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Walthers von der Vogelweide «Reichston»

Eine kritische Aufarbeitung der altgermanistischen und historischen Forschungsgeschichte

von Jens Burkert (Autor:in)
©2015 Dissertation 605 Seiten
Reihe: Walther-Studien, Band 8

Zusammenfassung

Das Buch erschließt Altgermanisten wie an Walther als Quelle interessierten Historikern die 200-jährige historische und altgermanistische Forschung zum «Reichston». Keinem anderen Sangspruchton Walthers von der Vogelweide wurde mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil. Die Forschungsgeschichte zum Thema spiegelt wichtige Etappen der allgemeinen Fachgeschichte. Jens Burkert begnügt sich in seiner Darstellung nicht mit dem Dokumentarischen: Indem Meinungen vernetzt werden, Vergessenes entdeckt wird und Desiderata, Irrtümer oder problematische Argumentationsgrundlagen zur Sprache kommen, wird der Forschungsbericht zugleich zu einem kritischen Forschungskommentar. So entsteht ein neuer Ausgangspunkt für die Betrachtung des wohl wirkmächtigsten Sangspruchtons Walthers.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • I. L 8,4 ff.
  • I.1 Pose und Ich
  • I.2 Geschichte der Erforschung der Strophe
  • I.3 Walthers Motiv(e), die Strophe zu verfassen
  • I.4 Schlussübersicht zu den Datierungen
  • II. L 8,28 ff.
  • II.1 Pose und Ich
  • II.2 Geschichte der Erforschung der Strophe
  • II.3 Waise und (Wiener) Krone
  • II.4 Schlussübersicht zu den Datierungen
  • III. L 9,16 ff.
  • III.1 Pose und Ich
  • III.2 Geschichte der Erforschung der Strophe
  • III.3 Schlussübersicht zu den Datierungen
  • Kurze Bemerkung zum Schluss
  • Verzeichnis der verwendeten Literatur

← 10 | 11 → Einleitung

Walthers Sangsprüchen stellt der Literarhistoriker und Gymnasiallehrer Karl Kinzel in der Einleitung zu seiner Walther- und „Minnesangs-Frühling“-Auswahl (1890) Auszüge aus Quellen zur Geschichte des deutschen Thronstreites (1198-1218) voran,1 die er wiederum mit folgenden Worten einführt:

„Aus der Verbindung dieser Quellen mit den Angaben des Dichters wird man sich ein Bild von den Kämpfen jener Zeit und von Walthers Stellung in denselben machen können. Zugleich wird man erkennen, wie wertvoll Walthers Gedichte für den Geschichtsforscher sein müssen; derselbe kann sie bei der Darstellung der Geschichte jener Zeit nicht entbehren.“2

Auch der der heutigen Forschung gewiss präsentere Gelehrte Konrad Burdach hält Walthers Sangsprüche, in diesem Fall die papstkritischen Strophen des „Unmutstons“, für ein „geschichtliches Zeugnis ersten Ranges“3, das die Historiker unbedingt zu berücksichtigen hätten. Burdach ist freilich selbst ein herausragendes Beispiel für das heute längst zurückgedrängte, aber nicht ganz verdrängte Streben, für so viel als nur möglich in Walthers politischen Sangsprüchen historische und biographische Hintergründe aufzudecken, und für das zumindest nicht hinreichende Ernstnehmen der wohl bewusst entaktualisierten Inhalte vieler anderer Sangsprüche Walthers:

„Indessen noch bleibt unendlich viel zu leisten übrig. Noch sind manche seiner politischen Sprüche in ihren historischen Voraussetzungen ungenügend oder gar nicht aufgeklärt. Viel schlimmer steht es mit den rein lehrhaften Sprüchen, mit den Schelt- und Lobgedichten: nur bei wenigen vermögen wir ihren eigentlichen poetischen Lebenskern, das zugrunde liegende persönliche und zeitgeschichtliche Element, herauszufühlen, seltener noch es bestimmt nachzuweisen.“4

← 11 | 12 → Walthers Sangsprüche als Quellen? Nicht nur in dem Sinne Quellen, in dem jeder überlieferte Text Quelle ist, nicht nur als literaturgeschichtliche Quellen, als poetische Entwürfe von Realität, die zugleich selbst Realität generieren, sondern trotz aller Stilisierung zusätzlich geradezu als historiographische Quellen mit einem den entsprechenden lateinischen Quellen vergleichbaren Zeugniswert5 oder auch als für die Geschichtsschreibung verwertbare Quellen für in der sonstigen Überlieferung Fehlendes?6 Diese Frage bleibt hier eine rhetorische und soll kein Erkenntnisziel versprechen, das diese Arbeit gar nicht verfolgt. Es bedarf keiner theoretischen Reflexionen über den Quellencharakter poetischer Texte,7 um festzustellen, dass ohne jeden Zweifel „hinter manchem Gedicht allzu vieles gesucht und allzuviel gefunden wurde“8, dass oftmals Historiker und Altgermanisten den poetischen Gehalt der Dichtungen nicht hinreichend zur Geltung haben kommen lassen,9 dass aber andererseits Walther fraglos im Einzelnen – wenigstens in einem ganz weitgefassten Sinne – einen herausragenden Quellenwert über die reine Literaturgeschichte hinaus beanspruchen kann. So wird die aktuelle Biographie über Philipp von Schwaben unumwunden eingeleitet mit der Feststellung, ohne Walthers Dichtungen „wäre die Erinnerung an den Stauferkönig wohl kaum bis heute wach geblieben“10. Auch dürfte das Bild des Magdeburger Weihnachtsfestes Philipps gerade von L 19,5 ff. geprägt sein,11 ganz zu schweigen von Walthers Quellenwert für den Waisen als Edelstein der Königskrone (s. II.3). Der Mittelalterhistoriker kann also durchaus ein (freilich begrenztes) berechtigtes Berufsinteresse an Walther haben und die Forderung nach einem Einklang von Philologie und Historik begleitet die Walther-Forschung, begegnet etwa bei Burdach12 und 100 Jahre später in einer gewiss konsensfähigen Formulierung Heinzles:

