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Nachwuchs für die Literatur

Kinder- und Jugendprogramme ausgewählter Literaturhäuser Deutschlands, Österreichs und der Schweiz

von Susann Sophie Schmitt (Autor:in)
©2016 Dissertation 470 Seiten

Zusammenfassung

Literaturhäuser als kulturelle und zumeist öffentlich subventionierte Institutionen wurden ab Mitte der 1980er Jahre in dem Bestreben gegründet, einen Ort für die Vermittlung und Präsentation von Literatur zu schaffen. Dieser Vermittlungsgedanke war es auch, der 2009 die Gründung eines «Jungen Literaturhauses» auf den Weg brachte. Dieses Buch beinhaltet die erste Untersuchung, die sich auf die kinder- und jugendliterarischen Aktivitäten ausgewählter Literaturhäuser Deutschlands, Österreichs und der Schweiz konzentriert. Der Erfolg der Häuser, so wird gezeigt, hängt nicht zuletzt auch davon ab, inwieweit es ihnen gelingt, Kinder und Jugendliche mit den eigenen Angeboten vertraut zu machen. Die Autorin erörtert, wie Literaturhäuser sich neben ihrem Stammpublikum eine neue, junge Publikumsbasis erschließen und auf welche Weise sie Kinder und Jugendliche zu aktiver kultureller Teilhabe führen können.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort zur Arbeitsweise
  • Danksagung
  • Inhalt
  • Einleitung
  • I. Das Junge Literaturhaus – die Entstehungsgeschichte einer Institution
  • 1. Der „Kindersalon“ als Vorläufer der Jungen Literaturhäuser
  • 1.1 Lesegesellschaften und literarische Salons
  • 1.2 Die frühe Literaturvermittlung in Österreich und der Schweiz
  • 1.3 Die „Entdeckung“ der Kindheit
  • 2. Die institutionalisierte Literaturvermittlung im 20. Jahrhundert
  • 2.1 Literaturbetrieb, Literaturvermittlung und Akteure
  • 2.2 Kinder- und jugendliterarische Handlungssysteme
  • 2.3 Das Literarische Colloquium und die Gründung des ersten Literaturhauses in Berlin
  • 3. Das Netzwerk der Literaturhäuser
  • 3.1 Aufnahmevoraussetzungen
  • 3.2 Das Netzwerk als eingetragener Verein
  • 3.3 Das Netzwerk als „soziales Kapital“
  • 4. Das Projekt „Junges Literaturhaus“
  • 4.1 Gründungsvoraussetzungen in der städtischen Kulturpolitik
  • 4.2 Organisationsformen und Trägerschaft
  • 4.3 Das Junge Literaturhaus und sein Stellenwert im Netzwerk – ein Satzungsabgleich
  • 4.4 Die „Sommer-Akademie“: Eine Veranstaltungsreihe des Netzwerks der (Jungen) Literaturhäuser
  • II. Forschungsdesign und Ergebnispräsentation – systematische Darstellung der Jungen Literaturhäuser mit dem Fokus auf Programmarbeit und Veranstaltungen
  • 1. Vorstellung des Forschungsdesigns
  • 1.1 Das problemzentrierte Interview
  • 1.2 Die Methodentriangulation
  • 1.3 Grounded Theory und Qualitative Inhaltsanalyse
  • 2. Systematische Beschreibung der Jungen Literaturhäuser
  • 2.1 Personelle Rahmenbedingungen
  • 2.2 Partner und Sponsoring
  • 2.3 Zielgruppe
  • 2.4 Finanzierung
  • Exkurs: Literaturförderung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene
  • 3. Übersicht und Auswertung der Veranstaltungen der Jungen Literaturhäuser zwischen 2009 und 2012
  • 3.1 Die Dokumentenanalyse
  • 3.2 Programmschwerpunkte der Jungen Literaturhäuser
  • 3.3 Zusammenfassung der kinder- und jugendliterarischen Veranstaltungen der Jungen Literaturhäuser
  • 4. Analyse ausgewählter Kinder- und Jugendprogrammformen der Jungen Literaturhäuser
  • 4.1 Das „Neue Kreative Schreiben“ – die Schreib- und Textwerkstatt
  • 4.2 Die Gedanken sind frei – Philosophieren mit Kindern
  • 4.3 Neue Welten entdecken – Pervasive Games
  • 4.4 Bilder (nicht nur) im Kopf – das Bilderbuchkino
  • 4.5 Die Lesung – ein Veranstaltungsformat der Zukunft?
  • III. Das Junge Literaturhaus – Probleme und Perspektiven
  • 1. Antworten und Reaktionen auf die forschungsleitenden Fragestellungen
  • 1.1 Fragenkomplex 1 – Gründungsjahre, demographischer Wandel und Selektion
  • 1.2 Fragenkomplex 2 – Leseförderung durch Literaturvermittlung, die Sonderstellung des Netzwerks und regionale Alleinstellungsmerkmale
  • 1.3 Fragenkomplex 3 – Eventisierung als Professionalisierung, Autorenkult und „Denken wie das Netz es will“
  • 2. Vom Einzelfall zum Typus – empirisch fundierte Typenbildung innerhalb des Netzwerks der (Jungen) Literaturhäuser
  • 2.1 Typ 1 – Das Junge Literaturhaus e.V.
  • 2.2 Typ 2 – Das nachhaltige Projekt
  • 2.3 Typ 3 – Die prägnante Programmform
  • IV. Netzwerke literaturvermittelnder und -fördernder Institutionen im kinder- und jugendliterarischen Bereich
  • 1. Das Experteninterview
  • 2. Analyse weiterer Institutionen des Literaturbetriebs
  • 2.1 Friedrich-Bödecker-Kreis
  • 2.2 Stiftung Lesen
  • 2.3 Goethe-Institut
  • 2.4 Hessischer Landesverband des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
  • 2.5 SIKJM – Schweizerisches Institut für Kinder- und Jugendmedien
  • 2.6 Robert Bosch Stiftung
  • 2.7 Hessisches Literaturforum im Mousonturm e.V.
  • 3. Fallstudie des Netzwerks literaturvermittelnder- und fördernder Institutionen und Einbezug der Jungen Literaturhäuser in den Gesamtkontext
  • Exkurs: „Kulturagenten für kreative Schulen“
  • V. Literaturhäuser als kinder- und jugendliterarische Institution
  • 1. Das Junge Literaturhaus als Handlungssystem
  • 2. Die Rolle der Literaturhäuser in weiteren kinder- und jugendliterarischen Handlungssystemen
  • 3. Fazit
  • 4. Ausblick
  • Anhang
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Leitfaden für halb-strukturierte qualitative Interviews mit den Programmleitern der Jungen Literaturhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz:
  • Zielgruppenansprache per Homepage
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

„Ich fände es toll, wenn mir ein Konzept einfallen würde […], wie man zum Beispiel Lesungen so gestalten kann, dass sie wirklich so wahrgenommen werden wie ein Besuch im Kino. Nur dass ich dann zu meinem Kumpel sage, ‚Wir gehen heute Abend mal nicht ins Kino, sondern ins Junge Literaturhaus.‘“1

Thema und Zielsetzung

Literaturhäuser sind vergleichsweise junge literarische Institutionen, die seit der Gründung des ersten Hauses 1986 in Berlin ihrer Mission, „sich als Orte der Begegnung in Szene zu setzen, als Orte für literarischen Austausch“2, nachkommen. Ab 1989 folgen weitere Neugründungen in großen und mittelgroßen Städten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, die es den Literaturhäusern ermöglichen, sich innerhalb weniger Jahre zu „prestigeträchtigen Einrichtungen“3 zu entwickeln.

