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CLIL Revisited

Eine kritische Analyse zum gegenwärtigen Stand des bilingualen Sachfachunterrichts

von Bernd Rüschoff (Band-Herausgeber:in) Julian Sudhoff (Band-Herausgeber:in) Dieter Wolff (Band-Herausgeber:in)
©2015 Sammelband 385 Seiten

Zusammenfassung

CLIL Revisited liefert eine kritische Analyse des als CLIL oder bilingualer Sachfachunterricht bezeichneten Unterrichtskonzepts. Zentrale Fragen, die in der Forschung und in den beteiligten Didaktiken zur Debatte stehen, werden innerhalb des Sammelbands aufgegriffen und mit Hinblick auf den aktuellen Stand der Diskussion reflektiert und aufgearbeitet. Das Buch greift in sechs Kapiteln folgende Schlüsselthemen auf: 1. Stand der Diskussion zur Definition von CLIL. 2. Ausgestaltung von CLIL im öffentlichen Schulwesen. 3. Erwerb sprachlicher Kompetenzen in CLIL-Kontexten. 4. Erwerb sachfachlicher Kompetenzen in CLIL-Kontexten. 5. Gestaltung von Fach- und Sprachunterricht in CLIL-Kontexten. 6. Lehrerausbildung für den CLIL-Unterricht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1. Zur Definition des Bilingualen Lehrens und Lernens
  • 2. Kritische Überlegungen zur Ausgestaltung von CLIL im öffentlichen Schulwesen
  • 2.1. Bilingualer Unterricht in der Grundschule
  • 2.2. Bilingualer Unterricht in den weiterführenden Schulen
  • 2.3. CLIL und der tertiäre Sektor
  • 3. Kritische Überlegungen zum Erwerb der fremdsprachlichen Kompetenzen in CLIL-Kontexten
  • 3.1. Zum Erwerb der CLIL-Fremdsprache
  • 3.2. Zum Erwerb der CLIL-Fremdsprache durch Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund
  • 4. Kritische Überlegungen zum Erwerb sachfachlicher Kompetenzen in CLIL-Kontexten
  • 4.1. Sachfachlicher Kompetenzerwerb in gesellschaftswissenschaftlichen CLIL-Kontexten
  • 4.2. Sachfachlicher Kompetenzerwerb in naturwissenschaftlichen CLIL Kontexten
  • 4.3. Sachfachlicher Kompetenzerwerb im CLIL-Kontext des Faches Kunst
  • 5. Kritische Überlegungen zur Gestaltung von Fach- und Sprachunterricht in CLIL-Kontexten
  • 5.1. Zum Stand der Entwicklung einer CLIL-Didaktik für den bilingualen Unterricht: Vier Grundmodelle und das (ewig?) uneingelöste, aber einlösbare Versprechen reflexiver Lernprozesse
  • 5.2. Zur Integration von Sachfach und Sprache im CLIL-Unterricht
  • 5.3. Zur Fächerproblematik im CLIL-Unterricht
  • 5.4. Zur Materialentwicklung im bilingualen Sachfachunterricht
  • 5.5. Transkulturelles Lernen im CLIL-Unterricht
  • 5.6. Zur affektiv-motivationalen Entwicklung von Lernenden im bilingualen Sachfachunterricht
  • 6. Kritische Überlegungen zur Ausbildung von CLIL-Lehrern
  • 7. CLIL Revisited – Eine Synthese
  • Autorenverzeichnis
  • Reihenübersicht

Vorwort

Der bilinguale Sachfachunterricht hat Hochkonjunktur. Wo immer man sich mit dem Fremdsprachenlernen beschäftigt – ob auf europäischer oder nationaler Ebene –, wird dem Konzept hohes Lob zuteil. Überall in Deutschland finden sich Formen bilingualen Lehrens und Lernens, und deshalb hat auch die Zahl der Schulen, in denen Sachfächer bilingual unterrichtet werden, nunmehr die Marke von 1500 überschritten.

