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Innovationssysteme und Wohlstandsentwicklung in der Welt

von Bernhard Seliger (Band-Herausgeber:in) Jüri Sepp (Band-Herausgeber:in) Ralph Michael Wrobel (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband 382 Seiten

Zusammenfassung

Wer die vorherrschenden europäischen wirtschaftspolitischen Diskurse der vergangenen Jahre anschaut, könnte meinen, dass Wohlstandsentwicklung im Wesentlichen als Folge von wohlgemeinten und tiefgreifenden Staatseingriffen besteht. Egal, ob es um die Rettung von einzelnen Unternehmen oder ganzen Staaten geht, staatlich gesetzte Zielmarken ersetzen Ergebnisse des Marktes. Die Einschränkung der wettbewerblichen Freiheit wird dabei hingenommen und meistens gar nicht thematisiert. Das kann aber nur dann zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen, wenn man schon das beste mögliche Ergebnis des Marktprozesses kennt und vorwegnehmen kann. Diese Problematik ist letztlich das Grundproblem der staatlichen Innovationspolitik. Aber wie kann der Staat am besten Innovationen fördern, die er nicht kennt, nicht im Sinne eines stochastischen Risikos, sondern im Sinne der von Frank Knight definierten Ungewissheit, die eben nicht vorausberechenbar ist?

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A) Innovationssysteme in der Sozialen Marktwirtschaft
  • Wider die „Après nous le déluge“- Logik: Ordnungspolitik, Innovation und Nachhaltigkeit
  • National Innovation Systems - Can They Be Copied?
  • Optionen zur Stärkung der Leistungsfähigkeit von Innovationssystemen
  • Measuring Absorptive Capacity of National Innovation Systems
  • Struktur und Zusammenhänge des staatlichen Innovationssystems und der Innovationspolitik
  • Functional Approach to National Systems of Innovation: The Case of a Small Catching - up Country
  • B) Innovationssysteme, Energie und Umwelt
  • Global denken, lokal handeln: Gebäudesanierung als Beitrag zum Klimaschutz am konkreten Beispiel
  • Die Anrechnung natürlicher und anthropogener Effekte auf terrestrische Ökosysteme im Rahmen des Kyoto-Protokolls
  • Energiewende ohne Markt? Ordnungspolitische Perspektiven
  • Grünes Wachstum in Südkorea - Etikettenschwindel, Neo-Keynesianismus oder ein neues Paradigma der Ordnungspolitik?
  • Institutional Change for Creating Capacity and Capability for Sustainable Development - a Club Good Perspective
  • C) Innovationssysteme in verschiedenen Sektoren
  • Institutionelle Innovationen im Infrastrukturbereich: Die Post in Estland
  • Innovationssystem Internet: Eine institutionenökonomische Analyse der digitalen Revolution
  • Linkage Between Productivity and Innovation in Different Service Sectors
  • Erfolgsfaktoren für Internationale Projekte in Korea
  • Autorenverzeichnis
  • Reihenübersicht

← 14 | 15 → A) Innovationssysteme in der Sozialen Marktwirtschaft← 15 | 16 →

← 16 | 17 → Stefan Kolev

Wider die “Après nous le déluge”- Logik: Ordnungspolitik, Innovation und Nachhaltigkeit

1. Einleitung

Der öffentliche Diskurs über wirtschaftspolitische Zusammenhänge weist sicherlich viele Merkwürdigkeiten auf. Eine zentrale Besonderheit ist dabei der Umgang mit wissenschaftlichen Begriffen und die Transformation, die solche Begriffe erfahren. Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, dass das Schicksal häufig eines ist, bei dem mehr oder weniger präzise definierte wissenschaftlich Termini im Laufe der Zeit zu politischen Schlagworten geradezu verkommen. So ist es der Sozialen Marktwirtschaft ergangen, dem Neoliberalismus und eben auch der Ordnungspolitik. Alle sprechen darüber und versuchen vom Kapital des Begriffes zu zehren, wenige sagen aber, was sie damit genau meinen. Dieser Beitrag nimmt sich also ein ambitioniertes Ziel vor, wenn im Mittelpunkt der Analyse drei Begriffe stehen, die von einer solchen Sinnentstellung bedroht sind: Ordnungspolitik, Innovation und Nachhaltigkeit bilden den Dreiklang des Papiers. Sie werden von zahlreichen Politikern, Intellektuellen sowie Journalisten aus allen Teilen der Zeitung verwendet und bilden einen wesentlichen Punkt des heutigen wirtschaftspolitischen Diskurses.

