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Die Gemeinwohlaufgabe von Rechnungshöfen

Finanzkontrolle von Regierung und Verwaltung

von Dietrich Schulte (Autor:in)
©2014 Dissertation 208 Seiten

Zusammenfassung

Gemeinwohl ist das Ziel der staatlichen Gemeinschaft, das diese durch Entscheidungen des Parlaments anstrebt. Die jährlichen Berichte der Rechnungshöfe von Bund und Ländern über die Haushalts- und Wirtschaftsführung von Regierung und Verwaltung sind eine wesentliche Grundlage für die parlamentarische Kontrolle. Die Arbeit zeigt am Beispiel des Bundesrechnungshofs Möglichkeiten für eine wirksamere Finanzkontrolle auf. So sollte der Bundestag den Bericht des Rechnungshofs öffentlich erörtern und dem Präsidenten ein Anhörungsrecht gewähren. Dieser nimmt Aufgaben als Beauftragter der Regierung für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung unter Inanspruchnahme des Rechnungshofs wahr. Das ist verfassungswidrig. Der Autor schlägt Alternativen für die Wahrnehmung dieser Aufgaben vor.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • 1. Einführung
  • 2. Gang der Untersuchung
  • B. Gemeinwohl
  • 1. Gemeinwohl als Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland
  • 2. Abgrenzung des Begriffs Gemeinwohl vom Begriff Gemeinsinn
  • 3. Bedeutung des Gemeinwohls im Verlauf der Geschichte
  • 4. Gemeinwohl im modernen Verfassungsstaat
  • 4.1 Bundesrepublik Deutschland
  • 4.2 Verwendung des Gemeinwohlbegriffs und synonymer Bezeichnungen
  • 4.2.1 Grundgesetz und Verfassungen der Länder
  • 4.2.2 Andere Rechtsnormen (Beispiele)
  • C. Ausgewählte Konzepte zur Bestimmung des Gemeinwohls
  • 1. Anderheiden
  • 1.1 Gemeinwohlbegriff
  • 1.2 Grundrechte
  • 1.3 Kollektive Güter
  • 1.3.1 Begriff
  • 1.3.2 Konkretisierung und Verwirklichung
  • 1.4 Kollektive Identität (Gemeinsinn)
  • 2. Brugger
  • 2.1 Gemeinwohlbegriff
  • 2.2 Elemente des Gemeinwohls: Rechtssicherheit, Legitimität, Zweckmäßigkeit
  • 2.3 Prozeduren der Gemeinwohlkonkretisierung
  • 2.4 Gemeinwohlverwirklichung
  • 3. Schuppert
  • 3.1 Gemeinwohlbegriff
  • 3.2 Gemeinwohlbelange
  • 3.3 Gemeinwohlkonkretisierung und -verwirklichung
  • 3.4 Gemeinwohlhüter
  • 4. Vergleich der Gemeinwohlkonzepte
  • 4.1 Positives Recht
  • 4.2 Offenheit
  • 4.3 Subjekt
  • 4.4 Elemente
  • 4.5 Gerechtigkeit
  • 4.6 Wirtschaftlichkeit
  • 4.7 Verfahren
  • 4.8 Übersicht der Elemente, Merkmale und Verfahren
  • 4.8.1 Vergleichende Darstellung der Konzepte
  • 4.8.2 Unterschiede
  • 4.8.3 Gemeinsamkeiten
  • 4.8.4 Fazit
  • D. Finanzkontrolle
  • 1. Inhalt der Finanzkontrolle
  • 2. Bundesrechnungshof und Landesrechnungshöfe
  • 3. Finanzkontrolle am Beispiel des Bundesrechnungshofs
  • 3.1 Organisation und Personal
  • 3.2 Prüfungsgegenstand und Prüfungsverfahren
