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Der verfassungsrechtliche Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse

von Wonil Cha (Autor:in)
©2016 Dissertation XVI, 180 Seiten

Zusammenfassung

Anhand der Kommerzialisierungstendenz von Informationen und der einhergehenden Ausweitung des geistigen Eigentums steigt die Bedeutung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als hochwertiges Informationsgut. Gleichsam steht dem Geheimnisschutz ein erhöhter Informationsbedarf von privater wie auch staatlicher Seite entgegen. Das Buch analysiert den Ausgleichsbedarf innerhalb eines mehrpoligen Interessenkonflikts, der auf verfassungsrechtlicher Ebene einer Lösung zuzuführen ist. Durch die grundrechtliche Verankerung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in die Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG erfasst die Autorin einen genauen Schutzbereich der durch umfangreiche Informationsanforderungen betroffenen Unternehmensinformationen. Zugleich präzisiert sie die spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG in Hinsicht auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in einzelnen Bereichen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • § 1 Problemaufriss
  • A. Geheimnisschutz als notwendiges Äquivalent unternehmerischen Erfolgs
  • B. Ausgestaltung des Geheimnisschutzes – Impulse durch die Informationsgesellschaft
  • I. Herausforderungen
  • 1. Erhöhte Informationsanforderung
  • 2. Zugang privater Informationsinteressen
  • II. Ausgleichsbedarf innerhalb eines mehrpoligen Interessenkonflikts
  • C. Eigentum als Orientierungspunkt für die verfassungsrechtliche Verortung
  • D. Gang der Untersuchung
  • § 2 Definition und Abgrenzung des grundrechtlichen Schutzgutes
  • A. Vielfalt der Begriffsbildungen
  • B. Definition
  • C. Merkmale im Einzelnen
  • I. Unternehmensbezug
  • II. Nichtoffenkundigkeit
  • III. Geheimhaltungswille
  • IV. Geheimhaltungsinteresse
  • V. Zwischenergebnis
  • D. Dimensionen der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
  • E. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als nichtgegenständliche Wirtschaftsgüter
  • I. Merkmale der Güter
  • II. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als Informationsgüter
  • F. Zusammenfassung und Ausblick
  • § 3 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG
  • A. Verfassungsrechtlicher Eigentumsbegriff
  • I. Dimension der Eigentumsgewährleistung
  • 1. Bestandsgarantie
  • 2. Institutsgarantie
  • 3. Zusammenfassung
  • II. Die Normgeprägtheit des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs
  • 1. Normierung durch den Gesetzgeber
  • 2. Eigenständiger verfassungsrechtlicher Eigentumsbegriff
  • III. Offenheit des Eigentumsbegriffs
  • B. Informationsgüter als Gegenstand der Eigentumsgarantie
  • I. Ausgangspunkt: Das geistige Eigentum
  • II. Spezifische Fragen
  • III. Vorgaben für die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
  • C. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als eigenständige Rechtsposition
  • I. Einfachrechtliche Ausgestaltung
  • 1. Regelungen im nationalen Recht
  • a) Strafrechtlicher Schutz
  • b) Zivilrechtliche Maßnahmen
  • c) Geheimnisschutz im Verwaltungsverfahren und vor Verwaltungsgerichten
  • aa) Schutz im Verwaltungsverfahren
  • bb) Schutz vor Verwaltungsgerichten
  • 2. Regelungen im europäischen und internationalen Recht
  • a) Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums
  • b) Art. 39 Abs. 2 TRIPS
  • c) Verhältnis zur nationalen Rechtsordnung
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Ausschließlichkeitsrecht
  • 1. Begriff der Ausschließlichkeit
