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Interessengerechte Rechtswahl im Kaufrecht

Vertragswidrigkeit, Mängelrüge und Vertragsaufhebung – UN-Kaufrecht, deutsches, französisches und schweizerisches Recht im Vergleich

von Cordula Giesecke (Autor:in)
©2014 Dissertation XX, 330 Seiten

Zusammenfassung

Vertragsparteien versäumen es oft, durch geschickte Rechtswahl im Wege der Parteiautonomie die Anwendbarkeit des für sie günstigsten Rechts zu sichern. Stattdessen wählen sie stets ihr Heimatrecht als bekanntestes Recht, ein neutral geltendes Recht wie das Schweizer Recht als vermeintlich gerechtestes Recht oder orientieren ihre Rechtswahl an verbreiteten Gepflogenheiten und wählen zum Beispiel das UN-Kaufrecht pauschal ab. Die Studie vergleicht das UN-Kaufrecht, das deutsche, das französische und das schweizerische Recht im Bereich der Vertragswidrigkeit, der Mängelrüge und der Vertragsaufhebung und zeigt die Vor- und Nachteile für Käufer und Verkäufer auf, um das aus materiell-rechtlicher Sicht für die jeweilige Partei beste Recht vorzuschlagen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Gliederung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Die Ermittlung des anwendbaren Rechts
  • B. Die Erforschung ausländischen Sachrechts
  • C. Rechtswahlfreiheit im internationalen Handelsverkehr
  • I. Das vertrauteste Recht
  • II. Heimwärtsstreben (Homeward trend)
  • III. Ökonomische Effizienz
  • IV. Neutrales Recht
  • V. Einheitsrecht
  • VI. Materiell-rechtliche Vorteile
  • D. Eingrenzung des Themas und Ziel der Untersuchung
  • I. Abwägungsinteressen
  • II. Zuschnitt der Analyse
  • 1. Kapitel: Der Grundtatbestand der Haftung wegen Vertragswidrigkeit/Mangels
  • A. Begriff der Vertragswidrigkeit/des Mangels
  • I. Qualitätsabweichung
  • 1. UN-Kaufrecht
  • 2. Deutsches Recht
  • 3. Französisches Recht
  • 4. Schweizer Recht
  • II. Identitäts- und Quantitätsabweichung
  • 1. UN-Kaufrecht
  • a) Identitätsabweichung
  • b) Quantitätsabweichung
  • 2. Deutsches Recht
  • a) Identitätsabweichung
  • b) Quantitätsabweichung
  • (1) Zuviel-Leistung
  • (2) Zuwenig-Leistung
  • 3. Französisches Recht
  • a) Identitätsabweichung
  • b) Quantitätsabweichung
  • (1) Zuviel-Leistung
  • (2) Zuwenig-Leistung
  • 4. Schweizer Recht
  • a) Identitätsabweichung
  • b) Quantitätsabweichung
  • (1) Zuviel-Leistung
  • (2) Zuwenig-Leistung
  • B. Erheblichkeit
  • I. UN-Kaufrecht
  • II. Deutsches Recht
  • III. Französisches Recht
  • IV. Schweizer Recht
  • C. Maßgeblicher Zeitpunkt
  • I. UN-Kaufrecht
  • II. Deutsches Recht
  • III. Französisches Recht
  • IV. Schweizer Recht
  • D. Vergleich und Bewertung
  • I. Definition der Sollbeschaffenheit
  • II. Kreis mängelbegründender Eigenschaften
  • III. Gebrauchsbeeinträchtigung/Wertminderung
  • IV. Identitäts- und Quantitätsabweichung
  • V. Erheblichkeit
  • VI. Maßgeblicher Zeitpunkt
  • VII. Zwischenergebnis 1. Kapitel
  • 2. Kapitel: Die Mängelrüge
  • A. Die dogmatische Grundlage der Mängelrüge
  • I. UN-Kaufrecht
  • II. Deutsches Recht
  • III. Französisches Recht
  • IV. Schweizer Recht
  • B. Anwendungsbereich
  • I. Persönlicher Anwendungsbereich
  • 1. UN-Kaufrecht
  • 2. Deutsches Recht
  • 3. Französisches Recht
  • 4. Schweizer Recht
  • II. Sachlicher Anwendungsbereich
  • 1. Die Ware
  • a) UN-Kaufrecht
  • b) Deutsches Recht
  • c) Französisches Recht
  • d) Schweizer Recht
  • 2. Die Vertragswidrigkeit
  • a) UN-Kaufrecht
  • b) Deutsches Recht
  • c) Französisches Recht
  • d) Schweizer Recht
  • C. Die Untersuchung der Kaufsache
  • I. Untersuchungsort
  • 1. UN-Kaufrecht
  • 2. Deutsches Recht
  • 3. Französisches Recht
  • 4. Schweizer Recht
  • II. Beginn
  • 1. UN-Kaufrecht
  • 2. Deutsches Recht
  • 3. Französisches Recht
  • 4. Schweizer Recht
  • III. Art und Weise
  • 1. Allgemeines
  • a) UN-Kaufrecht
  • b) Deutsches Recht
  • c) Französisches Recht
  • d) Schweizer Recht
  • 2. Verderbliche Waren (frische Lebensmittel, Pflanzen)
  • 3. Technische Waren
  • 4. Zur Weiterverarbeitung bestimmte Textilien
  • IV. Dauer
  • 1. Allgemeines
  • a) UN-Kaufrecht
  • b) Deutsches Recht
  • c) Französisches Recht
  • d) Schweizer Recht
  • 2. Verderbliche Waren
  • 3. Unverderbliche Waren
  • a) UN-Kaufrecht
  • b) Deutsches Recht
  • c) Französisches Recht