„Die Analyse mittelalterlicher Dichtung kommt nicht ohne fundierte Kenntnis der Lebenswelt aus, in die die Texte eingebunden waren und an deren Prägung sie mitwirkten. Umgekehrt kann, wer diese Lebenswelt rekonstruieren will, auf die Dichtung als eine spezifische Quellengattung nicht verzichten.“13

Beispiele für ein fruchtbares Zusammenwirken unter Vermeidung typischer fachspezifischer Einseitigkeiten gibt es durchaus,14 aber die Klagen über die wechselseitigen Versäumnisse sind deutlich vernehmbar und nicht neu. So liest man (eingedenk der Wiederkehr solcher Schelten nicht ohne Behagen) bei Schönbach:

← 12 | 13 → „Unsere Historiker, soweit sie nicht überhaupt in den Hilfswissenschaften stecken bleiben, entschlagen sich zu leicht des Studiums der poetischen, religiösen und gelehrten Literatur, überdies ‚können sie nicht altdeutsch‘, wie der verstorbene Müllenhoff zu sagen pflegte […]. Unsere Philologen hinwieder, die Germanisten im engeren Sinne, bekümmern sich viel zu wenig um den historischen Hintergrund der Denkmäler, um deren Beziehung zu dem gesamten Lebensinhalt der Zeit.“15

Vergleichbares zieht sich durch die Forschungsgeschichte: In einem 1913 publizierten Buch kritisiert Burdach, die Historiker ließen Walther allzu sehr außer Acht,16 etwa 60 Jahre später fordert Nellmann in einem Aufsatz, man möge endlich seitens der Altgermanistik die neuere historische Fachliteratur bei der Beurteilung von L 8,28 ff. berücksichtigen,17 ungefähr weitere 30 Jahre darauf meint Hucker, die höfische Literatur werde für die Erforschung wenigstens bestimmter Aspekte des Thronstreites nicht genügend berücksichtigt.18

Was den Walther als Quelle in Betracht ziehenden Historiker erwartet, umreißt Hahn auf der Grundlage seiner eigenen Walther-Forschungen:

„Unser quellenlesender Historiker, der Walthers politische Sprüche zur Hand nimmt, kann sich jedenfalls schon darauf einrichten, nicht einfach die Stimme eines großen deutschen Dichters, aber auch nicht einfach die Stimme einer propagandistisch beauftragenden politischen Partei zu hören. Er trifft auf das komplexe Zusammenspiel von konventionellen Spruchdichterkompetenzen, realen politischen Machtbefugnissen, Veröffentlichungsformen von Politik im feudalen System, Legitimationsmustern politischen Handelns und allgemein-verpflichtenden Grundkategorien menschlichen Zusammenlebens, die um 1200 wirksam waren. Eine die Arbeit lohnende Quellensorte – gerade deshalb – scheint mir!“19

All diese Zitate – reich an Zitaten muss und wird diese Arbeit bleiben, denn in einer Aufarbeitung der Forschung wird die Sekundär- zur Primärliteratur – belegen, dass Walthers Sangspruchdichtung zu interdisziplinärer Arbeit einlädt, und wenn auch der am Anfang der Genese dieser hier vorgelegten kritischen Forschungsgeschichte ins Auge gefasste Plan einer noch stärkeren interdisziplinären Ausrichtung aufgegeben werden musste, bleibt die Zielgruppe mit Altgermanisten und mediävistischen Historikern doch als eine doppelte bestehen. Zu eben dieser Genese, der Ausrichtung, Vorgehensweise und den Zielen der Arbeit seien nun ein paar Bemerkungen einigen Nutzungshinweisen vorangestellt.

← 13 | 14 → Schon in einem frühen Stadium meiner Mitarbeit an der neuen, von Bein herausgegebenen Walther-Gesamtausgabe20 kam der Gedanke auf, die Forschungsgeschichte zu Walthers Sangsprüchen mit konkreten historischen Bezügen umfangreich und interdisziplinär aufzuarbeiten, einerseits also die seit 200 Jahren aufgetürmten Beiträge zur jeweiligen Strophe möglichst umfassend zu sichten, referieren und kommentieren und andererseits Prämissen und Ergebnisse dieser Literatur mit dem gegenwärtigen geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand abzugleichen, dabei auch diesen Forschungsstand gegebenenfalls ausführlicher zur Geltung zu bringen. Schnell musste freilich dieses auf ein annäherndes Gleichgewicht beider Komponenten zielende Vorhaben aufgegeben werden – und dies nicht nur aufgrund der beeindruckenden Lückenlosigkeit, mit der seit etwa 1820 zu den entsprechenden Strophen publiziert wird, sondern mehr noch wegen der gewünschten Anlage des Forschungsberichts und -kommentars, zu der dann noch die Fülle an Literatur (über Walther wie über die im Zusammenhang mit ihm stehenden genuin geschichtswissenschaftlichen Themen) hinzutritt. Denn zwar ist der Ausgangspunkt eine die Textauswahl steuernde Typologisierung der Sang­sprüche Walthers nach sozusagen deren „historischer Auswertbarkeit“ (s. u.), aber von Beginn an war klar, dass sich die Darstellung deshalb nicht auf die die Auswahl bedingenden Aspekte beschränken würde dürfen: So stand zwar die Strophe L 8,28 ff. als Gegenstand fest, weil in ihr ein „Philipp“ und der „Waise“ genannt werden, aber es soll eben nicht nur in einer das Gesamtbild der Forschungsgeschichte zur Strophe verzerrenden Weise darum gehen, wen die Gelehrten in diesem Philipp gesehen, wie sie die Strophe datiert haben usw., sondern ebenfalls soll etwa die Geschichte der Erforschung des Naturbildes dieses Sangspruchs aufgezeigt werden. ← 14 | 15 → Zur Literaturmasse und der Notwendigkeit, weit mehr als bloß die Erforschung der historischen Bezüge aufzuzeigen, kommt hinzu, dass das Projekt auf die Möglichkeit einer langfristigen Weiterarbeit ausgerichtet ist, sodass nach und nach alle relevanten Strophen nach dem hier zugrunde gelegten Verfahren behandelt werden können. Bei einer solchen Ausrichtung musste der eigentliche „Walther-Teil“ ganz ins Zentrum rücken, sollte die Aussicht auf Verwirklichung bestehen bleiben.

