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Gewalt im Namen Gottes

Die Verantwortung der Religionen für Krieg und Frieden – 16. Ökumenische Sommerakademie Kremsmünster 2014

von Severin J. Lederhilger (Band-Herausgeber:in)
©2015 Konferenzband 172 Seiten

Zusammenfassung

Der Islamische Staat in Syrien und im Irak, die Massaker von Boko Haram in Nigeria – immer neue religiös motivierte Terrorakte rufen weltweite Betroffenheit hervor, auch unter gläubigen Menschen. Weder Bibel noch Koran rechtfertigen einfach jegliche Gewalttat oder Krieg im Namen Gottes, wenn man sich mit Sprache und Sinn dieser Texte kritisch auseinandersetzt. Der Tagungsband der 16. Ökumenischen Sommerakademie Kremsmünster 2014 dokumentiert Vorträge mit unterschiedlichem konfessionellen, religiösen und weltanschaulichen Hintergrund. Sie alle beschäftigen sich mit der Thematik religiös motivierter Gewalt aus der Perspektive der Philosophie, der Praktischen Theologie und Religionspädagogik, der Religions-, Bibel- und Islamwissenschaft. Zu Wort kommen auch Repräsentanten der Friedensarbeit im Militär, in christlichen Vereinigungen und in der kirchlichen Pastoral.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Religion als Chance zur Grausamkeit.
  • Über die Normalität von Gewalt
  • Die Macht der Menschen angesichts der Gewalt des einen Gottes
  • Zur Kontingenz religiösen Gewalthandelns
  • Gewalt in biblischen Texten
  • Hintergründe, Differenzierungen, hermeneutische Überlegungen
  • Legitimation von Gewalt im Islam
  • Friedenssicherung durch Militär
  • Friedensarbeit auf dem Grund der Gewaltfreiheit Jesu
  • Frieden schaffen im 21. Jahrhundert
  • Die Erfahrung der Gemeinschaft Sant’Egidio
  • Religionen und Gewalt
  • Einige Überlegungen aus römisch-katholischer Perspektive
  • Der ökumenische Beitrag der Kirchen zum Frieden in der Welt
  • Statement aus Sicht der Orthodoxie
  • Friedensarbeit durch Herzensbildung in Schule und Pastoral
  • Praxisorientierte Hinweise im Kontext der Evangelisch-methodistischen Kirche
  • „Nicht ein Einziger von ihnen blieb übrig.“ Von der Gewalt biblischer Texte
  • Predigt in der Ökumenischen Abschlussfeier zu Ex 14
  • Biographische Hinweise

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Vorwort

Es sind gut 100 Jahre vergangen seit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der gern als „die Ur-Katastrophe“1 des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird und dessen Folgen auch zum Zweiten Weltkrieg geführt haben, obwohl die unmittelbaren Zusammenhänge sowohl hinsichtlich der auslösenden Faktoren als auch der Konsequenzen für die Destabilisierung des gesellschaftlichen Gefüges in der Nachkriegszeit durchaus komplexer anzunehmen sind.2 Der katholische Linzer Diözesanbischof Dr. Ludwig Schwarz SDB betont in seinem Grußwort zur Tagung, dass uns das Gedenken an das dramatische Ereignis des Ersten Weltkrieges, „gesellschaftlich und kirchlich einen schwierigen Auftrag [gibt]. Wir müssen ein hartes Erbe der Geschichte verarbeiten, mehr noch: aufarbeiten für unsere eigene gute Zukunft. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Europa intensiv mit dem Nationalsozialismus, mit dem Rassismus und dem Zweiten Weltkrieg befasst. Hier konnte man die Urheber, die Verbrechen und Verbrecher leichter darstellen und zugleich klarer auf Distanz gehen zu ihnen. Der Erste Weltkrieg hingegen wurde so durch den Zweiten in den Schatten gestellt, obwohl dieser doch ebenfalls eine unvorstellbare Riesen-Katastrophe mit zahlreichen grausamen Verbrechen war. Dieser Krieg forderte weit über 10 Millionen Tote und ließ für immens viele Menschen den Tod, die Verstümmelung und die Vertreibung zu einem massenhaften Alptraum werden. Viele Millionen wussten nicht mehr, ob sie ihre Heimat bewahren und das Leben von sich und ihren Familien davonbringen konnten. Der Erste Weltkrieg […] bereitete jenes giftige Klima auf, in dem der noch größere Schrecken der 1930er Jahre seine brutale Chance erhalten hat. Im Ersten Weltkrieg wurde das Leid ausgestreut und der Hass gesät, der bald danach lauthals und blind nach Rache schreien sollte.“ ← 7 | 8 →

