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Steueramnestien, Selbstanzeige und die verfassungsrechtliche Bewertung von Straffreiheitsgesetzen

Eine Untersuchung anlässlich des gescheiterten deutsch-schweizerischen Steuerabkommens

von Frederic Raue (Autor:in)
©2015 Dissertation XXVI, 310 Seiten

Zusammenfassung

Anlässlich des gescheiterten Steuerabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz untersucht Frederic Raue die historische Amnestiegesetzgebung in Deutschland sowie die Phänomene Gnade, Abolition, Selbstanzeige nach § 371 AO und Steueramnestien. Waren Amnestien zu Zeiten der Weimarer Republik noch fester Bestandteil der rechtspolitischen Tagesordnung, sind sie nach Gründung der Bundesrepublik seltener geworden. Das Grundgesetz etwa schweigt sich über Amnestien und deren Erlasskompetenz gänzlich aus. Dennoch traten sie auch weiterhin in verschiedensten Ausformungen in Erscheinung und sind in der rechtspolitischen Geschichte des Staates nicht wegzudenken. In Ermangelung einer gesetzlichen Regelung erarbeitet der Autor verfassungsrechtliche Maßstäbe für den Erlass von Straffreiheitsgesetzen im Allgemeinen und Steueramnestien im Besonderen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Untersuchungsgegenstand
  • II. Gang der Arbeit
  • B. Darstellung des gescheiterten Abkommens Deutschland Schweiz
  • I. Vorgeschichte
  • II. Inhalt und Aufbau des Abkommens
  • III. Regularisierung der Vergangenheit – Teil 2 des Abkommens
  • 1. Erhebung einer einmaligen Abgabe
  • a) Bemessungsgrundlage, Zeitraum und Berechnung
  • b) Rechtsfolge der nachträglichen Pauschalbesteuerung
  • 2. Freiwillige Meldung
  • 3. Alternative – Selbstanzeige
  • 4. Weiterer Strafverfolgungsverzicht gemäß Art. 17
  • IV. Zukunftsbezogener Regelungsgehalt – Teil 3 des Abkommens
  • V. Weitere Regelungen
  • 1. Vorauszahlung durch Schweizer Banken
  • 2. Auskunftsersuchen und Auskünfte über Ziele der Abschleicher
  • VI. Zusatzprotokoll vom 05.04.2012
  • 1. Erhöhter Steuersatz für pauschale Nachversteuerung
  • 2. Erweiterter Anwendungsbereich durch Vorverlegung eines Stichtages
  • VII. Günstigkeitsvergleich
  • VIII. Zielsetzung der Vertragsstaaten und Kritik
  • 1. Schweiz
  • a) Offiziell verfolgter Zweck
  • b) Öffentliche Kritik
  • 2. Deutschland
  • a) Offiziell verfolgter Zweck
  • b) Öffentliche Kritik
  • c) Stellungnahme zu den Kritikpunkten möglicher Schlupflöcher
  • IX. Rechtliche Qualität des Abkommens
  • 1. Bilateraler völkerrechtlicher Vertrag – Begriff Doppelbesteuerungsabkommen
  • 2. Frage der Einordnung als Steueramnestie
  • C. Amnestie – Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
  • I. Fehlende gesetzliche Regelung in Deutschland
  • 1. Vereinzelte Verwendung durch den Gesetzgeber
  • 2. Unterbliebene Kompetenzzuschreibung im Grundgesetz durch den Parlamentarischen Rat 1948/1949
  • 3. Resümee
  • II. Begriffsbestimmung – Amnestie, Gnade, Abolition, Straffreiheitsgesetze
  • 1. Wortbedeutung und historische Ursprünge
  • a) Amnestie
  • b) Abgrenzung zur Gnade
  • c) Abolition
  • d) Begriff der justa causa
  • e) Begriff der Steueramnestie
  • 2. Historische Begriffskonfusion – Straffreiheit und Amnestie
  • a) Rechtsnatur und Begriff
  • b) Verwendung der Begriffe Amnestie und Straffreiheit in der neueren Literatur
  • III. Strafrechtssystematische Stellung der Amnestie unter den Strafbefreiungsgründen
  • IV. Amnestien und Steueramnestien – Historische Vorläufer
  • 1. Amnestien im Kaiserreich
  • a) 1913 – Generalpardon – Erste Steueramnestie des Reiches
  • b) 1914 bis Oktober 1918 – Kriegsamnestien der Länder
  • 2. Amnestien des Rates der Volksbeauftragten und der Weimarer Republik – 1918 bis 1933
  • a) 12.11.1918 – Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk
  • b) 1918 – Zivil-, Militär- und Entwaffnungsamnestie
  • c) 1919 bis 1931 – Politische Amnestien
  • d) 1932 – Schleicher-Amnestie
  • e) Resümee zur Amnestiepraxis in der Weimarer Republik
  • 3. Amnestien im Nationalsozialismus – 1933 bis 1945
