Lade Inhalt...

Die kassenartenübergreifende Vereinigung gesetzlicher Krankenkassen nach § 171a SGB V

Ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen unter dem besonderen Blickwinkel des Sozial-, Wettbewerbs- und Arbeitsrechts

von Kerstin Weit (Autor:in)
©2015 Dissertation 250 Seiten

Zusammenfassung

Kerstin Weit widmet sich in ihrem Buch einer bedeutsamen Neuerung hinsichtlich der gesetzlichen Krankenversicherung: der kassenartübergreifenden Vereinigung von Krankenkassen. Mit der Einführung von § 171a SGB V hat der Gesetzgeber ein weiteres Gestaltungsmittel zur Umsetzung von Kassenfusionen geschaffen, das erstmals kassenartenübergreifende Vereinigungen ermöglicht. Zuvor waren Krankenkassenfusionen nur kassenartenintern gestattet. Mit dem Fokus auf dem Sozial-, Wettbewerbs- und Arbeitsrecht liefert die Autorin eine umfassende Darstellung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieser neuen Vereinigungsform.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Gegenstand der Untersuchung
  • B. Zielsetzung der Untersuchung
  • C. Gang der Untersuchung
  • Erstes Kapitel: Voraussetzungen der kassenartenübergreifenden Vereinigung
  • A. Adressaten: Gesetzliche Krankenkassen
  • I. Äußere Organisation der Krankenkassen
  • 1. Körperschaften des öffentlichen Rechts
  • 2. Kassenarten
  • a) Erfasste Kassenarten der kassenartenübergreifenden Vereinigung
  • aa) Ortskrankenkassen
  • bb) Betriebskrankenkassen
  • (1) Errichtung
  • (2) Geschlossene und geöffnete Betriebskrankenkassen
  • (3) Virtuelle Betriebskrankenkassen
  • cc) Innungskrankenkassen
  • (1) Errichtung
  • (2) Geschlossene und geöffnete Innungskrankenkassen
  • (3) Virtuelle Innungskrankenkassen
  • dd) Ersatzkrankenkassen
  • b) Nicht erfasste Kassenarten
  • II. Innere Organisation der Krankenkassen
  • 1. Organe der juristischen Person
  • a) Verwaltungsrat
  • b) Vorstand
  • 2. Personalvertretung
  • a) (Örtlicher) Personalrat
  • b) Gesamtpersonalrat
  • c) Stufenvertretungen
  • aa) Hauptpersonalrat
  • bb) Bezirkspersonalrat
  • d) Jugend-und Auszubildendenvertretung
  • 3. Schwerbehindertenvertretung
  • 4. Gleichstellungsbeauftragte
  • 5. Beauftragter für den Datenschutz
  • B. Kassenartenübergreifende Vereinigung
  • I. Das Tatbestandsmerkmal „Vereinigung“
  • 1. Der Organisationsakt Vereinigung
  • 2. Abgrenzung zur Errichtung, Auflösung, Schließung
  • 3. Abgrenzung zur Zwangsvereinigung durch Rechtsverordnung
  • 4. Abgrenzung zur Kooperation
  • 5. Gesetzesvorbehalt
  • II. Das Tatbestandsmerkmal „kassenartenübergreifend“
  • C. Beschluss der Verwaltungsräte
  • D. Satzung der neuen Krankenkasse
  • E. Vorschlag zur Berufung der Mitglieder der Organe
  • F. Konzept zur Organisations-, Personal-und Finanzstruktur der neuen Krankenkasse einschließlich Zahl und Verteilung der Geschäftsstellen
  • I. Organisationsstruktur einschließlich Zahl und Verteilung der Geschäftsstellen
  • II. Personalstruktur
  • III. Finanzstruktur
  • G. Vereinbarung über die Rechtsbeziehungen zu Dritten
  • H. Erklärung zur Kassenartzugehörigkeit
  • J. Genehmigung
  • I. Zuständigkeit Aufsichtsbehörde
  • 1. Genehmigung der Beschlüsse, § 171a Abs. 1 S. 2 SGB V
  • 2. Genehmigung der sonstigen Anlagen, §§ 171a Abs. 1 S. 3 i. V. m. 144 Abs. 3 SGB V
  • a) Ansicht Engelhard
  • b) Überwiegende Ansicht im Schrifttum
  • c) Stellungnahme
  • II. Ablauf des Genehmigungsverfahrens
  • 1. Einleitung des Verfahrens
  • 2. Beteiligung der Verbände
  • a) Anhörung gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 SGB V
  • b) Information zur beabsichtigten Verbandszugehörigkeit und Ablehnungsrecht gemäß § 171a Abs. 1 S. 4 SGB V
  • 3. Prüfung der Aufsichtsbehörde
  • a) Rechtsaufsicht
  • b) Fachaufsicht
  • c) Stellungnahme
