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EU-rechtliche Schranken der Glücksspielwerbung in Deutschland, Großbritannien und Polen

von Anna Olbrys-Sobieszuk (Autor:in)
©2015 Dissertation 428 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin liefert eine umfassende Analyse der Unionsrechtskonformität der Glücksspielwerberegelungen in Deutschland, Großbritannien und Polen. Die problematische Glücksspielregulierung resultiert einerseits aus den Gefahren für die Bevölkerung, die diese Wirtschaftsbranche hervorrufen kann, und andererseits aus den hohen Einnahmen, die sie generieren lässt. Diese Spannungen bzgl. der Grundfreiheiten führen zu einer unüberschaubaren EuGH-Rechtsprechung. Nach einer detaillierten Untersuchung der Glücksspielrechtssysteme in den genannten Ländern befasst sich das Buch eingehend mit der EuGH-Rechtsprechung. Der erarbeitete Prüfungsmaßstab wird anschließend auf die nationalen Regelungen angewendet, um ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu überprüfen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Danksagung
  • A. Einführung und Problemstellung
  • I. Einleitung
  • II. Gang der Untersuchung
  • B. Grundbegriff des Glücksspiels
  • I. Allgemeines zum Glücksspiel
  • 1. Wirtschaftliche Bedeutung des Glücksspiels
  • 1.1 Deutschland
  • 1.2 Großbritannien
  • 1.3 Polen
  • 2. Soziale Dimension des Glücksspiels
  • 3. Zusammenfassung
  • II. Definition
  • 1. Glücksspielbegriff im Unionsrecht
  • 1.1 Allgemeines
  • 1.2 Begriffsbestimmung
  • 2. Glücksspielbegriff in Vergleichsstaaten
  • 2.1 Deutschland
  • 2.1.1 Allgemeine Anmerkungen zur Rechtslage und Glücksspieldefinition
  • 2.1.2 Glücksspiel nach § 3 Abs. 1 GlüÄndStV
  • 2.1.2.1 Zufallsabhängigkeit des Spiels
  • 2.1.2.2 Entgeltlichkeit des Spiels
  • 2.1.2.2.1 Einsatz i. S. d. § 284 StGB
  • 2.1.2.2.2 Das Verhältnis des § 284 StGB zum § 3 GlüÄndStV – Einsatz oder Entgelt?
  • 2.1.2.2.3 Zwischenergebnis
  • 2.1.2.2.4 Die Problematik des § 8a RStV nach dem GlüStV 2008 und die Bedeutung des § 2 Abs. 6 GlüÄndStV
  • 2.1.2.3 Ergebnis
  • 2.1.3 Glücksspieldefinition nach GlückG SH
  • 2.2 Großbritannien
  • 2.2.1 Gaming und Game of Chance
  • 2.2.2 Casino Games
  • 2.2.3 Betting
  • 2.2.4 Lotterien
  • 2.3 Polen
  • 2.3.1 Formen des Glücksspiels
  • 2.3.1.1 Einfache Glücksspiele
  • 2.3.1.2 Wetten
  • 2.3.2 Charakter des Katalogs aus Art. 2 Abs. 1–5 GlüG
  • 2.3.3 Merkmale des Glücksspiels
  • III. Zusammenfassung
  • C. Glücksspielwerbung in Vergleichsstaaten
  • I. Deutschland
  • 1. Allgemeines zum Glücksspielwesen
  • 1.1 GlüStV aus dem Jahr 2008 und GlüÄndStV
  • 1.2 Aufgehobene GlückG SH
  • 2. Glücksspielwerbung
  • 2.1 Glücksspielwerbung nach GlüStV aus dem Jahr 2008
  • 2.1.1 Ersatzlos gestrichene Werbebestimmungen des GlüStV
  • 2.1.1.1 Werbebeschränkungen nach § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV
  • 2.1.1.1.1 Das Verhältnis des § 5 Abs. 1 GlüStV und § 5 Abs. 2 S. 1 GlüStV
  • 2.1.1.1.2 Merkmale des § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV
  • 2.1.1.1.2.1 Sachlichkeitsgebot
  • 2.1.1.1.2.2 Übermaßverbot
  • 2.1.1.1.2.3 Problematik der Jackpot-Werbung
  • 2.2 Glücksspielwerbung nach GlüÄndStV
  • 2.2.1 Zielorientierung der Werbestimmungen des GlüÄndStV
  • 2.2.2 Werberichtlinie gem § 5 Abs. 4 GlüÄndStV
  • 2.2.3 Irreführungsverbot, Spieler-, Jugendschutz und Hinweispflichten
  • 2.2.4 Werbeverbote nach § 5 Abs. 3 GlüÄndStV
  • 2.2.4.1 Fernsehwerbeverbot
  • 2.2.4.1.1 Anwendungsbereich des Fernsehwerbeverbots
  • 2.2.4.1.2 Problematik der Dauerwerbe- und Ziehungssendungen
  • 2.2.4.2 Internetwerbeverbot
  • 2.2.4.3 Ausnahme vom Verbot der Werbung im Fernsehen und im Internet
  • 2.2.4.4 Werbeverbot über Telekommunikationsanlagen
  • 2.2.5 Verbot der Werbung für unerlaubtes Glücksspiel
  • 2.2.6 Werbung für Spielhallen
  • 2.3 Glücksspielwerbung nach GlückG SH
  • II. Großbritannien
  • 1. Allgemeines zum Glücksspielwesen
  • 1.1 Entwicklung des britischen Glücksspielrechts
  • 1.2 Grundsätze des britischen Glücksspielrechts
  • 1.3 Remote gambling
  • 1.4 National Lottery
  • 2. Glücksspielwerbung
  • 2.1 Gesetzliche Glücksspielwerbebestimmungen
  • 2.2 Selbstregulierung – Glücksspiel-Verhaltenskodizes
  • 2.2.1 Systemstruktur
  • 2.2.2 CAP- und BCAP-Code
  • 2.2.3 Verhaltenskodex der Glücksspielindustrie
  • III. Polen
  • 1. Allgemeines zum Glücksspiel
  • 1.1 Gesetzgebungsprozess
  • 1.2 Grundsätze des polnischen Glücksspielrechts
  • 2. Glücksspielwerbebestimmungen nach GlüG
  • 2.1 Umfassendes Verbot
  • 2.2 Definition der Werbung und Absatzförderung
  • IV. Zusammenfassung – Rechtsvergleichender Überblick
  • D. Glücksspielwerbung aus unionsrechtlicher Sicht
  • I. Unionsrechtlicher Rechtsrahmen
  • 1. Allgemeines
  • 2. Sekundärrecht
  • 2.1 Weitere Diskussion und Aktionsplan für Glücksspiel in EU
  • 3. Primärrecht
  • 3.1 Allgemeine Anmerkungen – wirtschaftlicher Charakter des Glücksspiels
  • 3.2 Rolle der Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote
  • 3.3 Einschlägige Grundfreiheit
  • 3.3.1 Werbung als Dienstleistung
  • 3.3.2 Beschränkende Wirkung der Glücksspielwerbebestimmungen
  • 3.3.2.1 Problematik
  • 3.3.2.2 Glücksspielwerbebestimmungen der Vergleichsstaaten – Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit?
  • 3.4 Rechtfertigungsgründe
  • 3.4.1 Geschriebene Rechtfertigungsgründe
  • 3.4.2 Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe
  • 3.4.3 Rechtfertigung der offenen und versteckten Diskriminierungen
  • II. Glücksspiel in der Judikatur des EuGH
  • 1. Rolle des EuGH in dem Vorabentscheidungsverfahren
  • 2. Übersicht der Rechtsprechung des EuGH zum Glücksspielwesen
  • 2.1 Großzügiger mitgliedstaatlicher Spielraum: Schindler, Läärä, Anomar und Zenatti
  • 2.2 Der Wandel: Gambelli und Placanica
  • 2.3 Zwei Schritte zurück: Liga Portuguesa
  • 2.4 Zum Werbeverhalten: Ladbrokes, Sporting Exchange und Sjöberg Gerdin
  • 2.5 Zur Kohärenz: Carmen Media und Markus Stoß
  • 2.6 Weitere Entwicklung: Zeturf und Dickinger & Ömer
  • 2.7 Neueste Entwicklungen: HIT LARIX, Sia Garkalns und Stanleybet
  • III. Zusammenfassung unionsrechtlicher Anforderungen an mitgliedstaatliche Glücksspielregulierung
  • 1. Besonderheiten des Glücksspiels
  • 2. Ermessensspielraum
  • 3. Die zulässigen Rechtfertigungsgründe der Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Glücksspielbereich
  • 4. Verhältnismäßigkeitsprüfung
  • 4.1 Geeignetheitsprüfung
  • 4.1.1 Kohärenzgebot
  • 4.1.2 Wird für die Feststellung der Ungeeignetheit der Beschränkung zur Zielerreichung eine besondere Schwere der Inkohärenz verlangt?
  • 4.1.3 Aufbau der Geeignetheitsprüfung
  • 4.1.4 Kohärenzprüfung und Ziele der Glücksspielregulierung
  • 4.1.5 Kohärenz und Glücksspielwerbung
  • 4.2 Erforderlichkeitsprüfung
  • 5. Schlussanmerkung
  • E. Unionsrechtskonformität der Glücksspielwerbebestimmungen der Vergleichsstaaten
  • I. Deutschland
  • 1. Zum GlüStV aus dem Jahr 2008
  • 1.1 Unionsrechtliche Vorgaben in der ausgewählten Rechtsprechung der deutschen Gerichte nach Carmen Media und Markus Stoß
  • 1.2 Kritik der Werbepraxis des Monopolträgers nach dem GlüStV 2008
  • 2. Zum GlüÄndStV
  • 2.1 Rechtfertigungsgründe – Zentralnorm des § 1 GlüÄndStV
  • 2.2 Verhältnismäßigkeitsprüfung der Werbebestimmungen des GlüÄndStV
  • 2.2.1 Abstrakte Geeignetheit zur Zielerreichung
  • 2.2.2 Konkrete Geeignetheit zur Zielerreichung – Kohärenzprüfung
  • 2.2.2.1 Werbebestimmungen des GlüÄndStV und die Kanalisierung des natürlichen Spieltriebs
  • 2.2.2.1.1 § 5 Abs. 1 GlüÄndStV und die Werberichtlinie gem § 5 Abs 4 GlüÄndStV
  • 2.2.2.1.2 § 5 Abs 3 GlüÄndStV und die Werberichtlinie gem § 5 Abs 4 GlüÄndStV
  • 2.2.2.1.3 § 5 Abs. 5 GlüÄndStV – das Verbot der Bewerbung des unerlaubten Glücksspiels
  • 2.2.2.1.4 Praktische Kohärenz – Werbeverhalten der Glücksspielanbieter in Deutschland
  • 2.2.2.2 Werbebestimmungen des GlüÄndStV und der Jugend- und Spielerschutz
  • 2.2.2.3 § 26 Abs. 1 GlüÄndStV – Werbung für Spielhallen
  • 2.2.3 Erforderlichkeit zur Zielerreichung
  • II. Großbritannien
  • 1. Rechtfertigungsgründe – Section 1 Gambling Act 2005 und Section 4 National Lottery Act 1993
  • 2. Rechtmäßigkeit der britischen Glücksspielwerbebestimmungen
  • 2.1 Gambling Act 2005 – keine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit
  • 2.2 CAP- und BCAP-Codes und der Verhaltenskodex der Glücksspielindustrie
  • 2.2.1 Selbstregulierung und Dienstleistungsfreiheit
  • 2.2.2 Verhältnismäßigkeitsprüfung
  • 2.2.2.1 Abstrakte Geeignetheit zur Zielerreichung
  • 2.2.2.2 Konkrete Geeignetheit zur Zielerreichung
  • 2.2.2.2.1 Normative Kohärenz
  • 2.2.2.2.2 Praktische Kohärenz
  • 2.2.2.3 Erforderlichkeit zur Zielerreichung
  • III. Polen
  • 1. Rechtfertigungsgründe – fehlende Transparenz
  • 2. Verhältnismäßigkeitsprüfung des Art. 29 GlüG
  • 2.1 Abstrakte Geeignetheit zur Zielerreichung
  • 2.2 Konkrete Geeignetheit zur Zielerreichung
  • 2.2.1 Normative Kohärenz
  • 2.2.2 Praktische Kohärenz
  • 2.3 Erforderlichkeit zur Zielerreichung
  • F. Fazit
  • I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Änderungsvorschläge
  • II. Ausblick in die Zukunft
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang

Danksagung

Die vorliegende Dissertation wäre ohne die Unterstützung von vielen, wunderbaren Personen nicht entstanden. Daher möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um meinen großen Dank zum Ausdruck zu bringen.

An erster Stelle möchte ich mich herzlich bei meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Dr. Dr. h.c. Franz Jürgen Säcker bedanken, dass er mir die Möglichkeit gegeben hat, diese Arbeit unter seiner Leitung zu verfassen. Ich danke insbesondere für seine Rat und die Freiheit, die er mir bei der Verfassung dieser Dissertation gegeben hat. Herrn Professor Dr. Steffen Hindelang bin ich für sein zweites Gutachten zu Dank verpflichtet.

Ganz besonderen Dank schulde ich meinen lieben Eltern Elżbieta und Wojciech Olbryś, die mir das Studium und die Promotion ermöglicht haben und stets an mich geglaubt haben. Ich danke auch meiner Schwester Paulina Olbryś für ihren Rat und aufbauende Worte, die ich bei der Anfertigung dieser Arbeit so sehr gebraucht habe. Meinen Großeltern möchte ich für Ihre Hilfsbereitschaft und Aufmunterung von ganzem Herzen danken.

Mein allergrößter Dank gilt jedoch meinem Mann Dr. Grzegorz Sobieszuk, der mich stets bestärkt hat, wenn ich an mir gezweifelt habe. Als Dank für seine ständige Unterstützung widme ich ihm diese Arbeit. ← 11 | 12 →

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A. Einführung und Problemstellung

