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Lehnwörter im Slawischen

Empirische und crosslinguistische Perspektiven

von Emmerich Kelih (Band-Herausgeber:in) Jürgen Fuchsbauer (Band-Herausgeber:in) Stefan Michael Newerkla (Band-Herausgeber:in)
©2015 Sammelband 262 Seiten

Zusammenfassung

Aktuelle Ansätze im Bereich der allgemeinen und slawischen Lehnwortforschung sind Inhalt dieses Bandes. Im Fokus stehen die systematische empirische Untersuchung von Lehnwörtern sowie damit verbundene theoretische und methodologische Probleme. Diese reichen von Fragen der Bestimmung von Lehnwörtern im Basiswortschatz und der Bedeutung eines frequenzbasierten Ansatzes über diverse Probleme bei der Identifikation von Lehnwörtern, den Anteil von Lehnwörtern in ausgewählten lexikalisch-semantischen Gruppen, korpuslinguistische Untersuchungen bis hin zu metalexikographischen und pragmatischen Untersuchungen. Betrachtete Sprachen sind u.a. das Altkirchenslawische, Bulgarische, Deutsche, Kroatische, Mazedonische, Slowakische, Slowenische, Tschechische und Türkische.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Probleme der empirischen Lehnwortforschung: Lehnwörter im Basiswortschatz (Slowenisch) und ein frequenzbasierter Ansatz (Kroatisch)
  • Kernproblembereiche der Lehnwortforschung anhand von Beispielen aus dem Kontaktbereich Deutsch, Tschechisch und Slowakisch
  • Lehn- und Erbwortschatz des Kroatischen in der semantischlexikalischen Gruppe „Religion und Glaube“ im Lichte von Etymologie und Empirie
  • The Methodology of the Loanword Typology Project: Opportunities for the Investigation of Loanwords in Slavic
  • Das Lehnwortportal Deutsch als kontaktlinguistisches Forschungsinstrument
  • Gräzisierung versus Sprachpurismus – Zum Fremdgut im Wortschatz des bulgarischen Kirchenslawisch des 14. Jahrhunderts
  • Ottoman language heritage in Macedonian: Un colosse aux pieds d’argile?
  • Borrowing in context: a pragmatic perspective on Turkisms in pre-standardised Balkan Slavic
  • Inner-Slavic contact from a corpus driven perspective
  • Reihenübersicht

Einleitung

Der vorliegende Sammelband geht zurück auf den internationalen Workshop „Lehnwörter im Slawischen: Empirische und crosslinguistische Perspektiven“, der in einem kleinen Kreis, dafür aber in umso produktiverer Atmosphäre vom 25. bis 26. September 2014 am Institut für Slawistik der Universität Wien stattfand. Bis auf zwei Ausnahmen werden in diesem Sammelband die damals präsentierten Beiträge abgedruckt.

Im Mittelpunkt des Workshops stand dabei die Frage der Untersuchung von Lehnwortbeziehungen von slawischen Sprachen; als Stimulus für die weiterführende theoretische, methodologische und empirische Auseinandersetzung wurde zu diesem Zweck ein in der Sprachtypologie und vergleichenden Sprachwissenschaft verankertes Projekt, nämlich Loanwords in the world’s languages1 von Haspelmath/Tadmor (2009a), herangezogen. Es ging darum die Möglichkeiten und Probleme auszuloten, die im Falle einer Untersuchung von slawischen Sprachen zu berücksichtigen sind. Das Projekt Loanwords in the world’s languages ist darauf ausgerichtet innerhalb einer Sprache den jeweiligen Bestand an Lehnwörtern auf folgende Weise systematisch zu erfassen: Ausgehend von einer vorgegebenen Basisliste von ca. 1500 Begriffen (eine Art Grund- bzw. Basiswortschatz mit einer Unterteilung in über 20 semantisch-lexikalische Felder) werden die jeweiligen Lexeme identifiziert, die potenziell als Lehnwörter gelten. Ziel ist es auf diese Weise eine verlässliche Datenbasis für einen systematischen und sprachübergreifenden Vergleich von Sprachen hinsichtlich ihres Lehnwortprofiles zu schaffen (vgl. dazu Haspelmath/Tadmor 2009b). Nachdem mittlerweile nach diesem Muster entsprechende Ergebnisse zu über 40 Sprachen vorliegen (vgl. dazu Haspelmath 2009, Tadmor 2009), dabei aber slawische Sprachen nur in geringem Ausmaß berücksichtigt wurden (nämlich lediglich das Niedersorbische in Bartels 2009), wurden im Rahmen des Workshops die Perspektiven der Untersuchung slawischer Sprachen nach diesem Muster diskutiert. Darüber hinaus ging es aber auch um einen aktuellen Einblick in den Stand der Lehnwortforschung in den slawischen Sprachen und um diesbezügliche, im Aufbau begriffene Projekte.

