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Geist und Tora

Zum Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue in der Schriftgelehrtentheologie des Pentateuch und der Prophetenbücher

von Kyunggoo Min (Autor:in)
©2014 Dissertation 290 Seiten

Zusammenfassung

Dass der Toragehorsam eingehalten wird, ist das zentrale Ziel der Endredaktion. Dies wird auch in den Prophetenbüchern reflektiert, wobei sich die drei in dieser Studie untersuchten Modi des Toragehorsams entwickelt haben. Indem am Ende der Geist mit dem Herz gleichgesetzt wird, wird der Geist zur zentralen Größe des Toragehorsams. Die Schriftgelehrten-Redaktoren, die sich nach der Endredaktion für den Toragehorsam einsetzen, bestimmen das Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue schließlich so, dass alle zu Geistbegabten werden sollen, was als umfassender Spiritualisierungsprozess zu verstehen ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • 1. Fragestellung und Aufgabe der Untersuchung
  • 2. Einleitung
  • 2.1 Forschungsstand
  • 2.2 Begriffsbestimmungen
  • 2.2.1 לבב /לב (Herz)
  • 2.2.2 Begriffsaspekte von Rûaḥ
  • 2.2.2.1 Wind
  • 2.2.2.2 Geist
  • 2.2.2.2.1 Rûaḥ als anthropologischer Begriff
  • 2.2.2.2.2 Rûaḥ als theologischer Begriff
  • 2.2.2.2.3 Rûaḥ im Pentateuch – Propheten – Psalmen
  • 2.2.3 Tora als Sprechakt und als Schrift
  • 2.2.3.1 Die mündliche Tora im Pentateuch – Propheten – Psalmen
  • 2.2.3.2 Schriftliche Tora im Pentateuch – Propheten – Psalmen
  • 2.2.4 Begriffe des Toragehorsams – Tora, Gesetz und Bund
  • Teil I: Die Rede vom Gehorsam des Herzens gegenüber dem Gesetz
  • 1. „Mit ganzem Herzen“: Die Ausrichtung des Bewusstseins auf Gott und sein Gesetz
  • 1.1 Dtn 6,5
  • 1.2 2 Kön 23,25
  • 2. Dtn 30: Die Beschneidung des Herzens
  • 2.1 Formanalyse
  • 2.2 Sprachliche Untersuchung
  • 2.3 Einzelanalyse
  • 2.3.1 Die Herzensbeschneidung
  • 2.3.2 Dtn 29f * und Dtn 4
  • 2.3.3 Historische Einordnung
  • 2.3.4 Dtn 30,11–14
  • 2.4 Zusammenfassung
  • 3. Jer 31,31–34: Die „Tafeln des Herzens“
  • 3.1 Formanalyse
  • 3.2 Sprachliche Untersuchung
  • 3.3 Einzelanalyse
  • 3.3.1 Der Bundesbruch
  • 3.3.2 Die Tora auf das Herz als neuer Bund
  • 3.4 Zusammenfassung
  • 4. Zwischenergebnis
  • Teil II: Toravermittlung und Geistbegabung
  • 1. Deutero-Jesaja: Gottesknecht – Geist und Toraerteilung
  • 1.1 Jes 42,1–4
  • 1.2 Jes 44,1–4
  • 2. Jes 61: Toragehorsam durch den geistbegabten Mittler
  • 2.1 Formanalyse
  • 2.2 Sprachliche Untersuchung
  • 2.3 Einzelanalyse
  • 2.3.1 Jes 59,21 und Jes 61
  • 2.3.2 Sach 6 und Jes 61
  • 2.4 Zusammenfassung
  • 3. Wortempfang und Toravermittlung: Dtn 18-Jer 1: Jes 51,16–59,21
  • 3.1 Propheten wie Mose: Dtn 18,15.18 und Jer 1,7bβ.9
  • 3.2 Jes 51,16; 59,21
  • 4. Dtn 34: Erfüllung mit dem Geist der Weisheit
  • 4.1 Formanalyse
  • 4.2 Sprachliche Untersuchung
  • 4.3 Einzelanalyse
  • 4.3.1 Die unüberbietbare Gestalt des Mose (Num 11 – Num 16)
  • 4.3.2 Der Geist der Weisheit
  • 4.4 Zusammenfassung
  • 5. Zwischenergebnis
  • Teil III: Geistempfang und Toragehorsam
  • 1. Num 11: Toravermittlung durch Älteste
  • 1.1 Formanalyse
  • 1.2 Sprachliche Untersuchung
  • 1.3 Einzelanalyse
  • 1.3.1 Mose als Jahwe-Knecht
  • 1.3.2 Ex 18,13–26; Dtn 1,9–18 und Num 11*
  • 1.3.3 Die 70 Ältesten
  • 1.4 Zusammenfassung
  • 2. Ez 36: Ein neues Herz und ein neuer Geist
  • 2.1 Formanalyse
  • 2.2 Sprachliche Untersuchung
  • 2.3 Einzelanalyse
  • 2.3.1 Ein neues Herz und ein neuer Geist
  • 2.4 Zusammenfassung
  • 3. Joel 3: Geistausgießung über alles Fleisch
  • 3.1 Formanalyse
  • 3.2 Sprachliche Untersuchung
  • 3.3 Einzelanalyse
  • 3.3.1 Geist über alles Fleisch
  • 3.4 Zusammenfassung
  • 4. Zwischenergebnis
  • Teil IV: Zusammenfassung und Ergebnisse
  • 1. Toragehorsam „mit ganzem Herzen“
  • 2. Toravermittlung und Geistbegabung
  • 3. Geistempfang und Toragehorsam
  • Anhang
  • Literaturverzeichnis