Was also bemüht sich, diese Forschungsaufarbeitung zu leisten? Schlicht gesagt soll der Leser, ob nun Altgermanist oder Historiker, sich ausführlich darüber informieren können, was mit der jeweiligen Strophe von der Forschung wann „gemacht“ wurde. Dem Historiker wird dabei hoffentlich ein Buch zur Verfügung stehen, das ihm die mühselige Arbeit der Erschließung der Walther-Literatur zu größeren Teilen abnimmt und schnelleren Zugriff auf für ihn relevante Beiträge ermöglicht – von der wenigstens partiellen Notwendigkeit der Autopsie kann selbstverständlich kein Forschungsbericht der Welt befreien –, das ihn aufgrund der gewonnenen Kenntnis der Forschungsgeschichte vielleicht seine ursprünglichen Gedanken zum Quellenwert einer bestimmten Walther-Stelle problembewusster fassen lässt. (Insofern ist wie oben angedeutet eine auf den ersten Blick möglicherweise naheliegende Eingrenzung auf die Erforschung der historisch-politischen Kontexte nicht zielführend und ausgeschlossen.) Der Altgermanist, für den diese Nutzaspekte natürlich ebenfalls gelten, wird – wiederum sei ein „hoffentlich“ hinzugefügt – in der Literatur nicht selten begegnende Bemerkungen wie „seit Burdach wird dies so gesehen“ verifizieren oder durchaus auch falsifizieren und in Vergessenheit Geratenes entdecken können. Immer wieder trifft man in der Walther-Literatur auf Stellen, an denen man sich als Leser ein klärendes, die vorgebrachte Position noch schärfer fassendes Eingehen auf bestimmte Ansichten anderer Forscher wünscht, auch stößt man auf empfindlichere bibliographische Lücken. Es gehört zu den Anliegen dieses Buches, dem Abhilfe zu schaffen. Angestrebt wird die Bereitstellung einer breit aufgestellten Grundlage für etwaige neue Spezialstudien. Jener gegebenenfalls vorzunehmende Abgleich mit aktueller historischer Fachliteratur – der im Übrigen nicht mit der sich von selbst verstehenden Aufnahme der die jeweilige Strophe behandelnden Beiträge von Historikern zu verwechseln ist – findet in reduzierter Form statt. Wenn die historischen Ausführungen eines Autors seine Thesen zur Strophe unmittelbar betreffen, werden den Lesern durchaus Hinweise auf historische Zusammenhänge und Forschungsprobleme, auf die Quellengrundlage der Behauptungen und deren Gültigkeit in ausgewählter geschichtswissenschaftlicher Literatur, die in den vergangenen 15 Jahren etwa um wichtige Titel zum Thronstreit bereichert wurde, gegeben. Beiträge zur Textkritik (wozu auch die edierten Texte selbst gehören) und zur Form finden im Übrigen nur bei direkter Relevanz für das Verständnis des Stropheninhalts Eingang. Die Diskussion textkritischer Fragen wird selbstverständlich immer wieder von Bedeutung sein, aber die Geschichte der editorischen Einzelentscheidungen wird nicht festgehalten.

Wenn zwar vorrangig der Wert der Arbeit, die mir ein nützliches und trotz oder gerade wegen der Existenz kürzerer forschungsgeschichtlicher Abrisse zu ← 15 | 16 → einzelnen Strophen tatsächlich fehlendes Unternehmen zu sein scheint, im Dokumentarischen, in der geordneten Fülle des ausgebreiteten Materials liegen soll, ohne dass dabei bloß Meinungen aneinandergereiht werden, sondern indem sie vernetzt, aufeinander bezogen werden, so wagt es die folgende Darstellung doch auch, den vollmundigen Begriff des „Kritischseins“ für sich zu reklamieren, sich einen „kritischen“ Forschungsbericht zu nennen. Gewiss ging es schon im ursprünglichen Konzept nicht um Neuuntersuchungen und keineswegs darum, die bestehende Reihe der Strophenanalysen noch um die eigenen zu erweitern, aber problematisierende Kommentare, die zum Teil eigene Anschauungen verraten, müssen durchaus nicht der Verlässlichkeit eines Forschungsreferates im Wege stehen. Vor allem dann nicht, wenn sie nicht die eigene Interpretation in verabsolutierender Weise zum Maßstab nehmen, wenn sie sich auf die Argumentationen einlassen, bereit sind, die Rolle des Advocatus Diaboli zu spielen oder hypothetische Forscherdialoge zu führen. „Kritisch“ meint keineswegs, am Ende der Präsentation eines jeden Beitrags stünde eine kritische Gesamtwürdigung; das wäre in der Tat nicht nur nicht vonnöten, sondern oft gar nicht sinnvoll, angemessen oder durchführbar, zudem ist es gerade bei älteren Arbeiten so, dass im Verlauf der weiteren chronologisch geordneten Darstellung Probleme und Gegenpositionen ohnehin deutlich werden. Jedoch wird es immer wieder zu eigenen – kritischen – Auseinandersetzungen mit oder zu Bemerkungen zu einzelnen Positionen kommen (mehr noch bei L 8,28 ff. und insbesondere L 9,16 ff. als bei L 8,4 ff., was auch mit der größeren Relevanz der beiden erstgenannten Strophen für diese Arbeit zusammenhängt [s. u.]), sodass der Forschungsbericht zugleich zu einem Forschungskommentar wird, der Desiderata, Irrtümer, problematische Argumentationsgrundlagen, Vergessenes, Übersehenes oder auch die Zufälligkeit von Forschungsrezeption aufzeigt. Dabei versteht sich im Übrigen die Arbeit dezidiert nicht als Beitrag zur grundsätzlichen Kritik literaturwissenschaftlicher Methoden. Zwar zeigt sie zwangsläufig auf, wie die Strophen ihren langen Weg durch die verschiedenen methodischen Zugriffe gegangen sind, aber deren Leistungsfähigkeit (bspw. die der sozialgeschichtlichen Literaturwissenschaft als solcher) steht hier ebenso wenig zur Diskussion wie die Frage, ob eine stärkere Berücksichtigung in Auseinandersetzung mit dem Poststrukturalismus aufgekommener neuerer kulturwissenschaftlicher Ansätze für den „Reichston“ fruchtbar gewesen wäre. Entsprechend ist es auch kein Anliegen, zu beurteilen, inwiefern bspw. Burdachs „Reichston“-Forschungen vielleicht als „Kind“ des Positivismus und/oder gerade nicht als ein solches angesehen werden könnten.