  • 3.3 Durchsetzung von Prüfungsrechten und Prüfungsergebnissen
  • 3.4 Wesentliche Aufgaben
  • 3.4.1 Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes
  • 3.4.2 Grenzen der Prüfung
  • 3.4.3 Unterrichtung von Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Öffentlichkeit
  • 3.4.4 Beratung und Unterstützung von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung
  • 3.4.5 Mitwirkung an Entscheidungen der Exekutive
  • 3.4.6 Umfang und Aufwand
  • 4. Zusätzliche Aufgaben des Präsidenten des Bundesrechnungshofs
  • 4.1 Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung
  • 4.1.1 Aufgaben, Organisation und Tätigkeit
  • 4.1.2 Fehlende Rechtsgrundlage
  • 4.1.3 Keine kollegialen Entscheidungen
  • 4.1.4 Einschränkung der Aufgaben und Kapazität des Bundesrechnungshofs
  • 4.1.5 Nähe zur Bundesregierung
  • 4.1.6 Folgerungen
  • 4.1.7 Alternativen
  • 4.2 Vorsitzender des Bundespersonalausschusses
  • 5. Stellung des Bundesrechnungshofs im Verfassungssystem
  • 5.1 Rechtliche Stellung des Bundesrechnungshofs
  • 5.2 Beziehungen des Bundesrechnungshofs zu Parlament, Bundesregierung und Gerichtsbarkeit
  • 5.2.1 Übersicht
  • 5.2.2 Bundesrechnungshof
  • 5.2.3 Präsident des Bundesrechnungshofs als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung
  • 5.3 Tatsächliche Stellung des Bundesrechnungshofs
  • E. Finanzkontrolle und Gemeinwohl
  • 1. Prüfungsmaßstäbe der Finanzkontrolle
  • 2. Gemeinwohlkonzepte und Finanzkontrolle
  • F. Ergebnisse
  • 1. Gemeinwohl
  • 1.1 Inhalt
  • 1.2 Konzepte zur Bestimmung des Gemeinwohls
  • 1.3 Definition
  • 2. Finanzkontrolle am Beispiel des Bundesrechnungshofs
  • 2.1 Begriff und Aufgaben
  • 2.2 Umfang und Aufwand
  • 2.3 Stellung des Bundesrechnungshofs im Verfassungssystem
  • 2.4 Prüfungs- und Beratungsersuchen von Parlament und Regierung
  • 2.5 Veröffentlichung von Berichten des Bundesrechnungshofs
  • 2.6 Prüfungsmaßstäbe und Gemeinwohlkonzepte
  • 3. Beitrag des Bundesrechnungshofs zur Verwirklichung des Gemeinwohls
  • 4. Vorschläge für eine wirksamere Finanzkontrolle
  • 4.1 Entlastung der Mitglieder des Bundesrechnungshofs von Aufgaben des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung
  • 4.1.1 Ausgangslage
  • 4.1.2 Alternativen
  • 4.2 Öffentliche Erörterung von Berichten des Bundesrechnungshofs im Plenum des Bundestags und Anhörungsrecht des Präsidenten
  • Anhang
  • Anhang 1: Ergänzungsvorschläge (kursiv) zu Rechtsvorschriften
  • Anhang 2: Richtlinien der Bundesregierung für die Tätigkeit des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV)
  • Anhang 3: Verzeichnis der Übersichten
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Unterlagen von Bundestag und Bundesrat
  • Gerichtsentscheidungen
  • Nachtrag zur Veröffentlichung von Berichten durch den Bundesrechnungshof