← 10 | 11 → 1. Fragestellung und Aufgabe der
Untersuchung

Im Aufsatzsammelband „Gegenwart des Geistes: Aspekte der Pneumatologie“ von 1979, hat W. Kasper die Forschungssituation so zusammengefasst: „Immer wieder wird gegenwärtig die Geistvergessenheit, ja Geistlosigkeit der Theologie beklagt und eine Erneuerung der Theologie des Heiligen Geistes gefordert. Viele versprechen sich davon entscheidende Anstöße für das christliche und für das kirchliche Leben, für die ökumenische Annäherung der Kirchen und auch für den Dialog mit dem neuzeitlichen Denken.“1 Doch abgesehen von der Dissertation von M. Dreytza2 im Jahr 1990 sind Monographien über den Geist im AT weiterhin sehr rar geblieben. D. Wagner3 erinnert in seiner Dissertation von 2005 zwar nochmals an die Notwendigkeit sich diesem Thema zuzuwenden, allerdings beschränkt sich seine Arbeit auch nur auf die Samuelbücher.

Auch diese Untersuchung widmet sich einem speziellen Thema, nämlich der Rolle, die der Geist für die unterschiedlichen Traditionen bzw. Konzeptionen des Toragehorsams spielt. Der Toragehorsam hat seit der Auffindung des Torabuches und der Josiareformen große Bedeutung gewonnen, was sich z.B. daran zeigt, dass die Unvergleichlichkeit des Königs Josias durch seinen Gehorsam gegenüber der Tora erwiesen wird (2 Kön 23,25; vgl. Dtn 6,5).4 Und die folgenden zwei Fragen, die Dtn 30,12f gestellt werden, lassen erkennen, dass der Gesetzesgehorsam in der Nachexilszeit zu einem zentralen Thema geworden ← 11 | 12 → ist:5 Wer wird für uns in den Himmel hinaufsteigen und es [das Gesetz] uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? Wer wird für uns auf die andere Seite des Meeres hinüberfahren und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun?

Ziel unserer Untersuchung ist es zu zeigen, dass insgesamt drei Formen des Toragehorsams zu unterscheiden sind, wobei der Geist für die zweite und dritte Form eine entscheidende Rolle übernimmt.

Der erste Teil der Arbeit untersucht die Bedeutung des Herzens (בל/ בבל) für den Toragehorsam, wofür die oft verwendete Formulierung בבל-לבב »mit ganzem Herzen« steht. Dabei zeigt sich, dass es Verbindungslinien des Motivs zu verschiedenen literarischen Schichten im Alten Testament gibt (Dtn 6,5; 2 Kön 23,25). Und das Herzenskonzept gewinnt in Dtn 30,6 noch eine ganz neue Dimension, weil der Gehorsam erst dann möglich sein wird, wenn das Herz durch Jahwe selbst beschnitten sein wird (vgl. Jer 4,4). Eine andere Form des individuellen Toragehorsams durch das Herz findet sich in Jer 31,31–34, wo er durch das „Einschreiben“ der Tora auf das Herz bewirkt wird. Somit hat die Redewendung ‚mit ganzem Herzen‘ im Dtn, DtrG und Jeremiabuch für den Gesetzesgehorsam große Relevanz. Daher sind Dtn 30,1–10 und Jer 31,31–34 zu untersuchen, um ihre inhaltlichen und literarischen Beziehungen zu erfassen.