Historisch gesehen können die großbürgerlichen Salons der Vormärzzeit, literarische Zirkel und die in Vereinen organisierten Lesegesellschaften als Vorläufer der Literaturhäuser betrachtet werden. Diese Zusammenschlüsse fungierten bereits im 18. und 19. Jahrhundert laut dem Geschichtswissenschaftler Manuel Frey als „soziale Netzwerke“, unterstützten Künstler und Literaten in ihrem kreativen Schaffen und „repräsentierten auf einer höheren Ebene Humanität und Bürgersinn.“4 Zu unterscheiden sind Literaturhäuser von der oft synonym ← 13 | 14 → verwendeten Einrichtung der Literaturbüros, die in vielen Bereichen ihrer Arbeit eine grundlegend andere Infrastruktur und Zielgruppe aufweisen und sich als „Vorlektorat, nichtkommerzielle Agentur [und] Dienstleistungsgewerbe“5 verstehen, so Lore Schaumann, die das erste Literaturbüro Deutschlands zusammen mit dem Autor Rolfrafael Schröer im Mai 1980 in Düsseldorf eröffnet.6 Auch die zur selben Zeit bereits durch (Autoren-)Buchhandlungen und Landesverbände des Verbands deutscher Schriftsteller (VS) durchgeführten Veranstaltungen – vor allem in Form von Autorenlesungen – weisen klare Parallelen zum Programm der Literaturhäuser auf, doch repräsentieren sie keinen dezidiert für die Literatur geschaffenen Ort, der es vermag „das Potenzial der Literatur, ihre spezifische Darstellungsweise, ihre Erfahrungs- und Erkenntnispotenziale in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.“7

Schon 1992 streben die Literaturhäuser durch die Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts an, sich zum Zweck größerer Außenwirkung mit ausgewählten Häusern als Netzwerk zusammenzuschließen. Seit 2002 im losen Verbund organisiert, schließt man sich 2008 zu einem gemeinnützigen eingetragenen Verein unter dem Namen ‚literaturhaus.net‘ zusammen, zu dem zu Beginn sieben Häuser in Berlin, Hamburg, Frankfurt, Köln, München, Stuttgart und Salzburg zählen. Sukzessive kommen die Häuser in Leipzig, Rostock, Zürich und Graz hinzu. Mit dem Ziel, sich über bereits bestehende Kontakte, mögliche Finanzierungsmodelle und Erfahrungen in der Literaturvermittlung auszutauschen, initiieren die Mitglieder als Netzwerk erste gemeinsame Projekte und haben als Medienpartner den französischen Kultursender „arte“ an ihrer Seite. Des Weiteren ist man bestrebt, die „‚Marke‘ Literaturhaus als Synonym für eine zeitgemäße, wandlungsfähige Förderung und Vermittlung von deutschsprachiger ← 14 | 15 → und internationaler Gegenwartsliteratur weiter [zu] verbreiten.“8 2013 wird Basel als zwölftes Haus in den Verbund aufgenommen, im selben Jahr tritt Frankfurt als eines der Gründungsmitglieder aus dem Netzwerk der Literaturhäuser aus.9 Grundsätzlich gilt, dass nur auf ausdrückliche Einladung der Netzwerkmitglieder ein neues Bewerbungs- und Aufnahmeverfahren eröffnet werden kann. Zu diesem Zweck sind in den Statuten des Netzwerks genaue Vorgaben formuliert, die ein potenzielles neues Haus erfüllen muss.10

Literaturhäuser kommen zum Zeitpunkt ihrer Gründung dem wachsenden Bedürfnis einer literaturaffinen gesellschaftlichen Gruppe nach, einen Ort für das Aufeinandertreffen und vor allem das persönliche Gespräch mit zeitgenössischen Autoren, aber auch anderen Literaturinteressierten vorzufinden. Zudem lässt sich auch in der Kulturpolitik seit dem Ende der 1970er Jahre ein Umdenken zugunsten einer verstärkten Förderung von Kunst und Kultur beobachten. 1979 postuliert der Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, Hilmar Hoffmann, in seinem gleichnamigen Buch das Konzept einer „Kultur für alle“, die es jedem Bürger einer Stadt grundsätzlich ermöglichen sollte, an kulturellen Angeboten zu partizipieren, ohne dass dabei „einkommensspezifische […] Schranken aufgerichtet werden.“11 Hoffmann reagiert damit auf ein Ungleichgewicht, das sich in der hessischen, aber auch der gesamtdeutschen Kulturpolitik ablesen lässt. 30 Jahre später formulieren die in einem Sammelband mit dem Titel „‚Kultur für alle‘ reloaded“12 herausgegebenen Beiträge Hoffmanns Anspruch mit einem besonderen Augenmerk auf die zielgruppenorientierte Kulturpolitik für Kinder und Jugendliche neu. Im Verlauf der 1980er Jahre hatten demografische Elemente demokratische „als Argumentationsgrundlage in kulturpolitischen ← 15 | 16 → Konzeptionen ab[gelöst]“13, innerhalb kultureller Institutionen konstatierte man eine Überalterung der Besuchergruppe. Zum Handeln fühlte man sich zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch nicht veranlasst. Auch wenn bereits 1989 die von der UN verfasste und vom Bundesrat ratifizierte Kinderrechts-Konvention14 einen Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf eine dezidiert an ihnen ausgerichtete Kulturpolitik festlegt, kommt es erst im Verlauf der 2000er Jahre zu ersten Bestrebungen in diese Richtung. Verstärkt fordern diesen Umstand nicht zuletzt die 2007 veröffentlichten Ergebnisse der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“15. Es scheint an der Zeit, Kindern und Jugendlichen eine kulturelle Teilhabe16 zu ermöglichen, die trotz der frühen Forderung Hoffmanns auch noch im 21. Jahrhundert nicht in ausreichender Form stattfindet, wenngleich für die vergangenen Jahre zumindest eine Entwicklung in diese Richtung festgestellt wird.17 Während die Notwendigkeit der Hinwendung zu neuen und in diesem Sinne jüngeren Besuchergruppen auf dem Gebiet der Museen – beispielsweise durch eine etablierte Museumspädagogik oder entsprechende Marketingkonzepte – angekommen und erfolgreich umgesetzt worden ist18, ist ← 16 | 17 → in den Literaturhäusern eine ebensolche Entwicklung erst seit wenigen Jahren und zum Teil auch nur in Ansätzen abzulesen.19

