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Das Amnestieprogramm

Ein Instrument der Internal Investigations zur Aufklärung von Compliance-Verstößen

von Elisabeth Gottwald (Autor:in)
©2014 Dissertation XIII, 232 Seiten

Zusammenfassung

Diese Arbeit analysiert und beurteilt Amnestieprogramme auf ihren Stellenwert bei der Begegnung von Wirtschaftskriminalität hin. Mit Compliance-Verstößen konfrontierte Unternehmen erhoffen sich durch Ankündigung von zivilrechtlichen Amnestien eine hohe Kooperationsbereitschaft rechts- und regeluntreuer Mitarbeiter und streben damit einen umfänglichen Aufklärungs- und Selbstreinigungsprozess an. Behandelt werden in der Arbeit insbesondere Fragen der Verwertbarkeit selbstbelastender Aussagen im Strafverfahren, die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben sowie haftungs- und strafrechtliche Risiken. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Erörterung des Planungs- und Durchführungsprozesses unter Berücksichtigung gebotener Restriktionen, ergänzt durch praktische Handlungsempfehlungen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Einleitung
  • 1. Teil: Hinführung
  • § 1 Compliance und Compliance-Verstöße
  • I. Compliance
  • II. Compliance-Verstöße
  • § 2 Motive zur Aufklärung von Compliance-Verstößen
  • I. Die Aufklärungspflicht der §§ 130, 30, 9 OWiG
  • II. Die verschiedenen Aufklärungsinteressen
  • III. Zusammenfassung
  • § 3 Aufklärungsmethoden
  • I. Methoden der Internal Investigations
  • II. Der Schritt zum Amnestieprogramm
  • 1. Der Begriff „Amnestieprogramm“
  • 2. Die Business Judgment Rule als Leitgedanke
  • a. Inhalt der Business Judgment Rule
  • b. Anwendungsvoraussetzungen
  • aa. Unternehmerische Entscheidung
  • bb. Zum Wohl des Unternehmens
  • cc. Frei von Interessenkonflikten und unmittelbarem Eigennutz
  • dd. Angemessene Informationsgrundlage
  • ee. Gutgläubigkeit
  • III. Zusammenfassung
  • 2. Teil: Die Amnestiezusagen
  • § 4 Verzicht auf Schadensersatz
  • I. Die Problematik des Schadensersatzverzichts
  • II. Anspruch auf Schadensersatz bei Compliance-Verstößen
  • 1. Überblick über die Anspruchsgrundlagen
  • 2. Ersatzfähiger Schaden
  • a. Die einzelnen Schadensposten
  • b. Das Prinzip der Vorteilsausgleichung
  • 3. Die privilegierte Arbeitnehmerhaftung
  • III. Pflicht zur Geltendmachung von Schadensersatz
  • 1. Pflicht gemäß §§ 76 I i. V. m. 93 I AktG bzw. § 43 I GmbHG
  • 2. Pflicht gemäß dem ARAG/Garmenbeck-Urteil
  • a. Das Urteil
  • b. Ausnahmen von der Pflicht zur Geltendmachung
  • aa. Gewichtiges Unternehmensinteresse
  • bb. Sonderfall: § 93 IV 3 AktG
  • (1) Zustimmung der Hauptversammlung
  • (2) Dreijahresfrist
  • (3) Kein Widerspruch
  • 3. Pflicht gemäß §§ 147, 148 AktG
  • 4. Pflicht gemäß § 276 III BGB
  • IV. Drohende Konsequenzen einer Verzichtszusage
  • 1. Haftung gemäß §§ 93 II, 116 AktG
  • a. Schuldhafte Pflichtverletzung
  • b. Schaden
  • c. Darlegungs- und Beweislast
  • 2. Untreuestrafbarkeit gemäß § 266 StGB
  • a. Vermögensbetreuungspflicht
  • b. Pflichtverletzung
  • c. Vermögensnachteil
  • d. Vorsatz
  • V. Empfehlungen für die praktische Gestaltung der Zusage
  • 1. Problemdarstellung
  • 2. Orientierung an einer Obergrenze des zulässigen Verzichts
  • a. Fixierung einer absoluten Obergrenze
  • b. Prozentuale Berechnung mittels betriebswirtschaftlicher Kennzahlen
  • aa. Kennzahlen als Bezugsgröße
  • (1) EBIT
  • (2) EBITDA
  • bb. Probleme einer Kennzahlenorientierung
  • c. Verwendung des Basisindikatoransatzes
  • aa. Der Basisindikatoransatz des KWG
  • bb. Übertragung des Basisindikatoransatzes auf den Schadensersatzverzicht