  • 4. Zehn Steueramnestien zwischen 1913 und 1945
  • 5. Amnestiegesetze unter alliierter Verwaltung
  • a) 1949 – Zweites Steuerneuordnungsgesetz
  • b) 1949 – Soforthilfegesetz
  • 6. Amnestiegesetze in der Bundesrepublik
  • a) 1949 – Straffreiheitsgesetz
  • b) 1954 – Straffreiheitsgesetz
  • c) 1968 – Straffreiheitsgesetz
  • d) 1970 – Straffreiheitsgesetz
  • e) 1969 bis 1976 – Kleinere Annexamnestien zu Strafrechtsreformen
  • f) 1988 – Steueramnestie 1990
  • g) 2004 Steueramnestie
  • aa) Erfasste Steuerarten
  • bb) Zeitlicher Anwendungsbereich
  • cc) Sachliche Anwendungsvoraussetzungen
  • dd) Rechtsfolgen
  • ee) Ausschlussgründe und sonstige Regelungen
  • ff) Gesetzeszweck und Kritik
  • gg) Vergleich mit der Selbstanzeige nach § 371 AO
  • hh) Vergleich mit der Steueramnestie 1990
  • 7. Vergleichende Zusammenfassung der historischen Amnestien
  • a) Erscheinungsformen von Amnestien in Deutschland
  • b) Vergleich der Steueramnestien 1990, 2004 und des Abkommens
  • c) Fazit
  • V. Historischer Kompetenzstreit
  • 1. Herleitung aus den Kompetenzen für Gnade, Strafverfahren und Strafvollzug
  • 2. Exkurs – Unitaristen, Föderalisten und die Lehre Anschützens
  • 3. Amnestie- und Gnadenverbandskompetenzen der Länder – Stand 1926
  • 4. Amnestiekompetenz in der Bundesrepublik
  • VI. Erkenntnisgewinn zum Wesen der Amnestie
  • 1. Vollstreckungserlass und Niederschlagung
  • 2. Stellungnahme zum vorzugswürdigen Begriff – Amnestie oder Straffreiheit
  • 3. Rechtsnatur der Amnestie – Abgrenzung zur Gnade
  • 4. Rechtsnatur der Amnestie – materielles oder Verfahrensrecht
  • 5. Rechtsfolgen im Sinne konkreter Auswirkungen auf das Strafverfahren
  • a) Eintragung oder Löschung
  • b) Rehabilitierungsinteresse, Wiederaufnahme und Freispruch
  • c) Stellungnahme zu Amnestie und Wiederaufnahme
  • d) Verhältnis von Rechtskraft eines Urteils und Vollstreckungsamnestie
  • e) Resümee
  • VII. Einordnung des Steuerabkommens
  • 1. Verfolgungshindernis und Straffreiheit bei Einmalzahlung gemäß Art. 8
  • a) Merkmale einer Steueramnestie
  • b) Unterschiede zu anderen Steueramnestien
  • c) Inkonsequenz des Wortlauts
  • d) Stellungnahme zum Amnestiecharakter des Abkommens
  • 2. Freiwillige Meldung als Fiktion einer „wirksamen“ Selbstanzeige
  • VIII. Resümee
  • 1. Bewertung deutscher Amnestiepraxis
  • 2. Stellungnahme zum Fehlen einer gesetzlichen Regelung in Deutschland
  • 3. Bewertung des Steuerabkommens
  • D. Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO
  • I. Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen des § 371 AO
  • II. Geschichte der Selbstanzeige und Ausblick auf ihre Zukunft
  • 1. Historische Ursprünge der Selbstanzeige
  • 2. Unterschiede der Ausformungen und Reichweiten
  • 3. Begriff der Selbstanzeige
  • 4. Rechtsnatur
  • 5. Jüngste Verschärfungstendenzen in Rechtsprechung und Politik
  • a) Vollständigkeitsgebot
  • b) Entdeckung der Tat nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO
  • c) Politischer Diskurs über Einschränkung oder gänzliche Abschaffung
  • III. Erklärungs- und Rechtfertigungsansätze
  • 1. Strafrechtssystematische Einordnung in das System des Rücktritts und der tätigen Reue
  • a) § 371 AO im Vergleich mit den Vorschriften der tätigen Reue
  • b) Ausschlusstatbestände des § 371 AO als Freiwilligkeitserfordernis?
  • c) Untersuchung der artverwandten Vorschriften
  • aa) § 266a Abs. 6 StGB
  • bb) § 31d Abs. 1 Satz 2 PartG
  • d) Ergebnis
  • 2. Verschiedene Rechtfertigungsansätze des § 371 AO in der Literatur
  • a) Strafrechtsdogmatische Erklärungsansätze
  • b) Kriminalpolitische Erklärungsansätze
  • c) Fiskalische Erklärungsansätze
  • d) Kritik am Theorienstreit
  • e) Zum vermeintlichen Widerspruch fiskalisch – kriminalpolitisch
  • f) Stellungnahme und Lösungsvorschlag
  • g) Zwischenergebnis
  • 3. Die Selbstanzeige unter dem Aspekt des Strafzwecks
  • a) Strafzwecktheorien im Überblick
  • b) Auswirkung fehlender Empirie auf die Evaluierung der Strafzwecke