  • d) Schweizer Recht
  • D. Die Rüge
  • I. Beginn
  • 1. UN-Kaufrecht
  • 2. Deutsches Recht
  • 3. Französisches Recht
  • 4. Schweizer Recht
  • II. Dauer
  • 1. Allgemeines
  • a) UN-Kaufrecht
  • b) Deutsches Recht
  • c) Französisches Recht
  • d) Schweizer Recht
  • 2. Verderbliche Waren
  • 3. Unverderbliche Waren
  • a) UN-Kaufrecht
  • b) Deutsches Recht
  • c) Französisches Recht
  • d) Schweizer Recht
  • III. Inhalt und Form
  • 1. UN-Kaufrecht
  • 2. Deutsches Recht
  • 3. Französisches Recht
  • 4. Schweizer Recht
  • IV. Eintritt der Rechtsfolge bei unterlassener oder nicht rechtzeitiger Rüge und deren Ausnahmen
  • 1. Rechtsfolge bei unterlassener oder nicht rechtzeitiger Rüge
  • a) UN-Kaufrecht
  • b) Deutsches Recht
  • c) Französisches Recht
  • d) Schweizer Recht
  • 2. Ausnahmen von der Rechtsfolge
  • a) UN-Kaufrecht
  • b) Deutsches Recht
  • c) Französisches Recht
  • d) Schweizer Recht
  • E. Vergleich und Bewertung
  • I. Dogmatische Grundlagen
  • II. Anwendungsbereich
  • 1. Persönlicher Anwendungsbereich
  • 2. Sachlicher Anwendungsbereich
  • a) Kaufvertrag über eine Ware
  • b) Vertragswidrigkeit
  • III. Untersuchungsort
  • IV. Beginn der Untersuchung
  • V. Art und Weise der Untersuchung
  • VI. Dauer der Untersuchung
  • VII. Beginn der Rügefrist
  • VIII. Dauer der Rügefrist
  • IX. Inhalt und Form der Rüge
  • X. Rechtsfolge bei unterlassener oder nicht rechtzeitiger Rüge
  • XI. Ausnahmen von der Rechtsfolge
  • XII. Zwischenergebnis 2. Kapitel
  • 3. Kapitel: Die Vertragsaufhebung
  • A. Auflösungsberechtigung: Schwere der Vertragsverletzung
  • I. UN-Kaufrecht
  • 1. Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung
  • 2. Fallgruppen
  • a) Behebbare Vertragswidrigkeit
  • b) Unbehebbare Vertragswidrigkeit
  • c) Objektiv gravierende Vertragswidrigkeit
  • d) Mengenabweichung
  • e) Arglistige Leistung einer vertragswidrigen Ware
  • II. Deutsches Recht
  • 1. Zum Rücktritt berechtigende Pflichtverletzung
  • 2. Erheblichkeit
  • 3. Interessensfortfall bei Zuwenig-Leistung?
  • III. Französisches Recht
  • 1. Résolution pour inexécution
  • a) Cause (Ursache)
  • (1) Fait imputable au débiteur
  • (2) Schuldhafte Nichterfüllung („inexécution fautif“)
  • b) Gravité
  • 2. Action rédhibitoire
  • IV. Schweizer Recht
  • 1. Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung
  • 2. Wandelung
  • B. Vorrang der Nacherfüllung
  • I. UN-Kaufrecht
  • II. Deutsches Recht
  • 1. Allgemeines
  • 2. Entbehrlichkeit
  • III. Französisches Recht
  • 1. Résolution pour inexécution
  • 2. Action rédhibitoire
  • IV. Schweizer Recht
  • 1. Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung
  • 2. Wandelung
  • C. Das Aufhebungsrecht ausschließende Gründe
  • I. UN-Kaufrecht
  • II. Deutsches Recht
  • III. Französisches Recht
  • 1. Action rédhibitoire
  • 2. Résolution pour inexécution
  • IV. Schweizer Recht
  • 1. Wandelung
  • 2. Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung
  • D. Mechanismus der Auflösungserklärung
  • I. UN-Kaufrecht
  • 1. Erklärung
  • 2. Ausübungsfrist
  • a) Fristbeginn
  • b) Dauer der Frist
  • II. Deutsches Recht
  • III. Französisches Recht
  • 1. Résolution pour inexécution
  • a) Beteiligung des Gerichts
  • b) Ausnahmen von der gerichtlichen Beteiligung
  • c) Richterliche Gestaltungsfreiheit
  • 2. Action rédhibitoire
  • IV. Schweizer Recht
  • 1. Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung
  • a) Art. 107 Abs. 2 OR
  • b) Art. 190 Abs. 2 OR
  • 2. Wandelung
  • E. Rückgewähr in natura bzw. Wertersatz als Rechtsfolge
  • I. UN-Kaufrecht
  • II. Deutsches Recht
  • III. Französisches Recht
  • 1. Résolution pour inexécution
  • 2. Action rédhibitoire
  • IV. Schweizer Recht
  • 1. Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung
  • 2. Wandelung
  • F. Vergleich und Bewertung
  • I. Auflösungsberechtigung: Schwere der Pflichtverletzung
  • II. Vorrang der Nacherfüllung
  • III. Das Aufhebungsrecht ausschließende Gründe
  • IV. Mechanismus der Aufhebungserklärung
  • V. Rückgewähr in natura bzw. Wertersatz als Rechtsfolge
  • VI. Zwischenergebnis 3. Kapitel
  • Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
  • Anhang 1: Auswertung Fragebogen
  • Anhang 2: Fragebogens
  • Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