  • (1) Übertragung der Begrifflichkeiten
  • (2) Vorgehensweise
  • d. Rechenbeispiel
  • e. Abschließende Bemerkung
  • 3. Methodik des Entscheidungsprozesses
  • VI. Rechtliche Ausgestaltung der Zusage
  • 1. Schadensersatzverzicht und Gesamtschuldnerausgleich
  • a. Problemdarstellung
  • b. Lösung im Rahmen eines Stillhalteabkommens
  • c. Lösung im Rahmen eines Erlassvertrags
  • d. Vorzugswürdige Lösung
  • 2. Schadensersatzverzicht und die D&O-Versicherung
  • a. Die D&O-Versicherung
  • b. Problemdarstellung
  • c. Lösung mittels Stillhalteabkommen
  • VII. Steuerliche Aspekte
  • VIII. Zusammenfassung
  • § 5 Verzicht auf Kündigung
  • I. Compliance-Verstöße als Kündigungsgrund
  • 1. Kündigungszwecke
  • 2. Ordentliche Kündigung
  • 3. Außerordentliche Kündigung
  • 4. Verdachtskündigung
  • II. Inhalt der Zusage
  • III. Rechtliche Ausgestaltung der Zusage
  • IV. Vereinbarkeit mit der Business Judgment Rule
  • V. Problembereiche
  • 1. Unwirksamkeit einer Kündigung
  • 2. Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
  • a. Amnestie für einzelne Arbeitnehmergruppen
  • b. Amnestie und außerordentliche Kündigungen von Kollegen
  • c. Amnestie und das Instrument der herausgreifenden Kündigung
  • 3. Verschlechterung des Betriebsklimas
  • 4. Verwirklichung einer Nötigung
  • VI. Zusammenfassung
  • § 6 Übernahme von Verteidigerkosten
  • I. Inhalt der Zusage
  • II. Vereinbarkeit mit der Business Judgment Rule
  • III. Problembereiche
  • 1. Strafbarkeit
  • 2. Steuerliche Aspekte
  • IV. Zusammenfassung
  • § 7 Übernahme von Geldstrafen
  • I. Inhalt der Zusage
  • II. Vereinbarkeit mit der Business Judgment Rule
  • III. Problembereiche
  • 1. Strafbarkeit
  • a. Strafvereitelung
  • b. Untreue
  • 2. Zivilrechtliche Wirksamkeit
  • 3. Steuerliche Aspekte
  • IV. Zusammenfassung
  • § 8 Vertraulichkeitszusage
  • I. Inhalt der Zusage
  • II. Gesetzliche Einschränkungen
  • 1. §§ 131 AktG, 51a GmbHG
  • 2. § 15 WpHG
  • III. Zusammenfassung
  • § 9 Verzicht auf Strafanzeige und Strafantrag
  • 3. Teil: Die Durchführung
  • § 10 Interne Vorentscheidungen
  • I. Zuständigkeit
  • II. Beteiligung des Betriebsrats
  • 1. Mitbestimmungsrecht
  • 2. Informationsrecht
  • 3. Vorteile einer Beteiligung
  • III. Wahl des Ermittlers
  • 1. Vorteile des externen Ermittlers
  • 2. Vorteile des internen Ermittlers
  • 3. Entscheidung
  • IV. Bestimmung des Geltungsbereichs der Amnestiezusagen
  • 1. Personeller Geltungsbereich
  • 2. Sachlicher Geltungsbereich
  • 3. Zeitlicher Geltungsbereich
  • V. Festlegung der Ausgestaltungsform der Amnestiezusagen
  • 1. General- und Spezialamnestie
  • 2. Gesamtzusage, Betriebsvereinbarung, Einzelvertrag
  • VI. Zusammenfassung
  • § 11 Ablauf
  • I. Bekanntgabe im Unternehmen
  • II. Anmeldung
  • III. Die Befragung
  • 1. Beteiligte der Befragung
  • 2. Belehrung
  • 3. Durchführung des Befragungsgesprächs
  • 4. Protokollierung
  • IV. Entscheidung
  • V. Beseitigungsmöglichkeiten von Amnestiezusagen
  • 1. Arten der Beseitigung
  • a. Aufschiebende/Auflösende Bedingung
  • b. Nachträgliche Beseitigungserklärung
  • 2. Folgen der Beseitigung
  • VI. Zusammenfassung
  • 4. Teil: Amnestieprogramm und Strafverfahren
  • § 12 Problemdarstellung
  • § 13 Auskunftspflichten
  • I. Geltung des nemo-tenetur-Prinzips
  • II. Arbeitsrechtliche Auskunftspflicht
  • 1. Rechtsgrundlagen der arbeitsrechtlichen Auskunftspflicht
  • a. Auskunftspflicht innerhalb des Arbeitsbereichs
  • b. Auskunftspflicht außerhalb des Arbeitsbereichs
  • c. Kritische Würdigung arbeitsbereichsbezogener Auskunftspflichten