  • c) Überlegungen zu potentiellem Täterkreis und Motivation der Selbstanzeigenden
  • d) Auswirkung auf die verschiedenen Strafzwecke
  • e) Generalpräventiver Strafzweck der Abschreckung
  • f) Auswirkung der Selbstanzeige auf die Abschreckungswirkung im Falle der Steuerhinterziehung
  • 4. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • IV. Verfassungsrechtliche Bewertung des § 371 AO
  • 1. Die Rechtsprechung
  • a) Rechtsauffassung des AG Saarbrücken
  • b) Die Entscheidung des BVerfG
  • 2. Stellungnahme
  • 3. Resümee
  • E. Verfassungsrechtliche Bewertung
  • I. Verfassungsmäßigkeit von Amnestien und Straffreiheitsgesetzen
  • 1. Gesetzesform
  • 2. Allgemeine Amnestieverbote
  • a) Verbot der Individualamnestie
  • b) Vorauswirkungsverbot
  • c) Weitere Amnestieverbote
  • d) Resümee
  • 3. Verfassungsrechtliche Bewertung des Strafverzichts
  • a) Der Standpunkt der Rechtsprechung zur Amnestie
  • b) Kritik
  • c) Justa Causa – Anforderungen und Doppelcharakter
  • 4. Verfassungsrechtliche Bewertung der Abolitionswirkung
  • 5. Zwischenergebnis
  • II. Verfassungsmäßigkeit von Steueramnestien
  • 1. Ratio legis der Selbstanzeige und justa causa der Steueramnestie
  • a) Qualitative Unterschiede
  • b) Dogmatische Unterschiede zur Selbstanzeige
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Größeres Ausmaß der Ungleichbehandlung im Vergleich zu sonstigen Amnestien
  • 3. Grundsätzliche Bedenken gegenüber Steueramnestien
  • 4. Rechtfertigungen von Steueramnestien
  • a) Fiskalischer Staatsnotstand im Sinne außergewöhnlicher Umstände
  • b) Konkrete Anforderungen an Neuordnung und Überwindung
  • c) Rechtsgutträgereigenschaft des Staates
  • 5. Ergebnis
  • III. Verfassungsmäßigkeit des Steuerabkommens
  • 1. Formale Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit der Amnestie
  • a) Gesetzgebungskompetenz
  • aa) Bisherige Herleitung der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes
  • bb) Auswirkung der Föderalismusreform 2006
  • cc) Auswirkung auf das Steuerabkommen
  • dd) Bundeskompetenz für völkerrechtliche Amnestien
  • ee) Alternative Herleitung der Gesetzeskompetenz
  • ff) Ergebnis
  • b) Kein Verstoß gegen Amnestieverbote
  • c) Justa Causa als formales Kriterium einer Amnestie
  • 2. Materielle Verfassungsmäßigkeit – Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
  • a) Reichweite der gerichtlichen Prüfungskompetenz
  • aa) Willkürverbot
  • bb) Neue Formel
  • cc) Abgrenzung
  • b) Ungleichbehandlungen aufgrund der Regelungen des Steuerabkommens
  • aa) Benachteiligung steuerehrlicher Bürger durch den Steuerverzicht
  • bb) Benachteiligung rechtstreuer Bürger durch den Strafverzicht
  • cc) Benachteiligung anderer Straftäter durch den Strafverzicht
  • dd) Benachteiligung anderer Steuerhinterzieher
  • c) Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen
  • aa) Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs
  • bb) Vorüberlegungen
  • (1) Parallelen und Abweichungen gegenüber historischen Steueramnestien
  • (2) Berücksichtigung der bilateralen Dimension
  • cc) Legitimer Zweck
  • dd) Geeignetheit
  • ee) Erforderlichkeit
  • ff) Angemessenheit
  • 3. Ergebnis
  • F. Weitere Überlegungen, Perspektiven und Alternativen
  • I. Zukunft der Selbstanzeige
  • II. Effektivierung der Finanzverwaltung
  • III. Ausweitung von Wiedergutmachungstatbeständen mit strafbefreiender Wirkung
  • 1. Grundsätzliche Erwägungen
  • 2. Freiwilligkeit und Entdeckung
  • 3. Erforderins einer förmlichen Selbstbezichtigung und Umfang der Kompensation
  • 4. Ergebnis
  • G. Gesamtergebnis
  • I. Resümee
  • 1. Amnestie als rechtspolitisches Werkzeug
  • 2. Steueramnestien
  • 3. Zusammenfassende Beurteilung des gescheiterten Steuerabkommens
  • II. Zusammenfassung wesentlicher Erkenntnisse
  • Anhang 1: Länderstatistiken zu Selbstanzeigevorgängen
  • Anhang 2: Tätige Reue nach § 167 StGB / Österreich
  • Verzeichnis der Internetquellen
  • Literaturverzeichnis

