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Sozio-Kultur und Entwicklungspraxis

Die äthiopische staatliche Hochschulreform

von Werner Jakob Stueber (Autor:in)
©2014 Monographie X, 136 Seiten

Zusammenfassung

Kulturen bzw. Gesellschaften in ihrer spezifischen Prägung haben systemischen Charakter und bedürfen einer ganzheitlichen Betrachtung. Im Zuge entwicklungspolitischer Maßnahmen erfolgen Wissens- und Technologietransfer untrennbar vom Kulturtransfer. Eine Nahtstelle dieses Geschehens ist der Bildungsbereich. Aus einem anders gearteten kulturellen Kontext in einen bestimmten traditionellen Gesellschaftstypus hineinwirkende Maßnahmen zwischenstaatlicher Entwicklungshilfe stellen eine Intervention in ein fremdes sozio-kulturelles Milieu dar. Die skizzierten Zusammenhänge werden am Beispiel des Projektalltages an der deutsch-äthiopischen Modellhochschule, der Adama University, aufgezeigt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Einleitung
  • 1. Die äthiopische staatliche Hochschulreform
  • 1.1 Adama University
  • 1.2 Framework
  • 1.3 School of Humanities & Natural Sciences
  • 1.4 Zwischenbilanz
  • 2. Exkurs: Pädagogisches Erbe, Modernisierungsdoktrin und Bildungshilfe
  • 2.1 Charakteristika der äthiopischen Bildungslandschaft nach 1941
  • 2.2 Zur aktuellen Hochschulpolitik Äthiopiens
  • 2.3 Modernisierungsdoktrin und Kulturrelativismus
  • 3. Grenzen der Machbarkeit
  • 3.1 Adama University: Eine Bilanz
  • 3.2 Sozio-kulturelle Determinanten in der Entwicklungstheorie
  • 3.3 Selektive Typologie: Zeit, Klientel, Sprache
  • 3.3.1 Zeit
  • 3.3.2 Klientelismus
  • 3.3.3 Sprache
  • 4. Die sozio-kulturellen Schlüsselfaktoren des BMZ in der Entwicklungspraxis
  • Schlussfolgerungen
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang
  • Continuing Professional Development for Higher Education Institutions In Ethiopia: The Framework
  • Abstract

← vi | vii → Vorwort

Trotz eines beachtlichen und konstanten Wirtschaftswachstums im zurückliegenden Jahrzehnt wird Äthiopien nach dem Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen nach wie vor zu den ärmsten Ländern gerechnet. Für 2012 weist der HDI Äthiopien Rang 173 von insgesamt 187 Ländern zu (vgl. UNDP HDI 2013) Nach dem Sturz des sozialistisch orientierten Derg-Regimes Mengistu Haile Mariams amtierte die äthiopische Bundesregierung unter Staatspräsident Meles Zenawi seit 1995 mit neuer Verfassung und neuer wirtschaftspolitischer Ausrichtung. Sie entschied 2004 im Rahmen eines Staatsbesuches des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit deutscher Hilfe ein ehrgeiziges Entwicklungs- und Reformprogramm auf den Weg zu bringen mit dem Ziel, wirtschaftliche, insbesondere privatwirtschaftliche Entwicklung in enger Verzahnung mit dem Ausbau des berufsbildenden Sektors und einer Reform der universitären Berufschullehrer- und Ingenieurausbildung zu erreichen. Ausgewählte Wirtschaftsbranchen1, denen bei Gewährleistung entsprechender Qualitätsstandards Chancen auf dem Weltmarkt zugeschrieben wurden, sollten ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Aus- und Weiterbildung qualifizierter Arbeitskräfte erhöhen.

Seit 2005 förderte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Äthiopien das bilaterale, von ihrem Tochterunternehmen, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (giz), umgesetzte und zu den größten und personalintensivsten Vorhaben der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zählende Engineering Capacity Buildung Program (ecbp).2 Das ecbp umfasste die vier Komponenten: Universitätsreform, Berufsbildungsreform, Verbesserung der Qualitätsinfrastruktur und Privatwirtschaftsentwicklung. Als Projektpartner für die Universitätsreform, d.h. die Struktur- und Ausbildungsreform ausgewählter äthiopischer staatlicher Hochschulen, rekrutierte der Deutsche ← vii | viii → Akademische Austauschdienst (DAAD) das akademische Personal und entsandte neben Langzeitdozenten Gründungspräsidenten und Gründungsdekane sowie Wissenschaftliche Direktoren und Verwaltungsdirektoren.

Die vorliegende Arbeit basiert auf meiner vierjährigen, von Anfang 2009 bis Ende 2012 wahrgenommenen Tätigkeit als Gründungsdekan zunächst der Geistes- und Naturwissenschaftlichen und später der Geistes- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der 90km südlich der Hauptstadt Addis Abeba im Bundesstaat Oromia gelegenen Adama University. Die Adama University genoss im Rahmen des ecbp eine Vorreiterrolle; sie sollte als Modelluniversität mustergültige Umsetzungsergebnisse für die übrigen staatlichen, an dem Reformvorhaben beteiligten Universitäten liefern.