  • a) Begriff der Ausschließlichkeit beim Sacheigentum
  • b) Begriff der Ausschließlichkeit bei immateriellen Gütern
  • aa) Erkennungsakt durch den Gesetzgeber
  • bb) Differenz zum Sacheigentum
  • c) Ausschließlichkeit im funktionalen Sinne
  • d) Zusammenfassung
  • 2. Ausschließlichkeit bei den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen?
  • a) Rechtsposition mit eingeschränkter Ausschließlichkeit
  • aa) § 823 Abs. 1 BGB – Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als deliktisch geschütztes subjektives Recht
  • bb) § 17 UWG
  • cc) Öffentliches Recht
  • dd) Ergebnis: Eingeschränktes Ausschließlichkeitsrecht für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
  • ee) Zusätzliche Indizien
  • b) Schutz durch Art. 14 GG für Rechtspositionen mit eingeschränkter Ausschließlichkeit?
  • aa) Patentfähige Erfindung
  • bb) Geografische Herkunftsangaben und Warenzeichen
  • cc) Ausstattungsschutz
  • dd) Schutz für „auf dem Markt eingeführte Produkte“
  • ee) Ergebnis
  • 3. Zusammenfassung
  • III. Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis
  • 1. Die Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis
  • a) Der Begriff der Privatnützigkeit
  • b) Der Begriff der Verfügungsbefugnis
  • aa) Übertragbarkeit
  • bb) Bereicherungsrechtlicher Zuweisungsgehalt
  • 2. Faktische Herrschaftspositionen und eigentumsrechtlicher Schutzbereich
  • a) Besitz als faktische Herrschaftsposition
  • b) Anwendung auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
  • IV. Der Vermögenswert der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
  • 1. Begriff
  • 2. Vermögenswert der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
  • a) Wettbewerblicher Vorteil
  • b) Wesentlicher Bestandteil des Vermögenswerts des Unternehmens
  • c) Existenzielle Bedeutung für Unternehmen
  • 3. Ergebnis
  • V. Die Leistung als zusätzliches Merkmal
  • VI. Zusammenfassung
  • D. Betriebsgeheimnisse als Bestandteil des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
  • I. Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als Schutzgut der Eigentumsgarantie
  • 1. Die richterrechtliche Entwicklung
  • 2. Die verfassungsrechtliche Bewertung
  • 3. Lösungsansätze
  • a) Einteilung in spezifischere Eigentumsgegenstände
  • b) Das Recht am Gewerbebetrieb als Auffangrecht
  • II. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als Bestandteil des Rechts am Gewerbebetrieb
  • III. Ergebnis
  • § 4 Eigentumsrechtliche Schranken
  • A. Formen der staatlichen Zugriffe auf das Eigentum
  • I. Enteignungen
  • II. Inhalts- und Schrankenbestimmungen
  • III. Abgrenzungen
  • B. Gesetzlich normierte Zugriffe auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
  • I. Wettbewerbsrecht
  • 1. Allgemeine Formen des hoheitlichen Informationszugriffs
  • 2. Akteneinsicht
  • a) Akteneinsicht im kartellgerichtlichen Beschwerdeverfahren
  • b) Akteneinsicht im Vergabeverfahren
  • 3. Zusammenfassung
  • II. Regulierungsrecht
  • a) Informationsweitergabe und Offenlegung gegenüber der Behörde
  • aa) Telekommunikationsdienst
  • bb) Postdienstleistungen
  • cc) Energiewirtschaftsrecht
  • b) Interessenkollision im Rahmen eines Entgeltverfahrens
  • aa) Verwaltungsverfahren
  • bb) Gerichtsverfahren
  • c) Zusammenfassung
  • III. Informationsfreiheitsgesetze
  • 1. IFG
  • a) Informationszugang
  • aa) Kreis der Anspruchsberechtigten
  • bb) Anspruchsgegner
  • cc) Anspruchsvoraussetzungen
  • b) Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als Ausschlussgrund des Informationszugangsanspruchs
  • 2. UIG
  • 3. VIG
  • 4. Zusammenfassung
  • IV. Arzneimittelgesetz
