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Verhältnismäßigkeit und Ermessensreduzierung im Mehrpersonenverhältnis

Der Modifikationsbedarf des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis bei einer Ermessensreduzierung auf Null am Beispiel der Baubeseitigung

von Florian Arnold (Autor:in)
©2015 Dissertation 283 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor hinterfragt die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der als verfassungsrechtlicher Maßstab für Art und Ausmaß staatlicher Eingriffe in die grundrechtlichen Freiheiten der Bürger verantwortlich ist. Er setzt sich insbesondere mit der Problematik auseinander, ob und inwieweit sich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei verwaltungsrechtlichen Mehrpersonenverhältnissen mit Ermessensreduzierung von seiner Anwendung im «klassischen» Zweipersonenverhältnis unterscheidet. Er stellt zum Teil signifikante Modifikationen in der Bedeutung der einzelnen Teilgrundsätze des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fest und bestätigt abschließend die theoretischen Erkenntnisse am Beispiel der öffentlich-rechtlichen Baubeseitigung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Problemstellung
  • B. Untersuchungsgegenstand
  • C. Gang der Arbeit
  • Kapitel 1: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Allgemeinen
  • A. Geschichtliche Entwicklung
  • I. Vom Mittelalter zur Neuzeit
  • II. Im deutschen Recht ab Mitte des 19. Jahrhunderts
  • III. In der Rechtsprechung des BVerfG
  • B. Rechtsgrundlage und inhaltliche Abgrenzung
  • I. Die verfassungsrechtliche Grundlage
  • II. Inhaltliche Abgrenzungen
  • 1. Gleichheitsgrundsatz
  • 2. Untermaßverbot
  • 3. Verwaltungsermessen
  • C. Die Teilgrundsätze des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
  • I. Vorprüfung
  • II. Der Teilgrundsatz der Geeignetheit
  • 1. Geeignetheit als Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
  • 2. Inhalt des Grundsatzes
  • 3. Beurteilungsspielraum des Staates
  • 4. Rechtsprechung des BVerfG
  • III. Der Teilgrundsatz der Erforderlichkeit
  • 1. Terminologie
  • 2. Inhalt des Grundsatzes
  • 3. Beurteilungsspielraum des Staates
  • 4. Rechtsprechung des BVerfG
  • IV. Der Teilgrundsatz der Proportionalität
  • 1. Terminologie
  • a) Positiver Ansatz
  • b) Negativer Ansatz
  • 2. Inhalt des Grundsatzes
  • 3. Rechtsprechung des BVerfG
  • V. Zwischenergebnis
  • Kapitel 2: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Zweipersonenverhältnis
  • A. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Grundrechte
  • I. Verfassungsrechtliche Bedeutung
  • 1. Der historische Wandel der Bedeutung der Grundrechte
  • 2. Staatsgewalt und Grundrechte
  • 3. Verhältnismäßigkeit und Grundrechte
  • 4. Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des BVerfG
  • II. Verwaltungsrechtliche Bedeutung
  • 1. Verhältnismäßigkeit und Einzelfallgerechtigkeit
  • 2. Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des BVerwG
  • B. Verhältnismäßigkeit im Zweipersonenverhältnis
  • I. Eingriffsverwaltung
  • 1. Begriff und Abgrenzung
  • 2. Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
  • a) Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes
  • b) Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes
  • 3. Verhältnismäßigkeit und staatliches Ermessen
  • a) Sinn und Zweck von Ermessensvorschriften
  • b) Formen der Ermessensausübung
  • aa) Entschließungsermessen
  • bb) Auswahlermessen