„Es kommt jedoch noch schlimmer, wenn wir genauer hinsehen“ setzt Bischof Schwarz durchaus selbstkritisch fort. „Die Kirchen haben im Ersten Weltkrieg eindeutig Partei ergriffen, aber eben nicht auf Seiten des Friedens, wie es der evangeliumsgemäße Auftrag gewesen wäre, sondern sie haben Gott selbst für die kurzsichtigen Interessen der Politik vereinnahmt. Auf beiden Seiten feuerten die Vertreter der Kirche ihre Kaiser und Könige, die Feldherren und hochstilisierten Helden des Militärs an. Auf beiden Seiten beteten die Christen um den Sieg und riefen Gott für ihre vermeintlich gerechte Sache an. Sie glaubten, Gott würde nur auf ihrer jeweiligen Seite – der österreichischen, der deutschen oder auch der russischen, englischen bzw. französischen Seite – stehen und den jeweiligen anderen Feind bestrafen. Man tat innerhalb der eigenen Nation fast so, als ob das Reich Gottes nur mit Hilfe der österreich-ungarischen, der deutschen oder aber der französisch-britischen Truppen erreicht werden könnte. Vergeblich appellierte damals Papst Benedikt XV. an die Völker, doch einen Waffenstillstand auszurufen und einen Frieden anzustreben.3 Man hörte nicht auf ihn!

Heute steht es uns als Christen gut an, diese traurige Fehlentwicklung zum Anlass für eine kritische Selbstbesinnung zu nehmen. Das nach 1945 langsam neu entwickelte Europa, findet seinen Sinn, sowie seinen mühevollen Weg gerade darin, nie wieder einen solchen Völkerhass aufkommen zu lassen. Gemeinsam sollte daher im vereinten Europa nicht nur eine gewaltige Wirtschaftsmaschinerie angeworfen werden, sondern vor allem das friedliche Auskommen miteinander, die Achtung voreinander, die Wahrung der Menschenrechte, die Förderung von Toleranz, Ökumene und Verständnis zur selbstverständlichen Basis des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlichster Nationalitäten werden. […] Die Kriege der jüngeren Zeit in Europa zwischen 1992 und 1995 im zerfallenden Jugoslawien haben uns gezeigt, dass die Menschen immer noch anfällig dafür ← 8 | 9 → sind, dem Ruf der Gewalt zu folgen, und dass der Abgrund des Mordens, des Fanatismus, der nationalistischen und rassistischen Verachtung auch heute noch im Herzen des Menschen geweckt werden kann. Der Mensch kann Furchtbares anrichten, aber er kann sich ebenso für das Gute entscheiden. Mit Hilfe guter Vorbilder und wirksamer Institutionen ist es möglich, den Willen in eine friedlichere Richtung zu lenken. […] Die Menschheit – und das gilt nicht nur für Europa – muss aber den Frieden wollen! Das verlangt langfristig, dass man einen gerechten Frieden anstrebt. Gerechter Friede jedoch erfordert eine gute Nachbarschaft mit allen Völkern, auch mit den islamisch geprägten, und dazu eine echte Anstrengung des Geistes, um eine ‚Kultur der Verständigung‘ zu entwickeln: von Weltanschauungen und Religionen, von kirchlichen, religiösen, politischen und gesellschaftlichen Institutionen, um sich gemeinsam zum Guten, zur Freiheit und zum Mitmenschlichen aufzuraffen.“