  • 1. Allgemeine Informationspflichten
  • 2. Unterlagenschutz
  • 3. Interessenkonflikt
  • V. Umweltrecht
  • 1. Bundesimmissionsschutzgesetz
  • a) Allgemeine Informationspflichten
  • b) Informationspflichten im Rahmen des Genehmigungsverfahrens
  • aa) § 10 Abs. 2 BImSchG
  • bb) Gerichtliches Verfahren
  • 2. Gentechnikrecht
  • VI. Zusammenfassung
  • C. Verfassungsrechtliche Anforderungen
  • I. Allgemeine Anforderungen
  • 1. Gesetzmäßigkeitsprinzip
  • 2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
  • 3. Institutsgarantie
  • II. Spezifische Anforderungen für die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
  • 1. Vorgaben
  • 2. Präzisierungsvorschläge bei den Verhältnismäßigkeitsanforderungen
  • a) Sozialbezug
  • b) Personaler Bezug
  • c) Nähe zum Immaterialgüterrecht
  • d) Datenspezifische Kriterien
  • e) Zwischenergebnis
  • 3. Konkretisierung der Verhältnismäßigkeitsanforderungen nach Rechtsbereichen
  • a) Wettbewerbsrecht
  • aa) Prüfung der Verhältnismäßigkeit bei hoheitlichen Informationszugriffen
  • bb) Verhältnismäßigkeit der Akteneinsicht nach § 72 GWB
  • cc) Verhältnismäßigkeit der Akteneinsicht nach § 111 GWB
  • 1) Legitimer Zweck
  • 2) Erforderlichkeit und Geeignetheit
  • 3) Angemessenheit
  • 4) Zusätzliche Maßnahmen
  • dd) Zusammenfassung
  • b) Regulierungsrecht
  • aa) Informationsweitergabe und Offenlegung gegenüber der Behörde
  • 1) Legitimer Zweck
  • 2) Geeignetheit und Erforderlichkeit
  • 3) Angemessenheit
  • bb) Spezifische Ausprägung des Geheimnisschutzes im Entgeltregulierungsverfahren
  • 1) Gegeninteressen
  • 2) Abwägung durch die Beschlussbehörde
  • cc) Die Gewährleistung des Geheimnisschutzes im gerichtlichen Verfahren
  • 1) Die Interessen der Wettbewerber
  • 2) Maßstäbe
  • 3) Bewertung der heutigen Fassung
  • c) Informationsfreiheitsgesetze
  • aa) Ziel und Zweckbestimmungen
  • 1) IFG
  • 2) UIG
  • 3) VIG
  • 4) Ergebnis
  • bb) Informationsfreiheit versus Geheimnisschutz
  • 1) Geeignetheit
  • 2) Erforderlichkeit
  • 3) Angemessenheit
  • (1) Der relative Schutz im UIG und VIG
  • (a) UIG
  • (b) VIG
  • (2) Der absolute Geheimnisschutz im IFG
  • cc) Verfassungsrechtliche Anforderungen an Exekutive und Judikative
  • 1) Im Verwaltungsverfahren
  • 2) Im Gerichtsverfahren
  • dd) Zusammenfassung
  • d) Arzneimittelgesetz
  • e) Umweltrecht
  • aa) Bundesimmissionsschutzgesetz
  • bb) Gentechnikgesetz
  • D. Zusammenfassung der einzelnen Ergebnisse
  • § 5 Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach Art. 12 GG
  • I. Schutzrichtung der Berufsfreiheit im Vergleich zur Eigentumsfreiheit
  • II. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG
  • 1. Die Berufsfreiheit als einheitliches Grundrecht
  • 2. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als Schutzgüter der Berufsfreiheit
  • a) Unternehmerfreiheit
  • b) Wettbewerbsfreiheit
  • 3. Art. 12 Abs. 1 als objektive Wertentscheidung
  • 4. Juristische Personen als Grundrechtsträger
  • III. Eingriffe
  • 1. Eingriff durch staatliches Informationshandeln
  • 2. Eingriffe in die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
  • IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
  • 1. Einheitliche Schrankenregelung
  • 2. Verhältnismäßigkeit
  • 3. Zuordnung der einzelnen Regelungen zu den Stufen
  • V. Verhältnis zu Art. 14 GG
  • § 6 Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse durch Art. 2 Abs. 1 GG
  • A. Umfang
  • B. Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
  • C. Übertragbarkeit auf juristische Personen
  • D. Konkurrenzverhältnisse
  • E. Fazit
  • § 7 Zusammenfassung in Thesen
  • Literaturverzeichnis