Der bilinguale Unterricht wird als der Königsweg zur Vermittlung hoher fremdsprachlicher Kompetenzen angesehen. Diese positivistische und oft recht unkritische Grundhaltung gegenüber bilingualem Lehren und Lernen spiegelt sich auch in vielen Veröffentlichungen zu diesem pädagogischen Konzept wider. Ein Großteil der immer zahlreicher werdenden Monographien und Aufsätze heben auf die Beschreibung des sprachlichen und fremdsprachendidaktischen Mehrwerts von bilingualem Unterricht ab und schließen aufgrund ihrer euphorischen Note kritische Stellungnahmen nahezu aus. Vereinzelte kritische Auseinandersetzungen mit bilingualem Unterricht beziehen auch den sachfachlichen Mehrwert mit ein und stützen sich erfreulicherweise überwiegend auf Ergebnisse von Forschungsprojekten, werden aber in der allgemeinen Euphorie nur am Rande zur Kenntnis genommen.

Der vorliegende Sammelband geht darüber hinaus und liefert eine systematische und kritische Analyse dieses Unterrichtskonzeptes. Zentrale Fragen, die in den beteiligten Didaktiken und in der Forschung zum bilingualen Unterricht immer wieder, aber nur selten kritisch, diskutiert werden, werden durch ausgewiesene Fachleute reflektiert und aufgearbeitet. Dabei fügt sich das Buch in die derzeitige dynamische Entwicklung ein, durch die sich die Zugangsperspektive zum bilingualen Unterricht verändert. Während früher insbesondere fremdsprachendidaktische Herangehensweisen vorherrschten, sind es heute Akteure aus verschiedensten Disziplinen, die das Wissen um und das Verständnis für bilinguales Lehren und Lernen bereichern.

In diesem Sinne werden in den folgenden Kapiteln Schlüsselthemen des bilingualen Lehrens und Lernens (engl.: Content and Language Integrated Learning, CLIL) aufgegriffen. Am Anfang steht das nach wie vor kontrovers diskutierte Thema einer Definition des bilingualen Lehrens und Lernens. Im zweiten Kapitel wird anhand von drei Beiträgen ausgelotet, wo die Grenzen der Implementierungsmöglichkeiten von CLIL im öffentlichen Schul- und ← 7 | 8 → Bildungswesen liegen. Dabei werden Grundschule, Sekundarschule sowie der tertiäre Sektor betrachtet. Zweifellos spielt die Diskussion um den Erwerb sprachlicher und sachfachlicher Kompetenzen im CLIL-Kontext eine wichtige Rolle. Ihr sind die nächsten beiden Kapitel gewidmet. So wird zunächst ein kritischer Blick darauf geworfen, welche Rolle der CLIL-Unterricht beim Erwerb der neuen Sprache, aber auch bei der weiteren Entwicklung der Muttersprache spielt. Ein weiteres Kapitel öffnet sich einer von vielen Facetten der Heterogenität von Lerngruppen und widmet sich dem Erwerb der CLIL-Sprache von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Im Hinblick auf den sachfachlichen Mehrwert von CLIL wird im folgenden Kapitel kritisch analysiert, wie und in welchem Maße sachfachliche Kompetenzen in sozialwissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen und musischen Fächern erworben werden. Im vorletzten Kapitel geht es um die Gestaltung von Fach- und Sprachunterricht in CLIL-Kontexten. Hier werden kontroverse Fragen, wie die nach einer eigenständigen CLIL-Didaktik, nach der Integration von Sachfach und Sprache, aber auch nach der Fächerproblematik, der Materialentwicklung, der Entwicklung transkultureller Kompetenzen und der motivationalen und affektiven Entwicklung von Lernenden im CLIL-Kontext diskutiert. Im letzten Kapitel werden Überlegungen zur Ausbildung von CLIL-Lehrern dargestellt. Das Buch findet seinen Abschluss in einer Synthese, in der die kritischen Stimmen der Beitragenden gebündelt werden, um einen Ausblick auf die Zukunft bilingualen Lehrens und Lernens zu wagen.