Die Untersuchung von Lehnwortbeziehungen steht seit Langem im Fokus der slawistischen, der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft und der Kontaktlinguistik. Für die slawistische Sprachwissenschaft bzw. die slawische Philologie ist die Auseinandersetzung mit Lehnwörtern ein integraler und wissenschaftsge ← 7 | 8 schichtlich gesehen konstituierender Beitrag. Im ersten Teil des Sammelbandes sind Arbeiten versammelt, die sich direkt in der einen oder anderen Weise mit dem Projekt Loanwords in the world’s languages auseinandersetzen und dabei auf jeweils selektive Probleme und offene Frage eingehen.

Im Beitrag von Emmerich Kelih (Wien) „Probleme der empirischen Lehnwortforschung: Lehnwörter im Basiswortschatz (Slowenisch) und ein frequenzbasierter Ansatz (Kroatisch)“ geht es neben einer allgemeinen Vorstellung des Forschungsdesigns der Untersuchung von Lehnwörtern auf der Grundlage eines Basiswortschatzes insbesondere auch um die Art der lexikalisch-semantischen Gliederung des zu untersuchenden Materials. Ohne Zweifel ist mit diesem Vorgehen in gewisser Weise eine neue Perspektive in der Lehnwortforschung verbunden, da bekanntermaßen gerade ein sogenannter Basiswortschatz in der Regel durch ein relativ hohes Alter bzw. durch einen geringen Anteil – so die Standardannahme der Kontaktlinguistik – von Lehnwörtern ausgezeichnet ist. Während Haspelmath/Tadmor (2009b) die Untersuchung einer bereits fix vorgegebenen Liste von etwas über 1500 Bedeutungen ansetzen, geht es dem Autor darum, alternative Möglichkeiten zur Auswahl des Basiswortschatzes aufzuzeigen. Eine solche Möglichkeit wird etwa darin gesehen – in einem ersten Schritt, bevor überhaupt noch die Erprobung an umfangreichem Material erfolgt ist – mit den aus der Glottochronologie und Lexikostatistik bekannten Swadesh-Listen zu beginnen, um auf induktivem Weg auftretende Probleme der Bestimmung von Lehnwörtern zu eruieren und zu thematisieren. Dies wird mit der Hilfe einer 200 Bedeutungen umfassenden, adaptierten Swadesh-Liste für das Slowenische durchgeführt. Darüber hinaus wird in dem Beitrag generell die Frage der Bestimmung eines sogenannten Basiswortschatzes thematisiert. Als eine durchaus lohnende Perspektive bringt der Autor einen frequenzbasierten Ansatz ins Spiel, der darauf hinausläuft, dass die Vorkommenshäufigkeit von Wortformen als Selektionskriterium herangezogen wird. Die empirische Dimension dieser Alternative wird anhand des Kroatischen exemplifiziert, indem in einem Häufigkeitswörterbuch die unterschiedlichen Arten von Lehnwörtern identifiziert werden.