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§ 1  Problemaufriss

A.  Geheimnisschutz als notwendiges Äquivalent unternehmerischen Erfolgs

Immaterielle Vermögenswerte gehören ohne Zweifel zu den wichtigsten Bestandteilen von Unternehmen. Ihr Besitz und ihr erfolgreicher Vertrieb markieren die Innovation eines Unternehmens. Der Geheimnisschutz nimmt dabei eine besondere Position ein: Als einziges Instrument ist er imstande die verschiedenen immateriellen Vermögenswerte wie technische Entwicklungen, Kundendaten, Geschäftspraktiken außerhalb des Immaterialgüterrechtsschutzes zu vereinen. Während sich der gewerbliche Rechtsschutz auf Teilbereiche begrenzt, können Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse praktisch jedes immaterielle Gut betreffen, ungeachtet des Schutzgrades. Voraussetzungen wie Technizität, Neuheit oder Erfindungshöhe, wie sie etwa beim Patent- oder Geschmacksmusterrecht verlangt werden, sind für den Geheimnisschutz ohne Bedeutung. Zum gewerblichen Rechtsschutz wirkt der Geheimnisschutz ergänzend oder auch ersetzend. Letztendlich ist die Gewährleistung sowohl von Schutzrechten als auch von Geheimnisschutz für innovative Unternehmen unentbehrlich.1

Neben dem geistigen Eigentum stellt der Geheimnisschutz eine ebenso traditionsreiche wie wichtige Rolle dar und ist als Wert in vielen Situationen anerkannt.2 Hinter jedem Produkt steckt ein umfangreicher Arbeitsaufwand, der sich über Jahre hinweg durch enormen Innovationsschub, durch Experimente und Erfahrungen in Form von Know-how angesammelt hat. Diese „Vorlagen“ sind nicht von geringerer Bedeutung als das Ergebnis selbst. Die Geburt eines jeden Patents beginnt mit einem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis.3 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bilden insoweit ein „notwendiges Äquivalent“.4

Unternehmen sichern sich mit Hilfe von ihnen einen Wettbewerbsvorsprung, indem sie wichtige Erfindungen oder Know-hows vor ihren Konkurrenten geheim halten. Ihr Schutz ist wichtige Voraussetzung eines funktionsfähigen ← 1 | 2 → Wettbewerbs,5 da sie faktisch einen größeren Wert als ein gewerbliches Schutzrecht verkörpern.6 Der Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist damit in erster Linie wettbewerblich angesetzt. Darüber hinaus werden sie auch als realisierbare Werte anerkannt und entsprechend behandelt. Zurückzuführen ist diese Entwicklung nicht zuletzt auf die Kommerzialisierungstendenz von Informationen und den darauf anschließenden Bewertungs- und Verwertungsmethoden der Wirtschaftsbranche. Aufgrund ihrer besonderen Wertigkeit sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Schutzgegenstand von verschiedenen Gesetzen auf Bundes- und Landesebene.

B.  Ausgestaltung des Geheimnisschutzes – Impulse durch die Informationsgesellschaft

I.  Herausforderungen

Gegenläufig besteht zugleich eine weitgehende Schutzbeschränkung aufgrund Gefahrenabwehr, Informationsfreiheit, Wettbewerbsschutz und anderen Allgemeinwohlinteressen mit umweltrechtlichen, verbraucherschützenden und informationellen Hintergründen. Diese wirken sich prägend auf den Umfang des Geheimnisschutzes aus. Dem Bedürfnis eines weitreichenden Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in Form eines „geistigen Eigentums“ steht also ein weiter Bedarf an einer „Teilnahme“ oder „Offenlegung“ entgegen, der sowohl von Privaten als auch vom Staat ausgeht. Folgende Aspekte müssen hier hervorgehoben werden.