I.   Einleitung

Der Glücksspielmarkt stellt einen der am schnellsten wachsenden Wirtschaftssektoren dar. Da beim Glücksspiel sowohl das Thema der großen Geldsummen als auch menschlichen Schwächen in Frage kommt, wird die Regulierung dieses Bereichs nicht nur auf der nationalen, sondern auch auf der europäischen Ebene zur Diskussion gestellt. Seit der Entstehung des Glücksspiels um Geld müssen sich die Staaten mit dem Dilemma, „ob und in welchem Ausmaß das Glücksspiel toleriert werden kann, und wer die Nutznießer der durch das Glücksspiel bewirkten enormen Vermögensverschiebungen sein sollen“1, auseinandersetzen. Die Mitgliedstaaten genießen einen großen Ermessensspielraum hinsichtlich der nationalen Glücksspielregulierung, wobei die aus dem Glücksspiel folgenden Gefahren der Spielsucht und Kriminalität die weitreichenden Beschränkungen in diesem Wirtschaftsektor begründen sollen. Der Einsatz einer Reihe normativer Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten zur Begrenzung der Glücksspieltätigkeiten wird jedoch nicht zuletzt dadurch motiviert, dass die Mitgliedstaaten das erhebliche Potenzial des Glücksspiels im Hinblick auf dessen Finanzvolumen für sich selbst entdeckt haben und die aus dem Glücksspiel folgenden Einnahmen am liebsten in den Staatshaushalt lenken würden.2 Die Beibehaltung des richtigen Gleichgewichts zwischen der Suchtprävention und der Suchtförderung wird den Mitgliedstaaten zusätzlich durch den Einfluss des Unionsrechts auf die nationalen Rechtssysteme erschwert. Denn in Anbetracht der fehlenden sekundärrechtlichen Regelung in diesem Bereich und des wirtschaftlichen Charakters des Glücksspiels muss bei der nationalen Glücksspielregulierung auch den Vorgaben der Grundfreiheiten Rechnung getragen werden. Der vorliegende Balancekat der Mitgliedstaaten kommt besonders bei der Regulierung der Glücksspielwerbung zum Ausdruck und stellt dementsprechend den Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit dar. Diese Studie wurde im Juni 2013 vorgelegt. Aus diesem Grund konnten nur die Literatur und die Rechtsprechung berücksichtigt werden, die zu diesem Zeitpunkt verfügbar waren. ← 13 | 14 →

II.  Gang der Untersuchung

Das Ziel der vorliegenden Arbeit liegt in der Untersuchung der Unionsrechtskonformität der Glücksspielwerberegelungen in Deutschland, Großbritannien und Polen. Die Beispiele der Vergleichsstaaten veranschaulichen die Vielfalt der möglichen Werberegimes bezogen auf Glücksspiel, wobei die britischen Werberegelungen den liberalsten und die polnische den restriktivsten Ansatz darstellen. Die vorliegende Erörterung wird in vier Teile gegliedert.

Das erste Kapitel – Kapitel B. – setzt sich mit dem Glücksspielbegriff in Vergleichsstaaten auseinander. Obwohl intuitiv bewusst ist, was als Glücksspiel eingestuft werden soll, erweist sich die Festlegung einer klaren legalen Glücksspieldefinition in der Praxis als schwierig. Folglich werden angesichts des Fehlens einer einheitlichen, sekundärrechtlichen Glücksspieldefinition im Kapitel B die entsprechenden Begriffsbestimmungen in den Vergleichsstaaten analysiert. Allerdings zeigt Kapitel B, dass schon die Präzisierung des Glücksspielbegriffs maßgebliche Streitigkeiten auf der nationalen Ebene auslösen kann. Nach der Präzisierung des Glücksspielbegriffs werden im Kapitel C. die Glücksspielwerberegimes in Deutschland, Großbritannien und Polen besprochen. Kapitel C. stellt eine umfassende Analyse der nationalen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur zur Glücksspielwerbung in den Vergleichsstaaten dar. Da jedoch die Beurteilung der Unionsrechtskonformität der mitgliedstaatlichen Glücksspielwerbebestimmungen systematisch, also im Rahmen des jeweiligen Glücksspielrechtssystems und damit mit Berücksichtigung der anderen Vorschriften erfolgt, werden im Kapitel C. auch die wichtigsten Grundsätze der jeweiligen Glücksspielrechtssysteme erläutert.

In dem nächsten Teil der vorliegenden Arbeit werden die unionsrechtlichen Rahmen für die Beurteilung der Glücksspielwerberegelungen zusammengefasst. Folglich erläutert der erste Abschnitt des Kapitels D. die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der nationalen Regelungen einschlägigen Grundsätze des Unionsrechts. Der zweite Teil stellt eine ausführliche Analyse der Rechtsprechung des EuGH zum Glücksspielwesen dar. Demnach werden die einzelnen Urteile des EuGH nacheinander analysiert, wobei sie in die die wichtigsten Meilensteine veranschaulichenden Blöcke aufgeteilt werden. Die detaillierte Erörterung der Rechtsprechung des EuGH ermöglicht den Raum für die kritische Auseinandersetzung mit der EuGH-Judikatur und erlaubt, den Entwicklungsprozess der unionsrechtlichen Rechtfertigungsprüfung für die Beschränkungen der Grundfreiheiten in dem Glücksspielbereich darzubieten. Der dritte Teil des Kapitels D. verleiht der zahlreichen und manchmal schwer übersichtlichen Rechtsprechung des EuGH den strukturierten Rahmen, in dem die durch den EuGH formulierten ← 14 | 15 → Maßstäbe zusammengefasst werden und der klare Aufbau der Rechtfertigungsprüfung ausgearbeitet wird. Dieser wird folglich in dem Kapitel E. zur Beurteilung der Vereinbarkeit der nationalen Glücksspielwerberegimes der Vergleichsstaaten mit dem Unionsrecht angewendet. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung werden ferner in dem letzten Kapitel F. präsentiert und die entsprechenden Änderungen der gegenwärtigen Rechtslage werden vorgeschlagen. Die Arbeit endet mit dem Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen hinsichtlich der Glücksspielbranche auf nationaler und unionsrechtlicher Ebene. ← 15 | 16 →

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   1 Gebhardt, in: Gebhardt/Grüsser-Sinopoli, Glücksspiel in Deutschland, S. 4.

   2 A. a. O., S. 5.

B. Grundbegriff des Glücksspiels

I.   Allgemeines zum Glücksspiel

1. Wirtschaftliche Bedeutung des Glücksspiels

Die Glücksspielproblematik ist in den letzten Jahren sehr brennend geworden. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in einer steigenden Dynamik des Glücksspielsektors und den daraus fließenden Einnahmen. Die unten aufgeführten Statistiken zeigen, dass sowohl das Potenzial, aber auch Risiken dieser Wirtschaftszweige nicht unterschätzt werden dürfen.

Die Europäische Kommission konnte die Problematik des Glücksspiels nicht außer Acht lassen. Im Jahr 2004 hat sie das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung mit der Aufgabe betraut, eine Studie vorzubereiten, die eine umfassende Analyse der wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte des Glücksspielsektors enthalten sollte. Demzufolge wurde am 14. Juni 2006 ein detaillierter rechtsvergleichender Bericht3 erlassen. Der zweite Teil des Berichts bezieht sich auf die wirtschaftliche Lage der Glücksspielindustrie in damals 25 Mitgliedstaaten. Die Studie hebt hervor, dass die Nachfrage nach Glücksspieldienstleistungen im 21. Jahrhundert stark gestiegen ist. Gründe dafür seien die höheren Einkommen der Bevölkerung, die größere Bereitschaft der nationalen Regierungen, den Glücksspielsektor zu regulieren, um die daraus fließenden finanziellen Profite zu kontrollieren, die Akzeptanz des Glücksspiels als Form der Freizeitunterhaltung und letztendlich die Entwicklung neuer Erscheinungsformen des Glücksspiels (vor allem dank der Entwicklung des neuen Mediums Internet).4