Wie kann man aber im theoretischen Sinne über sie und besonders über ihren Zusammenhang nachdenken? Die folgende Abbildung zeigt das Dreieck, in dem diese Begriffe thematisiert und ihre möglichen Beziehungen erörtert werden können.

← 17 | 18 → Abb. 1: Mögliche Interdependenzen zwischen den drei zentralen Konzepten, Eigene Darstellung

images

Wie kommt man aber dazu, drei so unterschiedlich gelagerte Konzepte überhaupt zueinander in Beziehung setzen zu wollen?

Wir leben in einer Krise, die bereits etliche Jahre dauert und bei der sich ein baldiges Ende nicht abzeichnet. Auch wenn Sozialwissenschaftler sehr wahrscheinlich lange benötigen werden, um alle Ursachen dieses Phänomens auszumachen und einen Konsens zu formulieren (was über die Große Depression noch nicht gelungen ist), sind bereits viele Erklärungsmuster im Umlauf. In diesem Beitrag wird eine Deutung gewählt, aus der sich die Verknüpfung der Konzepte Ordnungspolitik, Innovation und Nachhaltigkeit ergibt und die deshalb für die Argumentation von zentraler Bedeutung ist: Die Krise ist demnach eine Krise des kurzfristigen Denkens. Im Folgenden wird zunächst diese These erläutert, bevor anschließend überprüft wird, ob mittels der drei Konzepte eine „Fristentransformation“ im Denken und Handeln hin zu einer längeren Frist möglich ist.

2. Die Krise als Krise des kurzfristigen Denkens

Wie bereits angesprochen, konkurrieren viele Deutungen um die Erklärungshoheit über die momentanen krisenhaften Phänomene. Die Gier der Banker, die Geldflut der Zentralbanker sowie die Ausgabefreudigkeit der Politiker sind nur einige Ansätze, die Schieflagen der ← 18 | 19 → vergangenen Jahrzehnte zu erfassen. „Der“ Schuldige ist noch nicht ausgemacht, vielmehr handelt es sich um ein ganzes Orchester aus unterschiedlichsten Akteuren, deren interdependente Handlungen im Mittelpunkt des öffentlichen Verdachts stehen. Dieser Beitrag fokussiert seine Diagnose nicht auf einen einzelnen „Sündenbock“, sondern auf eine Verhaltensweise, die fast alle der obigen Akteure gemeinsam zu haben scheinen: die Priorität der kurzen Frist.

Wenn der menschliche Erwartungshorizont im Sinne der klassischen Dreiteilung in kurz-, mittel- und langfristige Intervalle unterteilt wird, so ist jedem nicht nur aus den unterschiedlichen Sozialwissenschaften, sondern auch aus den eigenen täglichen Verhaltensroutinen klar, dass jeder diesen drei Zeitfenstern unterschiedliches Gewicht zumessen kann. Die Präferierung der Gegenwart bei einem Haushalt mündet in mehr Konsum, eine höhere Gewichtung der längeren Frist tendenziell zu mehr Konsumverzicht und damit Ersparnis. Mit solchen intertemporalen Aspekten menschlicher Handlungen beschäftigt sich die Wissenschaft, seit es eine Wissenschaft über das Individuum und seine sozialen Interaktionen gibt. Auch in der Ökonomik ist der intertemporale Charakter des Wirtschaftsprozesses seit Jahrhunderten ein wichtiger Topos der Theorieentwicklung, so steht er etwa bei den zahlreichen Debatten über Zins- und Kapitaltheorien stets an vorderster Stelle. Diese zu rekapitulieren, wäre hier der falsche Ort (vgl. Skousen (1990), S. 13-130). Jedenfalls kann es hilfreich sein, die unterschiedliche Gewichtung von kurzer und langer Frist einen Moment näher zu betrachten.