Der Beitrag von Stefan Michael Newerkla (Wien) „Kernproblembereiche der Lehnwortforschung anhand von Beispielen aus dem Kontaktbereich Deutsch, Tschechisch und Slowakisch“ geht auf zentrale Probleme ein, die bei der Untersuchung von Lehnwortbeziehungen zu berücksichtigen sind. Zu beginnen ist generell mit der zeitlichen Tiefe dieser Beziehungen, die letztlich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Quellenlage adäquat eingeschätzt werden kann. So lässt sich in vielen Fällen eine eindeutige Zuordnung von lexikalischen Entlehnungen aufgrund von Regelmäßigkeiten des Lautersatzes und semantischen Ent ← 8 | 9 → wicklungslinien bewerkstelligen. Dennoch ist oftmals eine eindeutige Einordnung der Entlehnrichtung nicht möglich. Diese Problematik betrifft insbesondere auch innerslawische Lehnwortbeziehungen, die durch eine hohe Ähnlichkeit der Dialekte in den älteren Perioden gekennzeichnet sind und somit eine Rekonstruktion der entsprechenden Entlehnungen nachhaltig erschweren. Verwiesen wird auch auf das in vielen Sprachen beobachtbare Phänomen, wonach Lehnwörter nach ihrer Entlehnung weiterhin mit der Gebersprache in Kontakt bleiben; dies führt in weiterer Folge dazu, dass Adaptionsprozesse nicht auf „natürliche“, also rein innersprachliche Weise erfolgen, sondern in gewisser Weise zeitlich verschoben und geblockt werden, was wiederum die Identifikation von Lehnwörtern bzw. Zuordnungen nachhaltig verkomplizieren kann. Die Frage von Standardisierungsprozessen, die für die heutigen slawischen Sprachen von besonderer Bedeutung sind, kann auch direkte Konsequenzen für den Lehnwortbestand haben, sofern es zu bewussten puristischen Umgestaltungen der Lexik kam (in diesem Sinne ist dies nicht nur relevant für das Tschechische und das Slowakische, sondern im Grunde genommen auch für alle südslawischen Sprachen, deren lexikalisches Gepräge sich generell im 19 Jh. herausbildete). Im Zusammenhang damit sind neben einer bewussten Archaisierung auch Calquierungen von hoher Bedeutung. Der Autor plädiert dafür, auch diese Komponenten in das von Haspelmath/Tadmor (2009b) vorgeschlagene Untersuchungsdesign zu integrieren. Generell zeigt dieser Beitrag jedenfalls die nicht zu vernachlässigende Komplexität bei der Bestimmung von möglichen Lehnwörtern, die sich aufgrund von unterschiedlichen Kontaminationen, mehrfachen Entlehnungen, parallelen Übernahmen und Anpassungen ergibt. Weitere Aspekte betreffen die Frage von versteckter Mehrsprachigkeit, aber auch die arealtypologische Dimension von Lehnwortbeziehungen. Zusammenfassend weist dieser Aufsatz auf den wichtigen philologisch-linguistischen Beitrag hin, den es bei der systematischen Untersuchung von Lehnwortbeziehungen, und dies nicht nur von jenen slawischer Sprachen, zu berücksichtigen gilt.

In ähnlicher Weise lässt sich der Beitrag von Catharina Krebs-Garić (Wien) unter dem Titel „Lehn- und Erbwortschatz des Kroatischen in der semantisch-lexikalischen Gruppe „Religion und Glaube“ im Lichte von Etymologie und Empirie“ interpretieren. Im Fokus steht dabei jene semantisch-lexikalische Gruppe, die – sofern man sich auf Tadmor (2009: 64) bezieht – in einem Sample von über 40 Sprachen über den größten Anteil an Lehnwörtern verfügt. Dieser Eindruck lässt sich zwar in Anbetracht der akribischen Studie von Krebs-Garić durchaus bestätigen. In diesem Zusammenhang ergeben sich aber aus dem Beitrag weitere Kernprobleme für eine Untersuchung im Sinne des von Haspelmath/Tadmor (2009b) propagierten Ansatzes. Erstens sind oftmals keine Eins-zu-eins- ← 9 | 10 → Entsprechungen der jeweils untersuchten Bedeutungen und der entsprechenden einzelsprachlichen Äquivalente vorhanden; vielmehr lässt sich zuweilen eine – in einzelnen Fällen sogar recht beträchtliche – Anzahl von Synonymen anführen. In diesem Zusammenhang erweist sich insbesondere die Frage von Bedeutung, in welchem Subregister einer Sprache diese eruiert werden. Eine Möglichkeit besteht darin die Selektion nur auf die Standardsprache (deren Abgrenzung allerdings wiederum gesondert zu thematisieren wäre), bzw. eine bestimmte Subsprache (z. B. Fachsprache), Dialekte usw. zu begrenzen. Weiter ist aber in diesem Zusammenhang zu klären, ob bei den zu eruierenden Äquivalenten nur jeweils in Gebrauch stehende Formen zu erfassen sind, oder ob das gesamte bekannte lexikographische Material zur Auswertung herangezogen werden soll. In Bezug auf das Kroatische stellt sich der von der Autorin angesprochene Versuch einer Erklärung für den hohen Grad an Synonymie in der religiös-theologischen Lexik durch sprachpuristische Tendenzen durchaus als plausibel heraus, wenngleich eben der Umfang und die Tiefe der jeweiligen Datenaufnahme auch von vorrangiger Bedeutung sein können.