1.  Erhöhte Informationsanforderung

Die Generierung von Wissen ist seit jeher einer der wichtigsten Voraussetzungen der Aufgabenbewältigung des modernen Staats und seiner Verwaltung.7 Die „Wissensgesellschaft“ bzw. „Informationsgesellschaft“, als Korrelat zur Arbeits- oder Industriegesellschaft,8 führt im Bereich des öffentlichen Rechts zu einem ← 2 | 3 → erheblichen Komplexitätszuwachs.9 Durch Privatisierung und Deregulierung wurden bisherige staatlich geprägte Aufgaben in den privaten Sektor überführt, was jedoch nicht zu einem „Rückzug des Staates“ leitete, sondern eher mit neuen Gestaltungsverantwortungen gesetzlicher Rahmenbedingungen innerhalb der monopolistisch geprägten Märkte, insbesondere im Bereich der Post und Telekommunikation, Energieversorgung, verbunden sind.10

Diese neue Aufgabenbewältigung ist mit einer verstärkten Informationsabhängigkeit auf das private Wissen verbunden. Insoweit ergibt sich bei Wissensbeständen die Notwendigkeit einer kooperativen Zusammenarbeit vom Staat und privaten Akteuren.11 Dies ist ein permanenter Prozess, da das benötigte Wissen „situativ neu erzeugt werden“ muss.12 Demnach finden sich insbesondere in den stark regulierten Bereichen Zugriffe auf Unternehmensdaten, einschließlich auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.

2.  Zugang privater Informationsinteressen

Gleichzeitig besteht auch eine Vielfalt von Zugangsmöglichkeiten zu den Informationen des Staates.13 Durch die Etablierung privater Einsichts- und Zugangsrechte wird ein voraussetzungsloses Informationsinteresse nun auch seitens der Bürger geltend gemacht. Gewährleistet wird diese „Informationszugangsfreiheit“ durch Informationsgesetze wie das IFG, UIG und VIG. Ihre Etablierung markiert somit die Abkehr vom „Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit“.14 Dadurch wird grundsätzlich „jedem“ die Einsicht in staatliche bzw. staatlicherseits erhobene Informationen ermöglicht.15 Die von dem voraussetzungslosen Informationszugangsrecht betroffenen Informationen stammen selten aus dem ← 3 | 4 → originär staatlichen Bereich. Zumeist werden sie von Privaten erhoben,16 was eine zusätzliche Belastung für die Unternehmen darstellt.

II.  Ausgleichsbedarf innerhalb eines mehrpoligen Interessenkonflikts

Die Dimension des Interessenkonflikts des Geheimnisschutzes basiert daher auf einem – dem informationsgesellschaftlich ausgerichteten Verwaltungsrecht typischen – „Bürger-Wirtschaft-Staat“ Dreieck“.17 Die Komplexität dieser Konstellation besteht darin, dass jeder Akteur einen maximalen Informationserwerb und zugleich eine minimale Informationsweitergabe anstrebt. Das Ergebnis ist eine gegenseitige zunehmende Informationsabhängigkeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.18

Anhand dieser Konfliktlage sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vermehrt Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen in verschiedenen Bereichen des einfachen Rechts.19 Den einfachrechtlichen Fragestellungen liegen grundrechtliche Konfliktlagen zugrunde, die auf verfassungsrechtlicher Ebene einer Lösung zuzuführen sind.20 Erst anhand der verfassungsrechtlichen Grundlagen lässt sich ermessen, „ob die bestehenden Schutzvorkehrungen des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses in materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher ← 4 | 5 → Hinsicht ausreichen und wie sich rechtlich einwandfreie Abwägungen zwischen Geheimhaltungsinteressen und Offenbarungsinteressen erzielen lassen“.21