  • 4. Entscheidung der Aufsichtsbehörde
  • Zweites Kapitel: Kassenartenübergreifende Vereinigung und Fusionskontrolle
  • A. Regelungen zur Fusionskontrolle
  • I. Unionsrechtliche Fusionskontrolle
  • II. Nationale Fusionskontrolle
  • 1. Spezialgesetzliche Regelungen im SGB V
  • a) § 69 Abs. 2 SGB V
  • b) Fusionsvorschriften des SGB V
  • aa) Das Genehmigungsverfahren der Aufsichtsbehörden
  • bb) § 171a SGB V im Besonderen
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Regelungen des GWB
  • 3. Verhältnis zwischen Unions-und nationalem Recht
  • B. Anwendungsbereich im Unionsrecht
  • I. Gesetzliche Krankenkassen als Unternehmen
  • 1. Der Unternehmensbegriff des EuGH
  • 2. Die Träger öffentlichen Rechts als Unternehmen
  • 3. Die Unternehmenseigenschaft im Bereich der sozialen Sicherheit
  • a) Ausgangspunkt
  • b) Sonderrechtsprechung im Bereich der sozialen Sicherheit
  • aa) Problemaufriss
  • bb) Anwendung des funktional-relativen Unternehmensbegriffes auf Kassenvereinigungen
  • cc) Anwendung des institutionellen Unternehmensbegriffes auf Kassenvereinigungen
  • dd) Zwischenergebnis zur Sonderrechtsprechung im Bereich der sozialen Sicherheit
  • II. Zwischenergebnis
  • C. Anwendungsbereich im nationalen Recht
  • I. Der ursprüngliche Unternehmensbegriff im nationalen Recht
  • II. Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Unternehmensbegriff auf das nationale Recht
  • 1. Art. 3 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 3 VO (EG) 1/2003
  • 2. Anpassung durch den nationalen Gesetzgeber
  • III. Zwischenergebnis
  • D. Fazit zum Zweiten Kapitel
  • Drittes Kapitel: Rechtsfolgen und Auswirkungen der kassenartenübergreifenden Vereinigung
  • A. Rechtlicher Ausgangspunkt
  • I. Gesamtrechtsnachfolge
  • II. Betriebsübergang nach § 613a BGB
  • 1. Bedeutung der Rechtsfrage bei kassenartenübergreifenden Vereinigungen
  • 2. § 613a BGB und die Vorgaben der Richtlinie 2001/23/EG
  • 3. Anwendbarkeit des § 613a BGB im öffentlichen Dienst
  • a) § 613a BGB und Einrichtungen des öffentlichen Dienstes
  • b) § 613a BGB und der Übertragungsgegenstand
  • aa) Ausschluss nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten?
  • (1) Betriebs(teil) im Sinne des § 613a BGB
  • (2) Unternehmen und Betrieb im Sinne einer „wirtschaftlichen Einheit“
  • bb) Ausschluss hoheitlicher Tätigkeiten?
  • cc) Stellungnahme
  • 4. Rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang
  • a) Die Auslegung des Tatbestandmerkmals „durch Rechtsgeschäft“
  • b) Rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang und Gesamtrechtsnachfolge bei der kassenartenübergreifenden Vereinigung nach § 171a SGB V
  • III. Fazit
  • B. Kassenartenübergreifende Vereinigung und Kassenart
  • I. Kassenartzugehörigkeit
  • 1. Kassenart und Verbandsmitgliedschaft
  • 2. Besonderheiten kassenartenübergreifender Vereinigungen unter Beteiligung von Betriebs-und Innungskrankenkassen, § 173 Abs. 7 SGB V
  • 3. Fazit
  • II. Die besondere Haftung der neuen Krankenkasse nach der Kassenart
  • 1. Nachhaftung innerhalb der bisherigen Kassenart
  • a) § 171a Abs. 2 S. 1 SGB V
  • b) § 171a Abs. 2 S. 2 SGB V
  • aa) Regelungsgegenstand § 155 Abs. 5 SGB V
  • (1) Regelungsgegenstand § 155 Abs. 5 SGB V in der Fassung bis zum 30.6.2008
  • (2) Regelungsgegenstand § 155 Abs. 5 SGB V mit Wirkung vom 1.7.2008
  • bb) Bedeutung des Verweises
  • c) Haftungsabwicklung
  • aa) Ermittlung des Haftungsumfangs
  • bb) Informationspflicht gemäß § 171a Abs. 2 S. 4 SGB V
  • 2. Haftung innerhalb der neuen Kassenart
  • 3. Fazit
  • C. Auswirkungen auf die Organe der juristischen Person
  • I. Verwaltungsrat
  • II. Vorstand
  • 1. Bestellung der neuen Vorstandsmitglieder
  • 2. Auswirkungen auf die bisherigen Vorstandsmitglieder