Die Herausgeber danken der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) für die erfolgreiche Zusammenarbeit und die Möglichkeit diesen Sammelband in der F.A.L.-Reihe zu veröffentlichen. Unser Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Peter Lang Verlags und hier insbesondere Herrn Michael Rücker. Der Universität Duisburg-Essen und dem dort verorteten Science Support Center sei für ihre finanzielle Unterstützung gedankt. Den Autorinnen und Autoren gebührt unser herzlicher Dank für ihre Kooperation, die Qualität ihrer Beiträge und ihr großes Engagement im Rahmen dieses Buchprojektes. Unser besonderer Dank gilt nicht zuletzt Ilona Russius für ihren so sorgfältigen und großen Einsatz bei der Herstellung des Buchmanuskripts.

Essen, im April 2015

Bernd Rüschoff

Julian Sudhoff

Dieter Wolff

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Dieter Wolff, Universität Wuppertal Julian Sudhoff, Universität Duisburg-Essen

1 Zur Definition des Bilingualen Lehrens und Lernens

The definition and scope of the term CLIL both internally, as used by CLIL advocates in Europe, and externally, as compared with immersion education in and outside Europe, indicate that the core characteristics of CLIL are understood in different ways (Cenoz / Genesee / Gorter 2013: 1).

1.1Einleitung

Mit dem Bilingualen Lehren und Lernen1 thematisiert der vorliegende Sammelband ein didaktisch-methodisches Konzept, das man im weitesten Sinne als das Vermitteln und Lernen von Sachfächern oder Lernbereichen in einer anderen als der jeweiligen Schul- oder Landessprache definieren kann. Das Konzept wird in den europäischen Ländern, in deren Schulsystemen es implementiert wurde, unterschiedlich interpretiert, ausgestaltet und bezeichnet. Selbst innerhalb der einzelnen europäischen Länder gibt es verschiedene Meinungen darüber, was das Konzept im Kern beinhaltet. Die Vielzahl von Bezeichnungen und dahinter stehenden Ausprägungsformen macht es schwer, zu einer allgemein akzeptierten Definition zu gelangen. Eine solche wird allerdings von praktizierenden Lehrpersonen, von Schulverwaltungen und Behörden sowie von Forschergruppen immer wieder angemahnt. Dabei lösen gerade letztere häufig Verwirrung aus, weil sie auf eher allgemeingültige und dadurch vage formulierte Begrifflichkeiten zum bilingualen Lehren und Lernen zurückgreifen bzw. sich auf Begrifflichkeiten festlegen, ohne sie wirklich zu definieren.

Zwei Beispiele sollen genügen, um diese Problematik deutlich zu machen. Innerhalb der viel zitierten Studie Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-In ← 9 | 10 → ternational (DESI) wurde eine „Englisch bilinguale Teilstichprobe“ (Nold et al. 2008: 453) bei bilingual unterrichteten Schülern der neunten Klasse erhoben und festgestellt, dass diese „ein sprachliches Niveau erreichen, das bei vergleichbaren Klassen ohne ein bilinguales Programm in der Regel erst in der Sekundarstufe II erreicht wird“. Während in diesem Forschungskontext durchgängiger und mehrere Fächer einschließender bilingualer Sachfachunterricht an Gymnasien untersucht wurde, analysiert eine ebenfalls viel zitierte Forschergruppe um Zaunbauer und Möller Grundschulkinder, die immersiv unterrichtet wurden. Immersionsunterricht wird dabei als eine Integration von Sprach- und Fachunterricht definiert. Es sei eine Form von bilingualem Unterricht, „bei welchem die Schüler im Zuge der Einschulung in die L2 eintauchen“ (Zaunbauer/Möller 2006: 181). So spannend die in der Untersuchung gewonnenen Ergebnisse auch sind (keine Nachteile von Immersionsschülern beim Lesen und Schreiben in der L1, höhere Mathematikleistungen als bei monolingual unterrichteten Schülern; cf. hierzu Zaunbauer/Möller 2010: 30), so wird dennoch nicht deutlich, dass sie einem gänzlich anderen Konzept des bilingualen Lehrens und Lernens entspringen Beide Untersuchungen können weder miteinander verglichen werden, noch können ihre Ergebnisse auf bilinguales Lehren und Lernen per se übertragen werden.