Es zählt andrerseits bereits zu den gängigen Vorwürfen gegenüber Religion und ihren Institutionen, dass (jedenfalls) dogmatischer Monotheismus Gewalt und Intoleranz implizieren würde4, was auf Grund manch allzu plakativer Argumente nicht unwidersprochen bleiben konnte5. Religionsgewalt rührt nämlich „keineswegs nur aus der Zuspitzung des Dogmas“ her, „vielmehr konnte dieses Dogma ebenso humanisieren und pazifizieren. In der Toleranz-Diskussion wird oft genug unbesehen vorausgesetzt, dass der Wahrheitsanspruch der drei Monotheismen gar nicht anders als intolerant und gewalttätig habe wirken können. In Wirklichkeit ist festzustellen, dass der Anspruch sehr wohl im modernen Sinne positiv zu verändern und zu humanisieren vermochte“, wie Arnold Angenendt in einer ausführlichen Studie belegt6 und eine Untersuchung der Internationalen ← 9 | 10 → Theologischen Kommission zum Verhältnis von Monotheismus und Gewalt differenziert argumentiert7.

Auf den Aspekt der Gewalt geht der oberösterreichische Superintendent Dr. Gerold Lehner von der evangelischen Kirche A.B. in seinem Grußwort näher ein: „Jedem aufmerksamen Beobachter ist es klar, dass am Anfang des Christentums eine Gewalterfahrung steht. Und jedem aufmerksamen Beobachter ist auch deutlich, dass das frühe Christentum diese Erfahrung auf höchst eigenwillige Art und Weise gedeutet hat. Am Anfang des Christentums steht der Tod des Jesus von Nazareth am Kreuz. Diese Gewalterfahrung setzt aber nun eben nicht eine Spirale der Gewalt als Vergeltung in Gang und sie beendet nicht die Bewegung des frühen Christentums. Diese Erfahrung wird aber auch nicht in den Hintergrund gerückt, sodass man sie verschämt verschweigt und sich nur der Lehre und dem Leben Jesu widmet. Im Gegenteil wird die Gewalterfahrung, wird der Tod Jesu und wird das Kreuz in die Mitte des Christentums gestellt. Die Gewalterfahrung und ihre Deutung erhält auf diese Weise eine Schlüsselstellung für das Ganze des Glaubens. […]

Gott in Jesus erleidet den Tod und Gott in Jesus spricht am Kreuz die Bitte um die Vergebung aus. Weil diese Gewalterfahrung nicht abgespalten, sondern ins Herz Gottes hineingenommen und in der Auferstehung Jesu aufgehoben wird, deshalb ist von nun an ein neuer Umgang mit dieser Erfahrung möglich. Das ist der eine Spannungs-Punkt. In diesem Ursprung des Christentums steckt aber noch ein weiterer Punkt, der zugleich deutlich macht, dass die Sache zwischen Gott und den Menschen, die Sache mit dem Glauben, ursächlich und ursprünglich konfliktträchtig ist. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard, der mit seiner scharfen Kritik die dänische Staatskirche des 19. Jahrhunderts gepiesackt hat, schrieb einmal: Das Christentum ist nicht ‚als ein Prachtstück von milden Trostgründen in die Welt gekommen – sondern als das Unbedingte. Es ist aus Liebe, dass Gott so will, aber es ist auch Gott, der das will. Und Gott will, was er will. Er will sich nicht umschaffen lassen von den Menschen und ein gar lieber – menschlicher – Gott werden: Er will umschaffen, die Menschen umschaffen, und das will er aus Liebe‘8. Insofern haben jene Kritiker des ← 10 | 11 → Christentums durchaus Recht, wenn sie darauf hinweisen, dass der christliche Glaube auch Spannungen und Konflikte hervorruft. Er ist eben durchaus nicht nur stabilisierend, sondern auch destabilisierend und provokativ. Das Unbedingte und die Wahrheit haben nun einmal diese Begleiterscheinungen, dass sie konfliktträchtig sind. Und man müsste schon fragen: Was wäre es für eine Wahrheit, die auf diese Welt und auf diese Menschen trifft und keine Konflikte hervorrufen würde? […]“.