Wie groß die wirtschaftliche Dimension dieses Markts ausfällt, veranschaulichen folgende Zahlen. Der Bruttospielertrag5 der Glücksspielanbieter betrug im Jahr 2003 fast 52 Mrd. Euro6, wovon der größte Anteil im Markt – 45 % (23 Mrd. Euro) – auf die Lotterien entfiel, die interessanterweise meistens dem ← 17 | 18 → staatlichen Monopol unterliegen. Die übrige Aufteilung des Markts in 2003 sah folgendermaßen aus: 19 % (9,7 Mrd. Euro) des Marktanteils umfassten die Spielautomaten, 17 % (8,9 Mrd. Euro) die Wetten, 15 % (7,5 Mrd. Euro) die Spielbanken und 5 % (2,4 Mrd. Euro) das Bingo-Spiel.7 Die Rasanz des Wachstums der Glücksspielindustrie seit dem Jahr 2003 ist tatsächlich überraschend. Laut dem 2011 von der Europäischen Kommission erlassenen Arbeitsdokument zum „Grünbuch zum Online-Glücksspiel im Binnenmarkt“ betrug der in 2008 erzielte Bruttospielertrag fast 76 Mrd. Euro (für 27 Mitgliedstaaten).8 Dies bedeutet, dass die Einnahmen im Verhältnis zum Jahr 2003 um 46 % angestiegen sind. Die stärkste Entwicklung erfuhr das Segment des Online-Glücksspiels.9 Die sich im Jahr 2004 zwischen 2 und 3 Mrd. Euro10 bewegenden Einnahmen aus Internet-, Mobiltelefon- und Fernsehglücksspiel haben im Jahr 2008 über 6,16 Mrd. Euro erreicht, und es wird geschätzt, dass sie sich in den nächsten fünf Jahren verdoppeln werden.11 Die oben präsentierte Statistik ist von großem Interesse für die Regierungen der Mitgliedstaaten, da nicht vergessen werden darf, dass die Erlöse der Glücksspielindustrie in der Regel hohen Steuern unterliegen. Sie stellen demnach eine nicht unerhebliche Quelle der öffentlichen Einnahmen für – besonders heutzutage – überstrapazierte Finanzen der europäischen Länder dar.

1.1 Deutschland

Die Ausgestaltung des deutschen Glücksspielmarkts wurde in den letzten Jahren durch die Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags12 (weiter: GlüStV) in 2008 stark beeinflusst. Infolge seiner restriktiven Regelungen hatte die Glücksspielindustrie in 2009 einen Rückgang um 3,8 % im Verhältnis zum Jahr 2008 zu verzeichnen. Die Umsätze auf dem deutschen Glücksspielmarkt13 sind von 24,90 ← 18 | 19 → Mrd. Euro auf 23,96 Mrd. Euro gesunken14. Bemerkenswert ist, dass diese Zahl noch vor dem Inkrafttreten des GlüStV beträchtlich höher lag. Denn die Gesamtumsätze betrugen im Jahr 2007 fast 28 Mrd. Euro15. Die gesetzlichen Änderungen finden ferner ihre Widerspiegelung in der Glücksspielmarktaufteilung. In 2005 haben Spielbanken und Lotto- sowie Totoblock-Angebote fast den gleichen Marktanteil gehalten, und zwar mit jeweils 39,7 % und 39,2 %16. Geldspielautomaten erzielten damals einen Anteil von 20,6 %. Die übrigen 9,6 % wurden zwischen Klassen-, Fernsehlotterien, Prämien-, Gewinnsparen und Pferdrennen verteilt. Heutzutage ist diese Marktgestaltung nicht mehr aktuell. Bereits in 2009 haben Geldspielautomaten vermeintlich u. a. aufgrund der Novellierung der Spielverordnung17 aus dem Jahr 2006 eine führende, 34,9 % betragende Stellung auf dem Glücksspielmarkt übernommen. Der Anteil der Spielbanken ist dementsprechend auf 28,6 % und der der Lotto- und Totoblockangebote auf 29,2 % gesunken.18

Es ist bemerkenswert, dass sich die oben aufgeführten Statistiken des „Jahrbuchs Sucht 2011“ nur auf den regulierten Glücksspielmarkt beziehen. Dies bedeutet, dass die Studie der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) keine Produkte des Glücksspielmarkts umfasst, die illegal angeboten werden oder deren rechtlicher Status nicht handfest geklärt ist.19 Zu dieser Produktgruppe gehören Online-Glücksspiele und durch den privaten Anbieter vermittelte Sportwetten. Die Untersuchungen der Goldmedia GmbH bieten dar, dass der Anteil des unregulierten Markts im Sektor der Wetten in 2009 auffallende 86 % betrug, wobei im Segment der Spielbanken und Lotto-Produkte jeweils 12 % und 3 % zu finden waren.20 Diese Feststellungen sind höchst erstaunlich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass zu den Zielen des GlüStV aus dem Jahr 2008 gem. § 1 GlüStV die Begrenzung des Glücksspielangebots, die Lenkung des natürlichen ← 19 | 20 → Spieltriebs der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen und die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Durchführung der Glücksspiele gehörten.

1.2 Großbritannien21

Großbritannien weist den am stärksten entwickelten Glücksspielmarkt unter den in dieser Arbeit behandelten Vergleichsstaaten auf. Seine Größe hat sich vor allem in den sechziger Jahre infolge des Inkrafttretens des Gaming Act 1960 ausgebaut. Nach den Jahren des Verbots der Veranstaltung von Glücksspielen ist diese Gesetzgebung zum Meilenstein in der Geschichte des englischen Glücksspiels geworden. Die damals lang erwartete Liberalisierung hat aber auch schnell ihre Nachteile wie Glücksspielsucht und eine damit verbundene Pleitewelle nach sich gezogen, die zur Änderung des Gesetzes und zu einem restriktiveren Glücksspielregime in Form von Gaming Act 1968 geführt haben.22 Die Lockerung der Glücksspielregulierung ist erst in 1993 mit der Einführung der in dem National Lottery Act 1993 regulierten National Lottery und dann in 2005 mit dem Gambling Act 2005 eingetreten. Die heutige Situation der Glücksspielindustrie in Großbritannien stellt eine Folge ihrer stürmischen Geschichte dar und reflektiert die neusten Trends in der Richtung der nochmaligen Deregulierung dieser Branche.

Der Gesamtumsatz der britischen Glücksspielindustrie hat im Jahr 2007 65,27 Mrd. Euro23 erzielt. Aufgrund der langen Tradition der Wetten in England gehört der größte Markanteil (fast 54 %) gerade zu diesem Sektor. Auf den nächsten Plätzen befinden sich Spielautomaten (24 %), Lotteriewesen24 (14 %) und Spielbanken (8 %).25 Diese Statistik berücksichtigt nicht die Glücksspiele, die mittels Internet, Telefon, Fernsehen, Rundfunk oder anderer elektronischer Kommunikationsmittel veranstaltet werden (sogenanntes „remote gambling“). Laut den Schätzungen der Gambling Commission – eines Kontrollorgans für alle ← 20 | 21 → Erscheinungsformen des Glücksspiels außer National Lottery – hatte „remote gambling“ in der Zeit von Oktober 2009 bis September 2010 12 % des Marktanteils26, wovon 75 % zu den Glücksspielen gehören, die nicht in Großbritannien veranstaltet werden.27 Diese Situation bildet eine Konsequenz der durch die anderen EU-Staaten nicht erwiderten Offenheit Großbritanniens gegenüber den in den übrigen europäischen Ländern legitim zugelassenen Glücksspielanbietern.