Die Ausgangsthese dieses Beitrages ist, dass das kurzfristige Denken in den letzten Jahrzehnten die politischen Prozesse dominierend geprägt hat. Politiker aller Couleur und aller Institutionen in der westlichen Welt zeichnen sich sehr oft dadurch aus, dass sie Politiken präferieren, deren Vorteile sich (häufig nur) in der kurzen Frist auswirken. Ausgerüstet mit dem Keynes’schen Ausspruch „In the long run we are all dead“ (Keynes (1923), S. 80), dessen Logik Friedrich August von Hayek in die Nähe der bekannten französischen Faustregel „Après nous le déluge“ rückte (vgl. Hayek (1941), S. 410), waren und sind sowohl die Fiskal- als auch die Geldpolitik der westlichen Welt maßgeblich von einer Kurzfristorientierung gekennzeichnet. ← 19 | 20 → Die keynesianische Fiskalpolitik betrieb, Keynes’ Rat ignorierend, ein „deficit spending“ nicht nur in konjunkturellen Schwächephasen, sondern fast ständig. Die Verschuldungsprobleme, mit denen die USA, die Eurozone und Japan zu kämpfen haben, sind das Ergebnis dieser Politik der dauerhaften Geschenke auf Kosten künftiger Generationen. Auch in der Geldpolitik dominiert bis heute in vielen Währungsräumen eine solche Perspektive. Unvergessen ist die Greenspan’sche Handlungsmaxime des „First things first“ (Overtveldt (2009), S. 63), nach welcher der damalige Fed-Chef oft jede kleine Schwächephase des Zyklus mit Liquidität zuflutete und - von den Märkten als „Zauberer“ bewundert - die Vorstellung weckte, dass das ohne Blasen auf den Vermögensmärkten und ohne Inflation auf dem Gütermarkt möglich ist. Ersteres wurde bereits durch die Ereignisse der letzten zehn Jahre mit äußerst schmerzvollen Folgen widerlegt, wie es mit Zweiterem bestellt ist, wird die nahe Zukunft zeigen.

Die zweite These ist, dass das kurzfristige Denken keinesfalls auf die Politik beschränkt ist, sondern dass es auch die Ökonomie im Allgemeinen und die Finanzmärkte im Besonderen vielfach beherrschte und immer noch beherrscht. Dass bei börsennotierten Unternehmen die Quartalszahlen im Mittelpunkt stehen, ist zwar verständlich, es besteht aber natürlich keine Garantie, dass aus denen die mittel- und langfristige Leistungsfähigkeit des Unternehmens ablesbar ist. Eine ausschließliche Fokussierung auf solche Zahlen wurde in den letzten Jahren ausführlich in der Governance-Literatur thematisiert und kann mikroökonomisch unterschiedlich gewertet werden. Interessant sind aber auch und vor allem die makroökonomischen Konsequenzen solcher Einstellungen, die erst in der gegenwärtigen Krise deutlich geworden sind. In der Presse liest man in den vergangenen Jahren wiederholt, dass „die Märkte“ auf Zinssenkungen oder auf die verschiedenen Etappen des „Quantitative Easing“ regelmäßig euphorisch reagieren bzw. abstürzen, wenn solche Schritte wider Erwarten nicht kommen. Ähnlich häufig ist zu lesen, dass Konjunkturprogramme bejubelt werden, während fiskalische Instrumente à la Schuldenbremse oder Fiskalpakt als „austerity“ mit Skepsis registriert werden. Beides, das Herbeiwünschen von noch mehr billigem Geld von der Zentralbank bzw. von schuldenfinanzierten Ausgabenprogrammen, ← 20 | 21 → erweckt den Eindruck, dass sich die Märkte wohl an diese kurzfristigen „Wohltaten“ so sehr gewöhnt haben, dass ihr Entzug panikartig gefürchtet wird, obwohl bei Nichtaufgabe dieser Politik langfristig Inflation in Kombination mit Schuldenbergen sicher sind. „Verstehen Finanzmärkte Ordnungspolitik?“ (Wohlgemuth (2011)) ist also eine mehr als berechtigte Frage.

3. Ist eine Rückkehr zur Langfristorientierung möglich?

Sieht man sich mit dieser Phalanx aus Akteuren konfrontiert, die sich (bewusst oder unbewusst) ein extrem kurzfristiges Denken zu eigen machen, ist die Vorstellung eines anders gelagerten Verhaltens vielleicht illusorisch. Aber es lohnt sich, unterschiedliche Quellen auszumachen, die gegen die obige Logik sprechen und die, falls richtig kommuniziert, möglicherweise ein Umdenken bei einigen Akteuren bewirken können. Wie nun gezeigt werden soll, ist die Kurzfristigorientierung keineswegs „alternativlos“.

