Anschluss daran wird § 9 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 12 TPG auf seine Verfassungskonformität hin untersucht werden. ← 25 | 26 →

 

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Details

Seiten
238
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653041187
ISBN (ePUB)
9783653989144
ISBN (MOBI)
9783653989137
ISBN (Hardcover)
9783631649756
DOI
10.3726/978-3-653-04118-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Selbstbestimmungsrecht gerichtete Organspende Lebendspende Organtransplantation Beschränkbarkeit der Organspendeerklärung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 238 S.

Biographische Angaben

Martina Resch (Autor:in)

Martina Resch studierte Rechtswissenschaften und Medizin-Ethik-Recht an der Universität Halle-Wittenberg. Sie war geprüfte Rechtskandidatin im Deutschen Bundestag, bevor sie ihr Rechtsreferendariat in Münster mit Stationen in Düsseldorf und Bangkok absolvierte. Derzeit ist sie als Juristin bei der Ärztekammer Niedersachsen tätig.

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