Dies ist sicherlich von den beteiligten Forschergruppen auch nicht intendiert, es gibt aber sehr wohl die Tendenz unter praktizierenden Lehrpersonen, Schulverwaltungen, Behörden und Forschern solche (positiven) Ergebnisse herauszugreifen, um ganz allgemein den Mehrwert bilingualen Lehrens und Lernens hervorzuheben. Diesbezüglich möchten wir zu äußerster Vorsicht mahnen und gleichzeitig über unsere Ausführungen zur Definition des bilingualen Lehrens und Lernens eine Grundlage schaffen, die ein solches Vorgehen verhindert. Dabei sollen unsere Definitionsbemühungen dazu beitragen, verschiedene Kontexte bilingualen Lehrens und Lernens unterscheiden zu können. Auf diese Weise wäre es möglich, Erkenntnisse, die gleichen Kontexten bilingualen Lehrens und Lernens entstammen, im Sinne einer wissenschaftlichen Konsolidierung zusammenzuführen und zu vergleichen. Erkenntnisse, die in unterschiedlichen Kontexten gewonnen werden, können gleichzeitig voneinander separiert werden. ← 10 | 11 →

Bisherige Versuche, das Konzept des bilingualen Lehrens und Lernens definitorisch eindeutig zu fassen, nehmen meist auf die jeweils im eigenen Land praktizierten Varianten Bezug und können daher keinen Allgemeingültigkeitsanspruch erheben. Im Sinne von Karl Popper (2010: 447)2 soll in diesem Beitrag hingegen allgemein von den praktischen Umsetzungen des Konzeptes ausgegangen werden, statt es durch eine willkürlich gewählte Definition von vorneherein festzulegen: Der Gebrauch legt eine Definition fest, nicht aber die Definition den Gebrauch. Das Prinzip der Gebrauchsdefinition von Popper charakterisiert im weitesten Sinne die folgenden Ausführungen. Im Sinne von Leisen (in diesem Band), sollte man sich darüber hinaus auch daran erinnern, dass eine Definition eine mühsam errungene komplexe Erkenntnis reduziert, ihr zwar eine gewisse Struktur gibt, sie aber auch simplifiziert. Dadurch kann sie diese Erkenntnis im günstigsten Fall zusammenfassen, im ungünstigsten aber unverständlich machen und beschneiden.

Ausgehend von dem, was in europäischen Ländern im Rahmen des bilingualen Lehrens und Lernens geschieht und unter Einbeziehung der hierfür entwickelten Bezeichnungen und Definitionen soll hier der Versuch unternommen werden, die Vielzahl der Faktoren zusammenzustellen, welche für dieses Konzept in institutionalisierten Unterrichtskontexten charakteristisch sind. Denn in ihrer Gesamtheit bestimmen diese den Gebrauch des Begriffs und stellen deshalb auch seine am weitesten gefasste Definition dar. Die Definitionen, die in der Literatur zu finden sind, können dann mit dieser von der praktischen Umsetzung des Begriffs ausgehenden Gebrauchsdefinition abgeglichen und im Hinblick auf den Grad ihrer Zugehörigkeit zum Konzept des bilingualen Lehrens und Lernens überprüft werden. Ein solches Vorgehen ermöglicht es auch, Varianten des Konzeptes innerhalb eines spezifischen Bildungssystems zu erfassen und im Hinblick auf ihre Unterschiede zu beschreiben. Exemplarisch wird dieser Zugang im letzten Abschnitt dieses Beitrags vorgestellt. ← 11 | 12 →