Die Forderung von Seiten der Politik, gerade für öffentlich subventionierte Einrichtungen einen verstärkten Einbezug kultureller Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche zu veranlassen, aber auch Überlegungen der Literaturhausleiter bezüglich der Nachhaltigkeit und damit der Zukunft ihrer Institution, mögen ein Grund dafür gewesen sein, weshalb innerhalb des Netzwerks der Literaturhäuser zunehmend Kinder und Jugendliche in den Fokus der Programmarbeit geraten sind. Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden im Rahmen einer Befragung nur wenige Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche im Gesamtprogramm vorgesehen, was man von Seiten der Literaturhäuser damit begründete, „kein Veranstaltungsort für Kinder und Jugendliche zu sein.“20 Heute möchte man für die junge Zielgruppe hingegen besondere Veranstaltungsformate zusammenstellen und das Interesse am Medium Buch durch gemeinsam ausgearbeitete Programmangebote und eine intensive Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Häusern wecken.21 Dieses Bestreben ist nicht zuletzt auch im Kontext der seit den 1990er Jahren durch den „PISA-Schock“22 geprägten Debatte über Literaturförderung und die Vermittlung von Lesen als „Schlüsselkompetenz“ zu betrachten.23 Im Rahmen des Zusammenschlusses der insgesamt elf Literaturhäuser zum Netzwerk „literaturhaus.net“ hat sich daraufhin seit 2009 ← 17 | 18 → das Bestreben abgezeichnet, ein „Junges Literaturhaus“ zu etablieren. Innerhalb dieser neuen Arbeitsgemeinschaft sollen Projekte für Kinder und Jugendliche verstärkt gefördert werden. Eine erste Studie, die 2009 den Ist-Stand der neu gegründeten „AG Junges Literaturhaus“ dokumentieren soll und zu Beginn noch vom BKM finanziert wird, muss aus finanziellen Gründen eingestellt werden. Zudem führt die unterschiedliche Ausrichtung innerhalb der Häuser des Netzwerks dazu, dass auch von einer AG nicht mehr gesprochen werden kann. Das Bemühen um eine jüngere Zielgruppe bleibt jedoch erhalten und die unterschiedlichen Programmpunkte werden auch weiterhin unter dem Projekttitel „Junges Literaturhaus“ subsumiert – eine empirische Erfassung und systematische Beschreibung dieser Jungen Literaturhäuser als kinder- und jugendliterarisches Handlungssystem, als Ausdruck einer besonderen Form der literarischen Kommunikation und als denkbares Modell kultureller Teilhabe, ist bisher jedoch nicht erfolgt.

Hier setzt die vorliegende Dissertation an. In grundlegender Weise werden die Möglichkeiten und Formen von auf die Zielgruppe Kinder und Jugendliche ausgerichteten Aktivitäten der Literaturhäuser erörtert. Behandelt werden die diversen Veranstaltungsformate, die über Autorenlesungen und Schreibwerkstätten bis hin zu Ausstellungen und perspektivisch geplanten multimedialen Formaten wie sogenannten „Pervasive Games"24 reichen. Man kann hier von einer zielgruppenorientierten und -spezifischen Literaturvermittlung durch die Institution Literaturhaus sprechen. Die in der vorliegenden Arbeit im Zusammenhang mit einer eingehenden Betrachtung der Jungen Literaturhäuser angestellten Überlegungen zur Vermittlung von Literatur, kann mit der bereits von Michael Basse und Eckard Pfeifer Ende der 1980er Jahre aufgebrachten Frage eingeleitet werden: „Wer vermittelt eigentlich die zeitgenössische Literatur und wie?“25, die vor allem mit Blick auf die von den Jungen Literaturhäusern anvisierte Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen beantwortet werden soll. Zu diesem Zweck liegt dieser Untersuchung eine von Stefan Neuhaus im Jahr 2009 entwickelte Definition von Literaturvermittlung zugrunde.26 Dieser Definition folgend handelt es sich bei den Leitern der Literaturhäuser beziehungsweise den Programmverantwortlichen der Jungen Literaturhäuser um „professionelle ← 18 | 19 → Leser“, da sie sich auf beruflicher Basis mit der Vermittlung von Literatur befassen und aus diesem Grund auch Wertungen vornehmen. Es handelt sich bei Literaturvermittlern demnach um

[…] eine bestimmte Gruppe von Menschen, die in einer Gesellschaft und innerhalb der dafür bereitstehenden Strukturen über Literatur kommunizieren, und zwar mit der Absicht, Kenntnis von und Wissen über Literatur an andere Menschen weiterzugeben, die sich für den Kauf oder die Lektüre von literarischen Texten interessieren.27

Der Literaturbegriff, der gerade vom universitären Betrieb und von professionellen Literaturvermittlern geprägt werde, orientiert sich laut Neuhaus tendenziell an zur Höhenkammliteratur zählenden Texten. Ob diese Aussage im Hinblick auf die in den Jungen Literaturhäusern vermittelte Kinder- und Jugendliteratur zu relativieren ist, erforscht die empirische Untersuchung, die sich auch den Wertungskriterien widmet, die der Auswahl des jungen Programms zugrunde liegen. Fragen nach der Literatur und ihrer Vermittlung erscheinen dabei gerade für den untersuchten Bereich der Kinder- und Jugendliteratur und damit einhergehend für die von den Jungen Literaturhäusern konzipierten Programmlinien zentral.

Dementsprechend setzt sich die Dissertation mit den der Idee eines jungen Programms inhärenten Vorgehensweisen und Zielen der Literaturhäuser auseinander. Alle sich zum Zeitpunkt der Erhebung im Netzwerk befindlichen Häuser28 werden im Rahmen einer Vollerhebung in die Untersuchung einbezogen und einer Vergleichsgruppe29 gegenübergestellt. Gleichzeitig werden Sinn und Zweck der Angebote der Häuser in Abgrenzung zu anderen literarischen Institutionen wie Vereinen, (Stadtteil-)Bibliotheken und Stiftungen reflektiert. Die Dissertation stellt in diesem Zusammenhang kein reines Dossier über die auf Kinder und Jugendliche bezogenen Aktivitäten von Literaturhäusern dar, sondern verfolgt einen doppelten Anspruch, indem sie dokumentierend vorgeht, dabei aber auch eine theoriegeleitete Reflexion unternimmt. Intendiert ist der Entwurf einer Theorie der Produktion, Distribution, Evaluation und Rezeption von Literatur wie auch der Anschlusskommunikation auf der Basis einer Theorie der literarischen Kommunikation und Vermittlung. ← 19 | 20 → 30

Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass die Literaturhäuser einen relevanten Gegenstand für die Jugendbuchforschung darstellen. Es handelt sich hierbei um die erste Untersuchung, die sich auf die im Programm der Literaturhäuser vorkommende Kinder- und Jugendliteratur und deren kinder- und jugendliterarische Medienaktivitäten konzentriert. Hier stecken die Bemühungen der Literaturhäuser in den Städten zum Teil noch in den Anfängen. Umso dringlicher ist eine wissenschaftliche Analyse und Erfassung der Aktivitäten, die einen Erfahrungsaustausch unter den Literaturhäusern der Bundesrepublik sowie in Österreich und der Schweiz befördern können. Gleichzeitig scheint es angebracht zu sein, nicht nur den Ist-Zustand der Aktivitäten wiederzugeben, sondern grundlegend über Sinn und Zweck der Literaturhäuser und noch nicht erschlossene Potentiale nachzudenken. Der Erfolg der Häuser hängt nicht zuletzt auch davon ab, inwiefern es gelingt, Kinder und Jugendliche mit den eigenen Angeboten vertraut, die Literaturhäuser zu einer Plattform des kinder- und jugendliterarischen und kulturellen Erfahrungsaustausches zu machen und die Zielgruppe zur schöpferischen Teilnahme an diesem kulturellen Prozessen zu veranlassen.