  • c) Der Einfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf staatliche Ermessensentscheidungen
  • aa) Verhältnismäßigkeit und Entschließungsermessen
  • bb) Verhältnismäßigkeit und Auswahlermessen
  • cc) Zwischenergebnis
  • II. Staatliche Interessen bei exekutiven Maßnahmen
  • 1. Öffentliche Sicherheit und Ordnung
  • 2. Sonstige verfassungsrechtliche Interessen und Aufgaben des Staates
  • III. Interessen und Rechtsgüter der Bürger.
  • IV. Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
  • 1. Lösungsansatz des BVerwG
  • 2. Exkurs: Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Rechtsprechung des BVerfG zu Grundrechtskonflikten
  • 3. Vergleich von BVerfG und BVerwG
  • 4. Meinungsbild in der Literatur
  • V. Zwischenergebnis
  • Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Ermessensreduzierung im Mehrpersonenverhältnis
  • A. Mehrpersonenverhältnisse im Allgemeinen
  • I. Mehrpersonenverhältnisse in der Vergangenheit und in der Zukunft
  • 1. Historischer Überblick
  • 2. Blick in die Zukunft
  • II. Rechtsgüter und Interessen des Drittbetroffenen
  • 1. Das subjektiv-öffentliche Recht
  • a) Drittschutz aus Grundrechten und verfassungskonformer Gesetzesauslegung
  • b) Schutznormtheorie
  • 2. Zwischenergebnis
  • B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Dreipersonenverhältnis
  • I. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Sicht des Dritten
  • 1. Exkurs: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht
  • a) Unmittelbare und mittelbare Grundrechtswirkung
  • b) Verhältnismäßigkeit im Privatrecht
  • c) Die Angemessenheit privatrechtlicher Gestaltungsmacht
  • d) Schlussfolgerung
  • 2. Verfassungsrechtliche Schutzfunktion des Verhältnismäßigkeits- prinzips für Dritte im Öffentlichen Recht?
  • a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Abwehrmittel gegenüber einer untätigen Behörde (Eingriff in Form der Unterlassung?)
  • aa) Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates
  • bb) Das Untermaßverbot als Maßstab eines verfassungswidrigen Schutzdefizits
  • cc) Fazit
  • b) Anspruch des Dritten auf aktives Einschreiten der Behörde
  • aa) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung
  • bb) Ermessensreduzierung (auf Null)
  • cc) Ermessensreduzierung auf Null und Verhältnismäßigkeit
  • dd) Zusammenfassung
  • 3. Resümee
  • II. Die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus Sicht des Störers
  • III. Verhältnismäßigkeit und Ermessensreduzierung auf Null im Dreipersonenverhältnis aus Sicht der Behörde
  • 1. Exkurs: Verfassungsrechtliche Mehrpersonenverhältnisse und die Rolle des Gesetzgebers zwischen Übermaß- und Untermaßverbot
  • a) Die grundrechtsdogmatische Ausgangslage
  • b) Konkretisierung und Harmonisierung
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Auswirkungen einer Ermessensreduzierung auf Null
  • a) Der verwaltungsrechtliche Regelfall einer sicherheitsrechtlichen Ermessensentscheidung
  • b) Die Ausnahmekonstellation einer Ermessensreduzierung auf Null
  • aa) Einfluss auf die Frage des legitimen Ziels der Maßnahme
  • bb) Geeignetheit der Maßnahme
  • cc) Erforderlichkeit der Maßnahme
  • dd) Angemessenheit der Maßnahme
  • ee) Verfassungsrechtliche Aspekte des festgestellten Modifkationbedarfs
  • ff) Zwischenergebnis
  • gg) Anschauungsbeispiel: der finale Rettungsschuss
  • 3. Unverhältnismäßigkeit als exekutiver Einwand
  • C. Ergebnis
  • Kapitel 4: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Baurecht