Ein Rechtsvergleicher ist jemand, der in fremde Dickichte eindringt und damit rechnen muss, dass unter jedem Busch ein Eingeborener mit vergifteten Pfeilen lauert.
Ernst Rabel
RabelsZ 16 (1951), 340 (340).

Die Siemens AG exportiert Eisenbahnzüge in aller Herren Länder. Im Asialaden um die Ecke erstehen Verbraucher preiswert Glasnudeln und Shiitakepilze: Vor vielen Jahren für den Normalbürger noch fast unerschwinglich, werden sie nun günstig von Großhändlern importiert. Argentinische Rindersteaks kommen ganz selbstverständlich auf den Esstisch vieler Haushalte. Computerprogramme, Bücher und Medikamente werden über das Internet aus dem Ausland bezogen. Die deutsche ThyssenKrupp AG produziert Stahl in Brasilien, den sie zum Bau eines Fußballstadions nach Südafrika exportiert. Deutschland als rohstoffarmer Industriestaat ist gezwungen, zentrale Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und Erze einzuführen, um den heimischen Bedarf zu decken.1 Die Reihe dieser Beispiele lässt sich beliebig fortsetzen. Die ökonomische und rechtliche Bedeutung dieser internationalen Transaktionen wächst dadurch, dass der Kaufvertrag der statistisch wohl häufigste Vertragstyp ist.2