Forschungsstand

Die vorliegende Studie bedient sich zentraler wissenschaftlicher Arbeiten über Literaturbetrieb und Literaturförderung sowie der bisher nur in geringer Anzahl vorhandenen Arbeiten über Literaturhäuser selbst. Bereits 1988 legen Michael Basse und Eckard Pfeifer ein Handbuch über „Literaturwerkstätten und Literaturbüros in der Bundesrepublik“31 vor, das auch die Gründungen der ersten Literaturhäuser in Berlin und Hamburg einbezieht und vor diesem Hintergrund ein wichtiges Zeitzeugnis der Gründungsjahre darstellt. Die von Thomas Anz betreute Abschlussarbeit des Literaturwissenschaftlers Andreas Kurzal „Auch Literatur braucht eine Adresse…“ Literaturhäuser in Deutschland und Österreich“32 widmet sich am Ende der 1990er Jahre der Arbeit der Literaturhäuser. Sie liefert ← 20 | 21 → mit ihrer Erforschung der finanziellen und kulturellen Positionierung und ihrem Bezug auf eine Theorie der Literaturvermittlung der zum damaligen Zeitpunkt gerade erst im Entstehen begriffenen Institution wichtige Erkenntnisse zu den Anfangsjahren und zu den ersten Bestrebungen, auch Kinder und Jugendliche in das Programm einzubinden. Die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Suanne Reuter entwirft in ihrer Diplomarbeit „Literaturhäuser. Eine vergleichende Studie über inhaltliche, organisatorische und marketingstrategische Konzeptionen“33 von 2002 im Anschluss an eine Bestandsaufname ausgewählter Häuser das Modell eines „optimalen Literaturhauses“34, das als Grundlage für die empirisch fundierte Typenbildung in der hier vorliegenden Arbeit dient. In den beiden genannten Arbeiten werden Angebote für Kinder und Jugendliche jedoch – soweit zum damaligen Zeitpunkt überhaupt schon vorhanden – nur am Rande erwähnt; zudem fehlen wichtige Häuser, die zum heutigen Zeitpunkt zum Netzwerk der Literaturhäuser zählen. Die Idee eines Dachverbandes beziehungsweise eines Netzwerks, das heute die Häuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz konzeptionell verbindet, ist zum damaligen Zeitpunkt erst in Ansätzen vorhanden. Auch andere einschlägige Arbeiten von Wissenschaftlern wie Malte Dahrendorf, der sich mit der Kinder und „Jugendliteratur im gesellschaftlichen, literarischen und pädagogischen Bezugsfeld“35 beschäftigt, Gerhard Haas, der Institutionen und Preise der Kinder- und Jugendliteratur benennt und Bodo Franzmann, der „Institutionen der Literaturvermittlung und Leseförderung“36 aufführt, tragen damit zu einer Beschreibung und Erfassung der institutionellen Kinder- und Jugendliteraturvermittlung bei. Jedoch sparen sie dabei die Arbeit der Literaturhäuser aus, da es sich bei der Institution, wie bereits beschrieben, um eine verhältnismäßig „junge“ Einrichtung handelt, die ihren spezifisch an Kindern und Jugendlichen orientierten Programmzweig zu dem Zeitpunkt der ← 21 | 22 → Reflexionen noch nicht herausgebildet hat beziehungsweise im Beitrag Bodo Franzmanns bewusst nicht in die Erfassung miteinbezogen wird. Den ersten grundlegenden Einblick in den Betrieb der Literaturhäuser mit ihrem Gemeinnützigkeitsstatus und dem Zusammenschluss zu einem Verbund der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewährt 2006 die Dissertation von Sonja Vandenrath.37 Die Arbeit widmet sich der Bewertung nicht-staatlicher Förderung von zeitgenössischer Literatur und behandelt in diesem Zusammenhang auch die Tätigkeit der Literaturhäuser des Netzwerks. Das Feld der auf Kinder und Jugendliche bezogenen Aktivitäten wird dabei allerdings ausgespart.

Nach dem gescheiterten Versuch einer empirischen Erfassung der Arbeit der Jungen Literaturhäuser 2009, veröffentlichen Stephan Porombka und Kai Splittgerber im selben Jahr eine „Studie zur Literaturvermittlung in den fünf neuen Bundesländern zu Beginn des 21. Jahrhunderts“38, die im Auftrag des Netzwerks der Literaturhäuser e.V. verfasst und mit Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert wird. Sie legt den Schwerpunkt auf das Gefälle zwischen Ost- und Westdeutschland und hinterfragt verschiedene Modelle der Literaturvermittlung in den Literaturhäusern und vergleichbaren Institutionen der neuen Bundesländer. Im Mittelpunkt stehen die Literatur und die Vermittlungsweisen als solche, ohne das Feld der Kinder- und Jugendliteratur eingehender zu beleuchten. Die jüngste Veröffentlichung über die Institution Literaturhaus aus dem Jahr 2013 mit dem Titel „Literaturhäuser, Literaturbüros und Literaturzentren im deutschsprachigen Raum“39 stammt von Kerstin Juchem, die eine breitflächige Bestandsaufnahme unterschiedlicher literarischer Institutionen im deutschsprachigen Raum vornimmt, dabei jedoch nicht den Fokus auf das Netzwerk der Literaturhäuser legt, sondern als Leiterin des Literaturhauses Nettersheim vielmehr regionale Institutionen in ihre Betrachtungen einbezieht. Ihre statistischen Auswertungen, die oftmals auch den kinder- und jugendliterarischen Bereich umfassen, können die in der vorliegenden Arbeit erforschten Hintergründe stellenweise zusätzlich belegen. Neben den angeführten Arbeiten befassen sich lediglich einige wenige Beiträge in Handbüchern und Schriftenreihen mit der Institution Literaturhaus, zum Teil kommt die Institution in rein informativen Nachschlagewerken für Autoren ← 22 | 23 → und Literaturveranstalter vor.40 Der im Tagungsband „Kanon, Wertung und Vermittlung“41 erschienene Beitrag der heutigen Leiterin des Literarischen Zentrums Göttingen, Anja Johannsen, verweist dabei auf den Umstand, dass ein Großteil der ohnehin nur rar gesäten einschlägigen Publikationen von Mitarbeitern, meist den Geschäftsführern der jeweiligen Häuser, verfasst und somit subjektiv gefärbt seien.42 Tatsächlich finden Reflexionen zur konkreten Arbeit der Literaturhäuser unter Federführung ihrer jeweiligen Programmleiter zu einem überwiegenden Teil auf literarischen Portalen im Internet statt, beispielsweise auf buchreport.de.43 Johannsen und auch die Herausgeberin des Forschungsbandes, Simone Winko, halten eine empirische und dabei kritische Aufbereitung der Arbeit der (Jungen) Literaturhäuser aus diesem Grund für ein Forschungsdesiderat.

Dass der generellen Definition und Einordnung von Literaturvermittlung von Seiten der Forschung in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, zeigt auch ein von der VolkswagenStiftung initiiertes Projekt. Von 2006 bis 2010 fördert sie zusammen mit der Universität Göttingen das Promotionskolleg „Wertung und Kanon. Theorie und Praxis der Literaturvermittlung in der ‚nachbürgerlichen‘ Wissensgesellschaft“. Aus diesem Kolleg sind zwei grundlegende Forschungsbände hervorgegangen – 2012 erscheint der bereits angesprochene und von Matthias Beilein44, Claudia Stockinger und Simone ← 23 | 24 → Winko herausgegebene Tagungsband „Kanon, Wertung und Vermittlung“45, 2013 dann das „Handbuch Kanon und Wertung“46. Beide Publikationen stellen für die forschungsleitenden Fragestellungen der vorliegenden Arbeit zentrale Positionen zusammen, die von Kanonbildungsprozessen, über veränderte Kommunikationsstrukturen zwischen Autor und Leser durch das Netz und konkrete Reflexionen über die Präsentation der Institution Literaturhaus auf dem Gesamtparkett literarischer Einrichtungen reichen. Darüber hinausgehend wird die „Rückkehr des Autors“47 in der Forschung beispielsweise in einem von Fotis Jannidis herausgegebenen Sammelband diskutiert.