  • A. Das besondere Konfliktpotential im öffentlichen Baurecht
  • I. Drittschutz im Baurecht
  • 1. Gesetzesauslegung und das Gebot der Rücksichtnahme
  • 2. Praxisrelevante Beispiele aus der Rechtsprechung
  • a) § 31 Abs. 2 BauGB
  • b) § 34 Abs. 1, Abs. 2 BauGB, § 35 Abs. 1, Abs. 2 BauGB
  • aa) privilegierte Vorhaben, § 35 Abs. 1 BauGB
  • bb) sonstige Vorhaben, § 35 Abs. 2 BauGB
  • cc) § 15 Abs. 1 BauNVO
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Die Abwägung
  • 1. Der Begriff der Abwägung
  • 2. Das Abwägungsverfahren
  • 3. Abwägung und Verhältnismäßigkeit
  • 4. Zwischenergebnis
  • B. Abwägung im öffentlichen Baurecht
  • I. Bauleitplanung und Abwägung
  • 1. § 2 Abs. 3 BauGB
  • 2. § 1 Abs. 7 BauGB
  • 3. § 1 Abs. 6 BauGB
  • II. Baugenehmigungsverfahren und Abwägung
  • 1. Das Gebot der Rücksichtnahme
  • 2. Abwägungen des Gesetzgebers im Baurecht
  • 3. Abwägungsentscheidungen der Behörde nach § 35 Abs. 1, Abs. 2 BauGB
  • a) Abwägungsentscheidung gemäß § 35 Abs. 1 BauGB
  • b) Abwägungsentscheidung gemäß § 35 Abs. 2 BauGB
  • C. Zwischenergebnis
  • Kapitel 5: Verhältnismäßigkeit und Ermessensreduzierung am Beispiel der Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO
  • A. Die Baubeseitigung im Allgemeinen
  • I. Die Baubeseitigung im Gefüge der bauaufsichtlichen Maßnahmen der BayBO
  • 1. Die Baueinstellung nach Art. 75 BayBO
  • 2. Die Nutzungsuntersagung nach Art. 76 Satz 2 BayBO
  • 3. Die Baubeseitigung nach Art. 76 Satz 1 BayBO
  • a) Formelle und materielle Illegalität der Anlage
  • b) Baubeseitigung als ultima ratio
  • II. Zwischenergebnis
  • B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO
  • I. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Baubeseitigungsanordnung im bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis
  • 1. Formelle und materielle Illegalität
  • a) Formelle Illegalität
  • b) Materielle Illegalität
  • 2. Baubeseitigung und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
  • a) Legitimer Zweck
  • b) Geeignetheit der Baubeseitigungsanordnung
  • c) Erforderlichkeit der Baubeseitigungsanordnung
  • d) Angemessenheit der Baubeseitigungsanordnung
  • aa) Objektive Gewichtung der betroffenen Rechtsgüter
  • bb) Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände
  • II. Verhältnismäßigkeit und Ermessensreduzierung bei der Baubeseitigungsanordnung im dreiseitigen Verwaltungsrechtsverhältnis
  • 1. Art 76 Satz 1 BayBO als mittelbar drittschützende Ermessensnorm
  • 2. Fallbeispiel: Die illegale Verbrennungsanlage
  • a) Vorliegen einer Ermessensreduzierung auf Null
  • b) Prüfung der Teilgrundsätze der Verhältnismäßigkeit
  • aa) Legitimes Ziel der Beseitigungsanordnung
  • bb) Geeignetheit der Beseitigungsanordnung
  • cc) Erforderlichkeit der Beseitigungsanordnung
  • dd) Angemessenheit der Beseitigungsanordnung
  • III. Ergebnis der Prüfung
  • C. Zusammenfassung
  • Schlussbetrachtung
  • A. Der prüfungstechnische Modifikationsbedarf des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Ermessensreduzierungen auf Null in multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen
  • B. Prüfungstechnische Auswirkungen einer Ermessensreduzierung auf Null auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
  • I. Weiterentwicklung der Fragen des legitimen Zwecks, der Geeignetheit sowie der Erforderlichkeit
  • II. Bedeutungsverlust der Angemessenheitsprüfung und Schwerpunktverschiebung
  • Literaturverzeichnis