Allerdings zahlt der Marktakteur für seine durch eine immer stärker global ausgerichtete Marktwirtschaft eingeräumte Freiheit, grenzüberschreitend handeln zu können, einen Preis in Form zunehmender rechtlicher Komplexität. Neben Einheitsrecht wie dem Kaufrecht der Vereinten Nationen (nachfolgend UN-Kaufrecht oder CISG3 genannt) kommen potenziell viele nationale Rechtsordnungen zur Anwendung, was Blaurock sachlich-nüchtern als „Rechtsgeflecht“ bezeichnet.4 ← 1 | 2 →

A. Die Ermittlung des anwendbaren Rechts

Die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist für manchen ein „Irrgarten: je tiefer man eindringt, desto unsicherer wird der Weg, umso weiter entfernt man sich vom Ziel“5; oder gar ein „unheimlicher Ort“, dem es „mit heiler Haut [zu] entrinnen“ gilt.6 Prosser bezeichnet das IPR gar als „ein düsteres Moor, voll bebender Sumpfböden, bewohnt von gelehrten, aber exzentrischen Professoren, die über geheimnisvolle Dinge in einem seltsamen und unverständlichen Fachjargon theoretisieren“.7 Das Kollisionsrecht ist geprägt von einem langwierigen „Hin- und Herhangeln“ von Rechtsordnung zu Rechtsordnung, verkompliziert durch die Erst- und Vorfragenproblematik, weitergeleitet durch Renvois, weil jedes Land seine eigenen Rechtsregeln hat und Rechtsfragen unterschiedlich qualifiziert werden. Wann etwa eine Rechtsfrage vertrags- und wann deliktsrechtlich einzustufen ist, kann keineswegs für alle Rechtsordnungen einheitlich beantwortet werden.

Nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) der Rom I-VO8, der bei fehlender Rechtswahl aus deutscher Sicht Ausgangspunkt der Ermittlung des anwendbaren Rechts ist, unterliegen Kaufverträge über bewegliche Sachen dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gesellschaften, Vereine und juristische Personen haben gem. Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO ihren gewöhnlichen Aufenthalt am Ort der Hauptverwaltung. Bei natürlichen Personen, die im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handeln, liegt er am Ort ihrer Hauptniederlassung, Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO. Sollte der Vertrag im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung geschlossen worden sein, so steht der gewöhnliche Aufenthalt diesen Orten gleich, sofern sie für die Erfüllung der vertraglichen Leistungspflichten verantwortlich sind, Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO.

B. Die Erforschung ausländischen Sachrechts

Oft beruft das Kollisionsrecht ausländisches Sachrecht zur Anwendung. Die Ermittlung von dessen Inhalt stellt nicht selten eine schwierige Herausforderung ← 2 | 3 → dar. Den meisten Rechtsanwendern mangelt es an einer (genauen oder auch nur hinreichenden) Kenntnis des Inhalts ausländischer Sachrechte. Diese Unsicherheit birgt ein erhebliches Risiko falscher Rechtsanwendung. Um dieses bestmöglich zu reduzieren, muss der Rechtsanwender viel Zeit und Geld in die Rechtsermittlung investieren. Dass diese zum Teil wegen fehlender oder schwer zugänglicher Rechtsquellen (in eigener oder zumindest bekannter Sprache) schwer fällt, ist angesichts der Vielzahl in Betracht kommender Rechtsordnungen und Sprachen offensichtlich. Daher muss zumindest bisweilen fremder, teurer Rechtsrat vorab eingeholt oder im eventuellen Gerichtsprozess ein Sachverständiger durch den Richter mit der Erstattung eines Rechtsgutachtens beauftragt werden, dessen Kosten die unterlegene Partei zu tragen hat. Außerdem bleibt das Risiko, dass das fremde Recht für den Rechtsanwender inhaltlich nachteiliger als das heimische – und überdies bekannte und daher kalkulierbarere – Recht ausfällt. Vor diesem Hintergrund ist es ein immenser Vorteil, wenn die Parteien selbst bestimmen können, welches Recht zur Anwendung gelangen soll.9