L 8,4 ff., L 8,28 ff. und L 9,16 ff. – auf mehr als diese drei Strophen bringt es das vorliegende Buch nicht, was über die anfänglichen Gedanken zu seinem Umfang an behandelten Tönen schmunzeln, aber zugleich seine Berechtigung erkennen lässt. Auch als absehbar wurde, dass allein schon der „Reichston“ als im Zusammenspiel mit den Miniaturen in B und C wohl wirkmächtigster Sangspruchton Walthers ein ganzes Buch füllen würde und dass er derart häufig den Forschergeist geweckt hat, dass sich hier en passant auch eine Geschichte der allgemeinen altgermanistischen Forschungsinteressen abzeichnen würde, änderte ich das Konzept ← 16 | 17 → nicht grundlegend ab. Die Arbeit wird vielmehr weiterhin als Teil einer möglichen Reihe begriffen, für deren Fortsetzung, sollte sich dazu die Zeit finden und sich das Buch bewähren, bereits recht umfangreiche Vorarbeiten geleistet wurden, die den Abschluss dieses ersten Teils nicht unerheblich verzögert haben. Insofern sollten einige Anmerkungen zur möglichen Textauswahl und zur ursprünglich zugrunde gelegten Klassifikation der Strophen gemacht werden, auch wenn dieses Buch selbst nur den „Reichston“ umfasst.

Als direkter Gegenstand standen von vornherein jene Sangsprüche Walthers fest, für die sich die Bezeichnung „politische Sangsprüche“ etabliert hat. Es ist hinlänglich bekannt und bedarf hier keiner Erörterung, dass die Anwendung des modernen Begriffs „politische Lyrik“ auf mittelalterliche Lyrik problematisch und dass eine Definition schwierig ist,21 wobei das Definitionsproblem nicht bloß für das Mittelalter besteht. Oft behilft man sich mit Zusätzen wie „im engeren Sinne“, grenzt die entsprechenden Strophen durch ihre Aktualität, ihre konkreten Bezüge auf tagespolitische Themen, auf Fragen der geistlichen und weltlichen Machtausübung von anderen Strophen ab. Dabei unterliegt keinem Zweifel, dass auch ein bloßer Fürstenpreis politisch ist, „insofern hier die öffentliche Präsenz des Potentaten gestärkt werden soll (womöglich ganz konkret in dessen Auftrag)“22. Zudem konnte jede ganz allgemein gehaltene Zeitklage im Vortragskontext zu einer tagespolitisch verwertbaren oder verwendeten werden.23 Dennoch bleibt „politische Lyrik“ als Arbeitsbegriff in Gebrauch und eine Strophe wie L 19,5 ff. steigert zwar das Herrscherlob in höchste Sphären, präsentiert dabei aber einen König Philipp – natürlich Philipp von Schwaben – in einer bestimmten historischen Situation, die als solche Teil eines größeren, hochgradig politischen Zusammenhangs war, und verbindet die Panegyrik nicht mit einem expliziten Heischegestus. Inwiefern man einem solchen Sangspruch auch eine politische Wirkabsicht unterstellen kann ← 17 | 18 → oder ihn von seiner Intention her mehr als im Kontext der Existenz des Unbehausten, des der stabilitas loci entbehrenden, Werbung in eigener Sache betreibenden, abhängigen Sangspruchdichters sehen muss (was wiederum eine konkrete politische Wirkung der Strophe – was auch immer das eigentlich genau sein soll – nicht ausschließt), steht auf einem anderen Blatt.