  • 2. Reichweite der Auskunftspflicht gegenüber Ermittlern
  • III. Übertragung der Auskunftspflichten auf das Amnestieprogramm
  • 1. Auskunftspflicht innerhalb des Arbeitsbereichs
  • 2. Auskunftspflicht außerhalb des Arbeitsbereichs
  • IV. Zusammenfassung
  • § 14 Verwertungsmöglichkeiten im Strafverfahren
  • I. Kooperation mit Ermittlungsbehörden
  • II. Beschlagnahme von Protokollen
  • III. Befragung des Ermittlers als Zeuge vom Hörensagen
  • IV. Zusammenfassung
  • § 15 Beweisverwertungsverbote
  • I. Verwertungsverbote für Mitarbeiteraussagen
  • 1. Verwertungsverbot analog § 97 I 3 InsO
  • a. HSH Nordbank-Entscheidung des LG Hamburg
  • b. Kritische Würdigung der HSH Nordbank-Entscheidung
  • 2. Verwertungsverbot aufgrund §§ 97 I Nr. 3, 53 I 1 Nr. 3 StPO
  • a. Das Akzo Nobel-Urteil des EuGH
  • aa. Die Entscheidung des EuGH
  • bb. Kritische Würdigung des Akzo Nobel-Urteils
  • b. HSH Nordbank-Entscheidung des LG Hamburg
  • aa. Die Entscheidung des LG Hamburg
  • bb. Kritische Würdigung der HSH Nordbank-Entscheidung
  • c. Der Beschluss des LG Mannheim
  • aa. Die Entscheidung des LG Mannheim
  • bb. Kritische Würdigung der Entscheidung des LG Mannheim
  • II. Übertragung der Verwertungsverbote auf das Amnestieprogramm
  • 1. Selbstbelastungen innerhalb des eigenen Arbeitsbereichs
  • a. Argumentation für ein Verwertungsverbot
  • b. Argumentation gegen ein Verwertungsverbot
  • c. Entscheidung
  • 2. Selbstbelastungen außerhalb des eigenen Arbeitsbereichs
  • a. Argumentation für ein Verwertungsverbot
  • b. Argumentation gegen ein Verwertungsverbot
  • c. Entscheidung
  • III. Relevanz der Verwertungsverbote
  • IV. Sonderfall: Täuschende Belehrung des Amnestieprogramm-Teilnehmers
  • 1. Verwertungsverbot gemäß § 136a StPO
  • a. Unmittelbare Anwendung der StPO
  • b. Analoge Anwendung der StPO
  • 2. Verwertungsverbot aufgrund eines Verstoßes gegen den fair-trial-Grundsatz
  • V. Zusammenfassung
  • § 16 Die Kronzeugenregelung des § 46b StGB
  • I. Die Regelung des § 46b StGB
  • 1. Regelungsinhalt
  • 2. Kritik an der Regelung des § 46b StGB
  • II. Konnex zum Amnestieprogramm
  • 1. Gemeinsamkeiten
  • 2. Unterschiede
  • 3. Vereinbarkeit von Amnestieprogramm und Kronzeugenregelung
  • III. Zusammenfassung
  • 5. Teil: Amnestieprogramm und Datenschutz
  • § 17 Problemdarstellung
  • § 18 Beschäftigtendatenschutz im Rahmen des Amnestieprogramms
  • I. Begrifflichkeiten des BDSG
  • 1. Personenbezogene Daten
  • 2. Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten
  • a. Datenerhebung
  • b. Datenverarbeitung
  • c. Datennutzung
  • II. Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt
  • 1. Vorschriften innerhalb des BDSG
  • a. Abgrenzung von § 32 und § 28 BDSG
  • aa. Einschlägigkeit des § 32 BDSG
  • bb. Einschlägigkeit des § 28 BDSG
  • b. Mitarbeiterbefragungen und Informationsaustausch mit internen und externen Spezialisten
  • aa. Einschlägigkeit des § 32 I 1 BDSG
  • bb. Einschlägigkeit des § 32 I 2 BDSG
  • cc. Relevanz der Unterscheidung zwischen § 32 I 1 und 2 BDSG
  • c. Kooperation mit Ermittlungsbehörden
  • 2. Vorschriften außerhalb des BDSG
  • 3. Einwilligung des Betroffenen
  • III. Zusammenfassung
  • § 19 BDSG-Novelle
  • I. Entwicklung des Beschäftigtendatenschutzes
  • II. Neuerungen und Auswirkungen auf das Amnestieprogramm
  • 1. Vorschriften innerhalb des BDSG
  • 2. Vorschriften außerhalb des BDSG
  • 3. Einwilligung des Betroffenen
  • III. Kritik am Regierungsentwurf
  • IV. Zusammenfassung
  • 6. Teil: Ergebnisse
  • Schluss
  • Literaturverzeichnis