  • D. Auswirkungen auf die Personalvertretung
  • I. Auswirkungen der Vereinigung auf den Fortbestand der Personalvertretung
  • 1. (örtlicher) Personalrat
  • 2. Gesamtpersonalrat
  • 3. Stufenvertretungen
  • a) Hauptpersonalrat
  • aa) Bindung des Hauptpersonalrats an den Rechtsträger?
  • bb) Stellungnahme – Beurteilung nach der Identität des Dienststellenorganismus
  • cc) Anwendung des Grundsatzes der Identität des Dienststellenorganismus auf den Hauptpersonalrat bei kassenartenübergreifenden Vereinigungen
  • (1) Vereinigung nahezu gleich großer Kassen
  • (2) Vereinigung von Kassen unterschiedlicher Größe
  • (3) Zwischenergebnis
  • b) Bezirkspersonalrat
  • 4. Jugend-und Auszubildendenvertretung
  • II. Folgen des Untergangs der Personalvertretung
  • 1. Ansatzpunkte
  • a) Übergangsmandat
  • aa) Übergangsmandat durch Vereinbarung
  • bb) Gesetzliche Regelungen
  • (1) Bundesrecht
  • (2) Landesrecht
  • cc) Richtlinie 2001/23/EG und Übergangsmandat
  • dd) Personalvertretungsrechtliches Übergangsmandat im Wege der Analogie
  • (1) Anknüpfungspunkt Analogie
  • (2) Meinungsstand zur Begründung eines Übergangsmandates der Personalvertretung im Wege der Analogie
  • (a) Rechtsprechung
  • (b) Schrifttum
  • (c) Stellungnahme
  • b) Restmandat
  • c) Ergebnis
  • 2. Konkrete Auswirkungen des Untergangs einzelner Personalvertretungen
  • a) (örtlicher) Personalrat
  • b) Gesamtpersonalrat
  • c) Stufenvertretungen
  • d) Jugend-und Auszubildendenvertretung
  • E. Auswirkungen auf sonstige Mandate
  • I. Schwerbehindertenvertretung
  • 1. Untergang und Fortbestand der Schwerbehindertenvertretung
  • 2. Übergangsmandat der Schwerbehindertenvertretung
  • a) Rechtslage und Meinungsstand
  • b) Stellungnahme
  • II. Gleichstellungsbeauftragte
  • III. Datenschutzbeauftragter
  • F. Auswirkungen auf die Beschäftigten
  • I. Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse
  • II. Inhaltsschutz der Arbeitsverhältnisse
  • 1. Tarifverträge
  • a) Firmentarifvertrag
  • b) Verbandstarifvertrag
  • aa) Höchstpersönlichkeit der Verbandsmitgliedschaft
  • bb) Regelung in der Verbandssatzung
  • cc) Ungeregelte Fallgestaltungen
  • (1) Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum
  • (2) Stellungnahme und Einordnung der kassenartenübergreifenden Vereinigung
  • c) Kollision von Tarifverträgen
  • 2. Dienstvereinbarungen
  • a) Dogmatische Lösungsansätze zur Fortgeltung der Dienstvereinbarung
  • aa) Kollektivrechtliche Fortgeltung aufgrund Gesamtrechtsnachfolge
  • bb) Kollektivrechtliche Fortgeltung aufgrund Identität der Dienststelle
  • cc) Mindestschutz nach § 613a BGB analog
  • dd) Stellungnahme
  • b) Anwendung der Grundsätze auf die Dienstvereinbarungen der einzelnen Ebenen
  • aa) Dienstvereinbarungen der (örtlichen) Ebene
  • bb) Dienstvereinbarungen des Bezirkspersonalrates
  • cc) Dienstvereinbarungen des Hauptpersonalrates
  • (1) Fusionen Kassen gleicher Größe
  • (2) Fusionen Kassen unterschiedlicher Größe
  • 3. Individualarbeitsrechtliche Regelungen einschließlich solcher mit kollektivem Bezug
  • III. Das Dienstordnungsverhältnis
  • G. Auswirkungen auf Mitglieder, sonstige Versicherte, Außenstehende und Leistungserbringer
  • I. Mitglieder und sonstige Versicherte
  • 1. Rechtsnachfolge
  • 2. Besonderheiten für Außenstehende bei aus kassenartenübergreifenden Vereinigungen hervorgehenden Betriebs-und Innungskrankenkassen, § 173 Abs. 7 SGB V
  • II. Leistungserbringer
  • Viertes Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick
  • A. Zusammenfassung in Leitsätzen
  • B. Gesamtfazit und Ausblick
  • Fünftes Kapitel: Nachtrag
  • A. Anwendung der Fusionskontrolle bei Kassenvereinigungen – Die 8. GWB-Novelle
  • B. Das GKV-FQWG
  • Literaturverzeichnis