1.3 Polen

Die gesetzliche Regelung des Glücksspiels befindet sich in Polen in den Anfängen. Die Ursache dafür ist eine Korruptionsaffäre, die Änderungen des seit den neunziger Jahren geltenden und daher schon veralteten Gesetzes über Glücksspiele und beiderseitige Wetten bewirkt28. Nach der Offenbarung im Oktober 2009 hinsichtlich des Drängens der Unternehmer aus der Spielautomatenbranche auf die Politiker, bezogen auf die beabsichtigte Einführung der zehnprozentigen Zuschläge, die die Betreiber der Spielbanken und Spielsalons zugunsten des Sports abführen sollten, hat das neue Gesetz über Glücksspiele (weiter: GlüG)29 eine anfangs nicht geplante, höchst restriktive Gestaltung angenommen. Die Regierung wollte damit die öffentliche Meinung beruhigen. Im Ergebnis gilt in Polen das strengste – im Vergleich zu Deutschland oder Großbritannien – Glücksspielgesetz, mit dem Verbot des Online-Glücksspiels (mit Ausnahme der Wetten), der Glücksspielwerbung und dem Gebot der Beseitigung aller Spielautomaten mit niedrigen Gewinnquoten bis zum Jahr 201530.

Die vorliegenden gesetzlichen Änderungen finden selbstverständlich ihren Widerhall in der Gestaltung der Glücksspielindustrie. Bemerkenswert ist, dass der Glücksspielmarkt in Polen relativ neu und daher unreif ist (vor allem im Vergleich zu Deutschland oder Großbritannien). Sein Potenzial ist insoweit unsicher und wird sich in den folgenden Jahren klären. Die Glücksspielindustrie hatte einen Gesamtumsatz für das Jahr 2010 von 16,23 Mrd. złoty (ca. 4,06 Mrd. ← 21 | 22 → Euro31) zu verzeichnen. Das sind 34 % weniger als im Jahr 2009, vor dem Inkrafttreten des neuen Glücksspielgesetzes, als der Umsatz 20,37 Mrd. złoty (ca. 5,09 Mrd. Euro) betrug.32 Der größte Marktanteil gehört den Spielautomaten – 70,4 %, der Rest ist zwischen Zahlenspielen – 15 %, Spielbanken – 7,8 %, Lotterien – 2 % und Wetten – 4,8 % aufgeteilt. Laut der neusten Novellierung des Glücksspielgesetzes vom 26. Mai 2011 wird das Online-Glücksspiel (außer Online-Wetten) ganz verboten. Dies steht aber der Weiterentwicklung dieses Sektors nicht entgegen. Es wird geschätzt, dass die Umsätze dieser Branche in 2009 fast 3 Mrd. złoty (0,75 Mrd. Euro)33 erreichten, was im Verhältnis zum Umsatz des legalen Glücksspielmarkts eine nicht unerhebliche Quote darstellt.

2. Soziale Dimension des Glücksspiels

Der Regulierungsbedarf des Glücksspiels folgt nicht nur aus dessen Potenzial als Quelle der öffentlichen Einnahmen für den Staatshaushalt, sondern auch aus den Risiken, die das Glücksspiel nach sich zieht. Obwohl Glücksspiel von manchen als harmloses Freizeitvergnügen betrachtet wird, birgt es die Gefahr eines unkontrollierten Spieltriebs, der Arbeitslosigkeit, Begleitkriminalität und Betrügerei. Dies scheint den Vergleichsstaaten klar zu sein, da ein freier, unbeschränkter Wettbewerb als Glücksspielregulierungsmodell von keinem ausgewählt wurde. Die Bekämpfung der unerwünschten, potenziellen Nebenfolgen des Glücksspiels stellt regelmäßig einen Rechtsfertigungsgrund für die nationalen Beschränkungen der unionsrechtlich garantierten Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (Art. 56 und 49 AEUV) im Glücksspielsektor dar. Denn unabhängig davon, ob es um ein Monopol oder Konzessionssystem geht, bilden sie alle unbestreitbar ein Hemmnis auf dem Weg zum Binnenmarkt. Vorliegende Begrenzungen der Grundfreiheiten müssen jedoch hingenommen werden, soweit es aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Gesundheit (Art. 52 AEUV) oder zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses34 notwendig ist. Die Maßnahmen gegen die mit dem Glücksspiel verbundenen Risiken wie etwa Glücksspielsucht, Betrügerei, Folgekriminalität oder überhöhte Ausgaben für das Spielen wurden von dem EuGH als zwingende Gründe des Allgemeininteresses ← 22 | 23 → in Hinblick auf Spieltätigkeitsbegrenzungen ausdrücklich anerkannt.35 Die Frage ist nun, ob diese Risiken in solchem Maße für die Gesellschaft bedrohlich sind, dass deren Auswirkungen nur durch die Beschränkungen der oben erwähnten Grundfreiheiten abgewehrt werden können. Anders ausgedrückt: Was sind die tatsächlichen sozialen Konsequenzen des Glücksspiels?

Wie oben erwähnt, gilt die Vorbeugung der schädlichen Folgen des Glücksspiels als das Primärziel der Reglementierung dieser Wirtschaftsbranche in Vergleichsstaaten. Folglich verweist § 1 S. 1 des deutschen GlüÄndStV u. a. auf die Verhinderung der Glücksspielsucht, den Jugend- und Spielerschutz und die Vorbeugung der Folge- und Begleitkriminalität als die wichtigsten Ziele der deutschen Glücksspielregulierung. Dahingegen lässt der englische Gesetzgeber die Bekämpfung der Glücksspielsucht aus den Zielsetzungen der Glücksspielregulierung aus und konzentriert sich auf die Kriminalitätsprävention, die Transparenz der Glücksspielveranstaltung und den Schutz der Jugendlichen und besonders gefährdeten Gruppen.36 Jedoch stellt die Glücksspielsucht – obwohl nicht von dem Gesetzgeber erwähnt – ein spürbares Problem der britischen Gesellschaft dar. In der Tat zeigten nach den in der British Gambling Prevalence Studie 2010 ermittelten Prävalenzraten im Jahr 2010 0,9 % der Bevölkerung (ca. 451.000 Personen)37 ein problematisches Spielverhalten38, wobei in Deutschland die Raten zwischen 0,19 % – 0,64 % (98.000–347.00 Personen) schwankten39. Dagegen erklären die Erläuterungen zum polnischen Glücksspielgesetz, dass ein berechtigtes Interesse des Staats an der Kontrolle und Regulierung des Glücksspielmarkts eben aus den mit der Glücksspielsucht verbundenen Gefährdungen folgt.40 Angesichts dieser Feststellungen ist erstaunlich, dass die Glücksspielsucht nach Meinung des polnischen Gesundheitsministeriums keine Gefahr für die Volksgesundheit in Polen darstellt. Allerdings ist aber, wie das Ministerium ← 23 | 24 → betont, nicht zu übersehen, dass die Zahl der pathologischen Spieler von 384 in 2005 auf 1340 in 2009 gestiegen ist.41

Die Glücksspielsucht stellt nicht die einzige Gefahr des problematischen Spielverhaltens dar. Eine Abhängigkeit kann nicht nur den Süchtigen und seine Familie, sondern auch die soziale Umwelt und generell die Allgemeinheit auf verschiedene Weisen schädigen.42 Die pathologischen Spieler sind z. B. stärker anfällig für Verschuldung und kriminelle Tätigkeiten, um ihre Glücksspielsucht zu finanzieren.43 Laut dem Jahrbuch Sucht 2011 weisen gerade die pathologischen Spieler die höchsten Schulden auf.44

Diesbezüglich generiert Glücksspielsucht neben den direkten Kosten, die mit der Behandlung von Abhängigkeit, Beschaffungskriminalität, Strafverfolgung, Verwaltung der Arbeitslosigkeit, Ehescheidungen und Spielerschutz verbunden sind, auch indirekte Kosten, wie etwa Kosten des spielbedingten Verlusts des Arbeitsplatzes, krankheitsbedingter Fehlzeiten oder verringerter Arbeitsproduktivität.45 Außerdem müssen auch intangible Kosten in Betracht gezogen werden. Diese umfassen monetär bewertete Einschränkungen der Lebensqualität, die bei dem Spielsüchtigen und seinen Angehörigen auftreten.46 Nach den Schätzungen betrugen die sozialen Kosten des Glücksspiels in Deutschland für das Jahr 2008 insgesamt 326 Mio. Euro, mit direkten Kosten von 152 Mio. und indirekten von 174 Mio. Euro.47 Dagegen wurden laut den Untersuchungen des polnischen Nationalen Gesundheitsfonds48 (NFZ) für die Behandlung der pathologischen Spieler in Polen von Januar bis September 2009 799.573,00 złoty (ca.199.893,00 ← 24 | 25 → Euro) verbraucht.49 Obwohl nicht besonders hoch, ist diese Quote umso besorgniserregender, da im Jahr 2005 eine deutlich niedrigere Summe von 98.079,00 złoty (ca. 24.519,00 Euro) für die Glücksspielsuchttherapie festgelegt wurde.