Tatsächlich kennt die Geschichte viele Beispiele, „wo sowohl das Christentum, als auch der Islam über Jahrhunderte durch das Schwert, durch Eroberung und Unterwerfung ausgebreitet worden sind, nicht aber durch Zeugnis, Überzeugung und Einsicht“, sekundiert der Landeshauptmann von Oberösterreich Dr. Josef Pühringer in seinem Statement: „Die politischen Führer des Mittelalters, die Herzöge und Könige, die Kalifen und auch die Päpste, haben sich den religiösen Missionsgedanken angeeignet, um ihn zum Instrument der Ausdehnung ihrer Macht umzufunktionieren – und Tausende, ja Hunderttausende von Gläubigen haben sich willig umfunktionieren lassen. Die christlichen Kirchen können heute aber für sich in Anspruch nehmen, dass sie nicht nur Verantwortung für Gewalt im Namen Gottes in der Vergangenheit zu tragen haben, sondern auch Verantwortung für den Frieden übernehmen, und zwar doch schon seit einiger Zeit. Stellvertretend dafür, nenne ich […] den großen Friedenspapst Benedikt XV., der [während des Ersten Weltkrieges] nicht nur umfangreiche humanitäre Hilfe organisiert hat und mehrere Versuche zu Friedensverhandlungen unternahm. Er ließ es auch in seiner Ablehnung des Krieges an Deutlichkeit nicht fehlen, den er als grauenhafte, nutzlose Schlächterei bezeichnete. Seine Friedensdoktrin wurde fester Bestandteil des kirchlichen Lehramtes und für seine Nachfolger. Das 2. Vatikanische Konzil forderte schließlich, einen Zustand der Welt herbeizuführen, in dem der Krieg völlig untersagt wird (vgl. GS 82)! Jetzt muss die Welt darauf hoffen, dass sich auch im Islam als zweiter großer Weltreligion jene Repräsentanten durchsetzen, die das Friedensgebot respektieren. Wir erhoffen dies im Interesse aller, die heute noch unter religiös motivierten Kriegen zu leiden haben, und im Interesse aller, die aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden. Laut ‚Welt-Verfolgungs-Index‘ werden Christen im Jahr 2014 noch immer in 50 Staaten dieser Welt verfolgt. Ich sage aber gleich dazu, es ist ein Skandal, wenn Menschen um ihres Glaubens willen verfolgt werden, egal ob sie Christen sind oder einer anderen Religion angehören!“

Schließlich fragt Landeshauptmann Pühringer: „Was kann Religion im 21. Jahrhundert konkret zur Friedenssicherung beitragen? Im Bereich der Weltpolitik besteht ihre erste Aufgabe darin, die Voraussage des Politikwissenschaftlers Samuel Huntington vom Kampf der Kulturen nicht wahr werden zu ← 11 | 12 → lassen. Huntingtons Kernthese besteht ja darin, dass die Welt nach dem Ende des ideologischen Ost-West-Konflikts von kulturell-religiös geführten Konflikten gekennzeichnet sein wird.9 Hier können gerade die monotheistischen Religionen in einem Trialog zwischen Christentum, Judentum und Islam vieles leisten für das Ende eines abspaltenden und den Beginn eines vernetzten Denkens. Ein Höchstmaß an Verknüpfungen herzustellen, ist heute von existentieller Notwendigkeit in einer globalisierten Welt. Erste wertvolle Schritte gibt es bereits, wenn ich etwa an die Gemeinsame Erklärung des Vatikans und der Schiiten vom Frühjahr 2008 denke. Glaube und Vernunft wurden hier als Geschenk Gottes bezeichnet. Die Forderung lautete: Christen und Muslime sollen über Toleranz hinausgehen – in Anerkennung der Unterschiede, doch im Bewusstsein der Gemeinsamkeiten, wofür sie Gott dankbar sind. Sie sind berufen zu gegenseitigem Respekt und verurteilen deshalb die Verspottung des religiösen Glaubens.10 […] Dieser Dialog ist ein großer Hoffnungsträger! Er trägt die Hoffnung auf gemeinsame, weltweit gültige Bekenntnisse zum Frieden, zur Demokratie und zu den Menschenrechten. So weist auch Shirin Ebadi, die 2003 als erste muslimische Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, immer wieder darauf hin, dass dies genau das ist, was radikal-islamische Führer oder Diktatoren am meisten fürchten. Sie haben mit ihren eigenen Koranauslegungen einen Schild geschaffen, unter dem sie ihre Herrschaft verstecken. Dieser Schild ist nicht mit Bomben zu beseitigen, wie das die Amerikaner versucht haben. Dieser Schild ist nur durch den Lichtstrahl des Wissens zu durchbrechen, betont die Friedensnobelpreisträgerin. […] So unterschiedlich die Ausprägungen der Religionen auch sind, sie haben dabei doch eine große Gemeinsamkeit: Sie geben ihren Gläubigen Halt. Wer aber Halt hat, hat auch die Chance, weltoffen und geistig geräumig zu sein.“