A. Einleitung

1. Einführung

Die Gemeinwohlaufgabe von Rechnungshöfen wird am Beispiel des Bundesrechnungshofs dargestellt. Seine Aufgabe ist die Prüfung der Rechnung und der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes sowie die Beratung von Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Bundesministerien (Art. 114 Abs 2 GG, § 88 BHO). Für die Landesrechnungshöfe gilt Entsprechendes (Tz. D. 2.). Die Mitwirkung des Bundesrechnungshofs bei der Prüfung internationaler Organisationen sowie die Zusammenarbeit mit europäischen und internationalen Prüfungseinrichtungen sind nicht Gegenstand dieser Untersuchung.

„Gemeinwohl“ meint nach Schultze1, „allg. das Wohl (ergehen) aller Mitglieder einer Gemeinschaft, auch öffentl. Interesse, im Ggs. zu Privatwohl und Partikularinteresse; es kann auch definiert werden als der allg. Zweck bzw. die gemeinsamen Ziele und Werte, zu denen sich Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenschließen.“

Der Brockhaus2 bezeichnet „Gemeinwohl“ … als „die Gesamtinteressen in einem Gemeinwesen“, wobei problematisch sei, wie diese jeweils inhaltlich zu bestimmen sind. In pluralistischen Gesellschaften finde darum eine ständige Auseinandersetzung der verschiedenen Interessen statt. Darüber hinaus sei Gemeinwohl ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Bedeutung für den konkreten Anwendungsbereich (Rechtsfall) von Gesetzgebung und Rechtsprechung ermittelt und festgelegt werde.

Für Brugger3 ist „Gemeinwohl … eine der meistbeschworenen und gleichzeitig meistkritisierten Leitideen des Staates“. Je nach Standpunkt könne man ← 11 | 12 → den Begriff „als zu leer, zu voll oder ideologisch einstufen.“ Aber es sei durchaus möglich, Leistung und Grenze des Gemeinwohlbegriffs näher zu bestimmen.

2. Gang der Untersuchung

Nach Klärung des Begriffs Gemeinwohl als Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland und seiner Abgrenzung vom Begriff Gemeinsinn wird seine Bedeutung im Verlauf der Geschichte dargestellt. Der moderne Verfassungsstaat geht in seiner abendländischen Tradition bis auf die Gemeinwesen und die Vorstellungen vom menschlichen Zusammenleben in der Antike, nämlich auf die Polis, zurück. Dann wird die Verwendung des Gemeinwohlbegriffs im Grundgesetz und in anderen Rechtsnormen dargestellt. Anschließend wird untersucht, wie das Gemeinwohl in unserer pluralistischen Gesellschaft bestimmt werden kann. Hierzu werden die Konzepte von Anderheiden, Brugger und Schuppert herangezogen und ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet.

Danach werden die Aufgaben der Finanzkontrolle und die Stellung der Rechnungshöfe im Verfassungssystem am Beispiel des Bundesrechnungshofs dargestellt. Dabei werden auch die zusätzlichen Aufgaben des Präsidenten des Bundesrechnungshofs einer kritischen Würdigung unterzogen.

Sodann werden die Gemeinwohlkonzepte im Hinblick auf die Prüfungsmaßstäbe der Finanzkontrolle miteinander verglichen. Abschließend werden die Ergebnisse der Untersuchung zum Gemeinwohl und zur Finanzkontrolle dargestellt, einschließlich des Beitrags des Bundesrechnungshofs zur Verwirklichung des Gemeinwohls und meiner Vorschläge für eine wirksamere Finanzkontrolle. ← 12 | 13 →

                                                   

  1  In: Lexikon der Politikwissenschaft, Hrsg. Nohlen/Schultze, 2. Aufl., München 2004, Stichwort „Gemeinwohl“, Bd. 1, S. 268.

  2  Der Brockhaus in zehn Bänden, Leipzig 2005, Stichwort „Gemeinwohl“, Bd. 3, S. 2061.

  3  Gemeinwohl als Integrationskonzept von Rechtssicherheit, Legitimität und Zweckmäßigkeit, in: Gemeinwohl in Deutschland, Europa u. der Welt, Hrsg. Brugger / Kirste / Anderheiden, Baden-Baden 2002, S. 17.