C.  Eigentum als Orientierungspunkt für die verfassungsrechtliche Verortung

Im Mittelpunkt dieser verfassungsrechtlichen Abhandlung steht der Umgang von Informationen, die als „Rohstoffe für Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und jeden Einzelnen“ bezeichnet werden können.22

Mit der erhöhten Akzeptanz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als konkreter, wirtschaftlicher Wert, ist auch ihre Relevanz zur Eigentumsgarantie sichtbar. So werden die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in Rechtsprechung und Literatur regelmäßig in den Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verortet. In Hinsicht auf ihre wettbewerbliche Funktion wird von einem umfassenden grundrechtlichen Schutz durch Art. 12 und Art. 14 GG ausgegangen.23

Weiterhin wird auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verwiesen,24 wobei dieses Grundrecht in Vergleich zu den beiden Wirtschaftsgrundrechten weniger Anwendung findet. Insgesamt bilden diese drei Normen die wesentlichen Ausgangspunkte des Interessensausgleichs. Die grundrechtliche Verortung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse beschränkt sich nicht nur auf eine bloße „Konstruktionsfrage“. Sie trägt vielmehr zu einer Kennzeichnung der unterschiedlichen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten bei.25

Die vorliegende Arbeit setzt sich primär mit dem eigentumsrechtlichen Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auseinander, da insbesondere ← 5 | 6 → dieser Punkt umstritten ist und es an einer konkreten Begründung zu mangeln scheint.26

Um die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verfassungsrechtlich zu verorten, bedarf es zunächst einer Einordnung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in die Kategorie der immateriellen Güter, die Orientierungspunkt für den grundrechtlichen Schutz sein kann. In Bezug auf das Verhältnis des Geheimnisschutzes und Art. 14 GG bildet das „geistige Eigentum“ einen wichtigen Orientierungspunkt.27 Das geistige Eigentum vermittelt Ausschließlichkeitsrechte an immateriellen Gütern und ist nach einheitlicher Auffassung als Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt.28 So wird dem Inhaber dieser Rechte ein bestimmtes immaterielles Gut „zugeordnet“. Dies hat wiederum eine Ausschlussfunktion gegenüber anderen zur Konsequenz. Das geistige Eigentum zeigt insoweit, wie sich die „Eigentumsidee“ in ihrer grundlegenden Wirkung der ausschließlichen Zuordnung auf ein grundsätzliches freies Gut niedergeschlagen hat.29 Wissen als „Macht“ ist in vieler Hinsicht zu realem „Eigentum“ geworden, das sich auf der gleichen Skala neben dem Sacheigentum behauptet.

Durch die Kommerzialisierung von Wissen und Informationen hat das geistige Eigentum in den letzten Jahren eine starke Ausdehnung und Ausdifferenzierung erlebt. Zu beobachten ist dies bei den „neuen“ Immaterialgüterrechten wie etwa beim Halbleiter- und Topografiegesetz, dessen Gegenstände ursprünglich durch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) geschützt wurden und sich nach und nach zu einem Ausschließlichkeitsrecht entwickelt haben. Dieser Übergang zum Ausschließlichkeitsrecht, der als „Verdinglichung“ bezeichnet wird, prägt das gegenwärtige Ausmaß des geistigen Eigentums.

Gleichermaßen sind auch die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für die Unternehmen von diesen Überlegungen betroffen. Zugleich erscheinen die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im System des geistigen Eigentums jedoch als Gegenbegriff der immateriellen ← 6 | 7 → Güter, insbesondere den gewerblichen Schutzrechten. Da die einfachrechtliche Schutzgestaltung des Geheimnisschutzes primär als Abwehrrecht gegen bestimmte Eingriffsnormen durch §§ 17–19 UWG geregelt ist, unterscheidet sie sich grundlegend von dem geistigen Eigentum. In diesem Kontext nehmen die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eine Zwischenstellung zwischen Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterrecht ein. Es stellt sich die Frage, wie beim Geheimnisschutz die Antwort auf die Zuordnungsfrage ausfällt und ob er sich somit im Konzept des Eigentums erfolgreich bewähren kann.