Es stellte und stellt sich die Frage nach dem Umgang mit all jenen anderen Strophen im Falle einer Fortsetzung. Etwa mit den Strophen des Herrscherlobs/Hoflobs und der Herrscherschelte/Hofschelte. Immerhin werden hier historische Personen namentlich oder der Funktion nach benannt, es kann auch etwas hinzukommen, von dem ich mir erlaube, es salopp als „historisches Plus“ zu bezeichnen: So wird in L 19,17 ff. König Philipp wegen mangelnder milte getadelt, aber es ist nicht nur von Saladin als Gegenbeispiel die Rede, sondern auch noch von einem Lösegeld für einen englischen König, also einer konkreten historischen Begebenheit. Hinzu kommt, dass in der Forschungsgeschichte für die Strophe Kontexte rekonstruiert wurden, die nicht bloß historisch in dem Sinne sind, dass sie die Biographie des Dichters, sondern die damalige politische Lage betreffen. (Letzteres kann natürlich auch für Preis-, Heische- und Tadelstrophen ohne ein solches offenkundiges „historisches Plus“ gelten.) Weiter gibt es Sangsprüche unterschiedlicher Thematik, in denen eine historische Person vorkommt oder auf eine historische Situation angespielt wird, bei denen aber (wenigstens auf der Textebene) der Kontext ein ganz überwiegend biographischer bzw. fingiert biographischer des Ichs (und somit ein für die Arbeit kaum noch relevanter) ist. Als Beispiel mag die Polemik gegen Volcnant/Wîcman (L 18,1 ff.) dienen. Eine nächste Kategorie bilden Strophen wie die scharfzüngige Invektive gegen verlogene Ratgeber L 28,21 ff., also allgemeine, aber zugleich auch ichbezogene lehrhafte oder klagende Strophen, bei denen ein konkreter historischer Hintergrund (ob nun vorrangig biographischer Art oder nicht) nicht genannt wird und entsprechend allenfalls vermutet werden kann. Schließlich hat man es zu tun mit gänzlich allgemein gehaltenen, vorwiegend lehrhaften oder klagenden Strophen wie dem Sangspruch über die Gefährdung der mâze durch zu großen Reichtum und zu große Armut (L 81,23 ff.), bei denen die Annahme eines konkreten historischen Hintergrunds endgültig rein spekulativ wäre. Es ist im Übrigen unverkennbar, dass diese Typologisierung ganz auf die Erstellung eines Textcorpus ausgerichtet und nicht geeignet ist, generell Walthers Sangsprüche zu klassifizieren. Wie also mit all diesen Strophen verfahren? Sie könnten entweder ganz wegfallen oder in einer stark reduzierten Form zum Tragen kommen. Geplant ist gegenwärtig, bei ihnen die Beschränkung, die für die den eigentlichen Gegenstand bildenden sogenannten „politischen Strophen“ aus gutem Grund hier abgelehnt wird, vorzunehmen und entsprechend (in einem Anhang und zudem in komprimierter Form) nur auf die Geschichte der Erforschung der konkreten historischen Bezugspunkte einzugehen, also bspw. zu dokumentieren, wen man weshalb im Bogenære (L 80,27) vermutet hat. Hinzu kann dann ein ohne Diskussion bleibendes Festhalten etwaiger Spekulationen über den historischen Kontext der jeweiligen Strophe kommen, sofern diese Spekulationen sich nicht bloß auf Walthers Biographie und die Datierung, die Frage, in welcher Lebenssituation ← 18 | 19 → Walther die Strophe verfasste, beziehen. Da bspw. überlegt wurde, (der mit dem Ich gleichgesetzte) Walther berichte im „Tegernseespruch“ (L 104,23 ff.) nicht bloß aus Gründen der Behandlung, die ihm persönlich im Kloster widerfuhr, von seinem Erlebnis, wäre dies aufzunehmen. Ob auch vergleichbare Vermutungen, die die ganz allgemein gehaltenen Strophen betreffen, etwa eine Spekulation darüber, ob jene oben genannte Strophe über Armut und Reichtum auf eine bestimmte Person oder auch mehrere Personen anspielt, dokumentiert werden, ist noch nicht entschieden. Es ist kein Geheimnis, dass gerade die ältere Forschung eine Neigung zu solchen Gedanken hatte,24 da sie jedoch noch mehr als bei anderen Strophentypen, letztlich sogar völlig „in der Luft hängen“ und kaum diskutierbar sind, hätte sie aufzuzählen wohl keinen hohen Wert. In jedem Fall würde auf alle Strophen eines Tons und ihren jeweiligen Status bei der nach Tönen geordneten Abarbeitung hingewiesen werden.

Nun enthält gleich der erste hier behandelte Text, L 8,4 ff., keine explizit gemachten und damit für uns fassbaren konkreten historischen Anknüpfungspunkte, die über die immer untersuchbare Verankerung in Aspekten zeitgenössischer Weltbilder hinausgehen, weshalb die Strophe eigentlich nicht direkter Gegenstand dieser Arbeit sein sollte. Forschungsgeschichtlich ist sie allerdings derart eng mit den gleichtonigen Strophen L 8,28 ff. und L 9,16 ff. verbunden, dass eine ausführliche Behandlung unabdingbar ist.

Die Anlage dieser Forschungsgeschichte sieht hinsichtlich der Literaturaufnahme ein recht strenges Ausgehen von der jeweils behandelten Strophe selbst vor: Arbeiten (bspw. über Walthers angeblichen Charakter, seine Dichtung im Allgemeinen etc.), deren Ergebnisse sich auf die Strophe beziehen ließen, die aber selbst einen solchen Bezug nicht herstellen, müssen nicht berücksichtigt werden. (Anders wäre es ein uferloses Unterfangen.) De facto hat zwar ein Teil auch solcher Literatur Eingang gefunden, allerdings ist dieses Buch eine Forschungsgeschichte einzelner Strophen und nicht der großen und immer wieder aufs Neue behandelten Walther-Themen – der Fragen nach Walthers Stellung zu den Großen der damaligen Politik (Einfluss, Kanzleinähe, Kenntnisse, Art des „Dienstverhältnisses“), seiner inneren Haltung (Parteiwechsel, Reichsbegriff, Auftragsfrage), seiner Wirkung, nach den Ich-Nennungen, der Spruch-Lied-Debatte usw. Selbstverständlich werden diese strophenübergreifenden Forschungsschwerpunkte immer wieder begegnen, dies aber von der jeweiligen Strophe ausgehend, ihnen wird keine systematische Behandlung, die der Strophe selbst vorbehalten bleiben muss, gelten. Ohnehin liegt zum Forschungskomplex „Reichssänger“ eine jüngere Aufarbeitung ← 19 | 20 → des Materials vor.25 Jedem Walther-Forscher ist im Übrigen nur allzu geläufig, in welchem Treibsand man sich bei diesen Themen bewegt und dass die Verlagerung eines Mosaiksteinchens im selbst entworfenen Walther-Bild sogleich den Standort der übrigen Steinchen fraglich werden lässt.

Als geläufig vorausgesetzt müssen (in der Arbeit oft als „biographische Verortung“ bezeichnete) gängige Modelle der Biographie Walthers werden. Bekanntlich wurden aus der Erwähnung Walthers im Ausgabenregister Bischof Wolfgers von Passau, aus als Selbstaussagen Walthers gedeuteten Ich-Aussagen wie wol vierzic jâr hân ich gesungen unde mê (L 66,27), den Nachrichten zu Walthers Grab und Grabstein, Nennungen Walthers bei anderen Autoren und aus historischen Bezugspunkten in seiner Sangspruchdichtung verschiedene Lebensläufe Walthers rekonstruiert, die mit vielen, nicht nur Details, sondern das Verfahren grundsätzlich betreffenden Fragezeichen versehen sind.26 Für L 8,4 ff. und L 8,28 ff. sind dabei die seinem (frühen) Aufenthalt in Wien geltenden Überlegungen von Belang.