← XII | XIII → Vorwort

Die Arbeit wurde der juristischen Fakultät der Universität Passau im Sommersemester 2013 als Dissertation vorgelegt. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur finden Berücksichtigung bis Juni 2013.

Sehr herzlich danke ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Werner Beulke für seine begleitende konstruktive Kritik und unkomplizierte Betreuung sowie wohlwollende Unterstützung. Ihm und Herrn Prof. Dr. Holm Putzke sei für die Erstellung der Gutachten gedankt.

Mein Dank gilt auch all denjenigen, die mich bei meinem Vorhaben so unermüdlich unterstützt haben, insbesondere meinen Eltern.

Fürstenzell, im Juli 2014Elisabeth Gottwald← XIII | XIV →

← XIV | 1 → Einleitung

In einer Abhandlung zum Amnestieprogramm liegt als Einstieg in die Thematik der Hinweis auf die Siemens-Korruptionsaffäre nahe, welche eine unehrenhafte und strafbare Geschäftspraxis größten Ausmaßes im Jahr 2006 in das Interesse der breiten Öffentlichkeit rückte.

Die regelmäßigen Meldungen zu aufsehenerregenden Wirtschaftsdelikten schüren seither den aufkommenden Verdacht einer allgegenwärtigen, sich kontinuierlich ausweitenden „Freunderlwirtschaft“.