Eine weitere, detaillierte Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsdesign von Haspelmath/Tadmor (2009) findet sich im Beitrag „The Methodology of the Loanword Typology Project: Opportunities for the Investigation of Loanwords in Slavic“ von Saskia Pronk-Tiethoff (Leiden). Ein genereller Kritikpunkt ergibt sich aus der im genannten Projekt verwendeten engen Definition von Lehnwörtern, die allgemein Calquierungen und Neologismen ausschließt. Auf diese Weise kann sich nur ein eingeschränktes, ja stark reduziertes Bild der Lehnwortbeziehungen einer Sprache ergeben. Auf der Basis eines Vergleichs des niedersorbischen und holländischen Datenmaterials gelingt es der Autorin zu zeigen, dass es bei der Interpretation der zeitlichen Tiefe zu bedeutsamen Unterschieden kommen kann. So wird bei einer Studie von schriftlich belegbarem Material, in der anderen von Daten, die mit den Mitteln der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft rekonstruiert wurden, ausgegangen. Die Frage der tatsächlichen Vergleichbarkeit ist jedoch nur im Falle von ähnlichen Ausgangs- und Randbedingungen gegeben. Die Analyse von germanischen Lehnwörtern im Urslawischen ergibt wiederum eine thematische Einengung von lexikalischen Entlehnungen auf bestimmte lexikalisch-semantische Bereiche. Diese Ergebnisse sind bei weiteren vergleichenden Untersuchungen der Lehnwortbeziehungen von slawischen Sprachen zu berücksichtigen. Der Beitrag ist für weiterführende Analysen aber auch deshalb von grundlegender Bedeutung, weil die Problematik von Inkonsequenzen bei der Datenaufnahme eindringlich aufgezeigt wird. ← 10 | 11 →

Einen aktuellen Einblick in laufende Projekte im Bereich der Lehnwortbeziehungen geben Stefan Engelberg und Peter Meyer (beide Mannheim) in ihrem Beitrag „Das Lehnwortportal Deutsch als kontaktlinguistisches Forschungsin­strument“. Es geht um einen innovativen lexikographischen Metaansatz, bei dem aus einer Vielzahl von vorhandenen Lehnwörterbüchern jeweils die deutschen Lehnwörter (u. a. in slawischen Sprachen, bislang im Polnischen und im Slowenischen) in einer online zugänglichen Datenbank zusammengeführt werden, um eine gemeinsame Datenbasis für weiterführende Untersuchungen zu bieten. Im Mittelpunkt des Beitrages steht dabei die Frage einer adäquaten onomasiologischen Struktur dieses Lehnwortportals, die eine fortgeschrittene Suche ermöglicht. Die Autoren setzen sich nicht nur kritisch mit bestehenden semantischen Klassifikationsschemata auseinander, sondern plädieren für eine induktiv zu kreierende semantische Klassifikation, die sowohl hyperonymische Relationen als auch semantische Felder beinhaltet. Eine Besonderheit des Lehnwortportales ist in der Möglichkeit einer visuellen Datenmodellierung der semantischen Felder von Lehnwörtern bzw. auch der Repräsentation von beliebig langen Ketten von Entlehnungsbeziehungen zu sehen.

Jürgen Fuchsbauer (Regensburg) widmet sich in seinem Beitrag dem griechischen Lehngut im mittelbulgarischen Kirchenslawisch. Im Mittelpunkt steht ein spezieller Aspekt von Lehnbeziehungen, und zwar das Ersetzen von etablierten Lehnwörtern durch Lehnübersetzungen. Diese puristische Tendenz ist dem Anschein nach charakteristisch für mehrere Übersetzer, Redaktoren und Kopisten, die wohl in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in den Zentren der mittelbulgarischen Schriftkultur, nämlich am Berg Athos und in der damaligen Hauptstadt Tărnovo, wirkten. Sie kann somit in den Kontext der Reform des Kirchenslawischen im Zweiten Bulgarischen Reich gestellt werden, wobei sie einen gewissen Einblick in das Sprachdenken der Zeit bietet. Dem besagten Purismus mag das Bestreben, griechisches Sprachmaterial mit eigenen Mitteln wiederzugeben, das ja insbesondere in der Syntax klar zum Ausdruck kommt, zugrunde gelegen sein. Dabei konnten sich viele der so entstandenen Neologismen nicht durchsetzen; sie wurden bereits in der Tărnover Redaktion der Synaxarienübersetzung wieder durch die entsprechenden Lehnwörter ersetzt.

