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Privater Vollzug des Unionsrechts

Eine Untersuchung am Beispiel der Zertifizierungen durch akkreditierte Benannte Stellen im europäischen Produktzulassungsrecht

von Rose von Richthofen (Autor:in)
©2015 Dissertation 192 Seiten

Zusammenfassung

Das Recht der Europäischen Union wird nicht nur durch mitgliedstaatliche Behörden, sondern zunehmend auch durch Private vollzogen. Rose von Richthofen beschreibt Struktur, Bindungen und Rechtsfolgen dieses privaten Vollzugs aus der Sicht des deutschen Verwaltungsrechts wie auch des Unionsrechts. Dabei wird deutlich, dass der private Vollzug den behördlichen Vollzug nicht ersetzt, sondern ergänzt. Die Privaten werden zwar nicht hoheitlich tätig, stellen aber einen Teil der funktionalen europäischen Verwaltung dar. Als Referenzgebiet wählt die Autorin das europäische Produktzulassungsrecht, das den privaten Vollzug durch Einschaltung von akkreditierten Benannten Stellen seit Jahren vorsieht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung
  • A. Problemstellung
  • B. Zielsetzung
  • C. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 1: Vollzug des Unionsrechts
  • A. Unionsrechtliche Kompetenz zur Regelung des Produktzulassungsrechts
  • I. Binnenmarktkompetenz
  • 1. Erlass von materiell-rechtlichen Vorgaben
  • 2. Erlass von Verwaltungsvorgaben
  • 3. Erlass von Verwaltungsorganisationsvorgaben
  • II. Kompetenzausübungsschranken
  • B. Direkter Vollzug
  • C. Indirekter Vollzug
  • I. Mitgliedstaatliche Vollzugsstellen
  • 1. Organisationsrechtliche Stellung der Behörden
  • 2. Funktionale Stellung der Behörden
  • II. Mitgliedstaatliche Vollzugsautonomie
  • III. Modifikation mitgliedstaatlicher Vollzugsautonomie
  • 1. Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz
  • 2. Europäisches öffentliches Interesse
  • 3. Modifikation des indirekten Vollzugs im europäischen Verwaltungsverbund
  • a) Kooperationspflichten
  • b) Vollzug pro communitate und per recognitionem
  • c) Diversifizierung der Akteure
  • D. Einbindung Privater in den Vollzug der Produktzulassung
  • I. Europäische Verwaltungseinheiten im direkten Vollzug
  • II. Verwaltungsstruktur sui generis
  • III. Teil des indirekten Vollzugs
  • E. Ergebnis
  • Kapitel 2: Private im indirekten Vollzug
  • A. Mitgliedstaatliche Gewährleistung privaten Vollzugs
  • I. Verfassungsrechtlicher Hintergrund
  • II. Gewährleistungsverantwortung im Produktzulassungsrecht
  • 1. Gewährleistung einer sicheren Produktzulassung
  • 2. Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Zulassungsverfahrens
  • B. Einbindung durch Akkreditierung
  • I. Akkreditierungsverwaltungsverfahren
  • 1. Akkreditierungsvoraussetzungen
  • 2. Akkreditierungsakt
  • a) Zuständige Behörde
  • b) Nebenbestimmungen
  • c) Notifizierung
  • d) Gebundener Anspruch
  • e) Gerichtlicher Rechtsschutz
  • 3. Akkreditierungsaufsicht
  • II. Einordnung der Akkreditierung in die Verwaltungsrechtsdogmatik
  • 1. Anwendbares Organisationsrecht
  • a) Unionsrechtliche Vorgaben
  • b) Mitgliedstaatliches Organisationsrecht
  • 2. Akkreditierung als Privatisierungsform
  • 3. Keine Einbindung in hoheitliche Tätigkeit
  • a) Beleihung
  • b) Verwaltungshilfe
  • c) Andere Formen der Einbindung
  • d) Nationaler Verwaltungsbegriff
  • 4. Einbindung privaten Sachverstands
  • a) Benannte Stelle als Verifikateur
  • b) Akkreditierung als öffentliche Bestellung
  • c) Privatrechtliches Haftungsregime
  • d) Grundrechtsberechtigung
  • e) Allgemeines Akkreditierungsgesetz
  • III. Legitimation der Akkreditierung
  • C. Zertifizierung als private Handlungsform
  • I. Zertifizierung in regulierter Selbstregulierung
  • II. Zertifizierungssonderrecht
  • 1. Vorgaben für den Vertragsschluss
  • a) Bestimmung der Vertragsart
  • b) Kontrahierungszwang
  • c) Verbot der Zweitbewertung
  • 2. Vorgaben für die Vertragsausgestaltung
  • a) Vereinbarungen zum Entgelt
  • b) Durchführung der Zertifizierung
  • c) Private gebundene Entscheidung
  • d) Verwaltungsverfahrensgesetz
  • e) Anschließende Überwachung
  • 3. Folgen einer Nichtbeachtung
  • III. Zertifizierungsaufsicht
  • IV. Zertifizierungsrechtsfolgen
  • 1. Ausschluss behördlicher Marktzugangskontrolle
  • 2. Modifikationen behördlicher Marktüberwachung
  • D. Ergebnis
  • Kapitel 3: Private im indirekten Vollzug als funktionale europäische Verwaltung
  • A. Unionsrechtliche Gewährleistung privaten Vollzugs
  • I. Unionsverfassungsrechtlicher Hintergrund
  • II. Gewährleistungsverantwortung im Produktzulassungsrecht
  • III. Verantwortungsteilung zwischen den verschiedenen Akteuren
  • B. Private als funktionale europäische Verwaltung
  • I. Zertifizierung als transnationale Handlungsform
  • 1. Unmittelbare Geltung
  • 2. Unmittelbare Wirkung
  • a) Grenzüberschreitender Ausschluss behördlicher Marktzugangskontrolle
  • b) Grenzüberschreitende Modifikation behördlicher Marktüberwachung
  • c) Bindungswirkung
  • II. Europäischer Verwaltungsbegriff
  • C. Bindungen der funktionalen europäischen Verwaltung
  • I. Bindungen aus dem Rechtsstaatsprinzip
  • 1. Unionsgrundrechte
  • 2. Grundfreiheiten
  • II. Bindungen aus dem Demokratieprinzip
  • D. Ergebnis
  • Kapitel 4: Zusammenfassung
  • A. Varianten privaten Vollzugs im Unionsrecht
  • B. Indirekter Vollzug durch Private
  • C. Funktionale europäische Verwaltung
  • D. Abschließende Bewertung des privaten Vollzugs
  • Literaturverzeichnis