← 14 | 15 → Abkürzungsverzeichnis

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AOK Allgemeine Ortskrankenkasse
AuR Arbeit und Recht
BJAV Bezirksjugend-­ und Auszubildendenvertretung
BPR Bezirkspersonalrat
BT-­Drucks. Bundestagdrucksache
ChancenG Chancengleichheitsgsetz (BW)
Deutsches Ärzteblatt
FfG Forum für Gesellschaftspolitik
FKVO Verordnung 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Fusionskontrollverordnung)
GdS Gewerkschaft der Sozialversicherung
GesR GesundheitsRecht
GJAV Gesamtjugend-­ und Auszubildendenvertretung
GKV-­WSG Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-­Wettbewerbsstärkungsgesetz
GKV-­FQWG Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruk­tur und der Qualität in der Gesetzlichen Krankenversicherung
GleiG Gleichstellungsgesetz (Bay)
GPR Gesamtpersonalrat
GuP Gesundheit und Pflege
HB Handbuch
HJAV Hauptjugend-­ und Auszubildendenvertretung
Hrsg. Herausgeber(in)
HPR Hauptpersonalrat
JAV Jugend-­ und Auszubildendenvertretung
KV Krankenversicherung
LLG Landesgleichstellungsgesetz (u. a. Bln, Hbg, Brem)
LPK Lehr-­ und Praxiskommentar
ÖPR örtlicher Personalrat
PharmR Zeitschrift für das gesamte Arzneimittelrecht
PKV private Krankenversicherung
PR Personalrat
Saarl Saarland
Sachs Sachsen
← 15 | 16 → SachsAnh Sachsen-­Anhalt
SchlH Schleswig-­Holstein
SdO Selbstverwaltung der Ortskrankenkassen
SGB Sozialgesetzbuch
sog. sogenannte
Thür Thüringen
vdek Verband der Ersatzkrankenkassen e. V.
VO Verordnung
WiSta Wirtschaft und Statistik

Für die in dieser Arbeit verwendeten und nicht gesondert dokumentierten Abkürzungen wird auf Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Auflage, Berlin 2008, verwiesen.