C. Rechtswahlfreiheit im internationalen Handelsverkehr

Die Parteiautonomie10 ist ein seit vielen Jahren im Internationalen Privatrecht fast aller entwickelten Rechtssysteme verankertes Rechtsinstitut.11 Es ermöglicht ← 3 | 4 → den Parteien, das auf den Vertrag anwendbare Recht selbst zu bestimmen,12 dient der freien Entfaltung der Persönlichkeit und ist damit in Deutschland in Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantiert.13 Die Skepsis mancher gegenüber diesem Prinzip14 dürfte als überwunden gelten.15

Freilich sind der Parteiautonomie Grenzen gesetzt. Das Internationale Privatrecht schränkt die Rechtswahlfreiheit durch Eingriffsnormen (vgl. etwa Art. 9 Rom I-VO), Sonderanknüpfungen (vgl. Artt. 5ff. Rom I-VO) und zwingende Anknüpfungsnormen wie gem. Art. 3 Abs. 3, 4 Rom I-VO ein, um einen Mindestschutz für eine bestimmte Partei (wie etwa den Verbraucher im Falle eines Verbrauchsgüterkaufes) zu garantieren.

Schließlich verhindern die Parteien oft selbst eine wirksame Rechtswahl, indem sie die spezifische Rechtsordnung nicht „richtig“ – d. h. mit der erforderlichen Genauigkeit – wählen oder abwählen. Völkerrechtliches oder europäisches materielles Einheitsrecht genießt gegenüber ausländischem oder inländischem Sachrecht den Vorrang.16 Wird das UN-Kaufrecht nicht gem. Art. 6 CISG abgewählt – ausdrücklich oder durch die Wahl einer Rechtsordnung, die das UN-Kaufrecht nicht ratifiziert hat (etwa das englische Recht)17, sog. positive Rechtswahl – findet es Anwendung. Entgegen einer in der Praxis verbreiteten, aber fälschlichen Annahme liegt keine Abwahl vor, wenn die ← 4 | 5 → Parteien vereinbaren, dass „nationales Recht“ zur Anwendung gelangen solle, denn das UN-Kaufrecht ist als völkerrechtlicher Staatsvertrag Teil der nationalen Rechtsordnung.18 Für eine Abwahl ist deshalb erforderlich, dass die Parteien die Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts ausdrücklich ausschließen.19

Nicht nur Rechtsberater können sich in der Vertragsgestaltung profilieren, wenn sie ihrem Mandanten die für ihn „beste“ Rechtsordnung vorschlagen können. Juristisch nicht vorgebildete Parteien überspringen die oben genannten Hürden erst recht nicht ohne Weiteres. Viele Parteien nutzen ihre Rechtswahlchance in der Praxis selten. 58,59%20 der befragten Rechtsberater gaben in der im Rahmen dieser Untersuchung durchgeführten empirischen Befragung an, dass sie oft dasselbe Vertragsmodell verwenden, weil sie entweder die Rechtsordnung vorschlagen, die sie kennen (32,55% der Befragten), oder weil sie dem Wunsch der Mandanten entsprechen (28,21% der Befragten). Beides dürfte in der Regel die Wahl des eigenen Rechts bedeuten. Wenn sich selbst sachverständige Rechtsberater nicht bemühen, die zur Verfügung stehenden Rechtsinstitute optimal zu nutzen, verwundert es nicht, dass Fachfremde sich erst Recht kaum mit derartigen Optionen beschäftigen. Oft können diese sich nicht vorstellen, dass die Rechtssysteme (etwa der Schweiz und Deutschlands) sich derartig unterscheiden, wie es der Fall ist. Oft wollen sie sich allerdings auch nicht mit „juristischen Technikalitäten“ befassen, da die Vertragsgestaltung Aufgabe der Juristen und nicht der Kaufleute sei.21 Nicht selten wollen die Kaufleute bereits den gelungenen Abschluss feiern, während die Juristen im Nebenzimmer noch die „Aufräumarbeiten“ erledigen – von Kronke ironisch als „Champagnerstunden-Syndrom“ bezeichnet.22 Welches Sachrecht sollte nun gewählt werden? Welche Entscheidungskriterien sollten für diese Wahl den Ausschlag geben? Diese Fragen sollen nachfolgend untersucht werden. ← 5 | 6 →