← 10 | 11 →Einführung

Die Dogmatik zum Vollzug des Unionsrechts ist im Fluss. Nachdem lange Zeit strikt zwischen dem Vollzug durch europäische und durch mitgliedstaatliche Stellen getrennt wurde, konzentrierte sich die wissenschaftliche Forschung in jüngerer Zeit vor allem darauf, vertikale und horizontale Verflechtungen zwischen den Vollzugsebenen und -einheiten unter dem Begriff des europäischen Verwaltungsverbunds zusammenzufassen. Nach wie vor fehlt eine Aufarbeitung des privaten Unionsrechtsvollzugs. Dies erstaunt, da vielfach nicht nur unionsrechtliche oder mitgliedstaatliche Stellen, sondern auch Private beim Vollzug eingebunden werden.

In der vorliegenden Arbeit wird der private Vollzug von Unionsrecht am Beispiel der Zertifizierungen durch akkreditierte Benannte Stellen im europäischen Produktzulassungsrecht untersucht. Durch mitgliedstaatlichen Hoheitsakt werden private Sachverständige (sog. Benannte Stellen) in den Vollzug von Unionsrecht eingebunden. Der Akt (sog. Akkreditierung) bestätigt die fachliche Kompetenz des Privaten, die Konformität von Produkten zu bewerten, also sachverständig zu prüfen, ob ein Produkt mit den einschlägigen europäischen Produktanforderungen übereinstimmt. Die Konformitätsbewertung wird dann im Rahmen eines privatrechtlichen Vertragsverhältnisses mit dem jeweiligen Hersteller durchgeführt. Das positive Prüfergebnis bescheinigt die Normkonformität des Produkts (sog. Zertifizierung) und wird nach außen durch ein CE-Zeichen verdeutlicht, welches auf dem Produkt angebracht wird. Schreibt eine Rechtsvorschrift die CE-Kennzeichnung eines Produkts als Marktzugangsvoraussetzung vor, liegt darin zugleich das Verbot, besagtes Produkt ohne CE-Zeichen auf dem Markt bereitzustellen.1 Die vorliegende Arbeit untersucht den Fall, dass Benannte Stellen verpflichtend einzuschalten sind. Eine Herstellererklärung, wie sie teilweise für die Anbringung eines CE-Zeichens genügt, reicht dann nicht aus.2 Ohne Vertrag mit einer Benannten Stelle und ohne positives Bewertungsergebnis in Form der Zertifizierung ← 11 | 12 →erhält das Produkt somit keinen Marktzugang. Erst nach erfolgreicher Zertifizierung (und der darauf folgenden Anbringung des CE-Zeichens) kann eine Ware europaweit zirkulieren. Die Zertifizierung löst die gesetzliche Vermutung dafür aus, dass das betreffende Produkt normkonform hergestellt wurde. Die Privaten sind damit die alleinigen Kontrollstellen für den Marktzugang der von der jeweiligen europäischen Richtlinie erfassten Produkte.