← 16 | 17 → Einleitung

A. Gegenstand der Untersuchung

Die gesetzliche Krankenversicherung ist permanenten Veränderungsprozessen ausgesetzt1. Auch das Fusionskarussell2 in der gesetzlichen Krankenversicherung dreht sich, die gesetzlichen Krankenkassen befinden sich im Fusionsfieber3. Exemplarisch dafür sei die vormalige BBK Gesundheit angeführt, die bis zur Fusion mit der DAK und der BKK Axel Springer zur DAK Gesundheit zum 1. Januar 2012 als seinerzeit größte Betriebskrankenkasse allein bereits aus Fusionen mit 81 Vorgängerkassen hervorge­gangen ist4.

Waren es mit der Einführung der Sozialversicherungssysteme 1883 unter Otto von Bismarck5 sage und schreibe 22.000 Kassen, hat sich diese Zahl Anfang der 1930er Jahre bereits auf ca. 7.0006 und Anfang der 1970er Jahre weiter auf ca. 1.800 verringert7. Allein zu Jahresbeginn 2010 waren 23 Krankenkassen an neun Fusionen beteiligt8. Die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen schrumpfte damit weiter auf 1699, im Jahr 2011 verschwanden durch Fusionen sieben weitere Krankenkassen10, im August 2012 waren es ← 17 | 18 → dann bereits nur noch 14511 sowie im Februar 2013 letztlich 134 gesetzliche Krankenkassen12.

Hält dieser Fusions-­ und Konzentrationsprozess13 an, könnte die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt mit ihrer Aussage, 30 bis 50 Krankenkassen seien für eine gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung ausreichend14, Recht behalten. Mit der Verabschiedung des GKV-­Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-­WSG)15 im Deutschen Bundestag am 2. Februar 2007 ist während ihrer Amtszeit der Fusionsdruck in der gesetzlichen Krankenversicherung weiter forciert worden. Den vorläufigen Höhepunkt gesundheitspolitischer Veränderungen bildete die Einführung des Gesundheitsfonds und mit ihm die Schaffung eines kasseneinheitlichen Beitragssatzes16 zum 1. Januar 200917. Konnten sich die Krankenkassen zuvor neben den Bereichen Service und Verwaltung auch primär über die Beitragssatzhöhe dem Wettbewerb stellen und durch einen niedrigen Beitragssatz neue Mitglieder gewinnen, hat sich der Beitragssatzwettbewerb seitdem einerseits in einen Kampf auf dem Nebenschauplatz des Zusatzbeitrages verlagert18, den es zur Vermeidung eines mit der Erhebung eines Zusatzbeitrages befürchteten Mitgliederschwunds unter den Kassen zu verhindern gilt19. Andererseits ist an die Stelle des Beitragssatzwettbewerbes ein politisch forcierter Wettbewerb um Qualität, Leistung und ← 18 | 19 → Konditionen getreten20. Mit dem Eingriff in die Beitragssatzautonomie21 ist zusätzlich der Druck auf die Krankenkassen dahin gehend erhöht worden, sich wirtschaftlicher auf dem Markt aufzustellen sowie über Zusammenschlüsse mit anderen Kassen Synergieeffekte und effizientere Organisationsstrukturen zu erzielen. Neben einer zeitweisen akuten Unterfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung22, dem daraus resultierenden Streben nach kostenoptimierten Organisationsmodellen, der Stärkung der Marktposition durch eine hohe Mitgliederzahl und damit verbundener größerer Marktmacht, ist die Einführung des Gesundheitsfonds allerdings nur einer von vielen Gründen, die für den rasanten zahlenmäßigen Rückgang der gesetzlichen Krankenkassen ursächlich sind.