3. Zusammenfassung

Die Glücksspielregulierung stellt ein äußerst umstrittenes Thema dar, weil das Glücksspiel zum Gegenstand ganz widersprüchlicher Interessen geworden ist. Zum einen ergibt die Glücksspielindustrie, wie in dem ersten Teil dieses Kapitels dargelegt wurde, eine Quelle der hohen Staatseinnahmen, die die Länder am liebsten als die staatlichen Glücksspielanbieter für sich selbst vereinnahmen würden. Zum anderen steht die Fokussierung der öffentlichen Interessen auf die Vermehrung der Staatseinnahmen im klaren Widerspruch zu der Aufgabe der Glücksspielsuchtbekämpfung. Wie die Geschichte gezeigt hat, kommt das Totalverbot des Glücksspiels jedoch überhaupt nicht in Betracht, weil es zu einem Aufschwung des Schwarzmarkts führen würde. Die Schaffung eines vernünftigen, beide Interessen in Einklang bringenden Glücksspielregulierungsmodells ist dagegen höchst problematisch, was noch durch die Frage der Vereinbarkeit der nationalen Beschränkungen der Spieltätigkeiten mit dem Unionsrecht verschärft wird.

Allerdings befindet sich die Problematik der Glücksspielwerbung genau im Brennpunkt der Diskussion über die Zukunft des Glücksspiels in Europa. Es berührt nämlich alle oben erwähnten Problemfelder. Obwohl die Glücksspielwerbebeschränkungen auf der einen Seite zur Glücksspielsuchtprävention beitragen können, sind sie auf der anderen Seite weder mit der Idee der Sicherung der öffentlichen Einnahmen aus dem Glücksspiel noch mit den Prinzipien des Binnenmarkts vereinbar. Schließlich darf die Rolle der unbegrenzten Glücksspielwerbung bei der Lenkung des natürlichen Spieltriebs der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen nicht unterschätzt werden. Die unterschiedlichen Facetten des Glücksspiels machen den Balanceakt des Staats zwischen Suchtförderung und Suchtprävention50 zu einer unsagbar schwierigen Aufgabe. ← 25 | 26 →

II.  Definition

1. Glücksspielbegriff im Unionsrecht

1.1 Allgemeines

Die Präzisierung des Glücksspielbegriffs ist maßgeblich für die Klärung des Gegenstands der vorliegenden Arbeit und damit ihres Anwendungsbereichs. Aufgrund der Zugehörigkeit der Vergleichsstaaten zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Recht den nationalen Regelungen vorrangig ist51, ist die Ermittlung der unionsrechtlichen Definition für die vorliegende Erörterung von primärer Bedeutung.

Allerdings hat die Europäische Kommission bereits in neunziger Jahre eine Studie über das Glücksspiel in den Mitgliedstaaten52 mit dem Gedanken der möglichen Harmonisierung dieses Gebiets beauftragt. Die Entstehung der sekundärrechtlichen Regelungen wurde jedoch wegen des nicht ausreichenden politischen Willes der Mitgliedstaaten effektiv verhindert.53 Als Folge verzichtete die Europäische Kommission auf die Glücksspielreglementierung54. Die Beurteilung der nationalen Regelungen erfolgt deswegen hauptsächlich nach dem Primärrecht. Nichtdestotrotz – obwohl das Glücksspiel bis auf weiteres aus der Gesetzgebung des Sekundärrechts ausgeklammert wurde – lässt es die Mitgliedstaaten nicht ohne gewisse Hinweise bezüglich seiner Definition i. S. d. Unionsrechts.

1.2 Begriffsbestimmung

Widersinnig befindet sich die Glücksspieldefinition gerade in den Bestimmungen der sekundärrechtlichen Regelungen, die das Glücksspiel aus dem eigenen Bereich ausschließen. Art. 1 Abs. 5 lit. d der E-commerce Richtlinie55 lässt ← 26 | 27 → „die Gewinnspiele mit einem Geldwert darstellenden Einsatz bei Glücksspielen, einschließlich Lotterien und Wetten“, aus deren Anwendungsbereich aus. Nach dieser Definition erscheinen Glücksspiele expressis verbis lediglich als Unterfall der Gewinnspiele, die neben Glücksspielen auch Lotterien und Wetten umfassen. In diesem Sinne ist die Glücksspieldefinition sehr eng, da sie folglich nur Casinospiele bzw. Spielautomaten erfassen muss. Erwägungsgrund 16 der E-commerce-Richtlinie bestätigt dies zusätzlich, indem er erklärt, dass

die Ausklammerung von Gewinnspielen aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie nur Glücksspiele, Lotterien und Wetten mit einem Geldwert darstellenden Einsatz betrifft“.

Das Ziel der E-commerce-Richtlinie besteht in der Gewährleistung, „ein[es] hohe[n] Niveau[s] der rechtlichen Integration in der Gemeinschaft, um einen wirklichen Raum ohne Binnengrenzen für die Dienste der Informationsgesellschaft zu verwirklichen56. Glücksspiele wurden wegen der Unmöglichkeit der Schaffung des freien Dienstleistungsverkehrs in diesem Bereich aus deren Anwendungsbereich ausgeschlossen.57

In dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Verkaufsförderung im Binnenmarkt58 wurde eine andere Glücksspielbegriffsbestimmung vorgeschlagen. Die Verordnung soll

„ein hohes Maß an rechtlicher Integration in der Gemeinschaft sichern, damit für die Nutzung und Bekanntmachung von Verkaufsförderaktionen ein echter Raum ohne Binnengrenzen entsteht“59.

Erwägungsgrund 7 des Vorschlags schließt aber die Anwendung der Verordnung auf „Glücksspiele wie Lotterien und Wetten mit geldwertem Einsatz“ aus. Die Gewinnspiele werden dagegen im Art. 2 lit. i definiert als eine zeitlich befristete Aufforderung zur Teilnahme an einem Spiel, bei dem der Gewinner vor allem durch Zufall ermittelt wird und bei dem die Teilnahme kostenlos ist. Der Artikel präzisiert ferner, dass Gewinnspiele dieser Art keine Glücksspiele einschließlich Lotterien und Wetten mit einem geldwerten Einsatz erfassen. Der europäische Gesetzgeber unterscheidet somit deutlich – im Gegensatz zu der durch die ← 27 | 28 → E-commerce-Richtlinie vorgeschlagenen Definition – zwischen Gewinn- und Glücksspielen, wobei bei dem Ersten kein Einsatz und bei dem Zweiten ein Geldwert darstellender Einsatz verlangt wird. Dazu werden die Lotterien und Wetten nicht als separate Kategorien der Gewinnspiele, sondern als die Erscheinungsformen der Glücksspiele betrachtet.