Die grundrechtliche Konzeption der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse muss daher systemgerecht im Einklang mit dem geistigen Eigentum erfolgen.

D.  Gang der Untersuchung

Wissenschaftliche Auseinandersetzungen über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und stellten lange Zeit ein eher zweitrangiges Thema hinter dem geistigen Eigentum dar. Allerdings wird in jüngerer Zeit insbesondere den grundrechtlichen Überlegungen mehr Beachtung geschenkt.30 Ziel der Arbeit ist es, den grundrechtlichen Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu analysieren, um dadurch genauere Gewährleistungsinhalte zu gewinnen. Diese dienen wiederum als Vorgaben für die Legislative und die Judikative bei der Anwendung und Auslegung der Normen.

Zunächst erfolgt daher eine terminologische Klarstellung des Begriffs „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ (§ 2). Sodann wird zu erörtern sein, ob diese durch die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (Art. 14 Abs. 1 S. 1) geschützt sind (§ 3).

Inwieweit der Geheimnisschutz sich gegenüber öffentlichen Interessen und den Interessen Dritter zu verteidigen mag, wird als weiterer Teil analysiert. Dies erfolgt durch die Darstellung der eigentumsgrundrechtlichen Schranken (§ 4). Schutzregelungen und Einschränkungen der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind letztlich eine Form der Ausweitung und Einschränkungen der Grundrechte der Unternehmen in horizontaler sowie in vertikaler Ebene. Durch die Gesamtbetrachtung als Einzel- und Teilbereich des Unternehmens soll der Geheimnisschutz in seinen Konturen klarer dargestellt werden bzw. es sollen verfassungsrechtliche Maßstäbe für Abwägungen entwickelt werden. ← 7 | 8 → Dementsprechend wird der Grundrechtsschutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einerseits selbstständig, andererseits als Teil des Gewerbebetriebs dargestellt.

Schließlich soll untersucht werden, welchen Bezug die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) haben (§ 5). Schließlich wird in einem letzten Abschnitt erörtert, ob und inwiefern das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) Schutz für diese entfalten kann (§ 6).

Der Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist in vielen einfachrechtlichen Bereichen mit Gegeninteressen konfrontiert, die sich in verfassungsrechtlicher Ebene, zu klaren Gegensätzen steigern.31 Letztendlich ergibt sich aus der Verfassung die Aufgabe an den Gesetzgeber, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen den konfligierenden grundrechtlichen Interessen herzustellen.32 In Hinsicht auf wesentliche Werte wie der Informationsfreiheit bedarf es bei dem Schutz für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einer sorgfältigen Abwägung zwischen Schutzinteresse des Rechtsinhabers und Zugangsinteresse der Allgemeinheit. Angesichts der komplexen Konfliktlage fragt es sich, inwieweit sich aus den verfassungsrechtlichen Grundlagen eine „normative Aussage“ auf die gesellschaftlichen Herausforderungen entnehmen lässt.33

Details

Seiten
XVI, 180
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783631701188
ISBN (PDF)
9783653049879
ISBN (MOBI)
9783631701195
ISBN (Paperback)
9783631655405
DOI
10.3726/978-3-653-04987-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Oktober)
Schlagworte
Betriebsgeheimnis Art. 14 GG Verhältnismäßigkeitsprinzip Immaterialgüter
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2016. XVI, 180 S.

Biographische Angaben

Wonil Cha (Autor:in)

Wonil Cha studierte Rechtswissenschaft an der Yonsei Universität in Seoul und wurde an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln promoviert. Sie ist Research Fellow am koreanischen Verfassungsgericht.

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