Mit Wirkung zum 1. April 2007 ist mit dem GKV-­WSG § 171a SGB V neu eingefügt worden23. Krankenkassen können sich damit erstmals kassenartenübergreifend vereinigen und erhalten ein neues Gestaltungsmittel zur Umsetzung von Fusionen in der gesetzlichen Krankenversicherung an die Hand. Mit der Möglichkeit zur kassenartenübergreifenden Vereinigung sollen bisher noch ungenutzte Potenziale von Kassenzusammenschlüssen genutzt und der Prozess zur Bildung dauerhaft wettbewerbs-­ und leistungsfähiger Einheiten von Krankenkassen sowie die Angleichung der Wettbewerbsebenen zwischen den Krankenkassen beschleunigt werden24. Die den Krankenkassen in den letzten Jahren übertragenen zusätzlichen Aufgaben hätten die Anforderungen an deren Verwaltung sowie die Organisation ihrer Leistungserbringung erheblich erhöht25. Auch mit dem GKV-­WSG werde diese Linie fortgesetzt26. Die trotz Fusionswelle noch immer bestehende Vielzahl kleinerer Kassen sei nur beschränkt in der Lage, den erhöhten ← 19 | 20 → Anforderungen in wirtschaftlicher Weise gerecht zu werden27. Intendiert sei daher, dass sich Krankenkassen zu größeren Einheiten zusammenschlössen, die auch auf Dauer wettbewerbs-­ und leistungsfähig seien28.

§ 171a SGB V ist auf keine Vorgängernorm zurückzuführen29. Bisher waren Fusionen in der gesetzlichen Krankenversicherung nur kassenartenintern gestattet. Von der Möglichkeit kassenartenübergreifender Fusionen haben erstmals 2009 die Techniker Krankenkasse30, die Signal Iduna IKK31, die AOK Sachsen-­Anhalt32 sowie die KKH-­Allianz33 Gebrauch gemacht34. Die Ausweitung des potenziellen Kandidatenkreises sollte mit Einführung des § 171a SGB V die Chance nach dem passenden Fusionspartner erleichtert haben. So möchte man meinen. Aber ist das tatsächlich so? Neben den genannten Fusionsvorgängen hat sich die Anzahl kassenartenübergreifender Fusionen mit nur drei weiteren Vereinigungen bis heute nicht wesentlich erhöht35. Gibt es vielleicht gute Gründe, weshalb die gesetzlichen Krankenkassen bislang primär weiterhin fast ausschließlich kassenartenintern fusionieren? Welchen rechtlichen Voraussetzungen unterliegt eine kassenartenübergreifende Vereinigung? Welche Rechtsfolgen ergeben sich daraus?

Auch einige Jahre nach deren Einführung gibt es keine vertiefte und zusam­menfassende Darstellung der kassenartenübergreifenden Vereinigungsmög- ← 20 | 21 → ­lichkeit, deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen, obwohl viele Fragen ungeklärt sind. Nicht abschließend, jedoch beispielhaft sei an dieser Stelle auf aufsichts-­, wettbewerbs-­, haftungs-­ und arbeits-­, insbesondere personalvertretungsrechtliche Problemstellungen verwiesen.

B. Zielsetzung der Untersuchung

Mit der vorliegenden Arbeit soll diese Lücke geschlossen werden. Ziel dieser Untersuchung ist es daher, zum einen eine umfassende Darstellung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der kassenartenübergreifenden Vereinigung nach § 171a SGB V zu geben. Das Sozial-­, Wettbewerbs-­ und Arbeitsrecht wird hierbei in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt. Innerhalb der Untersuchung unberücksichtigt bleiben müssen ebenfalls zu lösende praktische Probleme im Rahmen von Fusionen, insbesondere des Personalmanagements oder des Daten-­ und Markentransfers. Hinsichtlich der noch ungeklärten Fragestellungen wird zum anderen versucht, einen eigenen Lösungsansatz zu entwickeln.

C. Gang der Untersuchung

Der Untersuchung wird grundsätzlich eine kassenartenübergreifende Vereinigung von bundesunmittelbaren36 Krankenkassen zu Grunde gelegt. Für vergleichbare Fusionen zwischen landesunmittelbaren37 bzw. landesunmittelbaren und bundesunmittelbaren Krankenkassen wird in den Fußnoten auf die entsprechenden, zum Teil aber auch abweichenden landesgesetzlichen Regelungen verwiesen.

Die Untersuchung beginnt mit dem inneren und äußeren organisatorischen Aufbau gesetzlicher Krankenkassen. Eine Verdeutlichung dessen ist nicht nur aufgrund der in § 171a SGB V normierten Adressatenstellung gesetzlicher Krankenkassen erforderlich, sondern auch für das Verständnis der Auswirkungen von Vereinigungen gesetzlicher Krankenkassen sinnvoll. Die Darstellung umfasst dabei neben den Organisationsvorgaben des Sozialrechts auch solche ← 21 | 22 → benachbarter Rechtsgebiete, die innerhalb der Analyse in den Blickpunkt der Betrachtungen gestellt werden.