I. Das vertrauteste Recht

Natürlich kann das Sachrecht gewählt werden, das die jeweilige Partei am besten kennt. Die Wahl einer der Partei und dem Gericht vertrauten Rechtsordnung bewirkt Rationalisierungseffekte in Routineangelegenheiten und Synergieeffekte für weitere Verträge.23 Externe Berater müssen nicht herangezogen werden,24 Gerichte nicht langwierig das anwendbare Recht und den Inhalt einer fremden Rechtsordnung ermitteln.25 Rechtsermittlungskosten sinken ebenso wie Rechtsanwendungskosten, da die Rechtsanwendung und das wirtschaftliche Handeln vorhersehbarer und kalkulierbarer werden.26 Ein Gleichlauf zwischen forum und ius (zuständigem Gericht und anwendbarem Recht) kann die gerichtliche Rechtsverfolgung effizienter machen, denn die Anwendung forumeigenen Rechts dürfte aus der Perspektive des Richters regelmäßig qualitativ höherwertig und weniger fehlerträchtig sein als die Anwendung eines forumfremden Rechts.27 Dass dieser Faktor auch empirisch nachweisbar eine Rechtswahl beeinflusst, zeigen auch die Ergebnisse der Umfrage, nach denen gerade Großkanzleien und mittlere Kanzleien sich im hohen zweistelligen Prozentbereich auf das bekannte Recht verlassen.28 Das überrascht insofern, als man gerade in diesem Segment einen höheren Rechercheaufwand – verglichen mit einer kleinen Kanzlei oder einem Unternehmen – erwarten könnte. Andererseits beschäftigen sich kleinere Kanzleien oder Unternehmen mit ihnen nicht vertrauten Rechtsordnungen womöglich erst gar nicht. Darauf deutet hin, dass eine Rechtswahl mit dem Argument abgelehnt wird, der Sachverhalt sei überwiegend inlandsrechtlich.29 Die Inlandsprägung des Sachverhalts ist freilich kein Argument gegen die Wahl ausländischen Rechts, weil insofern weitgehende Wahlfreiheit herrscht. ← 6 | 7 →

II. Heimwärtsstreben (Homeward trend)

Die heimische Rechtsordnung wird dem Rechtsanwender regelmäßig am besten vertraut sein, selbst wenn er sie nicht im Detail kennt. Er wird folglich ihre Anwendung bevorzugen, obwohl sie nicht unbedingt günstigere Regelungen für ihn vorsieht als eine ausländische Rechtsordnung – gewissermaßen die juristische Version des Sprichworts: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“. Auf ökonomischer Ebene verursacht eine derartige Rechtswahl immerhin vermutlich die geringsten Informationsbeschaffungskosten. Die Wahl des eigenen Rechts liegt daher intuitiv wie wirtschaftlich nahe. Diese Tendenz wird mit dem Begriff des Heimwärtsstrebens bzw. „homeward trend“ – auch den Gerichten ist diese Tendenz nicht fremd – umschrieben.30 Die im Rahmen dieser Untersuchung vorgenommene Umfrage belegt dieses Phänomen. Die Mehrheit der Befragten erklärte, das Recht ihrer Heimatrechtsordnung (deutsches unvereinheitlichtes Recht) oft oder ausschließlich zu wählen.31 Selbst wenn eine solche Wahl die Rechtssicherheit für die Parteien erhöht, weil sie eher wissen können, was sie erwartet und dementsprechend leichter und günstiger planen und Opportunitätskosten vermeiden können, bleibt diese Argumentation zu oberflächlich. Wenn das vorgeschlagene Recht dem Vertragspartner unbekannt ist und auch er sein eigenes Recht durchsetzen möchte, kommt es zu einem Patt: Würden beide Parteien kompromisslos auf ihrem eigenen Recht beharren, wäre ein harmonischer grenzüberschreitender Handelsverkehr kaum möglich. Folglich setzt sich in der Praxis zumeist die Rechtsordnung des Vertragspartners mit der stärkeren Verhandlungsposition durch. Oft wird dies das Recht des Verkäufers sein, weil er im Hinblick auf seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen die stärkeren Rationalisierungseffekte hat. Er tätigt entsprechende Geschäfte häufiger als der Käufer. Zwingend ist die Durchsetzung der Rechtsordnung des Verkäufers freilich nicht. Scheitert eine Übereinkunft über das anwendbare Recht, kann dies erhebliche Handelshemmnisse zur Folge haben.32 Es ist denkbar, dass inländische Gewerbetreibende sich auf den Vertrieb heimischer Produkte oder auf Märkte ihnen bekannter Rechtsordnungen konzentrieren, um nicht ihnen unbekanntes ← 7 | 8 → ausländisches Sachrecht anwenden zu müssen, das für sie unvorhersehbare Haftungsrisiken birgt. Auf die Anwendbarkeit der Rechtsordnung des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. seine Hauptverwaltung/Niederlassung hat (Artt. 4 Abs. 1 lit. a), 19 Abs. 1, 2 Rom I-VO) kann er sich nicht verlassen. Das würde voraussetzen, dass die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht immer vorhersehbare lex fori das gleiche Anknüpfungskriterium kennt und damit die gleiche Verweisung vorsieht, was verlässlich nur der Fall ist, wenn auf kollisions- oder materiellrechtlicher Ebene Einheitsrecht zur Anwendung gelangt.