Statistische Erkenntnisse hierüber liefert das Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität, welches die Entwicklung der Wirtschaftskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland widerspiegelt. Der jüngsten Ausgabe ist zu entnehmen, dass in den Jahren 2008 bis 2010 ein Anstieg der registrierten Delikte um etwa 20.000 auf über 100.000 Fälle zu verzeichnen war.1 Diese Zahl fiel allerdings im Jahr 2011 auf knapp 80.000,2 was auf erste Erfolge in der strikten Bekämpfung schließen lässt. Bei näherer Betrachtung zeichnet sich jedoch eine unterschiedliche Entwicklung in den einzelnen Deliktsbereichen ab. So hat sich die Anzahl polizeilich festgestellter Korruptionsstraftaten im gesamten Bundesgebiet im Jahr 2011 vergleichsweise zum Vorjahr auf gut 45.000 verdreifacht.3 Im Bereich des Wettbewerbsrechts ist ein Rückgang der Fallzahlen zu verzeichnen, jedoch hat sich die Höhe des dadurch entstandenen Schadens verdoppelt.4

Einen aktuellen Praxisbezug erhält diese Arbeit durch die Vorkommnisse im ThyssenKrupp-Konzern, welcher in letzter Zeit wiederholt schwere Compliance-Verstöße zu beklagen hatte. „Amnestie: Thyssen-Krupp will korrupte Mitarbeiter straffrei stellen“5 titelt das Handelsblatt am 16. April 2013 in einer Schlagzeile und greift damit das Brisanzthema der Pressekonferenz6 ← 1 | 2 → des Essener Stahlkonzerns vom gleichen Tage auf. ThyssenKrupp sieht sich mit einer Reihe von Kartell- und Korruptionsfällen konfrontiert7 und geht mit der Ankündigung eines Amnestieprogramms in die Offensive. Das Unternehmen hat sich zum Ziel erklärt, einen umfänglichen Selbstreinigungsprozess mittels unternehmenseigener Aufklärung der Verstöße anzustellen.

Als Exempel für eine fruchtbare unternehmensinterne Aufklärungsarbeit bietet sich dabei insbesondere die Siemens AG an; gelang es dieser doch recht gut, die vom Unternehmen davongetragenen Blessuren zu heilen und wieder in eine erfolgreiche Marktteilnahme zurückzufinden. Der Aufklärungserfolg war möglicherweise gerade deswegen sehr durchschlagend, weil der Siemens-Konzern mit der Durchführung eines Amnestieprogramms vom traditionellen Verständnis einer internen Untersuchung abgerückt war und sich damit neue Wege für die unternehmensseitigen Ermittlungen eröffneten.

Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die Beschreibung der Charakteristika eines Amnestieprogramms und die Beurteilung seines Stellenwerts im Rahmen der Begegnung von Wirtschaftskriminalität. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Erörterung des Planungs- und Durchführungsprozesses unter Berücksichtigung gebotener Restriktionen, ergänzt durch praktische Handlungsempfehlungen.

__________

1 BKA: Wirtschaftskriminalität – Bundeslagebild 2011, S. 6.

2 BKA: Wirtschaftskriminalität – Bundeslagebild 2011, S. 6.

3 BKA: Korruption – Bundeslagebild 2011, S. 7.

4 BKA: Wirtschaftskriminalität – Bundeslagebild 2011, S. 14.

5 handelsblatt. de: Amnestie: Thyssen-Krupp will korrupte Mitarbeiter straffrei stellen, 16.04.2013.

6 ThyssenKrupp, Presse-Mitteilung vom 16.04.2013, ThyssenKrupp intensiviert Compliance Aktivitäten; stern.de: ThyssenKrupp führt Amnestieprogramm ein, 16.04.2013; süddeutsche. de: Thyssen-Krupp bietet Angestellten Amnestie an, 16.04.2013.

7 WAZ: Staatsanwalt ermittelt wegen Korruption bei ThyssenKrupp, 29.11.2012.

← 2 | 3 → 1. Teil: Hinführung

Ausgangpunkt der Abhandlung zum Amnestieprogramm ist der Überblick über dessen Funktion und Wirkungsweise als unternehmensinternes Aufklärungsinstrument von Compliance-Verstößen.

§ 1 Compliance und Compliance-Verstöße

Der Begriff des Amnestieprogramms steht in untrennbarem Zusammenhang mit den Themen der Compliance bzw. der Compliance-Verstöße.