3.1 Ordnungspoltik

Aus der Krisenhaftigkeit der 1930er Jahre entstand nicht nur das Keynes’sche Denken, sondern - für die angelsächsische Welt zunächst etwas verborgen - auch der deutsche Ordoliberalismus. Gerade um dem wirtschaftspolitischen Chaos der späten Weimarer Republik und der NS-Zeit einen Gegenentwurf entgegenzusetzen, konzipierte die Freiburger Schule die Ordnungspolitik als eine Politik, die den Staat nicht der Passivität verschreibt, ihn aber gleichzeitig dem Interventionismus entreißen will. Wie dieser Staat beschrieben werden kann und was er genau unternehmen soll, darüber herrscht in der Freiburger Schule und ihrem Umfeld kein Konsens. Es lassen sich mindestens drei Leitbilder herausarbeiten, die man jeweils aus dem Werk von Walter Eucken, Friedrich August von Hayek und Wilhelm Röpke extrahieren kann. Hier sind die drei Bilder lediglich in kompakter Form wiedergeben und sollen nur als Inspiration dienen, ohne in allen Details erörtert werden zu können (vgl. Kolev (2011)).

← 21 | 22 → Die zentrale Gemeinsamkeit zwischen den drei Autoren ist eine Figur, die sie sich zueigen machen und die für die Staatsverständnisse fundamental ist. Es handelt sich um das Modellieren der Ökonomie als Spiel. Liberal an diesem Konzept ist, dass die Spielzüge von den privaten Akteuren getätigt werden, ordoliberal daran ist, dass die Spielregeln die primäre Staatsaufgabe schlechthin sind. Diese Trennbarkeit von Spielzügen und Spielregeln ist etwas, was in der Ökonomik seit Adam Smith angelegt ist, allerdings in dieser Deutlichkeit erst nach der Großen Depression herausgearbeitet wird, und zwar neben Freiburg im Chicago der „Old Chicago“-Schule (vgl. Köhler/Kolev (2011)). Obwohl dieses Denken im „rule-of-law“-Paradigma der angelsächsischen Welt verwurzelt ist, fällt es vielen angelsächsischen Ökonomen schwer, seinen Kern zu erkennen. Obwohl Keynes für Hayeks „Road to Serfdom“ voll des Lobes ist, kritisiert er gerade die darin enthaltenen ordoliberalen Ansätze als unscharf (vgl. Keynes (1944), S. 385-388)). Dieses Unverständnis gegenüber dem Denken in Ordnungen und den ihnen zugrundeliegenden Regeln zeigt sich bis heute: In der Phase schwachen Wirtschaftswachstums wurde das Denken in Ordnungen ausgerechnet als die zentrale Quelle mangelnder Anpassungsfähigkeit und Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft ausgemacht (vgl. Krugman (1999)).

Solchem ablehnenden Unverständnis kann möglicherweise begegnet werden, indem man greifbare Leitbilder anbietet, die den Kern der ordoliberalen Staatsverständnisse veranschaulichen und so den Mythos eines seltsamen deutschen Sonderweges ein Stück weit entzaubern. Euckens Staat lässt sich durch das Bild eines Schiedsrichters verdichten, der für die Einhaltung der langfristig angelegten Regeln des Spiels sorgt und außerdem Vermachtungen im Spiel verhindert, indem er den Wettbewerb schützt und fördert. Hayeks Staat ist etwas anders gelagert, er kann als Gärtner eines englischen Gartens beschrieben werden, der das spontane Wachstum der miteinander interagierenden Elemente des Gartens ermöglicht. Bei den Interaktionen handelt es sich um die Prozesse der interpersonellen und intertemporalen Wissensteilung, die für Hayeks katallaktisches Spiel der Ökonomie die zentrale Rolle spielen. Röpkes Spielverständnis ergänzt die ordoliberale Perspektive, indem er „unterhalb“ des Spielfeldes blickt und die ← 22 | 23 → Frage stellt, inwieweit das Fundament des Spielfeldes, auf dem die Privaten spielen und der Staat die Regeln setzt, überhaupt stabil ist. Da für ihn eine solche Stabilität nicht immer als gesichert angesehen werden kann, ist Röpkes Staat als Statiker zu sehen, der damit betraut ist, die Säulen der freiheitlichen Ordnung zu beaufsichtigen und zu stabilisieren, also Voraussetzungen auf individueller und interpersoneller Ebene - in Kooperation mit den privaten Akteuren - zu gewährleisten (vgl. Kolev (2012), S. 49-52).