Der zweite Teil analysiert eine ganz andere Form des Toragehorsams, der zur ersten Tradition im starken Gegensatz steht, denn im Jesajabuch wird er durch die Geistbegabung ermöglicht (וילע יחוח יתתנ Jes 42,1–4; vgl. Jes 28,6). Der Geist wird einerseits ganz Israel verliehen, um die Vermehrung des Volkes zu veranlassen, aber andererseits auch einem Auserwählten, dem Jahwe-Knecht, damit er das Recht auf Erden aufrichten kann (Jes 42,4). Darum spielt die besondere Geistbegabung eines Auserwählten für den Tora- bzw. Gesetzesgehorsam eine entscheidende Rolle. Dieser Gedanke wird in Jes 61 aufgenommen, wobei der Geistbegabte, der hier als Priester zu verstehen ist,6 auch wie ein König, Schriftgelehrter und Prophet agiert (vgl. Jes 59,21). In diesem Verständnis wird eine Gegenposition zur Tradition des Herzens deutlich, da der Toragehorsam nun nicht mehr direkt auf den Einzelnen zielt, weil er jetzt zu seiner Verwirklichung den geistbegabten Auserwählten benötigt, worin ein Vermittlungsmodell sichtbar wird. Durch dessen Tätigkeit wird die Tora dem Volk vermittelt, was der Tradition von Dtn (DtrG) und Jeremiabuch widerspricht, weil dort der Begriff ‚Geist‘ nicht relevant ist bzw. negativ akzentuiert wird. Statt des Herzens ist nun eine singuläre Geistbegabung ← 12 | 13 → entscheidend, die den direkten Toragehorsam durch ein theokratisches Vermittlungsmodell ersetzt! Eine wichtige Verbindungslinie bildet dabei die Einsetzung Josuas zum Nachfolger Mose, da auch hier der Geist eine wichtige Rolle übernimmt (Dtn 34,9). Das Volk kann dem Befehl des Mose durch Vermittlung des Geistbegabten Josuas gehorchen, wodurch die Figur Josuas als Vermittler des Mosebefehls agiert (Dtn 34,9bβ), was mit Jes 61; 59,21 vergleichbar ist, weshalb eine Verbindung der Josuafigur mit dem Geistbegabten in Jes 61 zu erwägen ist.

Der dritte Teil bildet quasi eine Synthese der beiden ersten Teile. In Num 11* werden die 70 Ältesten durch die Geistbegabung zur Torabelehrung befähigt und legitimiert. Durch ihre Teilhabe am Geist des Mose, des ersten Schriftgelehrten, können auch sie als Toralehrer wirken. Somit ist ihre Rolle einerseits mit der des Geistbegabten in Jes 59; 61 vergleichbar, und andererseits greift die erhoffte kollektive Geistbegabung, die als Wunsch des Mose geschildert wird (Num 11,29), den unvermittelten individuellen Toragehorsam, der im Dtn, DtrG und Jeremiabuch durch die Formel „mit ganzem Herzen“ ausgedrückt worden ist, wieder auf. Also ist eine Verbindung beider Formen des Toragehorsams in Num 11 zu beobachten. Die Vermittlung beider Traditionen ist bei Ezechiel sogar noch ausgeprägter, da bei ihm Rûa und בל in Ez 36,26f miteinander identifiziert werden, wobei ihr Ziel zweifellos der Gesetzesgehorsam ist. Außerdem wird der Mosewunsch einer kollektiven Geistbegabung auch in Joel 3,1f aufgenommen, wobei er als göttliche Verheißung umformuliert wird. Insofern sind Num 11*; Ez 36*, Joel 3 und ihre Beziehungen zu untersuchen.