Letztlich hängt die Rechtswahl wohl vor allem von der Verhandlungs- und Marktmacht der Parteien ab. Sofern das Interesse des Verkäufers am Abschluss des Vertrages stärker als dasjenige des Käufers ist, wird er sich im Zweifel auch auf eine Wahl des „Käuferrechts“ einlassen, wenn die fehlende Einigung über das anwendbare Recht andernfalls ein „deal breaker33 wäre.

Selbst wenn sich die Parteien regelmäßig auf die wirtschaftlichen Aspekte des Vertrages konzentrieren, sollten sie jedenfalls zumindest die Möglichkeit in Erwägung ziehen, das anzuwendende Recht selbst zu bestimmen. Ein ausländisches Recht mag nämlich inhaltlich durchaus vorteilhaft für sie sein. Der Nachteil höherer Rechtsermittlungskosten wird womöglich durch sachrechtliche Vorteile (strengere Haftung, Beschränkung der Gewährleistungsrechte, umfangreichere Aufklärungspflichten, kürzere Verjährung eigener Ansprüche) aufgewogen, worauf etwa Mankowski zu Recht hinweist.34 Die Gefahr, dass die Parteien ein für sie nachteiliges Sachrecht gewissermaßen aus Bequemlichkeit wählen, ist jedoch nicht nur theoretischer Natur. In der Praxis wählen sie oft aus Gewohnheit eine bestimmte Rechtsordnung, ohne zu ermitteln, ob ein anderes Sachrecht für sie günstiger und im Einzelfall konsensfähig wäre.35 Branchenverbände empfehlen häufig pauschal eine bestimmte Rechtsordnung.36 Rechtsanwender unterliegen dem horror alieni – der Furcht vor dem Fremden und der Angst, etwas Neues erlernen und praktizieren zu müssen.37 Vernachlässigt aber ein Rechtsberater etwa, seinen Mandanten auf das UN-Kaufrecht als Teil des deutschen Rechts aufmerksam zu machen, läuft er sogar Gefahr, wegen Falschberatung zu haften. ← 8 | 9 → Die Beratung zu einer ausländischen Rechtsordnung im Einzelnen hingegen wird man wohl nicht als Teil allgemeinüblicher Beratung erwarten dürfen, es sei denn, der Rechtsberater werbe mit entsprechender spezieller Kenntnis. Ein Alleinstellungsmerkmal dürfte daraus aus Gründen der Positionierung in einem bestimmten Markt indes allemal folgen, so dass Rechtsanwälte sich durch Kenntnis in einer bestimmten ausländischen Rechtsordnung von der Konkurrenz abgrenzen können. Das Internationale Privatrecht folgt anders als das Internationale Zivilverfahrensrecht gerade nicht dem lex-fori-Prinzip. Es möchte sich also vor dem Heimwärtsstreben bewahren. Ein „Rechtschauvinismus“38 ist folglich entschieden abzulehnen. Vielmehr empfiehlt es sich, die Chancen der Rechtswahl möglichst umfassend auszuschöpfen.