Natürlich entspricht eine solche „deskriptive“ Gebrauchsdefinition nicht dem, was man gemeinhin unter der Definition eines bestimmten Konzeptes versteht, allerdings setzt sie sich nicht der Gefahr aus, als einseitig oder als das Konzept nicht angemessen beschreibend angegriffen zu werden. Sie ist zwar sehr breit angelegt und vielleicht manchmal etwas schwer zu handhaben, auf der anderen Seite aber ermöglicht sie es, das gesamte Phänomen zu fassen und es von anderen benachbarten Konzepten zu trennen. Wenn Baetens Beardsmore (1993: 3) mit seiner Feststellung „there is no single blue-print of content and language integration that can be applied in the same way in different countries“ Recht hat – und daran besteht kein Zweifel – dann ist der vorgeschlagene Weg, zu einer umfassenden Definition des Konzeptes zu gelangen, zumindest für uns der einzig gangbare Weg. Unsere Überlegungen zur Definition des bilingualen Lehrens und Lernens werden also nicht einmünden in eine knappe, hieb- und stichfeste Begriffsbestimmung, sie werden sich vielmehr als breit angelegtes Faktorengeflecht darstellen, das versucht, allen Varianten gerecht zu werden (cf. hierzu auch Coyle / Hood / Marsh 2010: 44)3.

Aus diesen Vorüberlegungen ergibt sich für den Beitrag diese Gliederung: Im folgenden Abschnitt werden wir ausgehend von einem kurzen historischen Exkurs die wichtigsten Termini aufgreifen, die im Zusammenhang mit dem Konzept des Bilingualen Lehrens und Lernens kursieren, und ihre Definitionen festhalten. Einer dieser Definitionsversuche, der die Häufigkeit des Gebrauchs der Ziel- und der Ausgangssprache im Klassenzimmer in den Mittelpunkt rückt, soll dann im nächsten Abschnitt genauer betrachtet werden. Hier soll mit Hilfe einer Befragung von Lehrpersonen ermittelt werden, inwieweit sich relevante Unterschiede ergeben, die es sinnvoll erscheinen lassen, einen solchen Parameter als trennscharf zu werten. Dies ermöglicht es uns dann im folgenden Abschnitt weitere Merkmale, die die verschiedenen Arten von bilingualem Lehren und Lernen charakterisieren, zu erarbeiten. Am Ende unseres Beitrags soll dann eine zusammenfassende Beschreibung des Konzeptes stehen, die durch eine exemplarische Gebrauchsdefinition ergänzt wird. Dies soll die Zweckmäßigkeit unseres Vorgehens unter Beweis stellen. ← 12 | 13 →

1.2Bezeichnungen, Begrifflichkeiten und Definitionen

Die ersten Schulen, die ihre Schüler nach den Prinzipien des bilingualen Lehrens und Lernens in einer anderen als der Schulsprache unterrichteten, waren nationale Prestigeschulen oder internationale Schulen, später kamen dann die so genannten Europaschulen dazu, die an Standorten europäischer Institutionen gegründet wurden. Zweifellos haben und hatten diese Schulen einen elitären Charakter, der allerdings weniger durch finanzielle Aspekte als vielmehr durch die soziale Auslese der jeweiligen Schülerpopulation bestimmt wird.

Seit geraumer Zeit kann man nun einen Demokratisierungsprozess beobachten, d. h., es werden in ganz Europa mehr und mehr staatliche (und private) Schulen gegründet, die es ermöglichen, Inhalte des Schulcurriculums in einer anderen als der jeweiligen Landessprache zu lernen. Die rasche Zunahme solcher Angebote vor allem innerhalb der letzten zwanzig Jahre ist wohl zum größten Teil darauf zurückzuführen, dass die Europäische Union den Gedanken der so genannten funktionalen Mehrsprachigkeit, d. h. Kompetenzen in der Mutter- und in wenigstens zwei Fremdsprachen auf einem möglichst hohen berufstauglichen Niveau, in den Mittelpunkt ihrer sprachpolitischen Überlegungen rückte. Unter den möglichen Maßnahmen zum Erreichen dieses Ziels wurden u. a. der Frühbeginn des Fremdsprachenunterrichts und das bilinguale Lehren und Lernen genannt. Es waren diese Überlegungen, die dazu führten, dass die Mitgliedsländer ihr bilinguales Angebot erheblich ausbauten oder, wenn noch kein solches existierte, es entwickelten. Die Zahl der heute in Europa bilingual unterrichtenden Schulen ist seit der Jahrtausendwende exponentiell angewachsen; man kann sagen, dass jedes europäische Land ein solches Angebot als Wahlangebot oder sogar verpflichtend bereithält4.