Somit besteht ein enges Verhältnis von Toragehorsam und Geist, doch es ist bislang noch nicht genauer untersucht worden, was das Ziel dieser Arbeit bildet. Zu fragen ist also, welche Funktion der Geist für den Toragehorsam hat, und seit wann ihre Verbindung zum Thema geworden ist, bzw. wer sich dafür eingesetzt hat. Weil im Dtn, DtrG und Jeremiabuch eine alternative Form des Toragehorsams zu finden ist, sind im Anschluss auch die Beziehungen zum Jesajabuch zu erläutern. Die Untersuchung des Ezechiel- und Numeribuches sowie Joel zeigt, dass die dort konzipierte kollektive Geistbegabung für den Toragehorsam quasi eine Synthese der beiden früheren Gehorsamsformen darstellt, wodurch ihr Gegensatz überwunden wird. Der Toragehorsam, der zunächst direkt auf das Herz des Einzelnen zielte, wird in einer zweiten Phase indirekt durch einen geistbegabten Vermittler ermöglicht, bis er schließlich durch die kollektive Geistbegabung aller bewirkt wird. Die Exegese der Texte will auch ihre Verbindungen, Konflikte und Rezeptionsrichtungen aufzeigen, wobei sich erweisen wird, dass der Toragehorsam gerade auch als verbindendes Element von Pentateuch und Prophetenbüchern dient.

← 13 | 14 → Nach einer Einleitung, die einen Forschungsüberblick zum alttestamentlichen Herz-, Geist- und Toraverständnis bietet, untersuche ich deshalb folgende Texte: Dtn 30 und Jer 31 im I. Teil; Jes 61 und Dtn 34 im II. Teil; Num 11; Ez 36 und Joel 3 im III. Teil. Die Exegese zur Genese und Entwicklung der Traditionen versucht anschließend in einem zweiten Schritt die Interdependenzen zwischen den verschiedenen Schulen und die innerjüdischen Diskurse über Legitimität und Kanonizität der Toralehre aufzudecken. Zudem soll in dieser Untersuchung versucht werden, die Entwicklung des Geistverständnisses aufzuzeigen und die Frage beantwortet werden, wie die Tora zu Israel gekommen ist, indem die Formen des Toragehorsams analysiert werden.

__________________

1     W. Kasper, Gegenwart des Geistes. Aspekte der Pneumatologie, Freiburg-Basel-Wien 1979, S. 7; allerdings hat M. Landrieus, Le divin Méconnu, Paris 1921, schon viel früher daran erinnert, dass der Heilige Geist in der katholischen Theologie der letzten Jahrhunderte fast gänzlich in Vergessenheit geraten ist, zitiert nach R. Koch, Der Geist Gottes im Alten Testament, Frankfurt a.M. 1991, S. 9.

2     M. Dreytza, Der theologische Gebrauch von RUAH im Alten Testament. Eine wort- und satzsemantische Studie, Gießen-Basel, 1990.

3     D. Wagner, Geist und Tora: Studien zur göttlichen Legitimation und Delegitimation von Herrschaft im Alten Testament anhand der Erzählungen über König Saul, ABG 15, Leipzig 2005.

4     Vgl. M. Arneth, Hiskia und Josia, in: Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronen Logik diachroner Transformation, hrsg. von R. Achenbach, M. Arneth und E. Otto, BZAR 7, Wiesbaden 2007, S. 290.

5     Zur Datierung von Dtn 30,11–14, s. u. Dtn 30,1–10 Einzelanalyse (2.3.4).

6     S. u. Jes 61 (2.1 und 2.2).

← 14 | 15 → 2. Einleitung

2.1 Forschungsstand

Angesichts der wenig umfangreichen Literatur bildet noch immer die Monographie von P. Volz zum Geist Gottes aus dem Jahr 1910,7 die die geschichtliche Entwicklung der Geistvorstellung im AT und im Judentum bis in die Zeit des frühen Christentums analysiert hat, einen unverzichtbaren Ausgangspunkt. P. Volz unterscheidet fünf Entwicklungsphasen im Geistverständnis: 1. Rûa als Dämon, 2. Geistwesen, 3. Fluidum / Element, 4. Religiös-sittliche Kraft Jahwes, 5. Ausgeprägte Geisthypostase. Der Geist wird ursprünglich als Dämon verstanden, doch später verleiht er als göttliche Gabe politisches oder prophetisches Charisma, und in der Exils- und Nachexilszeit gilt er schließlich gar als religiös-sittliche Lebenskraft (S. 73–77). Rûa wird später mit der Rûa Jahwes identifiziert, wodurch Jahwe zum einzigen Inhaber der Gottheits-Rûa wird, da der Geist nun einzig ihm untersteht. Rûa als religiös-sittliche Lebenskraft prägt besonders das Ezechielbuch, weil „das sittliche Leben des Menschen in der Mitteilung der sittlichen Rûa Jahwes begründet worden“ ist.8 In dieser Aussage verbirgt sich bereits ein Hinweis auf das Verhältnis von Geist und Gesetz, da das Volk im verheißenen Land dem Gesetz gehorchen wird, da „das Göttliche das sittliche Leben [ist]“ (S. 75; vgl. Ez 39,29). Ein weiterer Entwicklungsschritt in der Geschichte der Rûa zeigt sich in Ez 36,26f, wo die Verheißung einer künftigen Geistbegabung aller Menschen durch Jahwe erfolgt.