Dieser private Vollzug wurde mit dem sog. Neuen Konzept eingeführt.3 Das Neue Konzept regelt einen Markt, der einem Handelsvolumen von mehr als 1,5 Billionen Euro entspricht.4 Seine Grundlage hat es in dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, welches im nicht-harmonisierten Bereich entwickelt wurde5 und sich heute unmittelbar Art. 34 AEUV entnehmen lässt. Bei der gegenseitigen Anerkennung sind ausländische Normen und Verwaltungsstrukturen als gleichwertig mit den inländischen Normen und Strukturen anzusehen. Somit darf, schon nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ein in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenes Produkt innerhalb der Europäischen Union (EU) grundsätzlich keiner weiteren Zulassungskontrolle unterzogen werden.6 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wird jedoch ausgehebelt, sobald ein ← 12 | 13 →Rechtfertigungsgrund für eine Beschränkung vorliegt.7 Werden demgegenüber auf europäischer Ebene detaillierte, zwingende Produktanforderungen festgelegt, stellen sich diese Fragen der Anerkennung nicht, da in allen Mitgliedstaaten europäisch vereinheitlichte Anforderungen gelten. Eine solche sog. Vollharmonisierung erwies sich jedoch als nicht praktikabel,8 da sehr viele und ständig neue Normen erlassen werden mussten. Mit dem Neuen Konzept wurde der Mittelweg gewählt und ein Nebeneinander von Anerkennung und Rechtsangleichung eingeführt.9 Inhaltliche Anforderungen an die Produkte werden nur noch als Zielvorgabe in Richtlinienform erlassen, die Mitgliedstaaten erkennen ihre Zertifizierungen untereinander an und verzichten wechselseitig auf die Ausübung ihrer Staatsaufsicht.

Im Jahre 2008 wurde das Konzept mit dem sog. New Legislative Framework weiter verfestigt und institutionalisiert. Der New Legislative Framework umfasst drei Rechtsakte: die VO (EG) Nr. 765/200810 kodifiziert einheitliche Anforderungen an Organisation und Durchführung der Akkreditierung.11 Die Vereinheitlichung der Marktzugangskontrolle hatte nicht verhindern können, dass die voneinander abweichenden Akkreditierungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten zu einer unterschiedlich strengen Handhabung der Akkreditierungsanforderungen geführt hat.12 Die Verordnung regelt das System der Akkreditierung nun ← 13 | 14 →umfassend und nicht nur beschränkt auf das Ziel der Produktsicherheit.13 Daneben wurden Vorgaben zur parallelen behördlichen Marktüberwachung sowie zur Aufsicht erlassen. Diese entsprechen aber in großen Teilen dem auch schon zuvor praktizierten Vorgehen.14 In der VO (EG) Nr. 764/200815 wird das Verfahren geregelt, wie die mitgliedstaatlichen Behörden im nicht-harmonisierten Bereich gegen Produkte vorgehen können. Der Beschluss (EG) Nr. 768/200816 ermöglicht, dass künftige Rechtsetzungsverfahren einheitlich gestaltet werden. Er soll als eine Art „Musterrichtlinie“ fungieren und enthält erstmalig Begriffsbestimmungen, die bei allen zukünftig zu erlassenden Rechtsvorschriften zu beachten sein werden, Musterbestimmungen für die Notifizierung von Konformitätsbewertungsstellen, Vorschriften für die CE-Kennzeichnung und für die Geltendmachung eines formellen Einwandes gegen harmonisierte Normen, sowie Vorgaben für das Schutzklauselverfahren.