Es kann eigentlich nicht überraschen, dass sich in einem so diversifizierten politischen Gebilde, wie es die Europäische Union darstellt, unterschiedliche Konzepte des bilingualen Lehrens und Lernens entwickelt haben und auch unterschiedlich bezeichnet werden. Institutionelle Zwänge, sprachenpoli ← 13 | 14 → tische Überzeugungen, didaktische Traditionen und viele andere Aspekte haben dazu beigetragen, dass sich Begrifflichkeiten entwickelt haben, die im Hinblick auf das unterliegende gemeinsame Grundkonzept oft kaum noch erkennbar sind und deshalb zu großen Verständigungsschwierigkeiten im akademischen und pädagogischen Diskurs führen. Diese Beobachtung gilt selbst für einzelne Länder, vor allem für föderalistisch strukturierte Staaten, in welchen Grundprinzipien des bilingualen Lernens unterschiedlich interpretiert werden. Hier wollen wir einige der wichtigsten innerhalb des Begriffsfeldes Bilinguales Lehren und Lernen gebrauchten Bezeichnungen vorstellen und sie im Hinblick auf die ihnen zugeteilten Bedeutungen erläutern. Es geht nicht nur um Begriffe, die das Konzept in seiner Gesamtheit bezeichnen, sondern auch um solche, die nur auf bestimmte Merkmale des Konzeptes verweisen. Daher soll eine Unterteilung in diese beiden Kategorien vorgenommen werden.

(1) Begriffe, die das Konzept in seiner Gesamtheit bezeichnen

Der am häufigsten gebrauchte Begriff zur Bezeichnung des bilingualen Lehrens und Lernens ist der englischsprachige Begriff CLIL (Content and Language Integrated Learning). EURYDICE (2006: 8) definiert CLIL wie folgt: “CLIL refers to the teaching of a current subject other than foreign languages in more than one language”. Diese Definition wurde 2010 (cf. Marsh et al. 2010: 2) weiter modifiziert: “CLIL is a dual-focused approach in which an additional language is used for the learning and teaching of both content and language”. Der Terminus CLIL wird in vielen europäischen Ländern unverändert als dieses englische Akronym gebraucht, während sich in anderen sinngemäße Übersetzungen finden, z. B. in Frankreich EMILE (Enseignement d’une Matière Integrée dans une Langue Etrangère), in Spanien AICLE (Apprendizaje Integrado de Contenidos y Lenguas Extranjeras) oder in Italien AILC (Apprendimento Integrato di Lingua et Continuti).

Die Bezeichnung Bilingualer Sachfachunterricht ist weitgehend dem deutschsprachigen Kontext vorbehalten. Allerdings wird der Begriff heute überwiegend nur noch in Deutschland verwendet, in Österreich und der deutschsprachigen Schweiz – und das zeigt, wie groß das Definitionsproblem ist – wird der Begriff CLIL gebraucht. Im Gegensatz zu CLIL steht für den Begriff Bilingualer Sachfachunterricht eine einheitliche Definition bisher ← 14 | 15 → aus. Häufig findet man Aussagen wie „Bilingualer Unterricht ist Unterricht in zwei Sprachen. Über den traditionellen Fremdsprachenunterricht hinaus werden auch Teile des Fachunterrichts in der Fremdsprache erteilt“ (Bericht der KMK 2006)5. Oft wird statt bilingualem Sachfachunterricht auch der Begriff Fachunterricht in der Fremdsprache verwendet. Auch der Gebrauch der Fremdsprache als Arbeitssprache findet sich in diesem Kontext.