← 15 | 16 → Nach der Monographie von P. Volz ist das Thema in der Forschung leider weitgehend in Vergessenheit geraten. R. Koch9 unterscheidet in seiner Arbeit „Der Geist Gottes im Alten Testament“ von 1950 drei Entwicklungsphasen im Geistverständnis: 1. Rûa als Wind in den ältesten Texten, 2. Der ‚Odem‘ oder ‚Atem‘ von Mensch und Tier und 3. Die Rûa Jahwes (S. 14.19.31). Dabei zeigt er, dass in älterer Zeit nur einzelne, episodenhaft auftretende Einzelgestalten zu Geistträgern werden, nämlich Richter, Krieger, Ekstatiker, Künstler und Wundertäter, sowie einige Könige.10 Andererseits stellt Koch aber auch eine bleibende Geistbegabung dar: „So wurde Mose für eine kluge Staatsführung und eine weise Gesetzgebung mit dem Geist Jahwes erfüllt.“ (S. 53) Und die Texte Jes 63,10–14; Ps 51,13; 143,10; Neh 9,20, die in die nachexilische Epoche zu datieren sind, lassen eine „moralische Wirksamkeit der Rûa“ (S. 71) erkennen. Und dieser Geist wirkt vor allen in den singulären Figuren der messianischen Heilszeit (S. 127ff), wobei die Geistbegabung in der Exils- und Nachexilszeit mit dem Toragehorsam verknüpft ist (vgl. Jes 59,21). R. Koch unterscheidet dabei zwei verschiedene Ziele der Geistbegabung: eine „rein charismatische (Joel)“ und eine „religiös-sittliche (Ezechiel und Jeremia)“ (S. 127).

F. Baumgärtel11 betont in seinem Artikel über den Geist Gottes dessen dynamische Wirkung, da er die Wüste in ein Paradies verwandeln kann, wodurch sie zur ← 16 | 17 → „Stätte von טפשמ und הקדצ12 wird, was den Geist zur ethischen Größe macht. Den Ausdruck הוהי חור versteht er als religiös-sittliche Macht, worin sich das personhafte Willenswirken ausdrückt.13 Im Gegensatz zu P. Volz setzt er das Dämonische jedoch extrem spät an, denn er knüpft den Ursprung des Dämonischen an die Voraussetzung, dass es erst entstehen kann: „wenn das AT die kosmischen und die irdischen Gewalten und Mächte entmächtigt hat.“14

J. Scharbert15 leistet einen Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie, wobei sich seine Arbeit auf den Pentateuch konzentriert. Er analysiert die Bedeutungsgeschichte der drei Begriffe Fleisch, Geist und Seele, wobei er der Chronologie der Pentateuchquellen nach der Urkundenhypothese Wellhausens,16 also J, E, D und P, folgt.17 Er beschreibt den jeweiligen Charakter der Quellen, doch weil die Urkundentheorie seit einiger Zeit sehr umstritten ist, sind seine Zuschreibungen der Texte und ihre Datierungen heute recht fraglich geworden.18