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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungen

Abbildung 1: Rechtsfolgen des Abkommens und Handlungsoptionen betroffener Personen

Abbildung 2: Wirkungszeiträume der Amnestie

Abbildung 3: Erklärungs- und Rechtfertigungsmuster der Selbstanzeige nach § 371 AO

Tabellen

Tabelle 1: Steuerbelastungsvergleich

Tabelle 2: Historische Amnestien in Deutschland

Tabelle 3: Abgeltungssätze des StFG 2004

Tabelle 4: Amnestie- und Gnadenverbandskompetenzen der Länder – Stand 1926

Tabelle 5: Allgemeiner Strafaufhebungsgrund de lege ferenda – Matrix

Tabelle 6: Länderstatistiken zu Selbstanzeigevorgängen

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Abkürzungsverzeichnis

| 1 →

A. Einleitung

I. Untersuchungsgegenstand

Amnestien hat es immer gegeben und es wird sie wohl auch immer wieder geben. Im Deutschland der Weimarer Republik waren Amnestien fester Bestandteil der rechtspolitischen Tagesordnung. Nach Gründung der Bundesrepublik sind Amnestien in Deutschland zwar seltener geworden, gleichwohl traten sie auch weiterhin in verschiedensten Ausformungen in Erscheinung und können in der rechtspolitischen Geschichte des Staates nicht hinweggedacht werden.

Anlass für die vorliegende Untersuchung des Phänomens der Amnestie in Deutschland gaben die Verhandlungen über das letztendlich gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz in den Jahren 2011 bis 2013, ein bizarres, bilaterales Vertragswerk, das zumindest in der deutschen Geschichte seinesgleichen sucht und sich nicht auf Anhieb einer gängigen Kategorie abschließend zuordnen lässt. Dieses wurde von Medien und Opposition vielfach als Steueramnestie identifiziert und bezeichnet, während Regierung und Bundesfinanzministerium nicht müde wurden, darauf hinzuweisen, es handele sich bei dem geplanten Abkommen gar nicht um eine Amnestie im eigentlichen Sinne.

Diesen Dissens aufgreifend, sei zunächst versucht, sich dem Konzept der Amnestie historisch und begrifflich anzunähern, um sodann Möglichkeiten und Grenzen der Amnestie als Rechtsinstitut, welches in Deutschland gesetzlich nicht geregelt ist, aufzuzeigen. Hierbei erscheinen vor allem die folgenden Fragen interessant: Was ist das Wesen einer Amnestie, beziehungsweise wie ist ein Straffreiheitsgesetz seiner Wirkung nach rechtsdogmatisch einzuordnen? Was sind dessen konkrete Rechtsfolgen? Wer darf Amnestien verfügen und sind dem Amnestiegeber dabei Grenzen gesetzt, zum einen hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen er sie erlassen kann, zum anderen in Bezug darauf, wie weit die Gewährung von Straffreiheit gehen darf? Sind einerseits Straferlass, also die Aussetzung der Vollstreckung rechtskräftiger Strafen, und andererseits die Niederschlagung anhängiger Verfahren respektive die Nichteinleitung neuer Verfahren (Abolition) dabei als gleichwertig anzusehen, oder bestehen qualitative Unterschiede? Bestehen ferner wesentliche Unterschiede zwischen allgemeinen Strafamnestien und Steueramnestien? Können solche Amnestien allein durch gewichtige kriminalpolitische oder auch durch rein fiskalpolitische Zielsetzungen gerechtfertigt werden? Oder sind diese im Falle des Steuerstrafrechts gar identisch, die zweiten hier notwendigerweise konkrete Ausformung der ersten? In welchem Verhältnis stehen Steueramnestien zur Selbstanzeige nach § 371 AO? ← 1 | 2 → Wird nicht etwa die Diskussion über die Rechtmäßigkeit von Steueramnestien bereits durch die Existenz dieser Vorschrift obsolet?