B. Gemeinwohl

1. Gemeinwohl als Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland

Der Bundespräsident schwört bei seinem Amtsantritt, seine Kraft dem Wohl des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden (Art. 56 GG). Dies gilt auch für den Bundeskanzler und die Bundesminister (Art. 64 Abs. 2 GG). Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags sind Vertreter des ganzen Volkes (Art. 38 Abs. 1 GG). So sind nach allgemeiner Auffassung4,5 der Staat und seine Staatsorgane auf das Gemeinwohl verpflichtet. Es geht um das Gemeinwohl des Staates, einer Gemeinschaft von Menschen als „politisch-rechtlicher Organisation“, wie Brugger6 formuliert. Nach Isensee7 ist Sitz des Gemeinwohls das Gemeinwesen (Staat im weiteren Sinne, Staatsvolk), wobei die staatlichen Institutionen und ihre Inhaber (Staat im engeren Sinne, Herrschaftsorganisation) das Werkzeug sind, das Gemeinwohl zu realisieren und zu garantieren.

„Der Mensch kann und soll“ nach P. Kirchhof8 „sein Leben nicht vereinzelt, allein auf sich gestellt führen, sondern ist – als ‚geselliges‘, ‚staatenbildendes‘ Wesen – auf ein Zusammenleben in einer Schutz- und Bedarfsgemeinschaft angelegt … Wird der Staat mit der Autorität des Rechtssetzers und des Rechtsvollstreckers und mit der Gestaltungsmacht eines Daseinsgaranten ausgestattet, so steht die konkrete Staatsverfassung vor der Aufgabe, staatliches Handeln möglichst verlässlich auf das Gemeinwohl auszurichten und vom Eigennutz der Herrschenden wegzuführen.“

Gemeinwohl wird von Brugger9 als „höchstes und umfassendes Ziel“, von Isensee als „Inbegriff aller legitimen Staatsziele10“ bezeichnet. Nach Böckenförde11 ← 13 | 14 → „fungiert Gemeinwohl als Zielbegriff, um das, was Aufgabe der politischen Gemeinschaft…ist, …umzusetzen“. Für Sommermann12 ist kein Gemeinwesen auf Dauer ohne die Verpflichtung auf gemeinsame Ziele lebensfähig.

Andere Autoren verwenden statt des Begriffs „Ziel“ den Begriff „Zweck“, z.B. Schuppert13: Das Gemeinwohl stehe nahezu bei allen Autoren auf dem Siegertreppchen aller denkbaren Staatszwecke.

Nohlen weist darauf hin, dass die Begriffe Ziel und Zweck in der philosophischen Diskussion nahezu synonym verwendet werden. Unter Berücksichtigung des Mitteleinsatzes werde aber in der Regel zwischen Ziel und Zweck in der Weise unterschieden, dass der Zweck die zur Erreichung eines Zieles eingesetzten Mittel einschließe. Danach werde jedes Ziel zum Zweck, wenn es unter Einsatz bestimmter Mittel bewusst angestrebt werde. Grundsätzlich könne die Zweck-Mittel-Analyse in zwei Richtungen erfolgen: in Richtung der Ziele, mit denen Handlungen gerechtfertigt werden, oder in Richtung der Mittel, die geeignet sein können, die Ziele zu erfüllen14.

Für Anderheiden bezieht sich das Gemeinwohl im Gegensatz zur herrschenden Meinung nicht auf die staatliche Gemeinschaft, sondern auf den einzelnen Menschen (Tz. C. 1.1).

Der Begriff Gemeinwohl wird im Folgenden als das oberste „Ziel“ des Staates verstanden. In dem für diese Untersuchung bedeutsamen staatlichen Haushaltsrecht, also auf einer unteren Ebene, werden die Ausgaben im Haushaltsplan dagegen nach „Zwecken“ getrennt veranschlagt (§17 Abs. 1 BHO), wobei es sich in der Regel um konkrete Einzelmaßnahmen (z. B.: Zuwendungen zu einer Baumaßnahme) oder um einen bestimmten Aufgabenbereich (z. B.: Leistungen nach dem Wohngeldgesetz) handelt. Eine solche konkrete Zweckbestimmung setzt die Rechnungshöfe in die Lage zu prüfen, ob einzelne Haushaltsansätze des vom Parlament beschlossenen Haushaltsplans überschritten oder zweckwidrig eingesetzt worden sind15. ← 14 | 15 →