R. Albertz und C. Westermann19 haben im Theologischen Handwörterbuch zum Alten Testament einen nach begriffsgeschichtlichen Aspekten verfassten Artikel über חור veröffentlicht. Grundlegend ist ihre Trennung zweier Epochen: In der Frühzeit bewirkt der Geist charismatisches Führertum und ekstatische Prophetie,20 doch die חור „fehlt völlig in der Schriftprophetie von Amos bis Jeremia. ← 17 | 18 → Erst in nachexilischer Zeit wird die Prophetie selbstverständlich als Wirken des göttlichen Geistes verstanden.“21 Zur Beziehung von Rûa und Gebotsgehorsam geben sie aber einen wichtigen Hinweis: „Die recht große Anzahl von Stellen, die hierhin gehören, kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um einen meist späten und abgeleiteten Gebrauch handelt. Auch hier scheint Ezechiel die erweiternde Entwicklung des a-Begriffes entscheidend mit gefördert zu haben, indem er das neue Willenszentrum, das zur Umkehr und zum neuen Gebotsgehorsam nötig ist, nicht nur lēb ādāš »neues Herz« (Ez 18,31; 36,26) und lēb bāśār »fleischernes Herz« (11,19; 36,26 im Gegensatz zum alten »steinernen Herzen«), sondern daneben auch noch a adāšā »neuen Geist« nannte (11,19; 18,31; 36,26).“22 Dies sollte dazu nötigen, die Beziehung von Rûa und Tora in der Nachexilszeit genauer zu untersuchen.

H. W. Wolff 23 hat Rûa im Rahmen seiner Anthropologie des Alten Testaments untersucht, allerdings hat er dabei keine streng diachrone Perspektive eingenommen, sondern das Rûaverständnis nach verschiedenen Sinneinheiten gruppiert. Sein Werk gilt noch immer als Standardwerk der biblischen Anthropologie, da es die unterschiedlichen anthropologischen Vorstellungen umfassend behandelt, und eine Alternative immer noch aussteht. Im Richterbuch ist die Rûa als „äußerst aktivierende Kraft“ verstanden und nach den Belegen 1 Sam 10,6; Num 24,2f, die sprachlich eine Parallele zum Richterbuch bilden (1 Sam 10,6 – Ri 14,6.19; Num 24,2 – Ri 3,10), verleiht sie vor allem das Charisma der Prophetie.24 Außerdem verleiht der Geist handwerkliche Kunstfertigkeit (Ex 31,3; 35,31) und Willenskraft: „Geht es beim neuen Herzen um die lautere Gewissensorientierung, so bei der Rûa um die ausdauernde Willenskraft, danach zu handeln.“25

M. Dreytza26 hat die Semantik von Rûa untersucht. Seine Untersuchung der Belege zeigt, dass Rûa in der Umwelt Israels nicht den göttlichen Geist bezeichnet, sondern nur den Wind und Lebensodem. Er unterscheidet im Alten Testament sieben Rûaphänomene: 1. Menschliche Krafttaten,27 2. Kraftwirkungen an ← 18 | 19 → Menschen,28 3. Ekstatische Wirkungen,29 4. Weisheitliche Begabungen,30 5. Prophetische Rede,31 6. Erneuerndes oder richtendes Handeln32 und 7. Gott selbst.33

H. Schüngel-Straumann34 hat die Systematisierung des Rûa-Begriffes abgelehnt, da dessen Bedeutungsapekte für sie zu sehr ineinander übergehen. Ferner thematisiert sie durch die Einzelinterpretation von Ez 37,1–10 den Konnex zwischen der Geistbegabung und ihrem Ziel, der „Jahweerkenntnis“,35 die als Neuschöpfung zu verstehen ist. Wichtig für das Verhältnis von Geistbegabung und Gesetzesgehorsam ist, dass Rûa „einen neuen Wandel bezüglich der Gottesgebote möglich macht.“36 Leider untersucht sie diese Relatioin nicht weiter, da ihr Interesse nicht dem Ziel, sondern der Wirkungsweise von Rûa gilt. Für sie fungiert rûa als Kraft der Integration, gewissermaßen als Brücke zwischen Gott und Menschen.37 Zum Genus von rûa notiert sie zusammenfassend: „Wenn man einmal von der personal formulierten Stelle 2 Kön 2,16 absieht, ist rw dann masc. formuliert, wenn es etwas Gewaltsames an sich hat. […] Überall dort aber, wo der Zusammenhang mit schöpferischem, lebenschaffendem bzw. belebendem Handeln deutlich wird, ist rw ausnahmslos weiblich.“38

← 19 | 20 → Jüngst hat D. Wagner in seiner Monographie ‚Geist und Tora‘39 die legitimierende Funktion des Geistes für den Toragehorsam analysiert. In vorexilischer Zeit gilt der Geist als Gabe Jahwes als Zeichen „göttlicher Erwählung“, was z.B. Sauls Königtum legitimiert. Komplementär dazu wird später die Verwerfung Sauls durch „VSam40 als Gottverlassenheit des scheiternden Königs, der nun von einem bösen Geist besessen ist, gedeutet. Anstatt der Geistbegabung verlangt VSam in seinem Werk strikten Gehorsam gegenüber Gottes Willen (»Tora«),41 um so nach dem Ende des Exils Hoffnung auf eine Neubegründung der Monarchie zu ermöglichen.42