Als Grundlagenwerk über den Literaturbetrieb wird das von Heinz Ludwig Arnold herausgegebene Handbuch „Literaturbetrieb in Deutschland“48 einbezogen. Dabei liefert die 1981 erschienene 2. Auflage wichtige Informationen über die Gründungsjahre der Literaturhäuser und die Umstände, die zu ihrem Gelingen beitragen konnten. Die 2009 erschienene 3. Auflage vereint dagegen aktuelle Positionen – nicht zuletzt zur Literatur und ihrer Vermittlung im Umfeld der neuen Medien. Den Netzwerkgedanken, der durch den Zusammenschluss der Häuser zentral erscheint, greift die Abschlussarbeit der Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin Margit Herberth auf, die sich mit der „Bedeutung von Netzwerken in der Kulturarbeit am Beispiel literaturhaeuser.net49 befasst hat und die in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Stuttgart entstanden ist. Überlegungen und Anregungen in Bezug auf Leseförderung und Lesekompetenz(erwerb) bieten unter anderem die Arbeiten von Cornelia Rosebrock50 und Bettina Hurrelmann51. Die im Zusammenhang mit der ← 24 | 25 → PISA-Debatte erfolgte wissenschaftliche Beschäftigung mit Fragen der Lesekompetenz und Leseförderung soll vor allem hinsichtlich der Aspekte der Folge- bzw. Anschlusskommunikation innerhalb der Literaturhäuser herangezogen werden. Dabei dienen die Erkenntnisse des Instituts für Lese- und Medienforschung der „Stiftung Lesen“ und des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedienforschung (SIKJM) der wissenschaftlichen Fundierung und liefern konkrete Ergebnisse, beispielsweise zur „Leseförderung in der digitalen Welt“52, die in jährlich publizierten Schriftenreihen der „Round-Table“-Veranstaltungen und in Jahresberichten zusammengefasst sind.53 In eben dieser Schriftenreihe publiziert die „Stiftung Lesen“ 2011 eine quantitative Untersuchung der „Außerschulische[n] Leseförderung in Deutschland“54, die in Ansätzen auch die Arbeit einiger Literaturhäuser einbezieht, jedoch allgemein und nicht mit dem Fokus auf das Netzwerk der Literaturhäuser. Und auch aktuelle Beiträge und Diskussionen, die dementsprechend zum Teil auf (Buch-)Portalen im Netz stattfinden, werden innerhalb der Arbeit berücksichtigt. Die seit den 1990er Jahren mal mehr, mal weniger engagiert ausgetragene Debatte zu Netzliteratur und Hypertexten findet in neuesten Überlegungen des Literaturwissenschaftlers und „Hypertext-Experten“ Stephan Porombka ihren Niederschlag.55 Porombka ist es auch, der sich mit dem Literaturhausleiter Rainer Moritz aus Hamburg einem kontroversen Meinungsaustausch zur Zukunft der „Wasserglaslesung“ stellt.56 In ← 25 | 26 → der Entstehung begriffene Plattformen wie „Sobooks“ des Autors und Bloggers Sascha Lobo werden ebenso in die Überlegungen integriert wie der in der FAZ erschienene Zeitungsartikel von Thomas Hettche „Wenn Literatur sich im Netz verfängt“57. Sie sollen Anregungen zur Diskussion über die veränderte Wahrnehmung von Literatur sowie die Person des Autors und sein Werk durch das Internet geben.

Vor allem die an den empirischen Teil der Arbeit anschließende Schlussbetrachtung erörtert Fragen der Bewertung, Vermittlung und Anschlusskommunikation im Rahmen von Kinder- und Jugendliteratur durch die Institution Literaturhaus. „Der Erfolg literaturvermittelnder Kommunikation bemisst sich an der Anschlusskommunikation und damit auch den Anschlusshandlungen“58, so Neuhaus. Diese im letzten Kapitel der Arbeit vorgenommene Einordnung der Institution Literaturhaus in ein kinder- und jugendliterarisches Handlungssystem geschieht in Anlehnung an Hans-Heino Ewers‘ 2012 erschienene 2. Auflage seiner Einführung „Literatur für Kinder und Jugendliche“59. Die Ausführungen Ewers‘ zu kinder- und jugendliterarischer Kommunikation, den diversen kinder- und jugendliterarischen Handlungssystemen und den Ausformungen von Distribution und Bewertung innerhalb des Literaturbetriebs werden herangezogen, um die Arbeit der untersuchten Literaturhäuser ebenfalls nach den dort entwickelten Kategorien zu analysieren und ihre Handlungsfunktionen zu beschreiben. Die abschließenden Überlegungen werden durch die Arbeiten und Reflexionen60 zu Pierre Bourdieus „Genese und Struktur des literarischen Feldes“61 vervollständigt, das in den letzten Jahren eine zunehmende Transformation erfährt, die sich auch in den Bestrebungen der Literaturhäuser ablesen lässt.62 Gewinnbringend für die gesamte Studie und die in ihr verhandelte ← 26 | 27 → Begrifflichkeit zum literarischen Feld63 und seinen Akteuren ist das von den Herausgebern als „Nachschlagewerk“ verstandene „BuchMarktBuch“64, das alle relevanten Begriffe des Literaturbetriebs auf mehr als 400 Seiten versammelt.

Vorgehen

Um die Institution Literaturhaus nicht nur als Phänomen einer literarischen und damit auch gesellschaftlichen Neuorientierung der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zu begreifen, sondern ihre historische Herausbildung als Ganzes nachvollziehen zu können und dabei bereits erste Bestrebungen hin zu einem sich dezidiert an Kinder und Jugendliche richtenden kulturellen Angebot abzulesen, scheint es zu Beginn der Arbeit angebracht zu sein, auf Strukturen der Organisation, Etablierung und konzeptionellen Ausrichtung zu rekurrieren, die sich schon in der Salonkultur des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Deutschland, Österreich und der Schweiz nachweisen lassen und die sich auch im Programm des von Walter Höllerer 1963 gegründeten Literarischen Colloquiums Berlin wiederfinden. Kapitel I schlägt dabei einen Bogen, der von den Lesegesellschaften des 18. Jahrhunderts, über die Entstehung einer Salonkultur in Deutschland, Österreich und der Schweiz und einem sich aus diesem Zeitgeist entwickelnden neuen Verständnis von Kindern und Kindheit, bis hin zu einer Neubewertung der Rolle des Autors in den Zeiten des Umbruchs in den 1960er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts reicht. Neben der Erschließung und Definition der für die Arbeit grundlegenden Begriffe wird dabei ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, inwiefern sich sowohl in den Salons des 18. und 19. Jahrhunderts, als auch in dem sich nach dem Zweiten Weltkrieg langsam aber stetig entwickelnden literarischen Betrieb eine Hinwendung zu einer aus Kindern und Jugendlichen bestehenden Zielgruppe ablesen lässt, die in kinder- und jugendliterarischen Handlungssystemen ihren Ausdruck findet. Einbezogen in diese Ausführungen wird die Gründung des ersten Literaturhauses 1986 in West-Berlin und die damit einhergehende Ausbreitung dieser literarischen Institution in den großen ← 27 | 28 → Städten des deutschsprachigen Raumes, die mit der Gründung des Hauses in Graz und dem Beitritt in das Netzwerk der Literaturhäuser 2003 vorerst ihren Endpunkt findet.65