Daran schließt sich die Auseinandersetzung mit den weiteren Tatbestandsmerkmalen kassenartenübergreifender Vereinigungen nach § 171a SGB V an. Einen Schwerpunkt bilden hierbei die Fragen, in wessen Zuständigkeitsbereich eine Fusion nach § 171a SGB V fällt und welcher Prüfungsumfang den Aufsichtsbehörden zusteht. Zudem erfolgt eine Auseinandersetzung mit der wettbewerbsrechtlichen Problematik, ob kassenartenübergreifende Vereinigungen zur Verhinderung von Marktmacht vereinigter Kassen der Fusionskontrolle unterliegen.

Innerhalb der Rechtsfolgen kassenartenübergreifender Vereinigungen soll zunächst das Verhältnis der Betriebsübergangsregelung § 613a BGB zu § 171a SGB V beleuchtet werden. Die Erkenntnis dessen bildet den Grundstein aller Betrachtungen im Rahmen der Untersuchung der Rechtsfolgen kassenartenübergreifender Vereinigungen. Daran anschließend werden die Auswirkungen kassenartenübergreifender Vereinigungen für die einzelnen Kassenarten und die hieraus folgenden haftungsrechtlichen Folgen dargestellt.

Sodann erfahren die Auswirkungen auf die sozialrechtliche Organisation gesetzlicher Krankenkassen, d. h. auf deren Organe wie Vorstand und Verwaltungsrat, sowie die Auswirkungen auf die Organe der Arbeitnehmervertretungen nach dem Personalvertretungsrecht38 und sonstige in gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu wählende besondere Personengruppen39 eine nähere Betrachtung. Hierbei wird insbesondere erörtert, ob deren Mandate mit der Vereinigung der Krankenkassen erlöschen. Zudem wird der damit korrespondierenden Fragestellung nach etwaigen Übergangs-­ und Restmandaten nachgegangen.

Die darauffolgende Untersuchung widmet sich den Beschäftigen. Hierbei erfahren neben der Diskussion zur Anwendbarkeit des § 613a BGB insbesondere die auf das Arbeitsverhältnis einwirkenden Tarifverträge und Dienstvereinbarungen eine vertiefte Betrachtung. Wenn auch im Hinblick auf das Tarifvertragsrecht vielfach auf die allgemeinen Grundsätze zurückgegriffen werden kann, so hatte sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Frage der Fortgeltung von ← 22 | 23 → Dienstvereinbarungen bei der Vereinigung von Krankenkassen bislang einzig im Jahr 2003 zu befassen40. Im Rahmen der Darstellung der Auswirkungen auf die Beschäftigten werden schließlich auch die Dienstordnungsangestellten beleuchtet.

Daran anknüpfend werden die Auswirkungen auf die Mitglieder und Versicherten sowie die Leistungserbringer skizziert.

Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse, einem Gesamtfazit und dem Ausblick auf die mögliche zukünftige Entwicklung der gesetzlichen Krankenkassenlandschaft. Führt die kassenartenübergreifende Vereinigungsmöglichkeit zum Wegfall der verschiedenen Kassenarten? Werden die bestehenden Krankenkassen durch eine Einheitskasse abgelöst?

Details

Seiten
250
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653052343
ISBN (ePUB)
9783653968569
ISBN (MOBI)
9783653968552
ISBN (Paperback)
9783631662182
DOI
10.3726/978-3-653-05234-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Krankenkassen Krankenkassenwettbewerb Krankenkassenfusionen gesetzliche Krankenversicherung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 250 S.

Biographische Angaben

Kerstin Weit (Autor:in)

Kerstin Weit ist Volljuristin. Sie studierte Rechtswissenschaften in Berlin mit abschließendem Referendariat im Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz. Seit 2008 ist sie als Referentin und Juristin im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung tätig.

Zurück

Titel: Die kassenartenübergreifende Vereinigung gesetzlicher Krankenkassen nach § 171a SGB V
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
252 Seiten