Was haben diese Varianten des mit Ordnungspolitik betrauten Staates gemeinsam? Es ist mehr als nur die Spielregeln-Spielzüge-Metapher. Was den Ordoliberalismus im eigenen Selbstverständnis vom Interventionismus unterscheidet, ist die Vorstellung, dass ordoliberale Regelsetzung nicht nur nicht als freiheitsberaubende Intervention, sondern geradezu als freiheitsermöglichende Grundlegung für die freiheitliche Ordnung zu sehen ist. Die Voraussetzung dabei ist, dass der Schiedsrichter-Gärtner-Statiker-Staat durch den allgemeinen Charakter seiner Regeln nicht einzelne Elemente bevorzugt und dass außerdem seine Regelsetzung langfristig angelegt ist. Ordnungspolitik ist bei Eucken konstituierend durch das Prinzip einer „Konstanz der Wirtschaftspolitik“ gekennzeichnet (vgl. Eucken (1952/2004), S. 285-289). Falls sich der Staat diesem Prinzip nicht anschließt und stattdessen eine „nervöse Unrast der Wirtschaftspolitik“ (Eucken (1952/2004), S. 288) an den Tag legt, werden die Unternehmer verunsichert und die relativen Preise der Ökonomie verzerrend destabilisiert, so dass sich die Investitionsneigung entscheidend abschwächt. Eine solche Investitionsschwäche ist für Eucken also - in expliziter Abgrenzung zu Keynes' Diagnose - nicht das Ergebnis von Sättigung im Kapitalismus, sondern das Ergebnis einer interventionistischen Prozesspolitik.

Zusammenfassend kann man also festhalten, dass der ordoliberale Staat - anders als sein keynesianischer Konkurrent - nicht als der Generator des Wachstums in einer Ökonomie zu sehen ist. Das Wachstum speist sich für die Ordoliberalen aus dem Spiel der Privaten, während der Staat lediglich die Voraussetzungen zu schaffen hat, damit dieses Spiel des gegenseitigen Vorteils sich entfalten kann. Damit ← 23 | 24 → unter anderem Innovationen möglich sind, womit wir beim zweiten Element unseres Dreiklangs wären.

3.2 Innovationen

Ökonomisches Denken hat stets im Spannungsverhältnis zwischen Statik und Dynamik stattgefunden. Die Gleichgewichtigkeit ökonomischer Handlungen auf Märkten steht dabei auf der einen Seite, der ständige Wandel im Marktprozess auf der anderen. Diese beiden Perspektiven finden sich bereits bei Adam Smith, in dessen System die Anpassungsprozesse auf Märkten sowohl Richtung Gleichgewicht (im Sinne der Arbitrage) und auch weg von den Gleichgewichten führen können. Es sind bei Smith die einzelnen Unternehmer („speculative merchants“), die sich zwischen den Sektoren der Ökonomie bewegen, Chancen aufspüren, auf Märkten dazustoßen und sich wieder verabschieden, sobald die Gewinnmöglichkeiten des jeweiligen Marktes erneut durchschnittlich werden (vgl. Smith (1776/1976), S. 126-130). Joseph Alois Schumpeter hat die wohl bekannteste Unternehmer-Theorie dargelegt: Nachdem er sich in seiner Habilitationsschrift von 1908 mit der statischen Welt des allgemeinen Gleichgewichts auseinandergesetzt hat, widmet er sich in der drei Jahre später erschienenen „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ den verschiedenen Facetten unternehmerischer Betätigung. Von Schumpeter haben wir eines der meistzitiertesten Bilder in der Nationalökonomie, das der „schöpferischen Zerstörung“ (vgl. Schumpeter (1942/1976), S. 81-86). Etwas weniger heroisch ist die Marktprozesstheorie, die innerhalb der Österreichischen Schule (zu der Schumpeter traditionell nicht gezählt wird) entsteht. Bei Ludwig von Mises spielt der Unternehmer eine wesentliche Rolle, besonders wenn es um das Aufspüren und Nutzen der permanent vorhandenen Ungleichgewichte auf Märkten geht (vgl. Mises (1949/2007), S. 289-294). Friedrich August von Hayek thematisiert die dynamischen Kräfte des Wettbewerbsprozesses bei der Entdeckung und Nutzung von neuem bzw. von den Akteuren noch nicht verwendetem Wissen und bezeichnet den Wettbewerb deshalb als ein Entdeckungsverfahren von Wissen (vgl. Hayek (1969), S. 249-265).