Das Hauptkorpus bilden die Literaturhäuser des Netzwerks, die durch diesen Zusammenschluss und ein eigens ausgearbeitetes Programm eine gezielte Positionierung im Geflecht der literarischen Einrichtungen anstreben. Sowohl die Statuten der einzelnen Häuser als auch die Satzung des Netzwerks lassen Rückschlüsse darauf zu, was die Institutionen im Vergleich zu anderen Literaturhäusern auszeichnet und abgrenzt.66 Da im Rahmen des empirischen Teils der Arbeit auch Gespräche mit Literaturhäusern außerhalb des Netzwerks und anderen literaturvermittelnden Institutionen geführt wurden, erscheint eine detaillierte Beschreibung der Netzwerkhäuser unerlässlich, um ihre Sonderstellung differenziert herausarbeiten zu können. Die grundsätzliche Bedeutung von Netzwerken unter Rückgriff auf Pierre Bourdieus Konzept des „sozialen Kapitals“67 wird ebenfalls in Kapitel I thematisiert. Da der Fokus der Arbeit auf dem jungen Programm der Literaturhäuser liegt, werden in einem letzten Schritt des ersten Kapitels die Strukturen der Jungen Häuser vorgestellt und in Hinblick auf Organisationsformen und Trägerschaft analysiert sowie das vorerst einzige gemeinschaftlich organisierte Projekt der „Sommer-Akademie“ vorgestellt und eingehend beschrieben.

Neben der Erschließung der historischen und programmatischen Hintergründe der Literaturhäuser und deren Rahmenbedingungen kommt der Empirie eine entscheidende Rolle zu. Zwar gibt es die schon eingangs erwähnten Publikationen, die sich mit der Arbeit von Literaturhäusern beziehungsweise der Institution als solcher beschäftigen, doch erfordert gerade der noch neue Schwerpunkt im Kinder- und Jugendbereich eine gründliche Untersuchung durch qualitative Interviews mit den Programmleitern vor Ort. Darüber hinaus wird eine Analyse von Programmen, Flyern und Internetpräsenzen durchgeführt, ← 28 | 29 → deren Ergebnisse in den Kapiteln II und III dargestellt werden. Einbezogen in diese Analyse werden die Häuser in Frankfurt, München, Berlin, Köln, Stuttgart, Hamburg, Rostock, Leipzig, Salzburg, Graz und Zürich68, als Vergleichsgruppe dienen die Häuser in Wiesbaden und Kiel. In einer Art Bestandsaufnahme werden die vergangenen und noch laufenden Bestrebungen der Literaturhäuser in Richtung der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen dokumentiert und anschließend kritisch reflektiert.

Der Beginn des Methodenteils in Kapitel II stellt eingangs das verwendete Forschungsdesign vor, mit dessen Hilfe die Institution des Jungen Literaturhauses systematisch unter Einbezug von personellen Rahmenbedingungen, Kooperationen, der anvisierten Zielgruppe und Finanzierungsmodellen beschrieben werden kann. Zentral für die vorliegende Untersuchung ist dabei die Frage nach ökonomischen Aspekten bei der Ausrichtung der Häuser. Auch wenn Literaturhäuser es anstreben, sich den Mechanismen des Marktes nicht zu beugen, sehen sie sich trotzdem gezwungen, sich hinsichtlich ihrer programmatischen Ausrichtung ökonomischen Überlegungen zu stellen. In diesem Zusammenhang können vor allem die sogenannten „Mischkalkulationen“69 angeführt werden, die die Institutionen bei der Bespielung ihrer Häuser anwenden. Laut Anja Johannsens Beitrag zum Handbuch „Kanon und Wertung“ zählen diese gar „zu den Grundprinzipien des Literaturhauskonzepts“70, dessen Finanzierung sich in der Regel aus privaten und öffentlichen Mitteln speist. Auf diese Weise können die Literaturhäuser ein Konzept verfolgen, das sich sowohl aus der Präsentation marktgängiger Titel bekannter Autoren als auch aus dem Einbezug von Nischenerzeugnissen eines auf dem Literaturmarkt noch nicht bekannten Schriftstellers zusammensetzt. Mit diesem Prinzip trägt ein Literaturhaus dazu bei, „das Übersehene und Randständige zu berücksichtigen und sein Publikum auf Autoren ← 29 | 30 → und Texte aufmerksam zu machen, die mit experimentellen und avantgardistischen Formen Neuland betreten […].“71

Im Zuge einer Dokumentenanalyse wird in einem nächsten Schritt ein Überblick über die Programme und Veranstaltungsreihen der „Jungen Literaturhäuser“ gegeben. In die Betrachtung einbezogen werden die elf Häuser des Netzwerks, deren Aktivitäten im Bereich Kinder- und Jugendliteraturvermittlung der Jahre 2009 bis 2012 analysiert werden. In einem systematischen Aufriss der Aktivitätsfelder der Literaturhäuser werden die Veranstaltungsformen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur exakt beschrieben. Das Kapitel hat aus diesem Grund Dossiercharakter, da es unter verschiedenen Gesichtspunkten die Aktivitäten der Häuser erfasst und darstellt. Dies können innovative Formate wie das „Philosophieren mit Kindern“ ebenso sein wie Schreibwerkstätten, das Bilderbuchkino und die „Königsdisziplin unter den Veranstaltungen“72, die Autorenlesung, vor deren Hintergrund der Frage nachgegangen wird, ob es zu diesen Programmformen eine kritische Diskussion gibt und wie konkret sich die Projekte gestalten. Der dafür konzipierte und in den Interviews angewandte halbstandardisierte Leitfaden, aber auch eigens angefertigte Erhebungen sollen dokumentieren, auf welchem Stand sich die Häuser mit ihrem jungen Programm befinden.

Die empirische Untersuchung vollzieht sich in mehreren Stufen, wobei quantitative und qualitative Verfahren kombiniert verwendet werden. Mit Hilfe eines halbstandardisierten Leitfadens und unter Verwendung einzelner standardisierter Fragen soll die Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleistet werden. Die Fragen des Leitfadens wurden in persönlichen Gesprächen, die zwischen Mai und November 2012 mit den einzelnen Leitern der Kinder- und Jugendprogramme der Literaturhäuser des Netzwerks stattfanden, erörtert.73 Die Formulierungen der Fragen ließen Raum für freie Ausführungen zu unterschiedlichen Themenbereichen und ermöglichten neben der quantifizierenden Datenerfassung, die in ← 30 | 31 → Kapitel II zum Tragen kommt, in Kapitel III auch eine Auswertung der im Zuge der Erhebung formulierten und in Bezug auf den Forschungsgegenstand als zentral erscheinenden forschungsleitenden Fragestellungen. Sowohl Kapitel II als auch Kapitel III orientieren sich dabei an der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse mit Hilfe der Grounded Theory Methodology von Barney Glaser und Anselm Strauss74 sowie dem Verfahren Philipp Mayrings75. Um das transkribierte und auszuwertende Interviewmaterial entsprechend kategorisieren zu können, wurde auf die Computersoftware MAXQDA zurückgegriffen, die es speziell qualitativen Forschungsvorhaben ermöglicht, zu Analysezwecken eindeutige Texteinheiten zu bilden und diese in ein vorgegebenes Kategoriensystem einzuordnen. Eine detaillierte Erläuterung des jeweils angewandten empirischen Verfahrens wird einem jeden Untersuchungsabschnitt vorangestellt.