Der Begriff Immersion (immersion), der häufig im Zusammenhang bilingualen Lehrens und Lernens verwendet wird, stammt aus dem kanadischen Kontext. Von Immersion spricht man dort allgemein, wenn eine Fremdsprache im Unterricht zur Vermittlung von Fachinhalten eingesetzt wird (cf. z. B.: Baker/Jones 1998). Im Gegensatz zu CLIL und auch zum bilingualen Sachfachunterricht ist im Immersionsunterricht die Fremdsprache Medium, aber nicht Inhalt des Unterrichts. Im deutschen Kontext wird der Begriff von einigen Autoren (z. B. Wode 1995: 12) synonym mit dem Begriff Bilingualer Sachfachunterricht verwendet: „Der Terminus Immersion bezeichnet die Methode, eine Fremdsprache als Unterrichtssprache zur Vermittlung von Fachinhalten zu verwenden.“ Grundsätzlich wird der Begriff Immersion im deutschsprachigen Kontext aber heute stärker für das spielerische Fremdsprachenlernen im vorschulischen Bereich und zum Teil auch für bilinguales Lernen in der Grundschule verwendet (cf. auch Elsner/Keßler 2013).

Schließlich soll hier noch der Begriff Bilinguale Erziehung (bilingual education) genannt werden. Er bezeichnet alle Formen zwei- und mehrsprachiger Erziehung in institutionalisierten Kontexten. Die von uns bisher genannten Begriffe lassen sich diesem Terminus zuordnen, alle bezeichnen Formen bilingualer Erziehung. Die begriffliche Breite – der Begriff deckt nach Baker/Jones (1998) sowohl submersive als auch transitionale Formen6 ← 15 | 16 → ab, die letztlich zur Einsprachigkeit führen, aber auch immersive und Herkunftssprachen erhaltende Formen, die auf eine abgesicherte Zwei- oder Mehrsprachigkeit abzielen – befördert aber auch die Vagheit des Terminus. Wenn der Begriff bilinguale Erziehung verwendet wird, ist immer danach zu fragen, um welche Form von bilingualer Erziehung es sich handelt.

(2) Begriffe, die Organisationsformen und Modelle des bilingualen Unterrichts bezeichnen

Wir kommen jetzt zu Begrifflichkeiten, welche den bilingualen Unterricht nicht mehr als Ganzes, sondern aus bestimmten Perspektiven zu beleuchten versuchen. In diesem Abschnitt geht es um die organisatorische Implementierung des Konzeptes in die europäischen Schulsysteme und die damit verbundenen Begrifflichkeiten.

Bilingualer Unterricht in der Grundschule (primary CLIL) bezieht sich auf zweisprachige Unterrichtsangebote im Grundschulbereich. Bestimmte Fächer oder Lernbereiche werden in einer anderen als der Schulsprache unterrichtet. Bilingualer Unterricht in der Grundschule erfreut sich nicht nur in Deutschland immer größerer Beliebtheit, sollte aber nicht mit Immersion verwechselt werden. Die Sprache ist nicht nur Medium, sondern auch Inhalt, d. h., es wird im Unterricht auch bewusst auf sie fokussiert. Dies unterscheidet den bilingualen Unterricht in der Grundschule methodisch von der Immersion, wo (cf. oben) die Fremdsprache weitgehend Medium aber nicht Unterrichtsinhalt ist. Wichtig ist, dass bilingualer Unterricht in der Grundschule nicht bedeutet, dass ein Lernbereich über einen längeren Zeitraum nur in der Fremdsprache unterrichtet wird. Schulsprachliche und fremdsprachliche Elemente können einander abwechseln, selbst in einer einzelnen Unterrichtsstunde können und sollten beide Sprachen verwendet werden.

Der Begriff Bilingualer Sachfachunterricht, den wir oben bereits eingeführt haben, bezieht sich organisatorisch vor allem auf die weiterführenden Schulen und besitzt verschiedene Organisationsformen, die sich aus der allgemeinen Definition nicht entnehmen lassen. Die beiden Realisierungs ← 16 | 17 → möglichkeiten in Deutschland sind die Bilingualen Bildungsgänge und der so genannte Modulare Bilinguale Unterricht.