Alexander Kuperdyaev (Innsbruck) verfolgt in seinem Artikel „Ottoman language heritage in Macedonian: Un colosse aux pieds d’argile?“ einen explizit frequenz- und korpusbasierten Ansatz, um dem aktuellen Status und der Gebrauchsfrequenz von Turzismen im Makedonischen nachzuspüren. Somit lässt sich die Arbeit in den aktuellen Diskurs eines Ansatzes einreihen, den man als „usage-based“ bezeichnen kann. Ob der fehlenden Korpus-Infrastruktur für das ← 11 | 12 → Standardmakedonische (diese Aussage ist in Relation zu Sprachen wie Tschechisch, Russisch u. a. slawischen Sprachen zu verstehen) konzentriert sich der Autor auf die Häufigkeit von Turzismen im aktuellen journalistischen Diskurs. Ausgehend von einer Datenbasis von über 3000 auf der historischen Achse nachweisbaren Turzismen (immerhin stand das Makedonische über 600 Jahre im direkten Kontakt mit dem Türkischen, und auch aus synchroner Sicht setzt sich dieser Kontakt fort, wenngleich offenbar in einem weitaus geringeren Ausmaß) wird die heutige Verwendungshäufigkeit, getrennt nach lexikalisch-semantischen Gruppen, aber auch nach Wortarten, untersucht. Es ist nach Angaben des Autors ein quantitativer Rückgang von Turzismen feststellbar, allerdings zeigt eine abschließende Einbettung in bestehende Entlehnungsskalen (Thomason 2001), dass durchaus nach wie vor von einer relativ tiefen Verankerung von Turzismen im Makedonischen auszugehen ist.

In dem Beitrag „Borrowing in context: a pragmatic perspective on Turkisms in pre-standardised Balkan Slavic“ geht Barbara Sonnenhauser (Zürich) detailliert auf Turzismen im vorstandardisierten Balkanslawischen, insbesondere aus dem Zeitraum vom Ende des 17. bis zur Mitte des 19. Jh. ein. Im Fokus steht die Frage der pragmatischen Dimension der Verwendung von Turzismen und deren Einbettung in die entsprechende literarische Produktion aus dieser Zeit. Durch das Prisma von Turzismen lässt sich nach Ansicht der Autorin u. a. das soziolinguistische Gesamtbild dieser Epoche rekonstruieren, indem die metasprachliche Dimension dieser Art von Kommunikation näher betrachtet wird. Die Frage des Eingangs von entlehntem lexikalischen Material wird im Zusammenhang des linguistischen Bewusstseins und des sprachlichen Hintergrunds der jeweiligen Autoren, aber auch unter Berücksichtigung des potenziellen Lesepublikums dieser Zeit reflektiert. Eine eingehende Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen von Turzismen zeigt, dass sich zumindest drei Gebrauchstypen herauskristallisieren. Da sind zunächst integrierte Lehnwörter, die tatsächlich zum Auffüllen einer semantischen Lücke gebraucht wurden, von denen nicht integrierte Lehnwörter unterschieden werden können. Letztere scheinen besonders aus metakommunikativer und metalinguistischer Perspektive von Interesse zu sein, zumal sie im damaligen Diskurs in erklärender Funktion herangezogen wurden. Den dritten Gebrauchstyp bilden jene Lehnwörter, die in erster Linie aus stilistischen Gründen bzw. zur Erlangung eines bestimmten Effektes verwendet wurden. Insgesamt vermittelt dieser Beitrag einen umfangreichen Einblick in die spezifische Situation vor der Standardisierung der ostsüdslawischen balkanslawischen Standardsprachen, die geprägt ist von einer zunehmenden Bedeutung der Volkssprache, allerdings eben (noch) mit einem geringen Grad an Purismus und Normativität. ← 12 | 13 →