Gerade die freien Passagen der Interviews sollen verstärkt die subjektiven Stimmen und Motivlagen der für das kinder- und jugendliterarische Programm zuständigen Leiter einfangen. Die Interviews und vor allem gezielte Positionen werden zu diesem Zweck in Kapitel III in referierender und kommentierender Weise ausgewertet. Dabei werden die einzelnen Sichtweisen nicht zwangsläufig auch den jeweiligen Städten und ihren Häusern zugeordnet. Vielmehr werden die unterschiedlichen Positionen systematisiert und kommentiert und die einzelnen Aussagen größtenteils anonymisiert verwendet.76 Die bereits 1948 formulierte und als Lasswell-Formel bekannte Frage „Who says what in which channel to whom with what effect“77 kann den Ausführungen als Grundlage dienen. Zu diesem Zweck werden zehn forschungsleitende Fragen formuliert, die sich der Diskussion von Problemen und Perspektiven der Jungen Literaturhäuser widmen. Dabei steht die Frage im Fokus der Untersuchung, ob Literaturhäuser durch ihre Gründung am Ende der 1980er Jahre als „verspätete“ Institutionen betrachtet werden können und ob und in welcher Weise sie angesichts der ← 31 | 32 → demografischen Entwicklung und diverser Publikumsuntersuchungen78 kultureller Einrichtungen eine neue und jüngere Zielgruppe zu erschließen vermögen. Auch die Frage nach der Randlage von (Kinder- und Jugend-) Literatur, der laut dem Leiter des Hamburger Literaturhauses, Rainer Moritz, oftmals ein „Mauerblümchendasein“79 zugeschrieben wird und ihrer Berücksichtigung im Feld der Kulturförderung, die sich beispielsweise an der Höhe der Subventionen messen lassen kann, trägt ihren Teil dazu bei, den Stellenwert der verhandelten Literatur genauer einschätzen zu können. Dabei stellt sich die Frage, ob die Institution Literaturhaus als Distributionsinstanz in ihrem Ursprung und bei der Auswahl ihrer Programme bereits – ganz im Sinne des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Harold Bloom, der Literatur als Kunst immer als elitäres Phänomen betrachtet – selektiv vorgeht80, und wenn ja, wie genau diese Selektion dann vollzogen wird. Zentral für die Beantwortung der Frage, inwiefern Literaturhäuser durch ihre Lektüre- und Autorenauswahl als Kanonisierungsinstanzen betrachtet werden können, sind die im Rahmen der geführten Interviews angestellten Nachfragen, wer in letzter Instanz über das Programm entscheidet und ob die Programmleiter der kinder- und jugendliterarischen Veranstaltungen beispielsweise freie Hand bei der Auswahl der Autoren haben. Des Weiteren erscheint die Fragestellung relevant, nach welchen Kriterien sich die Konzepte der kinder- und jugendliterarischen Programme richten. Zudem bedarf es einer klaren Definition der Begriffe „Literaturvermittlung“ und „Leseförderung“, zumal im Zuge des sogenannten „PISA-Schocks“ auch auf Seiten der Programmverantwortlichen und der Leiter der Literaturhäuser eine starke Betonung der Leseförderung zu beobachten ist. Hervorgehoben werden muss an dieser Stelle jedoch, dass Literaturhäuser durch ihre Arbeit ursprünglich zur Literaturrezeption durch klassische Literaturvermittlung anregen, während die Leseförderung ← 32 | 33 → im Sinne einflussreicher Institutionen wie der „Stiftung Lesen“ die flächendeckende Literalisierung der Gesellschaft anstrebt. Ob Literaturhäuser gerade im Rahmen ihres jungen Programms auch dem im Zuge der PISA-Debatte immer dringlicher formulierten Wunsch nach Leseförderung nachkommen und die Argumente derselben auch bei der Einwerbung von Drittmitteln zu ihren Gunsten nutzen, ist eine der forschungsleitenden Fragestellungen.

Des Weiteren wird der Problematik nachgegangen, ob aufgrund der strikten Aufnahmekriterien des Netzwerks andere Literaturhäuser ungerechtfertigterweise ausgegrenzt werden. Zu diesem Zweck wird den untersuchten Häusern des Netzwerks eine Vergleichsgruppe in Form zweier weiterer Literaturhäuser gegenübergestellt, die ebenfalls ein junges Programm in ihr Veranstaltungsprofil integriert, sich im Falle Wiesbadens bisher jedoch erfolglos um Aufnahme in das Netzwerk der Literaturhäuser bemüht haben. Die Befragung wurde mit demselben Leitfaden durchgeführt, um so Gemeinsamkeiten wie Unterschiede der Institutionen kenntlich zu machen.

Literaturhäuser gehen im Rahmen ihres jungen Programms zwar vermehrt Kooperationen mit weiteren Akteuren des literarischen Feldes ein, befinden sich zugleich aber auch in einer steten Konkurrenz um eine begrenzte Zielgruppe und finanzielle Mittel. Analysiert wird außerdem das Spannungsverhältnis der Häuser als Schauplatz von literarischen Events gegenüber dem intimen Charakter der schwerer zu kontrollierenden, stillen Rezeption von Literatur.81 In einem weiteren Schritt wird das Werk in das Verhältnis zu seinem Autor gesetzt und die Institution Literaturhaus im Umfeld der neuen Medien kritisch hinterfragt. Die generelle Aufgabe der beiden Abschnitte besteht darin, das erhobene Datenmaterial auf Basis der forschungsleitenden Fragestellungen zu interpretieren. Wünschenswert war außerdem ein Ausblick durch eine Selbsteinschätzung der Häuser: Wie stellen sich Probleme dar, was betrachtet man als verbesserungswürdigen Zustand, wie gestalten sich Pläne und Wünsche für die Zukunft.

Die in Kapitel II und III.1 gewonnenen Erkenntnisse werden daraufhin in eine empirisch fundierte Typenbildung in Anlehnung an ein von Udo Kelle und Susanne Kluge konzipiertes Modell überführt. Ziel der Typenbildung ist dabei, dass „Ähnlichkeiten und Unterschiede ermittelt werden, mit deren Hilfe das Datenmaterial strukturiert und eine (oder mehrere) Typologie(n) gebildet werden ← 33 | 34 → können.“82 Dieses Vorgehen soll die Fülle an empirischem Material, das durch die geführten und anschließend transkribierten Interviews erzielt wurde, übersichtlich und zusammenfassend darstellen und so auch als Resultat der geleisteten Untersuchung fungieren, um für daran anschließende Forschungsvorhaben eine hilfreiche Ausgangslage zu bieten.

In einem letzten Schritt der empirischen Untersuchung werden in Kapitel IV Expertengespräche mit Fachleuten aus unterschiedlichen Bereichen der Leseförderung und Literaturvermittlung ausgewertet. Die Antworten der Experteninterviews auf in der Mehrzahl offene Fragestellungen reichern das bisher ausgewertete Interviewmaterial weiter an und liefern Hintergrundinformationen, um in einer anschließenden Fallstudie die Kinder- und Jugendprogramme der Häuser in Bezug zum Gesamtangebot einer Stadt setzen zu können. Diese Vorgehensweise zielt darauf ab, andere Institutionen und deren Erwartungen und Erfahrungen mit Blick auf die Literaturhäuser einzubringen. Dadurch wird eine Außensicht und Rolleneinschätzung der Literaturhäuser greifbar und die Frage gestellt, ob an den ausgewählten Standorten auf ein hinreichendes Netzwerk und auf Kooperationspartner zurückgegriffen wird, oder ob sich durch Redundanzen in Veranstaltungsprogramm und Zielgruppenansprache nicht eher (ungewollte) Konkurrenzsituationen ergeben.