2. Abgrenzung des Begriffs Gemeinwohl vom Begriff Gemeinsinn

Häberle nennt aus Verfassungstexten einige Beispiele für Gemeinsinn, wie „soziales Handeln“, „Verantwortung für die Gemeinschaft mit anderen Menschen und Völkern“, „Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen“, „Treuepflicht gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen“, „Sittliche Pflicht jedermanns, für das Wohl des Ganzen zu wirken“, „Nächstenliebe“. Er bezeichnet Gemeinwohl und Gemeinsinn als „Korrelatbegriffe“, die verschiedene Sachbereiche betreffen: „Gemeinwohl kann erzwungen werden, Gemeinsinn letztlich kaum, es bleibt freier Bürgerwille“16.

Auch Münkler / Bluhm gehen davon aus, dass Gemeinwohl und Gemeinsinn „komplementäre Kategorien“ sind. Dabei könne Gemeinsinn als eine „motivationale Handlungsdisposition von Bürgern und politisch-gesellschaftlichen Akteuren begriffen werden“, welche die „subjektive Seite gemeinwohlorientierten Handelns“ bilde. Es bedürfe eines Mindestmaßes an Gemeinsinn, damit wir motiviert seien, uns für das Gemeinwohl zu interessieren17.

Für Anderheiden „hängen Gemeinwohl und Gemeinwille (oder Gemeinsinn) eng zusammen“, der Gemeinsinn aber sei schwach ausgeprägt18. Der freiheitliche Staat dürfe zwar im Sinne von Böckenförde sein Lebenselixier, die freiwillige Sozialkonformität der Bürger, nicht selber mit politischen Mitteln produzieren, um nicht durch Gesinnungskontrolle an seiner Freiheitlichkeit Schaden zu nehmen. Es sei aber die Frage, ob mehr darauf hingewirkt werden sollte, den Gemeinsinn der Bürger schon früh und nachhaltig zu wecken19.

Kaufmann sieht die enge Bindung zwischen Gemeinwohl und Gemeinsinn nicht mehr für gegeben an. Insbesondere durch die Individualisierung der Lebensbezüge und die Verschiebung des sozialpolitischen Paradigmas vom Klassenkonflikt zur Verteilungsproblematik sei die Perspektive von Gemeinsinn und Gemeinwohl ganz aus dem Fokus der Sozialpolitik geraten. Im modernen Verfassungsstaat seien die Menschenrechte, die Volkssouveränität und ← 15 | 16 → die Rechtsstaatlichkeit und somit das Gemeinwohl inhaltlich und prozedural gewährleistet. Daher blieben politische Entscheidungen eine Frage partikulärer Prozesse der Solidarisierung und konfliktiver Aushandlung, wobei sich die Konflikte durch keinerlei übergreifenden Gemeinsinn überwinden ließen. Die Bezeichnung „Gemeinsinn“ für die Mobilisierung sozialmoralischer Ressourcen wäre daher missverständlich. Stattdessen wählt Kaufmann den Begriff „Solidarität“ mit den Elementen Loyalität gegenüber bestehenden Ordnungen, Altruismus (z. B. Blutspenden, Einsatz für Umweltschutz), erweiterte Reziprozität (Verzicht auf eigennützige Handlungsweisen wegen wechselseitiger Abhängigkeiten) sowie Kollektivitätsorientierung20.

Details

Seiten
208
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653049787
ISBN (ePUB)
9783653973709
ISBN (MOBI)
9783653973693
ISBN (Paperback)
9783631656686
DOI
10.3726/978-3-653-04978-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Gemeinwohlbestimmung Rechnungshof BWV Gemeinsinn
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 208 S., 3 Tab., 1 Graf.

Biographische Angaben

Dietrich Schulte (Autor:in)

Dietrich Schulte war zeitweise für das Prüfungsamt für Juristen des Landes Rheinland-Pfalz und als Dozent der Sparkassenschule Rheinland-Pfalz tätig. Im Anschluss an eine Studienreise berichtete er in einer Zeitschrift für Verwaltungswissenschaft über den Verwaltungsaufbau Chinas einschließlich der Finanzkontrolle.

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