Die Forschung ist also entweder durch den Entwicklungsgedanken des Rûaverständnisses (P. Volz; R. Koch), oder durch die Gruppierung der bewirkten Phänomene nach Sinneinheiten (H. W. Wolff), oder durch die Abhängigkeit von der Neueren Urkundenhypothese (J. Scharbert) bestimmt. Konsens ist jedoch, dass als Grundbedeutung von Rûa der Wind als Naturphänomen zu gelten hat, allerdings gewinnt sie sofort einen neuen Akzent, wenn Jahwe ihr Subjekt ist, denn dann ist die Rûa göttlicher Herkunft, bzw. der Wind ist ein Instrument göttlichen Handelns.

Ein anderes wichtiges Wortfeld für Rûa ist der Lebensodem als Lebensprinzip. Dazu wird der Geist mit den Verben עדי (»kennen« Jes 29,24), רחשמ (»suchen« Jes 26,9) und השמק (»erhärten« Dtn 2,30) und mit den Adjektiven לפשמ (»demütig« Jes 57,15), אבד (»zerschlagen« Ps 34,19) und רבשמ (»zerbrochen« Ps 51,19) verbunden. Rûa kann auch menschliche Gefühle bezeichnen, indem sie mit האנק (»eifersüchtig« Num 5,14.30) und בצע (»gekränkt« Jes 54,6) genauer bestimmt wird.

Folglich ist Rûa implizit als Synonym zu בל/ בבל aufzufassen, wobei sie als Sitz des Bewusstseins mit dem Herzen gleichgesetzt wird (Jes 57,15; vgl. Jes 65,14). Rûa wird vor allem aber auch mit Gott verbunden, und dann kann sie als göttlicher Geist einem Menschen oder an Gruppen verliehen werden (Ez 36,26; vgl. Hag 2,5).

Somit sind zwei grundsätzlich verschiedene Begriffsebenen zu unterscheiden: Rûa als Wind oder Geist, allerdings sind beim Geist vier Aspekte zu unterscheiden, da er entweder als anthropologischer (2.2.2.2.1 [a und b]) oder theologischer Begriff (2.2.2.2.2 [a und b]) zu verstehen ist. Daraus ergeben sich insgesamt fünf Bedeutungen für Rûa: 1. Rûa als Wind; 2. Rûa als Lebensodem bzw. allgemeines Lebensprinzip (ohne Bewusstsein); 3. Rûa als menschliches Lebensprinzip ← 20 | 21 → (mit Bewusstsein); 4. Geist göttlicher Herkunft und 5. Geistbegabung eines Menschen. Die Rûa als göttlicher Geist Herkunft und die menschliche Geistbegabung sind je nach ihrer Verwendung auch noch genauer zu differenzieren.43 Für unser Interesse ist dabei besonders die Frage relevant, in welcher Zeit gerade die Vorstellung einer kollektiven Geistbegabung an Relevanz gewinnt, bzw. wer sie vertritt und was ihr Zweck ist. Wie bereits der Titel unserer Untersuchung zeigt, geht es vor allem um das Verhältnis von Rûa und Tora,44 weshalb die nachexilische Entwicklung des Geistverständnisses im Zentrum stehen wird. Zudem ist das Wortfeld von בל/ בבל zu analysieren, da das Herz als Organ des Bewusstsein mit Rûa gleichgesetzt wird (Jes 61,1 בל־ירבשמנל; Jes 65,14 חור רבשממ; Ez 18,31 השמדח חורו שמדח בל).

2.2 Begriffsbestimmungen

2.2.1 בל/ בבל (Herz)

Das Wort בל/ בבל wird mit zahlreichen Lexemen verbunden, um es je nach Kontext und Interesse genauer zu bestimmen: םיש (»liegen« Ex 9,21) und ןתנ (»geben« Pred 1,13), אוב (»kommen« Spr 2,10), רצנ (»bewahren« Spr 3,1) und ← 21 | 22 → ךמת (»festhalten« Spr 4,4). Dabei zeigt sich, dass es in den älteren Schichten der hebräischen Bibel als Ort des Bewusstseins gilt.45 Außerdem werden die Akkusativobjekte des Erkennens mit ihm verknüpft, dabei geht es dann um die Belehrung durch die Eltern (הרות Spr 6,20f) oder die Worte des Erfahrenen (Spr 4,21; 7,3).