Das System von Akkreditierung und Zertifizierung ist ein Beispiel für eine sich entwickelnde, unionsweite Vollzugsstruktur, die nur noch teilweise auf die mitgliedstaatlichen Verwaltungen gegründet ist.17 Der Europäische Rat betrachtet das System als Erfolg und will es auf weitere Bereiche ausweiten.18 Die ← 14 | 15 →Vorschriften zu Produktregulierung und Konformitätsbewertung seien originelle und innovative Lösungen, um den Warenverkehr zu erleichtern.19 Auch die Europäische Kommission spricht davon, dass das Einschreiten des Staates in diesem Rahmen auf ein Minimum beschränkt werden sollte.20 Das Unionsrecht richtet sich damit immer mehr auf einen privaten Vollzug des Normprogramms aus.21

Die Privaten werden in der Regel im indirekten Vollzug eingebunden. Wegen seiner Verbindung von Handlungsweisen, Verfahren und Organisationsvorkehrungen wird das Recht der Akkreditierung und Zertifizierung auch im deutschen öffentlichen Wirtschaftsrecht als neues Regelungsmuster wahrgenommen.22 Das System der Akkreditierung ist im deutschen Recht zwar nicht unbekannt.23 Schon jetzt sind private Prüfstellen in zahlreichen Rechtsgebieten zu finden.24 Neu ist hingegen, dass das Ergebnis der sachverständigen Begutachtung durch gesetzliche Anordnung mit Rechtswirkungen ausgestattet wird – und diese sowohl national als auch transnational Wirkung entfalten. Auf nationaler ← 15 | 16 →Ebene wird insofern auch diskutiert, ob Genehmigungsverfahren zukünftig als Zertifizierungsverfahren ausgestaltet werden sollten.25 Ihnen kommt „Ausbreitungspotential“ zu.26 So entsteht mit der Zeit eine private Vollzugsstruktur, die dem behördlichen Vollzug in Struktur und Bindungen gleicht.

A. Problemstellung

Der private Vollzug stellt eine neue Vollzugsstruktur dar.27 Nach wie vor fehlt es aber an einer umfassenden Einordnung des privaten Vollzugs in die verwaltungs- und europarechtliche Dogmatik. So ist die Akkreditierung als Erscheinungsform von der allgemeinen Privatisierungsdogmatik bislang kaum wahrgenommen worden.28 Auch das Thema des EU-Zugriffs auf die exekutive Organisationsstruktur der Mitgliedstaaten wird „in der deutschen Literatur ← 16 | 17 →allmählich aufgegriffen, aber nicht zeitgerecht und hinreichend erörtert.“29 Dabei besteht gerade an der Schnittstelle von Europäisierung und Privatisierung das Bedürfnis, das Verwaltungsorganisationsrecht um neue Formen zu ergänzen.30 Dies liegt unter anderem daran, dass bisherige Arbeiten im Produktzertifizierungsrecht oftmals nur die europäische oder nur die deutsche Rechtsordnung untersuchten. Es ist Aufgabe der Verwaltungsrechtsdogmatik, das Gewährleistungsverwaltungsrecht näher zu strukturieren und fortzuentwickeln.31

Ebenso wenig sind die Zertifizierungen als Rechtsakte umfassend untersucht worden. Sie werden von privatrechtlich handelnden Stellen erlassen; zugleich werden an sie gesetzlich verschiedene Rechtswirkungen geknüpft. Ein einheitliches Recht der Zertifizierungsrechtsfolgen hat sich noch nicht herausgebildet.32 Die Mitgliedstaaten sowie die EU müssen der ihnen jeweils obliegenden verfassungsrechtlichen Verantwortung nachkommen, indem sie einen ordnungsgemäßen privaten Vollzug gewährleisten. Dem können sie insbesondere durch Schaffung eines Zertifizierungssonderrechts und einer Zertifizierungsaufsicht nachkommen. Das private Handeln richtet sich so nach dem Gemeinwohl aus. Diese Strukturen sind eingehend zu analysieren.