Dabei kann der politische wie rechtswissenschaftliche Diskurs über das gescheiterte Steuerabkommen ein Beispiel dafür geben, inwieweit in Einzelfällen rechtsdogmatische Fragen, über die seit Jahrhunderten gestritten wurde, aber auch solche, die mangels konkreten Anwendungsbereichs lange Zeit nur von rein akademischem Interesse waren, bisweilen plötzlich wieder aus der „Mottenkiste der Geschichte“ geholt werden müssen, auf dass sich ein Machwerk des heutigen Gesetzgebers an ihnen messen lassen muss.

Die Arbeit versteht sich dabei als Beitrag für die Diskussion über mögliche zukünftige Amnestievorhaben in Deutschland – seien es allgemeine Amnestien, Steueramnestien oder gar Steueramnestien im Gewand bilateraler Verträge, wie im Falle des gescheiterten Abkommens, wenn nicht mit der schweizerischen Eidgenossenschaft, so vielleicht mit einem anderen Staat.

II. Gang der Arbeit

Im ersten Teil der Arbeit (B) werden das Anlass gebende, gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz als Gesetzeswerk sowie die hiermit verfolgten politischen Ziele und die daran geübte Kritik dargestellt.

Im zweiten Teil der Arbeit (C) sollen im Wege der rechtshistorischen Auseinandersetzung mit der Amnestiegesetzgebung in Deutschland seit dem Kaiserreich Antworten auf die zuvor aufgeworfenen Fragen zu Rechtsnatur, Reichweite, Erlasskompetenz und Auslegungsfragen des Rechtsinstituts Amnestie gefunden werden, wobei am Anfang der Versuch einer begrifflichen Eingrenzung des Topos Amnestie steht. Hierbei wird all jenen Aspekten besondere Aufmerksamkeit geschenkt, welche auch für eine rechtliche Einordnung und Bewertung des gescheiterten Steuerabkommens als Amnestie relevant sind, jeweils unter besonderer Berücksichtigung der Ausprägung als Steueramnestie, jener nach 1970 in Deutschland ausschließlich praktizierten Amnestieform.

Der dritte Teil der Arbeit (D) widmet sich der rechtsdogmatischen Herleitung und verfassungsrechtlichen Bewertung der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO, die – ebenfalls ein Strafbefreiungsgrund – gewissermaßen natürliche Konkurrentin jeder Steueramnestie ist.

Der vierte Teil (E) betrachtet die Amnestie unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, wobei zunächst verfassungsrechtliche Voraussetzungen und Grenzen von Amnestiegesetzgebung im Allgemeinen und sodann von Steueramnestien im Besonderen herausgearbeitet werden. Vor dem Hintergrund der im Wege der rechtshistorischen Untersuchung erarbeiteten Erkenntnisse über ← 2 | 3 → Wesen und Grenzen der Amnestie knüpft die Arbeit wieder an ihren Ausgangspunkt an und schließt mit einer verfassungsrechtlichen Bewertung des Anlass gebenden, gescheiterten Steuerabkommens.

Im fünften und letzten Teil der Arbeit (F) werden alternative kriminalpolitische Lösungsansätze diskutiert und Vorschläge zur Schaffung eines allgemeinen Strafaufhebungsgrundes im Falle der Wiedergutmachung durch den Täter unterbreitet.

| 5 →

B. Darstellung des gescheiterten Abkommens Deutschland Schweiz

I. Vorgeschichte

Details

Seiten
XXVI, 310
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056556
ISBN (ePUB)
9783653964585
ISBN (MOBI)
9783653964578
ISBN (Hardcover)
9783631664599
DOI
10.3726/978-3-653-05655-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (August)
Schlagworte
Abolition Gnade Amnestie verfassungsrechtliche Bedenken
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XXVI, 310 S., 3 s/w Abb., 6 Tab.

Biographische Angaben

Frederic Raue (Autor:in)

Frederic Raue studierte Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und an der Universita degli studi di Milano. Als Rechtsanwalt ist er auf den Gebieten des Strafrechts und des Arbeitsrechts tätig.

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Titel: Steueramnestien, Selbstanzeige und die verfassungsrechtliche Bewertung von Straffreiheitsgesetzen
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