Dies Verständnis des Herzens ist vor allem im Dtn zu finden.46 Der Mensch wird durch die Redewendung „mit ganzem Herzen“ zum Hören und Handeln aufgerufen. Diese Akzentuierung, in ihrer Verbindung mit der Gesetzesparänese, spielt auch im Jeremiabuch eine wichtige Rolle (vgl. Jer 3,10; 4,4; 31,33),47 weshalb das Herzmotiv eine mögliche Verbindung zwischen Dtn und Jeremiabuch impliziert.48 Das Herzmotiv dient zur Begründung der Möglichkeit des Gehorsams, der sowohl der mündlichen als auch schriftlichen Tora gilt. Weil das Gehorsamsmotiv auf die weisheitliche Literatur zurückgeht, ist auch den Verbindungswegen zwischen Dtn, Jeremiabuch und weisheitlicher Tradition nachzugehen. H.-J. Kraus unterscheidet eine Funktionsdifferenz für בל und חור: „[W]ährend בל im Altes Testament einfach das Zentrum der menschlichen Existenz bezeichnet als Sitz alles Fühlens, Denkens und Wollens, bezieht sich חור auf die wirksame, alles Fühlen, Denken und Wollen durchwehende Macht, die von Jahwe ausgeht.“49 Insofern ist zu beachten, wo sich ein Konnex beider Vorstellungen findet und wie er erfolgt ist.

2.2.2 Begriffsaspekte von Rûa
2.2.2.1 Wind

Das Bedeutungsfeld von Rûa ist recht umfangreich. Zunächst ist die Verwendung in der ursprünglichen Bedeutung von Wind zu untersuchen. Das Wort50 wird nicht nur im AT, sondern auch im nordwest- und südsemitischen Sprachbereich verwendet: ug. – r »Wind, Duft«, aram. rw »Wind, Odem«, phönik.-pun r »Lebensodem«, arab. ← 22 | 23 → »Lebensodem« und »Wind«, ath. a »fächeln«.51 Z. B. ist in Gen 3,8 der Wind als Naturphänomen und in Jer 13,24 als Wüstenwind zu verstehen (vgl. Pred 1,6; Jes 7,2; 17,13). Außerdem gibt es den Nordwind (ןופצ חור), der den Regen bringt (םשג ללוחת ןופצ חור Spr 25,23), doch im Gegensatz zu »Ost- und Westwind« wird er nicht mit Jahwe verbunden. Aber in Ex 14 ist das Naturphänomen auffällig, da חור םידק »Ostwind« (Ex 10,13; 14,21; Jona 4,8) und םי־חור »Westwind« (Ex 10,19) hier göttlicher Herkunft sind. Da der Wind den Charakter des Nichtgreifbaren und Flüchtigen hat, ist Rûa in der Bedeutung »Wind« eben auch Metapher für die Nichtigkeit, Sinnlosigkeit und Nutzlosigkeit (vgl. Jes 41,29; Hos 8,7; 12,2; Mi 2,11; Pred 1,14),52 und darüber hinaus bezeichnet sie auch lediglich Richtungen (Ez 42,16–20).53

2.2.2.2 Geist

Neben den unterschiedlichen Bezügen zu Wind referiert das Wort Rûa auf verschiedene Geistvorstellungen, wobei zwischen anthropologischen und theologischen Aspekten zu differenzieren ist. M. Dreytza betont dabei, dass sowohl im anthropologischen als auch theologischen Gebrauch ein Überwiegen des femininen Genus zu finden ist, während der meteorologische Gebrauch hingegen zum maskulinen Genus neigt.54

Details

Seiten
290
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653044256
ISBN (ePUB)
9783653984163
ISBN (MOBI)
9783653984156
ISBN (Paperback)
9783631652893
DOI
10.3726/978-3-653-04425-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juni)
Schlagworte
Toragehorsam Spiritualisierung Schriftgelehrten-Redaktoren Altes Testament
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 290 S.

Biographische Angaben

Kyunggoo Min (Autor:in)

Kyunggoo Min ist als Privatdozent an der Universität Hansei (Südkorea) tätig.

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Titel: Geist und Tora
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292 Seiten