I. Compliance

Ursprung der Überlegungen ist das Problem der Rechts- und Regelverstöße von Mitarbeitern in Wirtschaftsunternehmen. Die verantwortlichen Führungskräfte sind regelmäßig mit Situationen konfrontiert, in welchen die Mitarbeiter ihren arbeitsvertraglichen Pflichten und den arbeitsrechtlichen Vorschriften unzureichend nachkommen, indem sie beispielsweise Arbeitsanweisungen nicht beachten, ihre Kompetenzen überschreiten oder Sicherheitsvorschriften missachten. Außerdem kommt es immer wieder zu Verstößen der Beschäftigten gegen Strafgesetze; genannt seien hier schwerpunktmäßig Korruptionsstraftaten und Kartellrechtsverstöße. Die Negativauswirkungen für den Arbeitgeber sind oft verheerend und es ist Besorgnis erregend, dass sich Unternehmen immer wieder dem Vorwurf der Wirtschaftskriminalität ausgesetzt sehen.8

Insbesondere aufgrund des Schmiergeldskandals der Siemens AG sensibilisierte sich der Blick für Wirtschaftskriminalität und es wurden enorme Anstrengungen hinsichtlich deren künftiger Verhinderung begonnen.9 Die Vorkommnisse lieferten einen Beweis, wie wichtig die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität gerade für das betroffene Unternehmen selbst ist. Diesem obliegt es, drohenden materiellen wie immateriellen Schäden und damit einer Existenzgefährdung aktiv entgegenzuwirken.10 Die Vermeidung von Verstößen gegen arbeitsrechtliche Vorschriften oder vertragliche Regelungen und vor allem ← 3 | 4 → die Verhinderung von Wirtschaftskriminalität müssen daher zu den obersten Prämissen einer jeden Unternehmensphilosophie zählen.

In diesem Zusammenhang hat in den vergangenen Jahren die Begrifflichkeit der Compliance zunehmend an Bedeutung gewonnen. Eine „nachhaltige, risiko- und wertorientierte, ethische und regelkonforme Unternehmensführung“11 ist zum Maß für eine solide Geschäftstätigkeit geworden. Das Fundament hierfür ist die konsequente Einhaltung gültiger Vorschriften, denn nur auf diesem Weg ist langfristig eine effektive Arbeitsweise möglich und nur so werden die Aktivitäten des Unternehmens dauerhaft gesichert. Durch die Aufstellung von Verhaltensrichtlinien als Hauptbestandteil einer Compliance-Organisation werden als Ziele die Prävention vor künftigen Schäden bzw. die Risikominimierung und der Reputationsschutz verfolgt.12 In der Praxis von besonderer Bedeutung ist darüber hinaus vor allem die Minimierung des Haftungsrisikos der Leitungsebene.13 Daraus entsteht ein nicht zu vernachlässigender Effekt hinsichtlich der strategischen Unternehmensführung. Nachhaltige Compliance sichert dem Unternehmen eine fundierte Position im Wettbewerb, stärkt seine Marke und dient der Bestandsfähigkeit des Geschäftsmodells.14 Vor diesem Hintergrund erfüllt Compliance drei Aufgaben: Vorbeugen, Erkennen, Reagieren. Sie muss grundsätzlich vorbeugend wirken bezüglich potentieller Rechts- und Regelverstöße, bei der Erkennung und Aufklärung begangener Verfehlungen Hilfestellung leisten und schließlich der Findung einer angemessenen Reaktion und der Durchsetzung von Folgemaßnahmen nützen.15 Erfolgreich ist eine Compliance-Organisation nur dann, wenn sie ihren Schwerpunkt nicht auf die Ahndung von Zuwiderhandlungen legt, sondern vor allem Energie auf die frühzeitige Verhinderung künftiger Verstöße verwendet.16

← 4 | 5 → II. Compliance-Verstöße

Die Integration von Compliance in die Unternehmenskultur ist unbestritten ein erfolgversprechender Weg, um die Anfälligkeit für Verstöße gegen arbeitsrechtliche, vertragliche und innerbetriebliche Vorschriften und vor allem für Wirtschaftskriminalität zu reduzieren. Jedoch kann auch eine überaus komplexe Compliance-Organisation entsprechende Verstöße nicht vollkommen verhindern; immer dort, wo es Regeln einzuhalten gibt, werden diese naturgemäß auch gebrochen.