Bei der Betrachtung der Literaturhäuser stehen nicht nur die Häuser im Fokus, die über ein weitverzweigtes Netzwerk verfügen, sondern ebenso jene Häuser, deren Programm noch nicht etabliert ist beziehungsweise deren Vorgehensweise aus bestimmten Gründen besonders innovativ erscheint. Ein Beispiel hierfür ist das Haus in Zürich, das seinen kinder- und jugendliterarischen Programmbereich in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM) zum Zeitpunkt der Befragung 2012 neu konzipiert und dabei auf Programmformate wie den Einsatz der bereits eingangs erwähnten „Pervasive Games“ zurückgreift, die es in dieser Form in den bereits etablierten Kinder- und Jugendprogrammen anderer Häuser (noch) nicht gibt. Als ein weiteres Beispiel innerhalb des Netzwerks der Literaturhäuser dient das Haus in Köln. Es spricht mit seiner speziell für das „Junge Literaturhaus“ eingerichteten Internetseite unmittelbar das anvisierte Publikum an. Unter www.meinblockmagazin.de können junge Internetnutzer zudem in ein Gespräch über ← 34 | 35 → Literatur treten.83 Es erfüllt damit eine Vorreiterfunktion und kann durch dieses neue Bestreben auch die von Sonja Vandenrath geübte Kritik widerlegen, dass „das Potenzial des Kölner Hauses […] nicht ausgeschöpft werde […].“84 Die Vielfalt der literarischen Angebote zeigt sich auch im jungen Programm des Literaturhauses Stuttgart. Hier wird der Schwerpunkt von Anfang an auf die Konzeption und Durchführung von Schreibwerkstätten zu verschiedenen Themen und literarischen Gattungen gelegt und durch die Unterstützung der Robert Bosch Stiftung ein Format erarbeitet, das mittlerweile an ausgewählten Schulen als Teil des Deutschunterrichts der Mittel- und Oberstufe in den Lehrplan integriert wird. Seit 2012 hat man die Form der Schreibwerkstatt für Schüler in ein Weiterbildungsprogramm für Lehrer überführt, die in einer zweijährigen Ausbildungsphase neue Konzepte für den Deutschunterricht erlernen und unter fachkundiger Anleitung auch praxisnah mit ihren Schülern umsetzen. Als ein weiteres zukunftsfähiges Modell außerhalb des Netzwerks kann zudem die Initiative des in Berlin angesiedelten „Kulturpate e.V.“ angesehen werden, der seit einiger Zeit mit sehr ambitionierten Projekten eine durchaus ernst zu nehmende Alternative zum kinder- und jugendliterarischen Programm des Berliner Literaturhauses darstellt und mit seinen Aktivitäten darauf abzielt, gesellschaftliche Schichten zu erreichen, die sich von den gängigen Modellen der Literaturvermittlung nicht angesprochen fühlen. Auch jüngste Bestrebungen zur Netzwerkbildung unterschiedlichster Akteure des Literaturbetriebs erscheinen vor dem Hintergrund der durchgeführten Interviews und Recherchen, die unter anderem bereits in Anspruch genommene Kooperationen und Kooperationsbestrebungen hinterfragen, besonders beobachtungswürdig, vollzieht sich hier doch genau jener sinnvolle und wünschenswerte Akt der Nutzung von Synergieeffekten. ← 35 | 36 →

Im abschließenden Kapitel V wird die Arbeit der Jungen Literaturhäuser mit ihren Handlungsebenen, -rollen, und -institutionen in die eingangs entfalteten Theorien der literarischen Kommunikation und Literaturvermittlung mit ihren Teilbereichen der Distribution, Evaluation, Konsumtion und Verarbeitung eingeordnet. Dieses Vorgehen erscheint sinnvoll, da die vorab theoretisch beschriebenen Handlungsfunktionen durch die im Verlauf der Arbeit erfolgte Interviewauswertung und daran anschließende kritische Betrachtung der Häuser überprüft und ergänzt werden können. Neben der Darstellung des Jungen Literaturhauses als Handlungssystem, wird des Weiteren die Möglichkeit aufgezeigt, das Junge Literaturhaus als „Standortmarke“85 zu etablieren, es erfolgt eine kritische Betrachtung der Transformation des literarischen Feldes und der Möglichkeiten, wie sich das Junge Literaturhaus an den neuen Medien und im Web 2.0 messen und positionieren kann. Im Schlussteil der Arbeit wird somit eine Einschätzung der aktuellen Situation gegeben und eine Erörterung von Handlungsalternativen angestellt. Ob es für die Literaturhäuser möglich sein wird, neben ihrem „Stammpublikum“ eine neue junge Publikumsbasis zu erschließen und auf welche Weise es gelingen soll, Kinder und Jugendliche zu aktiver kultureller Teilhabe zu befähigen, erörtert die vorliegende Dissertation.


1 Zitat aus Interview 05, Absatz 43; geführt am 20.06.2012. Das Transkript des Interviews liegt dem Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität in Frankfurt vor oder ist bei der Autorin anzufordern.

2 Moritz, Rainer: Kontrollierte Offenheit. Literaturhaus statt „event location“. In: Offene Räume für Kunst & Kultur. Innovatives Kulturmanagement aus Hamburg. Hrsg. von Reinhard Flender. Berlin, Münster: Lit 2013, S. 131–139, hier S. 133.

3 Diese Aussage findet sich unter der Kategorie „Literaturhaus“. Vgl. Barner, Wilfried (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. 2. Aufl. München: C.H. Beck 2006 (=IX), S. 949.

4 Frey, Manuel: Macht und Moral des Schenkens. Staat und bürgerliche Mäzene vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin: Fannei & Walz 1999, S. 69.

5 Schaumann, Lore: Ein Tag im Literaturbüro. In: Literaturbetrieb in der Bundesrepublik Deutschland. Ein kritisches Handbuch. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München: Edition Text + Kritik 1981, S. 157–160, hier S. 160.

6 Eine ganze Arbeit zur Rolle der Literaturbüros in Deutschland hat Stefanie Baumann 1995 publiziert. Vgl. Baumann, Stefanie: Literaturförderung im kulturpolitischen Kontext. Die Arbeit der Literaturbüros in Deutschland. Lüneburg 1995. Eine frühe Arbeit über „Literaturwerkstätten und Literaturbüros in der Bundesrepublik“ liegt seit 1988 von Michael Basse und Eckard Pfeifer vor: Basse, Michael u. Eckard Pfeifer (Hrsg.): Literaturwerkstätten und Literaturbüros in der Bundesrepublik. Ein Handbuch der Literaturförderung und der literarischen Einrichtungen der Bundesländer. Lebach: J. Hempel 1988.

7 Böhm, Thomas: Literaturhaus. In: Das BuchMarktBuch. Der Literaturbetrieb in Grundbegriffen. Hrsg. von Erhard Schütz. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2010, S. 228–230, hier S. 229.

8 www.literaturhaus.net/netzwerk (zuletzt geprüft am 13.10.2014).

Details

Seiten
470
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653057928
ISBN (ePUB)
9783653962246
ISBN (MOBI)
9783653962239
ISBN (Hardcover)
9783631663592
DOI
10.3726/978-3-653-05792-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Autorenlesung kulturelle Teilhabe Leseförderung Literaturvermittlung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 470 S., 11 s/w Abb.

Biographische Angaben

Susann Sophie Schmitt (Autor:in)

Susann Sophie Schmitt studierte Germanistik, Kulturanthropologie und Soziologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo sie am Institut für Jugendbuchforschung promoviert wurde. Sie ist als Unternehmensberaterin im internationalen Umfeld tätig.

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