Die Beschäftigung mit den sozio-kulturellen Rahmenbedingungen der angestrengten Reformen an der Adama University, auf die sich die vorliegende Arbeit konzentriert, stellt keine Evaluierung, weder des ecbp insgesamt noch der Komponente Universitätsreform, dar, sondern thematisiert eine in der Praxis der Entwicklungszusammenarbeit nach wie vor vernachlässigte Dimension: die im Projektalltag zur Geltung kommenden sozio-kulturellen Faktoren, die sich als spezifische Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster der Zielgruppen manifestieren und den Fortgang oder Stillstand laufender Projekte prägen. Anders formuliert, es geht um die vor Ort in Entwicklungsländern vielfach zu konstatierende Inkongruenz autochthoner Traditionen mit Modernisierungsstrategien westlicher Provenienz, wie sie konsolidierten Industriegesellschaften mit säkularer, rationalistisch ausgerichteter Wirklichkeitsinterpretation eigen sind. Von außen, d.h. aus einem anders gearteten kulturellen Kontext in einen bestimmten traditionellen Gesellschaftstypus hineinwirkende Maßnahmen, zum Beispiel der zwischenstaatlicher Entwicklungshilfe, stellen grundsätzlich eine Intervention in ein fremdes sozio-kulturelles Milieu dar, dem nach E. Gellner systemischer Charakter zukommt: „Man kann Kulturen grob als Systeme von Vorstellungen und Überzeugungen bezeichnen, an denen sich Denken und Verhalten orientieren“ (Gellner 1993, S. 13). In der Regel reagieren die betroffenen „Empfängerkulturen“ selektiv; sie inkorporieren, was sich mit ihrer Handlungsrationalität ohne Verlust eigener Identität vereinbaren lässt und sondern aus, was grundlegenden Prinzipien ihrer Organisations- und Wertestruktur widerspricht. Oder wie N. Luhmann formuliert: „Ein System orientiert die eigenen Operationen an der eigenen Einheit“ (Luhmann 1984, S. 617). In diesem Spannungsfeld bewegt sich interkulturelle Kommunikation ganz allgemein und entwicklungspolitische Projektarbeit im Besonderen. Da Kulturen bzw. Gesellschaften in ihrer spezifischen Prägung systemischen Charakter haben, bedürfen sie einer ganzheitlichen Betrachtung. Im Prozess der Akkulturation, des Hineinwachsens des Individuums in ← viii | ix → seine kulturelle Umgebung, werden sprachliche und emotionale Ausdrucksformen, soziale Rollen, Regeln des zwischenmenschlichen Verhaltens, religiöse und künstlichere Gebräuche, rechtliche und politische Grundwerte sowie ökonomische Strukturen einer Gesellschaft verinnerlicht. Gerade bildungspolitische Reformen in der Entwicklungszusammenarbeit geschehen nicht kulturneutral sondern sind implizit mit Wertetransfer behaftet. Sie gehen mit Prozessen von Bewusstseinsbildung einher, die stets die Nahtstellen kultureller Systeme affizieren bzw. Veränderung suggerieren, zum Beispiel die Übernahme industrieller Sekundärtugenden wie intrinsische Leistungsmotivation oder eines linearen, gleichsam metronomisch getakteten Zeitverständnisses.

Die skizzierten Zusammenhänge sollen am Beispiel des Projektalltages eines Gründungsdekans an der Adama University greifbar werden und zugleich ein Plädoyer für die Abkehr von technizistischen Konzepten in der Entwicklungszusammenarbeit und die stets neu gebotene Vergegenwärtigung der Kulturgebundenheit von Technik sein.

In freundschaftlicher Verbundenheit danke ich Ekkehard Wolff, Prof. em. Dr. phil. habil., Lehrstuhl für Afrikanistik, Universität Leipzig, für seine kritischen Anmerkungen zu zentralen Kapiteln der vorliegenden Arbeit. Meinem Assistenten, Akeya Zeleke, Universität Adama, Äthiopien, danke ich für die Beschaffung wichtiger Dokumente und meinem Sohn Julian Stueber, Institut de’ Études Politiques (Sciences Po), Paris, für seine Unterstützung bei der bibliographischen Recherche sowie umfangreichen Korrekturarbeiten.

Details

Seiten
X, 136
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653039740
ISBN (ePUB)
9783653984774
ISBN (MOBI)
9783653984767
ISBN (Paperback)
9783631650233
DOI
10.3726/978-3-653-03974-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Januar)
Schlagworte
Wissenstransfer Kulturtransfer Entwicklungshilfe Adama University Technologietransfer
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. X, 136 S.

Biographische Angaben

Werner Jakob Stueber (Autor:in)

Werner Jakob Stueber, Dr. phil., Associate Professor, war im Rahmen eines GIZ/DAAD-Projektes der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit zur Reform des tertiären Bildungssektors als Gründungsdekan der Geistes- und Naturwissenschaftlichen Fakultät an der Adama University (Äthiopien) tätig. Er erhielt seine akademische Ausbildung in den Sozialwissenschaften an der Universität Frankfurt am Main und an der Trenton State University, New Jersey (USA).

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