Die Folge sind erhebliche negative Auswirkungen auf das betroffene Unternehmen. Insbesondere die hohen finanziellen Einbußen und Abflüsse, welche Compliance-Verstöße in Form von Wirtschaftsstraftaten auslösen, können zu einer enormen Belastung führen. Dies resultiert zum einen daraus, dass der Mitarbeiter bewusst gegen das Wohl und Interesse seines Arbeitgebers handelt und somit dem Vermögen des Unternehmens unmittelbar zu schaden beabsichtigt. Aber auch dann, wenn der Beschäftigte in der vermeintlichen Absicht agiert, seinen Arbeitgeber zu begünstigen, können die tatsächlichen Folgen Geldbußen und Schadensersatzzahlungen sein.17 Neben diesen materiellen Schäden ist als Folgeerscheinung immer auch mit erheblichem Reputationsverlust zu rechnen. Wenn ein Compliance-Verstoß in Form einer Wirtschaftsstraftat vorliegt, erfahren Unternehmen aufgrund der staatlichen Ermittlungsmaßnahmen, wie der Beschlagnahme von Unterlagen und elektronischen Geräten, Bankkontensperrungen oder der Verhaftung einzelner Mitarbeiter, in der Regel massive Störungen der alltäglichen Arbeitsabläufe mit der Folge immensen Produktivitätsverlusts.18 Auf dem Absatzmarkt droht dem Unternehmen neben allgemeiner Kundenzurückhaltung für die Zukunft außerdem der Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren.19

Die beträchtliche Bandbreite drohender Nachwirkungen zeigt somit die Schädlichkeit von Compliance-Verstößen, die bis zur Existenzgefährdung des Unternehmens führen können.

§ 2 Motive zur Aufklärung von Compliance-Verstößen

Bei einem compliance-relevanten Vorfall ist erklärtes Ziel des Unternehmens dessen lückenlose Aufklärung. Oberste Prämisse ist dabei stets, die mit ← 5 | 6 → Compliance-Verstößen einhergehenden Negativkonsequenzen zu verhindern bzw. zu minimieren.

I. Die Aufklärungspflicht der §§ 130, 30, 9 OWiG

Im Kontext mit den in Betracht kommenden Motiven für die Aufklärung von Compliance-Verstößen stehen regelmäßig die §§ 130, 30, 9 OWiG im Mittelpunkt.20

§ 30 OWiG eröffnet die Möglichkeit, Unternehmen mittels einer Verbandsgeldbuße zu sanktionieren, wenn eine Leitungsperson eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat und damit eine Pflichtverletzung verwirklicht wurde bzw. das Unternehmen bereichert worden ist oder zumindest werden sollte. Als Pflichtverletzung wird diesbezüglich insbesondere auch ein Verstoß gegen die in § 130 OWiG begründete Aufsichtspflicht angesehen.21 Dieser zufolge muss der Inhaber eines Unternehmens Maßnahmen ergreifen, um Zuwiderhandlungen der Mitarbeiter zu verhindern bzw. wesentlich zu erschweren. Begründet werden durch die von § 130 OWiG konstituierte Aufsichtspflicht im einzelnen Organisations-, Auswahl-, Instruktions-, Überwachungs- und Sanktionspflichten.22 Diese treffen nicht nur den von § 130 OWiG erfassten Inhaber, sondern gemäß § 9 I Nr. 1 OWiG ebenso alle vertretungsberechtigten Organe und Gesellschafter. Daher können auch Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von nicht der Leitungsebene angehörigen Personen zu einer Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG führen, wenn deren Zuwiderhandlung in einer Aufsichtspflichtverletzung begründet ist.23