Ganz in diesem Sinn erinnert der evangelisch-lutherische Bischof in Österreich Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker in seinen Einleitungs-Gedanken an Christian Führer, der als evangelischer Pfarrer an der Nikolei-Kirche in Leipzig im Herbst 1989 bei den Montagsgebeten und den daraus hervorgegangenen großen ← 12 | 13 → Massendemonstrationen mitwirkte. Diese haben entscheidend mit dazu beigetragen, dass es in der damaligen DDR zu einer friedlichen Revolution und dann auch zum Fall der Berliner Mauer gekommen ist. Die Verantwortlichen haben damals den Menschen beim Gang hinaus von der Kirche auf die Straße ein Liederheft und eine Kerze in die Hand gedrückt. Das dürfe man aber „nicht nur als einen besonderen Ausdruck evangelischer Frömmigkeit verstehen, sondern es hatte einen tiefen Hintersinn, meinte Christian Führer. Wer ein Liederheft in der einen und eine Kerze in der anderen Hand hat, kann keinen Stein mehr aufheben. Das war fein durchdacht. Und ebenso fein durchdacht, komprimiert und konzentriert war auch die Parole die den Menschen mitgegeben wurde. Die Parole bestand aus zwei Worten und lautete: ‚Keine Gewalt‘! Natürlich war diese an die Sicherheitskräfte gerichtet, von denen man wusste, dass sie anwesend sind und mit deren Eingreifen man rechnete. Aber es war wohl auch eine Parole, die sich die Demonstrierenden gegenseitig zugesprochen haben, als Selbstaufruf und Selbstverpflichtung, denn Christian Führer meinte: ‚Keine Gewalt‘ ist die kürzeste Übersetzung der Bergpredigt Jesu im Bereich der Öffentlichkeit.“

Dann kommt Bischof Bünker auf das 2003 veröffentlichte „Sozialwort“ des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich zu sprechen: Darin „distanzieren sich die Kirchen deutlich davon, Kriege und Konflikte unter dem Zeichen der Religion auszutragen.11 Sie sind dem Leitbild eines Friedens in Gerechtigkeit verpflichtet, aber ob als letztes Mittel die Anwendung militärischer Gewalt doch auch erlaubt und geboten sein kann, bleibt im Sozialwort eine Frage. Darüber gehen die Meinungen auseinander und müssen wohl auch auseinander gehen, wie etwa die Auseinandersetzung um öffentliche Äußerungen des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck und der früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland Margot Käßmann zeigt.12 Das [österreichische] Sozialwort sagt dazu: ‚Die Diskussion um Friedenssicherung und legitimen Einsatz militärischer Mittel, muss den jeweils veränderten Umständen entsprechend, innerhalb wie auch zwischen den verschiedenen Kirchen weitergeführt werden.‘13 ← 13 | 14 → Selbst wenn – wie gesagt als letztes Mittel – dieser Einsatz auch aus christlicher Sicht legitim sein mag, ist er doch immer zugleich ein Ausdruck des Scheiterns der Politik und aller präventiven Maßnahmen zur gewaltlosen Beilegung von Konflikten. Mit einem guten Gewissen, mit dem Waschen der Hände und mit dem Weißwaschen der Westen können die Kirchen und Religionen heute nicht mehr dienen.“

Details

Seiten
172
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056853
ISBN (ePUB)
9783653964400
ISBN (MOBI)
9783653964394
ISBN (Hardcover)
9783631664704
DOI
10.3726/978-3-653-05685-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Mai)
Schlagworte
Kirchliche Soziallehre Bibelwissenschaft Ökumene Islamwissenschaft
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 172 S.

Biographische Angaben

Severin J. Lederhilger (Band-Herausgeber:in)

Severin J. Lederhilger ist Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz, Generalvikar der Diözese Linz sowie Mitglied im Redaktionskomitee der Ökumenischen Sommerakademie.

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