← 24 | 25 → Was ist das Ziel dieses theoriegeschichtlichen Exkurses? Die Unternehmerbilder darin divergieren zwar wesentlich, allerdings könnten auch zwei Gemeinsamkeiten ausgemacht werden. Innovationen sind erstens ein unverzichtbarer Bestandteil ökonomischer Dynamik und werden zweitens von privaten Akteuren erbracht. Diese wesentliche Quelle des Wachstums (an materiellen Werten und an Wissen) entsteht also im privaten Spiel und trägt dazu bei, dass in einem Prozess von Versuch und Irrtum neue Kombinationen an Produktionsfaktoren ausprobiert werden, von denen einige den Test der Konsumenten bestehen. Unternehmer - trotz der Unterschiede in den Auffassungen - sind als kaum wegzudenkender Treiber von Entwicklung und Innovation auf Märkten zu sehen.1

Innovationen brauchen Vorhersehbarkeit. Während die Invention das Ergebnis eines plötzlichen genialen Einfalls sein kann, ist die Verwertung dieser Invention - also die Innovation im ökonomischen Sinne - meist eine langwierige Angelegenheit. Sie geht sehr wahrscheinlich mit Investitionen einher, und aufwendige Investitionen werden nur getätigt, wenn auch die langfristigen Cashflows rechtlich gesichert sind. Damit Innovationen zustande kommen, ist für die Akteure demnach Planungssicherheit unverzichtbar: Ohne sie wird die Verwertung von Inventionen nur in den Fällen realisiert, in denen schon in der kurzen Frist so viel Ertrag erwartet werden kann, dass die entstandenen Kosten gedeckt wären. Während der Staat mit Milliardenbeträgen Forschung und Entwicklung zu fördern sucht, kann er gleichzeitig mit einer erratischen Wirtschaftspolitik ein Vielfaches an privater F&E-Tätigkeit verhindern. Ohne dass hier die Frage geklärt werden kann, ob der Staat solche Dynamik dauerhaft erzeugen kann, bleibt festzuhalten, dass er sehr wohl die Fähigkeit besitzt, Dynamik zu ersticken. Der ordoliberale Staat, der sich wie erläutert einer Konstanz der Wirtschaftspolitik verschreibt, kann in dieser Sicht auf Innovationen als ← 25 | 26 → geeignetes Komplement zu privaten Innovationen und damit als Komplement zur privaten Dynamik betrachtet werden. Dynamik kommt hier nicht vom Staat, sondern aus der Tätigkeit der Unternehmer: Deren Handlungen werden - ganz im Sinne des Hayek’schen Gärtners eines englischen Gartens - durch einen prognostizierbaren Staat mittels allgemeiner und langfristig angelegter Regeln kultiviert, ohne dass sich der Staat das Wissen anmaßt, den einzelnen Unternehmer zu kontrollieren.

Details

Seiten
382
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653039757
ISBN (ePUB)
9783653984750
ISBN (MOBI)
9783653984743
ISBN (Hardcover)
9783631650240
DOI
10.3726/978-3-653-03975-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Januar)
Schlagworte
Staatseingriffe staatliche Übernahme Finanzmarktstabilisierung Einschränkung des Wettbewerbs staatliche Innovationspolitik Rettung von Unternehmen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 382 S., 15 Tab., 29 Graf.

Biographische Angaben

Bernhard Seliger (Band-Herausgeber:in) Jüri Sepp (Band-Herausgeber:in) Ralph Michael Wrobel (Band-Herausgeber:in)

Bernhard Seliger ist Repräsentant der Hanns-Seidel-Stiftung in Seoul (Südkorea) und Privatdozent an der Universität Witten-Herdecke. Jüri Sepp ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Tartu (Estland). Ralph Wrobel ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Westsächsischen Hochschule Zwickau.

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