Das Verwaltungsrecht hat sich schließlich mit Blick auf die fortschreitende „Entterritorialisierung“ neuen Aufgaben zu stellen.33 Es sind transnationale Vorgänge in ihrem materiellen Entscheidungsgehalt zu erfassen und in die Legitimationsstrukturen und Schutzaufträge des mitgliedstaatlichen Rechts einzuordnen, sowie eine besondere Bestandskraftslehre zu entwickeln.34 Grenzüberschreitende Verwaltungsvorgänge stehen zwar zunehmend im Fokus der wissenschaftlichen Diskussion.35 Untersuchungen zu den Handlungsformen im indirekten Vollzug beschränken sich jedoch in aller Regel auf Verwaltungsakte mit rein innerstaatlicher ← 17 | 18 →Wirkung, staatengerichtete Entscheidungen der EU-Kommission sowie transnationale Verwaltungsakte.36 Die Diskussion im indirekten Vollzug ist um eine Handlungsform zu ergänzen: um private transnationale Vollzugsakte.

B. Zielsetzung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu zeigen, dass der private Vollzug von Unionsrecht eine eigenständige Variante des indirekten Vollzugs ist. Die Untersuchung ist bewusst breit aufgestellt, um die Besonderheiten des privaten Vollzugs umfassend zu analysieren. Völker- und europarechtliche Überlegungen werden ebenso herangezogen wie solche aus dem nationalen Wirtschaftsverwaltungsrecht und dem Privatrecht. Die Ausführungen sollen dabei auf den Bereich harmonisierter Normen beschränkt bleiben.37

Ein erstes Ziel ist es zu klären, wie sich die Akkreditierung in die deutsche Verwaltungsrechtsdogmatik zur Einbindung Privater einfügt. Die Ausführungen behandeln Fragen aus dem Verwaltungsverfahrensrecht, größtenteils ausgeklammert bleiben Fragen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, da auf andere Untersuchungen verwiesen werden kann, die überzeugend zu dem Ergebnis der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit kommen.38 Die Ausführungen konzentrieren sich dabei auf den privaten Vollzug durch Akkreditierung und Zertifizierung. Fragen der technischen Normung, die neben der Konformitätsbewertung die zweite Säule des Neuen Konzepts darstellt, werden nicht behandelt.39 In den Richtlinien selbst werden keine detaillierten Anforderungen an die Produkte, ← 18 | 19 →sondern nur im Groben Vorgaben für die freie Warenzirkulation formuliert. Diese Richtlinienvorgaben werden durch private europäische Normungsorganisationen näher konkretisiert und mittels eines Verweises in die jeweilige Rechtsnorm eingebunden. Erst durch den gesetzlichen Verweis erhalten die privaten Normen allgemein Verbindlichkeit. Ist dies geschehen, darf ein Mitgliedstaat an ein Produkt nur noch in Ausnahmefällen höhere Anforderungen stellen, beispielsweise wenn er die Fehlerhaftigkeit der europäischen Harmonisierungsnormen nachweist. Weiterhin soll die Zertifizierung als Privatrechtsakt näher erörtert werden. Zu analysieren sind die vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten sowie die Rechtsfolgen des Zertifizierungsaktes. Fragen zu Haftung und Rechtsschutz können hier nur eingeschränkt behandelt werden.40 Die Untersuchung bezieht sich dabei auf solche Zertifizierungen, die unter obligatorischer Einschaltung einer Benannten Stelle erfolgen müssen.41

Ziel ist es schließlich, den privaten Vollzug als Vollzugsart in der europäischen Rechtsordnung zu ergründen.42 Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem behördlichen und dem privaten indirekten Vollzug sollen herausgearbeitet und der Begriff dessen, was unter europäischer Verwaltung zu verstehen ist, aus funktionaler Sicht definiert werden. Zuletzt sind rechtsstaatliche und demokratische Anforderungen zu untersuchen. Nicht eingegangen werden soll demgegenüber auf die Konformitätsbewertung im Verhältnis zu Drittländern, ← 19 | 20 →also solchen außerhalb der EU. Ebenso wenig behandelt wird die internationale Konformitätsbewertung.

C. Gang der Untersuchung

In einem ersten Kapitel zum Unionsrechtsvollzug sind die Rahmenbedingungen des privaten Vollzugs im Produktzulassungsrecht zu erörtern: Kompetenzen, Vollzugsarten sowie mögliche Varianten der Einbindung Privater.