← 14 | 15 → Abkürzungsverzeichnis

← 18 | 19 → Einleitung

A. Problemstellung

Haben mithin schon bisher die Gerichte es als rechtlich geboten und tatsächlich möglich erkannt, zum Schutze der Freiheit des Bürgers Gesetze unter gewissen Voraussetzungen auf ihre Notwendigkeit zu prüfen, so kann eine solche Prüfung dem Bundesverfassungsgericht noch weniger entzogen sein; denn ihm ist […] der Schutz der Grundrechte gerade gegenüber dem Gesetzgeber anvertraut […].

Mit dieser Feststellung im Rahmen seines Apothekenurteils1 begab sich das BVerfG Ende der 1950-er Jahre auf neues Terrain – es machte sich erstmals die Prüfung legislativer Akte anhand des Verhältnismäßigkeitsgedankens zur Aufgabe. Welche Konsequenzen und Auswirkungen dieses Betreten von Neuland auf die deutsche Rechtslandschaft in den kommenden Jahrzehnten und bis zum heutigen Tage haben würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhersehbar. In dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung2 des bayerischen Apothekengesetzes durch das BVerfG – hier noch in Form einer qualitativen Eingriffsunterscheidung anhand der sog. 3-Stufen-Rechtsprechung bei Art. 12 GG – ist letztlich der „Startschuss“ für eine neue juristische Zeitrechnung zu sehen. Denn schon bald war eine Prüfung staatlicher Akte auf ihre Verhältnismäßigkeit – sodann in fortentwickelter Form einer Prüfung ihrer Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit – zum „Sinnbild“ judikativen Grundrechtsschutzes geworden, mithin war letztlich ein effektives Mittel zur Gewährleistung bürgerlicher Freiheit gefunden.

Heute sieht man im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – abstrakt formuliert –insbesondere „ein verfassungsrechtliches Kriterium für Art und Ausmaß ← 19 | 20 → zulässiger Einschränkungen der grundrechtlichen Freiheit durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes.“3 Mit dieser Kurzdefinition bringt es Badura auf den Punkt, wenn er die Aufgabe und Funktion des wohl weitreichendsten Grundsatzes beschreibt, den das deutsche Verwaltungs- und Verfassungsrecht kennt. Bei staatlichen Maßnahmen der Legislative, Exekutive und Judikative ist stets darauf zu achten, dass das absolut notwendige Maß nicht überschritten4 wird, die Maßnahme das Übermaßverbot beachtet5 bzw. kein Verstoß gegen das Übermaßverbot6 vorliegt.7

Zahlreiche Autoren haben sich in der Vergangenheit mit dem Begriff der Verhältnismäßigkeit in den verschiedensten Facetten auseinandergesetzt – soweit ersichtlich jedoch regelmäßig mit seiner Bedeutung im Zweipersonenverhältnis Staat – Maßnahmeadressat. Allerdings befindet sich das Verwaltungsrecht zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einer Phase des elementaren Wandels8: Das klassische Verwaltungsrechtsverhältnis, eng bezogen auf die unmittelbar Beteiligten (Behörde und Bürger), gelangt immer weiter in den Hintergrund. Das moderne Verwaltungsrechtsverhältnis hingegen darf sich nicht mehr auf die unmittelbar betroffenen Kreise beschränken, vielmehr sind regelmäßig die Interessen und Rechtsgüter von Dritten als mittelbar von einer Behördenentscheidung Betroffene zu berücksichtigen.

← 20 | 21 → Diese „Emanzipation“ des Drittschutzes9 führt gleichzeitig zu verschiedensten Modifikationen in der gelebten Verwaltungswirklichkeit: In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat die Behörde heute bei Prüfung einer rechterheblichen Handlung mit drittbeeinflussender Außenwirkung nicht mehr nur dem eigentlichen Maßnahmeadressaten rechtliches Gehör zu garantieren, auch muss regelmäßig bereits an dieser Stelle eines Verwaltungsverfahrens eine mögliche Drittbetroffenheit anderer Bürger berücksichtigt und mit einbezogen werden. Diese Berücksichtigung auf formeller Seite findet ihren rechtlichen Gegenpart in der materiell-rechtlichen Behördenprüfung. Hat die Behörde im Einzelfall auch Dritte im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zu beteiligen, so sind deren Einwendungen, Äußerungen und Bedenken bei der Sachentscheidung zwingend zu berücksichtigen, um letztlich eine einzelfallgerechte Entscheidung gewährleisten zu können.