So gut wie kein Interesse wird der Heimat- und Standesfrage geschenkt werden. Sollte eine gerade thematisierte Strophe bei einem Autor dafür fruchtbar gemacht werden – in diesem Buch werden nur zwei solcher Fälle begegnen –27, so wird dies natürlich nicht unterschlagen werden, aber eine Problematisierung und weiter gehende Auseinandersetzung wird nicht stattfinden.

Für den grundsätzlichen Aufbau der Kapitel bestand letztlich nur die Wahl zwischen einer an den Publikationsjahren ausgerichteten chronologischen Anordnung möglichst vieler Beiträge bzw. Positionen und einer thematisch-systematischen Aufarbeitung (die in sich wiederum unterschiedlich gegliedert sein könnte) einzelner Strophenaspekte. Ersteres birgt die Gefahr zahlreicher Wiederholungen, auch reißt dabei der thematische Faden natürlich immer wieder ab – auf eine mit dem Klausner befasste Darlegung kann eine sich der Datierung des Sangspruchs widmende folgen usw. Bei Letzterem droht wiederum eine Preisgabe der Argumentationszusammenhänge umfangreicherer Beiträge. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt zwar, dass hier eine Mischform aus zusammenfassenden Einzelpräsentationen der wichtigsten Untersuchungen in chronologischer Folge (jeweils Unterkapitel 2) und damit verbundenen thematisch geordneten Ergänzungen vorliegt, dass dabei aber nur sehr wenige Aspekte in ein eigenes zusätzliches Unterkapitel (I.1, I.3, II.1, II.3 und III.1) ausgegliedert wurden. In Anbetracht des Ziels der Arbeit fiel die Entscheidung für die Dominanz des chronologischen Aufbauprinzips sehr ← 20 | 21 → schnell. Man mag sicher kritisch nachfragen, warum denn nun der weise in einem eigenen Unterkapitel behandelt wird, nicht aber die cirkel oder der klôsenære. Die Prämisse war jedoch, so wenig wie möglich auszugliedern. Die Auffassungen zum Strophen-Ich sind beim „Reichston“ dazu gut geeignet und hätten überdies bei einer Integration in den fortlaufenden Forschungsbericht allzu viele Wiederholungen mit sich gebracht, das Motiv-Unterkapitel bei L 8,4 ff. hat exemplarischen Charakter, der Waise stellt für den „Reichston“ den wohl eigenständigsten Forschungskomplex dar und erzwingt geradezu ein gesondertes Unterkapitel. Zudem sollen innerhalb der chronologisch vorgehenden Darstellung Querverweise, Voraus- und Rückblicke und vor allem unterbrechende Stellen, an denen die gesamte hier verarbeitete Forschung zu einzelnen Aspekten (wie der Datierung etc.) kurz überblickt und nach denen sofort wieder zum chronologischen Bericht übergegangen wird, Übersicht schaffen. Befinden sich solche „Übersichtsstellen“ innerhalb einer Einzelbesprechung, so macht das Inhaltsverzeichnis eigens darauf aufmerksam. (Darauf bleibt das Inhaltsverzeichnis im Übrigen denn auch beschränkt: Die im Fließtext vorgestellten Beiträge und die eben erwähnten „Übersichtsstellen“ werden erfasst, alles Weitere – historische Erläuterungen, eigene Kommentare oder gar die einzelnen Sinnabschnitte der Einzelbesprechungen – nicht.) Ob direkte Reaktionen verschiedener Autoren aufeinander in einer unmittelbaren Zusammenschau oder an ihrem jeweiligen chronologischen Platz präsentiert werden, musste Einzelfallentscheidungen unterliegen. Wenn etwa ein Autor Mustermann im Jahre 1950 sich ausführlich mit Positionen eines Autors Meier aus dem Jahre 1900 auseinandersetzt, kann dies schon bei der Vorstellung des Beitrages Meiers gründlicher (und nicht nur in Form eines Vorabhinweises) berücksichtigt werden. Bei der Besprechung Mustermanns würde daran jedoch erinnert werden.

Am Schluss jedes Kapitels steht eine knappe Übersicht zu den für die jeweilige Strophe ermittelten historischen Kontexten, in der hauptsächlich die Datierungen und deren Hauptargumente ohne Diskussion aufgelistet werden. Es handelt sich dabei keineswegs um eigentliche Kapitelzusammenfassungen.

An diese Bemerkungen zum Aufbau der Arbeit lassen sich noch einige konkrete Nutzungshinweise anschließen, die zu geben mir im Fall einer solchen Arbeit angebracht zu sein scheint:

Querverweise nach Autornamen: Die Kapitel zu den Sangsprüchen eines Tons können unabhängig voneinander gelesen werden, innerhalb der Kapitel ist jedoch eine kontinuierliche Lektüre vorgesehen, es handelt sich also nicht um ein lexikonartiges Nachschlagewerk zu Autorenmeinungen zu einzelnen Strophen, selbst wenn sich eine solche Funktion ebenfalls ergeben mag. Der „Reichston“ wurde weniger aus chronologischen Gründen als (einer etwaigen Fortsetzung) voranstehender Ton ausgewählt, sondern mehr, weil er von Walthers Sangspruchtönen der meistbedachte sein dürfte. Da es nämlich viele Beiträge gibt, in denen ein für zahlreiche oder alle Sangspruchstrophen geltender Interpretationsansatz verfolgt wird – man denke an Maurers Theorie der „politischen Lieder“ Walthers –, soll zur Vermeidung von Redundanzen dieser Ansatz als solcher nur bei einer Strophe kurz vorgestellt werden (um den Rahmen der hier eigentlich interessierenden ← 21 | 22 → Aussagen zur betrachteten Einzelstrophe abzustecken), bei den weiteren bloß noch in seiner Auswirkung auf die jeweilige Strophe berücksichtigt werden, wobei erinnernde Einleitungssätze und somit kleinere Wiederholungen unvermeidlich und wohl auch nicht unwillkommen sind. Auch von daher bot es sich an, mit dem „Reichston“ als Forschungsschwergewicht zu beginnen. Beim „Reichston“ kommt ohnehin noch hinzu, dass er häufig als ganzer Ton in besonderer Weise Objekt eines eigenständigen Auslegungskonzeptes ist. (Dennoch stand auch für diesen Ton nicht zur Diskussion, vom strengen Ausgehen von der Einzelstrophe abzurücken.) Die direkt an den eine neue Besprechung signalisierenden fettgedruckten Autornamen angeschlossenen Querverweise zeigen deshalb das Unterkapitel der Grundlageninformation, die im Übrigen nicht unbedingt bereits bei der ersten besprochenen Strophe, hier L 8,4 ff., sondern bei der dafür geeignetsten erfolgt, oder den Ort weiterer wichtiger bis unerlässlicher Informationen an. Ein fiktives Beispiel: Gesetzt den Fall, zu einem für den Fließtext aller drei Hauptunterkapitel (I.2, II.2 und III.2) vorgesehenen Beitrag, der die Datierung der Strophen L 8,4 ff. und L 8,28 ff. von der der Strophe L 9,16 ff. abhängig macht, ist eine Auskunft zu einem strophenübergreifenden Ansatz (oder auch ein knapp gefasster Hinweis auf ein bestimmtes Walther-Bild etc.) nötig und bei L 8,28 ff. zu geben, so fallen die Querverweise wie folgt aus: Bei der auf L 8,4 ff. bezogenen Besprechung des Beitrags (in I.2) muss es hinter dem fettgedruckten Autornamen „s. II.2 und III.2“ heißen, da in II.2 (zu L 8,28 ff.) ja ein wenig mehr etwa zum Auslegungskonzept zu lesen ist und da in diesem Fall sich erst in III.2 (zu L 9,16 ff.) die eigentliche Begründung der historischen Einordnung findet; entsprechend lautet in der auf L 8,28 ff. bezogenen Besprechung des Beitrags (in II.2) der Querverweis nur „s. III.2“ und bei der auf L 9,16 ff. bezogenen (in III.2) „s. II.2“.

Diese Vorgehensweise gilt nur für die langen Unterkapitel zur Geschichte der Erforschung der einzelnen Strophen und hier auch für den chronologischen Teil des Waisen-Unterkapitels. In den übrigen kleinen Teilen zum Ich und zum Motiv bei L 8,4 ff. ist sie nicht vonnöten und wäre störend.

Sonstige Querverweise: Alle Querverweise sind aus dem übrigen Belegsystem herausgenommen (ein „ebd.“ kann sich nie auf sie beziehen), können direkt im Fließtext erfolgen, werden im Falle von Einklammerungen zum Teil anders gehandhabt als die Belege, sind aufgrund der ihnen vorbehaltenen Abkürzung „s.“ für „siehe“ (nie steht bei ihnen „vgl.“) unverkennbar und werden auf Fußnotenziffern und nicht auf Seitenzahlen bezogen. Unterschieden wird deshalb zwischen bspw. „s. Anm. 10“ (Querverweis auf Anm. 10 selbst) und „s. zu Anm. 10“ (Querverweis auf den Fließtext zu Anm. 10, nicht zu verwechseln mit „s. dazu Anm. 10“), wobei ein durch „s. zu Anm.“ gekennzeichneter Querverweis oft auch das unmittelbare Textumfeld der Einzelstelle mitmeint. Die Querverweise sind an der Notwendigkeit der kontinuierlichen Lektüre der einzelnen Teile der Arbeit ausgerichtet. Dies betrifft insbesondere Informationen zu historischen Vorgängen. Wird bspw. im Kapitel über L 8,4 ff. in einer Anmerkung notiert, wann Erzbischof Adolf von Köln zu Philipp von Schwaben übertrat, und taucht dieser Übertritt im Kapitel über L 8,28 ff. mehrfach wieder auf, so darf ein einziger Querverweis genügen. ← 22 | 23 → (Aus Übersichtsgründen kann und wird davon freilich auch abgewichen werden.) Kapitelinterne Querverweise sind entsprechend noch mehr auf schwierig auffindbare Stellen und Einzelinformation oder -aussagen begrenzt und erfolgen nicht bei Bezugnahmen auf grundlegende Argumentationen bereits vorgestellter Beiträge.

Bibliographisches: Bibel- und Waltherbelege (s. Anm. 20) können im Fließtext erfolgen, für die übrigen Quellenangaben gilt mit Ausnahme von Aristoteles, der in der gängigen abgekürzten Weise belegt wird, dass die üblichen Buch-, Teil-, Kapitel-, Artikel-, Paragraphen-, quaestio-, Traktat-, versus- bzw. Verszahlen usw. (alle in arabischen Zahlen) um die Seitenzahlen der jeweiligen Edition ergänzt und mit Abkürzungen wie „p.“, „c.“ etc. versehen werden; Seiten- und Spaltenangaben bleiben dabei wie generell bei allen Belegen ohne „S.“ bzw. „Sp.“ (Wenn das Buch den ganzen Band füllt, erfolgt die Angabe allerdings mit römischen Zahlen und wird nicht mit Komma und Abkürzung vom Titel abgetrennt. Es wird also bei der Belegweise bspw. zwischen „Vgl. Plinius: Naturalis historiae I, c. 1“ und „Vgl. Augustinus: De civitate Dei, l. 1, c. 1“ unterschieden.) Für Walther-Ausgaben und die darin enthaltenen Kommentare wurden zur sofortigen Unterscheidbarkeit von sonstiger Literatur Siglen eingeführt. Bei zweisprachigen Quellenausgaben beziehen sich die Seitenzahlenangaben stets auf den originalsprachlichen Text, sparen jedoch nicht in umständlicher Weise die dazwischen liegenden Seiten der Übersetzung aus. Wenn in der besprochenen Fachliteratur Anmerkungen nicht als ­Fuß-, sondern als Endnoten abgedruckt sind – eine leider wohl nicht auszumerzende und enervierende Unsitte –, werden diese Endnoten nicht per se in die Belege eingeschlossen, sondern nur dann, wenn die zu belegende Aussage ihrer Angabe mitbedarf oder natürlich bei gezielten Hinweisen. Ich habe mich dagegen entschieden, bei den vielen Zitaten aus der älteren Literatur die hier und da auftauchende starke Abweichung von heutiger Interpunktion durch eckig eingeklammerte Kommata anzugleichen.