Auch von dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie60, deren Ziel in dem Abbau der Beschränkungen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr liegt61, wurden Glücksspiele ausgeklammert. Der Grund dafür besteht in der spezifischen Natur dieser Tätigkeiten, die von Seiten der Mitgliedstaaten Politikansätze zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der Verbraucher bedingen.62 Art. 2 Abs. 2 lit. h der Richtlinie bestimmt, dass diese keine Anwendung auf die Glücksspiele findet, die einen geldwerten Einsatz verlangen, einschließlich Lotterien, Glücksspielen in Spielkasinos und Wetten. Die vorliegende Definition stimmt mit der oben vorgestellten Begriffsbestimmung aus dem Vorschlag der Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt überein, weil als Glücksspiele in diesem Fall auch nur die Spiele mit einem Geldeinsatz betrachtet werden. Der Letzte kommt somit als das Glücksspiel definierende Merkmal vor. In Anbetracht dieser Regelungen erscheint der Standpunkt des Europäischen Parlaments hinsichtlich eines Vorschlags der Dienstleistungsrichtlinie63 als verwirrend. Es erklärt, dass „Gewinnspiele einschließlich Lotterien und Wetten auf Grund der spezifischen Natur […] vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen sind“64. Die Abgrenzung zwischen Gewinn- und Glücksspielen wird dadurch völlig verschleiert und erweckt den falschen Eindruck, dass der Unterschied zwischen den beiden schlechthin ohne Bedeutung ist.

Zu der letzten sekundärrechtlichen Regelung, die quasi Glücksspieldefinition enthält, gehört die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste65. Die Richtlinie ← 28 | 29 → ist auf die Sicherung eines gemeinsamen Markts für die Herstellung und Verbreitung von Programmen, auf die Wahrung – unbeschadet der Funktion der audiovisuellen Mediendienste – des Allgemeininteresses und die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen gerichtet.66 Aus dem Begriff der audiovisuellen Mediendienste werden solche Dienste ausgeschlossen, deren Hauptzweck nicht in der Bereitstellung von Programmen besteht, d. h. bei denen audiovisuelle Inhalte lediglich eine Nebenerscheinung darstellen und nicht Hauptzweck der Dienste sind. Keine audiovisuellen Mediendienste i. S. d. Richtlinie sind daher beispielsweise Internetseiten, die lediglich zu Ergänzungszwecken audiovisuelle Materien enthalten, z.B. animierte grafische Elemente, kurze Werbespots oder Informationen über ein Produkt oder nichtaudiovisuelle Dienste.67 Genau deswegen erklärt der Erwägungsgrund 22, dass Glücksspiele mit einem einen Geldwert darstellenden Einsatz, einschließlich Lotterien, Wetten und anderer Gewinnspiele, sowie Online-Spiele aus der Richtlinie ausgeschlossen werden.

Nach der Berücksichtigung aller oben aufgeführten Definitionen ergibt sich, dass der Begriff der Gewinnspiele als ein Oberbegriff für unterschiedliche Gestaltungen des Spiels gilt. Es gibt Spiele mit einer kostenlosen Teilnahme – d. h. reine Gewinnspiele und Gewinnspiele mit einem Geldeinsatz –, die als Glücksspiele bezeichnet werden sollen. Unter den Begriff des Glücksspiels fallen deren verschiedenen Ausprägungen: Lotterien, Wetten oder Casinospiele. Interessanterweise wird das maßgebliche Merkmal aller Gewinnspiele68 (vor allem Glücksspiele) in den nationalen Rechtssystemen, d. h. die Zufallsabhängigkeit des Spiels, nur einmal im Art. 2 lit. i des Vorschlags für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt angedeutet69.

Der EuGH wurde niemals direkt aufgefordert, den Glücksspielbegriff zu präzisieren. Die Analyse seiner früheren Rechtsprechung zum Glücksspiel ermöglicht jedoch, ein Gefühl hinsichtlich seines Verständnisses der Glücksspieldefinition ← 29 | 30 → zu gewinnen. In der Rechtssache Schindler70 musste sich der EuGH u. a. mit der Frage befassen, ob Lotterien eine Dienstleistung im Sinne des Unionsrecht (Art. 57 AEUV71) darstellen. In der Rn. 27 führt der EuGH entsprechend aus:

„Im vorliegenden Fall geht es um Leistungen, die der Veranstalter der Lotterie erbringt, indem er die Käufer von Losen an einem Glücksspiel, das ihnen eine Gewinnchance eröffnet, teilnehmen lässt und zu diesem Zweck die Einsammlung der Einsätze, die Veranstaltung der vom Zufall bestimmten Ziehungen sowie die Festsetzung und die Auszahlung der Preise oder Gewinne sicherstellt.“72

Im Fall Läärä73 wurden obige Elemente bezüglich Automatenspielen bejaht und als das Glücksspiel definierende Eigenschaften anerkannt. Der Grund für den Glücksspielcharakter der Automatenspiele sei, dass sie gegen ein speziell für ihre Benutzung bestimmtes Entgelt die Chance eines Geldgewinns böten, so dass sie als Glücksspiele betrachtet werden sollten, die mit den Lotterien i. S. d. Urteils Schindler vergleichbar seien.74 Auch im Zenatti-Verfahren unterstrich das Gericht, dass der Sinn der Glücksspiele in der für einen Einsatz gegebenen Chance auf einen Geldgewinn besteht.75

Zusammenfassend – unter Berücksichtigung sowohl der vorliegenden Rechtsprechung des EuGH als auch der Bestimmungen des Sekundärrechts – können folgende das Glücksspiel i. S. d. Unionsrechts kennzeichnende Merkmale festgestellt werden: Spieleinsätze der Teilnehmer, Zufallsabhängigkeit des Spiels und Auszahlung der Gewinnquoten auf Gewinner. In welchem Maße diese Elemente der Glücksspieldefinition in den nationalen Rechtssystemen der Vergleichsstaaten auftreten, stellt den Untersuchungsgegenstand des folgenden Kapitels dar.

2. Glücksspielbegriff in Vergleichsstaaten

Das folgende Kapitel befasst sich mit der Präzisierung des Glücksspielbegriffs in den Vergleichsstaaten. Die Begriffsbestimmung ist besonders wichtig im Licht des eventuellen Strebens der EU-Mitgliedstaaten nach der Schaffung eines Binnenmarkts in dieser Branche. Die maßgeblichen Abweichungen bei der Definition des Glücksspiels können nämlich ein wirksames Hindernis auf dem Weg zur ← 30 | 31 → gegenseitigen, grenzüberschreitenden Anerkennung der nationalen Regelungen im Glücksspielbereich darstellen.76

Wegen der umstrittenen Natur der Spielautomaten in den Vergleichsstaaten und umfangreichen Literatur und Rechtsprechung zu diesem Thema, die sich als Gegenstand für eine eigenständige Dissertation eignen, bleibt die Analyse dieser Glücksspielart außerhalb der Überlegungen der vorliegenden Arbeit. Die Problematik der Spielautomaten kann jedoch im Rahmen der allgemeinen Diskussion kurz erwähnt werden, vor allem im Vergleich zu anderen Formen des Glücksspiels (d. h. Lotterien, Wetten und Casinospielen).