Der Begriff Bilingualer Bildungsgang (auch bilingualer Zweig oder bilingualer Zug) wird von Krechel (2013: 74) als ein institutionell verankertes und deutlich strukturiertes weitgehend fremdsprachliches Bildungsangebot für weiterführende Schulen verstanden, „mit einem Kontinuum in zumeist mehreren Sachfächern bis zur Qualifizierungsphase mit bilingualem Abitur in mindestens einem Sachfach“. Der Begriff bezeichnet die Form des bilingualen Lehrens und Lernens, die sich in Deutschland seit Ende der sechziger Jahre entwickelt hat. Schulorganisatorisch spielen zwei Aspekte eine wichtige Rolle, zum einen, dass der Sachfachunterricht in der Fremdsprache auf eine bestimmte Wochenstundenzahl festgelegt ist (meist 2–3 Stunden wie der schulsprachliche Unterricht im Sachfach), zum anderen, dass neben dem fremdsprachlichen Sachfachunterricht die fremde Sprache auch im Fremdsprachenunterricht angeboten wird.7

Der Begriff Modularer Bilingualer Unterricht (modular CLIL) bezeichnet einen Unterricht, in dem ein Fach nicht durchgängig über einen längeren Zeitraum in einer anderen Sprache unterrichtet wird. Die beiden Sprachen werden vielmehr flexibel verwendet; fremd- und schulsprachliche Unterrichtsphasen wechseln einander ab. So kann z. B. im Geschichtsunterricht ein Thema in der Fremdsprache, das folgende in der Schulsprache unterrichtet werden. Ein anderer Zugang besteht darin, nur bestimmte Aspekte eines Themas, z. B. durch Vorlage fremdsprachlicher Quellentexte, in der fremden Sprache zu bearbeiten, andere in der Schulsprache. Verfechter des modularen bilingualen Unterrichts (z. B. Krechel 2013) sind der Auffassung, dass durch einen solchen Unterricht das Verständnis der Lernenden für den Gebrauch einer Fremdsprache als Arbeitssprache im beruflichen Kontext geweckt werden kann und damit ein höherer Motivationseffekt für das Lernen dieser Sprache erreicht wird. ← 17 | 18 →

Im englischsprachigen Raum wird mit dem Begriff Tertiary CLIL (oder CLIL in Tertiary Education) eine Organisationsform von CLIL benannt, die sich auf das Unterrichten akademischer Fächer in einer anderen als der Landessprache an Universitäten und anderen Hochschulen bezieht. Im Deutschen gibt es dafür keine eigentliche Bezeichnung, allerdings sind auch in deutschsprachigen Ländern universitäre Programmangebote insbesondere in englischer Sprache durchaus üblich und werden sogar immer zahlreicher. Die Fremdsprache hat hier im weitesten Sinn den Charakter einer Arbeitssprache.

Details

Seiten
385
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653049725
ISBN (ePUB)
9783653973822
ISBN (MOBI)
9783653973815
ISBN (Hardcover)
9783631656624
DOI
10.3726/978-3-653-04972-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (August)
Schlagworte
fremdsprachliche Kompetenzeh sachfachliche Kompetenzen Sprachförderung Lehrerausbildung sprachsensibler Unterricht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 385 S., 12 s/w Abb., 5 Tab.

Biographische Angaben

Bernd Rüschoff (Band-Herausgeber:in) Julian Sudhoff (Band-Herausgeber:in) Dieter Wolff (Band-Herausgeber:in)

Bernd Rüschoff ist Professor für Angewandte Linguistik und Sprachdidaktik des Englischen an der Universität Duisburg-Essen. Julian Sudhoff ist Akademischer Rat für Sprachdidaktik des Englischen an der Universität Duisburg-Essen. Dieter Wolff ist emeritierter Professor für Anwendungsbezogene Sprachverarbeitung an der Bergischen Universität Wuppertal.

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Titel: CLIL Revisited
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