Ist eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit aufgedeckt, hängt das Vorliegen einer Aufsichtspflichtverletzung davon ab, ob dem Thema Compliance im Unternehmen ausreichend Beachtung gezollt worden ist.24 Durch die Implementierung eines effektiven Compliance-Systems wird der aus § 130 OWiG resultierenden Aufsichtspflicht im Regelfall ausreichend nachgegangen.25 Dabei begründet ← 6 | 7 → die Pflicht zu Compliance neben der Einleitung von Präventivmaßnahmen auch eine Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen, vorausgesetzt es liegen der Geschäftsleitung stichhaltige Anhaltspunkte für einen Compliance-Verstoß vor.26 Hauptziel einer Compliance-Organisation ist die Vermeidung künftiger Rechts- und Regelverstöße und als wesentlicher Teil immer auch die rigorose Aufarbeitung der bisherigen Vorkommnisse.27

Das Unternehmen hat folglich aufgrund §§ 130, 30, 9 OWiG zweierlei Motivationen zur Durchführung interner Ermittlungen: Zum einen gilt es, die für den bekanntgewordenen Vorfall drohende Geldbuße gemäß § 30 OWiG durch Demonstration einer umfassenden Aufklärungs- und Kooperationsbereitschaft so gering wie möglich zu halten. Je konsequenter die Einhaltung des Compliance-Systems verfolgt bzw. bei vorgefallenen Compliance-Verstößen in die Sachverhaltsanalyse investiert wird, umso positiver ist dies bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße zu bewerten.28 Zum anderen rückt neben der Minimierung der Sanktionen für vergangene Verfehlungen auch der Aspekt der Prävention in den Fokus. Intention des Unternehmens ist es, durch die Sicherstellung eines strengen Compliance-Systems möglichen künftigen Zuwiderhandlungen der Mitarbeiter vorzubauen, zumindest aber durch Erfüllung der Aufsichtspflicht weitere Geldbußen zu verhindern. Das Unternehmen muss sich durch eine lückenlose und konsequente Aufklärungsarbeit zur vorrangigen Stellung des Themas Compliance bekennen und seine Bereitschaft zur eigeninitiativen Förderung demonstrieren.

Neben der Zielsetzung, Geldbußen gegen das Unternehmen zu minimieren bzw. künftig zu vermeiden, hat auch die Geschäftsleitung selbst ein erhebliches monetäres Interesse an der Durchführung interner Ermittlungen. Denn nicht nur das Unternehmen hat bei Vorliegen einer Aufsichtspflichtverletzung mit Bußgeldern zu rechnen; ein solches kann vielmehr gemäß § 130 OWiG auch die ← 7 | 8 → Geschäftsleitung selbst treffen.29 Für sie muss daher als oberste Prämisse gelten, ihre Aufsichtspflicht ordnungsgemäß zu erfüllen und in diesem Zusammenhang besonders sensibel auf compliance-relevante Vorkommnisse im Unternehmen zu reagieren.

§§ 130, 30, 9 OWiG begründen also eine Pflicht zur unternehmensinternen Ermittlung. Diese spielt in der Praxis eine besonders bedeutende Rolle, da der Themenkomplex der Compliance und damit der internen Ermittlungen immer mehr in den Fokus der Unternehmensphilosophie rückt; gewiss nicht nur, um Unternehmen und Geschäftsleitung vor existenzgefährdenden Geldbußen zu bewahren.

Details

Seiten
XIII, 232
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653048926
ISBN (ePUB)
9783653980042
ISBN (MOBI)
9783653980035
ISBN (Paperback)
9783631655139
DOI
10.3726/978-3-653-04892-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Untreue Organhaftung Korruption
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XIV, 232 S., 1 Tab.

Biographische Angaben

Elisabeth Gottwald (Autor:in)

Elisabeth Amelie Gottwald studierte Rechtswissenschaft an der Universität Passau. Im Anschluss daran widmete sie sich dem Forschungsschwerpunkt Compliance.

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Titel: Das Amnestieprogramm
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