III. Ökonomische Effizienz

Die Parteiautonomie soll nach Auffassung mancher stets der Prämisse folgen, das effizienteste Recht zu wählen („doctrine of convenience and business efficiency“).39 Dahinter steht die Vorstellung, dass sich mit der Rechtswahl im Einzelfall das effizienteste Recht im Wettbewerb der Rechtsordnungen identifizieren lässt.40

Hintergrund des Strebens nach ökonomischer Effizienz ist die Tatsache, dass rational handelnde Parteien vom Abschluss internationaler Transaktionen abgehalten werden, weil aufgrund der Pluralität des Rechts eine konstitutive Unsicherheit entsteht: Lassen sich Rechte/Rechtspositionen eindeutig zuweisen (sog. Besitzsicherheit)? Können Versprechen erfolgreich durchgesetzt werden (sog. Transaktionssicherheit)? Das internationale Transaktionsdilemma hält rational handelnde Parteien vom Abschluss internationaler Transaktionen ab. Sie verzichten auf die Wertschöpfung, was ökonomisch nicht wünschenswert ist.41

Der Begriff der ökonomischen Effizienz knüpft bereits bei der Suche nach dem anzuwendenden Recht an, das internationale Transaktionsdilemma zu lösen. Der Begriff Effizienz bezieht sich dabei sowohl auf den Inhalt des Rechts als auch auf die Rechtsermittlungs- und -anwendungskosten. So ist eine Strategie zur Überwindung des Transaktionsdilemmas neben der Schaffung internationalen ← 9 | 10 → Einheitsrechts durch völkerrechtliche Verträge42 die Wahl des Rechts, das für die Parteien subjektiv am lohnendsten ist.43

Freilich könnte man sich fragen, ob es überhaupt ein Sachrecht gibt, das die Parteiinteressen ausgewogener berücksichtigt als die Rechtsordnung, die mit den Parteien örtlich verbunden ist (etwa anhand der Kriterien von Abschlussort, Erfüllungsort, Wohnsitz und ggf. auch der Staatsangehörigkeit).44 Der Begriff der ökonomischen Effizienz ist überdies ebenso schillernd wie im Hinblick auf eine bestimmte Rechtswahl kaum operabel. Als alleiniges Kriterium ist dieser Maßstab daher nicht tauglich. Viele Gründe rechtfertigen die Wahl eines bestimmten Sachrechts, das aber unter Befolgung nur dieser gesetzlichen Anknüpfungspunkte nicht zur Anwendung gelangt wäre und dessen Anwendung dennoch von einem „intérêt légitime” geprägt ist, weil es einen sachlichen Bezug zu den Parteien aufweist45: etwa weil es den internationalen (Rechts-)Markt einer bestimmten Geschäftsart beherrscht46 oder weil es den Parteien von früheren Geschäften her bekannt ist, so dass sie bereits Erfahrungen mit seiner Anwendung sammeln konnten.47 Es mag auch eine Rechtsordnung sein, der ein anderer Vertrag untersteht, an den dieser rechtlich oder wirtschaftlich (man denke nur an gesamtschuldnerische oder sonstige Rückgriffsansprüche) angelehnt ist. Vielleicht hält eine Rechtsordnung Regelungen bereit, die ökonomisch für eine Partei erheblich wertvoller sind, als die aus der eigenen – bekannten – Rechtsordnung vertrauten Bestimmungen. So mögen die Bestimmungen über die Inhaltskontrolle von AGB im schweizerischen Recht auch für einen deutschen AGB-Verwender vorteilhafter als die parallele deutsche Rechtslage – insbesondere wegen der vergleichsweise rigiden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ← 10 | 11 → zur Klauselwirksamkeit auch im unternehmerischen Rechtsverkehr48 – sein. Das bekannteste Recht muss also nicht zugleich das effizienteste sein.

IV. Neutrales Recht

Details

Seiten
XX, 330
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653050967
ISBN (ePUB)
9783653975642
ISBN (MOBI)
9783653975635
ISBN (Hardcover)
9783631657584
DOI
10.3726/978-3-653-05096-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Parteiautonomie Heimatrecht Vertragsparteien Rechtsvergleichung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XX, 330 S., 8 s/w Abb.

Biographische Angaben

Cordula Giesecke (Autor:in)

Cordula Giesecke studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie an der Université Montesquieu Bordeaux IV. Sie war mehrere Jahre am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsvergleichung und Internationales Privatrecht der LMU München tätig.

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Titel: Interessengerechte Rechtswahl im Kaufrecht
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