Während in den meisten Beiträgen die lexikalische Komponente von Entlehnungen im Vordergrund steht, geht Ruprecht von Waldenfels (Krakau) in seinem Beitrag „Inner-Slavic contact from a corpus driven perspective“ auf die morphologische Dimension dieser Problemstellung näher ein, wobei die Frage der Ähnlichkeit bzw. der Distanz von slawischen Sprachen zur Diskussion steht. Sie wird anhand von ausgewählten verbalen Präfixen und nominalen Suffixen in zur Verfügung stehenden Paralleltextkorpora analysiert. Mit der Hilfe eines vorgeschlagenen Distanzmaßes und einer damit einhergehenden Visualisierung in der Form von Baumgraphen lässt sich die jeweilige Nähe und Gruppierung der einzelnen slawischen Sprachen anhand ausgewählter Parameter lokalisieren. Im untersuchten Material zeigt sich, dass in der Regel nicht die traditionelle (genetisch bzw. areal determinierte) Gliederung der slawischen Standardsprachen reproduziert wird, sondern vielmehr für verbale Präfixe bzw. nominale Suffixe jeweils unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden. Insbesondere erweist sich vor diesem Hintergrund die Zuordnung des Slowenischen und des Bulgarischen zu den südslawischen Sprachen als problematisch, zumal im Falle des Slowenischen eine (durchaus argumentierbare) Nähe zum Tschechischen bzw. Slowakischen und im Falle des Bulgarischen eine Nähe zum Russischen zu beobachten ist. Die präsentierte Methode (Verwendung von Paralleltexten, Berechnung von Distanzmaßen und einhergehende Visualisierung) sowie die erzielten Resultate zeugen vom generellen Potenzial für weitere Untersuchungen von Entlehnungen in den slawischen Sprachen.

Die Beiträge in diesem Band sind in ihrer Gesamtheit eine umfassende Sammlung einer Vielzahl von Problemen und Perspektiven, die mit der Lehnwortforschung slawischer Sprachen verbunden sind. Ruft man die ursprüngliche Intention des Bandes in Erinnerung, die darin bestand, aus slawistischer, aber auch aus allgemein philologisch-linguistischer Position Stellung zu aktuellen Ansätzen der Lehnwortforschung zu beziehen, so zeigt sich – ohne dem Inhalt an dieser Stelle zu weit vorgreifen zu wollen –, dass die Erstellung eines empirisch fundierten Lehnwortprofils für die slawischen Sprachen vor dem Hintergrund der Vielzahl von zu beachtenden Problemen als ein nur langfristig erreichbares Ziel gesehen werden kann. Im Buch werden jedenfalls eine Reihe von Problemen, aber auch Perspektiven der zukünftigen Lehnwortforschung aufgezeigt.

Zu danken ist Ursula Doleschal für die zeitgerechte Begutachtung unserer Publikation, dem Dekanat der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät für den geleisteten Druckkostenzuschuss und den Reihenherausgebern für die Aufnahme des Bandes in ihre Reihe.

Die Herausgeber,

Wien, im Juli 2015 ← 13 | 14 →

Verwendete Literatur:

BARTELS, HAUKE (2009): Loanwords in Lower Sorbian, a Slavic language of Germany. In: Haspelmath, Martin; Tadmor, Uri (eds.): Loanwords in the world’s languages. A comparative handbook. Berlin: de Gruyter, 304–323.

HASPELMATH, MARTIN (2009): Lexical borrowing: Concepts and issues. In: Haspelmath, Martin; Tadmor, Uri (eds.): Loanwords in the world’s languages. A comparative handbook. Berlin: de Gruyter, 35–54.

Details

Seiten
262
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653054804
ISBN (ePUB)
9783653972344
ISBN (MOBI)
9783653972337
ISBN (Hardcover)
9783631659946
DOI
10.3726/978-3-653-05480-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (September)
Schlagworte
Lehnwortforschung Basiswortschatz Metalexikographie
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 262 S., 22 Tab., 6 Graf.

Biographische Angaben

Emmerich Kelih (Band-Herausgeber:in) Jürgen Fuchsbauer (Band-Herausgeber:in) Stefan Michael Newerkla (Band-Herausgeber:in)

Emmerich Kelih ist Assistenzprofessor am Institut für Slawistik der Universität Wien. Jürgen Fuchsbauer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Slawistik der Universität Regensburg. Stefan Michael Newerkla ist Universitätsprofessor für Westslawische Sprachwissenschaft am Institut für Slawistik der Universität Wien.

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