Im zweiten Kapitel soll auf die organisationsrechtliche Stellung der Privaten eingegangen werden. Der private Vollzug wird zunächst aus Sicht der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung untersucht, da im indirekten Vollzug die organisationsrechtliche Stellung der Vollzugsbeteiligten maßgeblich durch das nationale Recht geprägt wird. Eingangs soll die Pflicht des Staates zur Gewährleistung der Produktsicherheit geklärt werden, da sich aus dem Verfassungsrecht Anforderungen an jeden privaten Vollzug ergeben.43 Anforderungen können sich außerdem aus dem Unionsrecht ergeben, wenn dieses vorrangige organisationsrechtliche Regelungen enthält. Es gilt, das anwendbare Organisationsrecht zu bestimmen. Sodann wird gezeigt, dass die Akkreditierung als Sonderfall der Privatisierung zu verstehen ist; es werden ihre grundlegenden Eigenschaften anhand der gesetzlichen Vorgaben, sowie anhand ihrer Einbettung in übergeordnete Strukturen dargestellt.44 Die Rechtsfigur des sog. Verifikateurs, eines administrativ eingebundenen privaten Sachverständigen, an dessen Prüfungsergebnis gesetzlich bestimmte Rechtsfolgen knüpfen, lässt sich zur Beschreibung der Benannten Stellen nutzen, muss aber europäisch weitergedacht werden. Schließlich wird die Akkreditierung aus legitimationsrechtlicher Sicht beschrieben.

Im Schrifttum ist die Zertifizierung wahrgenommen, wenn auch als Rechtsfigur nicht näher analysiert worden. Dies soll im zweiten Kapitel dieser Arbeit geschehen.45 Die Zertifizierung ist die Bestätigung, dass das untersuchte Produkt normkonform hergestellt wurde. Sie ist die „Handlungsform“ der Benannten Stelle. Zertifizierungen sind als Rechtsakt eine Herausforderung für das deutsche Recht: Sie ergehen im Rahmen eines Vertrags zwischen Privaten, entfalten grenzüberschreitende Wirkung, binden in einem gewissen Rahmen die behördliche Marktüberwachung, und können der Grund dafür sein, dass ein europäisches Verwaltungsverfahren anzustrengen ist. Die Konformitätsbewertung ← 20 | 21 →erfolgt im Rahmen des Zertifizierungssonderrechts, das sowohl auf private als auch an öffentliche Vollzugseinheiten anwendbar ist.

Im dritten Kapitel wird eine europarechtliche Perspektive eingenommen. Auch hier werden mit der europäischen Gewährleistungsverantwortung zunächst die verfassungsrechtlichen Grundlagen beschrieben.46 Kernthese ist, dass die Privaten als Vollzugseinheiten Teil der funktionalen europäischen Verwaltungsstruktur sind.47 Es wird vermutet, dass die Zertifizierung ähnlichen Strukturen wie der transnationale Verwaltungsakt folgt. Geltung und Wirkung der Zertifizierung sind zu analysieren. Schließlich ist die Tätigkeit der Benannten Stellen in das europäische Verwaltungsrecht einzuordnen. Ausgangspunkt dafür ist der funktionale Charakter des Unionsrechts und seiner Durchführung.48 Daher ist der Begriff dessen, was unter europäischer Verwaltung verstanden wird, funktional zu definieren. Zum Abschluss ist auf die Bindungen im privaten Vollzug einzugehen.49

Im vierten und letzten Kapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst und abschließend bewertet.← 21 | 22 →

___________

Details

Seiten
192
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653048322
ISBN (ePUB)
9783653978285
ISBN (MOBI)
9783653978278
ISBN (Paperback)
9783631656075
DOI
10.3726/978-3-653-04832-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (April)
Schlagworte
Zertifizierungssonderrecht Transnationale Vollzugsakte Akkreditierung Unionsrechtsvollzug
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 192 S.

Biographische Angaben

Rose von Richthofen (Autor:in)

Rose von Richthofen, 1985 in Aachen geboren, studierte Rechtswissenschaften in Saarbrücken, Lausanne und Münster. Anschließend arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht der Universität Münster, wo sie auch promovierte. Ihr Referendariat absolvierte sie am Kammergericht Berlin.

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