Was die Literaturauswahl betrifft, habe ich mich bemüht, den kommentierenden Forschungsbericht auf eine breite Grundlage zu stellen. Ohne die Walther-Bibliographien von Scholz28 als Basis für weitere, eigene bibliographische Vorarbeiten wäre das Projekt dabei kaum je aufgenommen worden. Der gerne gebrauchte Einleitungs-Topos, der Verfasser gebe sich nicht der Illusion der Lückenlosigkeit seiner Literaturerschließung hin, bedarf gerade hier der Konkretion, indem die Bereiche benannt werden, die von vornherein bibliographischen Beschränkungen unterlagen: Die Literatur zu Walthers Namen, Geschlecht und Heimat wurde fast ganz außer Acht gelassen, unter den Walther-Ausgaben wurde eine Auswahl getroffen und der bei Scholz „Darstellungen“ genannte Bereich (darunter fallen u. a. Literaturgeschichten, Lexikonartikel, mediävistische Literaturhandbücher und kürzere, wissenschaftliche wie populärwissenschaftliche Beiträge über Walther allgemeiner Art) wurde ebenfalls stärkerer Selektion unterworfen. Insbesondere blieben die nicht wenigen (Schul-)Vorträge, Programmschriften usw. aus dem ← 23 | 24 → 19. Jahrhundert, die von Walthers Bedeutung für die Gegenwart, seinen sittlichen Idealen oder seinem Charakter handeln, zu größten Teilen ungeprüft. Der „Reichs­ton“ wird darin ganz gewiss immer wieder vorkommen und die Beleglisten für bestimmte Auffassungen wären bei einer Einarbeitung noch einmal gewachsen. Das Risiko indes, dass dort – eher wider Erwarten – etwas für das Strophenverständnis Ungewöhnliches, Wichtiges, Vergessenes, Innovatives vorkommt, was zudem nie in der von mir zur Kenntnis genommenen Literatur aus den doch recht vielen Bereichen, für die ein hoher bibliographischer Anspruch angesetzt worden war (Vollständigkeit kann und soll natürlich auch hier nicht behauptet werden), erwähnt wird, musste eingegangen werden. Vielleicht findet sich die Zeit, größere Teile auch dieser Literatur sicherheitshalber noch durchzugehen; ohnehin sollten mögliche Fortsetzungen stets Raum für Nachträge bieten.

Gerade in der Walther-Literatur ist der Anspruch an die Wissenschaftlichkeit sehr verschieden – Populärwissenschaftlichkeit war jedoch kein zwingendes Ausschlusskriterium, wohl aber ein Kriterium für die Art der Verarbeitung.

Dass das für den Verfasser einer kritischen Forschungsgeschichte heikle Unternehmen der Darstellung so vieler Gelehrtenmeinungen mit der Hoffnung verbunden ist, sie überhaupt richtig verstanden, dann in akzeptabler Weise zusammengefasst und in einer etwaigen Auseinandersetzung ihnen kein Unrecht angetan zu haben, dürfte zwar selbstverständlich sein, ist für mich jedoch die wichtigste Bemerkung dieser kurzen Einleitung.

_______________

1Vgl. Ki 1890, 7-10.

2Ebd., 7.

3Burdach 1902, 58.

4Ebd., 29. Dabei zählt sich Burdach selbst durchaus nicht zu den „Anbetern des ‚Materials‘“ (Burdach 1883, 303 [Anm. 1]), wie eine lesenswerte Stelle erhellt: „Wer nicht zu den Anbetern des ‚Materials‘ gehört, dem wird es ungeheuer gleichgültig sein, dass Hugo 1386 Hannsen Müller belehnt […]. Ich bin der letzte, der solche Entdeckungen überhaupt verschmäht, bloss weil sie selten Früchte bringen, aber man sollte ihren Wert nicht zu hoch anschlagen. Ich zweifle nicht, mancher wird gerade darin seine Befriedigung finden und alle Lieder der Minnesänger und alle literarhistorischen Monographien mit Freuden hingeben für nackte Urkundenauszüge, die ja so ‚positive Ergebnisse‘ bieten, er wird in jedem ausgegrabenen urkundlichen Zeugnis einen grossen Schatz sehen, wir anderen wollen uns aber doch die Freiheit wahren, diese Schätze unter Umständen für das zu halten, was sie oft sind: Regenwürmer.“ Ebd.

5So bspw. Nagele 1887, 165 (mit Simrock).

6Vgl. zu Letzterem Bein 1995 und Bein 1997, 217-219.

7Vgl. dazu bspw. Bein 1995, 118-122 und die dort genannte Literatur.

8Fehr 1931, 153.

9Vgl. Schnell 1983, 4 f.

10Csendes 2003, IX. Vgl. auch ebd., 210.

Details

Seiten
605
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653057171
ISBN (ePUB)
9783653966244
ISBN (MOBI)
9783653966237
ISBN (Hardcover)
9783631661482
DOI
10.3726/978-3-653-05717-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
Sangspruchdichtung Wiener Krone Thronstreit Kirchenkritik Reichskrone
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 605 S.

Biographische Angaben

Jens Burkert (Autor:in)

Jens Burkert studierte Geschichte, Deutsche Philologie (mit Schwerpunkt Ältere Deutsche Literatur) und evangelische Theologie an der RWTH Aachen, wo er auch in Älterer Deutscher Literatur promovierte und als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist.

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Titel: Walthers von der Vogelweide «Reichston»
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