2.1 Deutschland

2.1.1 Allgemeine Anmerkungen zur Rechtslage und Glücksspieldefinition

Der am 30. Januar 2007 in Deutschland verabschiedete und am 1. Januar 2008 in Kraft getretene GlüStV wurde nach § 28 Abs. 1 S. 1 GlüStV mit einer Frist von vier Jahren verabschiedet. Die Länder wollten damit die Möglichkeit behalten, das Funktionieren des GlüStV zu evaluieren (§ 27 GlüStV) und falls nötig entsprechend zu korrigieren. Da die Regelungen des GlüStV inzwischen heftig diskutiert und sogar von dem EuGH mit den Urteilen vom 08.09.201077 kritisiert wurden, beschlossen die Länder schon Anfang des Jahres 2011 den Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüÄndStV)78. Anschließend wurde der GlüÄndStV im April 2011 ausweislich der Verpflichtungen aus der Richtlinie 98/34/EG79 der Europäischen Kommission notifiziert. Die Stellungnahme der Kommission vom 18. Juli 2011 beurteilte den GlüÄndStV als mit dem Unionsrecht unvereinbar und verlangte entsprechende Änderungen. Angesichts dieser Tatsache entschieden sich die Länder, die Geltung des GlüStV bis Juli 2012 zu verlängern. Im Oktober 2011 einigten sich die Bundesländer – mit Ausnahme ← 31 | 32 → von Schleswig-Holstein, das ein eigenes Gesetz zum Glücksspielwesen erlassen hat – auf einen modifizierten GlüÄndStV, der am 15. Dezember 2011 unterzeichnet wurde. Da der GlüÄndStV der Ratifizierungspflicht in jedem einzelnen Bundesland unterlag, ist er erst am 1. Juli 2012 in Kraft getreten. Die Einhaltung dieses Termins war jedoch bis zum Ende nicht sicher, vor allem weil einige Länder die Ratifizierung der neuen Regulierung von der positiven Stellungnahme der Europäischen Kommission abhängig gemacht hatten. Die Kommission erließ dagegen am 20.03.2012 eine erneute Stellungnahme, die eigentlich gemischte Gefühle hervorgerufen hat. Je nachdem, von wem interpretiert, wird die Stellungnahme entweder als grünes oder rotes Licht für den GlüÄndStV angesehen80. Die Kommission erklärte zwar nicht eindeutig, ob sie den modifizierten GlüÄndStV für unionsrechtswidrig hält, behielt sich jedoch ausdrücklich die Möglichkeit der Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland vor.

Der separate Regulierungsweg von Schleswig-Holstein in Form des am 14. September 2011 verabschiedeten und im Januar 2012 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels (GlückG SH)81 wurde inzwischen beendet. Obwohl die weitgehende Liberalisierung des Glücksspielmarkts nach GlückG SH durch die Europäische Kommission im Rahmen des Notifizierungsverfahrens als unionsrechtskonform erklärt wurde, entschied sich die im Mai 2012 gewählte Regierungskoalition in Schleswig-Holstein den durch die vorherige Regierung entlassenen GlückG SH aufzuheben und den GlüÄndStV der übrigen Glücksspielländer – entgegen der ablehnenden Stellungnahme der Europäischen Kommission – am 07.01.2013 beizutreten. In dieser Hinsicht ist jedoch hervorzuheben, dass das schleswig-holsteinische Innenministerium während der einjährigen Geltung des GlückG SH fünfundzwanzig Genehmigungen für die Anbieter von Sportwetten und dreiundzwanzig Genehmigungen für die Anbieter der Online-Casinospiele erteilt hat. Da diese Genehmigungen für die Laufzeit von sechs Jahren gegeben wurden, ist es fraglich, wie sie in Bezug auf die begrenzte Zahl der zwanzig zulässigen Sportwetten-Konzessionen nach GlüÄndStV und dem Verbot der Online-Casinospiele zu beurteilen sind.

Das deutsche Recht verfügte sehr lange über keine Definition des Glücksspiels. Als Ausgangpunkt diente jahrelang § 284 StGB82, der lediglich die ← 32 | 33 → Voraussetzungen der strafbaren Veranstaltung des Glücksspiels enthält, ohne eine explizite Begriffsbestimmung anzubieten. Die Rechtsfortbildung trug jedoch zur Feststellung der Glücksspielmerkmale bei. Mit dem Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags im Januar 2008 ist § 3 Abs. 1 GlüStV mit einer legalen Definition des Glücksspiels aufgekommen. Erstaunlicherweise schuf diese Normierung entgegen den Erwartungen eher mehr Rechtsunsicherheit als Sicherheit. Die Regelung des § 3 Abs. 1 GlüStV erschütterte nämlich schon eine gefestigte Definition des § 284 StGB. Ein bis heute äußert umstrittenes Problem stellt das Verhältnis beider Bestimmungen zueinander dar. Eine für die Praxis nicht unerhebliche Frage der Deckungsgleichheit der § 3 Abs. 1 GlüStV und § 284 StGB ist zum Thema der gerichtlichen Entscheidungen und des Schrifttums geworden. Als ob die Lage noch nicht kompliziert genug wäre, hat der die Zulässigkeit der Gewinnspiele im Rundfunk festlegende § 8a RStV83 für eine noch größere Verwirrung gesorgt.

Die Hoffnung auf die Änderung dieser Rechtslage brachte die Evaluierung des auf vier Jahre verabschiedeten GlüStV mit sich, und obwohl der schleswig-holsteinische Gesetzgeber die bisherigen Ungewissheiten mit der neuen Glücksspieldefinition klargestellt hat, verzichtete die GlüÄndStV auf derartige ausdrückliche und eindeutige Klärungen der obigen Streitigkeiten und beantwortete diese Frage mittelbar durch die Einführung des § 2 Abs. 6 GlüÄndStV. Das vorliegende Kapitel erläutert die Diskussion hinsichtlich der Glücksspieldefinition nach GlüÄndStV. Da diese jedoch weitgehend aus dem GlüStV 2008 übernommen wurde, bezieht sich der größte Teil der zitierten Quellen auf das vorherige GlüStV, die angesichts der fehlenden Änderungen diesbezüglich nicht an Bedeutung verloren haben. Darüber hinaus sind auch die Erläuterungen zu dem vorherigen GlüStV in Bezug auf die durch den GlüÄndStV nicht geänderten Abschnitte weiterhin relevant. Angesichts der Tatsache, dass das GlückG SH einen einzigen Rechtsakt zum Glückspielwesen in Deutschland darstellte, der keine Bedenken der Europäischen Kommission geweckt hatte, werden auch die Bestimmungen dieses Gesetzes kurz erläutert.

2.1.2 Glücksspiel nach § 3 Abs. 1 GlüÄndStV

Die einzige legale Definition des Glücksspiels befindet sich im § 3 Abs. 1 S. 1 GlüÄndStV, der besagt, dass Glücksspiel vorliegt, ← 33 | 34 →

Details

Seiten
428
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653053111
ISBN (ePUB)
9783653969481
ISBN (MOBI)
9783653969474
ISBN (Hardcover)
9783631659212
DOI
10.3726/978-3-653-05311-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Glücksspiel Werbung Europäisches Recht Dienstleistungsfreiheit
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 428 S.

Biographische Angaben

Anna Olbrys-Sobieszuk (Autor:in)

Anna Olbryś-Sobieszuk studierte Rechtswissenschaften in Polen, Southampton und Berlin. Im Anschluss an das LL.M. Studium an der Humboldt Universität zu Berlin arbeitete sie dort als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches Privatrecht, Rechtsvergleichung sowie Marktregulierung durch Verbraucher- und Wettbewerbsrecht. Sie wurde an der Freien Universität Berlin zur Dr. iur. promoviert. Zuletzt war sie für das Europäische Parlament in Brüssel tätig.

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Titel: EU-rechtliche Schranken der Glücksspielwerbung in Deutschland, Großbritannien und Polen
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