Bezogen auf die Historie bzw. das traditionelle Verständnis des Verwaltungsrechtsverhältnisses lässt sich für die Zukunft die Entwicklung von der „Ausnahmekonstellation“ Drittschutz zum verwaltungsrechtlichen Regelfall und damit die zunehmende Verdrängung bipolarer Verwaltungsrechtsverhältnisse zu Ausnahmekonstellationen konstatieren. Mit diesem bereits eingesetzten Wandel des Verständnisses des Verwaltungsrechtsverhältnisses10 ist denknotwendig auch eine Modifikation seiner wesentlichen „Kontrollinstrumente“ verbunden. Wenn sich das Standardverwaltungsrechtsverhältnis nicht mehr nur auf bipolarer sondern zunehmend auf multipolarer Ebene abspielt, so bedeutet dies auch aus rechtsstaatlicher Sicht eine zwingende Anpassung bestehender Kontrollmechanismen staatlicher Machtausübung, um den modifizierten Anforderungen auch aus rechtstaatlicher Sicht gerecht werden zu können.

B. Untersuchungsgegenstand

Eine der wichtigsten Regularien zur Begrenzung staatlicher Macht stellt heute – sowohl in verfassungsrechtlicher als auch in verwaltungsrechtlicher Hinsicht ← 21 | 22 → – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar. Ausgehend von der bereits benannten Apotheken-Entscheidung des BVerfG hat er sich bis heute zu einem universell einsetzbaren Instrument staatlicher Machtbegrenzung entwickelt. Doch auch hierbei ist festzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit seinen Teilgrundsätzen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit insbesondere auf das überkommene bipolare Verwaltungsrechtsverhältnis zugeschnitten ist. Soll jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch in Zukunft seine herausragende Bedeutung insbesondere auf Ebene des bürgernahen Verwaltungsrechts behalten, so setzt dies zwangsläufig seine (universelle) Anwendbarkeit auch bei Mehrpersonenverhältnissen voraus.11

Es soll daher im Rahmen dieser Arbeit der Frage nachgegangen werden, ob die bisherige Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (i. w. S.) insbesondere als Schutzinstrument des Bürgers vor hoheitlichen Eingriffen auch auf Ermessensreduzierungen in Mehrpersonenverhältnissen anwendbar ist oder ob der rechtstaatliche Verhältnismäßigkeitsgedanke in diesen besonderen Fallkonstellationen des multipolaren Verwaltungsrechtsbereichs zumindest in technischer Hinsicht Modifikationen unterliegt, um insbesondere die Rechtsgüter Drittbetroffener effektiv schützen und dadurch Einzelfallgerechtigkeit gewährleisten zu können. Die dabei erarbeiteten, abstrakten Untersuchungsergebnisse sollen sodann anhand der bayerischen Rechtsgrundlage für eine bauaufsichtlichen Beseitigungsanordnung in Form von Art. 76 Satz 1 BayBO auf ihre praxisbezogene Richtigkeit überprüft werden.

C. Gang der Arbeit

Details

Seiten
283
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056648
ISBN (ePUB)
9783653962468
ISBN (MOBI)
9783653962451
ISBN (Paperback)
9783631663394
DOI
10.3726/978-3-653-05664-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
Verwaltungsrecht Baurecht Mehrpersonenverhältnis Zweipersonenverhältnis Staat-Bürger
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 283 S.

Biographische Angaben

Florian Arnold (Autor:in)

Florian Arnold ist Volljurist. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Augsburg und dem ersten juristischen Staatsexamen leistete er sein Rechtsreferendariat im Oberlandesgerichtsbezirk München ab. Derzeit ist er als Rechtsanwalt im Bereich des privaten Immobilien- und Baurechts in München tätig.

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